Wann kommt Mama?

Transcrição

Wann kommt Mama?
Wann kommt Mama?
Ein Bilderbuch aus Korea
Lee Tae-Jun
Kim Dong-Seong
Baobab heißt der afrikanische Affenbrotbaum, in dessen Schatten sich die Menschen
Geschichten erzählen. Baobab heißt auch die Buchreihe, in der Bilderbücher,
Kindergeschichten und Jugendromane aus Asien, Afrika, Lateinamerika und dem
Nahen Osten in deutscher Übersetzung erscheinen. Der Kinderbuchfonds Baobab ist
eine Arbeitsstelle von terre des hommes schweiz und der Erklärung von Bern.
© der koreanischen Originalausgabe:
Text copyright © 1938 by Lee, Tae-Jun
Illustration copyright © 2004 by Kim, Dong-Seong
All rights reserved
Original Korean edition published by Sonyunhangil, an imprint
of Hangilsa Publishing Co., Ltd through Shinwon Agency Co.
Der Titel in der Originalausgabe lautet:
Wann kommt Mama?
Wann kommt Mama?
Erscheint in der »Reihe Baobab« beim NordSüd Verlag
Herausgeber: Kinderbuchfonds Baobab, Basel, Switzerland
Copyright © 2007 NordSüd Verlag AG, Zürich, Switzerland
Alle Rechte, auch die der Bearbeitung und auszugsweisen
Vervielfältigung, gleich durch welche Medien, vorbehalten.
Übersetzung aus dem Koreanischen: Andreas Schirmer
Lektorat: Sonja Matheson
Druck: Proost N.V., Turnhout
ISBN 978-3-314-01535-9
www.baobabbooks.ch www.nord-sued.com
Ein Bilderbuch aus Korea
Lee Tae-Jun
Kim Dong-Seong
Aus dem Koreanischen übersetzt
von Andreas Schirmer
Die Nase purpurrot vor Kälte geht ein Kind zur Straßenbahnstation
und klettert auf die hohe Plattform.
Es dauert nicht lange, da kommt auch schon die Straßenbahn. Das Kind
streckt seinen Hals und fragt:
»Kommt meine Mama nicht?«
Nachwort des Übersetzers für die
deutschsprachigen Leser und Leserinnen
Der Autor dieses Buches, Lee Tae-Jun (in Korea wird der
Familienname immer zuerst genannt), wurde 1904 geboren. Als
er sein erstes Werk veröffentlichte, war er erst 21 Jahre alt.
Bis zu seinem Tod in Nordkorea im Jahr 1956 hat er von der
Schriftstellerei gelebt. In Korea ist er noch heute sehr beliebt, im
Norden wie im Süden. Die Geschichte »Wann kommt Mama?«
ist 1938 erstmals in einer koreanischen Zeitung erschienen.
Der Zeichner Kim Dong-Seong wurde 1970 geboren.
Er hat für dieses Buch Menschen gezeichnet, die so gekleidet sind, wie es im Jahr 1938 üblich war. Aber sogar in der
modernen Riesenstadt Seoul kann man einige der abgebildeten Trachten heute noch sehen. Auch die Kunst, bequem
auf den eigenen Waden zu hocken, also gewissermaßen
ohne Sessel zu sitzen, beherrschen viele Koreaner und Koreanerinnen nach wie vor sehr gut. Ganz normal ist auch, dass
sich eine Mutter ihr kleines Kind mit einem Tuch auf den
Rücken bindet. Ebenso die voll bepackten Handkarren und die
alten schwarzen Fahrräder, auf denen sich hinten Pakete aller
Art in die Höhe türmen, sieht man ab und zu. Und viele ältere
Frauen sind immer noch davon überzeugt, dass man eine Last,
mag sie noch so zerbrechlich sein, am bequemsten auf dem
Kopf trägt. Ganz selten, und eigentlich nur noch in den Bergen,
sieht man einen Mann mit einem schwer beladenen Traggestell
aus Holz auf dem Rücken und jenem Stock in der Hand, der sich
am oberen Ende gabelt. Eine Straßenbahn gibt es in Seoul seit
gut 40 Jahren nicht mehr, dafür aber viele U-Bahn-Linien.
Die Schrift des Königs
Siebzig Millionen Menschen wohnen heute auf der koreanischen
Halbinsel, also in Nord- und Südkorea. Zahlreiche Koreaner und
Koreanerinnen leben aber auch in Japan, in China, in Russland,
in Amerika und vielen anderen Ländern der Erde. Insgesamt
sind es etwa achtzig Millionen Menschen, die Koreanisch als
Muttersprache sprechen.
Wer Koreanisch spricht, benutzt die koreanische Schrift,
das Hangeul. Man schreibt
, und spricht ‚Han-gŭl’. Warum
˘ steht für einen
die Schüssel über dem ‚u’? Das Zeichen ‚u’
Laut, den wir im Deutschen nicht haben. Er klingt ein wenig
so, als würde man ein U nicht ganz vorne im Mund bilden,
sondern unten im Gaumen und mit offenem Mund. Die koreanische Schrift hat einen ganz einfachen Buchstaben für diesen
Laut, nämlich einen Strich: — .
Das Hangeul ist sozusagen das koreanische Alphabet. Es
ist eine ganz besondere Schrift, denn sie wurde vor mehr als
560 Jahren »erfunden«. Koreas größter König, Sejong (
sprich: Se-Dschong), hatte seinen Gelehrten den Auftrag dazu
gegeben. Davor wurde in Korea eineinhalb Jahrtausende lang
nur Chinesisch geschrieben. Die chinesische Schrift ist wunderbar, aber sie gibt nicht die Laute wieder, die man spricht. Und
darum konnten die Koreaner und Koreanerinnen ihre eigene
Sprache gar nicht schreiben.
Die neue koreanische Schrift sollte zur koreanischen Sprache und ihren Lauten passen wie maßgeschneidert. Und sie
sollte so einfach wie möglich sein, damit sie von allen Menschen
erlernt werden konnte. Weil die neue Schrift eine Lautschrift
war, konnte man nun sogar die Laute der Natur wiedergeben:
das Wehen des Winds, das Schreien der Kraniche und das
Bellen der Hunde. Darauf waren die gelehrten Schrifterfinder
des Königs Sejong besonders stolz.
Das Hangeul, jene Schrift, die auch in diesem Buch zu sehen
ist, hat 14 Buchstaben für die Mitlaute und 10 für die Selbstlaute.
Das sind ungefähr so viele Buchstaben, wie wir in unserem
Alphabet haben, sie werden aber nicht nacheinander geschrieben, sondern als ganze Silbe in einem gedachten Viereck zusammengefasst:
. Würde man die Buchstaben in einer Reihe
schreiben, dann müsste das so aussehen: (h) (a) (n) (g)
(eu) (l). Die Silben immer zusammenzuschreiben, das ist
im Fall der koreanischen Sprache wirklich sinnvoll. Man kann
daran erkennen, wie gründlich das Hangeul durchdacht ist.
Andreas Schirmer