Haftung von Ratingagenturen
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Haftung von Ratingagenturen
Ruhwedel, Peter (Hrsg.) KCU Schriftenreihe Band 2 Haftung von Ratingagenturen Rosset, Christophe © 2013 by MA Akademie Verlagsund Druck-Gesellschaft mbH Leimkugelstraße 6, 45141 Essen Tel.0201 81004-351 Fax0201 81004-610 Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung der MA Akademie Verlags- und DruckGesellschaft mbH unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Oft handelt es sich um gesetzlich geschützte eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht als solche gekennzeichnet sind. ISSN 2195-2922 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Vorwort Das regulatorische Umfeld für die Ratingagenturen – im Wesentlichen S&P, Moody’s und Fitch – hat sich als Konsequenz der Finanzkrise im Laufe der letzten Jahre wesentlich verschärft. Ein besonders scharfes Schwert sind Schadensersatzansprüche privater und öffentlicher Anleger gegen die Agenturen wegen falscher Ratings. Solche Ansprüche werden mittlerweile weltweit diskutiert und haben ihren Weg auch schon in Gesetze und zu Gerichten und Verfolgungsbehörden gefunden. Aktuelle Belege sind etwa die Verurteilung von S&P im November 2012 zu erheblichen Schadensersatzzahlungen in Australien wegen der irreführend guten Einstufung eines Finanzprodukts. Ebenfalls im letzten Jahr hat das amerikanische Justizministerium wegen überhöhter Bewertung sog. Collateralized Debt Obligations eine zivilrechtliche Klage gegen S&P eingereicht. In Europa hat das Europäische Parlament zuletzt im Januar 2013 die Haftungsvorschriften für Ratingagenturen verschärft. So kann grob fährlässiges Verhalten seitens der Agenturen zu Schadenersatzforderungen von Anlegern führen. Die vorliegende Arbeit befasst sich detailliert mit den rechtlichen Grundlagen von Schadensersatzansprüchen gegen Rating Agenturen nach deutschem Recht. Schwerpunkte liegen bei der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte und der Herleitung von Ansprüchen über die Rechtsfigur der Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens. Dieses auch als Expertenhaftung bezeichnete Haftungsmodell und die dazu entwickelte Dogmatik dürfte auch international auf großes Interesse geschädigter Anleger stoßen. Düsseldorf, im März 2013 Prof. Dr. Olaf Müller-Michaels, FOM Düsseldorf KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Vorwort des Autors Die Erstellung der vorliegenden Arbeit wurde flankiert von Diskussionen innerhalb Europas über den Einfluss der Ratingagenturen auf die Finanzmärkte. Auch wurde im Rahmen dieser Diskussionen erstmals eine Verordnung bezüglich der Tätigkeit von Ratingagenturen durch die europäische Gesetzgebung erlassen. Vom heutigen Standpunkt aus zeigt sich, dass viele der hier dargestellten Aspekte − wie die Frage der Beweisführung bei Schäden durch fehlerhafte Ratings − weiterhin von hoher praktischer Bedeutung sind. Der Gesetzgeber hat viele der hier aufgezeigten Fragen weiterhin unbeantwortet gelassen. Ratingagenturen agieren auf den Finanzmärkten nun zwar in einem regulierten Rahmen; dieser bietet jedoch weiterhin große Freiräume. Die Ansätze hin zu einer wertschöpfenden Regulierung der Ratingagenturen, welche in dieser Arbeit herausgearbeitet wurden, sollten weiterhin durch den Gesetzgeber legislativ gewürdigt werden. Ich möchte mich ganz besonders bei Professor Dr. Müller-Michaels, Dozent an der Hochschule für Oekonomie & Management bedanken, der mich während der Erstellung der Arbeit sehr unterstützt und in der Entstehungsphase wichtige Impulse gesetzt hat. Die Arbeit wurde am 16.03.2011 an der Hochschule für Oekonomie & Management als Bachelor-Thesis eingereicht. Essen, im März 2013 Christophe Rosset II KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Inhalt Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................................... IV A. Einleitung .......................................................................................................................... 1 B. Ratingagenturen und Ratings ............................................................................................ 3 I. Ratingmarkt ................................................................................................................ 3 II. Definition .................................................................................................................... 3 III. Aufgaben und Nutzen ................................................................................................. 5 IV. Ratingformen .............................................................................................................. 7 V. Regulatorisches Umfeld ............................................................................................. 9 1. IOSCO-Kodex...................................................................................................... 9 2. Credit Rating Agency Reform Act 2006 ............................................................. 10 3. Basel II .............................................................................................................. 11 4. Rating-Verordnung ............................................................................................ 12 C. Haftung ........................................................................................................................ 15 I. Prozessuale Haftungsvoraussetzungen.................................................................... 15 1. Anwendbares Recht .......................................................................................... 15 2. Gerichtsstand .................................................................................................... 17 II. Haftung gegenüber dem Emittenten ......................................................................... 19 1. Rechtsverhältnis zwischen Emittent und Ratingagentur ..................................... 19 2. Vertragliche Ansprüche ..................................................................................... 20 3. Außervertragliche Ansprüche ............................................................................ 22 III. Haftung gegenüber Anlegern.................................................................................... 24 1. Rechtsverhältnis zwischen Anlegern und Ratingagentur ................................... 25 2. Vertragliche Ansprüche ..................................................................................... 25 3. Außervertragliche Ansprüche ............................................................................ 26 4. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ..................................................... 27 a) Konzeptionelles .......................................................................................... 27 b) Anwendungsvoraussetzungen .................................................................... 29 (1) Leistungsnähe...................................................................................... 30 (2) Einbeziehungsinteresse ....................................................................... 30 (3) Erkennbarkeit ....................................................................................... 32 (4) Schutzbedürftigkeit .............................................................................. 33 c) Haftung aus culpa in contrahendo?............................................................. 34 d) Einwendungen aus § 334 BGB ................................................................... 35 e) Zwischenergebnis ....................................................................................... 35 IV. Schadensersatzansprüche ....................................................................................... 36 1. Pflichtverletzung/ Vertretenmüssen ................................................................... 36 2. Schaden ............................................................................................................ 38 3. Kausalität........................................................................................................... 38 D. Fazit……………………………………………………………………………………… ............ 41 Literaturverzeichnis .............................................................................................................. 43 Rechtsprechungsverzeichnis ............................................................................................... 47 III KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Abkürzungsverzeichnis a. A. …..………………………………. andere Ansicht ABS…………………………………… Asset Backed Security Abs. …………………………………… Absatz AcP…………………………………..... Archiv für die civilistische Praxis AG……………………………..…….... Die Aktiengesellschaft AGB……………………….................... Allgemeine Geschäftsbedingungen AnwBl……………………..…………... Anwaltsblatt Art. ………………………..…………... Artikel BaFin…………………...……………... Bundesanstalt für Finanzaufsicht BB……………………………………... Betriebs Berater BGB……………..…………………...... Bürgerliches Gesetzbuch BGH………...…………………………. Bundesgerichtshof BKR…………………………………… Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht BT-Drs. …………..…………………… Bundestagsdrucksache bzw. …………………………………… beziehungsweise c. i. c. …………………………………. culpa in contrahendo CDO………………..………………...... Collaterized Debt Obligation CEBS…………..……………………… Committee of European Banking Supervisiors CESR………..………………………… Committee of European Securities Regulators CISG……...………………………........ Convention on Contracts for the International Sale of Goods CRA…...………………………………. Credit Rating Agency DB.…..………………………………… Der Betrieb DS…..…………………………………. Der Sachverständige EG……..………………………………. Europäische Gemeinschaft EGBGB….…………………………….. Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einf. ………...………………………… Einführung Einl. …………………………………… Einleitung ESMA…….…………………………… European Securities and Markets Authority et al. …..……………………………..... et alii (und andere) EuGVVO……..……………………….. Verordnung der EG Nr. 44/ 2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen f. ………………………..……………... folgend IV KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen ff. ……………………..….……………. fortfolgend FS…………………...…………………. Festschrift gem. …………………..………………. gemäß GG………………...…………………... Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GmbH.………………………………… Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbHG……………………………….. Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung grds. …………………………………... grundsätzlich GRUR…………………………………. Gewerblicher Rechtschutz und Urheberrecht HGB………………..………………...... Handelsgesetzbuch Hrsg./hrsg.……………..……………… Herausgeber/ herausgegeben i. d. R. …………………......………….. in der Regel i. R. d. ………………………………… im Rahmen des i. S. d. …………………………………. im Sinne des i. V. m. ………………………………... in Verbindung mit Inc. ……………………………………. Incorporated IOSCO………............................…… International Organization of Securities Commissions IPR…………………………….………. Internationales Privatrecht jurisPK………………………….……... juris Praxiskommentar JuS………...………………….……….. Juristische Schulung JZ…...……………………….………… Juristenzeitung KWG….………………….……………. Kreditwesengesetz lit. ………………………….…………... litera (Buchstabe) MBS……………………….…………... Mortage Backed Securities MüKo…………………….……………. Münchener Kommentar m. w. N. ………………………….…… mit weiteren Nachweisen NJOZ………………………………….. Neue Juristische Online Zeitschrift NJW…………………………..……….. Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR………………………………. NJW Rechtsprechungs-Report Nr. ……………………………….……. Nummer NRSRO…..….…………………..…….. Nationally Recognized Statistical Rating Organizations NZG…………………………….……... Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZV…………………………..……….. Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht V KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen OLG……………………………..…….. Oberlandesgericht RIW…..………………………..……… Recht der internationalen Wirtschaft RL…………………………….……….. Richtlinie Rn..…………………………..………… Randnummer (-n) ROM I-VO………………………….…. VO (EG) Nr. 593/2007 vom 27.06.2008 über das vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ROM II-VO…………...………………. VO (EG) Nr. 864/2007 vom 11.07.2007 über das außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht S. ……………………………………… Seite (-n) SEC……………………………….…… United States Securities and Exchange Commission sog. ………………………………….… sogenannt (-s/ -r) SolvV……………………….…………. Solvabilitätsverordnung S&P…………………………..………. Standard & Poor’s StGB….…………………….…………. Strafgesetzbuch v. ….……………………….………….. von VersR………………………………….. Versicherungsrecht vgl. ................................................. vergleiche VO………………………………….…. Verordnung WM……………………………….…… Wertpapiermeldungen WpHG………………………….……… Wertpapierhandelsgesetz ZGR………………………………..….. Zeitschrift für Unternehmens- und Handelsrecht ZHR………….………………….…….. Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziff. ………………………………..….. Ziffer ZIP……………………………….……. Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zit. …………………………………….. zitiert ZJS…………………………….………. Zeitschrift für das juristische Studium, Online-Zeitschrift ZPO………………………….………… Zivilprozessordnung VI KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen A. Einleitung Die Finanzmarktkrise hat das weltweite Krisenmanagement der Politik und der Zentralbanken herausgefordert und das Vertrauen in die bisher herrschenden Marktkräfte tief erschüttert. Die in den Vereinigten Staaten entstandene Krise erwies sich durch die weltweiten Kapitalverflechtungen als nicht isolierbar und führte in kurzer Zeit zu einem weltweiten Schaden, den es so seit 1929 nicht mehr gegeben hatte. Die Auswirkungen schlugen von den Finanzmärkten auf die Realwirtschaft über. Ihren Ursprung nahm die Krise in einer sehr freizügigen Geldpolitik der Zentralbanken und führte zu einem niedrigen Zinsniveau. Auf der Suche nach attraktiven Investitionsobjekten sahen Anleger in strukturierten Finanzprodukten der Investmentbanken eine Lösung. Hierfür verbrieften Zweckgesellschaften hypothekenbesicherte Kreditforderungen, die ihren Nährboden im haussierenden amerikanischen Immobilienmarkt hatten. Die regelmäßig kompliziert strukturierten Finanzprodukte wiesen hervorragende Ratings durch die führenden Ratingagenturen auf und entsprachen häufig der Bonitätseinstufung gleich der Bundesrepublik Deutschland. Investoren vertrauten den Expertenurteilen und sahen in den Finanzprodukten attraktive Renditeobjekte mit geringen Verlustrisiken. Das Risiko, welches sich nach dem Platzen der Immobilienblase verwirklichte, wurde von den Ratingagenturen im Ergebnis deutlich unterschätzt.1 An der Mitursächlichkeit der Finanzmarktkrise durch Fehlbeurteilungen der Ratingagenturen im Bereich der Finanzprodukte bestehen somit keine Zweifel.2 Das Verhalten der Ratingagenturen steht in der Literatur bereits seit längerer Zeit unter starker Kritik. Fälle von Unternehmen, die trotz sehr guter Ratings in die Insolvenz gegangen sind, sind hier zu nennen. Anpassungen der Ratings von Unternehmen wie beispielsweise Enron, Parmalat und zuletzt der Lehman Brothers Holding Inc. fanden erst einige Tage vor der jeweiligen Insolvenzanmeldung statt. Dies lässt an der Güte und der sorgfältigen Überwachung dieser Ratings durch die Ratingagenturen Zweifel aufkommen.3 Auch besteht seitens der Emittenten Kritik am teilweise „absolutistischen“ Verhalten der Ratingagenturen.4 So sah sich beispielsweise die Thyssen Krupp AG im Jahr 2003 mit einer geänderten Bewertungsmethodik der Ratingagentur S&P hinsichtlich ihrer Pensionsverpflichtungen konfrontiert. Die neue Methodik führte zu einer deutlichen Herabstufung der Ratingnote und einem Schaden für die Thyssen Krupp AG in Form von jährlich 30 Millionen Euro höheren 1 2 3 4 Balzli/ Schiessl/ Schulz, Der Spiegel (Ausgabe 42) 2009, 72 (72 ff.); Balzli, Der Spiegel (Ausgabe 23) 2010, 72; Deipenbrock, WM 2009, 1165; Kumpan, FS Hopt, S. 2157 f.; De Larosière Group, Report, 25.02.2009, Rn. 1 ff., http://ec.europa.eu/internal_market/finances/ docs/de_larosiere_report_de.pdf (zuletzt abgerufen am 06.03.2011); Möllers, ZJS 2009, 227 (227 f.); Schiessl, Der Spiegel (Ausgabe 18) 2010, 67; zur Bonität der Bundesrepublik Deutschland siehe Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1348). Haar, NZG 2010, 1281 (1281). Däubler, NJW 2003, 1096 (1097); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 49 ff.; Richter, WM 2008, 960; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth RIW 2009, 657 (660); Vetter, WM 2004, 1701; Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1351 f.). Däubler, NJW 2003, 1096 (1097). 1 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Zinskosten. Eine Begründung der Ratingagentur zur Änderung der Bewertungsmethodik blieb aus.5 Rund 80 % der weltweiten Kapitalströme werden mittlerweile durch Ratings beeinflusst.6 Diese Bedeutsamkeit von Ratings für den Kapitalmarkt wurde international von regulatorischer Seite erkannt und in einen gesetzlichen Rahmen überführt. Zudem könnte auch ein zivilrechtliches Korrektiv helfen, um den jeweils Betroffenen aus erlittenen Vermögensschäden Schadensersatzansprüche zu gewähren und zugleich die Qualität der Ratings nachhaltig zu verbessern.7 Im Folgenden soll der Ratingmarkt und die Frage der Haftbarkeit für fehlerhafte Ratings gegenüber dem Auftraggeber, welcher als Emittent in der Bundesrepublik Deutschland ansässig ist, und auch gegenüber den Anlegern untersucht werden. Haftungsrechtliche Fragen stellen sich hierbei in Fällen eines „zu hohen“ oder eines „zu schlechten“ Ratings.8 5 6 7 8 Blaurock, ZGR 2007, 603 (609 f.); Däubler, NJW 2003, 1096; Eisen, Haftung und Regulierung S. 68 f.; Habersack, ZHR 2005, 185 (187 f.); Vetter, WM 2004, 1701. Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1347). Becker, DB 2010, 941; Haar, NZG 2010, 1281; Spindler, AG 2010, 601 (609 f.). Eisen, Haftung und Regulierung, S. 179; zur ersten Klageerhebung eines Anlegers gegen S&P vor einem deutschen Gericht im Jahr 2010 aufgrund zu positiver Beurteilungen der Lehman Brothers Holding Inc. siehe Haar, NZG 2010, 1281; Lemke, Handbuch Rating, S. 613 f. 2 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen B. Ratingagenturen und Ratings I. Ratingmarkt Ratings haben eine hundertjährige Vergangenheit. Vorreiter war John Moody im Rahmen der Finanzierung von Eisenbahngesellschaften während der Industrialisierung in Amerika. 1909 verarbeitete er alle ihm bekannten Informationen über die jeweilige Bahngesellschaft in einem einzigem Rating und veröffentlichte die Note in „Moody’s Analyses of Railroad Investments“. Drei weitere Wettbewerber folgten der Idee: Standard Statistics, Poor’s Publishing und Fitch. Aus den beiden Erstgenannten ging durch Zusammenschluss der aktuelle Marktführer am Ratingmarkt hervor: Standard & Poor’s (S&P). Seit den 1930er Jahren beziehen sich US-amerikanische Aufsichtsbehörden auf die Ratings der privaten Ratingagenturen und förderten so im Laufe der folgenden Jahre deren Bedeutung für die Finanzmärkte.9 Auf dem Markt der Ratingagenturen haben sich besonders die o.g. drei Agenturen als marktbeherrschend herausgebildet. 80 % aller weltweiten Ratings werden durch die Agenturen S&P und Moody’s erstellt. Fitch hat einen Anteil von 15 %. Somit kann von einem amerikanischen Duopol oder im weiteren Sinne von einem Oligopol gesprochen werden, welches für neue Marktteilnehmer kaum Möglichkeiten zum Markteintritt bietet und historisch gewachsen ist.10 Eine wesentliche Markteintrittsbarriere, die bisher Neuetablierungen am Ratingmarkt nicht möglich gemacht hat, ist die nötige Reputation am Kapitalmarkt (sog. „Track Record“). Der Track Record besagt, inwieweit die Ratingagentur über eine längere Zeitdauer gute Einschätzungen geliefert hat. Ein funktionierender Wettbewerb, der eine Selbstregulierung des Marktes fördert, ist anhand des bestehenden Machtgefüges nicht erkennbar.11 II. Definition Der Begriff Rating entstammt dem Englischen und bedeutet Einschätzung, Einstufung, Beurteilung oder Bewertung. Die Einstufung in Form einer Ratingnote erfolgt in einem Buchstabensystem; gegebenenfalls wird mittels Zusätzen wie „+“ oder „-“ weiter unterschie- 9 10 11 Balzli/ Schiessl/ Schulz, Der Spiegel (Ausgabe 42) 2009, 75; Deipenbrock, WM 2007, 2217 (2218); Deipenbrock, WM 2005, 261 (263 f.); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 89 ff.; Eggers, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Probleme, S. 29 f.; Fiala/ Kohrs/ Leuschners, VersR 2005, 742 (742); Herfurth, Regulierung unter Basel II, S. 54; Beispiele im amerikanischen Kapitalmarktrecht nennt Richter, WM 2008, 960. Becker, DB 2010, 941 (942); Blaurock, ZGR 2007, 603 (606 f.); Däubler, BB 2003, 429 (430); zur kartellrechtlichen Beurteilung siehe Eisen, Haftung und Regulierung, S. 287 ff.; Haar, NZG 2010, 1281 (1282); Habersack, ZHR 2005, 185 (187); Kumpan, FS Hopt S. 2159; Spindler, AG 2010, 601 (610)); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1348). Blaurock, ZGR 2007, 603 (606 f.); Deipenbrock, WM 2006, 2237 (2241); Deipenbrock, WM 2005, 261 (262); Everling/ Trieu, Handbuch Rating, S. 103; Möllers, ZJS 2009, 227; Vetter, WM 2004, 1701, (1703); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1348). 3 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen den. Der Aufbau der Skala ist bei den drei großen Agenturen ähnlich.12 Die meisten Emittenten beantragen sowohl ein Rating von S&P als auch von Moody‘s. Ursache für die Beauftragung von mindestens zwei Ratings anerkannter Agenturen sind neben Anlegerinteressen aufsichtsrechtliche Vorschriften.13 Die beste Bewertung der Ratingagentur S&P stellt die Note „AAA“ dar. Der Bereich von „AAA“ bis „BBB-“ wird gemeinhin als „investment grade“ bezeichnet und stellt für Anleger ein geringes Ausfallrisiko dar. Die spekulativen Anlagen („speculative grade“) reichen von „BB+“ bis zur Stufe der Zahlungsunfähigkeit „D“. Die Beurteilung durch die Ratingagentur stellt eine Aussage zur statistischen Ausfallwahrscheinlichkeit dar.14 Die Ausfallwahrscheinlichkeiten sind hierbei keine Prognose, sondern Ergebnis eines Ex post-Vergleichs der Ratingsymbole und den tatsächlich eingetretenen Zahlungsausfällen.15 Um rechtliche Konsequenzen aus einem Rating ableiten zu können, bedarf es der Einordnung von Ratings als Werturteile oder Tatsachenbehauptungen. Werturteile drücken eine persönliche Überzeugung aus, die nicht auf Richtigkeit oder Unrichtigkeit geprüft werden kann und genießen einen grundrechtlichen Schutz. Tatsachenbehauptungen sind im Gegensatz hierzu objektiv überprüfbar und nicht grundrechtlich geschützt.16 Ratings als Aussagen zur Ausfallwahrscheinlichkeit stellen keine reinen Tatsachenbehauptungen dar, sondern beinhalten neben objektiven Komponenten, wie Jahresabschlüssen und statistischen Materialen, auch subjektiv wertende Elemente des jeweiligen Analysten.17 Eine Trennung der beiden Elemente auf inhaltlicher Ebene ist grds. nicht möglich, so dass es sich bei Ratings um Mischäußerungen handelt. Tatsachenbehauptungen der Ratingagentur können allenfalls darin liegen, dass sie ihren Sorgfaltspflichten hinsichtlich Objektivität und Neutralität in sachgerechter Form nachgekommen ist.18 Ratingagenturen verstehen ihre erstellten Ratings selbst als Meinungsäußerung zur Kreditwürdigkeit eines Schuldners und des Ausfallrisikos bei Kreditgewährung und nicht als eine Kauf- oder Verkaufsempfehlung für Anleger. Den Erklärungen der Ratingagenturen, dass es sich um reine Meinungen handeln würde, kommt lediglich indizierende Wirkung zu.19 Zur 12 13 14 15 16 17 18 19 Eggers, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Probleme, S. 9; Eisen, Haftung und Regulierung, S. 52 ff.; Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346. Däubler, BB 2003, 429 (430); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 97 f.; Everling/ Trieu, Handbuch Rating, S. 102; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth RIW 2009, 657 (658). Kritisch zur Notenskalierung Däubler, BB 2003, 429 (431); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 52 ff.; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth RIW 2009, 657 (658); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1346 f.) Eisen, Haftung und Regulierung, S. 53 f.; Herfurth, Regulierung unter Basel II, S. 55 ff. BGH, GRUR 1993, 409 (410); BGH, NJW 1992, 1314 (1315 f.); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 304 ff.; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 358; Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1349 f.). Kammergericht, WM 2006, 1432; Blaurock, ZGR 2007, 603 (627 f.; Eisen, Haftung und Regulierung, S. 304 ff.; Habersack, ZHR 2005, 185 (200 f.); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 358 ff.; Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346, (1350). Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 358 ff. Zu Ratings als „indirekte Kaufempfehlungen” unter §§ 34b, 34c WpHG siehe Blaurock, ZGR 2007, 603 (615); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 304 ff.; Eggers, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Probleme, S. 47; Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (743f.); Habersack, ZHR 2005, 185 (200); zu Methoden der Kreditrisikomessung siehe Herfurth, Regulierung unter Basel II, S. 59 ff.; Moody’s Deutschland GmbH, Rn. 19 f., http://v3.moodys.com/ researchdocumentcontentpage. aspx?docid=PBC_107463 (zuletzt abgerufen am 12.01.2011); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, 4 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Einordnung eines Ratings ist vielmehr entscheidend, wie der angesprochene Verkehrskreis das Rating versteht.20 Hierbei ist auf einen Durchschnittsadressaten abzustellen, welcher durchschnittlich informiert, aufmerksam und verständig ist. Die Adressaten der marktführenden Ratingagenturen sind sehr vielschichtig. Neben professionellen institutionellen Investoren, welche grds. über ein hohes Fachwissen verfügen, wird auch eine Vielzahl von Kleinanlegern mit regelmäßig geringem Fachverständnis angesprochen. Zur Bestimmung des Durchschnittsadressaten kann der Kleinanleger als maßgeblich erachtet werden, auch wenn er hinsichtlich des Handelsvolumens von untergeordneter Bedeutung ist. Umso deutlicher die Ratingagentur nach außen für eine Einordnung als Werturteil wirbt, desto eher kann auch der Durchschnittsadressat dieses erkennen. Ratingagenturen nutzen hierfür ihre AGB und Disclaimer. Am ehesten wird der Durchschnittsadressat ein Rating wohl als Mischäußerung werten, da auch allgemein bekannt ist, dass Ratings nicht bloße beliebige Meinungsäußerungen ohne Unterfütterung von Tatsachen darstellen.21 Aufgrund der Ähnlichkeit zu Warentests können die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsorgfaltsanforderungen aus Neutralität, Objektivität, Transparenz, Einhaltung von Branchenstandards und Sachkunde als Anhaltspunkt herangezogen werden.22 Eine vollständige Übernahme der Warentestrechtsprechung ist aber aufgrund ihrer Komplexität, BeBedeutung für die Gesamtwirtschaft und aufsichtsrechtlicher Relevanz nicht gangbar.23 III. Aufgaben und Nutzen Ratingagenturen werden häufig als „gate keeper“ der Finanzmärkte bezeichnet, da Emittenten faktisch nur durch ein Rating Zutritt zu den weltweiten Kapital- und Geldmärkten erlangen.24 Durch die Verwendung einer standardisierten Notenvergabe können Investoren die Bonität weltweit beurteilen. Nutzer von Ratings sind Emittenten, Anleihekäufer, institutionelle Anleger, Aktienkäufer und Wertpapierdienstleister.25 Die Bedeutung der Ratingagenturen stieg in den letzten Jahren in deutlichem Maße. Die globalen Finanzmärkte und die vielfältigen, immer komplexer werdenden Finanzinstrumente machen ein unabhängi- 20 21 22 23 24 25 S. 360 ff.; v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 24 ff.; Vetter, WM, 2004, 1701 (1702); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1349 f.). Vgl. BGH, NJW 1992, 1314 (1316). Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 360 ff.; Spindler, AG 2010, 601 (609 ff.); Vetter, WM, 2004, 1701 (1702); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1349 ff.). BGH, VersR 1997, 1501; BGH, VersR 1987, 783; BGH, VersR 1986, 368; Kammergericht, WM 2006, 1432 (1433); OLG Frankfurt a .M., NJW-RR 2002, 1697 (1698); Everling/ Trieu, Handbuch Rating, S. 106; Habersack, ZHR 2005, 185 (190 f.). Däubler, BB 2003, 429 (432 f.); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 362 ff. Blaurock, ZGR 2007, 603 (609); Däubler, BB 2003, 429; Deipenbrock, WM 2005, 261; Eisen, Haftung und Regulierung, S. 70 ff.; Haar, NZG 2010, 1281 (1283); Habersack, ZHR 2005, 185 (186); Kumpan, FS Hopt, S. 2159; Leyens, AnwBl 2010, 584 (587); Vetter, WM 2005, 1701 (1702); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (657 f.); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1347). Blaurock, ZGR 2007, 603 (608). 5 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen ges Expertenurteil mittels Rating notwendiger.26 Auch zeigt sich die Bedeutung von Ratings darin, dass institutionelle Anleger aufgrund ihrer Anlagerichtlinien und Statuten nur in Finanzinstrumente mit der Bewertung „investment grade“ investieren dürfen.27 Die asymmetrische Informationsverteilung zwischen Emittent und Investor ist eines der Kernprobleme auf den Finanzmärkten und führt ggf. zu Fehlinvestitionen.28 Der Preis für ein Gut kann durch fehlerhafte Informationen verfälscht werden. Hierbei hat der Verkäufer gegenüber dem Käufer i. d. R. einen Wissensvorsprung. Das Interesse an unabhängiger Information liegt bei Käufern als auch Verkäufern. Intermediäre, wie Ratingagenturen, leisten einen Beitrag zur Verringerung der Informationsasymmetrien. Die Findung eines fairen Preises für hochwertige als auch minderwertige Güter wird gefördert und gewährleistet im Ergebnis die Aufrechterhaltung eines funktionierenden Marktes. Hieran besteht auch ein öffentliches Interesse.29 Die Verbriefung von Produkten, wie bei ABS oder MBS, verstärkt durch deren innewohnende Komplexität und Abstraktheit die ungleiche Informationsverteilung. Eine eigenständige Bewertung durch Käufer ist i. d. R. kaum noch möglich, so dass dem Expertenurteil der Ratingagentur besonderes Vertrauen geschenkt wird.30 Die Bezahlung eines Ratings erfolgt grds. durch den Emittenten (sog. „Issuer pay-Modell“). Interessenkonflikte können aufgrund des wirtschaftlichen Interesses der Ratingagentur bzgl. zukünftiger Aufträge entstehen. Dies wird verstärkt, sofern die Ratingagentur im Vorfeld des Ratings Beratungsleistungen bei der Strukturierung des jeweiligen Finanzproduktes erbracht hat.31 Im Ergebnis sind Ratingagenturen als die zentralen Informationsintermediäre für die globalen Kapitalmärkte ein Mittel zur sinnvollen Vermögensverteilung und reduzieren durch die standardisierte Benotung die Transaktionskosten im Kapitalanlageprozess.32 Neben dem Abbau von Informationsasymmetrien kommt den Ratingagenturen auch die Rolle als Werbebot- 26 27 28 29 30 31 32 Blaurock, ZGR 2007, 603 (608 f.); Deipenbrock, WM 2005, 261; Herfurth, Regulierung unter Basel II, S. 57 ff.; Vetter, WM 2005, 1701. Blaurock, ZGR 2007, 603 (608 f.); Däubler, BB 2003, 429 (429 f.); Deipenbrock, WM 2005, 261; Eisen, Haftung und Regulierung, S. 70 ff.; Kumpan, FS Hopt, S. 2159 f.; Richter, WM 2008, 960; Vetter, WM 2005, 1701 (1702); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (658); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1347). Blaurock, ZGR 2007, 603 (608 f.); Kumpan, FS Hopt, S. 2159 f. Eisen, Haftung und Regulierung, S. 71 ff.; ausführlich zur Principal Agency Theorie und zum öffentlichen Interesse siehe Gerke/ Merx, FS Hopt, S. 1847; Horsch, Rating und Regulierung, S. 80 ff.; Kumpan, FS Hopt, S. 2159 f.; Mankiw/ Taylor, Volkswirtschaftslehre, S. 538 ff.; v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 17. Eisen, Haftung und Regulierung, S. 65 ff.; Herfurth, Regulierung unter Basel II, S. 65 ff.; Möllers, ZJS 2009, 227 (228 f.); Bankrechts-Handbuch/ Jahn, § 114 a Rn. 48; Vetter, WM 2005, 1701. Becker, DB 2010, 941 (942); Haar, NZG 2010, 1281 (1282). Eisen, Haftung und Regulierung, S. 70 ff.; zu Informationsasymmetrien und Transaktionskosten siehe Horsch, Rating und Regulierung, S. 100 ff.; Leyens, AnwBl 2010, 584 (587); Möllers, ZJS 2009, 227; Moody’s Deutschland GmbH, Rn. 13 ff., http://v3.moodys.com/ researchdocumentcontentpage.aspx?docid=PBC_107463 (zuletzt abgerufen am 12.01.2011). v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 18 f.; Vetter, WM 2004, 1701. 6 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen schafter zuteil. Emittenten guter Ratingergebnisse nutzen dies gezielt, um Nutzer von Ratings anzusprechen.33 IV. Ratingformen Im Regelfall beauftragt der Emittent die Ratingagentur zur Erstellung eines Ratings (sog. „solicited rating“) und schließt mit dieser einen verbindlichen Ratingvertrag ab.34 Die für das Rating benötigten Informationen erhält die Ratingagentur aus öffentlich zugänglichen Datenbanken und anhand interner Informationen vom Auftraggeber, welche von der Ratingagentur als vertraulich zu behandeln sind. Die Erkenntnisse aus der Basisanalyse werden mit dem Auftraggeber besprochen. Zusatzinformationen aus diesem Gespräch werden ebenfalls in den Prozess mit aufgenommen. Die Ratingnote wird auf Basis der Erkenntnisse durch einen Ausschuss der Ratingagentur festgesetzt, dessen Besetzung dem Auftraggeber unbekannt bleibt. Üblicherweise wird vor Veröffentlichung des Ratingergebnisses der Auftraggeber über das Rating informiert, damit ggf. noch zusätzliche Informationen beigebracht werden können.35 In der Praxis wird bei Erstratings die Veröffentlichung von der Zustimmung des Auftraggebers abhängig gemacht. Dieser hat in solchen Fällen die Möglichkeit, einer Veröffentlichung auch gänzlich zu versagen.36 Jedoch könnten Ratings auch die Publizitätspflicht des Auftraggebers auslösen. Eine Veröffentlichung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG (sog. „Ad-hocPublizität“) ist aufgrund der Auswirkungen auf den Marktpreis der Anleihe und den Aktienkurs regelmäßig unumgänglich. Sofern keine Befreiungsmöglichkeiten nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG vorliegen, ist das Widerrufsrecht gem. Ratingvertrag gegenstandslos. Eine Befreiung ist möglich, solange das Emittenteninteresse gegenüber dem üblichen Informationsbedürfnis des Kapitalmarkts überwiegt und keine Irreführung der Öffentlichkeit durch den Emittenten vorliegt.37 Der eigentliche, formale Ratingprozess ist durch Veröffentlichung der Ratingagentur beendet, fordert jedoch eine kontinuierliche Überwachung des Ratings.38 Die 33 34 35 36 37 38 Blaurock, ZGR 2007, 603 (608); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 71; Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (743); Möllers, ZJS, 2009, 227 (228); Richter, WM 2008, 960; v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 18. Blaurock, ZGR 2007, 603 (604); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 97 ff.; Vetter, WM 2004, 1701 (1702); v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 88. Blaurock, ZGR 2007, 603 (604 f.); Däubler, NJW 2003, 1096 (1097); Eggers, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Probleme, S. 31 f.; Eisen, Haftung und Regulierung, S. 97 ff.; Habersack, ZHR 2005, 185 (197 f.); Herfurth, Regulierung unter Basel II, S. 58 f.; Presbert/ Stengert, Kreditrating, S. 15 ff.; Vetter, WM 2004, 1701 (1702). Eggers, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Probleme, S. 32 f.; Eisen, Haftung und Regulierung, S. 97 ff.; Habersack, ZHR 2005, 185 (197 f.); Presbert/ Stengert, Kreditrating, S. 15 ff.; Vetter, WM 2004, 1701 (1702); v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 88. Eisen, Haftung und Regulierung, S. 115 ff.; Habersack, ZHR 2005, 185 (197 f.); zur Besserstellung hinsichtlich Informationen gegenüber anderen Analysten aufgrund der amerikanischen Fair Disclosure Regulierung siehe Richter, WM 2008, 960 (963); SZ-KMRK/ Zimmer/ Kruse, § 15 WpHG Rn. 6 ff. Eisen, Haftung und Regulierung, S. 104 ff. 7 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Erstellung bei einem Erstrating ist grds. darauf ausgerichtet, dass das Rating ex ante in einem Zeittraum von zwei bis drei Jahren keine Änderung erfährt.39 Die laufende Überwachung der veröffentlichten Ratings wird durch einen verantwortlichen Analysten vorgenommen und bindet einen Großteil der Zeit. Gründe für eine Neueinschätzung können veränderte Branchentrends, bedeutsame Einzelentscheidungen beim überwachten Unternehmen oder relevante Veränderungen aus dem vorgelegten Jahresabschluss bzw. der Quartalszahlen sein. Im Falle einer veränderten Bonitätseinschätzung wird ein Überprüfungsverfahren eingeleitet, welches dem o.g. Rating-Prozess entspricht.40 Der Vorwurf sorgfaltswidrigen Verhaltens in einer Nichtüberwachung und -anpassung durch die Ratingagenturen lag beispielsweise in jüngster Zeit im Fall der Lehman Brothers Holding Inc. sehr nahe. Die Bonität wurde von den drei großen Ratingagenturen bis zum Tag der Insolvenzanmeldung am 15.09.2008 mit „A“-Noten beurteilt. Anpassungen wurden in den Vormonaten nicht gemacht. Eine laufende Überwachung ist in diesem Falle mehr als fraglich. Anhaltspunkte aufgrund der sich deutlich veränderten wirtschaftlichen Unternehmensverhältnisse, die eine andere Beurteilung hervorgebracht hätte, müssten aber wie im Fall der Lehmann Brothers Holding Inc. berücksichtigt werden. Ein Untätigwerden stellt eine Sorgfaltsverletzung dar.41 Im Gegensatz zum beauftragten Rating verbindet den Emittenten und die Ratingagentur beim unbeantragten Rating (sog. „unsolicited rating“) kein Vertragsverhältnis. Die Ratingagentur erstellt ein Rating auf Eigeninitiative oder im Auftrag eines Dritten. Sie greift ausschließlich auf öffentlich zugängliche Informationen zurück.42 Das Wohlwollen der Ratingagenturen ist in besonderem Maße von Bedeutung.43 Ratings ohne Beauftragung durch den Emittenten bergen auch das Problem, dass die Güte der Informationen, die letztendlich für die Erstellung des Ratings zugrunde gelegt werden, nicht der eines beauftragten Ratings entspricht. Die Gefahr eines verzerrten Ratings und auch der Berücksichtigung eines systematischen Sicherheitsabschlags durch die Ratingagentur besteht bei „unsolicited ratings“ in besonderem Maße, da nur externe Informationen genutzt werden.44 Trotz dieser Bedenken könnte eine steigende Bedeutung von „unsolicited ratings“ die bisherigen Verhältnisse am Ratingmarkt zugunsten neuer Teilnehmer verbessern. Auch bergen „unsolicited ratings“ aufgrund fehlender Bezahlung durch den Emittenten grds. keine Gefahr durch Interessenkonflikte.45 39 40 41 42 43 44 45 Eisen, Haftung und Regulierung, S. 102; Voges/ Rehberg, WM 2004, 1605 (1605 f.). Eisen, Haftung und Regulierung, S. 104 ff. Richter, WM 2008, 960; v. Schweinitz, WM 2008, 953 (957); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (660 ff.). Blaurock, ZGR 2007, 603 (605 f.); v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 88. Eggers, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Probleme, S. 53 ff.; v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 88 ff.; Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1350 f.). Becker, DB 2010, 941 (942); Eggers, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Probleme, S. 53 ff; ); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 106 ff.; Habersack, ZHR 2005, 185 (198 f.); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 369 f.; v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 88 ff. Eisen, Haftung und Regulierung, S. 106 ff.; Habersack, ZHR 2005, 185 (198 f.); Möllers, ZJS 2009, 227 (231). 8 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen V. Regulatorisches Umfeld Die Entwicklung und die Forderung nach tiefgehender Regulierung der Ratingagenturen hat sich seit den Skandalen um Unternehmen wie Enron verstärkt. Neben Steuerungsmechanismen aufgrund vertraglicher Pflichten oder deliktischer Haftung stellen die aufgestellten regulatorischen Rahmenwerke spezielle Verhaltensstandards für die Erstellung von Ratings dar. Hierbei kann ein Trend hin zu Konkretisierung der Pflichten und weg von einer freiwilligen Selbstregulierung festgestellt werden.46 1. IOSCO-Kodex Die ersten Regulierungsversuche bestanden in der Veröffentlichung des „Statement of Principles Regarding the Acitivities of Credit Rating Agencies“ durch die internationale Vereinigung nationaler Börsenaufsichtsbehörden, der „International Organization of Securities Commissions“ (IOSCO) im Jahr 2003. Für Deutschland wirkte hierbei die „Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht“ (BaFin) mit. Der erste Verhaltenskodex (sog. „Code of Conduct Fundamentals for Credit Rating Agencies“ oder auch „IOSCO-Kodex“) wurde von der IOSCO im Dezember 2004 vorgelegt und 2008 aktualisiert. Der IOSCO-Kodex soll einen Rahmen für die Arbeit mit Ratings bieten. Primäres Anliegen ist die Verbesserung bzw. der Schutz der Kapitalanleger sowie die Schaffung eines effizienten, transparenten und stabilen Marktes. Die Ausgestaltung der Prinzipien ist allgemein gehalten und kann durch das hohe Abstraktionsniveau mit weiten Auslegungsspielräumen weltweit in unterschiedlichen Rechtssystemen eingesetzt werden. Der IOSCO-Kodex erhebt nicht den Anspruch einer Rechtsnorm, sondern lediglich eines Rahmenwerks mit unverbindlichem Charakter. Der nationale Gesetzgeber soll sich an dem Rahmen orientieren, kann aber je nach Notwendigkeit Anpassungen vornehmen.47 Die Einhaltung am europäischen Markt wird seit dem Jahr 2005 durch das „Committee of European Securities Regulators“ (CESR) beobachtet. Dem freiwilligen Überwachungssystem des CESR haben sich die drei marktführenden Ratingagenturen freiwillig unterworfen. International haben sich die führenden Ratingagenturen in ihren Verhaltensgrundsätzen eng an den IOSCO-Kodex angelehnt.48 Der IOSCO-Kodex fordert bei der Ratingerstellung Neutralität, Objektivität. Qualität und Integrität, dies soll durch den Einsatz systematischer Methoden und einer gewachsenen Datenbasis gewährleistet werden. Sowohl die Methoden als auch die Ratings selbst sollen 46 47 48 Habersack, ZHR 2005, 185 (189 ff.); v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 68 ff. Becker, DB 2010, 941 (942); Blaurock, ZGR 2007, 603 (638 f.); Deipenbrock, WM 2009, 1165 (1166); Deipenbrock, WM 2005, 261 (265 f.); Eisen, Haftung und Regulierung. S. 173 ff.; Everling/ Trieu, Handbuch Rating, S. 108; Horsch, Rating und Regulierung, S. 354 ff.; Kumpan FS Hopt, S. 2163 f.; Kruse, Rechtsfragen im Rating, S. 5 ff.; Leker/ Botterweck, Handbuch Rating, S. 593 ff.; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth RIW 2009, 657 (658); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1353). Deipenbrock, WM 2009, 1165 (1165 ff.); Deipenbrock, WM 2007, 2217; Eisen, Haftung und Regulierung. S. 175 f.; Handbuch-Rating/ Everling/ Trieu, S. 107 f.; Leker/ Botterweck, Handbuch Rating, S. 593 ff.; Horsch, Rating und Regulierung, S. 360 ff.; Kruse, Rechtsfragen im Rating, S. 10 ff.; Moody’s Deutschland GmbH, Rn. 29 ff., http://v3.moodys.com/researchdocumentcontentpage.aspx?docid=PBC_107463 (zuletzt abgerufen am 12.01.2011); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth RIW 2009, 657 (658). 9 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen gem. dem IOSCO-Kodex fortlaufend überprüft werden. Sofern nicht ausreichend Datenhistorie für eine Art von Kreditstruktur besteht, ist von einer Veröffentlichung abzusehen.49 Wirtschaftliche Interessen dürfen den Ratingprozess nicht verfälschen, so dass die Agenturen, sobald sie mehr als 10 % ihrer Jahreserträge mit einem Unternehmen erzielen, dies mitzuteilen haben. Der Begriff „Unternehmen“ umfasst hierbei neben dem Emittenten auch andere Kapitalmarktteilnehmer, wie beispielsweise Abonnenten.50 Zur weiteren Vermeidung von Interessenkonflikten soll auch von einer beratenden Rolle bei der Entwicklung von strukturierten Finanzprodukten wie beispielsweise von ABS und eines späteren Ratings der Produkte Abstand genommen werden.51 Für strukturierte Finanzprodukte sieht der IOSCOKodex eine erhöhte Informationspflicht seitens der Ratingagenturen vor. Zur Schaffung von Transparenz sind die zugrunde liegenden Annahmen und Berechnungsmodelle insbesondere Verlustannahmen und die Cash-Flow-Analyse zu veröffentlichen, so dass der Leser sich ein eigenständiges Bild machen kann. Bedeutung erhalten die Berechnungsmodelle, da bei verbrieften Produkten regelmäßig bereits geringe Abweichungen die Kernaussagen zur Qualität der Produkte massiv verändern. Zur Betonung dieser Eigenheiten wird im IOSCO-Kodex ein Ratingzusatz vorgeschlagen. Einer Verwechslung mit einem traditionellen Rating, wie für eine Unternehmensanleihe, kann so vorgebeugt werden.52 2. Credit Rating Agency Reform Act 2006 Die Verabschiedung des „Credit Rating Agency Reform Act“ (CRA Reform Act) vom 29.09.2006 ergänzt als Antwort auf Finanzskandale wie Enron und Worldcom den ursprünglich im Jahr 1934 in Kraft getretenen „Securities Exchange Act“. Es beschreibt das Verfahren der Registrierung für „Nationally Recognized Statistical Rating Organizations“ (NRSRO) durch die US-Börsenaufsicht, die US Securities and Exchange Commission (SEC). Bis dahin war das Anerkennungsverfahren zur NRSRO (sog. „no-action letter process“) eher informeller Natur. Durch den CRA Reform Act 2006 wurden Hürden bzgl. der Akkreditierung als NRSRO geschaffen. Ziel war hierbei die Verbesserung der Ratingqualität zum Schutze der Anleger und dem öffentlichen Interesse durch Reduzierung von Markteintrittsbarrieren zur Förderung des Wettbewerbs und der Erhöhung der Transparenz.53 49 50 51 52 53 Deipenbrock, WM 2005, 261 (265); Kruse, Rechtsfragen im Rating, S. 7 ff.; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth RIW 2009, 657 (658). IOSCO, Rn. 2.8b, http://www.iosco.org/library/pubdocs/pdf/IOSCOPD271.pdf (zuletzt abgerufen am 14.03.2011); Möllers, ZJS 2009, 227, 230. Deipenbrock, WM 2009, 1165 (1166); IOSCO, Rn. 2.8a, http://www.iosco.org/library/pubdocs/pdf/IOSCOPD271.pdf (zuletzt abgerufen am 14.03.2011; Leyens, AnwBl 2010, 584 (587). IOSCO, Rn. 3.5, http://www.iosco.org/library/pubdocs/pdf/IOSCOPD271.pdf (zuletzt abgerufen am 14.03.2011); Möllers, ZJS 2009, 227, 231 f. Blaurock, ZGR 2007, 603 (616 f.); Deipenbrock, WM 2007, 2217 (2218 f.); Deipenbrock, WM 2005, 261 (263 f.); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 168 ff.; Everling/ Trieu, Handbuch Rating, S. 107 ff.; Horsch, Rating und Regulierung, S. 330 f.; v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 68 ff.; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth RIW 2009, 657 (658 f.). 10 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Zudem wurde erstmalig die Definition von Ratingagenturen, Ratings und NRSRO legislativ bestimmt. Ein Rating wird als Bewertung der Kreditwürdigkeit eines Schuldners bzw. Emittenten definiert. Ratingagenturen werden als Person verstanden, die Ratings veröffentlichen, diese auf qualitative und quantitative Modelle aufbauen und für die Erstellung ein Entgelt erhalten. Die Mindestanforderungen an eine Ratingagentur, um als NRSRO klassifiziert zu werden, sind eine mindestens drei aufeinanderfolgende Jahre dauernde Tätigkeit als Erstellerin von Ratings, eine erfolgreiche Zulassung durch die SEC sowie die Akzeptanz durch qualifizierte institutionelle Kapitalmarktteilnehmer. Durch die Einfügung der Bestätigung durch qualifizierte Anleger wird das Erreichen des Status einer NRSRO erleichtert, da zuvor eine landesweite Akzeptanz für den Markteintritt eine bedeutende Hürde darstellte.54 Der Antrag auf Zulassung muss zudem den Ablauf der verwendeten Ratingmethoden, die Organisationsstrukturen und etwaig bestehende Interessenkonflikte der SEC detailliert darstellen. Hierfür sind die 20 größten Emittenten und Abonnenten betragsmäßig für das Jahr des Antrags offenzulegen.55 Zur weiteren Reduzierung von Interessenkonflikten fordert die SEC seit 2009, dass die Einnahmen einer NRSRO nicht 10 % pro Kunde übersteigen dürfen. Der SEC wurden durch den CRA Reform Act 2006 weitreichende Aufsichtsbefugnisse zugestanden. Neben einer möglichen kurzfristigen Suspendierung der Ratingagentur aufgrund von Verhaltensverstößen kann sie dieser auch die Anerkennung widerrufen.56 Als Konsequenz aus der Finanzmarktkrise wurde im Zuge der US-Finanzreform im Jahr 2010 der „Dodd-Frank Wall Street and Consumer Protection Act“ verabschiedet. Ratingagenturen können nunmehr unmittelbar bei Veröffentlichung eines Ratings im Prospekt von ABS-Produkten haftbar gemacht werden. Haftungsfreizeichnungsklauseln können nicht entgegengehalten werden. Mittlerweile hat die verschärfte Haftung zu einer feststellbaren Zurückhaltung bzw. Weigerung der Ratingagenturen hinsichtlich einer Publikation der Ratings in Prospekten geführt.57 3. Basel II Das Konzept staatlich anerkannter Ratingagenturen findet sich in der Umsetzung der RL 2006/48/EG und RL 2006/49/EG (sog. „Basel-II-Vorschriften“) wieder und hat die Bedeutung der Ratingagenturen weiter erhöht. Banken müssen gem. der Basel-II-Vorschriften ihre Aktiva entsprechend des bewerteten Risikos mit haftendem Eigenkapital unterlegen. Zur Ermittlung des Eigenkapitals dürfen sie sich interner und externer Ratings bedienen.58 Interne Verfahren haben gemein, dass der Aufwand zur Implementierung und Durchführung 54 55 56 57 58 Deipenbrock, WM 2007, 2217 (2219 ff.). Eisen, Haftung und Regulierung, S. 168 ff. Blaurock, ZGR 2007, 603 (617); Deipenbrock, WM 2007, 2217 (2219 ff.); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 168 ff.; Everling/ Trieu, Handbuch Rating, S. 110; v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 68 ff. Kumpan FS Hopt, S. 2164; Möllers, ZJS 2009, 227 (229 ff.). Bremer, NZG 2011, 100; Haar, NZG 2010, 1281 (1284); Spindler/ Brandt/ Raapke, RIW 2010, 746. Becker, DB 2010, 941 (943); Cluse/ Göttgens, Handbuch Rating, S. 71 ff.; Deipenbrock, WM 2007, 2217; Eggers, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Probleme, S. 19 ff.; Eisen, Haftung und Regulierung, S. 74 ff.; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth RIW 2009, 657 (659). 11 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen dieser Prozesse sehr kostenintensiv ist. Externe Ratings sind dagegen schnell verfügbar und regelmäßig kostengünstiger.59 Durch Basel II wurde somit faktisch den Ratingagenturen die Aufsicht übertragen.60 Die nationale Umsetzung fand in Deutschland auf Grundlage des seinerzeit neu gefassten § 10 Abs. 1 Satz 9 KWG statt.61 Die hierauf erlassenen §§ 52 ff. SolvV regeln die Voraussetzungen und Folgen der Zulassung von Ratingagenturen. Berücksichtigung haben hier auch die Leitlinien des „Committee of European Banking Supervisiors“ (CEBS) gefunden, da § 52 SolvV für das Anerkennungsverfahren auf die CEBS-Leitlinien verweist. Als Anforderung sieht der Gesetzgeber vor, dass die Ratings von anerkannten Ratingagenturen stammen und schafft somit den Rahmen des Anerkennungsverfahrens.62 Die konkrete Ausfüllung mit detaillierten Empfehlungen ist den CEBS-Leitlinien überlassen. Zugleich schlagen die CEBSLeitlinien eine Brücke zum IOSCO-Kodex, da die Umsetzung des IOSCO-Kodex im Anerkennungsverfahren positiv berücksichtigt wird.63 Für eine Anerkennung wird von Ratingagenturen Objektivität, Transparenz, Unabhängigkeit, Offenlegung der Methoden und Verlässlichkeit der Aussagen bei der Erstellung von Ratings gefordert. Auch ist die Ratingagentur verpflichtet, bei signifikant bonitätsbeeinflussenden Ereignissen mindestens jährlich die Bonität des Emittenten auf Aktualität zu überprüfen.64 Hervorzuheben ist die Tatsache, dass die Verlässlichkeit maßgeblich über den Track Record bestimmt wird und somit ein Markteintritt für Wettbewerber nicht erleichtert wird.65 Die Europäische Kommission erachtete die Basel-II-Vorschriften in Kombination mit dem IOSCO-Kodex zur Gewährleistung brauchbarer Ratings als ausreichend und verzichtete auf eine legislative Regelung und Überwachung des Ratingwesens. Sie vertraute stattdessen auf eine Selbstregierung des Marktes.66 4. Rating-Verordnung Die europäische Kommission hat in Konsequenz aus der Finanzmarktkrise eine Selbstregulierung der Märkte mit der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 (sog. „Rating-VO“) aufgegeben. Die Regulierung und die laufende Überwachung von Ratingagenturen ist nunmehr legislativ 59 60 61 62 63 64 65 66 Becker, DB 2010, 941 (943). Spindler, AG 2010, 601 (609). Blaurock, ZGR 2007, 603 (620); BFS-KWG/ Boos, § 10 KWG Rn. 27; Eisen, Haftung und Regulierung, S. 74 ff. Becker, DB 2010, 941 (943); Blaurock, ZGR 2007, 603 (620 ff.); BFS-KWG/ Dürselen, § 52 SolvV Rn. 6 ff.; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth RIW 2009, 657 (659). Deipenbrock, WM 2007, 2217 (2217 f.); Deipenbrock, WM 2006, 2237 (2237 ff.). Deipenbrock, WM 2006, 2237 (2240 ff.); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth RIW 2009, 657 (659). Deipenbrock, WM 2006, 2237 (2241). Becker, DB 2010, 941 (943); Becker-Melching, WM 2006, 936; Deipenbrock, WM 2007, 2217 (2217 f.); Deipenbrock, WM 2006, 2237; Spindler, AG 2010, 601 (609); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth RIW 2009, 657 (659). 12 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen geregelt und zeigt einen bedeutsamen Schritt hin zur Entwicklung internationaler Governance-Strukturen.67 Zur Stärkung der Unabhängigkeit und Qualität der Ratings gibt die Rating-VO Mindeststandards an die Erstellung von Ratings vor und unterwirft die Ratingagenturen zukünftig einer Registrierungspflicht bei der CESR. Gem. Art. 2 Abs. 1 Rating-VO werden Ratings erfasst, die von in der europäischen Gemeinschaft registrierten Ratingagenturen erstellt wurden, und dort auch bekannt gegeben werden. Art. 3 Rating-VO definiert erstmalig Begriffsbestimmungen vom europäischen Gesetzgeber. Ein Rating ist hiernach ein Bonitätsurteil nach einem etablierten und genau geregelten Einstufungsverfahren.68 Artikel 6 Rating-VO soll die unabhängige Erstellung durch die Agenturen sicherstellen. Im Gegensatz zu dem allgemein gehaltenen IOSCO-Kodex nennt die Verordnung konkrete einleitende Maßnahmen und verdeutlicht die Abkehr der europäischen Kommission vom Gedanken der Selbstregulierung. Interessenkonflikte sollen durch die Festlegung von einzuhaltenden organisatorischen sowie operationellen Anforderungen vermieden werden. In der Organisation müssen demnach genügend Kontrollmechanismen verankert sein. Um der Forderung nach Unabhängigkeit nachzukommen, müssen die Kontrollorgane über ein gewisses Maß an fachlicher Kompetenz verfügen. Die Qualität der Arbeitsergebnisse muss durch Prüfstellen hinsichtlich der verwendeten Methoden, Modelle und Annahmen sichergestellt werden.69 In operationeller Hinsicht muss zur Vermeidung von Interessenkonflikten offen gelegt werden, welche Unternehmen bewertet wurden, die gleichzeitig im Jahr zuvor mehr als 5 % der Jahreseinnahmen der Ratingagentur ausgemacht haben. Bei Interessenkonflikten aller Art ist dies von der Agentur anzuzeigen oder ggf. das Rating in der Erstellung bereits abzulehnen. Ferner sollen Beratungsleistungen von der Ratingerstellung getrennt erfolgen. Im Ergebnis dürfen die Agenturen kein Unternehmen bewerten, wenn es durch sie bereits beraten wird. Die Methoden und Bewertungsmodelle sind nach Art. 8 Rating-VO offen zu legen. Weitere Offenlegungspflichten sind in Art. 11 f. Rating-VO zu finden.70 Der deutsche Gesetzgeber setzte die Verordnung am 14.06.2010 durch das Ausführungsgesetz zur Rating-VO um. Dies hatte im Wesentlichen die Neueinführung des § 17 WpHG zur Folge. Sollte sich eine Ratingagentur der Verordnung widersetzen, droht gem. § 39 Abs. 2b, 3a, 4 WpHG die Sanktionierung durch Bußgelder. Ab 01.01.2011 übernimmt die „European Securities and Markets Authority“ (ESMA) die aufsichtsrechtlichen Befugnisse. Die laufende Überwachung der Ratingagenturen wird einer Prüfung durch einen Wirtschaftsprüfer unter- 67 68 69 70 Becker, DB 2010, 941; zur bisherigen Haltung der Europäischen Kommission siehe Deipenbrock, WM 2009, 1165; Deipenbrock, WM 2007, 2217 (2218); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 176 f.; Möllers, ZJS 2009, 227 (229); Spindler, AG 2010, 601, (609). Becker, DB 2010, 941 (943 f.); Spindler, AG 2010, 601 (609). Becker, DB 2010, 941 (943 f.). Becker, DB 2010, 941 (943 f.); Kumpan, FS Hopt, S. 2166; ursprünglich war für die 5 % Grenze bzgl. Einnahmen ein Verbot geplant und nach Protesten in eine Informationspflicht gemildert, vgl. Möllers, ZJS 2009, 227 (230); Spindler, AG 2010, 601 (609 f.). 13 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen zogen. Das Ergebnis wird an die BaFin weitergeleitet. Die CESR steht den nationalen Behörden bei der Überprüfung beratend zur Seite.71 Die Europäische Kommission hat Ende 2010 eine Konsultation bezüglich Ratingagenturen eingeleitet. Zentrale Fragen sind Modelle der Bezahlweise von Ratings, die Schaffung eines zivilrechtlichen Haftungsregimes, die Belebung des Wettbewerbs und eine Verbesserung der Transparenz.72 71 72 Becker, DB 2010, 941 (944 f.); Spindler, AG 2010, 601 (610). Bremer, NZG 2011, 100; Europäische Kommission, http://ec.europa.eu/internal_market/ consultations/docs/2010/cra/cpaper_en.pdf (zuletzt abgerufen am 03.03.2011). 14 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen C. Haftung I. Prozessuale Haftungsvoraussetzungen Durch die Internationalität des Ratinggeschäfts gilt es im Vorfeld zu klären, ob deutsche Emittenten und Anleger auch deutsches Recht zur Begründung ihrer Ansprüche anwenden können. Des Weiteren soll beurteilt werden, welche Gerichtsstände einschlägig sein können. Gerade für in Deutschland geschädigte Anleger könnte nämlich ein beispielweise amerikanischer Gerichtsstand eher ein Hemmnis darstellen.73 1. Anwendbares Recht Schließen eine ausländische Ratingagentur und ein deutscher Emittent einen Ratingvertrag, so kann das anwendbare Recht von den Vertragsparteien gem. Art. 3 ROM I-VO vertraglich frei geregelt werden. Die gewählte Rechtsordnung muss hierbei keine Beziehung zu den Vertragsparteien aufweisen. US-Recht kommt üblicherweise in den Ratingverträgen der amerikanischen Ratingagenturen zur Anwendung. Bei Verträgen mit deutschen Emittenten ist aber auch die Tendenz der Wahl von deutschem Recht festzustellen.74 Fehlt im Vertrag eine Gerichtsstandsklausel, so bestimmt sich bei deutschen Emittenten das anwendbare Recht nach Art. 4 ROM I-VO. Ratingverträge stellen Dienstleistungsverträge nach Art. 4 Abs. 1 lit. b ROM-I-VO dar, da der Dienstleistungsbegriff alle tätigkeitsbezogenen Leistungen wie Dienst-, Werk- oder Geschäftsbesorgungsverträge umfasst. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist gem. Art 4 Abs. 2 lit. b ROM-I-VO der gewöhnliche Aufenthaltsort der Ratingagentur.75 Der gewöhnliche Aufenthaltsort ist in Art. 19 ROM I-VO beschrieben. Für juristische Personen ist primäres Kriterium zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts der Ort der Hauptverwaltung oder auch der Ort der Niederlassung. Der Satzungssitz ist zentraler Anknüpfungspunkt. Nach Art. 19 Abs. 2 ROM I-VO kommt dem gewöhnlichen Aufenthalt der Ort der Niederlassung gleich, an dem der Vertrag geschlossen oder erfüllt wird. 76 Regelmäßig werden die Verträge am Sitz der deutschen Tochtergesellschaften der Ratingagenturen geschlossen und von dort auch die Ratingleistungen erbracht. Im Ergebnis findet deutsches Recht bei Vertragsschluss mit einem deutschen Emittenten Anwendung.77 Sofern es sich nicht um einen Abonnentenvertrag handelt, besteht zwischen Anlegern und Ratingagentur grds. kein Vertragsverhältnis. Der Kontakt mit einem Rating kann nach der Publikation durch zugängliche Tages-/ Wirtschaftszeitungen oder durch die Bank während 73 74 75 76 77 Eisen, Haftung und Regulierung, S. 180 ff.; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (661). Eisen, Haftung und Regulierung, S. 180 ff.; juris-PK/ Ringe, Art. 3 ROM I-VO Rn.1 ff.; Palandt/ Thorn, Art. 3 ROM I-VO Rn. 4 ff. Eisen, Haftung und Regulierung, S. 180 ff.; juris-PK/ Ringe, Art. 4 ROM I-VO Rn. 19 ff.; Palandt/ Thorn, Art. 4 ROM I-VO Rn. 9 f. juris-PK/ Ringe, Art. 19 ROM I-VO Rn. 6 ff.; MüKo-BGB/ Martiny, Art. 19 ROM I-VO Rn. 1 ff.; Palandt/ Thorn, Art. 19 ROM I-VO Rn. 2 ff. Eisen, Haftung und Regulierung, S. 180 ff.; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 365; v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 149 f.; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (662 f.). 15 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen der Anlageberatung erfolgen. Etwaige Ansprüche aus dem Institut des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter werden nicht von der Rechtswahl der Vertragspartner berührt. Die Ansprüche liegen zwischen vertraglichen und deliktischen Haftungsansprüchen. Überwiegend wird angenommen, dass es sich bei der kollisionsrechtlichen Beantwortung um außervertragliche, deliktische Ansprüche handelt. Eine Anknüpfung an die Rechtswahl gem. Ratingvertrag führt zu keinem sachgerechten Ergebnis, da Dritte grds. von der Vertragsgestaltung ausgenommen sind und auf das Ergebnis aus dem Vertrag vertrauen. Die beiden Parteien, Emittent und Ratingagentur, könnten bei Anknüpfung an den Ratingvertrag die Rechtsstellung von Dritten in ihrem Sinne beeinflussen. Der Schutzzweck wäre somit ausgehöhlt.78 Die ROM II-VO umfasst alle außervertraglichen Schuldverhältnisse, die gem. Art. 1 Abs. 1 S. 1 eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen. Die ROM II-VO umfasst nicht nur den europäischen Binnenmarkt, sondern regelt auch das anwendbare Recht zwischen Deutschland und den USA. Die Grundregel zur Bestimmung des anwendbaren Rechts aus unerlaubten Handlungen (sog. „Grundanknüpfung“) findet sich in Art. 4 ROM II-VO und gilt für alle Fälle, die nicht in die Spezialfälle der Art. 5 bis 9 ROM II-VO fallen.79 Entgegen des früher geltenden Art. 40 EGBGB findet sich in Art. 4 ROM II-VO kein Wahlrecht des Geschädigten aus unerlaubten Handlungen (sog. „Günstigkeitsprinzip“). Soweit keine vorrangigen staatsvertraglichen Kollisionsnormen gem. Art. 28 ROM II-VO oder Spezialnormen bestehen, ist gem. Art 4 Abs. 1 ROM II-VO das Recht desjenigen Staates anzuwenden, in dem der Schaden eingetreten ist oder einzutreten droht (sog. „lex loci damni“). Art. 4 Abs. 1 ROM II-VO knüpft die rechtlichen Beziehungen der Beteiligten an den Tatort an. Weder Handlungsort, noch der Ort des Eintritts von indirekten Schäden sind hierbei relevant. Im Ergebnis entspricht dies der Anknüpfung an den Erfolgsort. Den Interessen des Geschädigten wird so in besonderer Weise Rechnung getragen. Dem Schädiger kann hiernach zugemutet werden, dass er sich über das Recht des Staats informiert, in dem der Schaden eintritt. Sein Verhalten hat er den dort maßgeblichen Maßstäben anzupassen. Bei Unterlassungsdelikten liegt der Erfolgsort dort wo das Rechtsgut verletzt wurde. Im Ergebnis kommt der Geschädigte trotz Wegfalls des Wahlrechts aus Art. 40 EGBGB und dem Paradigmenwechsel einer Handlungs- zur Erfolgsortanknüpfung zu dem gleichen Ergebnis wie vor der Verordnung.80 Deutsches Recht findet Anwendung sofern der Schadensort Deutschland ist.81 78 79 80 81 Eisen, Haftung und Regulierung, S. 341 f.; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (662 f.). jurisPK-BGB/ Wurmnest, Art. 1 ROM II-VO Rn. 23 ff. jurisPK-BGB/ Wurmnest, Art. 4 ROM II-VO Rn. 1 f. sowie Art. 40 EGBGB Rn. 3 ff.; MüKo-BGB/ Junker, Vor. Art. 4 ROM II-VO Rn. 1 ff.; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (663). Däubler, NJW 2003, 1096 (1097); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (663). 16 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen 2. Gerichtsstand Relevant ist die Frage nach dem jeweiligen Gerichtsstand, wenn nicht mit einer deutschen Tochtergesellschaft der Ratingagentur ein Ratingvertrag geschlossen wurde. Die Vertragsparteien sind in der Wahl der gerichtlichen Zuständigkeit gem. §§ 38 Abs. 2, 40 ZPO frei. Wird ein deutsches Gericht vereinbart, so können als wirksame Gerichtsstände gem. § 38 Abs. 2 Satz 3 ZPO der allgemeine und die besonderen Gerichtsstände gewählt werden. Bei Wahl eines ausländischen Gerichts richtet sich die Wirksamkeit nach dem jeweiligen ausländischen Recht.82 Fehlt es an einer Parteivereinbarung, hängt das zuständige Gericht vom Sitz der Ratingagentur ab. Diese kann selbst oder mittels ihrer Tochterunternehmen gehandelt haben. So kann nach dem ursprünglichen Sitz, welcher insbesondere bei S&P und Moody’s in den USA liegt, und dem Ort der Niederlassung der Tochter unterschieden werden. Die drei führenden Ratingagenturen haben alle rechtlich selbständige deutsche Tochterunternehmen in der Rechtsform einer GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main.83 Der allgemeine Gerichtsstand nach § 17 ZPO kommt in Betracht, sofern die deutsche Tochter gehandelt hat. Bei Handlungen der Mutter kann diese an ihrem Sitz verklagt werden.84 Bei S&P und Moody`s ist dies nach § 17 ZPO in den USA und ist für die Haftungsdurchsetzung regelmäßig kontraproduktiv, da viele Anleger von einem Schritt in die USA absehen.85 Ein deutscher Gerichtsstand könnte aber auch begründet werden, wenn einer der besonderen Gerichtsstände einschlägig wäre. Hier kommen die besonderen Gerichtsstände nach §§ 21, 23 und 32 ZPO in Frage. Zwischen den besonderen Gerichtsständen kann der Kläger den für sich günstigsten wählen.86 Der besondere Gerichtsstand nach § 21 ZPO erfasst alle Ansprüche, die im Zusammenhang mit der gewerblichen Niederlassung in Deutschland stehen. Die Tochtergesellschaften der ausländischen Ratingagenturen stellen Niederlassungen i. S. d. § 21 ZPO dar, da sie im Namen bzw. auf Rechnung des ausländischen Mutterunternehmens auf Dauer eingerichtete Geschäfte betreiben. Die Klage muss mit dem Geschäftsbetrieb der Niederlassung in Verbindung stehen.87 Bei den führenden Ratingagenturen werden die Geschäfte mit deutschen Emittenten grds. von den Tochterunternehmen angebahnt und auch ausgeführt, so dass Klagen aus einem erstellten Rating mit dem Geschäftsbetrieb in Zusammenhang stehen. Bei Ratings der amerikanischen Mutter ist § 21 ZPO zur Begründung eines deutschen Gerichtsstands nicht geeignet. Ausnahme könnte hier nur ein Unterlassen der laufenden Überwachung durch eine deutsche Niederlassung sein.88 82 83 84 85 86 87 88 Baumbach/ Hartmann, § 38 Rn. 2ff.; Eisen, Haftung und Regulierung, S. 211 f. Eisen, Haftung und Regulierung, S. 85 ff.; Everling/ Trieu, Handbuch Rating, S. 98; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (661); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1347). Baumbach/ Hartmann, § 17 Rn. 1ff.; MüKo-ZPO/ Patzina, § 17 Rn. 9 f. Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (662). Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (662). Baumbach/ Hartmann § 21 Rn. 2 ff.; MüKo-ZPO/ Patzina § 21 Rn. 2 ff. Eisen, Haftung und Regulierung, S. 211 ff.; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (662). 17 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Der besondere Gerichtsstand des § 23 ZPO (sog. „Vermögensgerichtsstand“) könnte bei Klagen aufgrund vermögensrechtlicher Ansprüche gegen eine Person ohne Inlandssitz Anwendung finden. § 23 ZPO knüpft zur Rechtsverfolgung im Inland den Gerichtsstand an ein im Inland belegtes Vermögen oder ein im Inland befindliches Streitobjekt an. Die Norm gilt nicht nur für die örtliche Zuständigkeit, sondern betrifft auch internationale Streitigkeiten und gilt somit für In- wie Ausländer in gleichem Maße. Gegenüber juristischen Personen ist § 23 ZPO ebenfalls anwendbar. Kläger können unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit auch juristische Personen sein. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist ein nötiger Inlandsbezug. Dieser ist bereits erfüllt, sofern der Kläger seinen Wohnsitz in Deutschland hat. Ein hinreichender Inlandsbezug kann auch bestätigt werden, wenn der Beklagte aktiv in Deutschland am Geschäftsleben mitwirkt. Örtlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk sich nach Behauptung des Klägers das Vermögen der Beklagten befindet. Vermögen stellt jeden geldwerten Gegenstand mit Verkehrswert dar. Es ist nicht relevant, ob es sich um eine Sache oder Recht handelt. Die Geschäftsanteile befinden sich sowohl am Sitz der Gesellschaft nach § 17 ZPO als auch am Wohnsitz des Gesellschafters nach § 13 ZPO.89 Dies ist bei den führenden Ratingagenturen erfüllt und bietet somit die Möglichkeit der Geltendmachung rechtlicher Haftungsansprüche bei deutschen Gerichten.90 Ein weiterer besonderer Gerichtsstand könnte dem Kläger aus § 32 ZPO zustehen. Dieser regelt die Zuständigkeit bei Klagen aus unerlaubten Handlungen (sog. „Deliktsgerichtsstand“). Zur Begründung des Deliktgerichtsstands genügt die schlüssige Tatsachenbehauptung, aus der sich ein deliktischer Anspruch ergeben kann. Begehungsort der deliktischen Handlung kann sowohl Handlungs- als auch Erfolgsort sein, je nachdem wo die Handlung begangen worden ist oder das geschützte Rechtsgut verletzt worden ist. Eine Zuständigkeit des Gerichts ist somit wahlweise begründbar.91 Bei amerikanischen Agenturen mit Sitz in den USA wird dies auch der Ort der Handlung sein, sofern es sich nicht um eine Rechtsgutsverletzung in Deutschland handelt.92 Für europäische Agenturen wie Fitch ist die EuGVVO heranzuziehen und steht den nationalen Bestimmungen vor. Der o.g. Vermögensgerichtsstand scheidet aufgrund Fehlens in der Verordnung aus. Es bietet sich neben dem allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten der Gerichtsstand des Schadensorts an. Gem. Art 5 Ziff. 3 EuGVVO wird eine Wahlmöglichkeit bei Ansprüchen aus unerlaubten Handlungen vorgesehen. Bei Schadenseintritt in Deutschland wäre dieser Gerichtsstand ebenfalls geeignet.93 89 90 91 92 93 Baumbach/ Hartmann, § 23 Rn. 3 ff.; MüKo-ZPO/ Patzina, § 23 Rn. 1, 13 ff. Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (662). BGH, WM 2010, 928 (928 ff.); OLG Nürnberg, WM 2010, 2118. Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (662). Eisen, Haftung und Regulierung, S. 214; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (662). 18 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen II. Haftung gegenüber dem Emittenten Zur Beantwortung der Frage, ob der Emittent gegen die Ratingagentur aus ungerechtfertigt schlechtem Rating vorgehen kann, ist zwischen vertraglichen und außervertraglichen Ansprüchen zu unterscheiden. Bei „solicited ratings“ stehen vertragliche Ansprüche im Vordergrund, wohingegen beim „unsolicited rating“ allein außervertragliche Haftungsansprüche bestehen.94 1. Rechtsverhältnis zwischen Emittent und Ratingagentur Ein „solicited rating“ kennzeichnet sich durch eine Beauftragung durch den Emittenten aus. Dieser schließt mit einer Ratingagentur seiner Wahl einen Ratingvertrag zur Beurteilung der eigenen Kreditwürdigkeit ab. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Emittenten und der Ratingagentur stellt - sofern deutsches Recht vereinbart wurde - einen Werkvertrag i. S. d. § 631 BGB dar.95 Ziel des Vertrags ist nicht nur das Bemühen einer Analyse des Emittenten, sondern vielmehr die erfolgreiche Erstellung eines Ratings.96 Der spätere Zweck (die Veröffentlichung) ist der Ratingagentur bereits anfänglich bekannt. Die Fälligkeit der Vergütung ist bei Werkverträgen gem. § 640 BGB bei Abnahme fällig. Als geistiges Werk ist das Rating abnahmefähig und wird üblicherweise durch das abschließende Ratinggespräch vom Auftraggeber ausdrücklich oder konkludent durch Bezahlung abgenommen. Die Billigung des Ratings als vertragsgemäß ist hierbei bereits ausreichend und bezieht sich nicht auf eine positive Beurteilung des Emittenten. Das Prinzip der Unabhängigkeit in der Erstellung bleibt somit grds. gewahrt.97 Ratings weisen in ihrem Wesen zudem Ähnlichkeit zu Gutachten auf, die ebenfalls Werke i. S. d. § 631 BGB darstellen.98 Für die Einordnung des Ratingvertrags als ein Auftragsverhältnis gem. § 662 BGB müsste die Ratingleistung unentgeltlich erfolgen.99 Gegen die Klassifizierung als Dienstvertrag spricht die dargestellte Erfolgsbezogenheit.100 Die werkvertragliche Beziehung zwischen Emittent und Ratingagentur folgt den werkvertraglichen Bestimmungen gem. §§ 631 ff. BGB.101 94 95 96 97 98 99 100 101 Lemke, Handbuch Rating, S. 614. Habersack, ZHR 2005, 185 (202 f.); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 365 f.; Vetter, WM 2004, 1701 (1705); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1349); a. A. v. Schweinitz, WM 2008, 953 (956); v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 155 f. Lemke, Handbuch Rating, S. 614; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 365; Vetter, WM 2004, 1701 (1705); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1349). Zum Geschäftsmodell siehe Moody’s Deutschland GmbH, Rn. 13 ff., http://v3.moodys.com/ researchdocumentcontentpage.aspx?docid=PBC_107463 (zuletzt abgerufen am 12.01.2011); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 365 f.; Vetter, WM 2004, 1701 (1705). Vetter, WM 2004, 1701 (1705); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1349); Zimmermann, DS 2007, 286 (288). Lemke, Handbuch Rating, S. 614; jurisPK-BGB/ Rösch, § 631 Rn. 15; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 365. Lemke, Handbuch Rating, S. 614; jurisPK-BGB/ Rösch, § 631 Rn. 6 ff.; Palandt/ Sprau, Einf. v. § 631 Rn. 8; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 365; Vetter, WM 2004, 1701 (1705); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1349). Zur Bewertung der laufenden Überwachung als Dienstvertrag siehe Eisen, Haftung und Regulierung, S. 214 ff.; Habersack, ZHR 2005, 185 (202 f.); Lemke, Handbuch Rating, S. 614; Oellinger, 19 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Gem. Ratingvertrag gilt es eine objektive Beurteilung gegen Entgelt durchzuführen. Hierfür erhalten sie vom Emittenten vertrauliche Informationen. Ratingagenturen sind hierbei zur strikten Geheimhaltung verpflichtet.102 Das Ergebnis der Analyse kann auch in einer für den Emittenten unerwünschten schlechten Note enden. Wirtschaftlich betrachtet, könnte dies für die Ratingagentur negative Folgen haben. Zwar hat sie durch vertragsgemäße Erstellung eines Ratings Anspruch auf das Entgelt, jedoch werden wahrscheinlich keine Folgeaufträge an die Ratingagentur durch den Emittenten vergeben.103 Die eigene Beratungsleistung während des Verbriefungsprozesses für strukturierte Finanzprodukte führt zu einer weiteren Verstärkung des Interessenkonflikts.104 Die Hauptleistungspflicht der Ratingagentur besteht in der Erbringung eines mangelfreien Werkes i. S. d. § 633 Abs. 1. BGB.105 Neben der dargestellten Pflicht zur Einhaltung der Vertraulichkeit erhaltener Informationen, ist die Ratingagentur zur Anpassung und auch zur Korrektur eines Ratings vertraglich sowie auch nach § 242 BGB verpflichtet. Weitere Verpflichtung ist die Veröffentlichung des Ratings. Ausgenommen hiervon ist ein vertraglich vereinbartes Zurückbehaltungsrecht durch den Emittenten. Der Emittent ist seinerseits zur Beibringung der erforderlichen Informationen und Bezahlung des Entgelts nach Abnahme verpflichtet.106 2. Vertragliche Ansprüche Für einen werkvertraglichen Haftungsanspruch aus §§ 633, 634 Nr. 4 BGB bedarf es einer Pflichtverletzung seitens der Ratingagentur. Eine solche stellt ein Sachmangel i. S. v. § 633 Abs. 2 BGB dar.107 Dies könnte in einer ungerechtfertigten Herabstufung (sog. „downgrade“) oder einer Weigerung zu einer gerechtfertigten Hochstufung (sog. „upgrade“) liegen. Das Rating führt in diesen Fällen für das Unternehmen zu höheren Kapitalbeschaffungskosten in Form von Zinsaufschlägen am Kapitalmarkt und letztlich zu einem Vermögenschaden (sog. „Mangelfolgeschaden“).108 Ein Abweichen von der vereinbarten Beschaffenheit ist vor dem Hintergrund einer bloßen Meinungsäußerung des Ratings regelmäßig schwer festzustellen. Ein Nichteintritt der prognostizierten Zahlungswahrscheinlichkeit in Form von Zins- und Tilgungsleistung ist grds. kein werkvertraglicher Mangel. Ansonsten käme das Rating einer Garantie nahe, was ausdrücklich nicht im Willen der Ratingagentur ist.109 Aufgrund des 102 103 104 105 106 107 108 109 Rechtsfragen im Rating, S. 365 f.; Vetter, WM 2004, 1701 (1705); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1349). Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 366 f. Becker, DB 2010, 941 (942). Becker, DB 2010, 941 (942); Haar, NZG 2010, 1281 (1282); Möllers, ZJS 2009, 227; a. A. zur Beraterrolle siehe Moody’s Deutschland GmbH, Rn. 18, http://v3.moodys.com/research documentcontentpage.aspx?docid=PBC_107463 (zuletzt abgerufen am 12.01.2011); BankrechtsHandbuch/ Jahn, § 114 a Rn. 48. Palandt/ Sprau, § 633 Rn. 3. Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 366 f. Vetter, WM 2004, 1701 (1705 f.); Zimmermann, DS 2007, 286 (288 f.). Blaurock, ZGR 2007, 603 (629); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 367 f.; Vetter, WM 2004, 1701 (1705 f.). Lemke, Handbuch Rating, S. 615. 20 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Prognosecharakters eines Ratings ist eine Konzentration auf das Ratingverfahren zur Ermittlung eines fehlerhaften Ratings notwendig. Neben vertraglichen Vereinbarungen hinsichtlich des Ratingverfahrens können die Grundsätze ordnungsgemäßer Ratings (wie der IOSCOKodex) herangezogen werden, welche grds. in die eigenen Verhaltensgrundsätze der Ratingagenturen eingeflossen sind. Unerlässlich ist hierbei die Einhaltung der Grundsätze von Neutralität und Objektivität. Sind diese Kriterien objektiv verletzt, so kann von einem objektiven Abweichen der Sollbeschaffenheit gesprochen werden. Die intendierte Kapitalmarktfunktion ist für den Emittenten regelmäßig nicht mehr gegeben. Das objektiv falsche Rating entspricht Fehlern i. S. d. § 633 BGB und führt neben den Mängelansprüchen nach dem Werkvertragsrecht (z.B. Nacherfüllung, Rücktritt, oder Minderung der Vergütung) zu Schadensersatzforderungen gem. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB aus dem Mangelfolgeschaden.110 Das Absehen von Maßnahmen des Emittenten − wie der Emission einer Anleihe − aufgrund des schlechten Ratings führt auch zu Schadensersatzansprüchen gem. § 634 Nr. 4 BGB i. V. m. § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB.111 Neben dem Mangelfolgeschaden entstehen dem Emittenten bei einem „schlechten“ Rating auch Reputationsschäden, die sich auch in erschwerten Kundenbeziehungen oder Absatzschwierigkeiten niederschlagen können. Aus diesem Grunde ist ein Rücktritt vom Vertrag regelmäßig nicht im Emittenteninteresse, sondern vielmehr eine Nacherfüllung bzw. Korrektur des Ratings i. S. d. § 635 BGB nebst dem Ersatz eines angefallenen Schadens.112 Des Weiteren enthalten Ratingverträge in ihren zugrunde liegenden AGB regelmäßig weitreichende Haftungsfreizeichnungen, in denen die Haftung für alle Folgeschäden ausgeschlossen ist.113 Die Einschränkung der Haftung kann hierbei nicht vorsätzliches Handeln betreffen. Eine Rückführung der Freizeichnung auf das rechtlich zulässige Maß ist nach deutschem Recht nicht vorgesehen, sondern führt nach § 276 Abs. 3 BGB zur Nichtigkeit.114 Der Ausschluss leichter oder grober Fahrlässigkeit mittels AGB unterfällt der Überprüfung der §§ 305 ff. BGB.115 Eine Beschränkung der Norminhaltskontrolle nach § 310 Abs. 1 BGB ausschließlich auf Verbraucher ist nicht einschlägig, da der Haftungsausschluss eine unangemessene Benachteiligung gem. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB darstellt.116 Ferner ist der Ausschluss von leichter Fahrlässigkeit bei Expertenurteilen (wie Ratings) schwierig, da die korrekte Erstellung eines Ratings zu den Kardinalpflichten der Ratingagentur gehört und 110 111 112 113 114 115 116 Blaurock, ZGR 2007, 603 (627 ff.); Däubler, BB, 2003, 429 (433); Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (744); Habersack, ZHR 2005, 185 (203); Lemke, Handbuch Rating, S. 614 ff.; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 367 f.; Palandt/ Sprau, § 633 Rn. 7; Vetter, WM 2004, 1701 (1705 f.). Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 367 f.; Vetter, WM 2004, 1701 (1706). Zu vertraglichen Rechten bei fehlerhaften Gutachten siehe Kilian, NZV 2004, 489 (491 ff.); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 368; Zimmermann, DS 2007, 286 (288). Blaurock, ZGR 2007, 603 (630); Vetter, WM 2004, 1701 (1707). Blaurock, ZGR 2007, 603 (630); Däubler, BB 2003, 429 (434); Habersack, ZHR 2005, 185 (203); Lemke, Handbuch Rating, S. 617 f.; Palandt/ Grüneberg, § 276 Rn. 35; Vetter, WM 2004, 1701 (1707); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (667); Zimmermann, DS 2007, 286 (292). Däubler, BB 2003, 429 (434); Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (744 f.); Zimmermann, DS 2007, 286 (293). Däubler, BB 2003, 429 (434); Lemke, Handbuch Rating, S. 617; Palandt/ Grüneberg, § 307 Rn. 33 ff.; Vetter, WM 2004, 1701 (1707); Voges/ Rehberg, WM 2004, 1605 (1606). 21 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen deswegen ein Ausschluss von leichter Fahrlässigkeit nicht möglich ist.117 Eine Freizeichnungsklausel führt im Ergebnis zu keinerlei Reduzierung der Haftung.118 Ein weitestgehender Haftungsausschluss mittels Individualabrede bleibt jedoch möglich.119 3. Außervertragliche Ansprüche Die Fälle deliktischer Ansprüche des Emittenten gegen die Ratingagentur sind besonders im Bereich der „unsolicited ratings“ von Relevanz. Vertragliche Ansprüche scheiden aufgrund eines mangelnden Vertragsverhältnisses bei „unsolicited ratings“ aus.120 Das größte Schadensrisiko geht von „unsolicited ratings“ durch den Mangel aktueller und spezifischer Daten zum Unternehmen aus. Tendenziell fallen diese schlechter aus als „solicited ratings“ und könnten dem Emittenten so mit größerer Wahrscheinlichkeit Schaden zufügen.121 Die Beweislast liegt in diesen Fällen vollständig beim geschädigten Emittenten.122 Die Handlungen der Ratingagentur können zu Verletzungen der Grundrechte des Emittenten führen, welcher gem. Art. 19 Abs. 3 GG grundrechtsberechtigt ist. Grundrechte bieten keinen unmittelbaren Schutz bei Eingriffen privater Dritter, können aber Gesetzgebungspflichten begründen. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die in den Grundrechten gewährleisteten Rechtsgüter zu schützen. Verletzungen durch Agenturen sind hinsichtlich des Persönlichkeitsrechts i. S. d. Art. 1 Abs. 1 GG denkbar. Da zur Ermittlung der Reichweite eine weite Auslegung besteht, sind Ratings grds. geeignet, eine Persönlichkeitsverletzung herbeizuführen.123 Eine weitere Grundrechtsverletzung könnte in einem Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gem. Art 14 Abs. 1 GG zu finden sein. Art. 14 GG umfasst hierbei die gesamte unternehmerische Tätigkeit. Die Art und Weise der Schadenszufügung ist unerheblich. Die Einwirkung auf die Meinung von Marktteilnehmern kann das Ansehen des Unternehmens, die Geschäftsbeziehungen und die Finanzierungsmöglichkeiten stark beeinflussen.124 Die Grundrechtsverletzungen durch die Agentur könnten jedoch durch den grundrechtlich gewährten Schutz gem. Art. 5 Abs. 1 GG gerechtfertigt sein. Im Rahmen einer Grundrechtsabwägung stehen Ratings hinsichtlich des Werturteils grds. vor dem Recht am 117 118 119 120 121 122 123 124 Blaurock, ZGR 2007, 603 (630); Däubler, BB 2003, 429 (434); Habersack, ZHR 2005, 185 (203 f.); Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (744 f.); Vetter, WM 2004, 1701 (1707); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (667). Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (744 f.); Habersack, ZHR 2005, 185 (203 f.); Vetter, WM 2004, 1701 (1707); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (664). Lemke, Handbuch Rating, S. 617 f. Blaurock, ZGR 2007, 603 (630); Lemke, Handbuch Rating, S. 618; Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1349). Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 369 f. Blaurock, ZGR 2007, 603 (631). Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 370; m. w. N. siehe Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1349 ff.). Kammergericht, WM 2006, 1432 (1433); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 371; Palandt/ Sprau, § 823 Rn. 132. 22 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Gewerbebetrieb.125 Lediglich die Einhaltung der Sorgfaltspflichten wird als implizite Tatsachenbehauptung nicht grundrechtlich geschützt. Die Abwägung der Grundrechte orientiert sich hierbei an der Rechtsprechung zur Stiftung Warentest. Die Beurteilung der Stiftung Warentest stellt eine Meinungsäußerung dar und unterliegt in ihrer inhaltlichen Richtigkeit keiner gerichtlichen Überprüfung. Das Gericht prüft lediglich das Beurteilungsverfahren anhand der Kriterien Objektivität, Neutralität und Sachkunde.126 Somit können keine Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB aus den o.g. Grundrechtsverletzungen begründet werden, sofern die Sorgfaltsmaßstäbe eingehalten werden.127 Schadensersatzansprüche aufgrund der Verletzung der Persönlichkeit scheiden regelmäßig aus. Ratings ohne Namensnennung des beurteilten Unternehmens wären nicht sinnhaft und würden die Berufsausübung der Ratingagenturen gefährden. Eine Übertragung der BGHRechtsprechung auf Ratingagenturen ist somit nicht möglich.128 Schadensersatz- bzw. Unterlassungsansprüche gem. § 823 Abs. 2 BGB aufgrund der Verletzung des Persönlichkeitsrechts können sich in Verbindung einer Schutzgesetzverletzung ergeben. Betrugstatbestände der §§ 263, 264 a StGB, die Beleidigungstatbestände der §§ 185 ff. StGB sowie § 34b WpHG könnten einschlägig sein. Das Betrugstatbestandsmerkmal des Vorsatzes wird regelmäßig nicht vorliegen. Die Beleidigung orientiert sich an der o.g. Grundrechtrechtsabwägung.129 § 34b WpHG scheidet aus, da Ratingagenturen keine Wertpapierdienstleistungsunternehmen sind.130 Der Haftungstatbestand der Kreditgefährdung gem. § 824 BGB kann einschlägig sein, wenn anzunehmen ist, dass unwahre Tatsachen behauptet oder verbreitet werden und geeignet sind, den Kredit eines anderen zu gefährden. Dies gilt insbesondere, wenn das Vertrauen Dritter tiefgehend erschüttert wird. Ratings sind grds. geeignet, das Vertrauen in einen Emittenten herunterzusetzen. Jedoch stellen Ratings keine Tatsachenbehauptungen dar, sondern eine Meinung zur zukünftigen Entwicklung. Eine Haftung der Ratingagentur kommt regelmäßig nicht in Betracht.131 Grds. sind auch Ansprüche aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung möglich. Hierbei ist die „missbräuchliche Funktionalisierung des Ratings, wie beispielsweise 125 126 127 128 129 130 131 Lemke, Handbuch Rating, S. 619; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 362 ff.; Palandt/ Sprau, § 823 Rn. 131; Voges/ Rehberg, WM 2004, 1605 (1606); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1350 f.). BGH, VersR 1997, 1501; BGH, VersR 1987, 783; BGH, VersR 1986, 368; Kammergericht, WM 2006, 1432 (1433); OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 2002, 1697; Blaurock, ZGR 2007, 603 (631 f.); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 362 ff.; Vetter, WM 2004, 1701 (1704 ff.); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1350 f.). Lemke, Handbuch Rating, S. 619; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 372 f.; Vetter, WM 2004, 1701 (1704 ff.); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1350 f.). BGH, NJW 1994, 1281; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 372 ff.; Vetter, WM 2004, 1701 (1707). Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (747); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 374; Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1349). Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (747); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 374; SZKMRK/ Fett, § 34b WpHG, 5 ff.; Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1349). Kammergericht, WM 2006, 1432 (1433); Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (747); Lemke, Handbuch Rating, S. 618; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 374; Palandt/ Sprau, § 824 Rn. 1 ff.; Vetter, WM 2004, 1701 (1707); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1349 f.). 23 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen ein schädigendes bewusstes Fehlurteil oder eine bewusste Verzerrung“132 notwendig. Bei „unsolicited ratings“ ist eine Verwendung als Druckmittel zwecks Abschluss eines entgeltlichen Ratingvertrags denkbar. Die Beweislast liegt beim Emittenten und wird regelmäßig an der Beweiserbringung einer objektiven Fehlerhaftigkeit und der Substantiierung des Verschuldens scheitern.133 III. Haftung gegenüber Anlegern Ratings vermögen grds. die Kreditwürdigkeit eines Emittenten herabzusetzen. Hiervon lassen sich Anleger bei ihrer Investitionsentscheidung regelmäßig beeinflussen. Das Rechtsverhältnis des Anlegers zur Ratingagentur ist hierbei anders gekennzeichnet als zwischen Emittent und Ratingagentur und ist für die Haftung bei einem Investitionsschaden aus einer aus Vertrauen auf das Rating getragenen Anlage entscheidend.134 Das deutsche Recht kennt keine direkte Anspruchsgestaltung von Anlegern (ohne Ratingabonnement) gegenüber Ratingagenturen. Die Haftungsfrage ist in der bisherigen deutschen Rechtsprechung bisher nicht geklärt worden.135 Aktualität gewinnt diese Frage vor dem Hintergrund der im Jahr 2010 bundesweit ersten Klageerhebung eines geschädigten Anlegers gegen S&P vor dem LG Frankfurt am Main aufgrund eines zu positiven Bonitätsurteils der Lehman Brothers Holding Inc.136 132 133 134 135 136 Lemke, Handbuch Rating, S. 619. Lemke, Handbuch Rating, S. 619; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 375; Vetter, WM 2004, 1701 (1708). Eisen, Haftung und Regulierung, S. 327 ff.; Lemke, Handbuch Rating, S. 619. Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 363. Haar, NZG 2010, 1281. 24 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen 1. Rechtsverhältnis zwischen Anlegern und Ratingagentur Grds. besteht ein Vertragsverhältnis und der zu bewirkende Leistungsaustausch zwischen Emittent und Ratingagentur. Eine vertragliche Verbindung zwischen Ratingagentur und Anlegern besteht häufig nicht.137 Ausnahme hiervon bilden Ratingabonnements, welche Verträge zur dauerhaften entgeltlichen Versorgung mit Informationen nach § 611 BGB i. V. m. § 675 Abs. 1 BGB darstellen.138 2. Vertragliche Ansprüche Bei Ratingabonnements können sich Schadensersatzansprüche gem. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB aufgrund fehlerhaft veröffentlichter Ratings aus dem Abonnementvertrag ergeben. Eine analoge Haftung wie bei Börseninformationsdiensten139 ist trotz Ähnlichkeiten hinsichtlich beratungsvertraglicher Elemente abzulehnen. Die Agenturen betonen ausdrücklich keine Beratungsleistungen gegenüber Abonnenten zu erbringen, so dass die Grundlage zur Eingehung eines solchen Vertrags nicht gegeben ist.140 Die Pflichten der Ratingagentur gehen bei einem Ratingabonnement über die Pflichten aus einem reinen Zeitungsbezugsvertrag hinaus, da die Ratingagenturen bewusst die Rolle als Informationsintermediäre am Kapitalmarkt einnehmen. Eine kaufvertragliche Betrachtungsweise ist daher abzulehnen.141 Das Entgelt für die Leistungen berücksichtigt die Hereinnahme von Expertenwissen in die inhaltliche Erstellung. Moody’s Investor Service erhebt beispielsweise für ein Abonnement je nach Intensität der Nutzung zwischen 15.000 und 65.000 US-Dollar. Die Richtigkeit der Publikationen bezieht sich auf die sorgfältige Erstellung der Ratings und ähnelt in ihrem Wesen der Gutachterbeurteilung hinsichtlich der Kreditwürdigkeit.142 In der Literatur wird teilweise vertreten, dass bei der Haftung gegenüber dem allgemeinen Anlegerpublikum, welches nicht über ein Ratingabonnement verfügt, auf einen konkludent geschlossenen Auskunftsvertrag zwischen Ratingagentur und Anleger abgestellt werden kann.143 Die Auslegung für einen solchen Vertragsschluss muss im Einzelfall ermittelt werden. Ausschlaggebende Kriterien aus Sicht des Empfängers können die Bedeutung, das wirtschaftliche Interesse sowie die Sachkunde des Auskunftgebers sein.144 Ein abweichender innerer Wille der Ratingagentur, einen Auskunftsvertrag nicht begründen zu wollen, ist hier- 137 138 139 140 141 142 143 144 Blaurock, ZGR 2007, 603 (605 f.); v. Schweinitz, WM 2008, 953 (954). Eisen, Haftung und Regulierung, S. 331 ff.; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 375 ff.; v. Schweinitz, WM 2008, 953 (956); v. Schweinitz, Rating Agencies, S. 155 f. Vgl. BGH, NJW 1978, 997. Habersack, ZHR 2005, 185 (205); Vetter, WM 2004, 1701 (1708); a. A. Voges/ Rehberg, WM 2004, 1605 (1606 f.). Eisen, Haftung und Regulierung, S. 331 ff.; Lemke, Handbuch Rating, S. 619 f.; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 375 ff. Eisen, Haftung und Regulierung, S. 332. Eisen, Haftung und Regulierung, S. 342 ff; Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (743 f. ); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 380 f. BGH, NJW 1986, 180 (181); Bosch, ZHR 1999, 274 (282 f.); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 342; Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (743 f.); Müssig, NJW 1989, 1697 (1700 f.); Pinger/ Behme, DS 2009. 54 (55); Weber, NZG 1999, 1 (4). 25 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen bei unbeachtlich.145 Ist für die Ratingagentur bereits anfänglich objektiv erkennbar, dass das Rating für den Anleger von zentraler Bedeutung ist und er dies als wesentliche Grundlage seiner Vermögensdisposition berücksichtigt, ist eine Expertenhaftung aufgrund eines Auskunftvertrags möglich. Ratingagenturen haben aber objektiv erkennbar keinen Willen zur rechtsgeschäftlichen Bindung mit Dritten, so dass ein konkludent geschlossener Auskunftsvertrag durch fehlendes Angebot der Ratingagentur regelmäßig abzulehnen ist.146 3. Außervertragliche Ansprüche Als deliktische Anspruchsgrundlagen kommen insbesondere Ansprüche gem. § 823 Abs. 2 BGB oder § 826 BGB in Betracht.147 Ein deliktischer Anspruch wegen Verletzung eines absoluten Rechts gem. § 823 Abs. 1 BGB scheidet aus, da regelmäßig ein Vermögensschaden beim Investor vorliegt und dieser keine Verletzung eines absoluten Rechts darstellt.148 Vermögensschäden werden gem. § 823 Abs. 2 BGB erfasst und bedürfen eines Verstoßes gegegen ein Schutzgesetz. Schutzwirkung kommt einer Norm zu, wenn sie einzelne Personen vor Rechtsgutsverletzungen schützt. Dies besteht auch, wenn das eigentliche Ziel der Norm ist, die Allgemeinheit zu schützen. Der Schutz des Einzelnen muss im Aufgabenbereich der Norm liegen und darf nicht nur als Reflex durch Normbefolgung vorliegen.149 Ein solcher Verstoß liegt regelmäßig nicht vor. So reicht das in § 14 WpHG normierte Verbot der Weitergabe von Insidertatsachen nicht aus, da die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts im Fokus steht und somit kein Schutzgesetz darstellt.150 Als Schutzgesetze können die Betrugstatbestände der §§ 263, 266d StGB von Relevanz sein. Der Täuschungsvorsatz wird hierbei jedoch nur selten vorliegen.151 Auch § 34 WpHG kommt als Schutzgesetz nicht in Betracht. Systematisch wurde § 34 WpHG in den Kontext der Organisationspflichten integriert. Ziel ist der Schutz der Funktionsfähigkeit eines Finanzplatzes und nicht das Individualinteresse. Zudem ist eine Finanzanalyse i. S. d § 34 WpHG nicht vom Leistungsangebot der Ratingagenturen erfasst.152 Ein Haftungstatbestand aus § 826 BGB setzt eine vorsätzliche Schädigung voraus.153 Der Beweis der vorsätzlichen Abgabe einer unrichtigen Information wird regelmäßig für Dritte nicht zu erbringen sein. Die Erstellung eines falschen Ratings ist nicht ausreichend. Möglich- 145 146 147 148 149 150 151 152 153 Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (744). Bosch, ZHR 1999, 274 (282 f.); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 342 ff.; Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (743 f.); MüKo-HGB/ Ebke, § 323 Rn. 72 f.; Müssig, NJW 1989, 1697 (1700 f.); Pinger/ Behme, DS 2009. 54 (55); Weber, NZG 1999, 1 (4). Bosch, ZHR, 1999, 274 (275); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (664). Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (745); Lemke, Handbuch Rating, S. 621; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 379. BGH, NJW 2008, 2245 (2249); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 379; Palandt/ Sprau, § 823 Rn. 56 ff. Lemke, Handbuch Rating, S. 622. Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 379. Lemke, Handbuch Rating, S. 622; SZ-KMRK/ Fett, § 34 WpHG Rn. 2 ff. BGH, NJW 2008, 2245 (2249); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (664). 26 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen keiten bestehen nur, wenn nachlässige Ermittlungen der Ratingagenturen zu leichtfertig vagen Aussagen geführt haben.154 Grob fahrlässiges bzw. leichtfertiges Verhalten kann nach gerichtlicher Würdigung auf einen bedingten Schädigungsvorsatz schließen lassen.155 Denkbar wäre auch ein Fall von vorsätzlicher Verzerrung bei Kollusion, in dem die Ratingagentur und der Emittent zu Lasten des Investors zusammengewirkt haben.156 Im Ergebnis kann nach deutschem Recht nur schwerlich eine deliktische Anspruchsgrundlage erfolgreich vorgebracht werden.157 4. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Den Anlegern ohne Ratingabonnement könnte auch ein eigener vertraglicher Anspruch auf Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB mithilfe des von der Rechtsprechung entworfenen Instituts, dem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, zustehen. Die Anwendbarkeit auf geschädigte Anleger durch fehlerhafte Ratings wurde bisher noch nicht von der Rechtsprechung beantwortet.158 Nicht nur die Vertragspartner der Ratingagentur besitzen aus dem Vertragsverhältnis schützenswerte Interessen, sondern auch Dritte, die sich mit Gefahren aus dem Vertrag konfrontiert sehen, aber am Vertragsschluss unbeteiligt sind. Mit dem Institut des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter stehen dem Dritten bei Pflichtverletzung eigene vertragliche Schadensersatzansprüche zu.159 a) Konzeptionelles Grundsätzlich sind gem. § 311 Abs.1 BGB Schuldverhältnisse Zweiparteienbeziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner. Zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft bedarf es eines Vertrags zwischen den beteiligten Parteien (sog. „Vertragsprinzip“). Kraft Schuldverhältnis werden Rechte und Pflichten für die unmittelbar Beteiligten begründet. Durchbrechungen dieses Grundsatzes finden sich in den §§ 328 ff. BGB. Neben dem echten Vertrag zugunsten Dritter (d.h. der Dritte erwirbt einen eigenen Leistungsanspruch i. S. d. § 241 Abs. 1 Satz 1 BGB gegenüber dem Schuldner) und dem unechten Vertrag zugunsten Dritter (d.h. der Schuldner ist ermächtigt, mit befreiender Wirkung an den Dritten zu leisten), wurde von der Rechtsprechung i. R. d. Rechtsfortbildung der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter entwickelt.160 Der Dritte besitzt keinen Anspruch auf die Hauptleistung. Er wird aber in die vertraglichen Schutz- und Obhutspflichten mit einbezogen, 154 155 156 157 158 159 160 BGH, NJW 2008, 2245 (2249); Bosch, ZHR, 1999, 274 (275); Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (745); Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 379 f. Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 379 f. Lemke, Handbuch Rating, S. 623. BGH, NJW 2008, 2245 (2249); Lemke, Handbuch-Rating, S. 623; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (664). v. Schweinitz, WM 2008, 953 (956); BGH, NJW 1996, 2927 (2928); Saar, JuS 2000, 220; v. Schweinitz, WM 2008, 953 (956); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (664 f.); Zenner, NJW 2009, 1030. jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 68 f.; Palandt/ Grüneberg, Einf. v. § 328 Rn. 1, § 328 Rn. 13 f.; MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 165 ff.; Saar, JuS 2000, 220; Zenner, NJW 2009, 1030. 27 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen so dass er bei deren Verletzung Schadensersatzansprüche geltend machen kann.161 Eine Haftungserweiterung zugunsten Dritter ergibt sich durch ergänzende Vertragsauslegung gem. §§ 157, 242 BGB unter Berücksichtigung des Vertragszwecks und der Begleitumstände.162 Die Rechtstellung des geschützten Personenkreises soll durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Vertragshaftung verbessert werden. Dies zielt insbesondere auf die deutlichen Schwächen des Deliktrechts der §§ 823 ff. BGB (wie Beweislast und fehlender Vermögensschutz) ab. Die Gestaltung von Ersatzansprüchen aus vertraglichen Schuldverhältnissen stellt sich günstiger für den Geschädigten dar als im Deliktsrecht, da sich die Beweislast des Verschuldens aus § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB ergibt. Eine Ausdehnung der Ersatzberechtigten auf mittelbar Geschädigte ist im Vertragsrecht leichter. Vermögensschäden werden im Deliktsrecht gem. § 823 Abs. 2 BGB nur bei vorsätzlicher Verletzung eines Schutzgesetzes ersetzt.163 Eine besondere deliktsrechtliche Berufshaftung aufgrund der Schwächen im Deliktsrecht wurde aber vom Gesetzgeber nicht gewählt. Die Fortentwicklung der Vertragshaftung sollte nicht an Bedeutung verlieren.164 Es bestehen zwei unterschiedliche Konzepte des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter: das vertragliche und das institutionelle Konzept. Grundlage des vertraglichen Konzepts ist eine ergänzende Vertragsauslegung. Als Ergebnis vertraglicher Gestaltung können Schutzpflichten gegenüber Dritten durch ergänzende Auslegung des zugrunde liegenden Hauptvertrags gem. §§ 133, 157 BGB begründet werden. Der hypothetische Parteiwillen wird zur Grundlage von Ansprüchen Dritter gemacht, um den Besonderheiten im Einzelfall Rechnung tragen zu können.165 In der Literatur wird eine vertragliche Auslegung überwiegend abgelehnt. Bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung wurde die Ansicht vertreten, dass es sich um eine objektive Herleitung aus § 242 BGB i. R. d. richterlichen Rechtsfortbildung (sog. „institutionelles Konzept“) handele. Regelmäßig wird in Verträgen die Rechtsstellung von Dritten nicht bedacht.166 Für eine ergänzende Vertragsauslegung bedarf es einer planwidrigen Lücke. Das Fehlen der Rechtsstellung von Dritten im Vertrag macht diesen grds. nicht lückenhaft. Dritte werden regelmäßig von den Vertragsparteien nicht bedacht, so dass kein Raum für einen hypothetischen Willen besteht.167 Der Vorrang der Privatautonomie fordert 161 162 163 164 165 166 167 BGH, NJW 1996, 2927 (2928); Lemke, Handbuch Rating, S. 620 f.; Palandt/ Grüneberg, § 328 Rn. 13; Pinger/ Behme, DS 2009, 54 (55); Saar, JuS 2000, 220 (220 f.). BGH, NJW 1976, 712 (713); jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 69; MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 171; Palandt/ Grüneberg, § 328 Rn. 14; Zenner, NJW 2009, 1030. jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 69; MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 161 ff.; Palandt/ Grüneberg, § 280 Rn. 34 ff.; Palandt/ Grüneberg, § 328 Rn. 13; Pinger/ Behme, DS 2009, 54 (55); Saar, JuS 2000, 220 (221); Schwarze, AcP 2003, 348 (357); Zenner, NJW 2009, 1030; Zugehör, NJW 2008, 1601 (1602). MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 162 f. BGH, NJW 2001, 514; BGH, NJW 1994, 2417 (2419); BGH NJW 1984, 356; BGH, NJW 1976, 712 (713); jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 69 f.; Lemke, Handbuch Rating, S. 621; am Vertragskonzept festhaltend siehe Palandt/ Grüneberg, § 328 Rn. 14; Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (664 f.); a. A. BGH NJW 1996, 2927 (2927 f.); MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn 165; Saar, JuS 2000, 220 (223); Zenner, NJW 2009, 1030. jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 69 f.; Pinger/ Behme, DS 2009, 54 (56); Saar, JuS 2000, 220 (223); Zenner, NJW 2009, 1030. Saar, JuS 2000, 220 (223); Pinger/ Behme, DS, 2009, 54 (56). 28 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen eher Zurückhaltung mit hypothetischen Willensbegründungen. Letztlich ist der Drittschutz als willensunabhängig zu verstehen, so dass nicht der hypothetische Parteiwille entscheidend ist, sondern die sozialen Interessen des Hauptvertrags. Hier sind beispielsweise Sinn und Zweck des Vertrags, die Erwartungen des Dritten und Grundsätze der Billigkeit und Nützlichkeit zu nennen.168 Im Ergebnis kommen beide Ansichten weitgehend zu den selben Ergebnissen, wobei das institutionelle Konzept mehr überzeugen kann, da es sich um die Anwendung ergänzenden Rechts handelt und nicht um eine ergänzende Vertragsauslegung. Im Weiteren werden die Anwendungsvoraussetzungen am institutionellen Konzept dargestellt.169 b) Anwendungsvoraussetzungen Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter führt zu einer Risikohäufung, da der Schuldner nicht nur gegenüber Dritten haftet, sondern auch für Schädigungen des Gläubigers. Ersatzansprüche können hierbei aus Personen- und Sachschäden sowie aus SchädiSchädigungen des Vermögens bestehen. Bei reinen Vermögensschäden wird ebenfalls ein eigener Ersatzanspruch zugestanden.170 Damit der Schutz jedoch nicht unendlich ausgeweitet wird, bedarf es der zwingenden Erfüllung der von der Rechtsprechung entwickelten strengen Anforderungen. Bei nicht enger Abgrenzung des Personenkreises, würden (insbesondere bei Vermögensschäden) die „Grenzen zwischen Vertrags- und Deliktshaftung in unzuträglicher Weise verwischt“171 und zu einem Ersatz einer deliktischen Generalklausel führen.172 168 169 170 171 172 MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 165 f.; Saar, JuS 2000, 220 (223); Zenner, NJW 2009, 1030. BGH, NJW 1977, 2073 (2074); jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 70; Palandt/ Grüneberg, § 328 Rn. 14; Pinger/ Behme, DS 2009, 54 (56); Zenner, NJW 2009, 1030. BGH, NJW 1996, 2927 (2928); BGH, NJW 1994, 2417 (2419); BGH, NJW 1977, 2073 (2074); BR/ Janoschek, § 328 Rn. 50; Palandt/ Grüneberg, § 328 Rn. 15. BGH, NJW 1977, 2073 (2074); BGH, NJW 1976, 712 (713). BGH, NJW 2008, 2245 (2247); BGH, NJW 1996, 2927 (2928); BGH, NJW 1994, 2417 (2419); BGH, NJW 1977, 2073 (2074); BGH, NJW 1976, 712 (713); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 347 f.; MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 176 ff.; Palandt/ Grüneberg, § 328 Rn. 16; Saar, JuS 2000, 220 (221 f.); Staudinger-Eckpfeiler/ Vieweg, J. Schadensersatzrecht Rn.81; Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1351). 29 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen (1) Leistungsnähe Der Anleger muss der Leistung und den Gefahren einer Schutzverletzung − wie der Emittent der Hauptleistung − ausgesetzt worden sein oder sich in dem Leistungsbereich aufhalten. Inhaltlich muss es sich um ein Leistungsverhalten handeln, das zugleich auch drittbezogen ist. Ein nur zufälliger Leistungskontakt wäre nicht genügend.173 Das Merkmal der Leistungsnähe ist hierbei ein konstitutives Merkmal. Die hinreichende Gefährdung macht den Schutz nach Treu und Glauben für einen ungeregelten Tatbestand erst möglich, so dass ohne die Berührung Dritter eine institutionelle Notwendigkeit nicht notwendig erscheinen würde.174 Das Rating wird in erster Linie für den Emittenten erstellt. Ratingagentur und Emittent sind die Kapitalmarktfunktion bekannt, welche im Ratingvertrag – zumindest konkludent − vereinbart ist. Zur Erfüllung der Funktion bedarf es der Nutzung durch Anleger am Kapitalmarkt. Dem Emittenten kommen durch Zutritt am Kapitalmarkt Möglichkeiten der Fremdfinanzierung zu, die sonst unmöglich wären. Anleger kommen so bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung und sind von Schutzpflichtverletzungen in gläubigerähnlicher Weise auch ausgesetzt.175 (2) Einbeziehungsinteresse Die Rechtsprechung sieht für die Einbeziehung Dritter in den vertraglichen Schutzbereich vor, dass im Einzelfall der Vertragsgläubiger an der korrekten Leistung gem. Vertrag nicht nur ein eigenes, sondern auch ein berechtigtes und somit schützenswertes Interesse zugunsten Dritter besitzen muss (sog. „Schutzinteresse“ bzw. „Gläubigernähe“). Dies bedeutet, dass das Wohlergehen des Anlegers den Emittenten aufgrund von Schutz- und Fürsorgepflichten auch selbst berührt.176 Die Auslegung des Kriteriums wurde von der Rechtsprechung im Vergleich zu einer früher eher restriktiven Definition erweitert.177 Die Schutzwirkung entfällt nicht, wenn in der Praxis der Dritte, nicht aber der Vertragspartner, den Risiken ausgesetzt ist.178 173 174 175 176 177 178 BGH, NJW 2008, 2245 (2247); BGH, NJW 2001, 3115 (3116); BGH, NJW 1996, 2927 (2928); BRBGB/ Janoschek, § 328 Rn. 51; jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 76; MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 178; Palandt/ Grüneberg, § 328 Rn. 16 f.; Staudinger-Eckpfeiler Vieweg, J. Schadensersatzrecht Rn.82; Schwarze, AcP 2003, 348 (357 f.); v. Schweinitz, WM 2008, 953 (956); Zenner NJW 2009, 1030 (1031); kritisch Schwab, JuS, 2002, 872 (874). Zenner NJW 2009, 1030 (1031). Eisen, Haftung und Regulierung, S. 347 f.; Haar, NZG 2010, 1281 (1283); v. Schweinitz, WM 2008, 953 (956); Pinger/ Behme, DS 2009, 54 (57); a. A. Lemke, Handbuch Rating, S. 620 f. BGH, NJW 2001, 3115 (3116); BGH, NJW 1996, 2927 (2928); MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 179 ff.; .v. Schweinitz, WM 2008, 953 (956); Staudinger-Eckpfeiler/ Vieweg, J. Schadensersatzrecht Rn.83 f.; Zenner, NJW 2009, 1030 (1031). BGH, VersR, 2004, 1328; BGH, NJW 2001, 3115 (3116); BGH, NJW 1996, 2927 (2928); MüKoBGB/ Gottwald, § 328 Rn. 179 f.; Zenner, NJW 2009, 1030 (1031). Pinger/ Behme, DS 2009, 54 (57). 30 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung des BGH179, in der Drittschutz nur zugesprochen wurde, wenn der Gläubiger für „Wohl und Wehe“ eines Dritten mitverantwortlich war und ihm Schutz und Fürsorge schuldete, umfasst die neuere Rechtsprechung des BGH auch Fälle, bei denen der Gläubiger ein besonderes Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den vertraglichen Schutzbereich hat, und der Vertrag hinsichtlich einer Haftungsausweitung ausgelegt werden kann. Weiterhin wird von der Rechtsprechung ein besonderes Näheverhältnis vorausgesetzt.180 Bei der Beauftragung von Sachverständigen, Wirtschaftsprüfern oder sonstigen Experten ist dies grds. erfüllt. Für die Expertenhaftung hat die Rechtsprechung eine eigene Berufshaftung herausgearbeitet.181 Ratingagenturen können als Experten für die Bonitätsbeurteilung eines Emittenten verstanden werden, so dass sich die Rechtsprechung zur Expertenhaftung auch auf die Beurteilungen der Ratingagenturen übertragen lässt.182 Gegenläufigkeit der Interessen zwischen dem Emittenten und Anleger bezüglich dessen Einbeziehung in den vertraglichen Schutzbereich ist hierbei nicht hinderlich.183 Entscheidend ist, dass der Emittent und der Anleger grds. ein gemeinsames Interesse an einem unabhängig und seriös erstellten Rating haben.184 Es ist eine stillschweigende Einbeziehung des Anlegers anzunehmen, sofern der Anleger für seine Entscheidung das Rating im Vorfeld zu Kenntnis genommen hat und die Grundlage für seine Vermögensdisposition darstellt. Die bloße Existenz eines Ratings genügt nicht.185 Die Äußerung der Ratingagentur muss im Einzelfall Vertrauen durch ihre soziale Rolle erwecken. Der tatsächliche Sachverstand ist hierbei nicht maßgeblich. Die Rechtsprechung merkt hierzu an, dass in der Praxis „häufig von der Autorität“186 eines Expertenurteils gegenüber Dritten Gebrauch gemacht wird. Experten wie Ratingagenturen müssen regelmäßig mit einem solchen Gebrauch gegenüber Anlegern rechnen.187 Die weitreichenden Folgen der Verbreitung der Ratings und die aufsichtsrechtliche Bedeutung (Basel II) ist den Ratingagenturen bekannt. Aus Sicht des Durchschnittsadressaten genießt ein Rating des Emittenten Relevanz und wird regelmäßig in die Entscheidung über eine Vermögensdis- 179 180 181 182 183 184 185 186 187 BGH, NJW 2001, 3115 (3116); BGH, NJW 1984, 355 (356); BGH, NJW 1976, 712 (713); Palandt/ Grüneberg, § 328 Rn. 17 a. BGH, VersR, 2004, 1328; BGH, NJW 2001, 3115 (3116); BGH, NJW 1996, 2927 (2928); BGH, NJW 1984, 355 (356); BR-BGB/ Janoschek, § 328 Rn. 52; Eisen, Haftung und Regulierung, S. 347 ff.; jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 77; MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 179 ff.; Saar, JuS 2000, 220 (224). BGH, VersR, 2004, 1328 (1328 f.); BGH, NJW 2001, 3115 (3116); BGH, NJW 1996, 2927 (2928); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 348 ff.; Finn, NJW 2004, 3752 (3752); jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 77; MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 237 ff. Eisen, Haftung und Regulierung, S. 348 ff.; Haar, NZG 2010, 1281 (1283); Saar, JuS 2000, 220 (224); v. Schweinitz, WM 2008, 953 (956); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (665); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1351). BGH, NJW 2001, 3115 (3116); BGH, NJW 1998, 1059 (1060); Bosch, ZHR 1999, 274 (283); Canaris, JZ 1995, 441 (443 f.); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 348 ff.; MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 182; jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 77; Pinger/ Behme, DS 2009, 54 (57 f.); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1351); Zugehör, NJW 2008, 1105 (1106). BGH, NJW 1984, 355 (356 f.); Canaris, JZ 1995, 441 (443 f.); MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 180 f. BGH, VersR 2004, 1328; BGH, NJW 2002, 3625 (3626); BGH, NJW 2001, 3115 (3116); BGH, NJW 1998, 1059 (1060); Finn, NJW 2004, 3752 (3752); Palandt/ Grüneberg, § 328 Rn. 34. BGH, NJW 1984, 355 (356). BGH, NJW 1984, 355 (356); Finn, NJW 2004, 3752 (3752); Zugehör, NJW 2008, 1105 (1110). 31 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen position mitberücksichtigt. Aufgrund der beanspruchten Neutralität sind Anleger auch grds. eher bereit, der Ratingagentur als dem Emittenten zu vertrauen.188 Der Ratingvertrag verpflichtet die Ratingagentur realitätsnah und mit den notwendigen Methoden zu operieren. Hieran haben beide, der Gläubiger und der Investor, ein positives Interesse. Durch die zugrunde gelegten Bedingungen bei der Emission werden die beiden Parteien (Emittent und Anleger) miteinander verbunden.189 (3) Erkennbarkeit Die Ratingagentur muss zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses subjektiv vorhersehen können, für wen gehaftet werden kann. Daher müssen die Kriterien der Leistungs- und Gläubigernähe offen erkennbar sein.190 Ohne Erkennbarkeit seines persönlichen Vertragsund Haftungsrisikos wäre ein jeder Vertragsschluss mit unkalkulierbaren Risiken, die auch nicht versichert werden könnten, verbunden, da die Ratingagentur grds. nicht sicher sein kann, wer dem Emittenten als Anleger nahesteht. Etwaige Risiken des Drittschutzes könnten auch nicht in die Verhandlungen bzgl. der vertraglichen Gegenleistung einbezogen werden. Name und Anzahl der Anleger müssen nicht zwingend bekannt sein. Bei Ratings und anderen Expertenurteilen ist es ausreichend, wenn der Ersteller weiß, dass sein Urteil für potentielle Investoren, Käufer, Kreditgeber oder sonstige Partner des Auftragsgebers gedacht ist.191 Diese investieren auf Grundlage des Urteils über die Kreditwürdigkeit des Emittenten. Der Personenkreis der angesprochenen Anleger ist zwar bei Ratings fast unbegrenzt, führt grds. aber nicht zur Negierung des Drittschutzes. Bereits anfänglich ist der Ratingagentur bekannt, in welcher betragsmäßigen Höhe die Emission erfolgen soll. Dadurch kann sie das Haftungsrisiko hieraus kalkulieren und das Risiko in die Vergütung mit einfließen lassen. Die betragsmäßige Summe einer möglichen Haftung wird durch eine Vielzahl von einbezogenen Dritten nicht erhöht. Dies stellt zugleich auch die Grenze der Haftung dar. Eine darüber hinaus gehende Haftung nach Vertragsschluss wäre von der Ratingagentur im Vorfeld nicht erkennbar.192 Die Einbeziehung eines solch weiten Personenkreises steht jedoch im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung. Bei Anwendung des Instituts in der o.g. Weite entstünde die 188 189 190 191 192 Bosch, ZHR 1999, 274 (277); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 349 f.; Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (743 ff.); Haar, NZG 2010, 1281 (1283); Pinger/ Behme, DS 2009, 54 (57 f.); Vetter, WM 2004, 1701 (1704 f.); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (665); Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1351). v. Schweinitz, WM 2008, 953 (956). Pinger/ Behme, DS 2009, 54 (59); v. Schweinitz, WM 2008, 953 (956); Zenner NJW 2009, 1030 (1031 f.). BGH, VersR 2004, 1328 (1330); BGH, NJW 1996, 2927 (2928); BR-BGB/ Janoschek, § 328 Rn. 53; Eisen, Haftung und Regulierung, S. 351 ff.; jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 79; MüKoBGB/ Gottwald, § 328 Rn. 184; Palandt/ Grüneberg, § 328 Rn. 18; Pinger/ Behme, DS 2009, 54 (59); Saar, JuS 2000, 220 (224); Staudinger-Eckpfeiler/ Vieweg, J. Schadensersatzrecht Rn.85; Zugehör, NJW 2008, 1105 (1106 f.). Eisen, Haftung und Regulierung, S. 351 ff.; Fiala/ Kohrs/ Leuschner, 2005, 742 (745); Pinger/ Behme, DS 2009, 54 (59); v. Schweinitz, WM 2008, 953 (956 f.); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (666 f.); Zugehör, NJW 2008, 1105 (1106 f.). 32 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Schaffung einer Generalklausel für Vermögensschäden und gliche bei Anerkennung der umfassenden Haftung für Vermögensschäden einer „Produkthaftung“. Eine solche Haftung wäre wirtschaftlich betrachtet angesichts der Vielzahl an Ratings für die Ratingagenturen „ruinös“193, da auch leichte Fahrlässigkeit bei Erstellung und Überwachung Haftungsansprüche entstehen ließe. Eine Anwendung des Instituts könnte somit fraglich erscheinen.194 Gleichwohl hat die Ratingagentur von einer weiten Verbreitung ihrer Ratings ein unmittelbares Eigeninteresse.195 (4) Schutzbedürftigkeit Für eine Ausdehnung des Schutzes zugunsten Dritter muss das Bedürfnis nach Treu und Glauben bestehen. Andernfalls wären Dritte nur unzureichend geschützt. Dies bedeutet, dass der Anleger keinen anderen vertraglichen oder quasi-vertraglichen Schadensersatzanspruch geltend machen kann. Die Rechtsprechung stellt an das Kriterium zur Begrenzung von solchen Forderungen hohe Anforderungen und versagt dem Anleger bei bestehenden gleichwertigen Ansprüchen – auch wenn diese wirtschaftlich wertlos sind − gegen andere Personen das Schutzbedürfnis. Andernfalls würden die vertraglichen Ersatzansprüche des Anlegers vermehrt und das eigentliche Ziel der Beseitigung des Haftungsdefizits wäre in den Hintergrund getreten. Das von der Rechtsprechung betonte Anliegen – nämlich der Vermeidung einer uferlosen Erweiterung des Schutzkreises − soll so gewahrt bleiben.196 Gleichwohl wird von der Rechtsprechung ausgeblendet, „dass es für den Schutz des Geschädigten nicht gleichgültig ist, wer haftet, sondern darauf ankommt, den „Richtigen“, den Gefahrenverurscher und Gefahrbeherrscher haftbar zu machen“.197 Üblicherweise werden die Vertragsparteien Dritten nur einen notwendigen Schutz einräumen. Ein zusätzlicher vertraglicher Schutz ist in der Praxis eher unüblich.198 Nach der hier vertretenen Ansicht ist der durch Ratingagenturen geschädigte Anleger schutzbedürftig, da er gegen die Ratingagentur keine vertraglichen Ansprüche stellen kann. Entfallen könnte dieser Schutz aber, wenn ein vertraglicher Anspruch gegen den Emittenten bestünde. Das Bestehen gleichwertiger Ansprüche, welches zum Ausscheiden des Schutzbedürfnisses führen würde, verkennt jedoch, dass es im Interesse des Dritten ist, den Verursacher des Schadens haftbar zu machen. Im Außenverhältnis sollte sich der geschädigte Anleger gem. § 421 BGB aussuchen dürfen, wer für die Schädigung haftbar gemacht wird.199 Drittschutz entfällt nicht, sofern ein anderer Anspruch andere Voraussetzungen hat. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Anspruch aus Prospekthaftung besteht. Der Anspruch hat 193 194 195 196 197 198 199 Eisen, Haftung und Regulierung, S. 357. BGH, 1977, 2073 (2074) m. w. N.; Eisen, Haftung und Regulierung, S. 355 ff.; Habersack, ZHR 2005, 185 (208). Haar, NZG 2010, 1281 (1284). BGH, NJW 1996, 2927 (2929); BR-BGB/ Janoschek, § 328 Rn. 54; jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 80; Palandt/ Grüneberg, § 328 Rn. 18; Staudinger-Eckpfeiler/ Vieweg, J. Schadensersatzrecht Rn. 86; Zugehör, NJW 2008, 1105 (1106). Schwarze, AcP 2003, 348 (350). MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 185. Pinger/ Behme, DS 2009, 54 (60 f.); Schwarze, AcP, 348 (350 ff.). 33 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen eine andere Zielsetzung oder hat eine kürzere Verjährung als ein Anspruch aus dem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und ist somit nicht gleichwertig.200 c) Haftung aus culpa in contrahendo? Seit der Schuldrechtsmodernisierungsreform wurde das Institut in Teilen durch § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB gesetzlich verankert. Die Rücksichtnahmepflichten i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB können auch gegenüber Dritten bestehen. Ein Näheverhältnis zu einer der Vertragsparteien wird ausdrücklich vorausgesetzt. Die Rechtsprechung hat aus der Einführung der §§ 280, 282, 241 Abs. 2 BGB sowie §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB keine dogmatischen Änderungen für sich gezogen. § 311 Abs. 3. Satz 1 BGB knüpft an die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze an. Jedoch bildet § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB wohl keine allgemeine Rechtsgrundlage für die Schutzwirkungen zugunsten Dritter. Vielmehr werden in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB einige spezielle Fälle wie Eigenhaftung des Vertreters oder Verhandlungsgehilfen aus c. i. c. erfasst. Eine analoge Anwendung von § 311 Abs. 3 BGB auf bestehende Verträge würde einer planwidrigen Lücke durch den Gesetzgeber bedürfen. Durch die historische Entwicklung des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist dies nicht erkennbar.201 Teile des Schrifttums heben auf die besondere Vertrauensbeziehung (eine Sonderverbindung) zwischen Ratingagentur und Anleger ab. § 311 Abs. 3 BGB würde diesem Fall in besonderer und geeigneter Weise Rechnung tragen. Das Interesse des Emittenten ist hierbei vollkommen irrelevant. Für die Begründung eines Schuldverhältnisses ist entscheidend, ob eine Partei in besonderem Maße Vertrauen in Anspruch genommen hat und die andere dementsprechend gehandelt hat, so dass ein eigenständiges Vertragsverhältnis zwischen Ratingagentur und Anleger zustande kommt. Die Haftung erfolgt aus dem Institut c. i. c. und hätte bezogen auf die Haftung der Ratingagentur zur Folge, dass sich die Schutzpflichten der Ratingagentur nach dem Darlehensverhältnis zwischen Emittent und Anleger richten würden.202 Da jedoch ein Darlehnsverhältnis regelmäßig erst nach Erstellung des Ratings vorliegt, kann eine Anwendung der c. i. c. fraglich erscheinen. Gleichwohl zeigt es die Anerkennung des Instituts durch den Gesetzgeber. Es wird zwar nur ein Tatbestand genannt, der eine Dritthaftung begründet, jedoch stellt § 311 Abs. 3 BGB auch nach der Schuldrechtsmodernisierungsreform keine abschließende Regelung dar.203 In § 311 Abs. 3 BGB liegt eine Ermächtigung für die Rechtsprechung vor, das Rechtsinstitut des Vertrags mit Schutzwir- 200 201 202 203 Saar, JuS 2000, 220 (222); Zenner, NJW 2009, 1030 (1032); Zugehör, NJW 2008, 1105 (1106); kritisch Schwarze, AcP 2003, 348 (350 ff.). BT-Drs. 14/6040, S. 163; Eisen, Haftung und Regulierung, S. 359 f.; Jauernig/ Stadler, § 328 Rn. 21; Pinger / Behme, DS 2009, 54 (56 f.); MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 164 ff; Barta, NZG 2006, 855 (857); zur Eignung bei Gegenläufigkeit der Interessen siehe Canaris, JZ 1995, 441 (443 ff.); Finn, NJW 2004, 3752 (3754); jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 71; Kilian, NZV 2004, 489 (495); Schwab, JuS 2002, 872 (872 f.); Weber, NZG 1999, 1 (4 f.). Canaris, JZ 1995, 441 (444); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 359 f.; a. A. Palandt/ Grüneberg, § 311 Rn. 60. Eisen. Haftung und Regulierung, S. 359 f.; Jauernig/ Stadler, § 328 Rn. 20 f; jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 71; Kilian, NZV 2004, 489 (494); MüKo-BGB/ Gottwald, § 328 Rn. 166; Palandt/ Grüneberg, § 311 Rn. 60; Schwab, JuS 2002, 872. 34 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen kung zugunsten Dritter an dieser Stelle fortzuentwickeln. Es bleibt weiterhin bei der Orientierung an den von der Rechtsprechung angewandten Grundsätzen.204 d) Einwendungen aus § 334 BGB Ein Folgeproblem aus der Einbeziehung von Dritten trotz Interessengegenläufigkeit könnten mögliche Einwendungen des Schuldners i .S. d. § 334 BGB darstellen. Sofern der Gläubiger des Expertenurteils Mängel verheimlicht, kann sich der Schuldner auf den Einwand der Arglist berufen. Die Schlechtleistung in Form des fehlerhaften Expertenurteils könnte auch dem Gläubiger angerechnet werden. Der Schutz des Dritten würde bei Anwendung von § 334 BGB unterlaufen. Eine Nichtanwendung der Vorschrift auf den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter könnte Abhilfe schaffen. Systematisch bezieht sich § 334 BGB auf § 328 BGB. Im echten Vertrag zugunsten Dritter wird jedoch die Primärleistung dem Dritten geschuldet. Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gewährt jedoch lediglich Sekundäransprüche aus einer Schädigung. Die Rechtsprechung löst die Frage mit dem Fingieren einer stillschweigenden Abwahl von § 334 BGB. Die Fiktion, dass der Experte dem Dritten auch haften wolle, wenn der Auftraggeber ihn getäuscht habe, geht über das Maß nach Treu und Glauben hinaus. Eine Nichtanwendung auf den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist eher zu befürworten.205 e) Zwischenergebnis Elementar für die Begründung der Haftung ist, dass die Ratingagentur in besonderem Maße persönliches Vertrauen für sich in Anspruch genommen hat. Der Hinweis auf die eigene Sachkunde ist noch nicht vollständig ausreichend. Vielmehr muss ein Vertrauen, welches das normale Verhandlungsvertrauen übersteigt, geschaffen worden sein.206 Die Anwendbarkeit des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist grds. in seinen Anwendungsvoraussetzungen erfüllt. Der Anleger vertraut darauf, dass der Fachmann (die Ratingagentur) eine unabhängige, sachkundige Stellungnahme abgibt. Es könnte grds. aber auch § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB als geeignete Rechtsgrundlage für eine Haftung in Frage kommen.207 Es muss abgewartet werden, ob die Rechtsprechung von einer Haftungsbegründung aus § 311 Abs. 3 BGB in Zukunft Gebrauch machen wird.208 Dem Dritten steht bei Erfüllung der Voraussetzungen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter grds. Rücksichtnahmepflichten i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB zu. Um einen 204 205 206 207 208 Eisen, Haftung und Regulierung, S. 359 f.; Schwab, JuS 2002, 872 (873). BGH, NJW 1995, 392; jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 72; Kilian, NZV 2004, 489 (495); Pinger/ Behme, DS 2009, 54 (58); Weber, NZG 1999, 1 (5 ff.). BGH, NJW 1990, 506; Palandt/ Grüneberg, § 311 Rn. 63. Canaris, JZ 1995, 441 (443); Kilian, NZV 2004, 489; Schwab, JuS 2002, 872 (876), v. Schweinitz, WM 2008, 953 (956); a. A. Habersack, ZHR 2005, 185 (207 f.); Lemke, Handbuch Rating, S. 620 f. Canaris, JZ 1995, 441 (443 ff.); Schwab, JuS 2002, 872 (876 f.). 35 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen eigenen vertraglichen Schadensersatzanspruch stellen zu können, bedarf es einer konkreten Verletzung einer Verhaltenspflicht i. S. d. § 280 Abs. 1 BGB. Durch die Schuldrechtsmodernisierungsreform besteht nunmehr bei Fällen der positiven Vertragsverletzung in §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB eine gesetzliche Anspruchsgrundlage. Der Maßstab der Einbeziehung ist hierbei eng zu wählen und nur auf kausal verursachte Schäden beschränkt. So besteht kein Schadensersatzanspruch, wenn der Dritte trotz Kenntnis eines unrichtigen (drittschützenden) Gutachtens eine nachteilige Vermögensdisposition gemacht hat.209 IV. Schadensersatzansprüche Schadensersatzansprüche können nur dann zugerechnet werden, wenn das Vorliegen eines ersatzfähigen Schadens, einer rechtswidrigen schädigenden Handlung oder Unterlassen, Kausalität zwischen Fehlverhalten und Schadenseintritt sowie Verschulden durch den Schädiger zu bejahen ist. Im Folgenden wird die Durchsetzung von vertraglichen Ansprüchen des Emittenten und des Anlegers (mittels des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter) geprüft.210 1. Pflichtverletzung/ Vertretenmüssen Eine Pflichtverletzung i. S. d § 280 Abs. 1 BGB liegt im Falle eines Ratingvertrags aus § 631 BGB bei einem Sachmangel i. S. d. § 633 Abs. 2 BGB vor. Eine Pflichtverletzung gegenüber dem Emittenten ist zugleich eine Sorgfaltspflichtverletzung gegenüber einem Dritten. Dieser kann hieraus einen eigenen vertraglichen Anspruch begründen. Der Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 Satz1 BGB steht hierbei neben dem Anspruch auf Erbringung eines ordnungsgemäßen Ratings.211 Der „einfache“ Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB tritt aufgrund einer Pflichtverletzung aus § 633 Abs. 2 BGB und des Verweises nach § 634 Nr. 4 BGB ein. Die Beweislast für die Pflichtverletzung obliegt nach den allgemein beweisrechtlichen Grundsätzen dem Emittenten bzw. dem Anleger.212 Der Beweis, dass das Rating ex ante objektiv fehlerhaft gewesen ist, wird kaum zu erbringen sein. Lediglich, wenn ihm einzelne Faktoren des Ratingmodells und deren Einfluss in das Ratingergebnis bekannt wären, könnte er sorgfaltswidriges Verhalten 209 210 211 212 BGH, NJW 2002, 3625 (3626); BGH, NJW 2001, 512 (513); BGH, NJW 1998, 982 983); BR-BGB/ Janoschek, § 328 Rn. 55; jurisPK-BGB/ Schinkels, § 328 Rn. 81 f.; Palandt/ Grüneberg, § 328 Rn. 19 f. Herfurth, Regulierung unter Basel II, S. 118 f.; Staudinger-Eckpfeiler/ Vieweg, J. Schadensersatzrecht Rn. 106; v. Schweinitz, WM 2008, 953 (956); Vetter, WM 2004, 1701 (1706); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (664); Zimmermann, DS 2007, 286 (289 ff.). Habersack, ZHR 2005, 185 (203); Herfurth, Regulierung unter Basel II, S. 118 f.; Everling/ Trieu, Handbuch Rating, S. 106; Rechtsfragen-Rating/ Rohe, S. 135 ff.; v. Schweinitz, WM 2008, 953 (957); Vetter, WM 2004, 1701 (1706); Zimmermann, DS 2007, 286 (288 f.); Zimmermann, DS 2007, 328 (332). Blaurock, ZGR 2007, 603 (629 ff.); Jauernig/ Stadler, § 280 Rn. 23; juirsPK-BGB/ Alpmann, § 280 Rn. 52 ff.; MüKo-BGB/ Ernst, § 280 Rn. 4 ff.; Palandt/ Grüneberg, § 280 Rn. 34 ff.; Zimmermann, DS 2007, 286 (288 f.). 36 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen substantiiert vortragen.213 Eine Beweislastumkehr ist nicht möglich. Das Offenlegen von Betriebsgeheimnissen der Ratingagentur hätte ggf. die Gefährdung der eigenen wirtschaftlichen Zukunft zur Folge. Eine ähnliche Konstellation liegt bei der Begründung von Ansprüchen gegenüber Wirtschaftsprüfern vor. Ein Abweichen von der Beweislastregel wird ebenfalls gem. § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB nicht zugelassen. Die gesetzlich angeordnete Beweislastumkehr gem. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB beschränkt sich einzig und allein auf das Vertretenmüssen.214 Durch das erforderte Zuvertetenhaben wird die Pflichtverletzung der Ratingagentur zugerechnet. Zurechnungsgrund der Pflichtverletzung ist hierbei gem. § 276 BGB regelmäßig Vorsatz oder fahrlässiges Verhalten. Die Entlastung, die vorgebrachte Pflichtverletzung nicht in Form von Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu vertreten zu haben, trifft gem. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB die Ratingagentur.215 Im Grundverhältnis sind Einwendungen aufgrund Freizeichnung für leichte Fahrlässigkeit möglich, diese können aber nicht dem Dritten entgegengehalten werden. Bei Herleitung des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nach dem institutionellen Konzept würden vorgebrachte Einwendungen den Sinn und Zweck von Treu und Glauben, welcher den Raum für Drittschutz schafft, zuwiderlaufen.216 Gerade der Anleger ist wie am Beispiel der Lehman Brothers Holding Inc. bei einer zu positiven Bewertung der einzige Geschädigte, so dass eine im Grundverhältnis vereinbarte Haftungsabsenkung bei Drittverwendungsabsicht dem Anleger nicht aufgezwungen werden darf.217 213 214 215 216 217 Blaurock, ZGR 2007, 603 (629 ff.); Vetter, WM 2004, 1701 (1706). Herfurth, Regulierung unter Basel II, S. 118 f.; Vetter, WM 2004, 1701 (1706). Jauernig/ Stadler, § 280 Rn. 25; MüKo-BGB/ Ernst, § 280 Rn. 20 ff.; Palandt/ Grüneberg, § 280 Rn. 40; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 369; Vetter, WM 2004, 1701 (1706 f.); Zimmermann, DS 2007, 286 (291 f.). Canaris, JZ 1995, 441 (444 ff.); Pinger/ Behme, DS 2009, 54 (58); v. Schweinitz, WM 2008, 953 (957); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (667); Zenner, NJW 2009, 1030 (1032 f.); a. A. Zimmermann, DS 2007, 328 (335). v. Schweinitz, WM 2008, 953 (957). 37 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen 2. Schaden Wenn ein Schadensersatzanspruch gefordert wird, muss nach Darstellung der anspruchsbegründenden Mangelhaftigkeit des Ratings weiter vorgebracht werden, dass hieraus ein Schaden entstanden ist.218 Im Falle von Schäden durch Ratingagenturen müssen regelmäßig vermögenswerte Interessen beeinträchtigt worden sein. Die Beeinträchtigung der Interessen des Emittenten liegt regelmäßig durch sich ergebende Mangelfolgeschäden oder entgangenen Gewinn vor. Bei objektiv feststellbaren Fehlern im Erstellungsprozess, welche in einem ungerechtfertigten Ratingergebnis gemündet haben, kann durch die bezweckte Kapitalmarktfunktion dem Emittenten ein Mangelfolgeschaden in Form höherer Kapitalbeschaffungskosten entstehen. Erlittene Reputationsschäden und daraus entstandene Absatzschwierigkeiten in Form von entgangenem Gewinn sind durch den Emittenten substantiiert darzulegen.219 Der geschädigte Anleger kann aufgrund der Verletzung der Sorgfaltspflichten verlangen, dass er so gestellt wird, als hätte er im Zeitpunkt der Vermögensdisposition nicht auf das Rating vertraut.220 Bei erlittenen Mangelfolgeschäden aus einem Rating ist Naturalrestitution nicht möglich. Der Schadensersatzanspruch richtet sich nach § 251 Abs. 1 BGB auf die Zahlung eines Geldbetrags.221 Die Höhe des Geldbetrags muss nachvollziehbar und schlüssig vom Geschädigten vorgebracht werden. Hierzu reicht es aus, wenn der quantifizierbar wirtschaftliche Nachteil dargestellt werden kann.222 3. Kausalität Der Mangelfolgeschaden hat mit dem Sachmangel i. S. d. § 633 Abs. 2 BGB adäquat kausal zusammenzuhängen. Zwischen dem Sorgfaltsverstoß der Ratingagentur und dem eingetretenen Schaden liegt ein weiteres Ereignis. Dieses geht entweder vom Emittenten selbst oder den Anlegern aus und führt zum Schadenseintritt, was durch das Rating alleine nicht geschehen wäre. Die Kapitalmarktfunktion des Ratings muss gegeben sein, so dass eine Publikation des fehlerhaften Ratings erforderlich gewesen ist. Der Schaden entsteht durch Handlungen vom Emittenten oder Anlegern, welche Vermögensverfügungen in Vertrauen auf ein korrektes Rating vornehmen, die sich nachträglich als wirtschaftlich nachteilig erweisen. Den Kausalzusammenhang zwischen höheren Kapitalbeschaffungskosten und dem veröffentlichten fehlerhaften Rating gilt es durch den Emittenten zu beweisen.223 Bei Anlegern bedarf es im Hinblick auf die Vermögensdisposition eines Vertrauens auf die Güte der Bonitätsbeurteilung durch die Ratingagentur. Bei institutionellen Anlegern wird wie eingangs dargestellt diese Kausalität durch aufsichtsrechtliche Erfordernisse noch deutlicher. 218 219 220 221 222 223 jurisPK-BGB/ Rüßmann, § 29 Rn. 11 ff.; BR-BGB / Schubert, § 249 Rn. 45 ff. Blaurock, ZGR 2007, 603 (629); Herfurth, Regulierung unter Basel II, S. 117; Oellinger, Rechtsfragen im Rating, S. 367 f.; Vetter, WM 2004, 1701 (1706). v. Schweinitz, WM 2008, 953 (958). MüKo-BGB/ Oetker, § 249 Rn. 24 ff.; Zimmermann, DS 2007, 286 (291). Zimmermann, DS 2007, 286 (290). BR-BGB/ Schubert, § 249 Rn. 44 ff.; Jauernig/ Stadler, § 280 Rn. 24; MüKo-BGB/ Oetker, § 249 Rn. 98 ff.; zur Kausalität bei Abschlussprüfern siehe MüKo-HGB/ Ebke, § 323 Rn. 69; Palandt/ Grüneberg, § 280 Rn. 38; Zimmermann, DS 2007, 286 (291). 38 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Der konkrete Kausalzusammenhang zwischen der Kaufentscheidung des Anlegers und dem Rating muss vom Geschädigten bewiesen werden. In der Praxis könnte sich dies regelmäßig schwierig gestalten. Die Anwendung einer typisierten Kausalität auf Basis einer kapitalmarktrechtlichen Adaption der Prospekthaftung könnte den notwendigen Nachweis entfallen lassen und würde somit zu einer deutlichen Verbesserung der Durchsetzung von Ansprüchen geschädigter Anleger führen. Der BGH hat in seinen letzten Entscheidungen zur Adhoc-Publizität eine Beweislasterleichterung anhand der zuvor geschaffenen Stimmung bei den Anlegern jedoch ausdrücklich abgelehnt. Die indizierende Wirkung des Mittels „Anlagestimmung“ kommt dem amerikanischen Weg (sog. „fraud-on-the-market-theory“) nahe. Im Falle „EM TV“224 betonte der BGH ausdrücklich, dass es sich bei Anlageentscheidungen um individuell geprägte Willensentschlüsse handelt und somit eine Pauschalierung für den Kaufentschluss nicht bejaht werden kann.225 Grds. gilt es, eine uferlose Ausweitung des Drittschutzes zu vermeiden. Jedoch führt eine in wesentlichen Punkten falsche Bonitätsbeurteilung auch für den informierten Anlegerkreis zu Fehlinvestitionen. Dem „solicited rating“ wird grds. von allen Anlegerschichten hohe Beachtung geschenkt, da auch interne Informationen, welche für Anleger nicht zugänglich sind, in die Ratingnote einfließen. Die Auswirkungen eines „solicited rating“ auf die Preisbildung des zugrunde liegenden Ratingobjekts am Kapitalmarkt sind letztlich stärker als beim „unsolicited rating“. Der feststellbare Wert für Vermögensdispositionen, der sich in der Preisbildung äußert, ist demzufolge bei „solicited ratings“ feststellbar und stützt eine Heranziehung des Mittels „Anlagestimmung“.226 Das Kriterium der Informiertheit könnte eine uferlose Haftung begrenzen. Kapitalmarktspezifische Kausalität zwischen einem „solicited rating“ und der getroffenen Vermögensdisposition kann insbesondere bei Zweckgesellschaften oder neu geschaffenen Finanzprodukten gefunden werden, da andere Informationsquellen nur in geringem Maße verfügbar sind. Die Beurteilung durch die Ratingagentur, welche in diesen Fällen einem IPOProspekt ähnelt, bestimmt die Anlagestimmung wesentlich.227 Die gesetzliche Prospekthaftung findet bisher hinsichtlich der Angaben der Ratingagenturen in Verkaufsprospekten keine Anwendung.228 In Fällen wie bei der Emission von Zertifikaten der Lehman Brothers Holding Inc., in denen die Verkaufsprospekte auf die Ratings ausdrücklich Bezug nehmen, kann ein prospekthaftungsähnlicher Tatbestand jedoch befürwortet werden. Ähnlich eines Rechtsanwalts oder Wirtschaftsprüfers nehmen die Ratingagenturen eine Garantenstellung hinsichtlich der korrekten Angaben im Prospekt ein. Die Prospekthaf- 224 225 226 227 228 BGH, WM 2005, 1358 (1361). Vgl. BGH, NZG 2007, 269; BGH, WM 2004, 1731 (1734); Blaurock, ZGR 2007, 603 (635); v. Schweinitz, WM 2008, 953 (958); Wildmoser/ Schiffer/ Langoth, RIW 2009, 657 (660 ff.). v. Schweinitz, WM 2008, 953 (958 f.). Haar, NZG 2010, 1281 (1284 f.); v. Schweinitz, WM 2008, 953 (959). Habersack, ZHR 2005, 185 (206). 39 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen tung schafft somit die Grundlage einer kapitalmarktrechtlichen Vertrauens- und Berufshaftung.229 Die Informationspflichten der Banken bei der anlegergerechten Beratung und dem damit verbundenen verpflichtenden Hinweis auf die Bonität der Vermögensdisposition bringen den Investor unmittelbar in Kontakt mit der Bonitätsbeurteilung durch die Ratingagentur. 230 Seit der „Bond-Entscheidung“231 des BGH hat sich die Rolle von Ratings in der Anlageberatung sehr deutlich geändert. So muss auch bei Fehlen eines Ratings hierauf gesondert hingewiesen werden.232 Ein informierter Anleger ist in diesen Fällen grds. zu bejahen. Andernfalls stünden ihm Ansprüche aus Falschberatung gegenüber der Bank zu. Eine Pflicht zur Nennung des Ratingsymbols ist nicht ausreichend, da eine anlegergerechte Beratung VerständVerständlichkeit von der Bank einfordert.233 Der Durchschnittsadressat kann nach bloßer Nennung eines Rating-Symbols keine konkrete Einschätzung zur relativen Rückzahlungswahrscheinlichkeit treffen.234 Sollte sich der Investor zu Unrecht auf die Kenntnis der Ratingnote berufen, bleibt die Sanktionierung mittels Prozessbetrug. Ohne eine Adaption wird es für Anleger kaum möglich sein, die Ursächlichkeit des Ratings für die Vermögensdisposition zu beweisen. Drittschutz bleibt somit vorerst im Ergebnis versagt.235 229 230 231 232 233 234 235 Zur Haftung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Prospekt siehe BGH, NZG 2007, 660; BGH, NZG 2007, 663; OLG München, BKR 2007, 511; Fiala/ Kohrs/ Leuschner, VersR 2005, 742 (748); Haar, NZG 2010, 1281 (1283 f.). v. Schweinitz, WM 2008, 953 (959). BGH, WM 1993, 1455. OLG Nürnberg, ZIP 1998, 380; Eisen, Haftung und Regulierung, S. 142 ff.; Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1347 f.). Zum Einfluss von Ratings im Rahmen einer anlegergerechten Beratung siehe BGH, WM 1993, 1455 (1456 f.); OLG Frankfurt a.M., WM 2010, 2111 (2113); OLG München, WM 2010, 2115 (2117); Eisen, Haftung und Regulierung, S. 142 ff. v. Schweinitz, WM 2008, 953 (959). 40 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen D. FAZIT Emittenten können vertragliche Ansprüche gegenüber der Ratingagentur bei sorgfaltswidriger Erstellung geltend machen. Das „unsolicited rating“ steht grds. unter dem Schutz der Meinungsfreiheit, so dass außervertragliche Ansprüche regelmäßig ausscheiden werden. Anleger, welche kein Vertragsverhältnis mit der Ratingagentur unterhalten, können Ansprüche aus dem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter begründen. Die Rechtsprechung hat bei Expertenaussagen eine eigene Berufshaftung entwickelt. Diese ist auf Ratingagenturen aufgrund ihrer zentralen Rolle als Intermediäre an den Kapitalmärkten übertragbar. Eine objektiv feststellbare Verletzung im Ratingverfahren räumt dem Anleger vertragliche Schadensersatzansprüche ein.236 Zur Begründung von Schadensersatzansprüchen macht jedoch die zu beweisende Pflichtverletzung und Kausalität eine Haftung kaum durchsetzbar. Emittenten könnten hierbei grds. eher den Beweis eines sorgfaltswidrigen Ratings (beispielsweise anhand des Gebrauchs von untauglichen Informationen) erbringen als Anleger. Emittenten stehen während des beauftragten Ratings mit der Ratingagentur in engem Kontakt und können ggf. anhand der weitergegebenen Unternehmensinformationen eigene Berechnungen durchführen. Durch die zentrale Zugangsfunktion für die Kapitalmärkte sind die meisten Emittenten jedoch auf die bisher marktbeherrschenden Ratingagenturen angewiesen. Geschädigte Unternehmen werden regelmäßig von einer Klageerhebung absehen, da für zukünftige Kapitalmarkttransaktionen mindestens ein Rating der drei führenden Ratingagenturen benötigt wird.237 Die Anstrengungen des Gesetzgebers, den Wettbewerb zu beleben, sind aus diesem Grund zu begrüßen. Geschädigte Anleger können nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH Ansprüche kaum durchsetzen. Insbesondere der Beweis der Kausalität wird für Anleger nicht zu erbringen sein.238 Zur weiteren Verbesserung der Qualität und Nutzbarkeit von Ratings an Kapitalmärkten wäre im deutschen Recht die Schaffung einer typisierenden Kausalität begrüßenswert. Bei einer angemessenen Begrenzung durch das Element der Informiertheit kann ein uferloses Auswachsen von Schadensersatzansprüchen vermieden werden.239 Bei einer Fortentwicklung aus der bisher nicht auf Ratingagenturen angewandten Prospekthaftung kann eine übermäßige Ausweitung der Haftung durch Eingrenzung auf den Primärmarkt erreicht werden.240 Eine Verringerung des Aussagegehalts von Ratings (sog. „defensive ratings“) unter Erhöhung der Haftbarkeit ist nicht erkennbar, da die gerichtliche Prüfung lediglich die korrekte Anwendung des Beurteilungsverfahrens berücksichtigt und die subjektiven Elemente einer 236 237 238 239 240 v. Schweinitz, WM 2008, 953 (956 ff.); Zimmermann, DS 2007, 328 (329 ff.). Eisen, Haftung und Regulierung, S. 375 ff.; Herfurth, Regulierung unter Basel II, S. 120; Witte/ Hrubesch, ZIP 2004, 1346 (1352). Haar, NZG 2010, 1281 (1284 f); Herfurth, Regulierung unter Basel II, S. 118 f.; v. Schweinitz, WM 2008, 953 (958); Vetter, WM 2004, 1701 (1709). v. Schweinitz, WM 2008, 953 (958). Zum Primär- und Sekundärmarkt siehe Haar, NZG 2010, 1281 (1284 f.). 41 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Meinungsäußerung weiter schützt.241 Zudem könnte das deutsche Haftungsrecht einen Anreiz für Ratingagenturen darstellen, qualitativ hochwertig zu arbeiten. Die Haftung bekäme vielmehr eine Präventivfunktion als eine reine Ausgleichsfunktion, da der Reputationsverlust einer Ratingagentur bei Bekanntwerden eines Haftungsfalls leiden würde. Dies hätte eine Disziplinierung der Ratingagenturen in ihrer Tätigkeit zur Folge.242 Hierbei gilt es jedoch, eine Ausgewogenheit zwischen der Chance auf Erlangung neuer Informationen und dem Risiko der Fehlerhaftigkeit zu finden.243 Zum Schutze der Investoren ist der weltweite Versuch der Gesetzgeber (wie neuerdings in Europa mittels Rating-VO) zur Förderung von Transparenz und der Vermeidung von Interessenkonflikten positiv hervorzuheben, wenngleich man auch hinter den Ursprungszielen zuzurückgeblieben ist. So wären beispielsweise gesonderte Kennzeichnungen von Ratings strukturierter Finanzmarktprodukte eine Verbesserung der Lesbarkeit, ohne jedoch in die operative Tätigkeit der Ratingagenturen einzugreifen.244 Die Belebung des Ratingmarkts durch mehr Wettbewerb und das dadurch entstehende Aufbrechen des Oligopols könnte sowohl die Qualität der Ratings erhöhen als auch eventuell eine prozessuale Realisierbarkeit bestehender Schadensersatzansprüche erleichtern. Im Ergebnis würden sowohl Emittenten als auch Anleger durch eine Belebung des Wettbewerbs profitieren.245 Eisen betont jedoch auch, dass gerade eine Beseitigung der oligopolistischen Marktstruktur Interessenkonflikte aufgrund der Abhängigkeit vom bezahlenden Emittenten fördern könnte. Wohlwollende Ratings könnten die Konsequenz sein246, so dass eine erleichterte Durchsetzung von Ansprüchen insbesondere von vertraglich unverbundenen Anlegern regulierend wirken könnte. Hierfür müsste jedoch erst eine „typisierende Kausalität“ geschaffen werden.247 Gleichzeitig zeigt sich in Folge der Kritik aus dem regulatorischen Umfeld und der Investoren bei den Ratingagenturen, dass diese selbst versuchen, die Transparenz in ihrem Vorgehen zu verstärken und die Lesart der Ratings deutlicher zu erklären versuchen.248 Vorerst gilt es die Auswirkungen der ergriffenen Schritte des europäischen und des amerikanischen Gesetzgebers hinsichtlich der Verbesserung des Ratingmarkts und auch die Ergebnisse aus dem Konsultationsverfahren der Europäischen Kommission abzuwarten. 241 242 243 244 245 246 247 248 Habersack, ZHR 2005, 185 (207); Vetter, WM 2004, 1701 (1709). Eisen, Haftung und Regulierung, S. 372 ff.; Herfurth, Regulierung unter Basel II, S. 117; jurisPKBGB/ Rüßmann, § 249 Rn. 21. Haar, NZG 2010, 1281 (1285). De Larosière Group, Report, 25.02.2009, Rn. 71 sowie Empfehlung 3, http://ec.europa.eu/internal_market/finances/docs/de_larosiere_report_de.pdf (zuletzt abgerufen am 06.03.2011); Möllers, ZJS 2009, 227 (231 f.). Herfurth, Regulierung unter Basel II, S. 120; Möllers, ZJS 2009, 227 (231 f.). Eisen, Haftung und Regulierung, S. 375 ff. v. Schweinitz, WM 2008, 953 (958 f.). Moody’s Investor Service, http://v3.moodys.com/researchdocumentcontentpage.aspx?docid=PBC _129969 (zuletzt abgerufen am 12.01.2011). 42 KCU-Schriftenreihe Band.2, Rosset: Haftung von Ratingagenturen Literaturverzeichnis Bamberger, Georg (Hrsg.)/ Roth, Herbert (Hrsg.): Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1 §§ 1-640, CISG, 3. Auflage, München 2012 (zit.: BR-BGB/ Bearbeiter). Baumbach, Adolf (Begr.)/ Lauterbach, Wolfgang/ Albers, Jan/ Hartmann, Peter: Zivilprozessordnung, Kommentar Band 1, 71. Auflage, München 2013 (zit.: Baumbach / Bearbeiter). 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FOM-Absolventen verfügen über solide Fachkompetenzen wie auch über herausragende soziale Kompetenzen und sind daher von der Wirtschaft sehr begehrt. Weitere Informationen finden Sie unter fom.de Das KompetenzCentrum für Unternehmensführung & Corporate Governance (KCU) arbeitet anwendungsorientiert und fachübergreifend Das KompetenzCentrum für Unternehmensführung & Corporate Governance (KCU) ist eine wissenschaftliche Einrichtung der FOM Hochschule. Das KCU zielt auf die Entwicklung anwendungsorientierter und fachübergreifender Forschungsergebnisse in den Bereichen Unternehmensführung und Corporate Governance. Hierfür arbeitet das KCU intensiv mit einem Netzwerk aus Unternehmen, Fachverbänden und wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen zusammen. Über die Einbindung von Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen und gesellschaftlichen Gruppen werden aktuelle Herausforderungen einer „guten Unternehmensführung und -überwachung“ einer kritischen Analyse und Bewertung unterzogen, um Antworten auf zentrale Fragestellungen einer „Good Governance“ zu entwickeln. In der KCU-Schriftenreihe werden aktuelle Ergebnisse der Tätigkeit des KCU veröffentlicht. Weitere Informationen finden Sie unter fom.de/KCU ISSN 2195-2922