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Penter R.: Entwicklungswege des Klinisch-Therapeutischen Instituts (der Ita Wegman Klinik) in Arlesheim. In: HAUSZEITUNG –
Informationsorgan für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sondernummer 2, Ita Wegman Klinik, Arlesheim 2005
Entwicklungswege
des KlinischKlinisch-Therapeutischen Instituts
(der Ita Wegman Klinik)
Arles
in Arle
sheim
Vorbemerkungen
Die folgenden Ausführungen geben einige Aspekte zur bisherigen Geschichte des Klinisch-Therapeutischen Instituts (der Ita Wegman Klinik) in Arlesheim wieder. Sie sind das Ergebnis meiner Bemühungen während meines 18-monatigen Hierseins um ein Verständnis des geschichtlichen Werdens der
Klinik bis zu ihrer heutigen Erscheinungsform. Da meine Haupttätigkeit hier eine andere als die eines
Geschichtsschreibers war und die Geschichte der Klinik natürlich noch nicht abgeschlossen ist, können diese Ausführungen lediglich nur einige spezielle Aspekte zur klinischen Entwicklung liefern. Diese Arbeit erhebt also überhaupt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, hat nicht den Anspruch einer
umfassend-differenzierenden Betrachtung – dazu wäre mindestens eine Vollzeitstelle über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren vonnöten! Hier geht es lediglich um einzelne besondere Aspekte,
die mir bei der Beschäftigung mit der bisherigen Geschichte der Klinik aufgefallen waren und die mir
sehr wesentlich für die Entwicklungswege des Klinisch-Thera-peutischen Instituts (der Ita Wegman
Klinik) scheinen. Anderen, wahrscheinlich auch einigen Lesern, werden diese Aspekte vielleicht als
marginal und weniger wichtig vorkommen. Wie dem auch sei – zu wünschen wäre es, dass die folgenden Betrachtungen zu Gespräch und Diskussion innerhalb der Mitarbeiterschaft anregen – gerade
unter dem Gesichtspunkt, auf welchen vergangenen Wegen die Ita Wegman Klinik heute aufbaut, was
die Mitarbeiter aus der Vergangenheit lernen können und ob das Vergangene Anregungen liefern
kann zur Ideenbildung über künftige, zu ergreifende und gestaltende Entwicklungswege der Ita Wegman Klinik.
Diese Arbeit soll keine voll ausgereifte, wissenschaftliche Abhandlung sein mit ausführlichen Anmerkungen und Literaturhinweisen. Zur flüssigen Lesart werden die von mir benutzten Quellen lediglich am Ende genannt werden. Am Ende des Heftes werde ich auch einige Hintergründe zu dieser
Ausarbeitung beleuchten.
Die Zeit ab 1991 wird von mir nur sehr kurz abgehandelt werden, da aufgrund der Konfliktlastigkeit
dieser Jahre viele „Wunden noch sehr offen liegen“ und die Ansichten und Meinungen darüber aufgrund der erst kurz zurückliegenden Zeit und der Selbstbeteiligung vieler heute hier noch arbeitender
Menschen sehr unterschiedlich ausfallen.
Eine gewisse personelle Betonung erfahren bei den Betrachtungen die Ärzte. Das liegt daran, dass
von diesen die hauptsächlichsten Impulse für die Klinik ausgingen. (Ihre Titel werden aber in der Arbeit nicht angeführt.) Der Großteil der Menschen, die im Klinisch-Therapeutischen Institut bzw. in der
Ita Wegman Klinik mitwirkten, kann natürlich nicht namentlich aufgeführt werden. Alle Entwicklungen
und Ereignisse wären ohne diese Menschen aber nie möglich gewesen. Klinische Arbeit ist immer
gemeinsame Arbeit; nur gemeinsam wird daher auch Zukünftiges zu entwickeln sein.
Diese Arbeit soll ein kleines Geschenk sein, das ich den Mitarbeitern der Ita Wegman Klinik übergeben will. Sie möchte Ausdruck des Dankes für die intensive Zeit sein, die ich hier an der Klinik arbeitend und erlebend verbringen durfte, ja selbst auch als Patient in den Genuss des großartigen therapeutischen, pflegerischen und menschlichen Fundus und Fähigkeiten dieser Klinik bzw. ihrer Menschen kam. Die Arbeit, die hier in der Ita Wegman Klinik geleistet wird, ist einfach großartig – auch
wenn am Ende dieser Arbeit einige weitere, für die Zukunft der Klinik mir noch notwendig erscheinende Aspekte erwähnt werden!
Diese Ausarbeitung ist letztlich nur möglich gewesen, weil ich mich mit dem hier lebenden Impuls –
oder besser: dem sich hier zukünftig entwickeln möchtenden Impuls –, der sich natürlich nur durch die
Menschen „aussprechen“ kann, sehr verbunden fühle.
Im März 2005
Arlesheim und Dornach
Dr. Reiner Penter
Penter R.: Entwicklungswege des Klinisch-Therapeutischen Instituts (der Ita Wegman Klinik) in Arlesheim. In: HAUSZEITUNG –
Informationsorgan für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sondernummer 2, Ita Wegman Klinik, Arlesheim 2005
Rudolf Steiner und Ita Wegman
Rudolf Steiner und Ita Wegman begegneten sich in der Theosophischen Gesellschaft, in der Rudolf
Steiner als Generalsekretär der deutschen Sektion tätig war. Im Jahre 1905 begann Steiner, die Medizin bei seiner geisteswissenschaftlichen Betätigung zu berücksichtigen. So sprach er in Berlin im Mai
öffentlich über „Die medizinische Fakultät und die Theosophie“ und kritisierte dabei den positivistischen Reduktionismus der Hochschulmedizin und dessen Folgen für die Studierenden. Trotzdem riet
er im selben Jahr der Heilgymnastin und Masseurin Ita Wegman Medizin zu studieren, was diese
1906 in Zürich auch tat. Ita Wegman war damals dreißig Jahre alt, hatte viel erlebt und geleistet, und
war doch bereit, einen ganz neuen Anfang zu setzen – der ihr jedoch wahrlich sehr schwer fiel.
Rudolf Steiners Interesse für die Medizin war von Anfang an sehr groß. So besuchte er im November 1905 den Homöopathen und Paracelsusforscher Emil Schlegel (1852 – 1935) in Tübingen. Auch
mit anderen Ärzten, die der Theosophie sehr nahe standen, hatte Steiner Kontakt. Er besprach mit
ihnen Patienten, gab Anregungen zur Therapie und forschte auch nach neuen Heilmitteln, so z. B.
gegen die Krebskrankheit. In seinen Vorträgen thematisierte Rudolf Steiner anfangs physiologischmedizinische Fragestellungen, ab 1909 insbesondere zur Sinnesorganisation und zu einzelnen Organprozessen. Ende 1910 berührte er erstmals die Problematik bezüglich motorischer und sensibler
Nerven, was 1911 in dem Prager Vortragszyklus „Okkulte Physiologie“ kulminierte.
Rudolf Steiner und Ita Wegman begegneten sich wieder 1907 auf dem Münchner Kongress der
Theosophischen Gesellschaft, an dem die Differenzen in Bezug auf die esoterischen Wege von Rudolf Steiner und Annie Besant stark hervortraten. Ita Wegman: „Kurz darauf ließ er mich rufen. Ich
wusste, ein entscheidender Moment meines Lebens wird stattfinden, entweder voll und ganz den Weg
Rudolf Steiners zu nehmen und ihm zu folgen oder bei den holländischen Freunden zu bleiben. Er
empfing mich ernst, sein Blick war fragend. Es wurde nicht viel gesprochen zwischen uns, wir verstanden uns sehr gut. Ich sagte einfach, weil ich fühlte, dass er von den Dingen wusste: ‚Ich bleibe bei
Ihnen.’ Dann wurde sein Blick strahlend, er nahm meine Hand, gab mir das Michaelszeichen und sagte wichtige Dinge zu mir, die ich nicht wiederholen darf. Ein uraltes Karma, das zwischen ihm und mir
bestand, wurde erneuert. Die Tragweite dieser Begegnung wurde mir erst viele Jahre später bewusst.“
Zu Pfingsten 1907 begann somit eine neue und zukunftsweisende Form des Zusammenwirkens von
Rudolf Steiner und Ita Wegman, die aber zuerst keimhaft angelegt war und sich sehr langsam und
stufenweise verwandeln musste – bis dieses Zusammenwirken 14 Jahre später im Jahre 1921 eine
neue Form mit der Eröffnung des Klinisch-Therapeutischen Instituts erreichte. Der Weg, bis es zu
dieser Form des Zusammenwirkens kam, erscheint so, als ob es nun diesen neuen, inneren Zusammenhalt zwar gab, beide Menschen sich jedoch diesem wie von zwei verschiedenen Seiten näherten.
Ita Wegman studierte vorerst bis 1911 in Zürich weiter, machte ihre klinische Ausbildung zur Gynäkologin und eröffnete schließlich eine Praxis in Zürich-Hottingen, in der sie bis 1920 arbeitete. 1919
schrieb sie einen Brief an Rudolf Steiner, in dem sie ihre Überlegungen preisgab, nach Dornach zu
ziehen, da viele ihrer Patienten von dort kamen und sie bereit wäre, „das zu tun, was im Sinne der
Anthroposophie liegt und was Sie für gut erachten“. Zu Letzterem war Steiner aber nicht bereit. Wegman hielt stichwortartig fest, dass Rudolf Steiner ihr „keinen Rat mehr geben [könne]. Sie müsse aus
eigener Kraft jetzt das tun, was ihr Wesen ihr sagt zu tun“. Es scheint, dass zu dem gemeinsamen
Wirken gehörte, dass jeder von beiden in Freiheit den Weg zur gemeinsamen Aufgabe und damit zum
werdenden Schicksal finden musste.
Nach einem insgesamt eher hoffnungsvollen Beginn der medizinischen Arbeit Rudolf Steiners mit
Ärzten ab ca. 1905, stagnierte die Arbeit – wohl auch bedingt durch den bald einsetzenden ersten
Weltkrieg, zu dem viele Ärzte hinzugezogen wurden. 1917 veröffentlichte Steiner im Anhang des Buches „Von Seelenrätseln“ das in kurzen Zügen dargestellte, durch dreißigjährige Forschung entdeckte
Ergebnis der sogenannten „Dreigliederung des menschlichen leiblich-seelisch-geistigen Organismus“,
von dem er sagte, dass die Begründung „durchaus mit den heute vorhandenen wissenschaftlichen
Mitteln gegeben werden“ kann. 1920 hielt dann Rudolf Steiner – auf Initiative von Oskar Schmiedel,
einem Pharmazeuten – den ersten Vortragszyklus für Ärzte, an dem u.a. Ita Wegman, Helene von
Grunelius, Eugen Kolisko, Ludwig Noll, Hilma Walter, Felix Peipers und Madeleine van Deventer teilnahmen. In diesen Vorträgen versuchte Steiner nach eigenen Worten „das Zusammendenken des
Penter R.: Entwicklungswege des Klinisch-Therapeutischen Instituts (der Ita Wegman Klinik) in Arlesheim. In: HAUSZEITUNG –
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ganzen gesunden und kranken menschlichen Organismus mit den außermenschlichen Kräften, Substanzen, Wirkungsweisen“ aufzuzeigen und richtete die Darstellung auf die Fragestellungen der Teilnehmer aus. Steiner wollte „eine Brücke schlagen zwischen dem, was Geisteswissenschaft geben
kann, und dem, was äußere Wissenschaft ist“. Er entwickelte zahlreiche Leitideen für weitere empirische Forschungsarbeiten und regte intensiv dazu an, aus der Anthroposophie erwachsene therapeutische Angaben klinisch weiter auszuarbeiten. Deutlich kam dieses Anliegen bei der Besprechung der
Misteltherapie am 2. April zutage: „Sie werden nun verstehen, dass ich über diese Dinge aus dem
Grunde vorsichtig sprechen muss, weil auf der einen Seite die Tendenz, die damit angegeben wird,
absolut richtig ist, auf gut fundierten geisteswissenschaftlichen Forschungen beruht, weil aber auf der
anderen Seite in dem Augenblicke, wo nun der praktische Heilungsprozess anfängt, die volle Abhängigkeit von der Verarbeitung der Mistelsubstanz anfängt, da eigentlich im Grunde genommen kaum
die Kenntnisse da sind, um den Prozess in der richtigen Weise zu betreiben. Hier liegt es natürlich, wo
Geisteswissenschaft nur dann günstig wirken könnte, wenn sie tatsächlich in fortwährendem Zusammenwirken mit dem stehen könnte, worauf ja so vieles bei der anderen Ärzteschaft beruht, nämlich mit
dem klinischen Prozesse. Und das ist es, was die Beziehungen der Geisteswissenschaft zu der Medizin so schwierig macht, weil ja die beiden Dinge, klinische Beobachtungsmöglichkeiten und geisteswissenschaftliche Untersuchungen, einfach heute durch unsere sozialen Einrichtungen noch ganz
auseinanderfallen müssen. Aber gerade aus dem wird eingesehen werden können, dass eigentlich
nur auf einen grünen Zweig zu kommen ist, wenn sich beides miteinander verbindet.“ [Hervorhebungen vom Verf.] Diese Aussage blieb nicht ohne Wirkung auf Ita Wegman, denn drei Tage nach Steiners Äußerungen, am 5. April 1920, fragte sie in einem Brief Ludwig Noll, ob dieser bereit sei, mit ihr
eine Klinik und ein Forschungsinstitut am Goetheanum aufzubauen. Ludwig Noll lehnte ab, dafür
stimmte die aber ebenfalls angefragte Hilma Walter zu.
Gleichzeitig mit Ita Wegmans Initiative wurde in Stuttgart eine anthroposophische Klinik geplant mit
Einrichtungen zur wissenschaftlichen Heilmittelforschung und –fabrikation. Ita Wegman wusste von
diesen Absichten, sah aber dennoch „eine dringliche Handlungsnotwendigkeit aus persönlich verantworteter Initiative im unmittelbaren Arbeits- und Lebensumkreis von Rudolf Steiner“ [Selg].
Es lebte aber noch etwas anderes in Ita Wegman, das ihr immer deutlicher wurde. „Etwas, das sich
als ‚Sehnsucht’ zunehmend geltend machte, aus tiefen Seelenschichten aufleuchtete und mit ihrem
‚Wesen’ in Verbindung stand“ [Selg]. Sie schrieb in ihr Notizbuch:
Starke Intellectualität in den Vorträgen mediz Kurse
mein Entschluß nach Dornach zu kommen
meine Verwunderung über diese Intellectualität
meine Sehnsucht nach einer Erneuerung
der Mysterien.
1920 ließ sich Ita Wegman ärztlich in einer Praxis in Basel nieder (Praxis dort bis 1926). Im Herbst
1920 kaufte sie schließlich ein Haus in Arlesheim und ließ es für Klinikzwecke umbauen. Am 8. Juni
1921 wurde die Klinik eröffnet. Im Rückblick schrieb Ita Wegman: „’Wie wird wohl alles aufgenommen
werden’, war bei mir die Frage, als ich unseren verehrten Lehrer Rudolf Steiner einlud, das Institut zu
sehen, als es ganz fertig war zum Empfang der Patienten. Mit klopfendem Herzen zeigte ich ihm die
Zimmer, die in den verschiedenen Farben gemalt [waren], das Behandlungszimmer, die Veranden,
was wird er sagen? Und unvergesslich bleibt mir der Moment, als wir in die oberste Etage angelangt
zur offenen Veranda uns begaben, um den schönen Ausblick zu sehen, den Arlesheim auf die Vogesen hat, Rudolf Steiner sich mir zuwendete, mir die Hand gab und die Worte aussprach; dass er mit
mir arbeiten wolle, und dass es ihm Freude gemacht, dass das Institut zustande gekommen ist, dem
er den Namen Klinisch-Therapeutisches Institut geben wollte und für das er jetzt mit mir zusammen
ein Prospekt ausarbeiten wollte.“
Mit der Klinikgründung und -eröffnung geht also auch der Beginn einer besonderen Form der Zusammenarbeit zweier menschlicher Individualitäten einher – eines Geisteslehrers und eines
Geistesschülers – in tiefster, auch weltumspannender karmischer Verbundenheit. Die Klinikgründung
und diese neue Form der Zusammenarbeit gründen aber auch in dem 14 Jahre vorher auf dem
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Münchner Kongress 1907 gegebenen Versprechen Ita Wegmans, bei Rudolf Steiner künftig bleiben
zu wollen. 1921 war Ita Wegman 45 Jahre, Rudolf Steiner 60 Jahre alt.
In der Folgezeit kam – wenn er in Dornach weilte – Rudolf Steiner fast täglich in die Klinik, um mit
Ita Wegman und den anderen Mitarbeitern Patienten zu besprechen. Steiners Visiten fanden jeweils
mit geisteswissenschaftlichen Diagnose- und Therapieerweiterungen, Heilmittelempfehlungen, künstlerischen Heilwegen und Krankenmeditationen statt, was zur Grundlage des diagnostischtherapeutischen Fundus des Klinisch-Therapeutischen Instituts (später Ita Wegman Klinik) werden
sollte.
Auch wenn die Intensität der Hilfen Rudolf Steiners sehr groß war – dieselben Hilfen gab Steiner
auch in der Stuttgarter Klinik, wenn er in Stuttgart war. Auch hatte er Ähnliches schon fünfzehn Jahre
zuvor in Felix Peipers Münchener Privatsanatorium am Englischen Garten getan. Was wollte aber
Besonderes aus dem Zusammenwirken Rudolf Steiners und Ita Wegmans erwachsen?
Einen neuen Schritt aufeinander zu ergab wohl der Brand des ersten Goetheanums. Hier erstand in
Ita Wegman eine nächste Stufe im tieferen Verständnis von Rudolf Steiner. Madeleine van Deventer:
„Sie [Ita Wegman] hatte immer einen starken Unabhängigkeitswillen, wollte alles aus eigener Kraft
zustande bringen. Von jetzt ab konnte sie sich restlos Rudolf Steiner zur Verfügung stellen.“
Die Monate nach dem Brand waren dem Versuch einer ‚Selbstbesinnung’ innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft gewidmet. Rudolf Steiner ging schärfstens mit den Menschen ins Gericht, am
allerschärfsten mit den in Stuttgart wirkenden Ärzten: „Von dem Ärztekollegium ist eine krassere Opposition ausgegangen als von irgendjemand in der Gesellschaft.“ Von diesen Menschen hatte Steiner
die zentrale wissenschaftliche Arbeit erwartet. Auch war dort zur Darstellung in der Öffentlichkeit das
erhoffte ‚Vademecum’ nicht entstanden. An Stelle dieser Ärzte betonte Steiner bei seinen Vorträgen
immer mehr Ita Wegman. So sprach er in Wales die Worte: „Insbesondere soll hier hingewiesen werden auf das Klinisch-Therapeutische Institut in Arlesheim, das ja unter der ausgezeichneten Leitung
von Frau Dr. Wegman steht, die insbesondere eine segensreiche Wirksamkeit für dieses Institut dadurch entfaltet, dass sie dasjenige hat, was ich den Mut des Heilens nennen möchte.“
Ita Wegman war mitgereist nach Wales. Hier sprach sie zu Rudolf Steiner von ihrer Sehnsucht nach
den Mysterien, und hier bejahte dieser ihr die Möglichkeit der Entwicklung einer Mysterienmedizin und
sagte, dass diese nun aufleben solle.
Hier in Wales kulminierte der Vorgang der schrittweise gegenseitigen Annäherung – Ita Wegman
schien „im okkulten Sinne erwacht“ [Selg, van Emmichhofen]. Von hier aus ging die Zusammenarbeit
Rudolf Steiners und Ita Wegmans in neuer und intensivierter Form weiter – eine Form der Zusammenarbeit, die man auch als ‚esoterisch’ bezeichnen könnte. Ita Wegman sagte später, dass Rudolf
Steiner im Sommer 1923 in England den Keim zur Medizinischen Sektion gelegt hatte. Und Ende
September 1923, bei einem Wien-Aufenthalt, äußerte sich Rudolf Steiner zum ersten Male dahingehend, dass er mit Ita Wegman zusammen ein medizinisches Buch schreiben werde. Die Arbeit daran
begann schließlich am Ende des Jahres.
Es ist bemerkbar, wie sich alles in dieser Zeit zusammendrängte und auf einen Höhepunkt, nämlich
die Weihnachtstagung, zustrebte. Es war eine riesige Aufgabe für Ita Wegman, was auch zu Selbstzweifeln führte.
Die Arbeit ging aber weiter. Rudolf Steiner legte dabei großen Wert auf Ita Wegmans geistige
Übungen, von denen sie jede Woche neue und weiterführende von ihm erhielt.
Auf der Weihnachtstagung der Anthroposophischen Gesellschaft 1923/24 und deren Neukonstituierung, bei der Rudolf Steiner, der vorher nicht Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft war, sich
jetzt vollständig und ganz mit der Gesellschaft verband und den Vorsitz übernahm, wurde Ita Wegman
zur Leiterin der Medizinischen Sektion ernannt. Rudolf Steiner betonte, dass mit der Weihnachtstagung die Anthroposophische Bewegung und die Anthroposophische Gesellschaft nun eins geworden
waren. Dies bedeutete die Grundlage zur Begründung der Neuen Mysterien. Die Anthroposophische
Bewegung stellte gewissermaßen das geistige Element dar, in welchem die Anthroposophie wirksam
war, das nun mit dem irdisches Formelement (der Anthroposophischen Gesellschaft) vereint wurde.
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Ein Grundelement des Lebendigen ist aber nun, dass das, was sich im Großen abspielt, seine Spiegelung bis ins Kleinste hat. Und das Kleinste in einer Gesellschaft ist eben die Beziehung von zwei
Menschen zueinander. So zeigt sich dasselbe, was im Großen vorgeht, auch in der Beziehung von
Rudolf Steiner und Ita Wegman. Rudolf Steiner war der irdische Träger der Anthroposophie; durch ihn
hat sie ihren Weg in die irdischen Verhältnisse genommen. Und zur Weihnachtstagung bedurfte es
eben auch Menschen, mit denen er sich in neuer Weise – ähnlich wie Anthroposophische Bewegung
und Anthroposophische Gesellschaft – verband. Dies trifft nicht nur für Ita Wegman zu, sondern wie
es scheint wohl auch für Marie Steiner und Edith Maryon. Bei Ita Wegman scheint selbst dies aber
noch gesteigert, da von ihr die großen Erneuerungsfragen ausgingen, ohne die die Verwandlungen
zur Weihnachtstagung nie hätten stattfinden können. Außerdem war – wie Steiner auf der Weihnachtstagung betonte – die Medizin „eigentlich immer in den Zeiten, wo man nach wahrer GeistErkenntnis strebte, man kann nicht sagen, ein Kapitel der Geisteswissenschaft, sondern mit dieser
Geisteswissenschaft ganz organisch verbunden. Sie können sich in den älteren Zeiten gar nicht denken, dass dasjenige, was als Geistesschau, als Geist-Erkenntnis hineingestellt wurde in die Menschheit, abgetrennt gewesen wäre von dem Medizinischen.“ So fand auch als erster Kurs Rudolf Steiners
nach der Weihnachtstagung der von Helene von Grunelius initiierte Kurs für Ärzte „Moral des medizinischen Studiums – exoterisch und esoterisch“ statt. Wie Marie Steiner zu Beginn der Anthroposophischen Bewegung an der Seite von Rudolf Steiner stand, Edith Maryon bezüglich der künstlerischen
Seite ihre Aufgabe hatte, so kam nun Ita Wegman zur Weihnachtstagung eine besondere Aufgabe zu,
die sie mit Größe erfüllte.
Diese Aufgabe spiegelt sich auch im gemeinsamen Schreiben des Buches ‚Grundlegendes für eine
Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftliches Erkenntnissen’ (aber auch in der Hineinnahme des Klinisch-Therapeutischen Institutes in die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft).
Das geschriebene Wort ist immer ein anderes als das gesprochene. Beim Geschriebenen wird der
Gedanke in ein kristallin geformtes Korsett hineingebracht, er wird gewissermaßen mineralisiert. Das
Mineralisierte ist aber das eigentlich irdische Element, also leblos. Dieses mineralisierte, leblose Element gilt es beim Schreiben so zu durchdringen und umzuwandeln, dass es zum Bild, zum Schein
wird für das rein im Geistigen erlebte Wesenhafte. Das Geistige wird im Geschriebenen nicht sichtbar,
aber Buchstaben, Worte, Sätze, Abschnitte, Kapitel werden so geformt, dass sie so erscheinen, als ob
Geistiges in Ihnen wirken würde. Im Vorgang des Schreibens findet eine Art ‚Inkarnationsvorgang’
eines geistigen Wesens statt. Das ist im höchsten Sinne wirklich ein esoterisch-künstlerischer Vorgang, bei Ita Wegman und Rudolf Steiner aber noch besonders gesteigert, da zwei Menschen an diesem Werk beteiligt sind: derjenige, der die geistigen Inhalte ‚herunterträgt’ und diejenige, die dem
Herunterzutragenden etwas ‚entgegenbringt’. Im Zusammenwirken beider entsteht eine ‚alchimistische’ Verschmelzung zweier vorher bestehender wie gegensätzlicher, sich jedoch bedingender Elemente, bei der beide eine Verwandlung erfahren: das Wesen „wacht in der sinnlichen Welt auf“, und
die Sinneswelt wird wie durchgeistigt; beide erfahren in ihrem eigenen Wesen eine Erhöhung. Das
Wesen, das heruntergetragen wird, ist die ‚Anthroposophie’, und die Medizin erfährt eine – immer
wieder neu zu erringende – Verwandlung zur christlichen Heilkunst.
Worte reichen an dieser Stelle nicht mehr, um das Geschehen umfassend auszudrücken. Deutlich
kann aber werden, dass Ita Wegman für die gesamten Geschehnisse eine immense, ja menschheitliche Bedeutung hatte.
1924 war das letzte volle Tätigkeitsjahr im Leben Rudolf Steiners. Im Zusammenhang mit dem Medizinischen arbeitete er fast ausschließlich mit Ita Wegman zusammen. Ita Wegman war 1924, bis auf
wenige Reisen Rudolf Steiners, ganz in seiner Nähe. Im Zuge seiner geschwächten Konstitution seit
der Weihnachtstagung wollte Ita Wegman Steiner so weit wie möglich beistehen, da er jetzt wirklich
Hilfe brauchte. Seinerseits förderte Steiner unablässig Wegmans esoterische Entwicklung.
In vielen erhaltenen Briefen brachte Rudolf Steiner deutlich zum Ausdruck, welche Bedeutung die
Anwesenheit und Mithilfe Ita Wegmans für sein Leben und seine Arbeit gewonnen hatte. Am 28.
August in London nannte er sie nun seine „liebe Freundin und Mitarbeiterin auf medizinischem und
sonstigem geistesforscherischen Gebiet.“ Zuvor hatte Steiner am 14. August in Torquai erstmals von
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der geisteswissenschaftlichen Zusammenarbeit von Lehrern und Schülern in der alten Mysterienstätte
von Ephesus gesprochen: „Und so lernte in jenen alten Zeiten der Schüler von dem Lehrer, der Lehrer
von dem Schüler. Denn auf der einen Seite waren die Offenbarungen geistig-seelisch, auf der anderen Seite seelisch-geistig. Und ein Gespräch, das in dieser Weise unter Menschen sich abspielte, gab
in Menschengemeinschaft, in gemeinschaftlichem menschlichem Erleben die höchsten Erkenntnisse“.
Am 21. August, exakt zwischen den beiden oben zitierten Bemerkungen, zeigte Steiner die Voraussetzungen einer „wirklich initiierten Medizin“ anhand des „Zusammenarbeitens von Ita Wegman und
mir“ auf.
Ende September begann Rudolf Steiners Zeit des Krankenlagers und seiner kontinuierlichen Behandlung und Pflege durch Ita Wegman. Nur einmal in den sechs Monaten war Wegman in der Klinik
gewesen (sie wurde dort von Ludwig Noll vertreten). Sie war mit allen ihren Kräften voll bei Rudolf
Steiner und stand zu jeder Zeit, Tag und Nacht, zur Verfügung. Doch in den Morgenstunden am 30.
März 1925 starb Rudolf Steiner in seinem Dornacher Atelier.
Ita Wegman nahm aber schon bald nach seinem Tod ihre Arbeit als Ärztin in der Klinik und als Sektionsleiterin wieder auf. In fortwährender Verbundenheit mit Rudolf Steiner und in seiner Intention führte sie sein Vermächtnis weiter.
Entwicklungswege des Klinisch-Therapeutischen Instituts
Der Beginn
Am 8. Juni 1921 wurde das Klinisch-Therapeutische Institut in Arlesheim (später Ita Wegman Klinik)
von Ita Wegman eröffnet. Damit folgte Ita Wegman einem Impuls, der von Rudolf Steiner während des
ersten Ärztekurses 1920 so ausgesprochen wurde: „Geisteswissenschaft [könnte] nur dann günstig
wirken, wenn sie tatsächlich in fortwährendem Zusammenhang mit dem stehen könnte, worauf ja so
vieles bei der anderen Ärzteschaft beruht, nämlich mit dem klinischen Prozesse. Und das ist es, was
die Beziehungen der Geisteswissenschaft zu der Medizin so schwierig macht, weil ja die beiden Dinge, klinische Beobachtungsmöglichkeiten und geisteswissenschaftliche Untersuchungen, einfach heute durch unsere sozialen Einrichtungen noch ganz auseinanderfallen müssen. Aber gerade aus dem
wird eingesehen werden können, dass eigentlich nur auf einen grünen Zweig zu kommen ist, wenn
sich beides miteinander verbindet.“ Im Herbst 1920 hatte Ita Wegman das Haus gekauft und umbauen
lassen für die klinische Benutzung. Rudolf Steiner war über diese Einrichtung sehr erfreut und einverstanden, uns so wurde ihm deren Eröffnung zum Anlass, die Zusammenarbeit mit Ita Wegman auf
ärztlichen Gebiet zu beginnen. Rudolf Steiner kam fast täglich zu Patientenvisiten, gab viele diagnostische Hinweise und therapeutische Ratschläge. Aus dieser Zusammenarbeit heraus entstand in dieser Zeit auch das mit Ita Wegman gemeinsam verfasste Buch „Grundlegendes für eine Erweiterung
der Heilkunst...“ Die Klinikärzte halfen bei der Ausarbeitung der Krankengeschichten für dieses Buch
mit.
Die ersten drei Jahre bis Rudolf Steiners Erkrankung waren erfüllt von einem immensem Pioniergeist, begeisternder Aufbaukraft und großartigen Leistungen. Zwar hatte die kleine ‚Klinik’ gerade
einmal fünf Zimmer, die mit Patienten belegt werden konnten; primär stand aber nicht der äußere Umfang, sondern die innere-äußere Aktivität bei der Inaugurierung einer neuen Medizin im Vordergrund.
Schließlich sollte eine neue Medizin begonnen werden, in deren Mittelpunkt die Individualität des erkrankten Menschen steht. „Nicht ein naturwissenschaftlich zu analysierender ‚Körper’ sollte in seinen
gesetzmäßigen Funktionen verändert, sondern der Leib und die Seele eines individuellen Menschen
im Sinne einer wirklichen Heilkunst freiheitlich behandelt werden – mit sorgsam aufgefundenen Naturprozessen, mit Kunsttherapien und äußeren Anwendungen, mit Gesprächen und geistigbiographischen Hilfestellungen.“ (Selg)
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Das Klinisch-Therapeutische Institut hatte sich 1923 so weit entwickelt, dass es von Rudolf Steiner
als einen wesentlichen, mit der Weihnachtstagung zusammenhängenden Teil der Anthroposophischen Bewegung und Gesellschaft angesehen wurde (später wurde es am 8. Februar 1925 in die
Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft integriert, als eine Unterabteilung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft – neben den anderen Unterabteilungen: Administration des Goetheanum-Baus, Administration der Anthroposophischen Gesellschaft und Philosophisch-Anthroposophischer Verlag). Rudolf Steiner hatte auch vorgehabt, die Klinik direkt neben dem Goetheanum zu
errichten, was aber durch seinen Tod verhindert wurde. Er hatte sogar das von ihm für Ita Wegman
errichtete Holzhäuschen so bauen lassen, dass es später als Ganzes ans Goetheanum hätte versetzt
werden können.
Die erste ärztliche Mitarbeiterin Ita Wegmans wurde Hilma Walter. Ita Wegman stand aber „im absoluten Zentrum dieses pionierhaften Unternehmens. Mit großer geistiger Sicherheit und einem ebenso
beherzten wie therapeutisch bedachten Auftreten gestaltete sie die Gemeinschaftsatmosphäre des
Hauses – in innerer Verbundenheit mit den Krankenschwestern und allen Mitstreitern – mit vorbildlichem Einsatz am Krankenbett und mit einfallsreichen therapeutischen Ideen und Vorgehensweisen,
die die heilenden Kräfte aufriefen und zur Wirkung führten. Visiten mit Ita Wegman und sämtliche
Formen der direkten Zusammenarbeit mit ihr waren ausgesprochen anspruchsvoll und forderten alle
Kräfte – Ita Wegman erwartete höchste Einsatzbereitschaft und selbstlose Präsenz für das Gelingen
der gemeinsamen Aufgabe, verfolgte im übrigen unentwegt weiterführende therapeutische Ideen und
Vorhaben, die in großem Tempo realisiert werden sollten (‚Wachsen Sie an Ihren Aufgaben!’). Ihre
Begeisterung und ihr liebevoller Enthusiasmus aber durchwehten die Klinik und setzten Kräfte frei –
ebenso ihr Ernst und die Formkraft ihrer geistigen Arbeit. Sie schufen eine therapeutische Kultur in
konzentriertester Form, die bald in die Welt hinausziehen sollte.“ [Selg] Margarete Kirchner-Bockholt
beschrieb den Anfangszustand des Klinisch-Therapeutischen Instituts folgendermaßen: „Wie im Märchen die Gewänder in einer Nussschale ruhen, so lagen alle diese Tätigkeiten in keimhafter Gestalt in
der Klinik verborgen.“ Und so wurden im Lauf der Zeit vielfältigste Therapieweisen auf engem, aber
von freudiger Aktivität beseeltem Raum entwickelt. Rudolf Steiner selbst bezeichnete die Klinik in Arlesheim einmal als ‚mustergültiges Institut’.
Die ersten drei Jahre arbeitete und schlief Ita Wegman im selben Raum im Klinisch-Therapeutischen Institut. In diesem Raum empfing und besprach sie mit Rudolf Steiner die gemeinsamen Patienten. In diesem Zusammenhang entstanden hier die vielen Protokolle mit den Angaben Rudolf Steiners über Diagnosen und Therapie der Patienten, die Hilma Walter aufschrieb, sammelte und später
veröffentlichte.
Rudolf Steiners Tod am 30. März 1925 war auch eine Zäsur für das Klinisch-Therapeutische Institut.
Nun mussten die mit ihm begonnenen Wege allein weitergegangen werden. Überschauend können
die ersten drei Lebens- und Entwicklungsjahre des Klinisch-Therapeutischen Instituts vielleicht als
Ouvertüre eines großen Werkes verstanden werden, bei der alles Künftige angelegt ist – wie als Keim,
in dem potenzhaft alle weitere Entwicklung vorhanden und wie verborgen ist und aus dem im Weiteren alle Entwicklung hervorgehen kann.
Wachstum und Konsolidierung
Und die Entwicklung ging unaufhörlich weiter. Ita Wegman war es ein Anliegen, das KlinischTherapeutische Institut zu einer vorbildlichen Therapie-, Forschungs- und Ausbildungsstätte werden
zu lassen – und so war sie bestrebt, alle besonders talentierten anthroposophischen Ärzte, Wissenschaftler und Künstler heranzuziehen. So kamen bald Margarete Bockholt und Ilse Knauer ins Klinisch-Therapeutische Institut. Margarete Bockholts Schwerpunkt war die Heileurythmie, Ilse Knauer
bearbeitet als erste das Gebiet der Augenheilkunde und entwickelte eine spezielle Augenheileurythmie. Als weitere Ärzte kamen schließlich Madeleine van Deventer und Gerhard Suchantke hinzu; letzterer widmete sich stark der medizinischen Forschung. Als Oberschwestern fungierten damals Käte
Krebs und Eva Vitzthum von Eckstädt. Als Geschäftsführer trat Erich Kirchner hinzu. Eine räumliche
Erweiterung wurde durch den Erwerb des ‚Sury-Hofes’ in Arlesheim möglich, der dann unter dem Na-
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men ‚Sonnenhof’ zunächst als Dependance für erwachsene Patienten geführt wurde, später aber ein
heilpädagogisches Heim wurde.
1927 trat Werner Kaelin in das Klinisch-Therapeutische Institut ein, der von Ita Wegman mit der weiteren Ausarbeitung der Krebstherapie betraut wurde. Er entwickelte in den folgenden Jahren seine
Methode zur kapillar-dynamischen Frühdiagnose der Krebskrankheit.
Der Platzmangel in dem Haus war inzwischen so groß geworden, dass 1927 angebaut wurde. Ursprünglich konnten 12-15 Patienten versorgt werden, jetzt war die Betreuung von 25 Patienten möglich.
Die Arbeit expandierte immer weiter; die drei Pfeiler einer klinischen Einrichtung – therapeutische
Arbeit, Lehre und Forschung – befanden sich in steter Entwicklung und schufen die Grundlagen, auf
denen der heute therapeutisch Tätige aufbaut. Mehrmals im Jahr wurde Ärzte-Tagungen durchgeführt, Medizinstudenten wurden durch Ita Wegman in die Erweiterung der Medizin eingeführt, eine
Schwesternausbildung wurde ins Leben gerufen. Die ärztliche Erweiterung erfolgte 1927 durch Margarete Stavenhagen (später Hauschka), die sich der Entwicklung der künstlerischen Therapie – insbesondere Maltherapie – und der Rhythmischen Massage annahm. 1929 kam Rudolf Hauschka hinzu, der sich besonders um die Heilmittelentwicklung und -herstellung kümmerte.
Im Frühjahr 1934 erkrankte Ita Wegman schwer und benötigte eine lange Zeit zur Genesung. Danach unternahm sie eine Reise nach Palästina, wo sie zu einem tieferen Verständnis des Christlichen
vorrückte und verwandelt zurückkehrte. An Weihnachten im selben Jahr begann sie schließlich eine
große Weihnachtsarbeit, die seitdem jährlich bis heute durchgeführt wird und zu einem zentralen
Brennpunkt des Klinisch-Therapeutischen Institutes bzw. der späteren Ita Wegman Klinik wurde.
In diesen Jahren traten jedoch allmählich die Schwierigkeiten in der Anthroposophischen Gesellschaft in den Vordergrund. Zwar fanden die Auseinandersetzungen hauptsächlich am Goetheanum
statt, hatten aber doch einen Einfluss auf die Stimmung in der Klinik. Denn obwohl die Auseinandersetzung hauptsächlich Ita Wegman betrafen, waren die anderen Mitarbeiter durch ihren engen Bezug
zu der Klinik- und Sektionsleiterin auch betroffen. Nach einigen Jahren der Schwierigkeiten wurde Ita
Wegman schließlich 1935 von der Vorstandstätigkeit innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft
ausgeschlossen und als Sektionsleiterin der Medizinischen Sektion abgesetzt. Sie wurde sie aber
nicht aus der Anthroposophischen Gesellschaft ausgeschlossen wie einige andere Menschen (u. a.
Kolisko, Stein, Dunlop u. v. a., vor allem viele Holländer). Schon vorher - im Zuge der schwierigen
Gesellschaftsauseinandersetzungen – nahm Ita Wegman das Klinisch-Therapeutische Institut 1931
aus der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft heraus, wobei ihr Werner Kaelin und Ernst
Marti mit ihren Bürgschaften halfen, und gründete den Trägerverein ‚Klinisch-Therapeutisches Institut’.
1935 verließen einige bisher tragende Ärzte die Klinik aus verschiedenen Gründen, wie Werner
Kaelin, Gerhard Suchantke und Ilse Knauer. Dafür kam Alexander Leroi, der die Arbeiten Werner Kaelins an der Mistelherstellung und -therapie weiterführte. 1935 wurde durch Ita Wegman mit Werner
Kaelin und Rudolf Hauschka der ‚Verein für Krebsforschung’ gegründet, um das von Rudolf Steiner
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angegebene Krebsheilmittel aus der Mistel (Iscador ) weiter zu erforschen und zu entwickeln.
Am 17. Dezember 1936, dem Todestag von Kaspar Hauser (1833), verstarb im Klinisch-Therapeutischen Institut Helene von Grunelius, nachdem sie über ein Jahr lang mit Eugen Kolisko das Sanatorium Burghalde geleitet hatte; nach Koliskos Weggang hatte sie keine unmittelbare örtliche Arbeitsgrundlage mehr, erkrankte schwer und brachte letztlich bis zu ihrem Tod fast drei Monate im KlinischTherapeutischen Institut zu. Ita Wegman begleitete Helene von Grunelius intensivst auf ihren letzten
Wegen und hatte den tiefen Eindruck, dass die Individualität Helene von Grunelius nach dem Tod den
Werdegang des Klinisch-Therapeu-tischen Instituts weiter „an ihrer Seite“ begleitete.
Trotz der widrigen Verhältnisse blieb die Klinik vorerst noch ein internationaler Ort der Zusammenarbeit und das Zentrum des Aufbaus der Anthroposophischen Medizin. Hier prägte Ita Wegman die
therapeutische Arbeit und die Atmosphäre des Hauses, bildete Ihre Mitarbeiter aus, leitete Schwesternkurse und förderte die Forschung. Madeleine van Deventer kennzeichnete diese Zeit als ‚Verinnerlichung der Arbeit’. Von hier aus dirigierte und organisierte Ita Wegman bis Ende der dreißiger
Jahre ihre vielfältigsten Initiativen, impulsierte Neugründungen und förderte Neuentstandenes an anderen Orten, indem sie immer wieder dort hinfuhr und vor Ort Anregungen gab.
Penter R.: Entwicklungswege des Klinisch-Therapeutischen Instituts (der Ita Wegman Klinik) in Arlesheim. In: HAUSZEITUNG –
Informationsorgan für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sondernummer 2, Ita Wegman Klinik, Arlesheim 2005
Krisenzeit
Doch allmählich fielen die Schatten des sog. ‚Dritten Reiches’ auch auf das Klinisch-Therapeutische
Institut. Viele Mitarbeiter besannen sich auf ihr Herkommen, gerieten auch in emotionale und nationalistische Stimmungen, die die Zusammenarbeit erschwerten, und überlegten die Rückkehr in ihr Heimatland. So verließen Rudolf Hauschka und Margarete Stavenhagen die Klinik Richtung Österreich,
später Deutschland. 1940 trat aber auch Marianne Fiechter-Bischof als ärztliche Mitarbeiterin ein.
Gleichzeitig machten sich in der Klinik immer mehr Eigeninteressen vieler verantwortlicher Mitarbeiter
geltend, was den ganzen Zusammenhalt empfindlich störte, besonders wenn die Dinge stark konstitutionell gefärbt waren. So schrieb Ita Wegman 1940: „K. und P. sind wieder abgefahren. Zwei merkwürdige Figuren, der P. das Spiegelbild der B., und erst am letzten Abend konnten wir, P. und ich, ein
befriedigendes Gespräch haben; K. ist nur in Selbstliebe getaucht, unglücklich hier, unglücklich in
Arlesheim, weil da nichts ist, was seiner Selbstliebe Nahrung gibt. Wo soll das alles hin? Keine Beweglichkeit im Denken, keine Beweglichkeit im Fühlen, nur stur im Eigenen sich auslebend.“ Für Ita
Wegman gingen diese persönlichen Eigenheiten mit geistigen Hemmungen einher, sich mit aller Kraft
für das gemeinsame große Ziel einzusetzen und den wirklichen Impulsen Rudolf Steiners zu folgen.
Im Mai 1940 wurde die kriegerische Situation so brenzlich, dass die grenznahe Bevölkerung aufgrund behördlicher Anordnungen evakuiert werden musste, so auch die Patienten und Mitarbeiter des
Klinisch-Therapeutischen Instituts und auch Kinder und Mitarbeiter des Sonnenhofs, die nach Ascona
am 15. Mai 1940 fuhren. So gingen innerer Verfall und kriegsbedingtes Verlassen der Klinik einher.
Noch im Mai bestimmte Ita Wegman das testamentarische Schicksal ihrer Klinik: „Es ist mein Wille,
wenn es möglich ist, dass das klinisch therapeutische Institut mit seinen Dependenzen und die Arbeit,
die darin geleitet wird, nach meinem Ableben auch weiter bestehen wird. Es soll aber nur weiter geführt werden, wenn die Ideen Rudolf Steiners, die die Gründung zur Grundlage hat, treu befolgt werden.“ Über das Letztere hegte Ita Wegman eben erhebliche Zweifel. So hatte z. B. im Januar 1939
Werner Kaelin seine Bürgschaft für die Klinik gekündigt, später auch Ernst Marti, wodurch erhebliche
finanzielle Probleme für die Klinik und Ita Wegman auftraten. Sie erlebte solches als gegen ihre Arbeit
gerichtet, die sie in direktem Zusammenhang mit den Intentionen Rudolf Steiners verfolgte. Schließlich war sie so weit, dass sie – nach Aussagen Madeleine van Deventers – eine Beendigung der Klinik
begrüßt hätte. Liane Collots zufolge, hatte Ita Wegman schon 1938/39 erwogen, nach Kanada zu
gehen und dort eine Klinik zu begründen.
Madeleine van Deventer, Alexander Leroi und Marianne Bischoff bewegten das Ruder jedoch noch
einmal in eine andere Richtung. Sieben Tage nach dem Verlassen der Klinik belegten sie ohne behördliche Genehmigung wieder eine Kliniketage mit neuen Patienten – was Ita Wegman später nach
einem Besuch akzeptierte. Madeleine van Deventer erlebte diese dramatische ‚Mondknotenzeit’ als
Durchgang durch einen „Nullpunkt“ für die Klinik.
Trotz aller Niedergangserscheinungen schrieb Ita Wegman schon zwei Tage nach ihrem Weggang
aus Arlesheim an Alexander Leroi einen hoffnungsvollen und zukunftsgerichteten Brief: „Ich hoffe,
dass durch eine intensive geistige Arbeit und Zusammenhang miteinander wir doch die Kraft haben
werden, das Unglück von der Schweiz abzuwehren und dieses Ideal, was ich in meinem Herzen trage, möglich zu machen, weil es eine Notwendigkeit sein wird für die ganze Welt, dass hier in der
Schweiz eine Art Weltsanatorium besteht und wir es als eine Aufgabe betrachten müssen, dass das
durchgeführt wird.“ Rudolf Steiner selbst sprach ja schon seinerseits über die besondere Situation und
Möglichkeit der Schweiz, aufgrund ihrer spezifischen Gegebenheiten zukunftsträchtige Aufgaben in
vorbildlicher Weise wahrzunehmen. Gleichzeitig bemerkte er aber auch die vielen spezifischen Hemmungen vieler Menschen in der Schweiz, große und übergeordnete Aufgaben selbstlos und unter
Absehung persönlicher Gemütslagen und Eigeninteressen initiativ und energisch angehen zu können.
Diese Doppelheit erlebte nun Ita Wegman sehr stark. Einerseits war sie schwer enttäuscht gerade von
den Schweizern [„Die Schweizer haben meine Arbeit nicht unterstützt, wenigstens die anthroposophischen Schweizer, während die Behörden viel mehr Verständnis gezeigt haben. Steffen, Boos, Englert,
Kaelin und jetzt Dr. Marti haben eigentlich meine Arbeit kaputt geschlagen, jeder in seiner Art – bewusst und unbewusst. Nun frage ich mich, soll ich mich weiter schlagen lassen, ist nicht die Zeit gekommen, dass ich mich frei mache von der Arbeit mit diesen Menschen, ja sogar von der Arbeit in der
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Schweiz?“ (24.7.1940)] Andererseits hegte sie aber auch, wie oben beschrieben, starke Zukunftshoffnungen.
So erlebte Ita Wegman diese Zeit persönlich als sehr zerrissen und verließ für drei Jahre das Klinisch-Therapeutische Institut, um in der Casa Andrea Cristoforo verstärkt einer esoterischen und inneren Arbeit nachzugehen. Während dieser Zeit erlebte Ita Wegman insbesondere die Notwendigkeit,
dass die bisher von ihr und von anderen geleistete Arbeit eine Runderneuerung bedurfte. So schrieb
sie Ende 1940/Anfang 1941: „Irgend etwas in mir erwartet von allen, die in letzter Zeit die Arbeit in der
Klinik mitgemacht haben, Auferstehungsgedanken, zuallererst bei mir selber. Altes Wiederholen in
dem gleichen Schritt ohne eine schwungvolle Weiterentwicklung hat oft eine lähmende Wirkung.“ [...]
„Glauben Sie wirklich, dass es unbedingt nötig ist, dass wieder Klassenstunden gegeben werden? Mir
kommt das so veraltet vor, wenn nichts Neues in den Menschen entstanden ist. Die Klasse muss neu
auferstehen, in einer anderen Art von Menschen empfangen werden. [...] Ich möchte so gerne etwas
Neues bringen, es lebt in mir, aber es ist so schwierig, wenn man nur hört, die Klasse haben zu wollen
in der alten Art. Es muss aber eine Reife dazu kommen, so dass die Klasse durch die Menschen auf
eine höhere Stufe zu stehen kommt. Ich arbeite immer daran und bin auch in vielen Dingen in der
Weihnachtszeit weiter gekommen.“
In diesen drei Jahren kam Ita Wegman nur sehr selten nach Arlesheim in das KlinischTherapeutische Institut. Dafür war aber ihre Korrespondenz umso umfangreicher, insbesondere stand
sie mit Madeleine van Deventer und Erich Kirchner in ständigem Briefkontakt. Dadurch lebte sie die
weiteren Wege der Arlesheimer Einrichtung intensiv mit, die doch ihre Klinik war – ja man sagen, sie
selbst war die Klinik. Und so war es für sie selbstverständlich, dass in grundsätzlichen, das KlinischTherapeutische Institut betreffende Fragen, sie das Sagen hatte. In dieser Zeit waren die Wege der
Einrichtung schwierig. Es kamen zu wenig Patienten, es entstand ein zunehmendes wirtschaftlichfinanzielles Defizit. Im Frühjahr schrieb Werner Pache in sein Tagebuch: „In der Klinik zunehmende
Fatalität. Keine Wendung, wenig Patienten, zunehmendes Defizit. Frau Dr. Wegman nicht daran interessiert bzw. abwehrend [abwartend], ob die Menschen Deventer-Kirchner-Rudolph usw. einen Neubeginn machen. Dies ziemlich hoffnungslos.“ Eine allmählich verzweifelnde Madeleine van Deventer
schrieb wiederholt an Ita Wegman. Rückblickend erinnerte sie sich: „Ich bat Dr. Wegman wiederholt
um Hilfe. Sie schob ihr Kommen immer wieder auf. Zu Dr. Bockholt in Ascona sagte sie: ‚Ich weiß
doch selbst keine Lösung.’ Auf eine letzte Bitte meinerseits kam ein Brief, der zwar keine Antwort erhielt auf meine Frage, aber wohl den tiefsten Grund ihrer inneren Sorge und Verzweiflung in diesen
Jahren enthüllte. Der Brief fing an mit diesen Worten: ‚Warum entfernt Ihr Euch so von Rudolf Steiner?’ Ich las den Brief zweimal durch und zerriss ihn dann in kleine Stücke, leider! Damals war ich
selbst wohl zu stark verstrickt in die augenblicklichen, unlösbaren Probleme.“ Zur Michaelizeit 1942
bat Ita Wegman ihre verantwortlichen Mitarbeiter in Arlesheim zu einer Besprechung in die Casa Andrea Cristoforo. Hier besprach sie mit ihnen die mögliche weitere Entwicklung der Klinik nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und eröffnete ihnen ihre Pläne: die eigene Rückkehr nach Arlesheim unmittelbar nach Beendigung des Krieges und eine sofortigen Neubau des Krankenhauses, die Intensivierung aller therapeutischen Anstrengungen (damit verbunden auch die durch Hilma Walter durchzuführende Heilmittelherstellung in größerem Umfang) und damit die Vorbereitung und Rüstung des Klinisch-Therapeu-tischen Instituts für die kommenden Zivilisationsaufgaben.
Am Vorabend ihres 67. Geburtstages kehrte Ita Wegman schließlich nach Arlesheim in das KlinischTherapeutische Institut zurück. Dort gab es für sie am folgenden Tag, den 22. Februar 1943, eine
große Geburtstagsfeier. Es war auch der Tag, an dem Sophia Magdalena (Sophie) Scholl, Hans
Scholl und Christoph Probst – maßgebende Mitglieder der Widerstandsgruppe ‚Weiße Rose’ im nationalsozialistischen Deutschland – in München hingerichtet wurden. In Arlesheim erkrankte Ita Wegman
in den Folgetagen schwer und verstarb schließlich am 4. März 1943, im 22. Jahr des Bestehens des
Klinisch-Therapeutischen Instituts.
Neubeginn
Nach dem Tod Ita Wegmans, die bis zuletzt eine Erneuerung des Klinisch-Therapeutischen Impulses in Arlesheim anstrebte, entstand zuerst eine lückebedingte Leere und Lähmung. Doch insbeson-
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dere nach dem Krieg belebte sich das Klinisch-Therapeutische Institut neu. Laut Madeleine van Deventer fassten die engeren Mitarbeiter der Klinik den Entschluss, die klinische Arbeit energisch fortzusetzen. Es erschien den Menschen des Klinisch-Therapeutischen Instituts nun so, als ob sich ihnen
eine neue Kraft bemächtigte, mit der sie die Klinik in neue Gewässser zogen – so, als ob Ita Wegman
mit ihnen wirkte. Die ärztliche Leitung hatten von da ab Madeleine van Deventer und Marianne Fiechter.
Und es kamen bald so viele Patienten, dass wieder an einen Neubau gedacht werden musste, den
ja schon Ita Wegman Ende 1942 im Sinn hatte. 1954 – im 33. Lebensjahr des KlinischTherapeutischen Instituts – wurde dieser Neubau eröffnet. Er wurde direkt linear an den 1927 entstandenen Anbau angesetzt und vergrößerte die Klinik enorm, so dass gleichzeitig ca. 45 Patienten
versorgt werden konnten.
Ärztlicherseits traten 1953 Sabine Sattler und 1954 wieder Gerhard Suchantke in die Klinik ein.
Gerhard Suchantke verstarb aber schon 1958. Seit 1955 waren Margarete Kirchner-Bockholt und
Madeleine van Deventer – zusammen mit Hans Bleiker und Gerhard Schmidt – als Leitung der Medizinischen Sektion tätig, was die Klinik aus der Isolation von der übrigen medizinischen Bewegung
befreite und sie wieder in einen Gesamtrahmen stellte. 1955 kam Anton Gerretsen als Arzt in die Klinik, der ab Mai 1968 mit in der ärztlichen Leitung war. Von 1960 bis 1966 war Hans Bleiker als Augenarzt hier tätig; 1962 kam Ida Behre, die sich insbesondere um die Ernährung kümmerte.
Wie schon die ganze Zeit vorher, kamen die meisten kranken Menschen nicht aus der die Klinik
umgebenden Bevölkerung (es sei denn, sie waren Anthroposophen). Sie kamen aus einem viel weiteren Umkreis, ja oft weit her aus allen europäischen Ländern und aus Amerika. Dadurch erhielt das
Klinisch-Therapeutische Institut ein ausgesprochen internationales Flair. Auch das Personal der Klinik
bestand hauptsächlich aus Nicht-Schweizern. Ein Schweizer Facharzt musste aber im Ärztekollegium
sein, damit die Klinik überhaupt betrieben werden konnte – dies war nach dem Krieg Frau Dr. Fiechter.
Es hatten sich mit den Jahren in der Klinik unbestrittene Höhepunkte entwickelt. Die Weihnachtsarbeit wurde schon erwähnt. Seit 1934 – von Ita Wegman initiiert – wurden die zwölf/dreizehn Heiligen
Nächte gefeiert, die jedes Jahr einen besonderen anthroposophischen Inhalt hatten. Auch die Weihnachtsspiele wurden regelmäßig von Klinikmitarbeitern einstudiert und aufgeführt. Neben der festlich
gestalteten Weihnachtszeit gab es die regelmäßige Donnerstagsarbeit, bei der am Abend an grundlegenden Werken und Vorträgen Rudolf Steiners gearbeitet wurden. Hier nahmen weitgehend alle Mitarbeiter der Klinik teil, insbesondere alle Ärzte, die auch die Gespräche beherrschten, während die
meisten anderen Anwesenden oft nur den Ausführungen lauschten. Die beiden genannten Ereignisse
bildeten das tragende geistige Fundament für das Klinisch-Therapeutische Institut, woraus sich der
Idealismus der Tätigen tränkte, die Seelen enthusiasmiert und die alltägliche Arbeit befruchtet wurde.
Neben diesen mehr ernsteren, wiederkehrenden Höhepunkten wurde in der Klinik auch viel gefeiert.
Regelmäßig fanden Faschings- und Sommerfeste statt, die ausgelassen mit Aufführungen von Sketchen und Komödien, gutem Essen und guter Stimmung gefeiert wurden.
Die Grundhaltung der meisten Mitarbeiter war, voll und ganz für die Klinik zur Verfügung zu stehen.
Wie Grete Kübel und Ruth Slama berichteten, „gab es keinen Feierabend“. Die meisten waren den
ganzen Tag in der Klinik, natürlich mit zwischenzeitlichen Pausen. Die Klinik war die eigentliche Heimat, man lebte „wie in einer großen Familie“. Die meisten Mitarbeiter hatten eben auch keine eigenen
Familien mit Kindern und großem Haushalt – das kam erst viel später. Es war auch nicht so, dass
man wie heute schnell erschöpft war; die Kräfte, die man hereingegeben hatte, kamen eben wieder
zurück – insbesondere durch die Dankbarkeit der Patienten, aber auch durch das Erlebnis einer großen Gemeinschaft und einem Getragensein durch die Anthroposophie, was durch die regelmäßige
Donnerstagsarbeit herrührte.
Die Trennung
Anfang der 60-er Jahre fanden große Veränderungen statt. Alexander Leroi, der seit vielen Jahren
ärztlich in der Klinik tätig war, verließ 1963 die Klinik in deren 42. Lebensjahr. Seit er 1935 in die Klinik
eintrat, hatte er sich intensivst mit der Krebskrankheit und der Misteltherapie beschäftigt. 1949 baute
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er die ‚Hiscia’ auf, die in den folgenden Jahren zweimal erweitert wurde, so dass dem Mistelpräparat
‚Iscador’ eine forschende und wirtschaftliche Basis zur Verfügung gestellt werden konnte. Dazu kamen regelmäßige Tagungen, wodurch internationale Verbindungen aufgebaut wurden. Nach Aussagen der jetzt pensionierten Arlesheimer Krankenschwester Ruth Slama hatte Alexander Leroi wohl
oftmals große Erfolge in der Krebsbehandlung, so dass wegen ihm viele Patienten nach Dornach kamen – oftmals schwerstkranke Menschen darunter, die ihre letzte Hoffnung in die Behandlung durch
Alexander Leroi setzten, pflegerisch aber ein Höchstmaß an Einsatz forderten.
Das Verhältnis vieler Mitarbeiter zu Alexander Leroi gestaltete sich nicht immer einfach. Alexander
Leroi war portugiesischer Abstammung, von eher melancholischem Temperament und oftmals wohl
schwer zu durchschauen. Er hatte große wirtschaftliche Fähigkeiten und war daher für einige ein „profitorientierter Mensch“. Anfang der 60-er Jahre hatte er sich entschlossen, das KlinischTherapeutische Institut zu verlassen und eine eigene Klinik aufzubauen, was er schließlich auch 1963
tat und die nicht weit von dem Klinisch-Therapeutischen Institut gelegene ‚Lukas-Klinik’ im Herbst
1963 eröffnete.
Auch wenn wohl einige froh waren, dass Alexander Leroi die Klinik verließ, verlor das KlinischTherapeutische Institut eines ihrer stabilsten ‚Standbeine’: Alexander Leroi hatte sich intensivst um die
Misteltherapie, der bis heute weitgediegensten medikamentösen Therapie, die mit Hilfe der Geisteswissenschaft entwickelt wurde, gekümmert und diese weiterentwickelt – therapeutisch und forschend.
Die Misteltherapie der Krebskrankheit war auch ein höchstes Anliegen Rudolf Steiners und Ita Wegmans. Sie sollte als eine aus der Anthroposophie hervorgegangene therapeutische Anwendung –
zusammen mit der Psychiatrie und den Äußeren Anwendungen – die ‚Speerspitze’ bezüglich der Anerkennung anthroposophischer Therapien innerhalb der sonst gängigen medizinischen Ausrichtung
sein. Auch hatte Alexander Leroi ja die ‚Hiscia’ aufgebaut, nahm also auch die Forschungsgrundlagen
und die Produktion des Mistelpräparates mit und damit auch die Möglichkeit, über die Einnahmen
seine neue Einrichtung finanziell zu unterstützen.
Der Aufbau einer weiteren anthroposophischen Klinik in Arlesheim verursachte im Klinisch-Therapeutischen Institut zuerst eine Art „Panikstimmung“. Laut G. Roeber entstand das Gefühl, nicht überleben zu können, da eventuell viele Patienten vom Klinisch-Therapeutischen Institut abgezogen werden könnten, was real aber wohl unwesentlich war.
Das Klinisch-Therapeutische Institut wurde durch den Aufbau und die Eröffnung der Lukas-Klinik
gewissermaßen ‚geteilt’. Im 42. Lebensjahr des Klinisch-Therapeutischen Instituts entstanden in gewisser Weise zwei klinische Institutionen aus der bisherigen Klinik, die in den folgenden Jahren immer
weniger miteinander zu tun haben sollten, obwohl sie nur wenige hundert Meter auseinander standen.
Nach Aussagen von Gerhard Roeber, der zuerst in der Lukas-Klinik arbeitete, bevor er an die Ita
Wegman Klinik wechselte, bildeten sich später in den 70-er Jahren zwei wie gegensätzlich wirkende
Kliniken aus. Die Lukas-Klinik wurde sehr streng geführt, vor allem später, nach Alexander Lerois Tod
1967, von Rita Leroi („streng wie ein Abt“). Als Mitarbeiter fühlte man sich wohl nicht sehr frei, da das
meiste „straff von oben“ geregelt war. Dazu wirkte die Lukas-Klinik ganz stark und expansiv nach außen, machte viel Öffentlichkeitsarbeit und stellte sich der wissenschaftlichen Diskussion, unter anderem auch mit Vortragstätigkeit – besonders Rita Lerois – an Universitäten und mit der Herausgabe
von Schriften. In der – später so genannten – Ita Wegman Klinik konnte der einzelne viel freier arbeiten, da Vieles nicht so stark „von oben“ geregelt war. Dadurch hatte man auch viel mehr Eigenverantwortung, und es fand sich auch daher eine viel intensivere anthroposophische Arbeit. Man schöpfte
hier stark aus dem bisher Entwickelten und Gegebenen und sah keinen Anlass, wissenschaftlich zu
arbeiten. Dafür lebte man stark im Tun, besonders eben direkt am Patienten. Das Willenselement war
hier sehr stark, es herrschte ein starker „Tatwille“. Eine Öffentlichkeitsarbeit gab es nicht, wurde regelrecht – vor allem durch Madeleine van Deventer – verpönt. Es kamen ja auch genug Patienten.
Zeitgleich mit der 1963 erfolgten Trennung baute die Klinik wieder. Dabei wurde der alte Teil der Klinik, bestehend aus dem ursprünglichen von Ita Wegman erworbenem Haus und dem 1927 angebautem Teil – die beide 1954 stehengeblieben waren, als der Neubau geschaffen wurde – abgerissen und
durch einen dem 1954 errichteten Bau angeglichenen Teil ersetzt, so dass es jetzt möglich wurde, bis
zu 55 Patienten aufzunehmen. Die Art des 1954 gebauten Teils lässt vermuten, dass wahrscheinlich
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schon Anfang der 50-er Jahre die Entscheidung für den 1963 erfolgten Abriss erfolgte, da der damals
erfolgte Anbau sich vollständig von dem alten Teil unterschied.
Der Abriss des alten Teils hätte die Vernichtung des mit Geschichte beladenen und erfüllten Gebäudes bedeutet. So entschloss man sich, wenigstens das Zimmer, in dem Ita Wegman drei Jahre
lang gelebt und dort mit Rudolf Steiner zusammen die Patienten visitiert und besprochen hatte, stehenzulassen. Praktisch war dies nicht unbedingt ein leichtes Unterfangen, denn schließlich musste
dann der neue Bau um die Mauern des stehengebliebenen Zimmers herumgebaut werden, was u. a.
auch nicht wenige Frotzeleien durch die Bauarbeiter hervorrief. Heute kann man sich wundern, warum
die Ita Wegman Klinik solch einen merkwürdigen Eingang zur Ambulanz und zur Apotheke hat, mit
einem ästhetisch nicht unbedingt gelungenen Vorbau. Das rührt daher, dass die Zimmer des Neubaus
dem vorherigen Bau angepasst wurden und somit größer wurden als das übriggebliebene Steiner/Wegman-Zimmer und in Bezug zu dem alten Zimmer nach vorne ‚überstanden’, somit dieser Vorbau entstand, der an sich keine Funktion hat. Heute ist das Steiner/Wegman-Zimmer das Wartezimmer der Ambulanz. Kaum einer der heute dort Wartenden weiß aber um die Besonderheit dieses
Zimmers, da keine Tafel auf das dortige vergangene Geschehen hinweist.
1963/64 bedeutete somit eine große Umbruchphase in der Geschichte des KlinischTherapeutischen Institutes. Zum einen wurde es gewissermaßen geteilt, da Alexander Leroi nicht
eben nur wegging, sondern einen sehr wesentlichen Teil der Klinik ‚mitnahm’ – zum anderen verlor die
Klinik ihren Gründungsbau, in dem alle großen und ursprünglichen Impulse ihren Anfang nahmen.
Durch diesen Teil verlor die Klinik etwas, was als Gebäude in unmittelbarer Beziehung zu den Urimpulsen gehörte – auch wenn das Steiner/Wegman-Zimmer stehenblieb.
Die Zeit um 1963/64 war laut Grete Kübel eine Zeit des ‚Rufes nach Neuem’. Mit dem Klinikbau und
dem ganzen äußeren Umbruch in der Klinik war bei vielen Mitarbeitern die Hoffnung verbunden, dass
sich in dem Klinikganzen etwas grundlegend ändern könnte. Das Klinisch-Therapeutische Institut befand sich schließlich im 42. Lebensjahr. Nach Aussagen damaliger Mitarbeiter erlosch dieser Ruf bald,
da es sich zeigte, dass nicht genügend Potenz für die Ausgestaltung von Neuem vorhanden war. So
lief das Klinikleben – trotz andersartiger, durch den Neubau bedingter Grundlagen – ähnlich weiter wie
vorher. Etwas Neues entstand aber doch: Ab 1963 fanden wieder die ursprünglich von Ita Wegman
initiierten Krankenpflegekurse statt. Kriegsbedingt wurden damals die Kurse fallengelassen, nach dem
Krieg erst auch nicht wieder aufgenommen.
Ärztlicherseits traten 1964 Gudrune Hoffmann, 1966 Georg Gräflin als Dermatologe und 1967 Gabriele Gerretsen-Remer in die Klinik.
Beständige Zeiten
Anfang der 70-er Jahre – das Klinisch-Therapeutische Institut feierte seinen 50. Geburtstag – ergaben sich die nächsten gravierenden Veränderungen. 1971 wurde der Name der Klinik geändert. Bisher hieß die Klinik ‚Klinisch-Therapeutisches Institut’. Zu diesem Institut gehörten die beiden Dependenzen ‚Sonnenhof’ (von Ita Wegman gegründete heilpädagogische Einrichtung in Arlesheim) und die
auch von Ita Wegman gegründete ‚Casa Andrea Cristoforo’ (Kurheim in Ascona). Jetzt wurde das
Krankenhaus in ‚Ita Wegman Klinik’ umgenannt, der Name ‚Klinisch-Therapeutisches Institut’ wurde
nun für die Gesamtheit aller Einrichtungen verwandt, nicht mehr für die einzelne klinischtherapeutische Einrichtung – war ja auch der Name des Trägervereins. Damit wurde die Klinik nur
noch zu einem Teil eines Ganzen und verlor namentlich die ihr bisher zugestandene Führungsrolle.
Der Aussage Ruth Slamas zufolge gab eigentlich keine unmittelbare innere Notwendigkeit zur Änderung des Namens.
Im weiteren Verlauf der 70-er Jahre wurden durch den Schweizer Staat sehr restriktive Gesetze bezüglich der Einreise von Ausländern erlassen. Bisher kamen bis zu 70 Menschen neu in die Schweiz
zur Ita Wegman Klinik (insbesondere zu längeren Kursen). Ab 1976 wurden für längere Aufenthalte
nur noch sehr wenige Bewilligungen ausgestellt, und die nur für jeweils ein halbes Jahr. Wie schon
erwähnt, lebte die Ita Wegman Klinik gerade von der Internationalität ihrer Mitarbeiter, bezog gerade
daraus das besondere Flair. Durch diese Gesetze wurde dem sehr radikal eine Grenze gesetzt. So
musste die Klinik vermehrt einheimische Menschen einstellen, was daher zu einer veränderten Atmo-
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sphäre führte. Besonders stark war bisher das holländische Element vertreten, bei Mitarbeitern, aber
auch bei Patienten. Erstaunlicherweise hatte aber schon – ein paar Jahre vorher beginnend – die
Internationalität der Patienten abgenommen. Längst kamen nicht mehr so viele Patienten von weit her
in die Ita Wegman Klinik, was einerseits an der Lukas-Klinik lag, andererseits sicher auch an der veränderten Zeitlage.
Auch sonst veränderte sich das Leben der Mitarbeiter. Während es früher selbstverständlich war,
fast den ganzen Tag in der Klinik zu verbringen und sich gewissermaßen für die Klinik bzw. die Patienten ‚aufzuopfern’, kam diese intensive Verschmelzung für viele an ein Ende, wenn auch nicht in der
Form, die es heutzutage im Jahre 2005 hat. Die Jahresfeste, die Donnerstagabende etc. gingen natürlich weiter. Die Hingabe für die gemeinsame Sache war weiterhin sehr groß – dennoch hatte sich hier
etwas spürbar verändert. Durch festgelegte Arbeitszeiten kam eine deutlichere Struktur in den Arbeitsalltag hinein, was jedoch den Freiheitsraum zur Selbstgestaltung, der vorher groß vorhanden war,
deutlich einschränkte.
Ein weiteres einschneidendes Ereignis für die Klink war der Tod von Margarete Kirchner-Bockholt
am 9. April 1973. Margaret Kirchner-Bockholt arbeitete seit August 1922 in der Klinik, war zwischenzeitlich von 1943 – 1949 in der Dependance in Ascona tätig gewesen. Medizinisch lag ihr besonders
die Heileurythmie am Herzen, wo sie Wesentliches geleistet hatte. Wenn man sich vorstellt, wie nach
dem Absetzen von Ita Wegman aus dem Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft und der Sektionsleitung eine scharfe und radikale Abgrenzung der Mitarbeiter des Klinisch-Therapeutischen Instituts von der Dornacher Einrichtung folgte, kann man ermessen, welch große Aufgabe Margarete
Kirchner-Bockholt hatte, als sie 1955 – im 34. Lebensjahr der Klinik – zur Mit-Leitung der Medizinischen Sektion an der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft berufen wurde. Mit ihr verstarb eine
große Trägerin der Impulse der Arlesheimer Einrichtung.
1974 trat Gerhard Roeber in die Ita Wegman Klinik ein. Seinen Aussagen zufolge lebte in den 70-er
und 80-er Jahren – trotz der oben beschriebenen Veränderungen – eine besondere Stimmung. Es war
eine ‚friedliche’ Zeit, Konflikte gab es kaum bzw. wenn es welche gab, eskalierten diese nicht und
wurden schnell beigelegt. Dabei lebte ein starker und sehr engagierter Wille im Therapeutischen, es
gab eine intensiv begleitende anthroposophische Arbeit mit Ärzteabenden und der gemeinsamen Arbeit an den Donnerstagen. Man lebte dadurch sehr in einem eigenen, aber doch auch von außen abgeschlossenen Raum; die sog. ‚Öffentlichkeit’ wurde in gewisser Weise ferngehalten. Therapeutisch
schöpfte man aus dem bisher Gegeben und Altbewährtem, jedoch dies auch immer variierend. Es
wurde aber nichts Neues geschöpft. Forschung gab es keine mehr, seit Alexander Leroi die Klinik
verließ. Das Gehalt war für jeden sehr gering, was aber kein Grund zur großen Diskussion war. Essen
bekam man frei in der Klinik, die Wohnräume in den klinikeigenen Wohnhäusern wurden unentgeltlich
für Mitarbeiter geputzt, ja selbst das eigene Toilettenpapier wurde von der Klinik gestellt. Die Klinik
kümmerte sich also weitgehend um die Grundversorgung; jeder war so weiterhin Teil einer ‚großen
Familie’.
Mitte der 80-er Jahre, am 23. Januar 1983, verstarb Madeleine van Deventer. Als Freundin von Helene von Grunelius war sie maßgeblich am zustande kommen des esoterischen Medizinerkurses unmittelbar nach der Weihnachtstagung 1924 beteiligt. Seit Weihnachten 1925 war sie in der Klinik tätig
gewesen, insgesamt 57 Jahre; bis 1943 in intensiver Zusammenarbeit mit Ita Wegman, seit 1943 in
der Leitung der Klinik. Ab 1955 hatte sie mit Margarete Kirchner-Bockholt, Hans Bleiker und Gerhard
Schmidt die Leitung der Medizinischen Sektion bis 1969 inne und damit – wie Margarete KirchnerBockholt – Wesentliches zur Wiedereingliederung der Klinik in die gesamte anthroposophische Bewegung beigetragen.
Mitte der 80-er Jahre wurde die Idee gefasst, einen Erweiterungsbau an den bisherigen Klinikbau
anzuschließen. Einem dabei gewesenen leitenden Arzt zufolge gab es aber keine echten, inneren
Ziele für diesen Neubau. Natürlich herrschte Platzmangel und es wurde dringend neuer Raum benötigt. Der geplante Neubau wurde aber „nicht mit einer Art innerer Neuausrichtung“ begleitet und forderte wohl letztlich Kräfte, die nicht entwickelt waren und dadurch die Gesamteinrichtung schwächte.
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Kritische Zeiten
Eine große Veränderung innerhalb der klinisch-therapeutischen Einrichtung erfolgte durch den Neubau 1991/92, 70 Jahre nach der Gründung des Klinisch-Therapeutischen Instituts 1921 und 2x 33⅓
Jahre nach dem Tod Rudolf Steiners. Der letzte Gedanke stammt von Michaela Glöckler aus einem
Vorwort des Heftes „Zum 70. Geburtstag der Klinisch-Therapeutischen Institute in Arlesheim und
Stuttgart 1921-1991“, das im Rahmen einer Medizinischen Hochschultagung unter diesem Thema
erschien. Sie beschrieb, dass die ersten 33 Jahre nach Rudolf Steiner Tod geprägt waren von der
Suche, „Formen zu finden für die Pflege und den rechten Umgang mit dem Werk, das Rudolf Steiner
der Welt hinterlassen hat“. Die nächsten 33 Jahre standen dagegen „im Zeichen einer zunehmenden
Neubesinnung auf die Aufgaben der Hochschule und ihrer Sektionen“. Zur Einleitung der nächsten 33
Jahre schrieb sie: „Wenn wir zu dieser Hochschultagung zusammenkommen, so soll dies nicht nur im
Zeichen der Erinnerung sein an die Pioniertaten auf anthroposophisch-medizinischem Feld. Vielmehr
wollen wir versuchen, den Blick auf das Werdende einer christlichen Heilkunst zu lenken und zu
schauen, welche Aufgaben uns in der Gegenwart und näheren Zukunft obliegen.“
Der Neubau war nach Meinung maßgeblicher Mitarbeiter notwendig geworden, um den Anforderungen der Zukunft gerechter antworten zu können und um den gravierenden Platzmangel loszuwerden.
Nach Aussagen von Ruth Slama wurde man aber auch etwas anderes los: nämlich „dass jeder jeden
kannte“. Durch den engen, aber gut überschaubaren Raum war einem vorher (fast) jeder Mitarbeiter
bekannt. Durch den Neubau verdoppelte sich der Raum, so dass der einzelne Mitarbeiter die Übersicht über das Ganze verlor. Ruth Slama zufolge entstand ein „Loch“ – der Neubau brachte etwas
Neues, dass erst einmal belebt werden musste. Hier setzten sich nach Aussage von Elisabeth Gold
ärztlicherseits besonders Jerome van Houten (Station 2 West) Gabriele Gerretsen-Remer (Station 1
West) mit großem Einsatz ein.
Im Verlauf der nächsten Jahre fanden im Sozialen große Veränderungen statt. Bisher war die soziale Struktur der Klinik mehr oder weniger kollektiv und antihierarchisch in gemeinschaftlicher Weise –
bis in den einzelnen Bereichen – geführt worden. Besonders in den letzten Jahren hatte man bemerkt,
dass dieses gemeinsame Element auch sehr hemmend zukünftigen Veränderungen gegenüber sein
kann. An Stelle dessen setzte man nun mehr hierarchische Strukturen. So wurden z. B. auf jeder Station Stationsleitungen mit ihren Vertretungen eingesetzt, um eine straffere Organisation und damit
einen effektiveren Stationsablauf zu gewährleisten.
Im ärztlichen Bereich tauchte eine jüngere Generation auf, die neue Impulse einbrachte. Am Anfang
gemeinsam wollten sie Veränderungen des Althergebrachten herbeiführen, wollten „die alten Stiefel
ausziehen“ [Roeber]. Dann jedoch machte – nach Aussagen mehrerer Menschen – Jerome van Houten Führungsansprüche geltend, vor allem im Hinblick auf eine ‚spirituelle Leitung’ der Klinik. Jerome
van Houten kam 1989 an die Klinik. Später hieß es, dass ihm bei seiner Anstellung eine spätere Führungsposition in Aussicht gestellt worden war. Er fühlte sich sehr mit Ita Wegman verbunden, so dass
er auch zeitweise sein Sprechzimmer im ‚Wegman/Steiner-Raum’ einrichtete. Nach vereinzelten Angaben schien er sich möglicherweise auch als Holländer verpflichtet, diese ‚Linie’ weiterzuführen
(auch Ita Wegman war Holländerin; und ihrer Folge auch viele andere, so z. B. Madeleine van Deventer, Anton und Gabriele Gerretsen).
Infolge des Führungsanspruches von Jerome van Houten kam es nun innerhalb dieser jüngeren
Gruppe zu einer Spaltung, die zu der heute allgemein so genannten „van-Houten-Krise“ führte. Diese
Krise schien die größte in der neueren Zeit zu sein und brachte die ganze Klinik an den Rand eines
‚Kollapses’. Während sich innerhalb der Klinik ein jahrelang bestehender Konflikt abspielte, spiegelte
sich dieses Innenleben wohl so nach außen, dass die Belegung der Klinik drastisch nachließ. Es führte dies zu einem großen finanziellen Einbruch, woran die Klinik heute noch finanziell leidet.
Diese Krise eskalierte mit dem Weggang von Jerome van Houten; auch Anton und Gabriele Gerretsen verließen die Klinik, jedoch aus Altersgründen.
Die Krise gab aber den Grund, die Organisationsentwicklungsgesellschaft ‚MIRA’ in die Klinik hinein
zu holen, um strukturell einen vollständigen Neuanfang zu wagen. Neben dem Krisenmanagement
erfolgte unter der MIRA der Beginn der Einrichtung eines Qualitätssicherungsverfahrens. Während der
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nächsten Jahre wurden hierdurch immer mehr Handlungswege innerhalb der Klinik durchleuchtet, was
aber erst langsam zu einer gewissen Strukturierung und Stabilisierung führte.
Die Jahre nach dem Weggang der Holländer waren gekennzeichnet von einer Suche nach neuen
Formen (der Zusammenarbeit, der Forschung, der Strukturierung etc.). Sehr viele neue Ärzte, Pflegende u. a. fanden den Weg zu dieser Klinik bis in leitende Positionen hinein. Auch das Ita Wegman
Archiv erlebte mit Peter Selg eine Neubelebung.
Im Jahre 2003 erhob sich erneut ein schwerer Konflikt, der Ende 2003 und Anfang 2004 eskalierte,
die Klinik erneut ins Schwanken brachte und letztlich zum Weggang des Neurologen Peter Zunker
führte. Es war aber nicht nur ein Konflikt innerhalb der Ärzteschaft, sondern vor allem ein Konflikt zwischen der Ärzteschaft und der Klinikleitung. Die Zeit Anfang 2004 war somit für die Ita Wegman Klinik
eine sehr schwierige Zeit – gebar aber Fragen nach künftiger Orientierung. Auch kamen in dieser Zeit
wieder neue leitende Ärzte.
Übergreifende institutions-biographische Aspekte
Vergegenwärtigt man sich die Gründungszeit, so fällt auf, dass im Jahr 1921 zwei KlinischTherapeutische Institute gegründet wurden, zuerst in Arlesheim, dann in Stuttgart. Diese beiden Kliniken hatten jeweils besondere Schwerpunkte. Von der Stuttgarter Einrichtung erhoffte sich Rudolf Steiner eine starke Wirkung in die Öffentlichkeit. Von dort aus sollte ein Vademecum erarbeitet werden
(von Ludwig Noll), in dem die Methode der geisteswissenschaftlich erweiterten Medizin dargestellt
sein würde; hier sollten die therapeutischen Angaben Rudolf Steiners wissenschaftlich verifiziert werden; von hier aus sollten Kontakte zur üblichen medizinisch-wissenschaftlichen Welt hergestellt werden. Ganz andere Aufgaben kamen auf das Klinisch-Therapeutische Institut in Arlesheim zu. Hier fand
die besondere Zusammenarbeit Rudolf Steiners und Ita Wegmans statt, bei der es vor allem um die
besondere individuelle therapeutische Situation der Patienten ging, aus der heraus sich schließlich
das gesamte Spektrum der Arlesheimer Tätigkeiten bis hin zur Forschung entfaltete. Lag der Schwerpunkt in Stuttgart auf ‚Wissenschaft und Forschung’ und die wissenschaftliche Vertretung in der Öffentlichkeit, ging die Arbeit in Arlesheim schwerpunktmäßig von der konkreten therapeutischen Arbeit
am Patienten aus.
Schon in den Anfangsjahren der anthroposophisch-medizinischen Bewegung ist so eine erste Differenzierung der medizinischen Tätigkeit, aufgeteilt auf zwei klinische Einrichtungen, zu bemerken. Grob
benannt, kann man hierin die zwei Tätigkeitsrichtungen in der Medizin wiederfinden: die praktische,
am individuellen Menschen orientierte therapeutische Tätigkeit und die entwicklungsermöglichende
wissenschaftliche Tätigkeit als Grundlage eines sich immer erweiternden, allgemeinen Verständnisses
vom gesunden und kranken Menschen, die gleichzeitig immer auch Präsentationsaufgaben in der
Öffentlichkeit hat.
Als in den Augen Steiners die Ärzte in Stuttgart versagt hatten, verwandelte sich die Aufgabe des
Klinisch-Therapeutischen Instituts in Arlesheim und damit Ita Wegmans Tätigkeit. Anstelle eines Vademecums schrieben nun Rudolf Steiner und Ita Wegman an einem medizinischen Grundlagenbuch,
dass kurz vor Steiners Tod beendet wurde. Somit wurde die gesamtumfassende Tätigkeit auf das
Klinisch-Therapeutische Institut bzw. auf Ita Wegman übertragen. Gleichzeitig wurde die Klinik in die
Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft aufgenommen (als Unterabteilung der AAG) und damit
existentieller Teil der Weihnachtstagungsinitiative. Doch nach dem Tod Rudolf Steiners spaltete sich
die Anthroposophische Gesellschaft durch unterschiedliche Strebensrichtungen allmählich auf, so
dass Ita Wegman das Klinisch-Therapeutische Institut 1931 aus der Allgemeinen Anthroposophischen
Gesellschaft herauslösen musste und für die Klinik einen Trägerverein gründete. Da Ita Wegman sehr
daran gelegen war, talentierte Ärzte an die Klinik zu holen, wurden dort weitgefächerte Tätigkeiten
ausgeführt. Konkrete therapeutische Tätigkeit, Forschung und Lehre fanden hier ein einheitliches Arbeitsfeld. Ita Wegman wirkte dabei unermüdlich nach außen; zwar nicht mit ‚Öffentlichkeitsarbeit’,
jedoch mit vielen Neugründungen auf medizinischem und heilpädagogischem Feld.
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Ende der 30-Jahre, zu Beginn des 2. Weltkrieges, gab es eine große Krise, durch die das Krankenhaus fast zugrunde ging. Ita Wegman zog sich in Folge für drei Jahre nach Ascona zurück, und als sie
1943 zurückkehrte, um einen Neuanfang zu wagen, verstarb sie in den Folgetagen.
Die Weiterführung der Klinik gestaltete sich dennoch weiter aufbauend, so dass 1954 ein Neubau
eingeweiht werden konnte. So zeigte sich ein Neuaufschwung, auch wenn viele ärztliche Mitarbeiter
die Klinik verlassen hatten – es kamen eben neue dazu. Die Forschung wurde durch Alexander Leroi
weitergeführt, Gerhard Suchantke kam 1954 dazu. Schwesternkurse wurden aber erst wieder in den
60-er Jahren eingerichtet.
Ein gewaltiger Einbruch erfolgte Anfang der 60-er Jahre, als Alexander Leroi die Klinik verließ und
1963 die Lukas-Klinik in Arlesheim eröffnete. In gewisser Weise kann man von einer ‚Zweiteilung’ des
Klinisch-Therapeutischen Instituts sprechen. Es entwickelten sich zwei Kliniken – ähnlich wie 1921 –
mit unterschiedlichen Schwerpunkten. In der Lukas-Klinik lag der Schwerpunkt auf der Krebstherapie,
der Forschung und der starken Expansion in die Öffentlichkeit mit Vorträgen (auch an Universitäten)
und Schriften. Die Klinik wurde dadurch sehr bekannt und der Patientenzulauf entsprechend groß.
Das Klinisch-Therapeutische Institut (oder ‚der andere Teil des bisher Ganzen’) hielt sich weiter abgesondert von jeglicher öffentlicher Tätigkeit zurück. Geforscht wurde hier nun nicht mehr, dafür jedoch
die Krankenpflegekurse eingerichtet, also eine Lehrtätigkeit wieder eingerichtet. Der Schwerpunkt lag
aber auf der Fortführung einer gediegenen konkreten therapeutischen Arbeit, getragen von dem bisher erarbeiteten therapeutischen Fundus und einer regelmäßigen anthroposophischen Grundlagenarbeit. 1963 wurde auch wieder – zeitgleich mit der Errichtung der Lukas-Klinik – gebaut. So wie die
ursprüngliche klinische Einheit geteilt wurde, so musste jetzt auch die ursprüngliche therapeutische
Stätte einem Neubau weichen; das alte Haus wurde abgerissen, lediglich Ita Wegmans ursprüngliches
Wohn-/Therapie-Zimmer ließ man stehen.
Es ist zu bemerken, wie aus einer Anfang der 20-er Jahre entstandenen Einheit (bis zur Integration
in die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft), sich eine ‚Trennung’ vorbereitete, die sich letztlich
1963 vollzog. Vorher vereinte, sich aber bedingende Gegensätze trennen sich wieder, finden ihren
Ausdruck in den beiden nicht weit voneinander existierenden klinischen Einrichtungen. 1971 geschieht
dann der nächste (eigentlich konsequente) Schritt: das Klinisch-Therapeutische Institut wird in ‚Ita
Wegman Klinik’ umbenannt. Der Name ‚Klinisch-Therapeutisches Institut’ geht dadurch auf die Gesamtheit der mit der Klinik zusammenhängenden Einrichtungen über (war aber schon seit 1931 der
Name des Trägervereins). 42 bzw. 50 Jahre nach der Gründung des Klinisch-Therapeutischen Instituts war damit die ursprüngliche Einheit, als auch umfassendes medizinisches Konzept konzipiert,
verlorengegangen.
Die folgenden 20 Jahre waren für die Ita Wegman Klinik – von außen gesehen – insgesamt eher
unspektakulär. Zwar erfolgten viele, vor allem durch äußere Umstände bedingte Umstrukturierungen
und Veränderungen – insgesamt ging die Arbeit in innerlich stabiler, aber in einer von der nichtanthroposophischen Öffentlichkeit deutlich abgegrenzten Weise weiter.
Im 70. Lebensjahr der Klinik, ungefähr nach einem Lebensalter eines Menschen, erfolgte nun wieder eine radikale Änderung. Durch den großen Neubau, der den Klinikraum in etwa verdoppelte, veränderte sich die Situation der Klinik vollkommen. Zwar gab es nun genügend Arbeitsraum, es entstand aber eine innere Entfremdung. Vorher war alles überschaubar – jetzt verlor der Einzelne den
Überblick. Es bedurfte sehr großer Anstrengungen, um den neuen Raum – ja auch Freiraum – zu
gestalten und innerlich auszufüllen. Man kann schon sagen, dass es 1991 – 70 Jahre nach der Begründung des Klinisch-Therapeutischen Instituts – einen klinischen ‚Neuanfang’ gegeben hat. Nur
waren wohl die Bedingungen nicht optimal.
In der folgenden Jahren traten dann die sehr heftigen Krisen auf, die – wie im Fall der ‚van-HoutenKrise’ – die Klinik an den existentiellen Abgrund brachten. Vor allem die letzte Krise zeigte doch wieder die Frage nach einer Vereinigung scheinbar gegensätzlicher, sich jedoch bedingender Richtungen, die bis heute aktuell ist: Wie kann konsequente, gute und sich weiter entwickeln wollende therapeutische Arbeit, die auf anthroposophischen Grundlagen baut und gepaart ist mit einer gediegenen
inneren Arbeit, verbunden werden mit einer stärkeren Eingebundenheit in das öffentliche Versor-
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gungssystem, einer stärkeren Öffentlichkeitsarbeit und einer sich repräsentierenden und gleichzeitig
umfassenden, die therapeutische Arbeit befruchtenden Forschung?
Ausblick
Betrachtet man die letzten Werdejahre der Ita Wegman Klinik, so fallen viele Aktivitäten ins Auge,
die die in der letzten Frage aufgeworfenen Elemente berühren. So erfolgte eine immer größer werdende Präsenz in der Öffentlichkeit durch die Zeitschrift QUINTE, durch Präsentationsstände (u. a. im
Dornach Spital) und vieles andere mehr. Durch die Klinikleitung bestehen viele politische Kontakte
und Aktivitäten, wodurch die Klinik gesundheitspolitisch auf dem aktuellen Stand ist. Von der ärztlichmedizinischen Seite her gesehen kamen viele neue und junge leitende Ärzte, u. a. als Spezialisten
oder mit speziellen Schwerpunkten (Kardiologie, Pädiatrie, Onkologie, Manuelle Therapie etc.), was u.
a. zu einer verstärkten Öffentlichkeitspräsenz (z. B. Fortbildung für außerklinische Kollegen) führt.
Pflegerisch erweitert sich immer mehr das – schon seit sehr vielen Jahren aktivierte – Weiterbildungsangebot, einerseits zur Fähigkeitsbildung und -steigerung der eigenen Mitarbeiter und zur Befruchtung
der klinisch-aktuellen Tätigkeit, andererseits bis weit in die Öffentlichkeit (z. B. Tagungen, Publikationen über ‚Äußere Anwendungen’ und ‚Rhythmische Einreibung’ etc. pp.). Bezüglich Forschung zeigen
sich auch erste Initiativen und Ansätze, z. B. in der Sprachtherapie-Studie. Es gibt sogar Überlegungen und Anregungen zur Zusammenarbeit mit der Lukas-Klinik (auf verwaltungstechnischem und
medizinischem Gebiet).
Die Aufzählung soll genügen. Sie zeigt, dass das geschichtliche Auseinanderfallen in zwei wie entgegengesetzte Bestrebungen schon seit Jahren auf Überwindung und Neugestaltung hintendiert. Viele Aktivitäten sind aber noch sehr keimhaft und zum Teil – wie die Forschung – mit starken Auseinandersetzungen um die ‚richtige Richtung’ begleitet. Doch die Grundtendenz zeigt eine eindeutige Orientierung.
Es erscheinen folgende Fragen für die Zukunft: Welche übergeordneten, aber den Alltag durchdringenden und alle Menschen umfassenden Ziele und Ideale wollen sich die Mitarbeiter für die Zukunft
geben und setzen? Wie soll die Ita Wegman Klinik in 10/20/30 Jahren aussehen? Welche Stellung soll
die Ita Wegman Klinik im öffentlichen Gesundheitswesen einnehmen? Wie können im Rahmen einer
Öffnung und Erweiterung die alles durchdringen sollenden und wollenden anthroposophischen Grundlagen gepflegt, gefördert und entwickelt werden? Wie soll die für die Zukunft unabdingbare Gemeinschaftsbildung aussehen und gefördert werden?
Ein herzhaft zu beschreitender, diese Fragen aufgreifender Weg kann meines Erachtens Neues zur
Zukunftsgestaltung der Ita Wegman Klinik hervorbringen.
Literatur
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Steiner R.: Das Schicksalsjahr 1923 in der Geschichte der Anthroposophischen Gesellschaft. GA 259. Dornach:
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Steiner R.: Die Weihnachtstagung zur Begründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft
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Steiner R.: Die Konstitution der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Hochschule für
Geisteswissenschaft / Der Wiederaufbau des Goetheanum 1924/1925. GA 260a. Dornach: Rudolf Steiner Verlag, 1960
Steiner R.: Geisteswissenschaft und Medizin. GA 312. 6. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag, 1985
Steiner R.: Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst. GA 316. 2. Aufl. Dornach:
Rudolf Steiner Verlag, 1980
Gespräche mit:
Annemarie Gass, Elisabeth Gold, Judith Handschin, Karin Hege, Dr. Gudrune Wolff-Hoffmann, Andreas Jaeschke, Grete Kübel, Gertrud Maassen, Dr. Gerhard Roeber, Dr. Bettina Schleyerbach, Dr. Peter Selg, Ruth Slama u.
v. a.