Orfeo-Presseinformation zur Bayreuther Festspiele-CD
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Orfeo-Presseinformation zur Bayreuther Festspiele-CD
Freudenode, Balladenpathos und erste Vollständigkeit C 692 092 I Der fliegende Holländer 22. Juli 1955 C 660 513 Y Der Ring des Nibelungen 13. – 17. August 1956 „Hart am Ziel“? Das nicht, jedoch mit dem frischen Wind glückender Interpretationen in den Segeln haben sich die Veröffentlichungen aus Bayreuth, die ORFEO gemeinsam mit den Bayreuther Festspielen herausgibt, von der ersten – Tristan und Isolde unter Herbert von Karajan aus dem Jahr 1952 – in nunmehr sechs Jahren zu einem vollständigen Zyklus der „Bayreuther Zehn“ geschlossen – mitsamt dem einen, vom Bayreuther Meister selber eingeführten Ausnahme-Werk, der Beethoven-Neunten unter Furtwängler 1951 als „Movens“. Historisch bis in das Jahr 1968 vorgedrungen zu den Meistersingern unter Böhm hat in einer illustren Reihe exquisiter Wagner-Interpreten am Dirigierpult im „mystischen Graben“ Hans Knappertsbusch mit der „größten Hälfte“ aus Ring und Parsifal schon das Gewicht, das ihm seit der 1. Wagner-Aufführung NeuBayreuths – Parsifal 1951 – gebührte. Bis zu dem von ORFEO erstmals veröffentlichten Parsifal in seinem Todesjahr 1964 stand und steht der streitbare Elberfelder und Wahl-Münchner für einen zeitlos monumentalen, zugleich vor ideologischer Manipulation bewahrten Interpretationsstil von Wagners Musik. So ist es vielleicht eine Überraschung und zugleich doch auch konsequent, dass mit dem Fliegende Holländer von 1955 das vergleichsweise „kleinste“, früheste und auch zuletzt in den Zyklus der Zehn getretene Werk abermals unter der Leitung von Knappertsbusch die Reihe nun komplettiert – so wie die Aufführung in jenem Jahr den ersten Durchgang durch das für Bayreuth kodifizierte Bühnenwerk Richard Wagners in der Regie seiner Enkel abschloss. Der mit zunehmendem Alter immer mehr an großen, schwergewichtigen Hauptwerken interessierte Knappertsbusch erweist übrigens erstaunlicherweise gerade in der dirigentischen Durchgestaltung dieses Frühwerkes seine unverkennbare Eigenart und Meisterschaft – vielleicht mehr als irgendwo sonst. Bekanntlich wurden die ersten Nachkriegsjahre szenisch von der „Entrümpelung“ durch Wieland und Wolfgang Wagner bestimmt, wie auch von der darstellerischen Intensität einer ganzen Sängergeneration, von der stellvertretend Astrid Varnay, Wofgang Windgassen, Hans Hotter, Hermann Uhde, Gustav Neidlinger oder Josef Greindl genannt seien. Sie alle sind in den Bayreuth-Veröffentlichungen bei ORFEO zu hören, und zwar in jeweils mehr als einer Rolle, was einen wesentlichen Zug der Festspiele bis heute verdeutlicht: die beharrliche Suche nach Sängerdarsteller(innen) für Bayreuth, die sich kontinuierlich in ihrem Stimmfach entwickeln, aber dabei Flexibilität und Überzeugungskraft für rasch alternierende Rollen bewahren. Anders als in späteren Jahren war in der Pionierzeit der 50er und 60er Jahre dabei vielleicht weni- ger eine passende Stimmtypologie ausschlaggebend als die Wandlungsfähigkeit, die in der Tonaufnahme bisweilen geradezu Hörspielcharakter entfaltet, ohne dass dabei die rein musikalische Qualität leiden würde. Aber macht den „Kult-Status“ von Astrid Varnay nicht, mehr als Maßgaben brillanten Gesangs, eben die noch auf Tonträger erhaltene Fähigkeit aus, eine Brünnhilde von jugendlicher Unbekümmertheit in der Walküre zur großen Tragödie in der Götterdämmerung gesteigert, und diese Ausdrucksskala als Senta sogar an einem einzigen Abend durchmessen zu haben? Steht Wolfgang Windgassen nicht bei den meisten Wagnerianern im gleichen Ruf, nicht wegen seines Tenortimbres, sondern weil er in gleichem Maß (und im gleichen Zeitraum!) Eriks Liebesschmerz, Tannhäusers gespaltene Persönlichkeit und die Suche der Wälsungen Siegmund und Siegfried nach sich selbst mit exemplarischer Interpretation der textlichen und dynamischen Feinheiten von Wagners Partituren vermitteln kann? Ähnliches gilt für Hans Hotter, der ja, auch dank seiner wohlbekannten Liedkunst, mit einem Minimum an Pathos als Wotan auch in Zorn und Resignation majestätisch-erhaben, als Kurwenal oder Gurnemanz wortgewaltig-autoritär bleibt. Der Heldenbariton Hermann Uhde wiederum verbindet, bei ORFEO als Holländer oder Gunther repräsentiert, Tragkraft und Ausdrucksintensität in einer Weise, die gelegentliche Unebenheiten und Sprödigkeiten vollkommen wettmacht. Und auch Gustav Neidlinger, sei es als Alberich oder als Klingsor, und Josef Greindl (als Landgraf, Fasolt, Hunding und Hagen) stehen bis heute für einen, wiewohl von urwüchsig ‚mythischer‘ Stimmgewalt getragenen, so doch rollenpsychologisch scharf akzentuierten profilierten Stil musikalischer Gestaltung, eben jener Schnittmenge zwischen antiker und neuzeitlicher Dramenkonzeption, die Richard Wagner für seine Figuren vorschwebte, und an deren Realisierung Wieland und Wolfgang Wagner mit trefflichen Mitstreitern im Ensemble gearbeitet haben. Von dieser ‚Familie‘ wäre sicherlich noch Martha Mödl zu nennen, die als Isolde den erwähnten Mitschnitt unter Karajan, mit ihrem unverwechselbaren Timbre und der 1952 schier unerschöpflich scheinenden Fülle ihres stimmlichen wie dramatischen Potentials, nachhaltig mitbestimmt hat, so wie überhaupt beider „Timbre“ erst in dieser sorgfältig aufgearbeiteten, einzigen offiziellen Ausgabe in ihrem spezifischen Charakter erkennbar und erfahrbar wird. Ihr kongenialer Partner als Tristan Ramón Vinay steht, auch wenn er in Bayreuth noch weitere Partien (sogar später wieder als Bariton) gesungen hat, demgegenüber vielleicht eher für den Typus jener Sängerpersönlichkeiten, die das Spektrum der Wagner-Interpretation auch durch Überraschungen in der Wahl ihrer Auftritte und Rollen (über Wagner und Bayreuth hinaus) noch vielfältiger, reizvoller machen: ein Tristan, der die Depression und die fiebrige Ekstase gewissermaßen mit dem bisweilen naturgewaltig losbrechenden Temperament von Verdis Otello verbindet. Mit Jon Vickers in der Titelpartie des Parsifal von 1964 C 603 033 D Tristan und Isolde 23. Juli 1952 C 690 074 L Parsifal 13. August 1964 C 643 043 D Tannhäuser 9. August 1955 C 691 063 D Lohengrin 4. August 1959 C 754 091 B Symphonie No. 9 29. Juli 1951 ist ein weiterer dieser zwischen Verdi und Wagner weltreisenden Tenöre dokumentiert, im Sopranfach lässt sich unter anderen am Beispiel von Greta Brouwenstijn als Elisabeth, Sieglinde und Gutrune feststellen, dass die Spezialisierung auf das Wagner-Fach keine zwingende Voraussetzung ist, um auf den Grünen Hügel zu gelangen und dort zu reüssieren. Stilistische Offenheit und Verschmelzung (nicht bloß Nebeneinanderstellung), das wird in der Edition Bayreuther Festspiele live überdeutlich, sind ein Trumpf der Neu-Bayreuther Wagner-Aufführungen. Hier zu nennen wäre auch noch der, in der französischen Musik- und Musiktheatertradition (auch nach Wagners Vorbild) verfeinerte, Sinn für instrumentale und vokale Farbgebung, der auf dem Grünen Hügel quasi ‚reimportiert‘ wurde: etwa durch André Cluytens am Pult des Tannhäuser von 1955, mit einer unübertrefflich detailliert herausgearbeiteten Unterscheidung der Sphären des Venusbergs und der Wartburg; oder im Lohengrin unter Lovro von Matačić von 1959, in dem Rita Gorr und Ernest Blanc das ‚böse Paar‘ weniger mit hochdramatischen Impulsen als in beängstigend dunklen Schattierungen präsentieren. Klangliche Kontraste dieser Art, dramaturgisch betrachtet segensvoll und eine Zierde für jedes Besetzungsbüro und jedes Leitungsteam, verstärken zumal die Wirkung jener Stimmen und Stile, die für die Wagner-Partien der lyrischen deutschen Operntradition prädestiniert erscheinen: exemplarisch Elisabeth Grümmer als Elsa oder Dietrich Fischer-Dieskau als Wolfram von Eschenbach. Sie sind Beispiele dafür, dass Wagner und Belcanto, Plastizität der Wortgestaltung und Legato keine Widersprüche sein müssen. Und auch diese Linie wurde in Bayreuth konsequent weiterverfolgt, nimmt man den Ungarn Sándor Konya als den womöglich ‚italienischsten‘ Lohengrin-Interpreten, die deutschen bassi cantanti Franz Crass als König Heinrich derselben Aufführung und Karl Ridderbusch als Pogner unter Karl Böhm, wie auch den tenoralen Universalisten Waldemar Kmentt als Stolzing in denselben Meistersingern von 1968. Bis in dieses Jahr ist also die Bayreuther Aufführungsgeschichte nun bei ORFEO auf CD dokumentiert, seit der Wiedereröffnung mit Beethovens Neunter Symphonie unter Wilhelm Furtwängler.Gerade an dem Mitschnitt dieses Konzerts, der der nachgeborenen Generation vorher nur in der von Schallplattenproduzenten-Seite nachbearbeiteten Variante bekannt war, hat sich erwiesen, dass auch die mediale Aufbereitung flüchtiger, vorübergegangener Musik(theater)-Ereignisse in fruchtbarer Art und Weise hinterfragt, neu ediert und revidiert werden kann. Dass die Glättung und Perfektion nach dem Vorbild des Aufnahmestudios mitunter erhebliche Einbußen an Lebendigkeit und Emotionen mit sich bringt, darüber herrscht mittlerweile unter den Opernliebhabern und speziell den Wagnerianern weitgehend Einigkeit. Unter dieser Voraussetzung sollten diese geschätz- ten, ja sogar legendär zu nennenden Livemitschnitte nicht dem Erlebnis der heutigen (Festspiel-)Vorstellungen im Wege stehen, sondern vielleicht auch gelegentlich dabei helfen, in vereinzelten Mängeln Chancen und Qualitäten zu erkennen. Manchmal wird Außergewöhnliches eben erst durch den Notfall geleistet, oder dazu gesteigert: etwa wenn die Sängerdarstellerin der Brünnhilde womöglich in der Götterdämmerdämmerung die ensembletechnische und regelrecht sportive Höchstleistung erbringt, für eine kranke Kollegin noch die dritte Norn zu übernehmen (wie Astrid Varnay für Martha Mödl in der Ring-Aufnahme von 1956); oder wenn, wie im Falle von Theo Adam 1968, die zentrale Partie des Hans Sachs das Ergebnis einer erst nach der Generalprobe erfolgten Umbesetzung ist, und von der Spontaneität eines erfahrenen Theaterdirigenten wie Karl Böhm und der Regie Wolfgang Wagners begünstigt wird, die einen Einspringer zwar sicherlich szenisch forderte, nicht aber zur Unmöglichkeit machte. Die Faszination durch Aufführungen und klingende Relikte Bayreuths speist sich eben auch aus künstlerischen Unwägbarkeiten, Herausforderungen und Risiken wie diesen, an denen sich die Bayreuther Zehn als Prüfsteine des Musiktheaters wohl nie verbrauchen und die bei den Festspielen nicht gescheut werden. C 753 084 L Die Meistersinger von Nürnberg 25. Juli 1968