Geschichte der Schachweltmeisterschaft – nach dem 2. Weltkrieg IM
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Geschichte der Schachweltmeisterschaft – nach dem 2. Weltkrieg IM
1 Geschichte der Schachweltmeisterschaft – nach dem 2. Weltkrieg IM Harald Schneider-Zinner – C-Trainer Wien, 2010 Mit dem Tod Alexander Aljechins (1946) endet die Ära der privat veranstalteten Weltmeisterschaftskämpfe. Die FIDE (der Weltschachbund) übernimmt nun die Schirmherrschaft. Sie veranstaltet 1948 in Den Haag und Moskau ein Turnier mit den stärksten Spielern der damaligen Zeit. Es waren dies Wassily Smyslow, Paul Keres, Max Euwe, Samuel Reshevsky und Michael Botwinnik. Jeder spielte gegen jeden 5 Partien. Nach kräfteraubendem Kampf setzte sich Michael Botwinnik klar durch. Das neue Reglement der FIDE besagte, dass der Weltmeister seinen Titel alle drei Jahre verteidigen müsse. Die Herausforderer mussten durch die Mühle der Zonenturniere, Interzonenturniere und schließlich durch die Kandidatenkämpfe. Bis zum Ende der Herrschaft Botwinniks galt außerdem, dass der Weltmeister, im Falle einer Niederlage, ein Jahr später das Recht auf Revanche hatte. Fast vier Jahrzehnte lang fanden die Titelkämpfe unter der Ägide der FIDE statt. Diese Tradition bewährte sich so lange, bis Garry Kasparow seinen Titelkampf gegen Nigel Short privat verwaltete. Kasparow und Short warfen der FIDE unfähige und unprofessionelle Arbeit sowie mangelnde Interessenvertretung vor. Ferner weigerten sie sich, 25 Prozent der Preisgeldsumme an den Weltschachbund abzugeben. Dies veranlasste beide Schachspieler dazu, die Vermarktung und Organisation ihres Spiels selbst in die Hand zu nehmen. Sie gründeten die “Professional Chess Association” (PCA) und trugen die WM mit gesponserten Geldern, z.B. 1,7 Mio. Pfund von der Zeitung “The Times”, unter sich aus. Am Ende seiner Kariere bezeichnete Kasparow diesen Schritt als seinen größten Fehler. Das Spitzenschach wurde - ähnlich wie das Boxen – in ein Chaos gestürzt. Der Weltschachbund setzte 1993 einen parallelen Wettkampf – mit den „Nachrückern“ Anatoli Karpow und Jan Timman - an. Karpow gewann und verteidigte seinen „FIDEWeltmeister-Titel“ noch zweimal: 1996 gegen Gata Kamsky und 1998 gegen Viswanathan Anand, aber da war schon eine neue Zeitrechnung angebrochen. Seit 1997 ließ die FIDE den FIDE-Champion in einem KO-Turnier ausspielen, wobei Modus und Bedenkzeit öfters geändert wurden. Das rief viel Kritik hervor, da der Titel quasi in einem Roulettspiel vergeben wurde. Es folgten als FIDE-Weltmeister Kahlifman, Ponomarjov, Anand und Kasimdshanow. Alle diese Spieler sind hervorragende Großmeister, bringen es aber nicht auf die Ausstrahlung der klassischen Weltmeister (abgesehen von Anand, der mit seinen fantastischen Turniersiegen auch mehrmals den „Schachoscar“ gewann und in Indien mehrmals zum Sportler des Jahres gewählt wurde. Sein Ruhm in Indien ist bei uns mit unseren Schifahrern zu vergleichen). Parallel dazu fanden Wettkämpfe nach den klassischen Regeln – allerdings auf privater Basis – statt. Nachdem Kasparow 1993 gegen Short gewonnen hatte, setzte er sich auch gegen Anand durch. Im Jahre 2000 verlor er allerdings gegen Vladimir Kramnik in London. Kramnik war eigentlich Kasparows Entdeckung. Er förderte ihn als jungen Spieler sehr stark und bestand auch auf seiner Teilnahme an der Olympiade 1992 in Manila. Dort lieferte Kramnik ein hervorragendes Ergebnis ab. Nun ging es Kasparow wohl wie dem Zauberlehrling. „Die Geister die ich rief, …“. In London konnte Kasparow keine einzige Partie gegen Kramnik gewinnen. Vor allem mit Weiß kam er gegen Kramniks „Berliner Mauer“ nicht einmal in die Nähe eines Sieges. Harald Schneider-Zinner C-Trainer Wien 2010 2 Diese Eröffnung war von Kramnik geschickt gewählt. Sie entschärfte Kasparows hervorragend computerunterstützte Vorbereitung. Kasparow spielte danach nie wieder um den Titel. Er gewann in hervorragender Manier aber noch mehrere Turniere und trat nach seinem Sieg beim Supergroßmeisterturnier in Linares 2005 zurück. 2004 konnte Kramnik seinen Titel im „klassischen Schach“ gegen den Ungarn Peter Leko verteidigen. Die Wiedervereinigung: September 2006: Endlich hat die Spaltung der Schachwelt ein Ende gefunden. FIDEWeltmeister Topalow und PCA-Weltmeister Kramnik treffen sich zu einem historischen Wiedervereinigungsmatch. Kramnik, lange durch eine hartnäckige Krankheit behindert, ist zur rechten Zeit wieder in Hochform und so wird ein harter Kampf zwischen den so unterschiedlichen Spielertypen erwartet. Topalow beginnt extrem aggressiv, doch statt 1,5 Punkte aus den ersten beiden Partien zu holen, begann der Wettkampf für ihn mit zwei Pleiten. Danach beschuldigte sein Manager Danialow Kramnik der Zuhilfenahme von unerlaubten Mitteln. Der so genannte „Toilettenkrieg“ begann. Nachdem ein Abbruch des Matches in greifbarer Nähe lag, konnte die Katastrophe im letzten Moment verhindert werden. Schließlich endete der Wettkampf 6:6 und ein Tiebreak musste entscheiden. Hier behielt Kramnik den kühleren Kopf. 2007 eroberte Anand den Titel – den er bis heute hält. Die Weltmeister: Michael Botwinnik (1911 – 1995) 6. Weltmeister, von 1948-1957 /1958-1960 /1961-1963 Botwinnik ist ein Meister der Vorbereitung und ein sehr universeller Spieler. Mit folgendem Satz charakterisiert er sich selbst (und zwei andere Weltmeister): „Spielt Tal ein Opfer, nehmen Sie es an. Spiele ich ein Opfer, prüfen Sie es genau, spielt Petrosjan ein Opfer, lehnen Sie es ab.“ Mit Botwinnik begann die Dominanz der sowjetischen Schachschule, die über Jahrzehnte das Schach beherrschte (mit kurzem aber heftigem Intermezzo durch Bobby Fischer). Botwinnik verteidigte seinen Titel mit Unterbrechungen 15 Jahre lang. Zunächst spielte er gegen den wunderbaren Schachkünstler David Bronstein (das 12:12 reichte ihm für die Titelverteidigung), Unentschieden – ein Resultat das ihm 1954 auch gegen Smyslow reichte. Doch 1957 verlor er den Titel an Smyslow, um ihn sich ein Jahr später zurück zu holen. Dann begann der fantastische Zweikampf gegen den „Zauberer aus Riga“ – Michael Tal. 1960 kam Botwinnik gegen Tals Kombinationskunst unter die Räder, aber der Meister der Vorbereitung schlug ein Jahr später hart zurück. Er erkannte perfekt die Schwächen seines Gegners und nutzte sie im großen Stile aus. Er ließ kaum Angriffsstellungen zu und hielt das Spiel möglichst ruhig. Botwinnik lieferte viele Beiträge zu Eröffnungssystemen und war der erste Spieler, der sich „modern“ vorbereitete. Dazu zählt körperliche Fitness, gute Ernährung, regelmäßiger Schlaf und natürlich die gezielte schachliche Vorbereitung. In diesem Sinne war Botwinnik eigentlich der „erste Schachprofi“. Harald Schneider-Zinner C-Trainer Wien 2010 3 1963 ging Botwinniks Ära aber endgültig zu Ende. Er bestritt gegen Tigran Petrosjan seinen letzten WM-Kampf und verlor. Wassily Smyslow (1921 – 2010) 7. Weltmeister, von 1957-1958 Er wurde 1921 als Sohn eines schach- und musikbegeisterten Ingenieurs in Moskau geboren. Neben dem Schach investierte er auch viel Zeit in Musik. Er kam unter die 50 besten Teilnehmer, die im Bolschoitheater vorsingen durften. Da sich der große Erfolg aber doch nicht einstellte, konzentrierte er sich nur mehr auf Schach. 1948 spielte er zum ersten Mal beim 5-er Wettkampf um die Krone und wurde 3 Punkte hinter Botwinnik Zweiter (vor Keres, Reshevsky und Euwe). Später gewann er das Kandidatenturnier in Zürich und forderte Botwinnik zum Zweikampf um den Titel heraus. Das 12:12 reichte diesem jedoch zur Verteidigung. Doch schon 1957 kam es zu einem weiteren Titelduell, das Smyslow mit 12,5: 9,5 gewann. Der Ex-Weltmeister hatte das Recht auf einen Rückkampf innerhalb eines Jahres und Botwinnik schlug zurück. Smyslow konnte danach nicht mehr in den Kampf um den Titel eingreifen. Allerdings kam er 1984 mit 63 Jahren noch einmal ins Finale der Kandidatenkämpfe, wo er von Kasparow bezwungen wurde. 1981 konnte er sich aber doch noch einen Titel holen. Er wurde Seniorenweltmeister. Für Kramnik spielt Smyslow das klarste Schach aller Weltmeister. Seine Partien sind für Anfänger sehr lehrreich, da er wunderbar die Pläne herausarbeitet. Smyslow war ein wunderbarer Sänger und hielt sich selbst für den besten Sänger der Welt – gleich nach Caruso. Michael Tal (1936-1992) 8. Weltmeister von 1960-1961 Tal wurde als Sohn eines Arztes in Riga geboren. Als Zwölfjähriger trat er in den Rigaer Pionierpalast, ein, wo sein Talent rasch erkannt wurde. 1957 und 1958 gewann er den Titel der UdSSR-Meisterschaft. Tal löste eine Welle der Schachbegeisterung im ganzen Land aus. Seine Leichtigkeit des Spiels und seine riesige Schöpfungskraft faszinierten. Laut Kramnik war er ein „Außerirdischer“. Er war wie ein greller Blitz, doch so kann man nicht über Jahre Weltmeister bleiben. Tal wurde als „Zauberer von Riga“ berühmt für sein Opferspiel. Tal selbst sagte: “Es gibt zwei Arten von Opfern – korrekte und meine“. 1960 bezwang er im Titelkampf Botwinnik mit 12,5: 8,5 Punkten. Tal meinte, dass der Kampf nicht so klar war wie das Resultat. Botwinnik hätte oft gute Stellungen gehabt, spielte aber dann zu vorsichtig, um nicht von einem „Tal´schen Opfer“ erwischt zu werden. Botwinnik hatte wiederum das Recht, ein Jahr später zu einem Rückkampf anzutreten, aber kaum jemand gab ihm eine Chance. Tal galt als unbezwingbar. Nur Tal erwartete einen ganz anderen Botwinnik – und er sollte Recht behalten. Botwinnik ging viel aggressiver in den Kampf und riss die Initiative an sich. Er wirkte wesentlich energiereicher als Tal und gewann den Wettkampf glatt. Nach dieser Niederlage hörte man von Tal längere Zeit wenig, bis er sich Mitte der 70-er Jahre mit einer Reihe spektakulärer Erfolge zurückmeldete. Harald Schneider-Zinner C-Trainer Wien 2010 4 Ein schweres Nierenleiden machte ihm über Jahrzehnte zu schaffen. 1992 verstarb der „Zauberer von Riga“. Tigran Petrosjan (1929-1984) 9. Weltmeister, von 1963-1969 Petrosjan wurde in Georgien geboren. Seine Eltern waren sehr arm, und er musste schon als Schüler durch Arbeit an einem Lichtspieltheater Geld dazuverdienen. Als Zwölfjähriger begann er mit dem Schach. 1962 gewann er das gerüchteumwitterte Kandidatenturnier von Curacao – vor Geller, Keres, Fischer, Kortchnoi, Benkö, Filip und dem wegen Erkrankung ausgeschiedenen Tal. Das Turnier wurde in 4 Durchgängen – jeder gegen jeden – ausgetragen. Bei den Temperaturen und der Stärke der Gegnerschaft war es also ein sehr anstrengendes Turnier. Hauptgegner der russischen Teilnehmer war Fischer. Ihn galt es auf Distanz zu halten. So schlossen Petrosjan, Geller und Keres einen Nichtangriffspakt. Sie remisierten alle ihre Partien und sparten so viel Kraft. Fischers Wut auf die „remis-schiebenden Sowjets“ wurde so genährt (doch auch sein schlechter Start war ein Grund für seine bescheidene Platzierung). Fischer wetterte über den Modus, weil immer viele Sowjets mitspielen würden – und so immer die Möglichkeit für Absprachen bestand. Und tatsächlich – später wurden die Kandidatenkämpfe im K.O.-System ausgetragen. 1963 konnte Petrosjan – diesmal für immer – Botwinnik vom Thron stoßen. Petrosjan galt als Meister der Verteidigung. Er wartete hinter einer sicheren Deckung, bis der Gegner sich schwächte, um ihn dann gnadenlos auszukontern. Er gilt auch als Erfinder des „defensiven Opfers“. 1966 verteidigte er seinen Titel gegen Boris Spassky, doch beim zweiten Titelkampf gegen ihn musste er sich an seinem 40. Geburtstag geschlagen geben. Petrosjan verlor extrem selten, hatte aber bisweilen eine Remis-Quote von 70-80%. 1984 starb er nach langer Krankheit an Krebs. Petrosjan zeigte, dass sich fast jede Stellung halten lässt, und dass es in der Verteidigung unglaublich viele Ressourcen gibt. Er spürte die Gefahr, bevor es überhaupt noch eine gab. Boris Spassky 10. Weltmeister, von 1969-1972 Spassky wurde 1937 in Leningrad geboren und wuchs nach der frühen Trennung seiner Eltern im Waisenhaus auf. Mit 9 Jahren trat er in den Leningrader Pionierpalast ein. 1965 besiegte er Tal im Kandidatenfinale und wurde Herausforderer von Petrosjan. Den ersten Wettkampf (1966) verlor er, doch drei Jahre später konnte er Petrosjan vom Thron stoßen. Nach der Eroberung des Titels genoss er das Leben und spielte kaum Schach. Aber dann kam wie ein Taifun Fischer auf ihn zugerast. Spassky beeindruckte durch seinen offensiven und universellen Stil, mit dem er sich hervorragend an den Gegner anpassen konnte. Er konnte sich tief in die Stellung versenken, sein Desinteresse für Kleinigkeiten wurde ihm aber manches Mal zum Verhängnis. 1972 kam es zum legendären Wettkampf gegen Bobby Fischer in Rejkjavik (siehe unten). Nachdem er den Titel an Fischer verloren hatte, bekam er keine weitere Chance mehr, um den Weltmeistertitel zu spielen. Zunächst scheiterte er an Karpow, später an Kortchnoi. In dritter Ehe heiratete er 1975 eine Französin und wurde französischer Staatsbürger. Er spielte in der französischen und der deutschen Bundesliga. Harald Schneider-Zinner C-Trainer Wien 2010 5 1992 sollte er noch einmal Bobby Fischer in Serbien gegenüberstehen (siehe unten). Bobby Fischer 11. Weltmeister, 1972-1974 Bobby Fischer wurde 1943 in Chicago geboren. Als Sechsjähriger erhielt er von seiner Schwester ein Schachspiel geschenkt. Das war der Ausgangspunkt einer unvergleichlichen Karriere. Bereits als Dreizehnjähriger erregte er weltweites Aufsehen, als er den amerikanischen Spitzenspieler Donald Byrne bezwang. 1957 war das Jahr des großen Durchbruchs. Mit 14 Jahren gewann er zum ersten Mal die USMeisterschaft. Dabei hängte er Samuel Reshevsky – einen der weltbesten Spieler – um 2 Punkte ab. Fischer nahm insgesamt 8-mal an der US-Meisterschaft teil und er gewann immer. Einmal gelang ihm das Kunststück, mit 100% zu gewinnen. Fischers ledernes Taschenschach erlangte Berühmtheit. Überall und jederzeit hatte er es bei sich. Er analysierte im Restaurant, auf der Parkbank, … Schach war für viele Spieler das Wichtigste im Leben. Doch für Fischer war Schach das Leben. Dies führte ihn zum Weltmeistertitel, aber auch weg von der Realität, und machte ein normales Leben unmöglich. Beim Interzonenturnier 1958 wurde er 5.-6. Das reichte, um im Alter von 15 Jahren und 6 Monaten jüngster Großmeister aller Zeiten zu werden. Dieser Rekord hielt über 33 Jahre, bis er von Judith Polgar gebrochen wurde (15 Jahre, 5 Monate). Heute hält Karjakin den Rekord (12 Jahre 7 Monate). Nach Curacao zog sich Fischer zurück. Er stellte völlig überzogene Honorarforderungen und weigerte sich, an Turnieren mit Beteiligung der Sowjets teilzunehmen. Er trat nur bei einigen Veranstaltungen in den USA an. Dann wurde er zu einem Turnier in Kuba eingeladen, doch die USA ließen ihn aufgrund der politischen Situation nicht hinreisen. Eine bemerkenswerte Lösung wurde gefunden: Er spielte von Amerika aus. Seine Züge wurden per Fernschreiber hingeschickt. Fischers Appetit war wieder da. 1967 trat er zum Interzonenturnier in Sousse an. Trotz fantastischer 8,5 Punkte aus 10 Partien und sicherer Qualifikation brach der Prinzipienreiter Fischer das Turnier ab. Seine Sonderwünsche punkto Beleuchtung, Spielzeit und Ruhe von den Fotografen wurden nicht erfüllt. Er flüchtete sich in ein Einsiedlerdasein und es entstand die Befürchtung, dass er völlig von der Bildfläche verschwinden würde. Fischer analysierte in der Zwischenzeit sehr viel, verschlang förmlich die russische Schachliteratur. Autodidaktisch hatte sich Fischer Russisch angeeignet. Daneben schrieb er ein Buch über seine besten Partien, das zum Glück nicht sein Testament wurde. Die Wende brachte der Wettkampf des Jahrhunderts 1970. Die UdSSR trat gegen den Rest der Welt in Belgrad auf 10 Brettern an und gewann knapp mit 20,9: 19,5 Punkten. Aufstellung der UdSSR: Spassky, Petrosjan, Tal, Kortchnoi, Smyslow,…Spieler wie Bronstein und Stein waren nur Ersatz. Für die Weltauswahl: Larsen, Fischer, Hort, Reshevsky, Portisch… Fischer akzeptierte Larsens Forderung, als erfolgreichster Spieler des Jahres auf Brett 1 zu spielen. Auf Brett 2 hatte Fischer es mit dem Ex-Weltmeister Petrosjan zu tun, den er 3:1 bezwang – und das, obwohl er ohne Spielpraxis war. Zum ersten Mal fürchtete man sich in der UdSSR wirklich davor, den Weltmeistertitel – der ja ihnen gehörte – zu verlieren. Das nächste wichtige Ereignis fand abseits des Schachbretts statt. Fischer wollte ohne Vorqualifikation an den Kandidatenwettkämpfen teilnehmen. Harald Schneider-Zinner C-Trainer Wien 2010 6 Die USA legten sich mächtig ins Zeug und die FIDE stimmte zu, vorausgesetzt, dass einer der startberechtigten Spieler zurücktritt. Der war rasch gefunden. Der aus Ungarn in die USA emigrierte Pal Benkö verzichtete. Alle Proteste der UdSSR waren vergeblich. Die Kandidatenkämpfe wurden zu einem Festspiel Fischers. Die erste Runde brachte ihm Mark Taimanow (1970 in Vancouver, 3000 Dollar-Preistopf, der 2:1 auf den Sieger verteilt wurde, Match über 10 Partien). Es passierte das Unfassbare: Fischer gewann 6:0. Taimanow sollte das teuer zu stehen kommen, denn das mächtige Sportkomitee rächte sich fürchterlich für diese Blamage. Unter dem Vorwand eines Steuervergehens wurde er angeklagt und aller Privilegien beraubt. Zwei Jahre Berufsverbot wurden verhängt. Taimanow war nicht nur ein toller Schachspieler, sondern auch ein hervorragender Pianist. Doch nun durften auch keine seiner Konzerte mehr aufgeführt werden. Die Aberkennung des Titels „Verdiente Meister der UdSSR“ stürzte ihn in den finanziellen Ruin. Auch seine Ehe zerbrach. Erst lange Zeit später kehrte Taimanow wieder auf die Schachbühne zurück. Er war ein gern gesehener Gast bei den Wettkämpfen zwischen den weltbesten Senioren und weltbesten Damen. Fischer focht das wenig an. Sein nächster Gegner war der beste Spieler der westlichen Welt (natürlich abgesehen von Fischer). Auch über Larsen fegte er 6:0 hinweg (1971 in Denver). Der Nimbus Bobby Fischer war geboren. Doch nun wartete Tigran Petrosjan – der Fels des sowjetischen Schachimperiums. Großmeister Larry Evans schrieb im Time Magazine, dass Petrosjan Fischer nur bezwingen könne, wenn er ihn zu Tode langweile. Der Wettkampf fand 1971 in Buenos Aires statt. Nachdem die erste Hälfte sehr ausgeglichen verlief, brachte eine extrem schwere und lange Hängepartie die Wende. Petrosjan analysierte mit seinem gesamten Betreuerstab die ganze Nacht die Partie, während Fischer sich ausruhte und fit in die Verlängerung ging. Er gewann und Petrosjans Widerstand war gebrochen. Nun begann Hektik in der UdSSR auszubrechen. Frisch in Erinnerung war die Mondlandung der Amerikaner, da wollte man nicht auch noch den Schachtitel an sie verlieren. Ein gigantisches Team analysierte Fischers Stärken und Schwächen. Die Popularität des Schachs nahm in den USA sprunghaft zu. Ganze Familien wurden vom Schachfieber erfasst. Dann begannen die Verhandlungen um den WM-Kampf. Für Fischer stand das Geld an erster Stelle. Er forderte ein Minimum von 100.000,-- Dollar und verglich den WM-Kampf mit dem BoxFight des Jahrhunderts zwischen Ali und Frazier. Nach langem Hin und Her konnte man sich auf Rejkjavik einigen, doch damit begann erst der Spaß. Fischer stellte neue Forderungen, vor allem nach mehr Geld. Er forderte 30% der Zuschauereinnahmen, doch die Organisation wollte sich nicht beugen. Fischer erschien nicht zur Eröffnungsfeier und zum ersten Spieltermin. Um den Wettkampf irgendwie zu retten, traf der FIDE-Präsident – Ex-Weltmeister Max Euwe – eine unerwartete Entscheidung: Er verschob den Beginn um zwei Tage. Doch das hätte nicht geholfen, wäre nicht der reiche Schachliebhaber Jim Slater eingesprungen. Er verdoppelte die Preiskasse und sagte: „Wenn Geld dein Problem ist, hier ist es. Und jetzt komm und spiel!“ Und Fischer kam. Der Kampf bestand aus zwei Teilen: Am Brett und außerhalb des Bretts. Spassky hatte allerdings nur mit dem ersten Teil etwas zu tun. Fischer erschien regelmäßig zehn Minuten zu spät. Er wollte keine Kameras und möglichst auch keine Zuschauer zulassen, und fand ständig Anlass zu neuen Beschwerden. Die erste Partie verlief schachlich sehr ruhig, bis Fischer einen „vergifteten Bauern“ fraß – eines der großen Rätsel der Schachgeschichte. Harald Schneider-Zinner C-Trainer Wien 2010 7 Viele Menschen, die sich noch nie mit Schach auseinander gesetzt hatten, wussten seit diesem Tag, was ein „vergifteter Bauer“ war. Fischer forderte: „Die Kameras oder ich“ (und das, obwohl er an den Filmrechten beteiligt war), und trat zur zweiten Partie nicht an. Zum ersten Mal in der Geschichte der Weltmeisterschaftskämpfe ging eine Partie kampflos verloren. Mister Fox, der die Filmrechte hatte, war bereit, die Kameras zu entfernen. Knapp vor der dritten Partie rief Fischers Rechtsanwalt Paul Marshall beim Schiedsrichter an, und bat, den Wettkampf in einem kleinen Raum hinter der Bühne auszutragen. Spassky stimmte großzügig zu, bereute es aber später, so die psychologische Initiative abgegeben zu haben. Eine einzige Kamera, die fix aufgestellt war, übertrug die Partie. Nun begann die große Zeit Fischers. Trotz zweier Punkte Rückstand führte er nach 13 Runden mit 8:5. Erst dann gelang es Spassky, das Match ausgeglichen zu gestalten, doch es war bereits zu spät. Nach 21 Partien hieß der neue Weltmeister Bobby Fischer (Gesamtergebnis: 12,5: 8,5). Doch der spielerische Unterschied war bei weitem nicht so deutlich wie das Ergebnis vermuten lässt. Doch Spassky beging grobe Einsteller in der ersten Hälfte, die Fischer eiskalt ausnützte. In der Eröffnung variierte Fischer enorm. Stets wich er bereits nach wenigen Zügen von früheren Varianten ab. Fischer wollte ein spielender Weltmeister werden (doch erst Karpow sollte diese Idee verwirklichen). Er kritisierte die Russen dafür, dass sie Weltmeister wurden, und sich dann nicht mehr blicken ließen. Weit über 20 Jahre lang glaubte Fischer, werde er den Titel verteidigen können. Damit würde er Laskers Rekord (dieser war 21 Jahre lang Weltmeister) brechen. Doch es sollte anders kommen. Mit dem Gewinn des Titels war seine Mission erfüllt. Er stand nun vor dem Nichts. Er schraubte nun seine Forderungen in immer absurdere Höhen und verschreckte jeden Veranstalter. Zwar hatte er viele Angebote für Auftritte über 100.000,-- Dollar, doch Geld war nichts wirklich Reales für ihn, nur ein Mittel, um seine Würde zu unterstreichen. Andererseits war Fischer auch der Wegbereiter des Schach-Profitums. Zum ersten Mal wurden bei Turnieren halbwegs vernünftige Preise ausgeschüttet. So konnten auch im Westen – ohne Unterstützung des Staates (im Gegensatz zur UdSSR) – Spieler vom Schach leben. Es war der Beginn des modernen Turnierschachs. Fischer hatte die Erfahrung gemacht, dass alle auf seine Eskapaden einstiegen. Doch die FIDE war 1975 nicht mehr zu einem weiteren Kniefall vor Fischer bereit. Zwar kam sie ihm wieder sehr entgegen – doch eben nicht in allen Punkten. Doch das war Fischer zu wenig. Er verzichtete auf die Verteidigung des Titels. Nun führte Fischer das Leben eines Einsiedlers, eines ruhelosen Wanderers. Fern jeder Realität verarmte er. Doch dann wurde er noch einmal aus der Versenkung geholt: Über 5 Millionen Dollar wurden von einer serbischen Bank für einen Rückkampf mit Spassky geboten. Das war der größte Preisfonds, den es jemals im Schach gab. Und so traten die beiden Gestalten aus der Vergangenheit 1992 zu einem surrealistischen Wettkampf im schachverrückten Serbien an. Fischer gewann in einem schachlich wenig anspruchsvollen Kampf. Doch Serbien – unter dem Milosevic-Regime wegen Völkermordes angeklagt – stand unter internationalem Boykott. Das Foto von Fischer, wie er das amerikanische Dokument bespuckte, ging um die Welt. Fischers Rückkehr in die USA war damit verbaut. Nachdem er Anfang 2005 in Japan festsaß und die USA seine Auslieferung beantragte, schloss sich vorerst der Kreis. Island, wo Fischer immer noch eine Legende ist, bot ihm die Staatsbürgerschaft an. Am 17. Jänner 2008 verstarb Fischer nach einem Nierenversagen in einem Spital in Rejkjavik. Harald Schneider-Zinner C-Trainer Wien 2010 8 Anatoli Karpow 12. Weltmeister, 1975-1985 und 1993 – 1999 (FIDE-Weltmeister) Karpow wurde 1951 im Ural geboren. Mit 5 Jahren lernte er von seinem Vater die Regeln. Die Schachbegeisterung war riesig – vor allem entfacht durch den hellen Stern Michael Tals. Man erkannte früh Karpows Talent und schickte ihn in die Botwinnik-Schule nach Moskau. Der Durchbruch zur Weltspitze gelang ihm 1970 mit dem Sieg beim Aljechin-Gedenkturnier vor Stein, Smyslow, Tal, Petrosjan, Spassky, Kortchnoi…... Für diese Leistung erhielt er den Großmeistertitel. 1972 vertrat er die Studentenmannschaft der UdSSR bei der Studentenolympiade in Graz. 1975 gewann er das Kandidatenfinale gegen Kortchnoi und qualifizierte sich für den Kampf um den Titel gegen Fischer. Die FIDE setzte ein Limit bis 1.April - beide Spieler müssten den Bedingungen bis dahin zustimmen. Karpow tat dies, obwohl die FIDE sehr auf Fischers Wünsche (10 Gewinnpartien) eingegangen war. Aber Fischer, nachdem nicht alle seine Forderungen (9:9 reicht Weltmeister) akzeptiert wurden, ließ das Ultimatum verstreichen. Euwe gab ihm noch zwei weitere Tage Zeit, dann krönte er Karpow zum Weltmeister. Es war ein unwillkommener Brauch der früheren Weltmeister, sich auf ihrem Titel auszuruhen. Doch Karpow änderte das: Er wurde ein spielender Weltmeister. Keiner sollte so viele Turniere gewinnen wie er. Zum ersten Mal musste er gegen Kortchnoi seinen Titel verteidigen. Nach der großen Geschichte West-Ost bei Fischer gegen Spassky stand nun der Kampf zwischen dem Regimegegner Kortchnoi und dem Regimeliebling Karpow auf dem Programm. Kortchnoi ist eine schillernde Gestalt der Schachgeschichte. Seit über 50 Jahren spielt er Weltklasseschach. Wenn er in den letzen Jahren auch nicht mehr ganz vorne mitmischen kann, so hat er doch im Alter von 74 Jahren eine Elozahl über 2600 und kämpft jede Partie wie ein hungriger Löwe aus. Kortchnoi hat stets gesagt, was er sich dachte. Das kam beim mächtigen Sportkomitee nicht immer gut an. Als er in Ungnade fiel, nütze er 1976 die Gelegenheit, von einem Turnier in Holland nicht mehr nach Russland zurückzukehren. Heute ist er Schweizer Staatsbürger. Der Titelkampf 1978 wurde auf den Philippinen ausgetragen. 6 Siege waren für den Titel notwendig. Es sollte ein Marathonwettkampf werden. Karpow führte schon 5:2, als der „eiserne Viktor“ erbittert zurückschlug. Er konnte auf 5:5 ausgleichen. Erst als der Gleichstand erreicht war, fand Karpow wieder zur alten Stärke und gewann die 32. Partie – und damit den Titel. Beide Spieler mussten an ihre körperlichen und geistigen Grenzen gehen. Doch auch abseits des Schachbretts ging es hoch her. 67 Seiten Protestschreiben wurden bei den Schiedsrichtern eingereicht. Kortchnoi beschwerte sich darüber, dass ein Psychotherapeut in den Zuschauerreihen (Dr. Suchar) ihn negativ beeinflusse. Außerdem meinte er, dass Karpow Tipps von seinem Betreuerstab über die Farbe des Joghurts bekam. Und schließlich störe ihn das ständige Herumgedrehe Karpows auf seinem Stuhl. Zum Abschirmen böser Blicke trug Kortchnoi eine Brille mit Blendglas, worüber sich wieder Karpow beklagte. Außerdem beschwerte sich die Delegation der UdSSR über die Mitglieder der Ananda Marga Sekte, die Kortchnoi mental unterstützten. Sie verunglimpfte sie als Mörder und wollte sie des Saales verwiesen sehen. Für die Presse war das natürlich ein gefundenes Fressen. 1981 standen sie sich in Meran wieder gegenüber. Kortchnoi war noch verbissener, noch hasserfüllter als drei Jahre zuvor. Er wollte nicht nur Karpow besiegen, er wollte das Regime der Sowjets besiegen. So spielte er äußerst verkrampft und verlor. Damit war das Duell Karpow gegen Kortchnoi für immer entschieden. Harald Schneider-Zinner C-Trainer Wien 2010 9 Wenn sie sich heute bei einem Turnier treffen, reden sie immerhin schon miteinander. Doch Freunde werden sie wohl nicht mehr werden. Im Schatten dieses Wettstreits wuchs ein neuer und gefährlicher Konkurrent im fernen Baku heran – Garry Kasparow. Das Duell dieser beiden Giganten sollte die 80-er Jahre prägen. Bereits am 1. Jänner 1984 übernahm Kasparow die Führung in der Weltrangliste – die er nur noch einmal für kurze Zeit an Karpow (1985) abgeben sollte. Bis heute ist Kasparow die Nummer 1 der Weltrangliste. 1984 qualifizierte sich Kasparow durch einen Sieg gegen den 63-jährigen Smyslow für den Titelkampf. Dort geriet er schnell in Rückstand. Karpow errang – unterbrochen von einer Remis-Serie – Sieg um Sieg. Schließlich stand es 5:0 (Remisen nicht mitgerechnet). Der nächste Sieg Karpows würde das Ende bringen. Doch Kasparow wurde immer zäher und zäher und lernte mit jeder Partie dazu. Er holte bis zum Stand von 3:5 auf. Da brach FIDEPräsident Campomanes nach 48 Partien – und nach 5 Monaten – den Kampf ab. Er fürchtete um den Gesundheitszustand beider Spieler. Böse Zungen behaupteten allerdings, er wollte Karpow vor der Niederlage retten. Der Wettkampf wurde neu ausgetragen, und auf 24 Partien begrenzt. Der Herausforderer gewann 13:11 und wurde mit 22 Jahren jüngster Weltmeister der Schachgeschichte. Garry Kasparow 13. Weltmeister, 1985 – 1993 und 1993 – 2000 (PCA-Weltmeister) Kasparow wurde 1963 in Baku (der Hauptstadt von Aserbaidschan) geboren. Seine Eltern lehrten ihm im Alter von fünf Jahren Schach. Mit 10 Jahren wurde er in die BotwinnikSchachschule aufgenommen. 1981 gewann er zum ersten Mal die UdSSR-Meisterschaft. 1983 setzte er sich in den Kandidatenkämpfen durch – zunächst gegen Kortchnoi, und im Finale gegen den 63-jährigen Smyslow. Ein Jahr später begann der große Kampf gegen Karpow (siehe vorne). Anschließend verteidigte er den Titel noch drei weitere Male gegen Karpow: 1986 in London bzw. Leningrad, 1987 in Sevilla mit 12:12, und 1990 in New York bzw. Lyon mit 12,5:11,5. In Sevilla lag Kasparow vor der letzen Partie mit 1 Punkt im Rückstand und musste unbedingt gewinnen. Dieses Glanzstück gelang ihm auch. Nach Pogromen gegen die armenische Minderheit in Baku musste Kasparow – Sohn eines jüdischen Vaters und einer armenischen Mutter – über Nacht fliehen. Bis heute hat er seine Geburtsstadt nicht mehr besucht. Kasparow selbst wurde auch politisch tätig und war Anhänger der Perestrojka-Politik von Gorbatschow. 1992 spielte er ein spektakuläres Uhren-Handicap gegen das deutsch Nationalteams: Er gewann mit 3:1. 1993 wurde ein dunkles Jahr für das Schach. Der Engländer Nigel Short hatte sich in den Kandidatenkämpfen qualifiziert und traf auf Kasparow. Da sie mit den Bedingungen der FIDE nicht einverstanden waren gründeten Kasparow und Short die PCA und trugen die Weltmeisterschaft privat aus. Es kam zur Abspaltung vom Weltschachbund, die bis 2006 andauerte. 1995 verteidigte Kasparow seinen PCA-Titel gegen Anand. Zum ersten Mal spielten Computer bei der Vorbereitung auf den Wettkampf eine wesentliche Rolle. Kasparow spielte später mehrere Wettkämpfe gegen Computer. Er wollte die „Ehre der Menschheit“ verteidigen. Doch 1997 unterlag er Deep Blue in einem dramatischen Kampf. In der letzten Partie ging er fast wie ein Hobbyspieler unter. Ein weiteres Rätsel der Schachgeschichte. 1999 erreichte Kasparow die „Elozahl aller Elozahlen“ – 2851 – die höchste je erreichte Marke. Harald Schneider-Zinner C-Trainer Wien 2010 10 Im Jahr 2000 verlor Kasparow seinen PCA-Titel an seinen ehemaligen Schützling Wladimir Kramnik. Kasparow suchte später den Schulterschluss mit der FIDE. Ein Unterfangen, das leider scheiterte. Er bekam keine weitere Chance, um den Titel zu kämpfen. So musste er sich damit begnügen, fünf weitere Jahre die klare Nummer 1 der Welt zu bleiben. Er hielt seine Elozahl stets über der Traummarke 2800 und gewann zahlreiche Superturniere. In seinem Lieblingsturnier in Linares – von Kasparow auch liebevoll als sein zweites Wohnzimmer bezeichnet – beendete der vielleicht stärkste Spieler aller Zeiten 2005 seine Karriere. Heute widmet er sich der Politik (mit wenig Erfolg) und der Schriftstellerei. So verfasste er ein vielfältiges Werk über seine Vorgänger. Vom Schachstil her sehen viele in Kasparow einen Nachfolger Fischers. Voller Energien setze er seine Gegner vom ersten Moment an unter Druck. Seine Willenskraft und seine unübertroffene Vorbereitung waren seine größten Stärken. Im Vergleich zu Fischer findet sich Kasparow im „wahren Leben“ allerdings bestens zurecht. Die FIDE-Linie ab 1993: 1993: Nachdem Kasparow die Schachwelt gespalten hatte, bestimmte die FIDE Karpow und Timman als neue Finalisten. Karpow setzte sich glatt durch. 1996: Karpow verteidigt seinen Titel gegen Gata Kamsky. 1997 führte die FIDE statt der Kandidatenwettkämpfe einen neuen Modus ein. Der Herausforderer wurde in einem riesigen K.O.-Turnier ermittelt. Vishy Anand setzte sich durch und galt als zumindest ebenbürtiger Gegner für Karpow. Allerdings wurde der Wettkampf gleich im Anschluss an das K.O.-Turnier gespielt. Der ausgeruhte Karpow nutzte diesen Vorteil gegen den bereits ermüdeten Anand. 1999 endete die Ära Karpows endgültig. Neuerlich änderte die FIDE die Regeln. Der Weltmeister sollte nicht länger im Finale gesetzt sein, sondern müsse bereits in der ersten Runde am K.O.-Turnier teilnehmen. Doch unter diesen Umständen weigerte sich Karpow anzutreten. Die FIDE änderte auch die Bedenkzeit. Sie wurde deutlich verkürzt, um das Schach angeblich spannender zu machen. Das Turnier 1999 in Las Vegas wurde von Alexander Kahlifman gewonnen, der damit neuer FIDE-Weltmeister wurde. Ihm folgten im Jahresabstand Vishy Anand, Ruslan Ponomarjow und Rustam Kasimdshanow. All diese Spieler sind exzellente Großmeister, doch reicht keiner von ihnen (mit Ausnahme von Anand) an die „klassischen Vorgänger“ heran. Oktober 2005 in Argentinien: Die Schachwelt hat einen neuen und würdigen Weltmeister. Nach dem Rücktritt Kasparows war der Weg innerhalb der FIDE frei, um neue Impulse zu setzen. Die acht stärksten Spieler der Welt trafen sich in San Luis zum Kampf um den FIDETitel. Gespielt wurde endlich wieder nach der klassischen Bedenkzeit. Alle die den „Remistod des Schachs“ an die Wand gemalt hatten, wurden Lügen gestraft, denn es wurde fantastisches Kampfschach gespielt. Harald Schneider-Zinner C-Trainer Wien 2010 11 Wesselin Topalow 14. Weltmeister 2005 - 2006 Der neue Weltmeister heißt Wesselin Topalow. Im ersten Durchgang konnte er 6,5 Punkte aus 7 Partien machen. Eine Leistung, die es seit Bobby Fischer nicht mehr gab. Er erbrachte damit im ersten Durchgang eine Eloleistung von noch nie dagewesenen 3150 Elo! Im zweiten Durchgang konnte er sich aus der Position des Stärkeren durchremisieren, um schon eine Runde vor Schluss als neuer Weltmeister fest zu stehen. Topalow wurde 1975 an Bulgarien geboren. Mit sieben Jahren erlernte er das Schach, mit 16 Jahren hatte er die gute (aber nicht berauschende) Elozahl von 2450. Dann kommt es zum Fall des Eisernen Vorhangs. Ohne auf das Wohlwollen der staatlichen Funktionäre angewiesen zu sein, konnte er sich nun voll entfalten. Zusammen mit seinem Trainer, Manager und Freund Danilow übersiedelte er nach Spanien, ein richtiges Schachmekka. Dort begann sein Aufstieg zur Weltspitze. 1992 kurvte er mit Danilow in einem alten Citroen von einem Open zum anderen durch Spanien. Sie nahmen an einer Kette von 20 Turnieren teil und spielten über 200 Partien in einem Jahr. Seine Elozahl sprang auf 2700 Elo. 1996 war Topalow der erfolgreichste Spieler des Jahres. Doch dann kam Sand ins Getriebe. Er spielte nach wie vor ein tolles kämpferisches Schach, doch im entscheidenden Moment versagten die Nerven. Nach einigen Rückschlägen wurde 2005 „sein Jahr“. Er gewann mehrere Topp-Turniere und war der letzte Spieler der Kasparow schlagen konnte. Seine körperliche Vorbereitung und die Zusammenarbeit mit einem Sportpsychologen machten sich bezahlt. Darüber hinaus hatte er bei der WM in San Luis wohl das professionellste Team an seiner Seite. Wladimir Kramnik 15. Weltmeister (PCA-Weltmeister 2000 – 2006, FIDE-Weltmeister 2006-2007) Kramnik wurde 1975 in Russland geboren. Schon als Kind bewies er großes Talent und wurde in die Botwinnik-Schule aufgenommen. Dort wurde er vor allem von Kasparow gefördert, auf dessen Intervention er auch 1992 ins russische Nationalteam einberufen wurde. Bei der Olympiade von Manila gelang ihm mit 8,5 aus 9 der große Durchbruch. Er stieg rasch Tempo zur Weltspitze auf und bezwang im Jahre 2000 seinen Lehrmeister Garry Kasparow. Bis zur Wiedervereinigung des Titels blieb er PCA –Weltmeister (diesen Titel verteidigte er nur einmal – 2004 gegen Peter Leko). Seine erste Herausforderung als neuer Weltmeister war der Kampf gegen das Computerprogramm „Deep Fritz“. Nach einem Remis in der ersten Runde passierte ihm in der 2. Partie „der größte Schnitzer seiner Karriere“. In leicht besserer Stellung übersah er ein einzügiges Matt. Im „Wiedervereinigungsmatch“ 2006 setzte er sich gegen Topalow durch und wurde der neue und unumstrittene Weltmeister. Die FIDE-Regularien schrieben vor, dass er seinen Titel in einem Rundenturnier mit acht Teilnehmern verteidigen musste. Die sieben offenen Startplätze wurden durch ein Qualifikationsturnier bzw durch die Elozahlen ermittelt. Klarer Sieger – und damit neuer Weltmeitster- wurde Anand. Harald Schneider-Zinner C-Trainer Wien 2010 12 Viswanathan Anand 16. Weltmeister (2007- …) Anand wurde 1969 in Madras (Indien) geboren. Gelernt hat „Vishy“ das Schachspiel im Alter von sechs Jahren, seine Lehrerin war seine Mutter. Allerdings durfte er damals nur Turniere spielen, wenn er gute Schulnoten nach Hause brachte - was aber häufig der Fall war. So nahm er schon als 14-Jähriger für Indien an der Schacholympiade teil und wurde drei Jahre später Jugendweltmeister. Den Weltmeistertitel eroberte Anand 2007 in einem doppelrundigen Turnier mit 8 Teilnehmern. Mit einem Punkt Vorsprung gewann er in Mexiko-Stadt vor Kramnik und Gelfand. Seitdem hat Anand den Titel bereits zweimal verteidigt: Der „Tiger von Madras“, wie Anand wegen seines zuweilen aggressiven Spielstils genannt wird, besiegte Kramnik 2008 mit einem genialen Springerzug. Die WM in Bonn 2008 war perfekt organisiert und setzte neue Maßstäbe. Der Bulgare Veselin Topalow wird der nächste Herausforderer von Anand. Mit einem Sieg in der siebten Partie gewann der 33-jährige Großmeister im Kulturpalast von Sofia 2009 das Kandidatenfinale gegen Gata Kamsky (USA). Anands Erfolge lösten in Indien einen riesigen Schachboom aus. Indien ist dabei, eine der führenden Schachnationen der Erde zu werden. Da viele den Ursprung des Schachs in Indien sehen („Chaturanga“) könnte sich der Kreis bald schließen. Anand war mehrfach Sportler des Jahres in Indien und ist dort einer der wichtigsten Werbeträger. Bei seinen Gegner ist er auch wegen seines schnellen Spiels gefürchtet. Anand ist wohl einer der Spieler mit der besten Schachintuition. Er selbst definiert Intuition als „den ersten Zug, den ich in einer Stellung sehe“. 2010: WM in Sofia Anand verteidigt in einem sehr spannenden Zweikampf den Titel gegen Topalow. Nach 11 Partien stand es 5,5 zu 5,5 und in der letzten Partie führte Topalow die weißen Steine. Bei einem Unentschieden würde der Kampf durch ein T-Break entschieden werden. Topalow riskierte viel – und verlor. Der erste Schwarzsieg in diesem Match brachte Anand erneut den Titel. Die Vervielfältigung des Skripts (oder von Teilen des Skripts) ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors erlaubt! Alle Rechte vorbehalten! Harald Schneider-Zinner Heigerleinstraße 66/105 1160 Wien Mail: [email protected] Homepage: www.schachtrainer.at Tel: 01 945 82 90 0699 1 945 82 90 Wien, am 18. Mai 2010