Selbstversuch: 24 Stunden Facebook Nachsitzen mit... Philipp Lahm

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Selbstversuch: 24 Stunden Facebook Nachsitzen mit... Philipp Lahm
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Selbstversuch:
24 Stunden Facebook
Nachsitzen mit...
Philipp Lahm
Hengst oder Herzensbrecher?
Mädchen belauscht
Albtraum Loveparade:
„Die Angst bleibt“
Verlieb dich!
Vier Schritte zum Kribbeln
schule , Ju
ni 2011
IMPRESSUM
KLARTEXT Nr. 23
Das Magazin der Lehrredaktion 49K
Deutsche Journalistenschule
München
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Herausgeber
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Wir danken
Constanze Petery, Benedikt Kumeth,
Leonie Wiedemann, Sylvia Neuner,
Bernd Schifferdecker, Jochen Schievink, Brigitte Aiblinger, Johannes
Arlt, David Bruchmann, Franziska
Ebert, René Jankowski, Lena Olejnizak, Svenja Pitz, Klassen 10a und 7c
des Gymnasiums Gilching, Sara
Moder, Heike Komposch, Esprit,
Klett-Verlag, Bilderrahmen Klopsch,
Together Models, Buchbinder
Autovermietung West, Seacam,
Subtronic, Etienne DeLaire, Dani
Bühring-Uhl, Ulrich Brenner, Sven
Szalewa und dem Team der DJS.
Besonderer Dank für Titelfoto und Unterwasserbilder gilt Eckhard Krumpholz: www.photos-subjektiv.de
Drei Monate wach:
Ein ganzer SOMMER
auf 18 Seiten
Sonne auf Asphalt: Jetzt kann alles passieren
Seite 30 +++ Den Sommer essen: Cam-
ping-Eintopf statt Dosenfutter Seite 39 +++
Kurzgeschichte: Sommernachtstraum am
See Seite 40 +++ „Stehst du auch fürs Klo
an?“ So verliebst du dich. Sofort! Seite 42
Was uns
nahe geht
Ich war 16, sie 25: Das erste Mal – mit einer
Älteren Seite 48 +++ Hanteln und Eiweiß:
Philipp Lahm: So schikanierte ihn sein Lehrer Seite 18 +++ Traum & Trauma: Die eine
Mit 14 in die Muckibude
schafft‘s auf die Musicalschule, die andere
nicht zur Fußball-WM Seite 56 +++ Freund
oder Feind: Lehrer sind auch nur Menschen
Seite 58 +++ Wut im Klassenraum: Paul
wurde gequält – und schlug zurück Seite 62
+++ Vom Skater zum Streber: Wie das
Internat Laurin verändert hat Seite 70
Seite 50 +++
Zocker, Kumpel, Rudeltier: Wenn Mädchen
über Jungs reden Seite 52 +++ SpermaTacho und Fussel-Barometer: Kurioses
über Sex Seite 55 +++ Loveparade Duisburg: Ein Jahr nach der Massenpanik will
Was bei uns
los ist
Virginia vergessen Seite 68
Illegaler Ruhm: Berliner Sprüher Seite 6
+++ Topmodel: Eine Freundschaft überlebte
Heidi Klum Seite 10 +++ Zukunftsmusik:
Was sonst
so geht
Schülerbands und ihr Starpotential Seite 12
+++ Schlaflos auf Facebook: 24h-Selbstversuch Seite 26 +++ Gott nicht geerbt:
Eltern zweifeln, Kinder glauben Seite 61
+++ Hals- und Beinbruch: Hobbys für draußen Seite 64 +++ Rätsel Seite 73
FSJ andersrum: Gestern Straßenkind in
Was andere
machen
Johannesburg, heute Freiwilliger in Karlsruhe
Seite 20 +++ Schaumbäder, Motten,
dominante Frauen: Wovor sich Jungs in aller
Welt fürchten Seite 24 +++ Das YouTubePhänomen: Ein britischer Opa hat Millionen
Fans – vor allem Teenager Seite 72 +++
Stell dir vor: Dein Vater geht in eine Abspeck-Show Seite 74
Wir sind nicht faul,
wir chillen (Seite 30).
M IN Z*
4/5
Foto: Franziska Ebert
Unter minzmagazin.de/aufdieohren gibt’s
zu jedem längeren Artikel einen Song,
den Sound zum Text. Alle zusammen sind
der Soundtrack von minz*
Sturmhauben, Adrenalin
und Farbe: Die Nächte
von Tim** und Nils haben
ihre eigenen Gesetze.
Die beiden sind Sprüher.
Jeder kennt die Bilder
ihrer Crew 1UP – sie selbst
kennt kaum einer
M IN Z*
6/7
Mehr Bilder der 1UP-Crew:
minzmagazin.de/graffi ti
Nicolas Jaar
„Problems with the Sun“
minzmagazin.de/aufdieohren
Tim bewegt den ganzen Körper, wenn er
eine Linie malt. Er geht in die Knie, zieht die
Li
Linie runter bis auf das Pflaster. Tim sprüht eine 1,
die größer ist als er selbst. Sie reicht bis hoch zum Fensterbrett der Wohnung im Hochparterre. Dann sprüht
Tim ein U, dann ein P. Seine Hände stecken in Gummihandschuhen, seine Bewegungen sind gleichmäßig. Er
hat diese drei Zeichen so oft geschrieben, er könnte die
Augen dabei schließen. Er tut es nicht. Aus dem Augenwinkel beobachtet er die Straße links, die Kreuzung
rechts. Im gelben Licht der Straßenlaterne steht sein
Kumpel Nils, ein Checker. Sollte ein Auto kommen, gibt
er ein Zeichen, vielleicht sitzen Zivilpolizisten darin. Tim
steht unter Stress, sein Atem geht schnell. Was er hier
macht, ist eine Straftat. Deshalb spannt eine schwarze
Sturmhaube über seiner Nase, durch die Wolle atmet er
den Lack. Für Tim riecht die Nacht nach Farbe.
Zwei Minuten, und Berlin hat ein 1UP-Bild mehr.
Hunderte sind es zusammengenommen, vielleicht Tausende. Wieder einmal ist Tim glücklich, ein kurzer Moment, der ihm gehört und 1UP, seiner Sprühergemeinschaft. „One United Power“ heißt das Kürzel. Der Name
ist Konzept, deshalb hat Tim seinen eigenen Sprühernamen nicht dazu geschrieben. Alle für eins, das ist selten
im Graffiti. Tim greift nach dem Lenker seines schwarzen
Rennrads und ist weg. Die Buchstaben bleiben, sie sind
silbern, der Rand ist rot. Am nächsten Tag werden die
Leute daran vorbei laufen, auf dem Weg zur Schule, zum
Kiosk, zur Arbeit. Viele werden es gar nicht bemerken.
Tim, Nils und die anderen gehen trotzdem raus, meistens zwischen drei und sechs Uhr morgens, meistens mit
dem Fahrrad, immer mit einem Rucksack voll Sprühdosen. Diesen Auftrag haben sie sich selbst gegeben. Das
Malen gibt ihnen eine zweite Identität. 1UP existiert seit
2003, es gibt sie nur nachts. Tagsüber sind die Sprüher
Köche, Bürojobber oder angehende Lehrer. 1UP, das sind
14 Leute, Jungs und Mädchen zwischen 20 und 30. Jahrelang gehörten sie zu den aktivsten Sprühern in Berlin.
Es gab Wochen, da waren sie jede Nacht unterwegs. Weil
sie so viel malten, war ihnen die Polizei auf den Fersen
– und andere Crews. 1UP waren neu in der Szene und sie
waren gut, das gefiel der Konkurrenz nicht.
Am liebsten benutzen 1UP Silber, das deckt am besten
und das leuchtet in der Sonne. So wie heute. BerlinKreuzberg ist in helles Licht getaucht, runde Wolken
schweben über den Dächern. Tim läuft durch seinen Kiez,
blaue Jeans, weiße Nikes, Kapuzenpulli. Alle paar Meter
zeigt er mit dem Finger in irgendeine Richtung, sagt Sätze wie: „Das ist von uns“, oder „Das haben wir erst letztens gemacht“, oder „Das ist cool, aber das sieht man jetzt
nicht so gut“. Manche 1UPs sieht man immer, die an den
Dächern. Altbau, fünfter Stock – es gibt keinen Baum,
der sie verdeckt. Um sie zu malen, ist einer von ihnen
** alle Namen geändert
„Love Art Hate Cops“: Das
Statement an der Brandmauer
sieht man schon von weitem.
die Dachschräge hinunter gekraxelt, ein zweiter hat ihn
mit einem Seil gesichert.
Sturmhauben, Farbgeruch, Adrenalin: Die Nächte der
1UP-Mitglieder haben eigene Gesetze. Jedes Mal könnten
sie erwischt werden, Sachbeschädigung im großen Stil,
das würde teuer werden. Doch die Leidenschaft treibt sie,
die Liebe zur Aktion und zur Gemeinschaft. Und Eitelkeit. Nils sagt: „Es macht Megaspaß, wenn du am nächsten Tag dein Bild siehst. Du veränderst deine Stadt.“ Als
Sprüher geht er mit einem anderen Blick durch die Straßen. „Du achtest nicht mehr auf Straßennamen, nur noch
auf die Wände und die Bilder.“ In letzter Zeit haben 1UP
weniger in Berlin gemacht. Dort, wo sie wohnen, wollen
sie sich wieder freier bewegen. Ein bisschen paranoid sind
sie immer noch, das müssen sie sein. Nur ihre besten
Freunde wissen, dass sie 1UP sind, wenn es Nacht ist.
Sie sehen sich nicht als Kriminelle. Sie wollen auch
von anderen nicht so gesehen werden. Was ist denn mit
denen, die überall ihre hässlichen grauen Betondinger
hinklatschen, fragen sie. Aber manchmal hadert Tim mit
dem, was er macht. „Wenn ich heute entscheiden könnte,
ob ich noch mal anfangen soll zu sprühen? Ich würde
sagen: nö.“ Er fragt sich, was er verpasst haben könnte.
Und was er für das Sprühen zurückbekommt. Andererseits, sagt Tim, hat er eine geile Zeit gehabt, viel erlebt.
„Wenn du mich mit nem 50-Jährigen in einen Raum setzt,
dann erzähl ich dem was vom Leben.“ Er ist überzeugt,
dass es ein gutes Hobby ist. Andere, sagt er, schlagen sich
oder verkaufen Drogen.
Tausend Mal haben 1UP gesagt: „Jetzt hören wir auf.“
Das letzte Mal in Paris, nachdem sie von einem Schäferhund durch einen U-Bahn-Tunnel gejagt wurden. Nachts
wollten sie eine Metro bemalen, aber unten wartete der
Sicherheitsdienst mit Hund. Sie rannten, das Bellen hallte hinter ihnen durch den Tunnel. Mit brennender Lunge
und flauem Magen entkamen sie.
Bis heute ist Tim sechs oder sieben Mal erwischt worden. Ein paar Mal konnte er sich rausreden, insgesamt
hat er 2000 Euro Strafe gezahlt. Das ist nichts, verglichen
mit dem, was seine Crew für Graffiti ausgegeben hat. ZuM IN Z*
8/9
Im
Tunnel
wartet der
Sicherheitsdienst mit
Hund
sammen haben sie 50 000 Dosen
versprüht, jede kostete vier Euro. Der
Ruhm in der Szene hat seinen Preis. Man
kennt 1UP nicht nur in Deutschland. Sie
waren schon in Kuba, Brasilien, Thailand.
Demnächst wollen sie in Indien malen, in Delhi.
Meist übernachten sie bei anderen Sprühern, sie sind
international vernetzt. Eine Reise kann trotzdem teuer
werden. Einmal wurden sie in Bangkok erwischt. Die
Polizisten forderten 10 000 Baht, knapp 250 Euro. Am
Ende haben sich die Beamten auf die Hälfte runterhandeln lassen.
Wenn andere Menschen eine fremde Stadt besuchen,
gucken sie sich Gebäude an, Gemälde oder Skulpturen.
Tim und Nils gucken sich Zäune an. Und zwar die, die
um Abstellgleise gezogen sind. Sie überlegen, wie sie sie
überwinden können, wenn sie nachts wiederkommen,
um die Züge zu bemalen. Sie müssen wissen, ob eine Zange reicht oder ob sie einen Bolzenschneider mit isolierten
Griffen brauchen. In einigen Ländern stehen die Zäune
unter Strom.
In Kreuzberg ist es wieder dunkel geworden. Tim geht
schnell, er hat einen Termin. Auf dem Gehweg weicht er
Touristen und türkischen Omas aus. Er muss zu einer Bar,
wo er ein Schild bemalen soll, ein Freundschaftsdienst.
Dass die Getränke bis 22 Uhr die Hälfte kosten, soll er
darauf schreiben. Er holt die Dosen aus dem Jutebeutel,
die schon die ganze Zeit darin klappern. Er drückt eine
Schablone auf das Schild und sprüht einen kantigen
Happy-Hour-Schriftzug.
Das Schild hat er auf den Hinterhof getragen. Vorn auf
der Straße ist ihm zu viel Hektik, zu viele Leute. Tim malt
im matten Schein der Hoflampe. Der Chef der Bar kommt
aus dem Hintereingang und stellt ihm ein Glas Cola auf
den Betonboden. Tims Feuerzeug macht ein Kratzen, er
zündet sich einen Joint an. Manche von 1UP sprühen nur
mit Gasmaske, sagt er. Es ist ungesund, die Farbpartikel
einzuatmen. Zwischen den Sätzen zischt seine Sprühdose.
Er sollte sich auch mal eine Gasmaske besorgen, sagt er.
Bis dahin riechen Tims Nächte nach Farbe.
Oben: Tim vor
einem Hauseingang
in Berlin-Kreuzberg.
Unten: Fassadengrau trifft bunt.
Text: Alexander Krex; Fotos: 1UP, flickr/nolifebeforecoffee, Alexander Krex
Carolin Ruppert wurde Vierte bei Germany’s Next Topmodel.
Hier spricht sie mit ihren besten Freundinnen darüber, wie sich
Freundschaft verändert, wenn Berühmtheit kommt – und geht
Marijana: Wir wollten nicht, dass sie sich
Vorwürfe macht, in solch einer wichtigen
Zeit nicht da sein zu können.
Runde weiter gekommen bin. Aber keine
ging ran!
Marcella: Mich hast du dann doch noch erreicht. Ich saß gerade in der S-Bahn und habe
erst kein Wort verstanden, so aufgeregt und
schnell hast du gesprochen. Dann habe ich
die Telefonkette gestartet.
Carolin: Als wir noch telefonieren konnten,
wollte ich immer wissen, was daheim so los
ist...
Marijana: Eine gemeinsame Freundin wurde
in der Zeit schwanger. Wir haben es Carolin
nicht gesagt.
Carolin: Als wir uns wiedergesehen haben,
konnte ich es nicht glauben! Eigentlich können wir alle keine Geheimnisse für uns behalten.
Wart ihr dagegen, dass Carolin sich bei
Germany’s Next Topmodel bewirbt?
Wann habt ihr euch zuletzt gefetzt?
Carolin: Gestern Abend!
Marcella: Wir haben uns in letzter Zeit wenig
gesehen und waren deshalb gereizt.
Carolin: Wenn wir uns streiten, reden alle
gleichzeitig und so laut, dass wir einander
nicht mehr verstehen. Hunde und Kinder
fliehen dann unter den Tisch und die Männer
verlassen gesammelt den Raum.
Marijana: Gestern hat sich das Gefühl entladen, nichts voneinander zu haben.
Ihr kennt das doch! 2008, bei Germany’s
Next Topmodel, wurde Carolin sogar das
Handy abgenommen.
Carolin: Ich hatte damals fünf Minuten,
um den anderen zu erzählen, dass ich eine
M IN Z*
10/11
Marijana: Überhaupt nicht! Wir haben ihr
Potential erkannt und sie angetrieben. Das
Bewerbungsvideo haben wir zusammen gedreht.
Marcella: Die Folgen haben wir dann bei mir
zuhause mit 40 Leuten auf einer Leinwand
angeschaut.
Marijana: Carolin hatte uns alles im Detail
schon vorher erzählt, in der Drehpause. Die
Hintergrund-Geschichten kannten wir also
schon.
Wie hat euer Umfeld auf Carolins Prominenz reagiert?
Marijana: Im erweiterten Freundeskreis wa-
Freundinnen seit ihrer
Jugend: Carolin
Ruppert (links), Marcella
Quaranta (Mitte) und
Marijana Milovac
auf einem Spielplatz
in Frankfurt am Main.
DAS MODEL UND
IHRE MÄDELS
Carolin Ruppert, 27, studiert heute wieder BWL
in Wiesbaden und arbeitet bei einem Headhunter.
Facebook-Freunde: 1767. Offene Anfragen: 1200
Marcella Quaranta, bald Schulz, 28, ist Referendarin an einer Grundschule in Frankfurt am Main.
Facebook-Freunde: 314. Offene Anfragen: 0
Marijana Milovac, 26, hat BWL studiert und
arbeitet im Marketing eines Unternehmens.
Facebook-Freunde: 195. Offene Anfragen: 0
Carolin
in Pose
bei einem
Shooting
Ende 2008.
Wie lange kennt ihr euch denn?
Marijana: Seit wir 15 sind. Wir haben uns in
der Tanzschule kennengelernt.
Carolin: Sag ruhig, was du dachtest, als du
mich zum ersten Mal gesehen hast!
Marijana: Ich dachte: Die sieht aus wie Pamela Anderson.
Carolin: Pamela Anderson ohne Titten! Sag’s
ruhig: „Die sieht aus wie Pamela Anderson
ohne Titten“, hast du gedacht.
Marijana: Jedenfalls habe ich mich zu ihr
gesetzt und ab da waren wir beste Freunde.
Marcella kam wenig später dazu.
Habt ihr euch seitdem noch mal so gefühlt
wie damals?
ren manche Leute plötzlich total Caro-geil.
Carolin: Das war so ein Hype. Bekannte
wollten auf einmal mehr Kontakt haben, haben Bilder gemacht und so.
Marcella: Wenn wir gemeinsam unterwegs
waren, haben uns die Leute auf der Straße
angesprochen. Auf Facebook haben sie mich
angeschrieben, um an Caro ranzukommen.
Manchmal war das zu viel. Vor allem, als ich
mal in Fanforen geschaut habe...
...da stand: „Carolins grausames Lachen
ist aufgesetzt, sie hat einen fiesen Blick,
sie ist falsch und billig...“
Marcella: ...ich bin beim Lesen richtig wütend geworden und habe gleich weggeklickt.
Ich mag es nicht, wenn Leute schlecht und
falsch über meine Freundin reden.
Ein Fernsehkritiker hat Carolin einmal als
„schön, aber labil“ bezeichnet.
Marijana: Totaler Schwachsinn. Die müssen
etwas Schlechtes schreiben, damit es interessant ist. Die hatten wohl sonst nichts über
Caro. Was heißt schon labil?
Funny van Dannen
„Freundinnen“
minzmagazin.de/aufdieohren
Carolin: Labil ist, wenn man weint, oder?
Marijana: Labil ist, wenn du bei jeder Kleinigkeit zusammenbrichst.
Marcella: Das ist genau das Gegenteil von
Carolin. Sie ist ehrgeizig und stark.
2009 hat Carolin ein Modemagazin moderiert. Wie war das, als es nach nur vier Monaten wieder abgesetzt wurde?
Marcella: Caro hat das aus der Zeitung erfahren. Es war eine schwierige Zeit.
Marijana: Aber Caro steckt das weg und geht
immer weiter. Das schätze ich an ihr.
Carolin: Ein guter Manager wird auch mal
gefeuert und geht zum nächsten Unternehmen. Deswegen habe ich nie geweint, oder?
Marcella und Marijana: Nee.
Marijana: Letztes Jahr, in München...
Carolin: Es war Sommer, Partyzeit am See,
die Männer waren nicht dabei.
Marcella: Ein richtiges Mädels-Wochenende.
Quatschen, bis wir heiser waren.
Carolin: Marcella hat angefangen zu reden,
als sie morgens die Augen aufgemacht hat,
und aufgehört, als sie sie zugemacht hat. Das
war wie als Teenager.
Marijana: Ja, Klamotten tauschen, sich gemeinsam schminken und die Haare machen.
Wir sind mit Hippie-Bändern durch die Stadt
gelaufen. Und abends beim Barhopping in
der ersten Kneipe hängen geblieben.
Carolin: Der Taxifahrer hat uns rausgeschmissen, als einer von uns übel wurde.
Wem?
Carolin ist von München wieder zurück in
ihre Heimat gezogen, nach Frankfurt.
Carolin: Kein Kommentar.
Marcella: Wir haben Caro zurückgeholt.
Marijana: Es gab diese Phase, da ging es ihr
nicht so gut. An einem Abend haben wir ihr
gesagt, dass ihr München nicht bekommt,
und eine wunde Stelle getroffen.
Carolin: Das war schlimm! Es ging nur um
mich. Die beiden haben aufgeräumt: „Du
ziehst wieder her, machst deinen BWL-Master.“ Da hat sich viel verändert. Vom Management gab es Gegenwind, aber ich vertraue
immer Menschen, die ich lange kenne.
Was macht Carolin in zehn Jahren?
Marcella: Sie wird Mama und beruflich erfolgreich sein, in einem schönen Haus wohnen und einen Hund haben.
Carolin: (bellt) Eine Dogge.
Marijana: Bitte keine Dogge.
Wird irgendeine Zeitung noch über sie
schreiben?
Marcella: Nein, und darüber wird sie auch
nicht böse sein.
Interview: Sebastian Puschner; Mitarbeit: Ole Pflüger; Fotos: Brigitte Aiblinger, Thomas Klinger
Casting-Shows und YouTube: Noch nie war es
so einfach, berühmt zu werden. Oder?
Fünf Nachwuchsbands haben minz* verraten,
wie sie ihr Potential zum großen Durchbruch
einschätzen
Die Bands zum Anhören:
minzmagazin.de/bands
M IN Z*
12/13
NO MORE ROOM
TO BREATHE
Ein winziger Raum, viel zu viele Leute und
keine Luft zum Atmen: Die AlternativeRocker von No more room to breathe
haben die Zustände bei ihrem ersten
Auftritt zum Bandnamen gemacht. Dass
Flo (Bass), Sam (Gesang), Martin (Schlagzeug) und Sebi (Gitarre) auch noch in
20 Jahren zusammen spielen werden, ist
eher unwahrscheinlich: Fürs Studium
werden einige Bandmitglieder wegziehen.
Schaffen sie trotzdem den Durchbruch?
Ihre eigene Prognose:
10% Zukunftsmusik
MYMALIKA-QUARTETT
Klassik ist nicht alles: Myriam (Violine),
Marlene (Violine), Lina (Viola) und
Katharina (Cello) spielen zwar gerne Vivaldi
und Mozart, sind aber auch Fans von
Bruno Mars, Pink und Beyoncé. Ob die vier
später beruflich Musik machen werden?
Potential dazu haben sie allemal.
Die Prognose des Quartetts:
40% Zukunftsmusik
M IN Z*
14/15
CALL ME GRAY
Als Schönlinge bezeichnen sich die Grunge-Rocker von Call me Gray
augenzwinkernd: Ihr Bandname leitet sich vom ewig jungen
Romanhelden Dorian Gray ab. Hinter der weichen Schale steckt ein
rockiger Kern: Die Vorbilder von Lysander (Gesang), Cedric (Gitarre),
Max (Gitarre), Yannick (Bass) und Vincent (Schlagzeug) heißen
Soundgarden, Blackstone Cherry und Rage against the Machine. Zu
einem Plattenvertrag würden sie nicht nein sagen – aber ob die Band
das Ende der Schulzeit überleben wird, wissen sie noch nicht.
Die Prognose der Band:
50% Zukunftsmusik
THE SWINGING LEMONADES
20er-Jahre-Flair in der U-Bahn: Die Swinging Lemonades verbreiten mit ihrer Jazzmusik gute Laune an öffentlichen Orten. Ob
Marvin (Klarinette), Oliver (Gitarre), Emanuel (Kontrabass) und
Marinus (Cajón) auch in Zukunft zusammen spielen, wissen sie
nicht. Aber jeder für sich wird der Musik treu bleiben: Marvin will
Klarinette studieren, Emanuel macht eine Ausbildung zum
Geigenbauer. Ihre Prognose:
70% Zukunftsmusik
M IN Z*
16/17
UKA-CREW
Dr. Dre, 50 Cent, Eminem: Die Vorbilder der
Unknown Artist Crew kommen aus den USA.
Robin, Nader und Robin verheimlichen ihre
bayerische Herkunft aber nicht – ihre Songs
heißen „Munichs Finest“ und „Hip-Hop aus der
Landeshauptstadt“. Ein erstes Album hat die
UKA-Crew schon aufgenommen, Kontakte ins
Musikgeschäft haben sie auch.
Nächstes Ziel: Plattenvertrag.
Die Prognose der Crew:
90% Zukunftsmusik
Konzept und Text: Mathias Weber; Mitarbeit: Silke Keul, Sebastian Puschner; Fotos: Thomas Klinger
Der Bayern-Profi und Kapitän der deutschen FußballNationalmannschaft ist im Münchner Stadtteil Gern zur
Schule gegangen – das ist zwölf Jahre her. In minz* erinnert
er sich an die Schikanen seines Deutschlehrers und
daran, wie fast eine Klassenfahrt an ihm gescheitert wäre
Welches Fach mochtest du lieber: Mathe
oder Deutsch? Mathe, da war ich besser.
Deutsch hat mir dann Spaß gemacht, wenn
wir das Streiflicht der Süddeutschen Zeitung
lesen sollten. Dann habe ich immer im Sportteil geblättert.
Du hast nie Ärger bekommen? Na ja, einmal habe ich die Jacke eines Mitschülers im
Schrank versteckt. Das war ein Spaß. Er hat
sich furchtbar aufgeregt und ist zur Lehrerin
gerannt. Die hat uns gedroht, dass wir nicht
zusammen ins Schullandheim fahren. Also
habe ich alles zugegeben.
Klassenraum: Erste oder letzte Reihe?
Zweite Reihe. Mal links, mal rechts. Das hat
variiert – so wie heute in der Viererkette
(lacht).
Pausenbrot: Wurst oder Käse? Ich mochte
Wurst schon immer lieber.
Hausaufgaben: Abschreiben oder selber
machen? Meistens habe ich sie selber ge-
macht. Andere haben gern mal von mir abgeschrieben.
Also eher Streber als Rebell? Ja, eher in
Richtung Streber. Notenmäßig war ich immer Durchschnitt, weil ich lieber Fußball
gespielt habe. In den Abschlussprüfungen
hatte ich in Mathe und Physik eine Drei, in
Deutsch und Englisch eine Vier. Geschwänzt
habe ich kein einziges Mal. Ich war kein
Rebell.
M IN Z*
18/19
Was ist dein erster Gedanke, wenn du dich
an deine Schulzeit erinnerst? Superzeit. Ich
Wie viele Maß hast du an einem Abend
geschafft? Weiß ich nicht mehr, aber nicht
sag öfter zu den Mannschaftskollegen, ich
würde gerne mal wieder eine Woche in die
Schule gehen, mit den Leuten von früher.
Oder die Klassenfahrten: Wir haben mal eine
Tour nach Österreich gemacht, mit Wildwasser-Rafting und so. Da waren wir 16, glaube
ich. Zu der Zeit war in München gerade Oktoberfest, die zweite Woche. Und wir haben
den Lehrern in den Ohren gelegen: Hätte
man das nicht anders planen können? Es hat
nichts genützt. Aber in Österreich haben wir
ein Lokal gefunden, in dem es Oktoberfestbier gab. Dort sind wir abends hin.
so viele. Es war nicht so, dass wir alle unterm
Tisch lagen.
Lightning Seeds
„Three Lions“
minzmagazin.de/aufdieohren
Dein traumatischstes Schulerlebnis? In
Deutsch mussten wir Gedichte aufsagen.
Einmal kannte ich nur den Titel. Vorn zu
stehen und zu reden war damals noch nicht
meine Stärke.
Du spielst heute vor Millionen und hast
dich damals kaum getraut, vor der Klasse
ein Gedicht aufzusagen? Ich weiß, dass ich
Fußball spielen kann. Beim Gedichte-Aufsagen war ich mir nie so sicher.
Hat es die Lehrer genervt, dass du so viel
Sport gemacht hast? Mein Deutsch- und
Geschichtslehrer hatte, glaube ich, ein Prob-
Sie hat die Frauen-WM nach Deutschland geholt: Im Interview erzählt Steffi Jones, wie
sie zum Kicken kam: minzmagazin.de/fussball
Ein Schnappschuss von 1999. In diesem Jahr hat Philipp
Lahm seinen Abschluss gemacht. Danach konnte er
sich ganz auf den Fußball konzentrieren – und musste nie
wieder Gedichte aufsagen.
„Meine erste
Freundin
hatte ich mit 17.
Ich glaube,
ich war spät
dran“
lem damit. Als ich in der U17-Nationalmannschaft war, wurde ich eine Woche vom Unterricht befreit. Der Direktor hatte nichts
dagegen. Aber der Lehrer war stinksauer. Als
ich zurückkam, haben wir eine Kurzarbeit
geschrieben, so eine mit Ankreuzen. Direkt
nachdem er sie eingesammelt hatte, hat er
mich noch mal zu einem ganz anderen Thema ausgefragt. Das werde ich nie vergessen.
Er hat mir eine Sechs gegeben, obwohl ich im
schriftlichen Test eine Zwei hatte.
Meinhardt war dran. Er hat sich entschuldigt.
Er hat gesagt, dass er falsch gelegen hat und
dass er sich sehr für mich freut. Das war eine
nette Geste.
Woran denkst du, wenn du Sommerferien
hörst? Der letzte Tag vor den Ferien, wenn
alle gut drauf sind. Alle so (hebt die Arme,
lässt sie auf den Tisch fallen): FERIEN! Nach
der Schule haben wir alle zusammen eine
warme Leberkäs-Semmel gegessen. Wir standen noch Stunden beieinander und haben
den Moment genossen.
Und dann? Dann bin ich ins Training gegan-
Haben deine Lehrer dich bei der FußballKarriere unterstützt? Nicht alle. Nach der
gen (lacht).
Mittleren Reife ging es darum, ob ich mich
ganz auf den Fußball konzentrieren oder ob
ich auf die Fachhochschule gehen soll. Mein
Klassenlehrer, Herr Meinhardt, hat meinen
Eltern empfohlen, dass ich nicht nur Fußball
spielen sollte.
Du hattest nie richtig frei? Auch in den
Und deine Eltern haben nicht auf ihn gehört? Zum Glück nicht. Zwei Jahre später
wurde ich Profi in Stuttgart. Kurz darauf klingelte bei meinen Eltern das Telefon, Herr
Ferien hatte ich einen vorgegeben Rhythmus.
Aber Ferien waren für mich trotzdem
Freiheit, ich hatte mehr Zeit für meine Freunde. Während der Schulzeit war das schwierig.
Ich habe fast täglich trainiert – die anderen
waren meistens ohne mich im Freibad.
Hättest du dich manchmal lieber mit Freunden getroffen? Klar. Ich kenne Leute, die
genauso gut gespielt haben wie ich, vielleicht
sogar besser. Die aber mit 16, 17 nicht so diszipliniert waren. Wenn die abends alle ausgegangen sind, habe ich gesagt: Nee, muss
morgen zum Spiel. Manchmal bin ich trotzdem mit. Dann bin ich aber um zwölf oder
eins wieder heim.
Und eine Freundin? Hattest du überhaupt
Zeit dafür? Ich war spät dran. Meine erste
Freundin hatte ich mit 17. Wir konnten uns
nicht jeden Tag sehen, das war aber kein Problem.
Kam sie am Wochenende immer zum
Spiel? (lacht) Sie hat sich irgendwann für
Fußball interessieren müssen. Meine Freundinnen, genauso wie meine Frau heute, haben vorher nicht viel mit Fußball am Hut
gehabt.
Philipp Lahm, 27
Beruf: Fußballprofi
Schule: Nymphenburger Realschule,
München
Lieblingsfächer:
Sport, Mathematik
Interview: Bastian Berbner, Alexander Krex; Fotos: Acta7, Alexander Krex, privat
M IN Z*
20/21
Mpho Sengane wuchs in einem südafrikanischen Kinderheim
auf und haute immer wieder ab, um auf der Straße zu betteln.
Heute arbeitet er als Freiwilliger in einem deutschen Hort
Deutsche wissen nicht, wie man eine Wurst grillt. Davon ist Mpho Sengane überzeugt. Zuhause in Südafrika
schneiden sie ein Blechfass der Länge nach durch, machen darin Feuer und legen ein Metallgitter darüber. Gegrillt wird dann eine Boerewors, zu einer Schnecke gedrehtes Rind- und Schweinefleisch, drei Zentimeter
Durchmesser, gewürzt mit Thymian und Muskatnuss.
„Als meine Gastfamilie mit mir gegrillt hat, konnte ich
nicht glauben, wie klein der Rost und die Würste sind“,
sagt Mpho.
Statt einer Boerewors hat Mpho jetzt grünen Salat vor
sich, den er auf kleine Schüsseln verteilt. Statt in dem
Kinderheim bei Johannesburg, in dem er groß geworden
ist, bereitet Mpho in einem Karlsruher Hort das Essen für
Ninthe & Zuluboy
„The World is Yours“
minzmagazin.de/aufdieohren
Waldorf-Schüler zu. Früher war er das Kind, um das sich
deutsche Jugendliche kümmerten, die als Freiwillige nach
Südafrika kamen. „Warum soll das nicht auch andersrum
gehen?“, fragte er sich nach dem Schulabschluss.
Es ging. Durch das Incoming-Programm der „Freunde der Erziehungskunst“ kommen jedes Jahr 100 Menschen aus dem Ausland für einen Freiwilligendienst nach
Deutschland. Seit sechs Monaten ist Mpho einer von ihnen, hilft vormittags dem Hausmeister beim Heckenschneiden und setzt sich mittags mit zwanzig Grundschülern an den Tisch. Fasst den Lockenschopf links und den
Jungen mit den Sommersprossen rechts bei der Hand.
„Liebe Sonne, liebe Erde, euer nie vergessen werde“, sprechen alle im Chor. Es gibt Nudeln mit Pilzsoße, dazu den
Salat. Alles Bio.
Als Mpho 15 war, bestand sein Pausenbrot meist aus
einem Sandwich mit Marmelade. Er ging auf eine Privatschule, Spender bezahlten die Gebühren. Die Mitschüler
hatten Schinken, Tomaten und Salatblätter auf ihren Broten, trugen teure Klamotten und besaßen die neuesten
Handys.
In Mphos Kinderheim wollten 200 Kinder versorgt
werden, für den Einzelnen blieb nicht viel. Darum hauten
Mpho und seine Kumpels immer wieder ab, nur ein paar
Tage, um in der Innenstadt zu betteln. „Es ist einfach. Du
stehst an der Ampel, und je jünger du bist, desto mehr
Geld geben sie dir.“ Die Nächte verbrachten sie unter
Brücken, gegen die Kälte half der Klebstoff. „Du atmest
die Dämpfe aus einer kleinen Plastiktüte ein und fühlst
nichts mehr.“ Auch nicht die Angst. Angst vor „Matan-
yola“. So nennen sie es auf Südafrikas Straßen, wenn ältere Jungs jüngere zum Sex zwingen. Mpho blieb das
erspart. „Ich habe zugesehen, wie Freunde es tun mussten.“
In dem Karlsruher Hort machen die Kinder nach dem
Essen ihre Hausaufgaben, spielen „Verstecken mit Freischlagen“ oder kickern an einem Fußballtisch aus Holz,
den sie selbst gezimmert haben, während der FußballWM in Südafrika. Mpho ist zu dieser Zeit morgens um
drei aufgestanden und eine Stunde zum Flughafen gelaufen. Er hat in der Gepäckabfertigung gearbeitet, um den
Flug nach Deutschland zu bezahlen. Um sich jetzt zu
einer neuen Runde „Halli Galli“ überreden zu lassen.
„Aber dieses Mal darfst du die Karten nicht vorher anschauen“, ruft das Mädchen im karierten Wollkleid.
Irgendwann wollte Mpho nicht mehr unter Brücken
schlafen. Er war gut in der Schule, hatte Sozialarbeiter um
sich, die ihm Mut machten. Mit 17 wurde er Sprecher der
Kinder gegenüber der Heimleitung, mit 18 engagierte er
sich in einem Projekt, das sich um HIV-positive Waisenkinder kümmert. Mit 20 bewarb er sich für das IncomingProgramm. Als die Zusage kam, musste er zum ersten
Mal seit sechs Jahren zu seiner Mutter gehen. Geburtsurkunde, Pass – so etwas hatte Mpho nie besessen. Die
Mutter sollte beim Amt bestätigen, dass es ihn gibt. Sie
weigerte sich. Am Ende zwang die Polizei sie mitzukommen. Als er den Pass in Händen hielt, sagte er seiner
Mutter: „Mach, was du willst. Ich gehe schon lange meinen eigenen Weg.“
Nach den Hausaufgaben wird gezockt
im Waldorf-Hort: Mpho Sengane
spielt „Halli Galli“ mit den Kindern.
Die älteren Schüler palavern
in der Raucherecke, Mpho
fegt den Hof. Bevor der Hort
öffnet, hilft er jeden Vormittag
dem Hausmeister.
WEG HIER!
Dieser Weg führte Mpho in den Karlsruher Hort. Der
bezahlt ihm die Krankenversicherung und 150 Euro Taschengeld. Auch die Gastfamilie, bei der Mpho lebt, hat
er organisiert.
Zu deren Haus sind es zehn Minuten mit dem Fahrrad. Drei Stockwerke, Anbau aus Holz, rote Fensterläden.
Im Garten hängt eine tibetische Gebetsfahne, zwischen
Gemüsebeeten liegen zwei Blechgießkannen. Mphos
Gastmutter ist Erzieherin in einem Waldorf-Kindergarten, der Vater sitzt im Vorstand der Schule, zu der der
Hort gehört. Auf dem Schulhof trifft Mpho seinen neunjährigen Gastbruder und seine 17-jährige Gastschwester.
Die älteste Tochter ist gerade als Freiwillige in Argentinien. „Warum sollten wir
Mpho nicht ermöglichen, was unsere
Tochter in Südamerika machen kann?“,
sagt der Vater. Als er kurz vor Mphos
Ankunft dessen Namen googelte, fand er
nichts. „Und dann stand er vor uns und
fragte als erstes: What are the rules of the
house?“ Die Familie war überfragt.
Auf einmal konnte Mpho abends ausgehen, so lange er wollte. Hatte einen eigenen
Schlüssel und ein eigenes Zimmer. „Früher habe
ich mit fünfzig anderen in einem Raum geschlafen“, sagt
er. Nach einigen Wochen tauchten dann doch ein paar
„rules of the house“ auf. Zu fragen, bevor man eine Flasche Wein zu einer Party bei Nachbarn mitnimmt. Und
das mit dem Pinkeln. „Wir haben lange beratschlagt, wer
Mpho sagt, dass man das hier im Sitzen erledigt“, sagt der
Vater lachend, auf den schließlich die Wahl fiel. Für Mpho
war das ebenso gewöhnungsbedürftig wie die deutschen
Grillwürste.
Im September wird Mpho wohl wieder Boerewors
essen. Er will sich in Südafrika einen Job suchen, obwohl
dort die Arbeitslosigkeit bei 30 Prozent liegt. Das Angebot des Horts, ein halbes Jahr länger zu bleiben, hat er
abgelehnt. Er sagt: „Home is home.”
Du willst wie Mpho für eine Weile ins Ausland? Hier sind deine Möglichkeiten
WELTWÄRTS UND EFD
Mit Straßenkindern in Südafrika Fußball spielen? Mit weltwärts
arbeitest du sechs bis 24 Monate in einem entwicklungspolitischen Projekt, meist in Afrika. Alter: 18 bis 28. Beim Europäischen Freiwilligendienst (EFD) arbeitest du mindestens sechs
Monate in einem gemeinnützigen Projekt in Europa oder angrenzenden Mittelmeerstaaten. Alter: 18 bis 30.
KULTURWEIT
Dich faszinieren eher Sprachen, Kunst und Kultur? Bei
kulturweit kannst du am Goethe-Institut oder in einer
deutschen Schule in einem Entwicklungsland mitarbeiten. Der Dienst dauert sechs oder zwölf
Monate und wird vom Auswärtigen Amt bezuschusst. Alter: 18 bis 26.
„Was sind hier
die Regeln?“
Die Eltern
waren überfragt
M IN Z*
22/23
WORK AND TRAVEL
Kinder bespaßen, Schildkröten retten, Reiseführer spielen? Mit Work&Travel bereist du ein
Land und verdienst dir dein Taschengeld selbst.
Bei der Suche nach Jobs wirst du von der jeweiligen Organisation unterstützt.
WWOOFEN
Kühe melken auf einem Bio-Bauernhof? Mit World Wide Opportunities on Organic Farms wohnst und isst du gratis auf
einer Farm, arbeitest sechs Stunden am Tag und lernst ein
neues Land kennen.
AU-PAIR
Du hütest die Kinder deiner Gastfamilie und hilfst im Haushalt.
In den USA lässt sich das mit einem College-Besuch kombinieren: weniger Arbeitsstunden und Taschengeld – dafür Zeit
für Schnupperkurse, die die Gastfamilie bezahlt.
Welcher Auslandstyp bist du?
Mach den Test auf minzmagazin.de/weg
Text: Sebastian Puschner; Fotos: David Bruchmann
Patrick, 16, Frankreich
„Ich habe Angst vor
Spinnen, obwohl
ich weiß, dass
das sonst eher
Mädchensache ist.“
Männer fürchten sich nie? Von wegen! Wir haben Jungs auf dem ganzen Erdball
gefragt, was ihnen Angst macht. Eine Weltkarte mutiger Geständnisse
Patrick, 13, USA
„Ich habe Angst
davor, dass man
sich über mich
lustig macht.“
Álvaro, 17, Peru
„Ich habe Angst vor
der Polizei und
Angst, drogensüchtig
zu werden.“
Giacomo, 18, Schweiz
„Ich habe Angst, dass
noch ein weiterer
Klassenkamerad von
mir stirbt.“
Louai, 15, Tunesien
„Ich habe Angst vor
Arbeitslosigkeit. Aber
ich hoffe, dass es jetzt,
nach der Revolution,
bergauf gehen wird.“
Notis, 16, Griechenland
„Ich habe Angst vor
der Angst. Denn wenn
man Angst hat, kann
man nicht mehr
logisch denken.“
Juan, 17, Argentinien
„Ich habe Angst vor
Monotonie. Ich will
lieber früh sterben,
als mein Leben lang
im Büro zu arbeiten.“
Lusanda, 13, Südafrika
„Ich habe Angst vor
wilden Tieren, die
andere Tiere oder
Menschen fressen.“
M IN Z*
24/25
Sebastian, 17, Finnland
„Ich habe extreme
Höhenangst. Wenn ich
zu weit vom Boden
entfernt bin, fühle ich
mich total unwohl.“
Nurbek, 19, Kirgistan
„Meine Vorfahren hatten keine Angst und ich
habe auch keine. Nur
Frauen fürchten sich.
Und Männer über 40.“
Raphael, 15, Österreich
„Ich habe Angst vor
dominanten Frauen.
Normalerweise ist doch
der Mann das starke
Geschlecht!“
Taeyang,18, Südkorea
„Ich mache mir Sorgen
wegen der unsicheren
Zukunft. Ich habe Angst,
kein bedeutsames und
cooles Leben zu führen.“
Gao Fei, 15, China
„Ich habe Angst
vor Dunkelheit. Im
Dunkeln fühlt man
sich nur kalt, einsam
und hoffnungslos.“
Assaf, 15, Israel
„Ich habe Angst, auf
offener Straße in Schlägereien verstrickt zu
werden.“
Ikramul, 18, Bangladesch
„Ich habe Angst vor
Konkurrenz, vor dem
ständigen Gerangel um
die Spitzen-Jobs.“
Abinaswar, 18, Indien
„Ich habe Angst vor meinen
Zeugnissen. Meine Eltern
wollen, dass ich Klassenbester werde. Das nervt.“
Paul, 15, Tansania
„Ich habe Angst,
mich mit HIV zu infizieren und Aids
zu bekommen.“
Conor, 14, Australien
„Ich fürchte mich vor
Schaumbädern. Ich weiß
nicht warum, aber ich
habe mich schon als Kind
davor gefürchtet.“
Finn, 15, Neuseeland
„Ich habe Angst vor
Motten. Sie flattern
gegen das Fenster und
erschrecken mich
beim X-Box-Spielen.“
Konzept: Bastian Berbner; Grafik: Karoline Beisel; Fotos: privat, Mathias Weber
15:20 Ich habe einen
Freund als „Bitch“
bezeichnet. Sieben
Stunden Facebook
und ich verrohe.
Aus ein paar Minuten bei Facebook wird schnell eine Stunde.
Aber was passiert, wenn man die Seite nicht verlassen darf?
Unser Autor hat sich da auf etwas eingelassen
08:00 Ich schalte mein Handy aus. Wer
mich erreichen will, muss das ab jetzt über
Facebook tun. Auf den Servern liegt eine Originalkopie meines Lebens, ich habe nur einen
einzigen Freund, der nicht bei Facebook ist
– und meine Eltern. Alle schlafen.
08:14 Noch immer niemand da. Ich melde
mich bei CityVille an. Fast 100 Millionen
Menschen spielen diese App, es ist die beliebteste Facebook-Anwendung. Ich baue pastellfarbene Vorstadthäuser. Nach einer ViertelM IN Z*
26/27
stunde habe ich 160 Einwohner. Ich weiß
nicht, warum jemand in diese Bonbon-Wüste ziehen sollte.
08:50 Jetzt poste ich ein Webcamfoto: Ich,
ungeduscht, hungrig, eklig. Einem Freund
aus Israel gefällt das.
10:47 Die letzten Stunden vergingen schneller als gedacht. Dass Facebook Zeit frisst,
wusste ich schon vorher. Nur nicht, wie viel.
Ich komme nicht mal dazu, entspannt durch
die Fotos meiner Freunde zu browsen. Hier
der Chat, da die Pinnwand und: Ist alles richtig geschrieben? Facebook ist dazu da, sich
neu zu erschaffen – nur ein bisschen schöner
und interessanter als im echten Leben. Das
ist Arbeit.
11:30 Ich chatte heute mit Leuten, mit denen
ich sonst nie Kontakt habe, einfach nur, weil
sie schon wach sind. Das lässt mich über das
echte Leben nachdenken: Ist Freundschaft
immer nur ein Kompromiss? Zwischen Aufwand, Interesse und Verfügbarkeit?
12:50 Ich frage Moritz, er ist 16, was er gerne
spielt. Er empfiehlt „FB-Pflicht“. Ein Spiel wie
Flaschendrehen: „Mit der ersten Person, der
das gefällt, musst du ein Bild machen, auf
dem du sie küsst.“ Niemandem gefällt das.
13:10 Ich poste, kommentiere, drücke „gefällt mir“ im Stakkato. Jedes Mal, wenn jemand einen meiner Beiträge mag oder etwas
kommentiert, leuchten oben links kleine rote
Ziffern auf. Die sind geiler als Geld. Ich gerate in einen Nachrichten-Rausch, fühle mich
beliebt, schön und witzig. Das setzt mich unter Druck: Jeder Kommentar soll noch lustiger, origineller, bissiger sein als der letzte. Für
die nächste kleine rote Eins tue ich alles.
13:40 Irad fragt mich im Chat, ob ich noch
normal sei. Als er sich heute in seinen Account einloggte, war jeder zweite Eintrag
„Steffen macht dies, Steffen macht das, Steffen gefällt...“. Irad findet das peinlich. Sein
erster Gedanke war, ich sei von einer Clubnacht heimgekommen und säße auf Speed
vor dem Rechner.
13:50 Was, wenn ich innerhalb dieser 24
Stunden alle meine Freunde vergraule? Bisher hat mir noch keiner die Freundschaft
gekündigt. Aber vielleicht haben sie mich auf
unsichtbare Blockierlisten gesetzt. Ich möchte kurz in den Arm genommen werden. Ich
leide unter dem Facebook-Kater. Es ist grausam, unter Leuten zu sein und nicht zu wissen, was sie tatsächlich von mir denken. Aber
ist das draußen anders? Ich gehe duschen.
Zehn Minuten Pause von dieser blauen Bühne für Selbstdarsteller – wie mich.
14:06 Eine Vanessa schickt mir eine Freundschaftsanfrage und schreibt, ich sähe aus wie
die männliche Version von Scarlett Johansson. Das sei nett gemeint, sagt sie.
15:06 „Ignorierst du mich?“ Christoph beschwert sich, dass ich auf seine Nachricht
nicht antworte. Sie kam gar nicht an. Das
passiert ständig. Die Server scheinen überlastet. Ich schreibe ihm im Chat: „Dieses verdammte Drecks-Facebook“ und staune: Sieben Stunden online und ich verrohe.
ich
15:20 Auch Jan schreibt mir, ich hätte mich
verändert: Meine Kommentare seien gehässig. Einen Freund habe ich als „Bitch“ bezeichnet. Weil ich Angst vor Streit habe, verziehe ich mich nach CityVille.
16:10 Ich kann nicht fassen, wie doof dieses
Spiel ist: keine Taktik, wirres Rumgeklicke,
planloses Bauen, Straßen enden im Nichts.
Das Spiel bestätigt mir trotzdem, was für ein
toller Bürgermeister ich bin.
17:38 Es wird so viel darüber gesprochen,
dass Facebook Revolutionen auslösen kann.
Eine Revolution verlange ich gar nicht: „Bitte bringt mir etwas Schönes von draußen
mit“, schreibe ich. „Fotografiert es und postet
es an meine Pinnwand! Hier drin ist es so trist
– und in meinem Herzen auch!“
20:00 Ich poste ein Bild, auf dem ich mir die
Augen zuhalte. Darüber schreibe ich „Halbzeit“. Das gefällt elf Freunden. Wirklich?
Oder haben sie nur auf den Button geklickt,
weil es eine unverbindliche Art der Kontaktaufnahme ist?
20:32 Mein Hilferuf ist dreieinhalb Stunden her. Ergebnis:
null. Ein lustiges Video
zu posten ist bequem
und geht schnell. Etwas zu fotografieren,
war meinen Freunden wohl
zu aufwändig. Wie soll denn
da erst eine Revolution gestartet
werden? Das reale Leben nennen viele bei Facebook nur noch RL. Das klingt
auch nur nach einer Anwendung.
Die Fotos und Videos zum
Versuch: minzmagazin.de/
facebook
23:15 Auf Facebook wird jeder zum Stalker.
Nur ich habe dafür keine Kraft mehr. Ich fühle mich, als hätte ich den ganzen Tag hart
gearbeitet. Die Augen sind trocken und tun
weh. Ich kann diese Bilder nicht mehr ertragen, diese Menschen, die angeblich meine
Freunde sind; die posieren und Modelblicke nachahmen und von unten
in die Kamera sehen.
Er fragt,
ob ich
auf Speed
bin
21:10 Abendsonne auf dem Flughafen Tempelhof. Flo hat mir ein Foto vom Inline-Skaten mitgebracht! Mir geht es besser. Ich freue
mich, dass der Himmel auf dem Bild nicht
blau ist. Ich kann kein Blau mehr sehen.
22:13 Ich bitte Selin, 17, um Aufheiterung.
Sie hinterlässt mir ein Video: Ein Hund reißt
ein kleines Mädchen hinter sich her, das
Mädchen fällt auf die Fresse. Ich schaue es
mir 15 Mal an und lache jedes Mal.
22:50 Ein Freund, der sich als „FacebookAbhängigen hohen Grades“ bezeichnet, gibt
mir Beschäftigungstipps. Er unterteilt sie in
gute, gefährliche und selbstzerstörerische.
Die Selbstzerstörerischen sind:
- Ex-Freundinnen anschauen
- Leute anschauen, die mit Ex-Freundinnen
sch
schlafen.
23:50 Dieses Blau! Die
Farbe eines toten
Schlumpfes. Ich lade
mir ein Plug-in herunter. Damit kann ich Facebook selbst einfärben. Ich entscheide mich für rot und grün.
Wie die Buchstaben in der „Unendlichen Geschichte“. Ole klebt ein Bild von
Atreju auf die Wall. Im Buch stirbt sein Pferd
in den Sümpfen der Traurigkeit.
01:32 Ich rauche meine erste Zigarette auf
dem Balkon. Der Laptop sitzt auf meinem
Schoß. Um der Welt zu sagen, dass ich alleine
bin, nehme ich ein Video auf. Die Freunde,
die wach sind, interessiert es nicht, dass meine Stimme zittert und meine Augen zwischen
Chatbalken und Nachrichtenanzeige umherirren. Britta kommentiert am nächsten Morgen: „Du klingst, als hättest du dich am liebsten vom Balkon gestürzt...“ Hätte ich das
getan, wäre mein letzter Satz gewesen: „Mir
postet niemand mehr was auf die Wall.“
04:20 Ich weiß nicht, was ich in den letzten
Stunden getan habe. Geklickt und getippt,
vermute ich. Aber was?
05:30 Die Vögel zwitschern. Ich will raus,
raus, raus!
DIE REGELN
D
24 Stunden im Internet surfen – das kann jeder.
Deshalb haben wir ein paar Dinge vorgeschrieben
• Der Versuch dauert von Sonntagmorgen, 8 Uhr, bis Montagmorgen, 8 Uhr.
• Das Handy bleibt die ganze Zeit aus, Festnetz ist natürlich auch verboten.
• Email? Vergiss es!
• Außer Facebook und verlinkten Artikeln darf keine Seite angesurft werden.
• Essen ist ok, aber nur vor dem Laptop!
• Nein, kein Skype! Unser Autor darf mit niemandem sprechen.
• Einmal Duschen ist erlaubt. Länger als 10 Minuten darf er sich nicht von
Facebook entfernen.
• Achso, Schlafen ist verboten.
07:00 Ich würde
gerne eine Stadt in die
Luft sprengen.
06:30 Mir tut der Rücken weh und die Hand
und die Augen sowieso. Dreimal hatte ich
mich darauf eingestellt, alleine in die Nacht
entlassen zu werden. Jedes Mal schrieb mich
ein anderer an. Es sind Menschen, die ich nur
flüchtig kenne, die aus irgendeinem Grund
noch wach sind: Côme aus Paris arbeitet an
einer Bewerbung für die Filmhochschule,
Dennis aus Berlin kommt von einer Party
und versucht zu flirten. Ich will einfach nur
meine Ruhe haben. Normalerweise breche
ich Chats ab, indem ich behaupte, ich hätte
zu tun. Das geht jetzt nicht. Ich begreife nicht,
warum diese Menschen nicht ins Bett gehen,
wenn sie doch dürfen. Dass es Spaß machen
kann, Zeit auf Facebook zu verbringen. Dass
es mir früher Spaß gemacht hat.
Test: Welcher Facebook-Typ bist du?
M IN Z*
28/29
07:00 Nur noch eine Stunde! Meine Stadt bei
CityVille hat 260 Einwohner. Ich würde sie
gerne in die Luft sprengen.
08:00 Ich schreibe meine letzte Statusmeldung. Vertippe mich bei jedem Wort. „Ich
habe 217 Kommentare und Pinnwandeinträge bekommen, ein paar Freunde gewonnen,
keinen verloren.“ Der Gedanke, gleich ins
Bett zu dürfen, weckt solche Vorfreude, dass
ich wieder richtig munter werde. Ich schalte
mein Handy an. Der erste Mensch, mit dem
ich rede, ist eine Frau vom Radio, die übers
Netz von meinem Experiment erfahren hat.
Sie will ein Interview mit mir machen. Ich
freue mich, dass ich überhaupt mit jemandem sprechen darf.
Du bist „Der wahre Freund?“
Was das bedeutet, liest du hier:
minzmagazin.de/facebook-test
Text: Steffen Jan Seibel; Mitarbeit Test: Mounia Meiborg; Fotos: Thomas Klinger
18 Seiten über hundert Tage, die unser Leben verändern
Achtung: In diesem Sommer kann alles passieren
Gut gepackt: Der Rucksack, mit dem du vorbereitet bist
Nie wieder Dosenravioli: Der Camping-Eintopf
Die perfekte Nacht: Eine Kurzgeschichte
Damit sie einschlägt: Vier Schritte zur Sommerliebe
M IN Z*
30/31
Die Nase meldet den
Geruch von Sonnenöl,
Grillkohle und heißem Teer.
NA M E
32/33
Arschbombe vom Steg,
Zitroneneis im Park
und nebenbei neue Freunde
finden – oder gleich die Liebe.
Das geht nur jetzt!
Stundenlang liegen Stella und Jonas im
Park in der Sonne. Sie essen Johannisbeeren,
er fotografiert sie mit seiner Polaroidkamera.
Die Kamera macht dieses zirpende Geräusch.
Langsam erscheint Stellas Gesicht auf dem
Foto. Sie lacht. Es ist Sommer und Stella hat
sich verliebt. Die ganze Zeit denkt sie daran,
dass sie Jonas küssen will.
Nachts rennen die beiden durch die Straßen und lesen sich Klingelschilder vor. In
einem Haus wohnt eine Familie Winter über
einer Frau Sommer. Das finden sie lustig.
Stella denkt, so lange es warm ist, wird es immer so weitergehen. Sie wünscht sich, dass
der Sommer nie zu Ende geht. Als die Vögel
zu singen beginnen, ist es noch dunkel.
Das Gezwitscher der Vögel im Morgengrauen kennt auch Nico. Seine Eltern schlafen längst, als er sich mit Lisa auf Facebook
verabredet. Die beiden sind Freunde. Die
ganze Nacht laufen sie durch den Olympiapark in München; sie reden. Über hyperaktive Geschwister und den Streit mit der besten
Freundin. Morgens um halb sechs klauen sie
beim Bäcker Semmeln, jeder eine.
Stella und Jonas, Nico und Lisa sind seit
ein paar Wochen ein bisschen durchgedreht.
Kann eine Jahreszeit verrückt machen? Kann
man sich in den Sommer verlieben? Warum
kribbelt es an den ersten warmen Abenden
im Bauch, auch, wenn man gar nicht verknallt ist?
Der Sommer schlägt ein wie eine Arschbombe. Es ist die Vorfreude, die uns verrückt
macht: Unser Gehirn registriert, dass sich
etwas verändert hat. Die Nase meldet den
Geruch von Sonnenöl und von Grillkohle
und von heißem Teer. Die Haut an den Unterarmen sagt: Achtung, mehr Licht als in den
neun Monaten zuvor! Der Bauch verlangt
jeden Morgen einen halben Liter BananenButtermilch. Und unser Kopf sendet eine
Botschaft an den Rest des Körpers. Sie könnte auch als kleine Warnung verstanden werden: Mach dich bereit – denn in diesem Sommer kann alles passieren.
Neue Liebe, neue Freunde, erwachsen
werden oder auch nicht. Aber warum geschieht gerade im Sommer so viel?
Eine Erklärung ist so einfach, dass sie fast
schon blöd klingt: Im Sommer haben wir
mehr Zeit. Um halb 10 ist es noch so hell wie
im Winter nachmittags um vier. Man wird
einfach nicht müde.
Und dann sind da noch die Sommerferien. Sechs Wochen, die vor einem liegen und
Fritz Kalkbrenner
„Facing the Sun“
minzmagazin.de/aufdieohren
die man selbst formen darf – wie einen großen Klumpen Lehm. Oder besser: Wie einen
Block Erdbeereis, aus dem wir uns jeden Tag
eine dicke Kugel herausschälen können. Wie
der Tag abläuft, liegt plötzlich in den eigenen
Händen. Keine Schule, die den Rhythmus
diktiert. Die Eltern ermahnen einen nicht
mehr, die Hausaufgaben zu machen.
Das klingt alles toll. Aber Michael Niggel
von der Beratungsstelle Pro Familia weiß,
dass die Freizeit auch anstrengend werden
kann: „In den ersten Tagen der Sommerferien fallen viele in ein Loch und versumpfen.“
Die Freunde sind im Urlaub und fast alles,
was Spaß macht, kostet Geld.
Man hat Riesen-Erwartungen und setzt
sich unter Druck. Wie man sich beschäftigt,
wenn man nichts zu tun hat – das muss man
erst mal lernen.
Die Eltern können das Rumgehänge im
Sommer nicht verstehen. Sie sagen: „Jetzt
könntest du doch bergsteigen, Tanzen lernen,
jobben.“ Sie haben vergessen, wie anstrengend es ist, jung zu sein. Dass man sich
HIER STEHT
EINE HEADLINE
Dies ist ein Vorspann. Vor allem aber hatte es einen großen Fehler, es
stand kein Wörtchen von der Bezahlung darin. Wäre sie auch nur
ein wenig erwähnenswert gewesen, das Plakat hätte sie gewiß genannt;
es hätte das Verlockendste nicht vergessen.
Die Zeit fließt, man lässt
sich treiben, und wenn die
Strömung nachlässt, ruft
bestimmt ein Freund an mit
einer bekloppten Idee.
Wir lernen
andere Dinge
– ein Bier
auf Spanisch
zu bestellen
von der Schule erst mal erholen
muss. Studien sagen: Die Schule
ist der größte Stressfaktor im Leben
eines jungen Menschen. Eltern wissen
auch nicht mehr, wie es ist, in einer Woche plötzlich fünf Zentimeter zu wachsen.
Dass einen Freunde auch mal an den Rand
des Wahnsinns bringen können. Eltern verwechseln Chillen mit Faulsein.
Dabei kann man die viele Zeit ganz gut
gebrauchen: zum Luftschlösserbauen, Tagebuchschreiben, und um sich zu fragen: Wer
bin ich? Und wer möchte ich gerne sein?
M IN Z*
34/35
Rubén sitzt fröstelnd auf seiner Isomatte
und schiebt Nachtwache. Eigentlich wollte er
mit seinem Freund von München nach Prag
trampen – aber weiter als nach Wolznach,
einem bayerischen Dorf an der Autobahn,
sind sie noch nicht gekommen. Vor der Freiwilligen Feuerwehr haben sie ihr Lager aufgeschlagen. Sein Freund schläft, Rubén lehnt
den Kopf an die Wand und denkt: dass das
Trampen eine seltsame und sehr schöne Art
des Reisens ist. Was er in seinem Leben einmal machen will. Und dass er sonst nie einfach so dasitzt und nachdenkt.
RAUS!
Noch keine 18? Das heißt
nicht, dass du mit deinen
Eltern in Urlaub fahren
musst. Willst du...
... in einem Projekt mitarbeiten?
Mach mit bei einem Teenage Work
Camp. Die Teilnahmegebühr ist
nicht so hoch, Anreisekosten kommen noch drauf.
...Gleichaltrige kennenlernen?
Fahr doch zu einer internationalen
Jugendbegegnung in die Ferne.
Kostet nicht viel, Anreise ist oft
schon mit drin.
...so was wie studieren?
Für die Wissbegierigen gibt es
Summer Schools. Die Preise sind
sehr unterschiedlich, ein Kurs kann
bis zu 1000 Euro kosten.
...eine Fremdsprache lernen?
Vamos! Auf ins Ausland! Da lernt
man Sprachen doch am besten.
Hier bezahlst du meist alles selbst,
aber es gibt auch Stipendien.
...dich bewegen?
Surfen lernen oder endlich mal den
ganzen Tag Beachvolleyball spielen:
Sport-Camps bieten Action.
...mit Freunden in den Urlaub?
Neue Leute treffen oder mit denen
von zuhause wegfahren: Bei Jugendreisen kann man sich allein und
als Gruppe anmelden.
Spät dran? Kein Problem.
Oft gibt es Restplätze.
minzmagazin.de/raus
Im Sommer
sind wir Alleinherrscher:
über uns und unsere Zeit.
Morgens aufstehen und nicht wissen, wo
man abends sein wird: Das passiert einem
nur im Sommer, wenn die Tage nie enden
und wenn doch, dann nur, um von warmen
Nächten mit dunkelblauem Himmel abgelöst
zu werden. Die Zeit fließt, man lässt sich treiben, und wenn die Strömung nachlässt, klingelt bestimmt das Handy und irgendein
Freund ist dran mit einer bekloppten Idee.
Zwischendurch muss man nicht einmal nach
Hause, um eine Jacke zu holen. Im Sommer
sind wir Alleinherrscher über uns und unsere Zeit – ein Vorgeschmack auf die große
Freiheit, die eines Tages kommen wird.
Wir treffen eigene Entscheidungen. Wie
Albion: Er zieht sich nicht aus. Sie sind über
die Mauer ins Freibad geklettert, er und die
anderen Fußball-Jungs, nachts auf der Vereinsfahrt in Salzburg. Ein paar ältere Mädchen und Jungen baden dort schon, nackt.
Die Freunde ziehen sich die Hose runter, Albion nicht. Er schämt sich. Dann geht das
Licht an. Alle rennen weg, werfen die Klamotten über die Mauer und klettern hinterher.
Im Zeltlager oder in der Sportfreizeit
muss man mit der Gruppe klarkommen.
Man macht, was die anderen tun – oder eben
nicht. Selbst im Urlaub mit den Eltern hat
man plötzlich mehr Verantwortung, sie wollen sich ja auch erholen. „Dadurch drehen
sich die Rollen um“, sagt der Schweizer Erziehungswissenschaftler Helmut Fend. „Jugendliche lesen den Stadtplan, Eltern laufen
hinterher.“
Deshalb ist es Blödsinn, wenn Lehrer behaupten, dass Schüler nach den Ferien dümmer sind als vorher. Man lernt eben andere
Dinge: wie man in einen Club reinkommt,
fremde Leute anquatscht, ein Bier auf Spanisch bestellt. Manche Sachen macht man
nur im Sommer. Und von manchen hätte
man sich nie vorgestellt, dass man sie überhaupt einmal tun würde.
Max reist mit zwei Freunden und einem
Interrail-Ticket durch Europa. Eigentlich
wollte er die Frau im Bus nur nach einem
Platz zum Zelten fragen. Dann sitzen sie gemeinsam am Strand: Die 16-jährigen Jungs
und die Griechin, die 43 ist. Sie trinken Wein
und reden über das Leben.
Sich betrinken und rumphilosophieren
mit einer Frau, die seine Mutter sein könnte
– zuhause wäre Max das nicht passiert. Aber
auf Reisen, wo man sich an jeder Straßenecke entscheiden muss zwischen zwei Gassen, die man beide noch nicht kennt, ist alles
anders. Was die anderen über mich denken?
Irgendwie auch egal. Die Neugier siegt über
die Schüchternheit.
Max Fanslau:
„Ich hätte nie
gedacht, dass ich
mich mal mit
einer 43-jährigen
Griechin
betrinke.“
3 MONATE, 15 DINGE, 1 RUCKSACK
2
1
3
4
14
5
6
13
9
7
12
Im Schein der Lichterketten wirkt alles verzaubert und geheimnisvoll.
11
10
8
15
Rotweinpulver zum Selberanrühren: Schmeckt wie abgestandenes Wasser, knallt dafür mit 8,2% in der Mittagshitze 2 Getrocknetes
Rindfleisch: Essen wie die Seefahrer 3 Notizbuch: Falls dich mal nicht die Liebste, sondern die Muse küsst 4 Popcorneimer: Leerfuttern,
umdrehen, draufsetzen! 5 Tubenwaschmittel und Bürste: Wäscht Blut, Schweiß, Tränen aus dem Shirt 6 Auf dem mp3-Player: Ein
Hörbuch! „Bonjour Tristesse“, der Sommerferienklassiker von Françoise Sagan 7 Taschenlampe mit Dynamo: Kurbel dir dein eigenes
Licht! 8 Taschenzahnbürste: Falls du auf der Couch oder in einem fremden Bett aufwachst 9 Wasserpistole: Dieses Jahr trägt man
Elefant! 10 Natron gegen übersäuerten Magen: Kater verjagen 11 Klopapierrolle: Macht Freunde auf dem Campingplatz 12 Knicklichter:
Erstens knack, zweitens Romantik! 13 Regenponcho: Hält trocken wie ein Schirm, passt aber in die Handtasche 14 Vollkornbrot aus der
Dose: „Ja, Mama, ich esse ordentlich!“ 15 Decke: Nicht vergessen.
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Foto: Thomas Klinger
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Es riecht nach frisch
gemähtem Gras, an den
Fingern klebt der Saft
einer Wassermelone.
Wir
tun Dinge,
die hinterher
schrecklich
unvernünftig
erscheinen
Das liegt auch daran, dass wir uns leicht,
beweglich und saugut fühlen. Wenn es wärmer wird, müssen wir keine fünf Kilo schweren Mäntel über unsere Körper hängen. Und
plötzlich fällt auf, dass der Junge aus der Parallelklasse so schöne Knie hat und das Mädchen, das nach der Schule immer ein Waldmeister-Wassereis am Kiosk kauft, eine
schmale Taille.
Salvatore ist gut gebaut. Da stört es Lisa,
die nachts in München Semmeln klaut, auch
nicht, dass seine Nase ein bisschen zu groß
ist. Im Familienurlaub auf Mallorca schmuggelt sie sich in einen Club. Sie ist erst 16, aber
nach ihrem Ausweis fragt keiner. Es läuft
House, Lisa tanzt, Salvatore auch. Sie findet
ihn niedlich. Er tanzt immer näher an sie ran,
dann küsst er sie. „Du kannst nicht küssen“,
sagt sie. Er zuckt mit den Schultern. Jemand
übersetzt, Salvatore lacht und sagt: „Wir können ja üben.“ Und dann üben sie, bis morgens um drei. Dabei hatte Lisa vorher gedacht, der Urlaub mit den Eltern würde
stinklangweilig werden.
Gerade, wenn man es am wenigsten erwartet, kann alles passieren. Man rechnet mit
nichts, hat den Tag schon abgeschrieben, und
schleicht schwitzend durch die Straßen. Es
riecht nach frisch gemähtem Gras und an den
Fingern klebt der Saft einer Wassermelone,
die Luft flirrt vor Hitze, alles steht still. Und dann
taucht manchmal aus dem Nichts
wie eine Fata Morgana jemand auf, auf den
man nicht gewartet hat. Eine Sommerliebe,
ein heißer Flirt oder einfach nur eine Begegnung, die man wochenlang nicht vergisst.
Selin geht mit ihren Freunden zum Stuttgarter Lichterfest. Beim Feuerwerk unterhält
sie sich mit einem Freund, sie soll für ihn
Sätze auf Türkisch sagen. Sven steht erst nur
daneben. Dann bittet er sie: „Sag mal auf Türkisch: Heute ist ein schöner Tag, weil ich Sven
getroffen habe.“ Das findet Selin ganz schön
eingebildet, aber sie unterhält sich trotzdem
mit ihm. Beide mögen Jazz und am Ende des
Abends sagt Selin, er soll sie auf Facebook
suchen. Sie schicken sich Nachrichten, sie
treffen sich, aber nie zu zweit. Irgendwann
schreibt Sven ihr nicht mehr.
Manchmal ist es nur eine Kleinigkeit, und
man hat das Gefühl, etwas Aufregendes zu
erleben. „Ein verstohlener Blick im Schwimmbad reicht, um sich ein ganzes Abenteuer
auszumalen“, sagt die Sozialpädagogin Bar-
Lisa Schneid:
„Seine Nase
war ein bisschen groß. Ich
habe Salvatore
trotzdem geküsst.“
bara Springer. Wenn die Abendsonne tief
über dem See steht und sich der Schein der
Lichterketten wie eine getönte Sonnenbrille
über unsere Augen legt, wirkt alles geheimnisvoll und ein bisschen unwirklich. Die Luft
riecht nach feuchtem Staub, gleich wird es
regnen, denkt man, und manchmal tut man
dann Dinge, die hinterher schrecklich unvernünftig erscheinen.
Corinna geht mit Freundinnen aus, sie
trinken ganz schön viel. Ein Mann spricht
Corinna an. Er ist 28 und Lehrer und hält sie
für älter als 16. Corinna findet ihn nicht sonderlich attraktiv, aber auch nicht abstoßend.
Sie trinken noch mehr, Corinna wird übel.
Draußen versucht sie, sich den Finger in den
Hals zu stecken, aber es klappt nicht. Der
Lehrer kommt dazu, sie küssen sich.
Im Schein der
Lichterketten wirkt
alles verzaubert
und geheimnisvoll.
Wir denken,
der Sommer
würde ewig
dauern
Rubén Salazar:
„Ich bin getrampt
mit: einem Model,
einem Schwulen
und einem Büromenschen.“
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„Willst du, dass ich dir in den Mund kotze?“,
fragt sie ihn. Der Lehrer bietet ihr an, bei ihm
zuhause ihren Rausch auszuschlafen. „Ich
könnte deine Schülerin sein“, sagt sie, aber
dann steigt sie mit ihm ins Taxi, weil sie findet, das sei vielleicht schlauer als so betrunken bei ihren Eltern aufzukreuzen. Corinna
schläft mit dem Lehrer in einem Bett, ihre
Hose behält sie an. Am nächsten Morgen geht
sie zur Fahrschule, und als ihre Stunde vorbei
ist und sie hinten sitzt, muss sie sich doch
noch übergeben.
Der Sommer macht unvernünftig. Das
kann harmlos enden, wie bei Corinna.
Manchmal bringt uns die Unvernunft aber
dazu, einem anderen weh zu tun. Stella, die
mit Jonas Johannisbeeren im Park aß und auf
den Polaroids so glücklich aussah, dachte, der
Sommer würde ewig dauern. Und dann endete er doch.
Er sagte ihr, dass er sie liebt. Aber Stella
hatte seit zwei Jahren einen Freund. Jonas
wartete trotzdem in der Hitze an der Straßenbahnhaltestelle auf sie.
Jonas zog nach Hamburg. Stella blieb in
Kassel. Sie hat nie nachgesehen, ob in dem
Haus wirklich Familie Winter und Frau
Sommer wohnen, oder ob sie sich das in
ihrem glühenden Sommer-Kopf nur eingebildet hat.
Text: Karoline Beisel, Mounia Meiborg, Steffen Jan Seibel; Fotos: Franziska Ebert, Svenja Pitz, Steffen Jan Seibel
Ein Gaskocher, ein Topf,
Geschirr und Besteck:
Mehr hast du beim
Campen nicht dabei –
und mehr ist auch
nicht nötig
Für den Sommerurlaubstopf gibt es
nicht nur ein Rezept: Du magst keine
Zucchini? Nimm Champignons. Die Aubergine vergessen? Lass sie weg, schmeckt
trotzdem. Am besten auf einem Cam-
pingplatz in Südfrankreich, wenn dir
und deinen Freunden nach einem langen
Tag am Meer der Magen knurrt. Und
zuhause nachgekocht, versetzt dich der
erste Bissen zurück in die Ferien.
Schritt 1: Das Rindfleisch in 2 x 2 cm große Würfel schneiden,
Olivenöl im Topf erhitzen und das Fleisch scharf anbraten.
Das brauchst du:
• eine halbe Stunde
Zeit
• zwei hungrige Mit
esser
• etwa 500 Gramm
Rindfleisch, entweder
Steaks oder Gesch
netzeltes
• Gemüse: zwei Zw
iebeln (Frühlingszw
iebeln tun’s auch), ein
e Aubergine,
drei große Karotten,
eine Zucchini, zwei
Paprikaschoten, vie
r Strauchtomaten
• Kräuter: Rosmarin
, Thymian, Oregan
o
(frisch oder getrockne
t)
• zwei Zehen Knobl
auch
• einen Schuss Rotwe
in
• Olivenöl, Salz und
schwarzen Pfeffer
• als Beilage Bague
tte und eventuell sau
re
Sahne oder Crème
fraîche
In großen Stücken bleibt
das Gemüse knackig.
Schritt 2: Den Knoblauch fein, die Zwiebeln grob würfeln und
ab in den Topf. Salzen und pfeffern, einen Schuss Rotwein hinterher, Deckel drauf. Wer’s mag, legt noch einen Zweig frischen
Rosmarin dazu, der vor dem Essen herausgefischt wird und viel
Aroma abgibt.
Schritt 3: Jetzt kommt’s auf die richtige Reihenfolge an, weil die
einzelnen Gemüsesorten unterschiedlich lange brauchen, um
gar zu werden. Zuerst die Aubergine in halbe Scheiben schneiden und, wenn die Zwiebeln glasig sind, in den Topf geben.
Anschließend die Karotten, gefolgt von der Zucchini, den Paprika und den Tomaten. Das Grünzeug nicht zu klein schneiden,
sonst gibt’s nachher verkochten Brei. In großen Stücken bleibt
es knackig.
Schritt 4: Die Kräuter klein hacken und über den Fleisch-Ge-
müse-Mix streuen, dann umrühren und Deckel drauf. Mit Salz
und Pfeffer abschmecken und den Topf von der Flamme nehmen, wenn das Gemüse noch bissfest ist.
Schritt 5: Ab auf den Teller und rein in den Magen. Ein Klecks
saure Sahne ist nicht nur gut für die Optik, sondern auch für
den Geschmack. Nach
zwei Wochen Frankreich hängt dir das
Weißbrot endgültig
zum Hals raus? Folienkartoffeln, Couscous
oder Reis passen genauso gut dazu.
Text: Simon Hurtz; Produktion: Silke Keul; Fotos: Thomas Klinger
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Ali Farka Touré
„Ai du“
minzmagazin.de/aufdieohren
Die anderen halten sie für eine Spießerin. Sie raucht kein Hasch, für
Jungs interessiert sie sich nicht. Und dann sitzt sie plötzlich am Ufer,
allein mit diesem kiffenden Beachvolleyball-Typen. Eine Kurzgeschichte
Kerle stehen doch alle auf Haut, denke ich
mir und halte mir den knapperen meiner
zwei mitgebrachten Miniröcke vor die Beine.
Seit gut drei Stunden ist der Spiegel blind
vom Dampf zwanzig heißgeduschter Mädchenkörper, immer wieder mit rauen CampHandtüchern verschmiert, um ihn wenigstens für ein paar Sekunden klar zu bekommen.
Er wirft deshalb ein nur unbefriedigendes
Bild zurück. Meine Zimmernachbarin Claudia stößt mich weg, kaum dass ich die Umrisse des Rocks und meiner Beine darunter
ausmachen kann. „Ich muss mich jetzt echt
schminken, zieh Leine. Du bist ja noch nicht
mal angezogen“, bemerkt sie weniger zu mir
als zu ihrer Entourage, die teils den Spiegel
mit ihren Handtüchern malträtieren, teils
Claudia Wimpernzange, Mascara und Eyeliner reichen. „Oder ist das deine neue Strategie, um ein bisschen Aufmerksamkeit zu
bekommen?“ Ihre Sklavinnen kichern hirntot, zwei fangen an, Claudias Mähne zu striegeln. Sie ist ein Schlachtross, der Stolz des
ganzen Stalls. Ich kann ihr nur ausweichen.
Wenn sie wüsste. Claudia denkt, ich sei
die letzte Spießerin. Sie glaubt, nur weil ich
mich nicht an Jungs ranschmeiße wie sie, sei
ich total zurückgeblieben. Aber ich habe eben
einen exklusiven Geschmack. Die Party wird
ganz lustig, die Jungs drängen sich um Claudia, die Clubleitung will allen Ernstes Tanzspiele organisieren und ein paar von den
Jüngeren machen sogar mit. Um Mitternacht
entfaltet sich irgendein Drama um Claudia,
sie schubst ein Mädchen von der Tanzfläche
auf eine Holzbank. Das Turnier hat also begonnen. Kleinere Gruppen ziehen sich in den
„Wald“ zurück, eine Baumgruppe hinter der
Uferböschung, und trinken Jägermeister aus
von zuhause mitgebrachten Thermoskannen.
Ein Typ, den ich vom Beachvolleyball kenne,
zieht mich ohne zu fragen mit. Drei Jungs
und ein sehr jung aussehendes, betrunkenes
Mädel sitzen auf Handtüchern im Unterholz.
Hier kreiselt nicht nur der Schnaps, sondern
auch eine kleine Glaspfeife, die nach Kräutern stinkt. Der Volleyballtyp legt mir seine
Hand auf die Schultern und fordert seinen
Kumpanen auf, sich mit seinem Hit zu beeilen. Er bekommt die Pfeife und will sie mir
schon zwischen die Lippen schieben. „Nee,
lass mal, ich rauche kein Hasch.“ „Du? Klar
tust du das. Das sieht doch jeder!“, sagt er.
Wie kommt er denn darauf? Er checkt es anscheinend auch nicht. Er dachte wohl, dass
ich mich von den anderen Campern entfernt
halte, weil ich zu den Druggies gehöre und
weggetreten bin. Ihn und seine Freunde lasse
ich hocken, die haben mir nichts zu bieten.
Die besoffene Kleine ruft mir hinterher: „Sei
doch nicht so langweilig, du Vollspießerin!“
Wenn sie nur alle wüssten, wer ich bin, wie
ich wirklich bin.
Ich gehe zum Ufer, außer Sichtweite des
Camps. Die Lichter der Party werfen lange
bunte Bahnen über das Wasser, es ist kalt und
das Gras unter meinen Füßen nass, die FlipFlop-Sohlen quietschen bei jedem Schritt. Ich
setze mich. Aber schon nach wenigen Minuten zerreißt die Stille. Ich drehe mich um und
sehe den Volleyballtypen. Ich will aufstehen
und gehen, aber er hält mich fest, diesmal
bescheidener, er hat wohl gelernt, dass er
mich nicht einfach so einschätzen und besitzen kann, mich mitzerren und berühren,
mich beleidigen und mir seine widerliche
Haschpfeife andrehen. „Sorry“, sagt er. „Ich
glaube, ich hab da einen Fehler gemacht.“ Ich
kann mir nicht helfen und werde ein bisschen
rot. Er stinkt immer noch nach dem Glimmzeugs. „Das hast du! Warum gehst du nicht
einfach zu deinen Freunden und kiffst dich
zu?“ Er schweigt. „Mann, Junge, ich will allein sein.“ Jetzt nehme ich auch den Geruch
seiner Haut wahr, seinen Schweiß, seine Haare, meine ganze Nase ist voll von ihm. Vielleicht stinkt er gar nicht so sehr. Er lässt mich
los und setzt sich neben mich. „Ich versteh
schon“, sagt er. Was will er verstehen, denke
ich. „Ich kiffe eigentlich auch nicht. Ich hab
nur irgendwie gedacht, dass du...“ Wir
schweigen und hören den Grillen irgendwo
im Gras zu. Es dringt keine Musik mehr zu
uns, die Party ist vorbei. Dann küsst er mich
aus dem Nichts. Und ich kapiere es. Dass er
mich echt versteht. Dass er auf mich gewartet
hat, wie ich auf ihn. Ich versinke in ihm, in
seinem Volleyballoberkörper; sein rauchgetränktes T-Shirt muss so schnell wie möglich
fort, nur noch ihn will ich.
Danach ist der Himmel nur noch auf einer Seite schwarz, Blau wandert langsam den
Horizont hinauf. Er muss bald wieder gehen,
die Campleitung darf ihn nicht finden, strikte Regeln. Tanzen, Party, Gemeinschaft: ja.
Aber zu zweit allein sein? Das geht nicht bei
denen. Bevor ich ihn verlassen muss, bitte ich
ihn, mit mir hinauszuschwimmen. Wir sind
ohnehin schon nackt und können eine Abkühlung brauchen. Er springt mit einem
Hecht hinein, ich folge ihm auf Zehenspitzen.
Seine Arme teilen das minzblaue Wasser, es
spült über seine Schulterblätter zu seinen
schmalen Hüften. Seine Haut ist so makellos.
Ich könnte sie stundenlang betrachten, betasten, lecken und liebkosen. Ich muss über
mich selbst lachen. Ich nehme an, nicht nur
Kerle stehen auf Haut.
Die Autorin
Kaum hatten wir Constanze Petery, 19, gebeten, in minz* die Geschichte einer perfekten
Nacht zu erzählen, lag
der Text schon in unserem Postfach. Wer mehr
von Constanze lesen
will, greift zu ihrem Buch „Eure Kraft und meine
Herrlichkeit“, 2011 im Heyne Verlag erschienen.
Darin zerbricht die Familie einer 15-Jährigen,
die sich fortan auf der Suche nach Rausch und
Exzess durch Clubs tanzt.
Text: Constanze Petery; Fotos: Kay Blaschke, Britta Verlinden/Mathias Weber
Smoke City
„Underwater Love“
minzmagazin.de/aufdieohren
Aber wie lernst du jemanden kennen?
Wie kommt ihr euch näher?
Und wie überlebt ihr die ersten Wochen?
Eine Anleitung in vier Schritten
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Kennenlernen
Näherkommen
Am See, auf Straßenfesten, beim Frisbee-Spielen
im Park – im Sommer gibt es viele Möglichkeiten,
jemanden kennenzulernen. Im Freundes- und
Bekanntenkreis sind die Themen klar („Warst
du nicht auch letzten Samstag auf Martins
Party?“) und die Wahrscheinlichkeit ist hoch,
dass er oder sie kein Vollidiot ist.
Neue Leute triffst du, wenn du allein unterwegs bist.
Fühlt sich anfangs komisch an, wird aber belohnt: Du
wirkst interessant und andere trauen sich eher, dich anzusprechen. Hol auf einer Party das Bier ohne deine
Freunde oder reih dich in die Kloschlange ein. Ins Café,
in den Park und zum Sport kannst du auch gut allein.
Und wenn du wissen willst, wann die U-Bahn fährt – frag
nicht die Oma, sondern das interessante Mädchen zwei
Meter weiter.
Fünf Orte, an denen du noch nicht geschaut hast:
◆ Fahrradselbsthilfeladen: Freaks können sich hier profilieren – alle anderen den Helfer zum Kaffee einladen.
◆ Tischtennisplatte: Ein Junge spielt mit seinen Freunden
Rundlauf? Frag, ob du mitspielen kannst – im Finale
geht’s um ein Eis.
◆ Wartezimmer: Frauenzeitschriften und quengelnde
Kinder, langweiliger geht’s nicht. Frag sie nach dem Buch,
in dem sie liest.
◆ Zug: Das Ehepaar in Nordic-Walking-Kluft zickt sich
an? Der Typ gegenüber muss genauso grinsen wie du?
Super. Vielleicht kennt er die Stadt, in die du fährst.
◆ Foto-Ausstellung: Frag sie, wie ihr das Bild von Nan
Goldin gefällt, vor dem sie stehen geblieben ist. Die meisten Museen habe schöne Cafés, in denen man das Gespräch fortsetzen kann.
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Wie aussehen beim Date?
Sich beim Outfit Mühe zu geben, ist gut –
sich zu verstellen schlecht. Auf High Heels,
eine Überdosis Aftershave und die ganz neuen weißen Sneakers solltest du verzichten.
Besser das Lieblings-T-Shirt anziehen,
von dem du weißt, dass es alle Situationen aushält: schwitzen, Achterbahn
fahren, eine Mauer hochklettern.
Was machen wir?
Die erste Verabredung ist immer die Suche nach dem
kleinsten gemeinsamen Nenner. Dem anderen ungefragt
Sushi aufzutischen, ist gewagt; die Wahrscheinlichkeit,
dass er Pasta mag, dagegen hoch.
„Zu zeigen,
dass man
unsicher ist,
wirkt immer charmant“
Juli Rautenberg, 28,
hat ein Buch über
Dating geschrieben
Die paar Probleme
Dein Begrüßungsküsschen landet auf der Nase, die Frau
an der Kinokasse fragt, ob ihr Kuschelsitze wollt, und
nach dem Essen hast du Angst, dass dir Schnittlauch zwischen den Zähnen hängt – kleine Peinlichkeiten lauern
bei den ersten Treffen überall. Gut, wenn man offensiv
mit ihnen umgehen kann: Grins dein Gegenüber einfach
an und frag, ob dir was am Mund klebt!
Abschied
An der Bushaltestelle trennen sich eure Wege, du willst
sie oder ihn wiedersehen – aber das direkt zu sagen, ist
gar nicht so leicht. Vielleicht redest du über einen Film,
der nächste Woche im Freiluftkino läuft, den See, an dem
du noch nie warst. Schon habt ihr einen Anknüpfungspunkt fürs zweite Treffen. Auch gut: dem anderen die
Jacke oder das Lieblingsbuch ausleihen.
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Produktion: Bastian Berbner, Silke Keul, Mounia Meiborg, Catalina Schröder
Zusammenkommen
Zusammenbleiben
Der Kuss
Passiert es jetzt, nach dem Spaziergang am
See? Ihr setzt euch noch auf eine Bank am
Ufer, die Sonne verschwindet langsam am
Horizont. Perfekter könnte er eigentlich
nicht sein, dieser Moment, in dem ihr
euch zum ersten Mal küsst.
Leider gibt es das nur im Kino, die Wirklichkeit ist komplizierter. Küssen ist wie
kommunizieren: Die einen stottern, die anderen nuscheln, wieder andere sind einfach zu
schnell. Nehmt’s locker, Knutschen kann man lernen.
Der Alltag
Freitagnachmittag, die Schule ist aus. Bei 30 Grad
will er mit seinen Freunden Fußball spielen, sie
würde sich viel lieber mit ihm am See sonnen. Es
gibt den ersten Krach. Dir wird klar, dass dein
Partner auch nur ein Mensch mit Ecken und Kanten ist.
Toll: So lernt ihr euch immer besser kennen.
Und dann?
Eigentlich hätte er sich schon längst melden müssen! Hast
du deinen Beziehungsstatus auf Facebook vielleicht doch
zu voreilig geändert? Greif zum Handy und ruf an. Redet
miteinander und sprecht aus, dass ihr zusammen seid.
Und wenn es doch nicht so gut läuft, seid ehrlich. Das hat
jeder verdient.
Die richtige Dosis
20 SMS in fünf Stunden: So viel Aufmerksamkeit schreckt
ab. Du kommst ins Grübeln, ob in der Beziehung
überhaupt noch Zeit für dich und deine Freunde bleibt.
Wer klammert, der nervt; wer sich zu selten meldet, wirkt
ignorant. Wenn du auf deinen Bauch hörst, findest du von
allein das richtige Maß.
Liebes-Tipps von unserer Expertin
Juli Rautenberg im Videointerview:
minzmagazin.de/liebe
„Wichtiger
als dieselben Hobbys ist eine
ähnliche
Einstellung
zur Welt“
Juli Rautenberg
Die Vertrautheit
Ihr seid ineinander verknallt, irgendwann wird mehr daraus: eine Vertrautheit, die du sonst mit keinem Menschen teilst. In Situationen wie diesen merkst du, dass
eure Beziehung ein neues Level erreicht hat:
◆ Beim ersten Mal war’s noch seltsam, inzwischen gehörst
du zur Familie. Wenn du bei deinem Freund zum Essen
eingeladen bist, plauderst du mittlerweile ganz offen –
selbst mit seiner Oma.
◆ Eigentlich könntest du eifersüchtig sein, aber du zuckst
nur noch mit den Schultern: Auf die Pinnwand deiner
Freundin können andere Jungs schreiben, was sie wollen.
Du vertraust ihr.
◆ Zuerst war die beste Freundin nicht so begeistert von
deiner neuen Liebe. Aber jetzt verstehen sich die beiden
blendend und gehen sogar mal ohne dich ins Kino.
◆ Im Badezimmer sieht dich dein Freund, wie du dich
sonst nur selbst siehst. Ihr putzt zusammen die Zähne, er
rasiert sich, während du duschst – eine Situation, bei der
dir jeder andere Zuschauer peinlich wäre.
◆ „Sag mal, wie heißt noch gleich die Hauptstadt von
Österreich?“ Vertraut sein heißt, auch mal blöde Fragen
stellen zu dürfen. Hinterher könnt ihr beide drüber lachen.
Text: Mounia Meiborg, Mathias Weber; Fotos: Eckhard Krumpholz
...und sie 25.
Ich war ein Kind und
sie eine Frau. Jan erinnert
sich an sein erstes Mal
Der Electro-Beat stampft, der Boden zittert und kühl. Wir tanzen eng umschlungen. Als
und sie steht einfach nur da. Um sie herum Jack Whites Gitarre ein letztes Mal wimmert,
zucken Körper im Stroboskop-Gewitter, treten wir an die Bar. Meine Hand liegt auf
doch sie wippt bloß mit dem Fuß und lässt ihrem Schenkel.
ihr Cocktailglas kreisen. Die ersten sieben
Die Lampen über der Theke verströmen
Sekunden entscheiden, sagt man – bei ihr rotes Dämmerlicht. Ich vergesse, dass ich eireicht ein einziger Blick.
gentlich schüchtern bin. Reden und lächeln,
Rote High-Heels, Lederjacke, lange fragen und antworten, mein Knie neben ihschwarze Haare: Hier steht kein Mädchen, rem, ihr Atem in meinem Gesicht. Es läuft
hier steht eine Frau. Ich bin 16, aber das ist wie von selbst. Ich mache mir keine Gedanegal. In dieser Nacht kann alles passieren.
ken, wie und wo alles enden soll.
Es endet zwei Straßen weiter und drei
Aus den Augenwinkeln sehe ich meinen
Bruder, in seinem Arm ein fremdes Mäd- Stockwerke höher, in einem fremden Bett in
chen. Es ist sein 20. Geburtstag. In der S- einem fremden Haus. Als ich die Wohnung
Bahn hatte ich Lampenfieber wie
betrete, hätte mir klar werden könein Schauspieler vor dem Aufnen, auf was ich mich einlasse.
tritt. Das Münchner NachtStatt Postern von Rockleben kannte ich nur aus
bands hängt moderne
Küssen
den Erzählungen meiner
Kunst an den Wänden.
kenne ich vom
Freunde. Mut konnte ich
Bei mir stehen SchulbüFlaschendrehen,
mir keinen antrinken,
cher in den Regalen, auf
Brüste nur
der Alkohol war alle.
ihrem Schreibtisch liegt
von meiner
ein Anatomieatlas. Ich
Als ich die Disco beSchwester
trete, bin ich enttäuscht.
bin Schüler, sie Medizinstudentin.
Die Musik ist lauter, die
Menschen älter und die Drinks
Eigentlich sollte ich nervös
teurer – aber alles andere kenne ich
sein, aber ich fühle mich gut. Der Alschon aus dem Jugendhaus. Zwei Bier und kohol? Egal. Wir stehen uns gegenüber, und
eine Runde Tequila später ist es mir egal, dass während wir uns das erste Mal küssen, singt
hier Leute tanzen, die meine Eltern sein Jane Birkin „Je t’aime“. Hatte sie es darauf
könnten. Dann sehe ich sie.
angelegt, in der Disco einen Jungen aufzureiDer DJ spielt „Seven Nation Army“, und ßen? Sie geht ins Bad, kommt zurück, in der
wir fangen gleichzeitig an zu tanzen. „I’m Hand hält sie ein Kondom. „Voulez-vous cougonna fight’em off / A seven nation army cher avec moi ce soir?“, fragt die Schallplatte:
couldn’t hold me back.” Sie hebt die Arme Willst du mit mir schlafen?
und kreist mit den Hüften. Ihre Haare fliegen
Ich sage ihr nicht, dass meine längste Bedurch die Luft, während sie ihren Kopf im ziehung zwei Wochen gedauert hat. Das war
Takt der Musik bewegt. Unsere Hände berüh- in der siebten Klasse. Küssen kenne ich vom
ren sich; meine schweißnass, ihre trocken Flaschendrehen, Brüste habe ich nur gesehen,
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wenn sich meine große Schwester umzog. Wir
reden nicht, es zählt nur der Moment.
Sie liegt neben mir, eine Selbstgedrehte
zwischen ihren Fingern. Das ist also die Zigarette danach, denke ich. Ich habe noch nie
geraucht. Wir sind beide nackt, ich fühle
mich auch so: entblößt und schutzlos. Die
schmalen Schultern eines Jungen neben dem
Körper einer Frau. Ich bekomme Angst, frage sie nach ihrem Alter, aber sie nuschelt nur
schläfrig und kuschelt sich unter die Bettdecke. Ich bleibe mit offenen Augen liegen und
warte, bis die Sonne aufgeht.
Am nächsten Morgen will ich es wissen:
Wie alt ist sie? Sie sagt nichts, hält mir ihren
Personalausweis hin: Jana, 25 Jahre. Medizinstudentin in ihrem Praktischen Jahr. Bevor
ich mein Abitur schreibe, wird sie als Ärztin
arbeiten. Sie steht in Jogginghose und T-Shirt
vor mir und ist immer noch schön. Aber der
Zauber der Nacht ist verflogen. Während sie
frühstückt, blicke ich stumm aus dem Fenster. Appetit habe ich nicht. Bevor ich gehe,
tauschen wir Telefonnummern.
Sieben Jahre sind seitdem vergangen. Drei
verschiedene Handys habe ich seitdem gehabt, jedes Mal habe ich ihre Nummer eingespeichert. Angerufen habe ich sie nie.
Im Leben trifft man viele Entscheidungen.
An diesem Abend entschied ich mich, indem
ich mich nicht entschied. Ich sagte weder
nein noch ja, ich ließ es einfach geschehen.
Mag sein, dass mir diese Nacht bewundernde
Blicke eingebracht hätte. Ich erzählte nur
meinen besten Freunden davon – mir war es
peinlich. Als ich das nächste Mal mit einer
Frau schlief, war ich 19. Das Mädchen war
einen Tag jünger als ich. Wir sind seit vier
Jahren ein Paar.
Protokoll: Simon Hurtz; Illustration: Sylvia Neuner
Wenn das Lebensglück
vom Sixpack abhängt:
Mike ist 14 und geht
vier Mal die Woche
pumpen. Er sehnt sich
nach Muskeln – koste
es, was es wolle
Mike ist gefangen. Die Hantelstange lastet
schwer auf seinem Brustkorb und sein Gesicht
verzerrt sich vor Anstrengung, als er mit letzter Kraft versucht, sich zu befreien. Er bläst
die Backen auf, presst, ächzt, resigniert.
Zwecklos. Mike hat sich überschätzt. „Das
Eisen hat gewonnen“, wird er später sagen.
Ein Trainer bemerkt ihn, grinst kurz und
zieht die Augenbrauen hoch. Dann kommt
er Mike zu Hilfe. Mit einem Arm lupft er die
35 Kilogramm und befördert sie lässig zurück
auf die Halterung. Er wirkt nicht einmal besonders muskulös – aber er ist erwachsen.
Ganz im Gegensatz zu Mike, der jetzt keuchend auf der Hantelbank liegt, rotes Gesicht, Schweißtropfen auf der Stirn, und
etwas verlegen dreinblickt. Mike ist 14 und
geht seit zwei Jahren „pumpen“, wie er es
nennt. Sein Ziel hat er klar vor Augen: „50
Zentimeter Bizepsumfang: Ich will ein
Schrank werden!“
Mit einem Paar Hanteln fing er zuhause
an. Das reichte ihm bald nicht mehr, Mike
meldete sich im Fitnessstudio an. Hier, in
einer Münchner Filiale einer großen Fitnessstudiokette, trainieren an diesem Montagabend drei Generationen. Senioren strampeln auf Liege-Ergometern und beobachten
Yoga-Frauen bei ihren Verrenkungen auf der
Gymnastikmatte. Die meisten Besucher sind
nur wenig älter als Mike: Zwei Freunde unterhalten sich über „Diäten, mit denen du so
richtig ripped wirst“, während der eine in der
Butterfly-Maschine stöhnt und der andere in
der Beinpresse schwitzt. Eine Gruppe Schüler
fachsimpelt über Trainingsstrategien – lautstark, um die Musik aus ihren Ohrstöpseln
zu übertönen. So kommt das ganze Studio in
den Genuss der „besten Übungen für ’ne
breite Brust“. Sie alle verbindet das gemeinsame Ziel: der perfekte Körper.
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Woher kommt diese Sehnsucht? Jeder
zweite Mann ist unzufrieden mit seinem Körper, sagt Günter Amesberger, Leiter des Instituts für Sportwissenschaft der Universität
Wien. Vor 25 Jahren waren es zehn Prozent.
Frauen bekommen seit langem die Bilder
unerreichbarer Schönheit vorgesetzt. Für
Männer ist dieser Anspruch neu. In der Werbung wimmelt es von durchtrainierten Männerkörpern, Fitnessmagazine wie Men’s
Health erklären den Waschbrettbauch zum
Statussymbol.
Mike heißt eigentlich Michael. Bis zu seinem 13. Geburtstag war er für seine Freunde
der Michi. Wer ihn heute so nennt, erntet
einen verächtlichen Blick. Michi ist jetzt
Mike, kein Kind mehr, sondern ein Mann. Er
hat geduscht und zieht sein schwarzes T-Shirt
über den Kopf. Orange Buchstaben verkünden: „Train hard or go home!“ Im Internet
kann man es in der Größe 6XL bestellen –
Mike trägt M. Das Hemd schlackert um seine
Schultern.
Mikes Mannwerdung beschränkt sich
bisher auf seinen Namen. Ihm fehlt Testosteron. Das Hormon lässt Spermien reifen,
Haare sprießen und Muskeln wachsen. Kinder haben einen sehr geringen Testosteron-
Kuschelst du
noch oder pumpst
du schon?
und radelt nach Hause, wo der Proteindrink
auf ihn wartet.
Das Eiweiß lagert er in seinem Zimmer:
Zwei große Dosen stehen im Regal, neben
„Lustigen Taschenbüchern“ und Überraschungsei-Figuren. Während Mickey Mouse
und die Happy Hippos fröhlich
grinsen, schaut der Mann auf
den Dosen ziemlich grimmig
drein. „Der krasseste Bodybuilder überhaupt: fünf Mal Mr.
Universum und sieben Mal Mr.
Olympia“, erklärt Mike. „Da
sieht man mal, was Österreicher
alles drauf haben“, sagt er, der
genau wie sein Idol Arnold
Schwarzenegger aus der Steiermark kommt.
Mikes Mutter könnte auf die
gemeinsame Herkunft gut verzichten. Ihr gefällt Schwarzenegger nicht und seine Muskeln
auch nicht. Vor allem gefällt ihr
nicht, wie sich ihr Sohn verändert hat. Sie nennt Mike noch
Michi. Als Einzige, und nur,
wenn keine Freunde zu Besuch
sind. Sie kann sich nicht erklären, warum er unbedingt aussehen will wie ein Schrank. „Michi
ist doch ein süßer Junge. Und
Mädels stehen eh nicht auf dicke
Muckis.“ Wissenschaftliche Studien geben ihr Recht: Der Körper ist gar nicht so wichtig. Im
Gegenteil, zu viele Muskeln
schrecken eher ab.
Harrison Pope lehrt Psychiatrie in Harvard und hat ein Buch
geschrieben: „Der AdonisKomplex – Schönheitswahn
und Körperkult bei Männern“.
Nach 15 Jahren Recherche sagt
er: „Männer wünschen sich im
Durchschnitt 13 Kilo mehr
Muskelmasse.“ Bereits elfjährige Jungen sind
mit ihrem Körper
unzufrieden, mehr als
die Hälfte möchte besser
aussehen. Dies zeige, so die
englische Psychologin Louise
Payne, „wie wichtig Schönheit für
die Selbstachtung und die Akzeptanz
von Teenagern ist“. Das liegt auch an unerreichbaren Idealen: In zwei Jahrzehnten hat
sich der Bizepsumfang der Action-Spielfiguren verdoppelt. Der Körperkult lastet schwer
auf den schmächtigen Schultern der Jugendlichen.
Fußball hat als Volkssport ausgedient:
Mehr als sieben Millionen Menschen stählen
ihren Körper in deutschen Fitnessstudios.
Auf
seinem
T-Shirt steht:
„Train hard
or go
home!“
spiegel. Vor der Pubertät
bleibt Krafttraining ohne
sichtbare Resultate. Mike sagt:
„Dann muss ich eben mehr trainieren. Vier Mal die Woche: Brust, Rücken
und zwei Mal die Beine. Minimum.“
Er weiß, dass er seine Gesundheit riskiert:
Bänder und Knochen können dauerhaften
Schaden nehmen. Sie sind noch nicht für die
Belastung mit schweren Gewichten gemacht.
Und Mike weiß auch: Wer groß und stark
werden möchte, braucht genug Eiweiß. Deshalb flucht er jetzt laut, denn er hat seinen
Shaker vergessen. Mike hastet aus dem Studio
Schönheitsstreben ist die neue Religion, Fitnesstrainer und Ernährungsberater sind ihre
Priester. „Bodybuilding zur Stärkung des jugendlichen Selbstwertgefühls“ heißt die Diplomarbeit von Joannis Plastargias. Er glaubt,
dass viele Jungen versuchen, ihre Unsicherheit hinter dicken Muskelpaketen zu verstecken. Der Psychotherapeut Werner Hübner
bestätigt: „Jugendliche suchen den Kick über
ihren eigenen Körper. Sie erleben dabei Entwicklungen, die sie ansonsten im Leben vermissen.“ Ihre Motive: den Mädchen gefallen
und der Clique imponieren.
Mike hat seine Zimmerwände mit Postern von berühmten Bodybuildern tapeziert.
Sie stammen aus der Flex, einem Bodybuilding-Magazin. Mike hat das Heft abonniert
und blättert durch die aktuelle Ausgabe. Das
Cover wirbt mit einem „Power-Workout für
die ultimative X-Form“, verspricht „mehr
Masse für die Arme“ und will Appetit machen auf „Muskel-Mahlzeiten: 6 Rezepte für
Wachstum“.
Mikes Mutter sorgt sich um ihren Sohn.
Alles dreht sich nur noch um Training und
Essen. „Mit mir spricht er nicht darüber. Er
sagt, dass ich es doch eh nicht verstehe.“ Sie
EAV
„An der Copacabana“
minzmagazin.de/aufdieohren
versteht tatsächlich nicht. Nicht, warum Mike
lieber ins Fitnessstudio geht als zum Fußballtraining, und auch nicht, warum sie kaum
noch zusammen essen. „Er will nur noch Reis
mit Pute, jeden Abend.“
Reis mit Pute ist das Standardessen der
Bodybuilder. Mike sagt: „Alles drin, was der
Mensch braucht: gute Kohlenhydrate und viel
Eiweiß.“ Jetzt sitzt er mit seiner Mutter am
Esstisch, vor sich 100 Gramm Reis und zwei
Putensteaks, exakt ein halbes Pfund. Die Küchenwaage sei ein Muss für echte Bodybuilder, sagt Mike. Besonders stolz ist er auf seinen George Foreman-Kontaktgrill: „Damit
kann man ohne Fett braten, geniale Erfindung. Aber Foreman war ja auch Schwergewichtsweltmeister im Boxen. Der hat’s einfach drauf.“
In der Mitte des Tischs lockt eine Schale
randvoll mit Schokoladenpudding. Den hat
seine Mutter extra für Mike gemacht. Sie
wollte ihm etwas Gutes tun: „Das ist sein
Lieblingsgericht. Früher hat er den kiloweise
verputzt.“ Mit viel Kakao und einem Schuss
Vanillesauce steht er da, „so wie es Michi
mag“. Als sie ihm davon anbietet, verzieht er
angewidert das Gesicht: „Zu viele schlechte
Fettsäuren, die ganze Sahne. Das macht
schwabbelig.“
Text und Foto: Simon Hurtz
„Auf Partys muss
man als Mädchen
immer die Initiative
ergreifen, das nervt.
Man will ja auch mal
mit jemandem knutschen, ohne gleich
zusammenzukommen.“
M IN Z*
52/53
minz* erfüllt den Traum vieler Jungs: einmal ein Gespräch
unter Mädels belauschen. Nina, Lisa (beide 15), Pauline, Anna,
Emilia (alle 16), Miriam (17) und Pia** (18) aus Berlin reden
über Frosch-Küsser, Computer-Nerds und das Penis-Spiel
Pauline: Wer will Tee?
Nina (beißt in einen Windbeutel und verzieht
das Gesicht): Uh, ich glaub, die sind nicht
mehr gut!
Pauline (lässt die Packung unterm Tisch verschwinden): Sorry.
Emilia: Wann siehst du David wieder?
Anna: Am Sonntag! Er war beim Friseur...
Ich bin mal gespannt.
Pauline: Das Gute bei euch ist: Deine Eltern
können nicht sauer sein, dass er schon 22 ist
– deine Mutter hat euch ja quasi verkuppelt.
Miriam: Echt?
Anna: Sie kennt seine Eltern, er studiert Medizin und sollte mir sagen, welche Fächer ich
in der Oberstufe nehmen soll. Erst hat Mama
ihn selbst angerufen, aber nix kapiert. Also
hat sie gesagt: Trefft euch doch einfach mal.
Emilia: ...und dann hattet ihr das Blind Date
an der Weltzeituhr!
Miriam: Ich will gerade keinen festen Freund,
ich brauch einen klaren Kopf für die Schule.
Emilia: Jungs in unserem Alter sind aber
auch echt unerträglich.
Anna: Sie müssen irgendwie immer ironisch
sein, das nervt.
Emilia: Die können einfach nicht klar reden.
Anna: Oder sie sind pervers...
Pauline: Steve hat zu Sandra mal gesagt: Das
muss so geil sein, wie du mit jemandem fickst
– immer wenn ich dich sehe, geht bei mir das
Kopfkino los...
Emilia: Und er nennt sich immer „Hengst“!
Anna: Dass Jungs perverse Gedanken haben,
ist klar. Aber ich will die nicht hören.
Emilia: Doof finde ich auch, wenn sich Jungs
über Mädels aufregen und dann selber nicht
besser sind.
Pauline: Als Lea und Hannah letztens voll
betrunken waren, haben sich alle Jungs drüber lustig gemacht. Und dann ist der eine mit
dem Fahrrad gegen einen Baum...
Emilia: ... der andere hat vier Mal gekotzt...
Pauline: ...und Andreas hat seine Unterhose
im Jackenärmel gefunden!
Emilia: Aber getoppt hat es eigentlich Max,
der in Bio auf den Tisch gekotzt hat.
** alle Namen geändert
Nina: Jungs müssen sich immer beweisen:
Wer ist der Sportlichste, der Beste, der Lauteste.
Pauline: Wie beim Penis-Spiel!
Pia: Was ist das denn?
Emilia: Oh Mann, das ist so peinlich.
Miriam: Kennst du das nicht? Alle sagen abwechselnd „Penis“ und werden dabei immer
lauter. Wer sich traut, am lautesten „Penis!“
zu rufen, gewinnt.
Pia: Ich glaube, das ist so ein Rudelding. Wie
mit dem Im-Sitzen-Pinkeln: Ein Junge würde
vor anderen nie zugeben, dass er im Sitzen
pinkelt. Aber bei der Familie der Freundin
machen’s alle.
Pauline: Unsere Jungs geben sich auch immer so Aufgaben...
Emilia: ...einer musste die Tafel ablecken!
Anna: Und sie können nicht verlieren. Wenn
Jan bei einem so lächerlichen Spiel wie
Brennball verliert, regt er sich hinterher auf,
der Lehrer hätte sich bei den Punkten verzählt.
Lily Allen
„Fuck You“
minzmagazin.de/aufdieohren
Pauline: Oder dieses neue iPhone-Spiel. Damit schießen sie sich im Unterricht gegenseitig ab. Wenn du getroffen wirst, läuft Blut
über dein Display!
Nina: Ich verstehe nicht, wieso Jungs so viel
zocken. Stundenlang. Da verblödet man
doch. Manchmal würde ich denen gerne sagen: Ey, mein Neffe – der ist vier – der ist
weiter als du.
Lisa: Mein bester Kumpel und ich hatten letztens zwei Freistunden, ich wollte mit zu ihm
und er sagte: Kannst gerne mitkommen, aber
ich spiel Computer. Da hab ich ihm gesagt:
Du spinnst doch!
Pia: Ist das der, der...?
Lisa (wird rot): Nee, das ist ein anderer.
Emilia: Wer denn?
Lisa: Ach, da gibt’s einen in meiner Klasse,
den ich mag. Alle sagen auch, dass wir gut
zusammenpassen würden, aber er ist eigentlich mein bester Kumpel. Na ja, vielleicht
wird’s ja in der Oberstufe was.
Pia: Kann sein! Als wir keine Klassen mehr
hatten, gab es auf einmal viel mehr Paare.
Miriam: Stimmt, ich bin in der Zeit auch mit
einem zusammengekommen.
Pia: Mich nervt, dass man als Mädchen immer die Initiative ergreifen muss. Habt ihr
auch das Gefühl, dass sich die Männer nie
trauen, den ersten Schritt zu machen?
„Es ist klar, dass
Jungs perverse
Gedanken haben
– aber ich will
die nicht hören“
Nina: Total. Bevor mein Freund und ich zusammengekommen sind, lagen wir vier Stunden im Park und haben geredet... Irgendwann
ist es dunkel geworden! Dann hab ich ihn halt
geküsst.
Lisa: Auch auf Partys – man will ja auch mal
mit jemandem knutschen, ohne gleich zusammenzukommen – es sind immer wir Mädels, die sich überwinden müssen.
Miriam: Ich hab auf Mallorca mal einen im
Meer geküsst. Wir waren beide nackt, es war
eine sternenklare Nacht – und arschkalt
(lacht). Wir haben es nur 30 Sekunden ausgehalten.
Pia: Urlaubsflirt?
Miriam: Ja, Dimitri.
Anna: Klingt aber nicht so spanisch.
Emilia: Eher griechisch.
Miriam: Er war Russe.
Pia: Und konnte er gut küssen?
Miriam: Der schon! Aber ich hatte echt mal
einen, der konnte’s überhaupt nicht! Der hat
geschlabbert wie ein Frosch, mein ganzes
Kinn war nass. Aber das kann man Jungs
schon beibringen. Wenn es sich lohnt... Für
einen Schwimmer zum Beispiel.
Nina: Oh ja, mit breitem Kreuz! Ansonsten
kann er ruhig knuddelig sein.
Miriam: Hauptsache, kein Dreitagebart! Da
ist man nach dem Küssen immer total wund
um den Mund. Dann lieber einen richtigen
Bart.
Lisa: Das gibt’s bei 15-Jährigen nicht so oft.
Nina: Die haben eher diesen Flaum auf der
Oberlippe.
Lisa: Den sie sich besser abrasieren sollten!
Anna: Was ich an Männern auch nicht mag,
sind Ohrringe. Tunnelohrringe machen mir
sogar Angst.
Emilia: Jedenfalls guckt man nicht nur auf
innere Werte... Wenn einer scheiße aussieht,
lernt man ihn gar nicht erst kennen, oder?
Pauline: Aber je mehr man jemanden mag,
desto hübscher findet man ihn.
Miriam: Gut finde ich Uniformen. Sexy.
Pia: Oder Anzüge!
Emilia: Ich mag Locken.
Pauline: Clara hat mal gesagt, sie mag den
Geruch von Jungs.
Miriam: Ja, wenn sie auf ihre Hygiene achten!
Da gab es mal einen... (schüttelt sich)
Anna: Erzähl!
Miriam: Sein bestes Stück hat dermaßen
nach Fisch gestunken! Ich hab ihn drei Mal
zum Waschen geschickt, und es war immer
noch eklig.
Alle: Igitt.
Miriam: Seitdem achte ich auf die Fingernägel. Wenn da schwarze Ränder drunter sind,
kannst du den Kerl vergessen.
UND DIE
JUNGS...
...kommen online zu Wort:
Tim: Mädels nehmen Sex viel ernster. Sie
wollen schneller eine Beziehung. Saleh: Ich
kenne genug, die anders drauf sind. Mit
einer hatte ich mal was in der Turnhalle...
Jan: Mädchen haben eine richtige Geheimsprache. Keiner kann sagen, er ist ein Frauenversteher – so was gibt’s nicht.
Manch ein Urlaubsflirt stellt
sich als Zocker heraus –
während im besten Kumpel ein
echter Hengst stecken könnte.
M IN Z*
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Chris: Ich hab mal ein Mädchen auf dem
Fahrrad geküsst. Fabian: Das geht?
minzmagazin.de/boytalk
Protokoll: Britta Verlinden; Produktion: Silke Keul; Fotos: Thomas Klinger
Du willst alles über Sex wissen?
Hier ein paar Dinge, an die du
garantiert noch nie gedacht hast
Hoden
im Wandel der Zeit
Bei etwa zwei von drei Männern hängt
der linke Hoden tiefer als der rechte. Bei
antiken Statuen hängt hingegen fast
immer der rechte tiefer als der linke.
17
Mies oder Munter
Antidepressiva steigern die Fortpflanzungsfähigkeit von Miesmuscheln. Beim Menschen verringern sie eher die Lust auf Sex.
2 34
vs.
km/h
vs.
cm/h
Für ein Küsschen benötigt man
nur zwei Muskeln. An einem
Zungenkuss sind hingegen alle
34 Gesichtsmuskeln beteiligt.
Beim Samenerguss fliegt das Ejakulat mit einer Geschwindigkeit von
etwa 17 Kilometern pro Stunde. Im
Körper der Frau schwimmen
Spermien mit gerade mal
17 Zentimetern pro Stunde
einhunderttausend Mal
langsamer.
Ithyphallophobie <>
Medomalakuphobie
Medomalakuphobie ist die Angst,
eine Erektion zu verlieren. Ithyphallophobiker haben Angst,
eine Erektion zu bekommen.
Luft,
Blut,
Wasser
Fusselst
du?
Leonardo da Vinci
entdeckte, dass sich
ein Penis während der
Erektion mit Blut füllt –
und nicht mit Luft,
wie man früher annahm.
Schwellkörperprothesen
werden mit Wasser
aufgepumpt.
Junger
Mann <>
Alter Mann
Nach dem Orgasmus kann ein junger Mann innerhalb von Minuten eine neue Erektion bekommen.
Ein 95-jähriger Mann muss sich dafür bis zu drei
Wochen erholen.
Männer haben mehr Fusseln
im Bauchnabel als Frauen.
Disney und die
Menstruation
Walt
1946 produzierte Walt Disney einen AufklärungsTrickfilm über die Menstruation. In Entenhausen
braucht Daisy nicht mal eine Unterhose.
Teste dein Wissen in unserem
9-mal klugen Sex-Quiz:
minzmagazin.de/sex-facts
Text: Nadine Poniewaß, Britta Verlinden; Illustration: Jochen Schievink
Tina Zwickl, 17, hat die Schule abgebrochen. Ab September wird
sie Ballett, Chorgesang und Harmonielehre pauken, um Musical-Darstellerin
zu werden. Hier erzählt sie, wie sie an ihrem Traum arbeitet
Die Rolle der Dinah in Starlight
Express: Einen so strahlenden
Auftritt auf einer Musicalbühne wünscht sich Tina.
Es war ein großer Brief. Das bedeutet ja oft
nichts Gutes, denn dann kommt die Bewerbung zurück. Ich war im Nachmittagsunterricht. Meine Mutter rief an und sagte, da ist
dieser große Umschlag von der Musical Academy gekommen. „Tina, mach dir mal keine
Hoffnungen“, habe ich mir gesagt. Daheim
habe ich den Brief geöffnet und zuerst gar
nicht kapiert, dass es eine Zusage war. Aber als
ich dann den Ausbildungsvertrag gesehen
habe, musste ich heulen. Ein richtiger Heulkrampf – aus Freude.
Ich weine eigentlich nie. In diesem Moment war ich aber einfach nur froh. Es ist
mein Traum, professionell zu tanzen und zu
singen. Und jetzt, durch die Aufnahme an
der Academy, habe ich die Chance, Musicaldarstellerin zu werden. Vielleicht stehe ich
bald in Hamburg oder in Berlin auf der Bühne, vielleicht singe ich im Udo LindenbergMusical „Hinterm Horizont“. Mir gefällt,
dass es dort um große Gefühle geht: eine
Liebe, die unerfüllt bleiben muss. In diesem
Musical die Lead-Stimme zu singen – das ist
mein Traum.
Ich habe viel Respekt vor der Zeit, die vor
mir liegt. Die Ausbildung wird ein ziemlich
harter Bruch in meinem Leben. Ich muss die
Schule hinter mir lassen, bald werde ich auch
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in die Stadt ziehen. Es
wird nicht leicht, die
Musical Academy erfordert viel Disziplin
– da muss ich mich
durchbeißen. Der Unterricht beginnt morgens um neun und geht
bis sechs Uhr abends.
Meine Eltern meinen, es
wäre gut, wenn ich ein wenig
mehr Disziplin lernen würde.
Pünktlichkeit ist im Moment
nicht so meine Stärke.
Es wird auch körperlich anstrengend. Wenn ich viel getanzt habe, habe
ich am nächsten Tag oft überall Muskelkater
und bin einfach tot. In der Ausbildung werde
ich noch mehr tanzen. Aber es macht mir
Spaß, mich auf der Bühne zu bewegen. Einmal musste ich wegen der Schule eine Pause
machen mit dem Tanzen. Da hat mir richtig
was gefehlt im Leben.
Die anderen in der Klasse werden älter
sein als ich. Trotzdem will ich zeigen, was ich
kann, und mich nicht unterbuttern lassen.
Viele meiner Mitschüler haben schon eine
Gesangsausbildung; ich konnte keine Stunden nehmen, weil es bei uns auf dem Land
keine Lehrer gibt. Deswegen singe ich im
Schulchor oder einfach für mich selbst – ich
habe immer einen Ohrwurm. Nur beim Essen darf ich nicht mehr singen, das habe ich
mit meiner Mutter ausgemacht.
In 20 Jahren will ich immer noch beim
Musical arbeiten. Klar, irgendwann will ich
auch Kinder haben, aber Karriere und Familie, das wird schwierig. Erst mal steht das
Musical im Vordergrund.
Protokoll: Mathias Weber; Foto: Jens Hauer
Ich konnte es kaum glauben, als die Bundestrainerin mich in der 76. Minute doch
noch auf den Platz schickte. Der AlgarveCup ist eins der wichtigsten Frauenfußballturniere der Welt und ich konnte nun mitmischen. Wir gewannen 2:0 gegen Finnland.
Das war ein unbeschreiblich tolles Gefühl
– der Jubel, der Erfolg. Ich hatte richtig Gänsehaut. Wenn es weiter so läuft, dachte ich,
werde ich auch bei der Heim-WM spielen.
Das war 2009.
Dann verletzte ich mich. Erst am Knie,
dann gab’s Probleme mit dem Zeh. Immer
wenn ich gerade wieder fit wurde, tat etwas
anderes weh. Im Januar 2010 diagnostizierten
die Ärzte Transiente Osteoporose, eine Knochenkrankheit, deren Ursprung noch unbekannt ist. Man vermutete auch eine Durchblutungsstörung. Was es wirklich ist, weiß
keiner. Fest steht: Die Krankheit kann nicht
mal eben wegoperiert werden. Seit Dezember
2009 habe ich kein Spiel mehr gemacht. Das
ist schrecklich lange her.
Früher war schon ein Tag ohne Fußball
zu viel. Als ich fünf war, habe ich meine Brüder das erste Mal ins Training begleitet.
Ich kickte ein bisschen in der Ecke, als
der Trainer auf mich zukam und
mich fragte, ob ich mitmachen
möchte. Die Jungs haben
mich sofort akzeptiert. Mir
war es wichtig, mit ihnen
zu spielen. Da bekam ich
die Härte, die man im
Fußball braucht. Mit
13 bin ich in die Frauenabteilung gewechselt. Ab 2004 habe ich
in der U-15-Nationalmannschaft gespielt. Ich wollte werden wie Messi.
Dafür habe ich viel
Zeit investiert. Ich
musste oft weite Strecken zu Spielen oder zum
Training fahren und war bis Mitternacht unterwegs. Meine Freunde hatte ich hauptsächlich im Verein. Als ich vor fünf Jahren nach
München gezogen bin, musste ich manche
zurücklassen.
In der Saison 2009/10 wurde ich mit meiner Mannschaft Vizemeisterin in der Bundesliga und spielte in der Champions-League.
Dann kamen die Verletzungen. Erst im August 2010 sah es so aus, als ob ich wieder
einsteigen könnte. Ein Testspiel lief prima.
Doch dann zog bei einer schnellen Richtungsänderung plötzlich ein Schmerz durch
mein Knie. Wieder Pause.
Immer wenn ich Spiele meiner Mannschaft von der Tribüne aus gesehen habe, hat
es mir das Herz zerrissen. Ich zitterte, wollte
mit aufs Feld. Das Gefühl, hilflos zusehen zu
müssen, war unerträglich.
Ich brauchte Abstand. Ich pendelte zwischen Reha und Aufbautraining, arbeitete
mehr in meinem Job als Junior-Einkäuferin
für Energie und versuchte irgendwie, die
Freizeit zu füllen. Zu der Zeit wusste ich: Es
wird knapp mit der WM.
Die Vornominierungen waren im März.
Ich war nicht dabei. Ich hatte so gehofft, vor
meiner Familie und meinen Freunden im
Nationaltrikot auf den Platz zu laufen. Ich
wollte bejubelt werden, wie beim AlgarveCup. Ich hätte den Adler mit Stolz auf der
Brust getragen.
Jetzt läuft die Weltmeisterschaft ohne
mich. Der Schmerz sitzt tief. Ich werde mir
keines der Spiele im Stadion ansehen.
Wie die Weltmeisterinnen von 2007
wollte Katharina feiern. Doch statt
auf dem Platz zu stehen, wird sie diesen
Sommer vor dem Fernseher sitzen.
Katharina Baunach, 22, spielt beim FC Bayern München.
Für ihr Ziel, bei der WM in Deutschland dabei zu sein, hat sie jahrelang
gekämpft. Hier erzählt sie, wie ihr Traum platzte
Protokoll: Silke Keul; Foto: OSports/Witters
Ramin Azadian, 40, unterrichtet
Englisch und Spanisch in Berlin.
Er wurde bei spickmich.de
mit der Note 1,4 bewertet.
Damit ist er der beliebteste
Lehrer Berlins. Für seine Fairness bekam er eine 1,0.
Über eine 1,0 in der Kategorie
„cool und witzig“ hätte er sich
auch gefreut.
M IN Z*
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Auch die besten Lehrer sind nur Menschen. Sie sind
manchmal ungerecht und haben eine Sauklaue.
So wie Ramin Azadian, der zum beliebtesten Lehrer
Berlins gewählt wurde
Mündliche Noten sind noch ungerechter.
Wer schüchtern ist, wird schlecht bewertet... Wer so schüchtern ist, sollte keinen
Herr Azadian, Sie korrigieren da gerade
eine Spanisch-Klausur. Wer soll denn bitte
diese Schrift lesen können? Meine oder die
zum 500. Mal einen Akzent vergessen. Da
korrigiert man sich dumm und dämlich.
des Schülers?
Kann man als Lehrer objektiv und gerecht
bewerten, wenn auf jeder Klausur der
Name des Schülers
steht? Ob ich den Schü-
Ehrlich gesagt: beide! Aber vor allem Ihre
eigene Schrift. Ich schreibe bei der Korrek-
tur so, wie ich sonst auch schreibe. Dafür
schimpfe ich auch nicht über die Schrift der
Schüler. Würde ich in Sonntags-AusgehSchrift schreiben, bräuchte ich zwei Stunden
für jede Klausur.
Und wie lange brauchen Sie mit der Sauklaue? Zwischen 40 Minuten und anderthalb
Stunden. Ich schaffe höchstens drei Klausu-
Rebecca Black
„Friday““
minzmagazin.de/aufdieohren
ren am Tag – danach bin ich ganz schön
angedatscht, weil die Korrektur viel Konzentration erfordert. Nur bei den Mittelstufenklausuren kann ich nebenher Musik hören.
Werden Sie beim Korrigieren auch mal aggressiv? Einer meiner Schüler hat nun schon
ler mag oder nicht, wirkt
sich nicht auf die Note
aus. Ich würde mich sehr
schämen, wenn ich einem Schüler eine reinwürgen wollte, weil er
nicht nett zu mir ist.
Sprach-Leistungskurs wählen – da geht es
ums Sprechen. Es gibt Schüler, die sagen ganz
selten etwas. Aber wenn sie etwas sagen,
dann ist das so klug und differenziert, dass
ich denke: Macht alle eure Hefte auf und
schreibt das rein. Solche Leute bekommen
gute mündliche Noten, obwohl sie meistens
still sind.
Lohnt es sich, über Noten zu diskutieren? Auf
Ich adde
bei Facebook
nur Schüler,
die ich mag
Aber Sie geben zu, dass
es Schüler gibt, die man
besonders mag – und
andere weniger! Natürlich. So wie Schüler
jeden Fall! Wir gehen
dann gemeinsam die
strittigen Punkte der
Klausur durch. Der
Schüler muss seinen
Standpunkt vertreten
können. Aber in den
zehn Jahren, die ich Lehrer bin, haben das leider
nur zwei versucht.
nur Menschen sind, sind auch Lehrer nur
Menschen. Zu manchen hat man eben einen
besseren Draht. Ich hatte auch schon Klassen,
mit denen kam ich super aus – aber ihre Leistungen waren nur mittelmäßig.
Müssen Noten überhaupt sein? Es geht
Gibt es gerechte Noten überhaupt? Im
Wie bitte? Das ist ein Punkt, den ich neben
Zweifel entscheide ich mich für den Schüler.
Niemand kann genau sagen, wann eine Arbeit eine Drei minus oder eine Vier plus
verdient.
die Aufgabe male, wenn jemand in einer
Spalte keinen Fehler gemacht hat. Darunter
schreibe ich „Goldilock-Punkt“. So wie „goldene Locken.“ Es kann also sein, dass ein
nicht darum, dem Schüler zu sagen: „Du hast
versagt.“ Noten sollen ein Erfolgserlebnis
sein. Außerdem habe ich noch die GoldilockPunkte eingeführt.
Schüler nur eine Drei hat – aber einen Goldilock-Punkt. Das verkünde ich beim Austeilen und alle klatschen.
Klingt lustig – und etwas kindisch... Aber
es funktioniert. Bei einer ganzen Tabelle ohne
Fehler male ich „Monster-Goldilock-Punkte“.
Es gibt auch „Galakto-Monster-GoldilockPunkte“!
Ein Oberstufenschüler fährt doch nicht im
Ernst auf Ihre Goldilock-Punkte ab. Den
Schülern im Leistungskurs male ich kleine
Monster auf die Klausuren. Sie sammeln die
sogar! Wenn die Note besser ist als eine Zwei,
gibt es ein Monster.
gaben müssen gemacht werden. Aber wenn
mir jemand nachweist, dass eine Aufgabe
sinnlos ist, muss er sie nicht machen. Manche
Lehrer wissen gar nicht, warum sie eine
Hausaufgabe aufgeben oder sie kontrollieren
sie nicht.
ich streng. Ich erkläre die Regeln: Hausauf-
wollten bisher etwa 15 Schüler adden.
Ich lehne die Anfrage ab – und gehe dann
Was ist Ihnen sonst noch wichtig? Alle
müssen pünktlich sein, denn ich bin es auch.
Dafür dürfen alle rechtzeitig in die Pause.
Was geht gar nicht? Es regt mich auf, wenn
einer mit dem Kopf auf dem Tisch liegt. Ich
lege dann meinen Kopf so hin wie er und
fordere ihn auf, etwas zu mir zu sagen. Da
merkt er, dass das komisch ist. Wenn jemand
etwas zu mir sagt, stehe oder sitze ich gerade.
Das verlange ich auch von den Schülern.
Trotzdem sind Sie beliebt bei Ihren Klassen. Will man als Lehrer beliebt sein? Ja,
Das klingt alles nett und verspielt. Wann
sind Sie denn mal streng? Am Anfang bin
Schon eine Facebook-Freundschaftsanfrage von einem Schüler bekommen? Mich
natürlich möchte ich beliebt sein. Ich kann
über Sprüche von Schülern lachen und mache
auch mal Witze über Schüler. Das kann schief
gehen, dann entschuldige ich mich. Bei allem
Spaß muss immer klar sein: Ich bin der Lehrer
– und nicht der beste Freund oder Kumpel.
zu demjenigen und erkläre es ihm: Wir
können gerne Facebook-Freunde werden,
aber erst, wenn du dein Abitur gemacht hast.
Das hat nichts damit zu tun, ob ich dich
mag oder nicht. Aber da stehen private Informationen über mich und Fotos von meiner
Familie.
Nach dem Abi adden Sie die Schüler dann?
Ja, aber nicht alle! Ich kann dann selbst entscheiden, ob ich denjenigen mag oder nicht,
ob er nett und freundlich war und mich gegrüßt hat. Es sind ja dann nicht mehr meine
Schüler.
Interview und Foto: Steffen Jan Seibel
Morgens Physik,
abends Freak
Wir kennen sie mit kreideverschmierten Händen
und Ledertaschen voller Kopien. Wir denken:
Lehrer können gar kein aufregendes Leben führen.
Manche aber verwandeln sich nach Schulschluss,
zum Beispiel in eine Art Ozzy Osbourne.
Der 60-jährige Franz Mang heißt nach dem
letzten Gong „Robespierre“ und ist Leader einer
Eisbär, barocken Kostümen und Fackeln fliegen
seine Hände über die Gitarrensaiten. Tagsüber
unterrichtet Mang Physik, Chemie und Bio an
einer Münchner Schule.
Wie Franz Mang zu seinem
Künstlernamen kam?
minzmagazin.de/lehrer
M IN Z*
60/61
Text: Silke Keul; Foto: Thomas Klinger
vierköpfigen Rockband. Bei der Bühnenshow mit
Laura und Moritz glauben –
nicht an Horoskope oder
das Schicksal, sondern an
Gott. Ihre Eltern mussten sich
daran erst gewöhnen
Laura Wölffing liebt Bücher über Vampire.
Von den „Vampire Diaries“ hat sie alle sechs
Bände gelesen. Darin entpuppen sich hübsche Jungs an amerikanischen High Schools
als Blutsauger. Aber Laura glaubt nicht an
Vampire, sie glaubt an Gott: Sie liest die Bibel
und betet. Jesus ist ihr Vorbild.
Von ihren Eltern hat sie das nicht. Ihre
Mutter geht selten in die Kirche, ihr Vater nie.
„Ich bin Atheist“, sagt er. Er macht schon mal
einen spöttischen Spruch, wenn Laura in die
Kirche geht. Dieser Gegenwind nervt sie. Sie
wünscht sich, dass ihre Eltern verstehen, wie
wichtig ihr Gott ist.
Oft hat Laura versucht, ihren Freunden
von ihrem Glauben zu erzählen. Es kam nie
was zurück. Jetzt redet sie lieber über Vampire, Musik und Ropeskipping. Eigentlich
will sie sich gern taufen lassen – als klares
Zeichen vor der Gemeinde. Noch zögert sie.
„Wenn ich in den Gottesdienst gehe, sage ich
manchmal: Ich gehe in die Stadt.“ Solange sie
vor ihren Freunden nicht zur Wahrheit steht,
fühlt sie sich nicht bereit für die Taufe.
Auch Moritz Kriegel, 14, aus Nürnberg,
hat erst vor einem Jahr die Religion für sich
entdeckt. Sein Vater war aus der Kirche ausgetreten, seine Mutter zweifelte mehr, als dass
sie glaubte. Sie schickten Moritz in einen freien Kindergarten. Aus Neugier meldete er sich
zur Konfirmation an, wie viele seiner Freunde. Am Anfang ging er nicht gerne hin, oft
schwänzte er.
Auf einer Freizeit der Konfirmandengruppe änderte sich das. „Im Gottesdienst
war ein Spiegel, auf den wir schreiben sollten,
was uns belastet, was wir falsch gemacht haben und was wir uns wünschen, was Gott für
uns tut.“ Moritz schrieb, dass er sich allein
fühlte, seit er aus dem Dorf in die Stadt gezogen war. Er hatte Probleme in der Schule, fing
an zu rauchen. Als sie beteten, fühlte er sich
leichter. „Da ist mir ein riesiger Knoten im
Bauch geplatzt.“ Es schien ihm, als ob
plötzlich ein Freund auf seinen
Schultern säße.
Viele Menschen werden religiös, wenn sie
so intensive Erlebnisse haben wie Moritz,
sagt der Jugendforscher Klaus Hurrelmann. „Es geht darum, den Dingen auf
den Grund zu gehen
und direkte, ehrliche Erfahrungen zu machen.“
Auch existenzielle Sinnfragen
sind wichtig. Jugendliche wollen Grenzen
durchbrechen. Viele suchen das im Sport, auf
Festivals oder bei politischen Veranstaltungen, manche auch in Drogen und Gewalt.
Laura kam über ihren Onkel in die christliche Pfadfindergruppe, da war sie zehn. In
einem Zeltlager haben Mitarbeiter für sie gebetet. Sie merkte nichts. Trotzdem war es für
sie ein Start. „In den Monaten danach habe
ich mich verändert, zum Beispiel habe ich
versucht, Notlügen zu vermeiden.“ Fünf Jahre später sagt sie: „Gott ist immer bei mir, das
ist das Wichtigste für mich.“
Moritz schloss sich einer Jugendkirche in
Nürnberg an, er singt dort im Gospelchor
und spielt Theater. Inzwischen hat er seine
besten Freunde in der Gemeinde, fast jeden
Nachmittag ist er dort.
Moritz und Laura haben in der Kirche
etwas gefunden, was sie zuhause nicht bekommen haben. Roland Werner, Generalsekretär des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM), sagt, Gemeinde könne eine
„Ersatzfamilie“ sein. Es sei normal,
dass Erwachsene zeitweise zu
Ersatzeltern werden, weil
sie etwas vermitteln, was
die Eltern nicht geben
können oder wollen.
Für Laura ist die
christliche Pfadfindergruppe ein Ort,
an dem sie sich fallen
lassen kann. Mit ihren
Eltern kann sie nicht
über ihren Glauben sprechen. Ihr Vater sagt: „Meine
Tochter würde schon sagen,
wenn sie darüber reden will.“ Von sich aus
spricht er nicht mit ihr darüber.
Moritz’ älterer Bruder ist überzeugter
Atheist. An Weihnachten sagte er, dass es
Gott nicht gibt. Moritz sieht das gelassen.
„Das ist eben sein Glaube – kein Mensch
glaubt nichts.“ Mit seinen Eltern redet er immer wieder über Gott. Seinen Vater fragte er
irgendwann, warum er nicht mehr in der Kir
che sei. Kurz danach trat er wieder ein.
Es
schien ihm,
als säße
ein Freund
auf seiner
Schulter
Text und Foto: Simon Laufer
Paul Zurawski, 16, wurde jahrelang von
einem Mitschüler fertiggemacht – und
schlug immer härter zurück. Die Grenzen
zwischen Opfer und Täter verwischten
Fünf Jahre hat Paul gebraucht, bis das Leben wieder in Ordnung war; am Ende hatte
er vielleicht einfach Glück.
Fünfte und sechste Klasse
Als er ihnen das erste Mal auffiel, las Paul ein
Buch. Es war in der kleinen Pause, ein paar
Wochen nach der Einschulung auf dem
Gymnasium in Hamburg. Paul hatte sich
noch nicht eingefunden in der Klasse, in den
Pausen blieb er an seinem Platz sitzen. Hannes, Alexander und Björn** stellten sich neben ihn und fragten, was er da liest. „Karl
May“, sagte Paul. Die Jungen lachten.
Am nächsten Tag nahm Hannes ihm seinen Stift weg. „Lass das“, sagte Paul. Hannes
warf den Stift Björn zu und der warf ihn Alexander zu. Paul lief zwischen ihnen hin und
her, bis er den Stift gefangen hatte. Er sagte
ihnen, dass sie das nicht noch mal machen
sollen. „Paul, Maul, Gaul“, sagte Hannes. Von
da an litt Paul unter Hannes.
Als die ersten Klassenarbeiten geschrieben wurden, bekam Paul nur Einsen. Er las
einen Aufsatz von sich vor. Hannes lachte ihn
aus und nannte ihn Streber. Paul wurde heiß,
sein Kopf wurde rot, und Tränen liefen ihm
über das Gesicht. Ab jetzt nannte ihn Hannes
immer Streber.
„Das waren Wuttränen“, sagt Paul heute.
Er findet das Verhalten von Hannes kindisch
und sagt, dass man da drüber stehen muss.
Paul ist streng mit sich geworden. Schuld
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sucht er grundsätzlich zuerst bei sich
selbst.
Damals fragte sich Paul, warum es
Hannes gerade auf ihn abgesehen hatte. Er beschimpfte ihn als Arschloch
und Wichser. In der Klasse hatte Paul
ein paar Freunde gefunden. Aber er
hasste es, von ihnen getröstet zu werden.
Wann er das erste Mal zuschlug,
weiß Paul nicht. Irgendwann ging er
auf Hannes los, schubste ihn, der schubste zurück, sie prügelten sich. Ein Klassenkamerad zog sie auseinander. Paul
ärgerte sich, dass er ausgerastet war. Von
nun an litt er auch unter sich selbst.
Paul flippte immer schneller aus. Es
reichte schon, dass Hannes grinste,
wenn Paul im Unterricht etwas sagte.
Paul beschimpfte ihn und der Lehrer
sagte: „Hör auf, Paul.“
Paul ging auch immer öfter auf
Hannes los. Manchmal musste Hannes nur „Streber“ sagen, und Paul
schlug zu. Er schlug in den Bauch,
damit es besonders weh tat.
Heute glaubt Paul, dass
Hannes ihn vor allem deshalb
gequält hat, weil er sich so
leicht provozieren ließ. Er
glaubt, dass Hannes ihn sonst
eher in Ruhe gelassen hätte.
Paul findet Hannes dumm,
** Namen geändert
Hot Chip
„Boy from School“
minzmagazin.de/aufdieohren
aber er sagt, es gibt immer dumme
Menschen, die einen fertigmachen.
Irgendwann verwischten die Grenzen zwischen Täter und Opfer. Oft war
nicht zu erkennen, wer angefangen
hatte. Der Lehrer sah, dass Paul zuschlug, und stellte ihn zur Rede. Mitschüler, die lange versucht hatten zu
schlichten, gaben jetzt Paul die Schuld.
Von da an litt Paul am meisten unter
sich selbst. Er hatte Angst vor den Tagen,
an denen es Hannes auf ihn abgesehen
hatte. Und er hatte noch mehr Angst davor, die Kontrolle zu verlieren. Seine Eltern
gaben ihm den Tipp: „Ignorier’ Hannes.“
Siebte und achte Klasse
Paul war dick geworden. Im Sport konnte er
nach zweieinhalb Runden nicht mehr weiterlaufen. Statt Streber nannte Hannes ihn jetzt
Fetti und Dickmops. Paul war auch ein bisschen
ruhiger geworden und schluckte die Worte herunter. Eine Weile ging das gut.
An einem Tag nach den Herbstferien ging es
nicht mehr gut. Morgens hatten sich Paul und
Hannes angerempelt, und Hannes hatte wieder „Fetti“ gesagt. In der großen Pause wollte Paul ein Hörspiel für den Fremdsprachenwettbewerb aufnehmen. Als Hannes die
Aufnahme störte, ging Paul auf ihn los und
sie prügelten sich wieder.
Paul sagt: „Es ist so ein Wutgefühl, dass
man nur noch kaputt machen will, vom Gedanken her töten will.“ Er sagt auch: „Von
meinem Selbstverständnis her darf das eigentlich nicht passieren.“
Von dem Video erfuhr er erst Wochen
später. Ein Mitschüler hatte die Prügelei mit
dem Handy gefilmt und auf YouTube veröffentlicht. Paul befürchtete, das Video könnte
als neues Material dienen, ihn zu verspotten.
Er sah es sich nicht an. Er stellte sich vor die
Klasse und bat darum, es zu entfernen.
Nach weiteren Wochen sprach ihn ein
Mitschüler erneut auf das Video an. Es war
immer noch da. Paul stellte sich vor, wer es
alles gesehen haben könnte. Dann sah er es
sich selbst an, ein einziges Mal. Seine Eltern
wollten, dass er es ihnen zeigt. Aber das tat er
nicht. Erst als der Lehrer der Klasse Druck
machte, verschwand das Video.
Paul glaubt, der Mitschüler, der es
hochgeladen hatte, wollte mit Hannes befreundet sein. Es gab ein Gespräch mit Paul,
Hannes und der Beratungslehrerin. Danach
ließ Hannes Paul eine Zeit lang in Ruhe, aber
dann fing er wieder an, ihn Streber zu nennen und ihm seine Sachen wegzunehmen.
Und Paul hörte nicht auf, sich zu grämen
und auszurasten.
Neunte Klasse
Paul erfuhr, dass Hannes im nächsten Jahr ins
Ausland gehen würde. Er sagte sich, noch ein
Jahr, dann bist du ihn los, das überlebst du;
noch ein halbes Jahr, dann bist du ihn für
immer los. Dann war Hannes weg.
Heute findet Paul, dass es wichtigere Dinge gibt, als sich provozieren zu lassen. Er hat
jetzt eine Freundin. Von seiner Klasse hat er
sich abgesondert. Paul ist streng mit sich
selbst, aber es geht ihm ganz gut. Ob das auch
so wäre, wenn Hannes noch da wäre, fragt er
sich nicht. Vielleicht kommt es darauf auch
gar nicht an.
Text: Ulla Reinhard; Illustration: Bernd Schifferdecker
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Foto: froodmat / photocase.com
Esoterisch bis gefährlich,
akrobatisch bis dramatisch:
fünf Hobbys für Leute,
die das mit dem Abseits
noch nie verstanden haben
Die besten Videos von fliegenden
Menschen und wackelnden Seilen:
minzmagazin.de/hobbys
PARKOUR
Was macht man da?
Was braucht man dazu?
Super Mario spielen. Nur nicht mit den Daumen, sondern mit den Beinen. Ein Jump’n’Run
fürs echte Leben.
Zwei Sprungfedern und sieben Leben. Im
Ernst: Das Geniale an Parkour ist, dass du
auf teure Ausrüstung verzichten kannst.
Dein eigener Körper reicht völlig. Noch
wichtiger als Arme und Beine ist allerdings
dein Kopf. Du solltest deine eigenen Grenzen kennen und genau wissen, was du dir
zutraust.
Was macht man da wirklich?
Klingt simpel: die kürzeste Route von A nach
B finden. Doch hinter Parkour steckt eine
ganze Philosophie, bei der spektakuläre
Action nicht im Mittelpunkt steht. Traceure,
so nennen sich die Sportler, wollen ihre Umgebung kreativ nutzen und andere Wege einschlagen, als die Architektur ihnen vorgibt.
Wo macht man das?
Wenn du ins Fernsehen willst: auf den Hochhausdächern über New York. Gute Orte fin-
dest du aber überall. Traceure sehen in jedem
Hindernis eine Herausforderung. Schau dir
unsere Parkour-Videos an und lass dich inspirieren.
Was machen die Profis?
Dort Wege erkennen, wo andere nur Mauern
sehen. Sie laufen Wände hoch, springen von
Dach zu Dach und ziehen sich an zwei Fingern über Brüstungen. Echte Traceure sind
Hochleistungssportler und haben jahrelang
trainiert. Was spielerisch aussieht, geht beim
Selbstversuch meist schief.
Was macht man da?
Was braucht man dazu?
Was machen die Profis?
Blöde Frage, blöde Antwort: Auf einem Rad
durch die Gegend fahren.
Ein Rad mit einem Rad. Und Geduld: Einräder haben die Angewohnheit, relativ schnell
umzukippen. Online geben wir dir Tipps, mit
welchen Einrädern du fährst statt fällst.
Verrückte Sachen – zum Beispiel schneller
fahren, als die meisten laufen können. Der
Weltrekord über 100 Meter liegt bei 12,54
Sekunden, ein Marathon wird in weniger als
anderthalb Stunden runtergestrampelt. Auf
Einrädern kann man auch Walzer tanzen,
Hockey spielen, Downhill fahren oder in
Halfpipes den Skateboardern die Schau
stehlen.
Was macht man da wirklich?
Wenn dein Fahrrad einen Platten hat, zuckst
du bloß mit den Schultern und fährst einfach weiter. Das spart nicht nur Zeit und
Geld, sondern macht auch jede Menge Eindruck.
Wo macht man das?
Am besten in der Nähe einer Wand anfangen.
Danach kannst du überall einradfahren, wo
du auch zweiradfährst.
JONGLIE
REN
Was macht man da?
Wo macht man das?
Dinge in die Luft schmeißen und wieder auffangen. Je mehr, desto besser.
Ziemlich cool aussehen und deinen Freunden imponieren. Und laut fluchen, wenn was
auf den Boden fällt.
Am besten im Wohnzimmer deiner Eltern,
zwischen Flachbildfernseher und Glasvitrine. Wenn die was dagegen haben, gehst du einfach raus. Parks,
Schulhöfe, Sportplätze, im Sommer tummeln sich überall jonglierende Menschen.
Was braucht man dazu?
Was machen die Profis?
Dinge, die fliegen können. Meist fängst du
mit drei Bällen an, vier sind gut, fünf sind
toll. Mehr sind verrückt. Danach kommen
Ringe, Keulen, Messer und Fackeln. Und
dann der Krankenwagen.
Messer und Fackeln benutzen, ohne dass der
Krankenwagen kommt. Und ziemlich viele
Dinge in die Luft werfen. Das ist zwar nicht
so schwierig, aber sie fangen die Dinge auch
wieder auf. Und sehen dabei cool aus.
Was macht man da wirklich?
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Fotos von links: www.ajata.de, pylonautin/photocase.com, Wari Castellsague, emanoo / photocase.com
REN
H
A
F
D
EINRA
Was macht man da?
Was braucht man dazu?
Wo macht man das?
Drei in einem: Yoga, Akrobatik, Massage.
Zeit. AcroYoga beginnt mit einer Gruppenzeremonie, es folgen Yoga-Übungen und
Akrobatikfiguren. Am Schluss kommt das
Beste, die Thai-Massage: Mit Handballen,
Daumen, Knien, Ellenbogen und Füßen
sorgt ihr für gegenseitige Entspannung.
An einem einsamen Strand oder auf dem
Gipfel eines Berges, während die Sonne rotgolden am Horizont versinkt. Zu kitschig?
Dann schnapp dir einen Freund und eine
Gymnastikmatte, geh raus auf eine Wiese
oder schau dich nach AcroYoga-Workshops
in deiner Nähe um.
Was macht man da wirklich?
Die harmonische Vereinigung mit sich selbst,
anderen und dem Übersinnlichen. Meditation mit Action: „Om!“
ACR
OYO
GA
SLACKLINEN
Was macht man da?
Heil auf der anderen Seite ankommen. Die
Slackline wird lose zwischen zwei Befestigungspunkten gespannt. Am Anfang schmeißt
dich das Wackelseil schneller ab als ein wildgewordener Stier beim Rodeo.
Was macht man da wirklich?
Endlich einen cooleren Namen für Seiltanzen
finden.
Was braucht man dazu?
Entweder 60 Euro für ein Komplettset. Oder
ein Schlauchband, zwei Schlingen zum Befestigen, ein paar Karabiner, einen Flaschenzug und ein bisschen Zeit. Online geben wir
dir die Anleitung zum Nachbauen.
Wo macht man das?
Zwischen zwei Bäumen im Park – aber bitte
mit Baumschutz. Zwischen zwei Felsen in
einem alten Steinbruch. Am besten aber erst
mal bei einem Einsteiger-Kurs in einem Kletterverein.
Was machen die Profis?
Saltos schlagen auf der Trickline, Schluchten
überqueren auf der Highline oder Weltrekorde
brechen auf der Longline: Der aktuelle liegt
bei 306 Metern.
Text: Simon Hurtz, Sebastian Puschner
Was machen die Profis?
Sie drehen AcroYoga-Videos und stellen sie
auf YouTube. Zum Nachmachen und zum
Staunen. Eher Letzteres. Wir haben die besten auf unserer Webseite gesammelt.
Virginia Hagemann, 17, hat die Massenpanik auf
der Loveparade in Duisburg überlebt. Ein Jahr
später quälen sie immer noch Albträume – doch
sie kämpft für ein bisschen Normalität
Für Virginia Hagemann beginnt die Angst
mit einem Rippenstoß. Neben ihr ringt eine
junge Frau um Luft und schreit: „Helft mir,
ich bin schwanger!“ Virginia hört die Schwangere, nur einen Meter entfernt, aber sie kann
nicht helfen. Verschwitzte Körper pressen
sich an sie, nehmen ihr Atem und Sicht. Die
16-Jährige spürt, was die Frau am meisten
quält: die Ellenbogen und Hände der anderen. Sie helfen nicht.
Die Ellenbogen prallen an Virginias Brust
und ihre Rippen. Die Hände zerren und stoßen, ballen sich zu Fäusten und umschlingen
manchmal ihren Hals, um sie zu würgen. Sie
wollen sie hinabdrücken. Virginia schreit
und drückt zurück.
Hunderttausende liefen am 24. Juli 2010
durch den Karl-Lehr-Tunnel unter dem Alten
Güterbahnhof in Duisburg zur Loveparade
– Virginia war eine von ihnen. Sie wollten
tanzen. Doch auf dem Weg kam es zu einer
Massenpanik. 21 Menschen starben, über 500
wurden verletzt. Auch Virginia glaubte, sterben zu müssen. Sie hat überlebt, doch was sie
gesehen hat, quält sie bis heute.
Wenn Virginia – lange braune Haare, pinke Fingernägel, die Augen schwarz geschminkt – von diesem Samstag spricht, ist
sie den Tränen nahe. Um nicht zu weinen,
redet sie leise, hält oft inne, schaut nach draußen. Sie sieht müde aus. Die Schreckensbilder
verfolgen sie seit einem Jahr. Es ist immer der
gleiche Traum: Virginia stirbt oder muss zusehen, wie andere getötet werden. Mit Messern, Pistolen, Äxten. Es fließt immer viel
Blut in ihren Albträumen. Sie erwacht mit
schweißnassen Haaren. Oft räumt sie dann
auf, mitten in der Nacht, das lenkt sie ab, aber
nicht immer.
Dann muss sie daran denken, wie diese
Bilder in ihr Leben gekommen sind: Wie sie
an jenem Samstag in einem Meer aus Menschen steckt und versucht, nicht unterzugehen. Doch die Masse schwappt gegen ihren
Leib, sie stolpert über Gliedmaßen. Ein Mann
brüllt: „Wir sterben!“ Virginia will nicht fallen, reckt das Kinn hoch, um zu atmen. Aber
dann rammt sich wieder ein Ellenbogen in
ihren Hals. Als alles anfängt, sich zu drehen,
gibt Virginia auf.
Virginia Hagemann kann die
Bilder der Ohnmacht und der
Angst nicht abschütteln.
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Sie sinkt auf einen Haufen verletzter
Körper. Einige wimmern, sie spürt Tritte,
weint vor Schmerzen. Unter sich erkennt sie
ein Gesicht. Da liegt die Schwangere, reglos,
ihre Haut ist blau. Dann wird Virginia bewusstlos.
Dabei hatte jener Samstag so herrlich begonnen: Die Sonne schien und Virginia hatte Ferien. Sie freute sich auf ihre erste Loveparade, auf die Kostüme und das Tanzen.
Besonders groß war die Vorfreude, als sie und
ihre beste Freundin mit lila gefärbten Haaren,
lilafarbenen Tops und schwarzen Hotpants
im Tunnel waren. Mit kajalumrahmten Augen schauten sie auf die Rampe, die zum Festival führte, in der Ferne dröhnten Bässe.
„Gleich sind wir da“, rief Virginia. Sie wusste
nicht, dass es hinter dem Betonrohr eng werden und sie die Party nie erreichen würde.
Zwanzig Minuten später zieht ihr Mascara Schlieren über ihre Wangen, ihre Beine
und Füße bluten. Im Krankenhaus schreibt
sie ihren Eltern, die gerade in Südfrankreich
campen, eine SMS: „Viele Tote auf der Loveparade, ich bin schwer verletzt, macht euch
aber keine Sorgen.“
Virginia hatte Glück, sie verlor nur ihre
Schuhe, nicht ihr Leben. Einem Mann war es
Françoise Hardy
„Mon Amie la Rose“
minzmagazin.de/aufdieohren
gelungen, sie vom Boden hochzuziehen und
zum Notarzt zu tragen. Später wird ihre
Freundin sagen, dass Virginia eine halbe
Stunde am Boden lag. Sie selbst erinnert sich
daran nicht. Körperlich ging es ihr nach zwei
Wochen besser, sie konnte wieder laufen, die
Wunden heilten ab. Die Angst blieb.
Der Moment, in dem die Stimmung
kippte, hat sich der heute 17-Jährigen ins Gedächtnis gebrannt. Virginia kann das
Gesicht der Schwangeren nicht vergessen, die
Schreie und die unerträgliche Enge. Wo
andere sich amüsieren,
sieht sie heute Gefahr.
Deshalb geht sie
nicht mehr in die Disco
oder auf Konzerte, fährt
weder mit einem Aufzug
noch mit Bus oder Bahn. Sie zittert, sobald die Türen schließen, weil sie
sich dann eingesperrt fühlt. Sie weiß, dass sie
sich nicht fürchten muss, wenn irgendwo
eine Sirene heult. Doch mit der Angst im
Kopf geht der Puls hoch, das Herz rast. Am
Schlimmsten ist das Gefühl, ausgeliefert zu
sein – so wie auf der Loveparade, als sie
glaubte, ihr Brustkorb werde zerdrückt.
Virginia ahnt, dass die Panikattacken zu
den Dingen zählen, die sie von anderen unterscheiden. Sie möchte um ihr altes Leben
kämpfen. Nach der Katastrophe ging sie nicht
wieder zur Berufsschule. Nach acht Wochen
stationärer Trauma-Therapie wird sie nun
ambulant betreut. Durch die Medikamente
hat sie zugenommen. Sie erzählt, dass sie nun
joggen geht, um abzunehmen, aber auch weil
es ihr hilft, sich abzulenken. Seit kurzem
macht sie ein Praktikum bei einem Augenarzt. Sie hofft auf eine Lehrstelle, medizinische Fachangestellte will
sie werden.
Sie redet nur noch
selten über den Julitag, so sehr schmerzt
die Erinnerung.
Wenn sie doch mal
darüber sprechen
will, geht sie zu den
Treffen des Vereins
Selbsthilfe Massenpanik, „weil die Leute
wissen, wie es sich anfühlt, so etwas erlebt zu haben“. Ihr Vater hat die Initiative gegründet, damit sich die Opfer vernetzen und
für eine Entschädigung kämpfen können.
Virginia hat Leben innerhalb weniger Minuten zerbrechen sehen. Sie sagt, sie wisse
dadurch das eigene mehr zu schätzen. Mit
ihren Freunden wagt sie sich täglich ein Stück
weiter vor. Es hilft ihr, sich mit Menschen zu
treffen, bei denen sie sich sicher fühlt. Zu einer Party traut sie sich trotzdem noch nicht,
obwohl sie gerne tanzt. Sie möchte sich erst
wieder daran gewöhnen, Bus zu fahren.
„Viele Tote auf
der Loveparade,
ich bin schwer
verletzt, macht
euch aber keine
Sorgen“
Text: Nadine Poniewaß; Cast: Catalina Schröder; Fotos: René Jankowski, Alexander Krex
Laurin Pfau steht beim Bäcker und bestellt zwei
Käsebrötchen mit viel Käse. Er ist Stammkunde. Seit
fünf Jahren wohnt er im Internat gleich gegenüber,
dort besucht er die elfte Klasse. Jeden Tag kauft er
Käsebrötchen, weil ihm das Essen im Internat nicht
schmeckt. Heute gab es Vollkornnudeln mit ChiliSauce, dazu Salat, Bananenquark. Es gibt Schulen,
da wäre man froh über so eine Küche.
Laurin sieht ordentlich aus, der letzte Haarschnitt
kann nicht lange her sein, braune Lederschuhe,
dunkle Jeans, Shirt mit Knopfleiste. Laurin ist Schulsprecher.
Sein Internat liegt in Schondorf, in der Nähe von
München, direkt am Ammersee. Das Durchschnittseinkommen hier zählt zu den höchsten in Deutschland. Am Ufer vor dem Restaurant Seepost stehen
Sonnenschirme, die für Champagner werben: Moët
& Chandon ist darauf gedruckt. Die Sommertage
verbringen Laurin und seine Mitschüler am See. Die
Abende auch – bis 22 Uhr, dann schließt der Hausvater die Eingangstür ab.
Als Laurin nach Schondorf kam, war er ein Skater. Mit der Zeit hat er lieber Polohemden angezogen. „Das ist hier so“, sagt er. Die schulterlangen
Haare schnitt er ab. Das Internat veränderte ihn, die
Schüler gleichen sich einander an. Viele haben einen
ähnlichen Lebensentwurf: Sie wollen BWL studieren
und Geld verdienen. Wie ihre Eltern. Anderswo tun
Jugendliche alles, um sich abzuheben.
Laurins Mitschüler tragen trendy Klamotten.
Alle haben ein iPhone, sagt er. Gäbe es Schuluniformen, wären es Polohemden. Die Gemeinschaft im
Internat ist eng, Laurin kennt jeden beim Namen.
Er zeigt auf die ersten drei, die ihm auf dem Hof
entgegenkommen, sagt: „Valentin, Paul, Louis“.
In Schondorf gibt es keine Punks, keine Alkoholiker, keine Emos. Keine Extreme. Einer fällt Laurin
doch ein, der anders ist. Der trägt immer schwarze
Shirts von Metal-Bands, hat lange Locken, die vom
Kopf abstehen. An normalen Schulen, Laurin sagt
„staatlich“, würde er nicht weiter auffallen.
Es geht gesittet zu unter den 200 Jugendlichen,
die im Internat leben. Das kann daran liegen, dass
ihnen viel geboten wird: Töpfern, Segeln, Theater,
im angrenzenden Wald liegt ein Tennisplatz. Wenig
Zeit also, um seine Energie in Dummheiten zu investieren. Laurin sagt, er langweilt sich nie.
Sicher, auch in Schondorf gibt es mal ein Saufgelage, aber Exzesse sind selten. Das kann daran liegen,
dass die Schüler ständig unter Beobachtung stehen.
In jedem Haus auf dem Campus lebt auch ein Lehrer
oder eine Lehrerin. Bei den Jungs ist es der Hausvater, bei den Mädchen die Hausmutter. Sie achten
darauf, dass sich die Schüler nicht zu nahe kommen.
Beziehungen sind erlaubt, Geschlechtsverkehr ist
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verboten, sagt Laurin. Für die Rundumbetreuung
zahlen die Eltern 30 000 Euro im Jahr.
Laurins Zimmergenosse heißt Ruben. Seit Jahren
teilen sie sich ein Zimmer. Der Raum ist klein, an
der Wand über Laurins Bett hängt ein Kinoposter:
„Der Baader Meinhof Komplex“, ein Film über die
Terroristen der RAF. Die Betten sind gemacht.
Obenauf liegen Tagesdecken, weil sich immer Leute
darauf setzen. Laut Plan an der Zimmertür soll zwei
Mal die Woche aufgeräumt werden. Laurin und Ruben halten sich daran, weil sie dafür einen PizzaGutschein bekommen. Laurin sagt: „Es bringt nur
Vorteile, die Regeln zu befolgen“.
Laurin findet es gut, nicht allzu frei zu sein, sagt
er. Vielleicht ist er reifer als andere in seinem Alter.
Mit seinen Freunden von früher verbindet ihn
nichts mehr. Er grüßt sie auf der Straße, wenn er
sein Heimatdorf im Allgäu besucht. Mehr nicht.
„Die sind jetzt mit ihren Saufbanden unterwegs“,
sagt er. Wenn Laurin Alkohol trinkt, dann höchstens drei Bier. Weil er 18 ist, darf er das. 0,5 Promille sind erlaubt, jederzeit kann der Hausvater einen
Alkoholtest anordnen.
Drogentests gibt es auch, bei Verdacht oder einfach so. Laurin ist das im vergangenen Schuljahr
passiert. Er wurde aus dem Unterricht geholt und
musste eine Urinprobe abgeben. Nach ein paar Tagen fanden seine Eltern ein Schreiben im Briefkasten. Darin stand: „Herzlichen Glückwunsch. Der
Drogentest war negativ.“ Eine Rechnung lag auch
bei. 50 Euro kostet es, nach Spuren von Amphetaminen, Ecstasy und Marihuana zu suchen. Was in
dem Brief steht, wenn der Test positiv ausfällt, weiß
Laurin nicht.
Manche Dinge, die einen Jugendlichen aus der
Bahn werfen können, scheinen in Schondorf nicht zu
existieren. Zwischen dem blauen Bahnhofsschild und
dem Internat liegen ein Optiker, eine Bank, ein paar
Einfamilienhäuser. Manche Häuser wollen aussehen
wie historische Villen. Es ist eine sehr kleine Welt.
Das Leben im Internat hat eine starre Struktur.
Um halb acht gibt es eine Morgenfeier, in der Schüler und Lehrer singen oder philosophieren. Der
Schulleiter ist auch dabei. Vor dem Mittagessen müssen alle im Speisesaal eine Minute schweigen, Silentium heißt das. Wer einen Tisch neben dem Eingang
hat, kann währenddessen auf das Ölgemälde schauen, das Julius Lohmann zeigt. Der Mann mit
Schnurrbart und Fliege hat das Internat 1905 gegründet. Sein Bild hat einen goldenen Rahmen. Ein
Glockenschlag beendet das Silentium, mit einem
Mal erfüllt Stimmgewirr den Saal, Teller klappern.
An manchen Tagen isst sich auch Laurin hier satt.
Wenn die Eltern zu Besuch sind, geben sich die Köche Mühe, sagt er.
In Schondorf am
Ammersee gibt es
ein Internat. Die
200 Schüler tragen
keine Schuluniform.
Trotzdem ziehen
sie sich ähnlich an:
Rausfallen will hier
keiner
Laurin am Ammersee. Der
Holzsteg ist exklusiv für Schüler
aus dem Internat.
Text: Alexander Krex; Fotos: Thomas Klinger, Alexander Krex
YouTube-Opa
Peter Oakley
– alias
Geriatric1927.
Was schauen Sie sich da an? Lustige Vi-
deos oder die Werke junger Leute. Zum
Beispiel von LuckyLuka99, er ist ein sehr
talentierter Klavierspieler.
Würden Sie das Internet vermissen, wenn
Sie wieder darauf verzichten müssten?
Ohne YouTube wäre der 83-jährige Witwer Peter Oakley
aus Mittelengland vielleicht vereinsamt. Nun ist er ein
berühmter Videoblogger. minz* hat ihn auf Skype getroffen
Herr Oakley, wie viele Kontakte hat
denn ein 83-jähriger Mann so bei Skype?
halb zum Beispiel mit Leuten im Fernen
Osten.
Ich habe etwa einhundert.
Telefonieren Sie mit all diesen Leuten?
Nicht mit allen. Mit meinem Bruder rede
ich täglich, er ist 87 und lebt in Spanien.
Wir reden am liebsten über Computerprogramme. Neulich habe ich ihm erklärt, wie
iMovies funktioniert.
Heißt das, dass Sie rund um die Uhr online sind? Nein, nur etwa fünf Stunden am
Tag. Teenager werden jetzt sicher lachen,
aber ich lebe allein und habe häusliche
Pflichten. Deshalb bin ich nur morgens und
nachmittags online.
Mit wem skypen Sie sonst noch? Eigent-
Was machen Sie denn im Internet außer
zu skypen? Ich kaufe ein, schaue mir Fern-
lich habe ich fast überall auf der Welt
Freunde. Da muss ich auch an die Zeitverschiebung denken. Morgens rede ich des-
sehsendungen an, lese Zeitung und spreche
mit Leuten aus der ganzen Welt. Aber am
liebsten surfe ich auf YouTube.
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Definitiv! Es hat mein Leben verändert.
Warum? Den Computer habe ich mir ge-
kauft, als meine Frau gestorben ist. Ich war
sehr allein. Im Internet wollte ich interessante Brieffreunde finden.
Und? Haben Sie welche gefunden? Ich
bekomme keine richtigen handgeschriebenen Briefe, aber täglich sehr viele Mails.
Meine Privatadresse gebe ich nämlich gar
nicht raus.
Das ist bei mehr als 55 000 YouTubeAbonnenten verständlich. Ihr erster, etwas unbeholfener Clip „First Try“ wurde
Möchtest Du dem YouTube-Opa
auch eine Frage stellen?
minzmagazin.de/youtubeopa
The Zimmers
„My Generation“
minzmagazin.de/aufdieohren
Auch in den Ferien willst du mal wieder dein Hirn
benutzen? Versuch dich an unserem Sommer-Rätsel!
Bei GROSS geschriebenen Wörtern musst du die
Buchstaben in die richtige Reihenfolge bringen
fast drei Millionen Mal angeschaut. Die
Resonanz hat mich selbst überrascht. Am
Anfang hatte ich große Angst davor, abgelehnt zu werden. Ich dachte: „Oh Gott, ein
alter Mann auf YouTube“ – da sind ja nur
junge Leute unterwegs.
Warum schauen sich Jugendliche die
Videos eines Rentners an? Das weiß ich
auch nicht so genau. Aber ich höre oft, dass
sie meine ruhige Art und meine Stimme
mögen. Außerdem haben viele sonst keine
Möglichkeit, mit alten Menschen zu reden.
Für viele bin ich ihr Internet-Opa, der Geschichten von früher erzählt. Das macht
mich sehr glücklich.
Warum? Im echten Leben vermischen sich
die Generationen selten. Aber bei YouTube
können wir miteinander quatschen.
Welche Ratschläge geben Sie den Teenagern? Ich versuche, gar keine Ratschläge
zu geben. Aber ich halte mich für sehr einfühlsam. Vor allem, wenn es um Verlust
geht. Das habe ich ja selbst erlebt.
LACKINSEL? Zwischen Bäume gespannt und doch keine Hängematte
Killerwal hinterm Shopping-Center? Für manche das 17. Bundesland
Haben Sie auch Zuschauer in Ihrem Alter? Ob es viele sind, weiß ich nicht. Aber
Schwer wie eine Bowlingkugel im Einkaufsbeutel, erfrischend leicht im Bauch
neulich schrieb mir eine 18-Jährige, dass sie
meine Videos ihrer Oma gezeigt habe. Das
hat der Dame offenbar sehr gut getan. Heute erzählt sie ihrer Enkelin auch aus der
Vergangenheit.
Explosives nach Eis, Kalorien oder Arsch
Sie leben sehr zurückgezogen. Im nächsten Dorf wohnen fast nur alte Menschen
– kennen die Ihre Videos? Im echten Le-
ben habe ich nicht viele Freunde. Mein bester Freund weiß Bescheid. Aber im Dorf
hat, glaube ich, niemand einen Computer.
Nur die Metzgersfrau fragt mich immer:
„Warst du mal wieder irgendwo?“
Wie lange wollen Sie noch weitermachen? So lange ich kann. Aber in meinem
Alter weiß man ja nie...
Was hätten Sie mit dem Wissen von heute in Ihrem Leben gerne anders gemacht?
Schneidwerkzeug für den König der Tiere? Hebt ab, sobald ergraut
Abendröte auf der Haut, pellt sich später
ELCHSPECKBANN? Eher was für die Kleinen, während die Großen
am Pool rumhängen – oder sich in die Fluten stürzen
Nimm die Rosinen raus und stimm zu! Am besten auf einer Decke im Park
Vorzeitliche Herbstbodenbedeckung? Gern im Sommer gemacht
VOLL-LAECHEL-BABY? Danach: Sand in jeder Ritze, aber Sport getrieben
„Was denn nun?“, könnten sich Engländer bei dieser Ostsee-Insel fragen:
„Versteckt oder doch zu sehen?“
Wichtige Angabe beim Produkt zur Vermeidung von
Den im Schatten aufzustellen, ergäbe keinen MORSCHEN SINN
Badenden als Zweiteiler geläufig – auch wenn der Namensgeber
in der Südsee eigentlich 23 Teile hat
Aufl ösung: minzmagazin.de/raetsel
Ich hätte Google-Aktien gekauft.
Text und Foto: Nadine Poniewaß
Rätsel: Britta Verlinden
... DEIN VATER WIEGT 158,1 KILO UND
MACHT BEI EINER ABNEHM-SHOW IM
FERNSEHEN MIT. PEINLICH? SUPER?
Pascal Wolfarth (oben links)
bewundert seinen Stiefvater
(oben rechts, unten),
der vor laufender Kamera
abgenommen hat.
Heino Herrmann, 39, hat bei der AbspeckShow „The Biggest Loser“ auf Kabel eins mitgemacht und gewonnen. Er hat in sechs Monaten 64,5 Kilo abgenommen. Sein Stiefsohn
Pascal Wolfarth, 19, sagt dazu:
„Ich verstehe mich besser mit meinem Stiefvater, seit er bei „The Biggest Loser“ war. Wir
gehen jetzt manchmal gemeinsam zum Sport.
Er geht sogar fünf Mal die Woche ins Fitnessstudio und ich muss mir Sorgen um meinen
Titel machen, der Sportliche in der Familie
zu sein. Früher gab es manchmal Machtkämpfe um die Hauptrolle in der Familie. Als
Heino in das Abnehm-Camp nach Mallorca
geflogen ist, wollte ich der Mann im Haus
sein. Aber dann habe ich ihn vermisst. Ich
finde, was er geleistet hat, verdient großen
Respekt. In dem Camp hat er täglich zwei bis
drei Stunden Sport gemacht und ist körperlich an seine Grenzen gegangen. Er hat da
nicht mitgemacht, um ins Fernsehen zu kommen. Der Anstoß war, dass man in dem
Camp permanent professionell betreut wird.
Und das Preisgeld war zusätzlich eine Motivation. Alleine hätte er nie so viel abgenommen. Als er sich beworben hat, hatte er viele
Diäten ausprobiert. Aber nie hat eine wirklich geklappt. Er war auch seit kurzem arbeitslos. Einmal wurde er sogar in einem
Bewerbungsgespräch abgelehnt, weil er so
dick war. Jetzt hat er wieder einen festen Job.
Und ich habe auch profitiert: Ich habe seitdem 600 Freunde bei Facebook. Ich liebe
meinen Stiefvater und bin froh, dass er heute
gesund lebt.“
WAS DENKST DU?
W
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minzmagazin.de/stelldirvor
M IN Z*
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Text: Ulla Reinhard; Cast: Catalina Schröder; Fotos: Johannes Arlt