Die Natur wird bunter
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Die Natur wird bunter
Das Tagesthema Akte Tier Mittwoch, 12. Dezemberw 2012 Fremde Tierarten wandern in Deutschland ein Heimische Exoten Waschbär Anzahl: circa 500 000 Tiere Der Waschbär kam 1934 nach Deutschland, als zwei Pärchen am hessischen Edersee ausgesetzt wurden. 1945 entkamen Tiere A uf den ersten Blick sehen sie vielleicht ganz putzig aus: Waschbär und Ochsenfrosch – und doch steckt in diesen aus Amerika eingewanderten Tieren eine Art ökologische Bombe. Diese Neozoen (neu bei uns heimischen Exoten) können einheimische Arten gefährden. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) führt eine Liste der tierischen Neubürger in Deutschland, diese Woche stellte die Präsidentin des Amtes, Beate Jessel, in Bonn die wichtigsten Ergebnisse daraus vor. Sie stellte zunächst klar: „Ein Großteil der gebietsfremden Arten ist vollkommen unproblematisch und integriert sich hervorragend.“ 800 neue Tier- und Plfanzenarten ha- ben sich in den vergangenen Jahrzehnten neu angesiedelt. Bei den Tieren zählen nur elf Exoten zu Problemfällen, darunter Waschbär, Amerikanischer Flusskrebs, Ochsenfrosch, Pazifische Auster und die Grundel. All diese Tiere gelten als invasiv – das heißt sie vermehren sich rasant und konkurrieren damit um Futter und Nist- Eingewanderte Tiere in Deutschland Artengruppe Eingewandert Säugetiere Vögel Reptilien Amphibien Knochenfische Spinnentiere Insekten Krebse Würmer Weichtiere Nesseltiere Sonstige Arten Summe 22 163 14 8 54 35 553 62 94 83 7 41 1149 Etabliert, Beispiele 8 15 0 1 8 10 115 26 22 40 5 10 264 Rotnackenwallaby Nandu, Chileflamingo Ochsenfrosch Guppy, Goldfisch Varroamilbe Asiatischer Marienkäfer Wollhandkrabbe Süßwasserborstenwurm Spanische Wegschnecke Meerwalnuss Spinnenläufer aus einer Pelztierfarm im Westharz. Waschbären fressen Vogeleier und gefährden so den Bruterfolg z. B. von Rotmilan, Bussard und Rohrweihe. Außerdem jagen sie die bedrohte einheimische Sumpfschildkröte. Präsidentin des BfN Beate Jessel plätze mit den Einheimischen. Die wenigsten Tiere sind freiwillige Zugereiste, so wie die Grundel, die sich über Flüsse und Kanäle ganz gemächlich immer weiter ausbreitet. Die allermeisten werden aus Versehen eingeschleppt, zum Beispiel im Ballastwasser von Containerschiffen. Mit jeder Ladung werden 7000 neue Tierarten ins Hafenwasser gespült. Den meisten behagt die neue Umgebung Die Natur wird bunter Ein Ende der Einwanderung ist nicht in Sicht: Nach Einschätzung von Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, werden sich die Lebensräume der Tiere weiter verschieben: „Wir werden eine ganze Menge neuer Arten bekommen, die eigentlich an trockenere und wärmere Umgebungen gewöhnt sind.“ Und die allermeisten Tiere sind ja auch völlig unproblematisch, sie machen Deutschland allerdings bunMontag Multimedia Medizin Nachdem der einheimische Edelkrebs durch Überfischung und Verschmutzung der Gewässer immer seltener wurde, hat man 1880 den Amerikanischen Flusskrebs in Deutschland angesiedelt. Das Tier ist anspruchslos und vermehrt sich rasant. Das Problem: Er hat einen Pilz, die Flusspest, eingeschleppt, an der er selbst zwar nicht stirbt, aber an dem die einheimischen Edelkrebse verenden. Sie sind vom Aussterben bedroht. Die Frösche wurden in den 80-er und 90-er Jahren in Gartencentern verkauft. Bisher lebt das TIer an vier Standorten in Deutschland. Das Tier wird mit einer KopfRumpf-Länge von 20 Zentimetern riesig und deutlich größer als einheimische Frösche. Der Ochsenfrosch vertilgt mit Vorliebe andere Amphibien. Es besteht die Gefahr, dass das Tier die einheimischen Arten verdrängt. Dazu gibt es jedoch noch keine gesicherten Erkenntnisse. Ochsenfrosch Auster Die Pazifische Auster kam per Ballastwasser von Schiffen in unsere Breitengrade. Seit 1986 wird sie im Sylter Wattenmeer kommerziell gezüchtet und hat sich über die Zuchtanlagen hinaus breitgemacht. Das Problem: Die Austern überwuchern Miesmuschelbänke und hindern sie so am Wachstum und Vermehrung. Fotos: dpa, dapd, Bundesamt für Naturschutz ter. Das gilt für die kleine Population von Nandus in Mecklenburg-Vorpommern ebenso wie für den wunderschön rosa Chile-Flamingo im Münsterland. Halsbandsittiche (Foto) haben sich in vielen Gegenden Deutschlands fest etabliert. Diese Art steht unter Beobachtung der Naturschützer. Noch ist nicht bekannt, dass sie einheimische Vögel gefährden könnten. Dennoch Dienstag nicht, sie gehen zugrunde. Doch immerhin zehn Prozent schaffen es, sich zu vermehren und heimisch zu werden. Viele Tiere wurden von Menschen absichtlich ausgesetzt, wie die Gelbwangenschildkröten in Teichen oder Goldfische und Guppys. Andere wurden als Nutztiere angeheuert und haben sich dann selbstständig gemacht, z. B. die Asiatischen Marienkäfer, die ursprünglich in Gewächshäusern die Läuse vertilgen sollten. Der Amerikanische Flusskrebs wurde ausgesetzt, damit es wieder mehr Krebse gibt. Doch leider kam mit den Tieren ein Pilz in Umlauf, an dem nun auch die letzten einheimischen Krebse noch zu verenden drohen. S. Stockmann Flusskrebs gibt es viele Menschen, die sich gestört fühlen. Denn die munteren Vögel zwitschern auch nachts. Ein Kölner beschwerte sich beim Bundesamt: „Das Gezwitscher ist einfach ohrenbetäubend.“ mittwoch Donnerstag Grundel Der am Boden lebende Fisch hat sich aus seiner Heimat, dem Schwarzen Meer, über die Donau und den Main-DonauKanal bis in den Rhein verbreitet und sich dort explosionsartig vermehrt. Das Problem: Die Grundel frisst dem Laich von einheimischen Fischen freitag und verspeist die stark gefährdete Flussmuschel. Die Angler am Rhein beschweren sich, dass sie außer Grundeln kaum noch etwas fangen. Doch der Fisch ist als Speisefisch nicht geschätzt. Seite 16 Michael Aufhauser Leben lieben. Aiderbichl Die Natur im Wandel Dass unsere erfolgreichen Naturschutzprojekte einer der Gründe sind, weshalb Wildtiere, die bei uns einmal heimisch waren, zurückkommen, nehme ich skeptisch zur Kenntnis. Zugegeben, 120 Wölfe sollen mittlerweile wieder in Deutschland leben. Auch können wir freudig zur Kenntnis nehmen, dass es bei uns wieder Moosblümchen gibt. Hoffentlich bin ich nicht allzu pessimistisch, aber auf mich wirkt das so, als würde ich nach einem Gang über Gut Aiderbichl sagen: „In der heimischen Landwirtschaft tut sich was in Sachen Tierhaltung.“ Den 120 zurückgekehrten Wölfen in Deutschland stehen 500 000 eingewanderte Waschbären und deren Nachkommen gegenüber, die entweder mutwillig ausgesetzt wurden – wie bei Haustieren üblich – oder Pelztierfarmen entkommen sind. Der Naturschutz sieht in den Waschbären eine Gefahr, zum Beispiel für die Sumpfschildkröten. Die niedlichen Kleinbären mit ihren schwarzen Gesichtsmasken beißen den hochgefährdeten heimischen Schildkröten den Kopf ab. Würden sie allerdings einander begegnen, käme es einem Wunder gleich, weil es kaum noch Sumpfschildkröten gibt. Wenn, dann vielleicht in Brandenburg. Sollen Waschbären bleiben oder nicht, das ist hier die Frage. Soweit ich mich erinnere, heißt die Faustregel: Wenn eingewanderte Tiere seit drei Generationen bei uns überlebt haben, gelten sie als Immer mehr Störche heimisch. verzichten auf den geWenn dem fährlichen Flug in den Klimawandel Süden weiterhin tatenlos zugesehen wird, dann könnte es eng werden in unserer Natur. Denn auch sogenannte heimische Tiere ändern ihr Verhalten angesichts der zunehmenden Wärme. Zugvögel zum Beispiel bleiben immer öfter im Winter hier, weil sie genügend Nahrung finden. Sogar manche Störche sehen keinen Sinn mehr darin, im Winter ihren anstrengenden und gefährlichen Flug nach Afrika anzutreten. Genauso wenig wie ich die Störche zum Wegfliegen zwingen würde, sehe ich keinen Grund, Waschbären zu unseren Feinden zu erklären. Außer in Naturschutzgebieten. Der deutsche Naturschutz hat einen exzellenten Ruf. Und immer wieder, wenn man von einem Stück Erde erfährt, das unter Naturschutz gestellt wird, können wir uns alle freuen. In diesen geschützten Gebieten sollte es in der Tat so etwas wie einen Einwanderungsstopp für Exoten geben. Was hilft es schon, wenn eingeführten Raubtieren natürliche Feinde fehlen und sie dann Tabula rasa machen in einer Welt, die man mühsam erhalten oder zu neuem Leben erwecken möchte. 3,6 Prozent der gesamten Fläche Deutschlands stehen unter Naturschutz. Viel zu wenig. Und damit mehr Menschen die Natur genießen und verstehen können, sollte der Unterschied zwischen Naturschutzgebieten und der Natur nicht immer größer werden. Samstag Akte Tier Draußen Bürgeranwalt Bilder der Woche