True Blood
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True Blood
True Blood booklet herausgegeben von Simon Rothöhler Cristina Nord True Blood diaphanes 1. Auflage 2015 © diaphanes, Zürich-Berlin www.diaphanes.net Alle Rechte vorbehalten Satz und Layout: 2edit, Zürich Druck: Pustet, Regensburg ISBN 978-3-03734-484-2 Inhalt 7 This is popcorn television 21 God hates fangs 31 Excuse me, who ordered the hamburger with Aids? 45 I’m a fairy? How fucking lame! 61 Death is not the end 67 You think knowing the answers will safe you? 85 What cum tastes like 101 Fünf Anspieltipps This is popcorn television 7 Bevor er True Blood zu konzipieren und umzusetzen beginnt, hat Alan Ball bereits eine erfolgreiche und viel diskutierte Serie für den Bezahlsender HBO verantwortet. Von 2001 bis 2005 widmet er sich mit Six Feet Under der fiktiven Familie Fisher und deren Bestattungsunternehmen in Los Angeles. Nach fünf Staffeln geht er 2008 zu etwas Neuem über, etwas, was mit der Vorgängerserie auf den ersten Blick wenig zu tun hat. In einem Interview sagt er: »It felt really liberating to me after working so long on material that was basically just about the intricacies of humans relating to each other to actually go into a world where just fantastic things happen, and it’s just kind of fun and silly. And when I pitched it to HBO for the first time I said, ›This is popcorn television. You know, this is a popcorn TV show.‹«1 Ergründet die vorangegangene Serie all das, was im Zwischenmenschlichen kompliziert und verworren ist, so bietet die neue Serie laut Ball vor allem Fantasy, Spaß und Albernheit. Doch sobald man etwas genauer hinschaut, stellt man überrascht fest, wie viel von Six Feet Under im popcorn television überlebt. Die auffälligste Gemeinsamkeit besteht darin, dass in beiden Serien Tote gegenwärtig sind; Figuren, die zwar gestorben, aber noch nicht endgültig gegangen sind, beanspruchen Raum und »Restzeit«.2 In Six Feet Under sind das zunächst die Leichen, die im Bestattungsinstitut der Fishers aufgebahrt und einbalsamiert 9 werden, darüber hinaus die Toten, die den Lebenden in deren Visionen erscheinen, als wären sie tatsächlich da.3 In True Blood sind es die Vampire, die ihren Tod überleben, bei Eric Northman (Alexander Skarsgård) zum Beispiel erstreckt sich die Restzeit schon über ein Jahrtausend aus. Eine fast schon unheimliche Verbindungslinie spannt sich, da es zur Tätigkeit der Bestatter gehört, das Blut aus den toten Körpern herauszupumpen und durch eine formaldehydhaltige Lösung zu ersetzen. Dadurch wird der Verwesungsprozess unterbrochen und das Aufbahren der Leiche möglich. Auch die Vampire entziehen menschlichen Körpern Blut, in periodischen Abständen sieht man in True Blood Bilder von kopfüber aufgehängten Vampiropfern, denen noch der letzte Tropfen Blut entnommen wird. Einstellungen, in denen rote Flüssigkeit durch Infusionsschläuche fließt, bevor sie in Blutbeuteln aufgefangen wird, bekommt man in Six Feet Under wie in True Blood häufig zu Gesicht. Auch was die Teams der beiden Serien angeht, gibt es Kontinuitäten. Daniel Attias, Daniel Minahan und Michael Cuesta gehören hier wie dort zum Pool der Regisseure. Unter den Autoren ist die Fluktuation größer, doch sorgen Nancy Oliver und Alan Ball für eine gewisse Beständigkeit. Für das Casting zeichnen jeweils Libby Goldstein und Junie Lowry-Johnson verantwortlich, und Suzuki Ingerslev 10 besorgt in beiden Fällen das Produktionsdesign. Was in Six Feet Under die gedeckten Töne der Inneneinrichtungen, der generelle Eindruck von Gediegenheit und Verblichenheit sind, sieht in der fiktiven Kleinstadt Bon Temps im Nordwesten Louisianas kaum weniger demodé aus: Holzpaneele, alte Teppiche, Tand an Wänden und in Regalen, Blümchen tapeten und Möbel, die ihre besten Jahre lange hinter sich haben, bestimmen die Interieurs der Hauptschauplätze.4 Auf der Ebene der Motive und narrativen Konstellationen gibt es so viele Verwandtschaften, dass hier eine Auswahl genügen soll. Mit der Kellnerin Arlene und den Vampirfiguren Anne-Sophie und Jessica setzt sich das Faible für rothaarige Frauen fort, die Wörter »cupcake« oder »doormat« sind in beiden Serien zu hören, und wenn Nate Fisher in Crossroads (SFU 1.8)* die Wohnung seiner Freundin Brenda während einer für ihn missglückten Party verlässt, nimmt die Art, wie er sich rückwärts durch den Raum bewegt, vorweg, wie ein Vampir in True Blood eine menschliche Wohnung verlässt, sobald ihm der Gastgeber die Einladung entzieht. Beerdigungen bilden ein verlässlich wiederkehrendes Plotmoment in Six Feet Under, und sie spielen auch in True Blood eine Rolle, insbesondere in der sechsten und siebten Staffel, also zu einem * Das Kürzel steht für Six Feet Under, Staffel 1, Episode 8; analog steht das Kürzel TB für True Blood. 11 Zeitpunkt, nachdem sich Alan Ball als Showrunner zurückgezogen und zunächst Mark Hudis, später Brian Buckner das Feld überlassen hat. Die Bestattung des Irak-Kriegs-Veteranen Terry Bellefleur (Todd Lowe) wird in der letzten Folge der sechsten Staffel aufwändig in Szene gesetzt; sie wirft die Frage auf, inwieweit es angemessen ist, einem Menschen militärische Ehren zuteilwerden zu lassen, obwohl er vom Krieg so traumatisiert wurde, dass ihm das Weiterleben als Zivilist nicht glückte. Einen vergleichbaren Konflikt gibt es gegen Ende von Six Feet Under in der Episode Static (SFU 5.11). Was die Dramaturgie angeht, so haben beide Serien die auffällige und manchmal ermüdende Neigung, unterschiedliche Handlungsstränge parallel zu führen. Wenn etwa die Liebeskapriolen Claire Fishers sich in denen Ruth Fishers widerspiegeln, dann finden sich vergleichbare Spiegelungen auch in True Blood. Die Beispiele dafür sind so zahlreich, dass eines pars pro toto stehen soll: In I Wish I Was the Moon (TB, 4.6) gibt es drei Subplots, in denen es um Besessenheit geht, da eine Figur in eine andere hineinfährt. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Serien – und in diesem Zusammenhang ist Balls Hinweis auf »popcorn television« ernst zu nehmen – liegt im Grad der Respektabilität. Six Feet Under söhnt Unterhaltungs bedürfnisse mit hohen Ansprüchen an Charakterentwicklung 12