Tilo Rempel - Ältere Deutsche Philologie

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Tilo Rempel - Ältere Deutsche Philologie
Universität Bayreuth
SS 2008
PS „Mittelalterrezeption im Computerspiel: Assassin’s Creed“
Dozenten: Dr. Nicole Müller, PD Dr. Ralf Schlechtweg-Jahn
Arbeitsgruppe: Tilo Rempel
Von der DNA zu den Templern
Wirkung und Funktion einzelner Motive im Computerspiel
Assasins Creed
Einleitung
Irgendwie weiß man nach dem Durchspielen von Assasins Creed gar nicht so recht, was nun
die eigentliche Handlung war. . Also das heißt der Kern der Handlung war natürlich
Informationen Sammeln, Ziel eliminieren und Belohnung abholen, als wiederkehrendes
Element. Aber schließlich gibt es ja noch die Geschichte selbst, die dem Spieler erklären soll,
warum der Avatar Altair diesem Spielprinzip folgt. Am Ende des Spieles stellen sich
schließlich alle Handlungen, die für den Avatar bestimmt waren, aus einem Blickwinkel dar,
der dem Spieler bisher vorenthalten wurde: Täter und Opferrollen werden verdreht und die
Handlung nimmt einen Lauf, der zu einem absolut offenen Ende (oder einen Cliffhänger der
1-2 Jahre halten soll?) führt.
Nun soll aber an dieser Stelle keine Interpretation der Erzählung oder ein Spekulieren über
einen Fortgang der Geschichte gegeben werden. Vielmehr sollen einige Elemente
herausgegriffen werden, die isoliert betrachtet in keinerlei Zusammenhang stehen, aber
dennoch einen Teil der Handlung tragen. Etwas banal gesagt, tragen sie ihren Teil dazu bei,
eine Erzählweise zu ermöglichen, die versucht eine geheimnisvoll-mystische aber irgendwie
dennoch die Realität streifende Geschichte zu schaffen. Es sind Elemente wie religiöse
Symbolik, Anspielungen auf okkultes Wissen und, im Kontrast dazu, die Elemente der
Rahmenhandlung wie Genetik und das Erschaffen der Matrix oder Kulisse durch eine
Maschine genannt Animus. Also etwas überspitzt ausgedrückt: Es wurden die verschiedensten
Elemente aus allen möglichen Wissensbereichen zusammenzutragen, um daraus eine
Fantasystory zu kreieren.
Dieses Verfahren ist nichts Neues und auch nichts Seltenes, denn es ist wohl eine der
zentralen Eigenschaften der Popkultur. Um nur zwei Beispiele zu nennen, sei das Thema des
Rittertums in Star Wars genannt.1 Oder man denke nur einmal daran, für was Mumien seit der
Entdeckung des Grabes von Tutanchamun alles herhalten mussten.
Und, je nach Belieben und Inszenierung, kann ein und dasselbe Element mit den
verschiedensten Bedeutungen versehen werden. Lässt man die Elemente unkommentiert oder
nur teilweise erklärt, so ergibt sich eine Mehrdeutigkeit wie eben das offene Ende von
Assasins Creed. Diese unvollständig erläuterten Themen, Bilder oder Symbole machen, grob
gesagt, das Geheimnisvolle an mystisch angehauchten Geschichten aus. Eine geheime Loge
ist eben nur dann interessant, wenn man so viele Hinweise erhält, dass man ein Mindestmaß
an Informationen besitzt, um überhaupt etwas darüber erfahren zu können. Andererseits
dürfen auch nicht zu viele Informationen preisgegeben werden, damit die Phantasie des
1
Groebner Valentin: Das Mittelelalter hört nicht auf. Über historisches Erzählen. C. H. Beck. München 2008. S.
2 - Neben anderen Beispielen erwähnt Groeber Star Wars als Beispiel mitteralterlicher Themen der Popkultur
Lesers, Zuschauers oder Spielers angeregt werden kann oder Fortsetzungen erfolgreicher
vermarktet werden können.
Zwei Elemente, die sich im Spiel wieder finden, sollen im Folgenden genauer betrachtet
werden: Zum einen, die Symbole für organische Moleküle, hauptsächlich der DNS, die immer
wieder auftauchen und innerhalb der Erzählung als Schlüssel zur Geschichte fungieren. Zum
anderen, die religiös- esoterischen oder mystischen Anspielungen, vor allem in Form des
Templerordens.
Da sowohl Gentechnik wie auch New Age Symboliken für das Mittelalter absolut
selbstverständlich sind, sei als erstes ein kurzer Blick auf diese vielschichtige Zeit geworfen.
Das wohlbekannte Mittelalter
„Wo sollte Assassin´s Creed 2 spielen?“ So die Umfrage auf der Internetseite
http://www.assassinscreed.de. Der Stand der Umfrage am 21.8.08 zeigte ein deutliches
Ergebnis. Von 3490 abgegebenen Stimmen wählten 1681 (48 %) Teilnehmer die Option:
„Mit Altair im Mittelalter – Das passt einfach am besten“ – eine klare Mehrheit.
Jeder, der das Spiel kennt, weiß, dass das offene Ende der Erzählung durchaus eine
Fortsetzung in einer späteren Zeit erlauben, wenn nicht gar fordern würde. Auch wurden, wie
jeder Spieler erfahren durfte, esoterische Symbole der Popkultur (Eagle Vision am Ende des
Spieles) derart reichlich unkommentiert platziert, dass eine Fortsetzung in jegliche Zeit und
Richtung möglich ist. Und auch das Spielprinzip des ersten Teiles hätte in jeder Epoche
(Zukunft eingeschlossen) funktioniert. Aber irgendwie „passt“ das Mittelalter für viele eben
„einfach am besten“. Und schließlich ist das Mittelalter auch ein wichtiger Aspekt der
Werbung für das Spiel.2
Wann immer mittelalterliche Elemente eine Rolle spielen, kann man sich auch die Frage nach
der Vorstellung vom Mittelalter stellen. Sei es nun aufgrund der Frage nach dem Verständnis
tatsächlicher historischer Texte, wie etwa Liedern von Walther von der Vogelweide (nur um
diesen Sänger, der im Spiel selbst Erwähnung findet, zu nennen), oder - was eben vor allem
hier von Interesse seine soll - den zeitgenössischen Vorstellungen vom Mittelalter.
Letztgenanntes ist ja immer dann entscheidend, wenn das Mittelalter in der Gegenwartskultur
(oder auch in früheren Epochen) auftaucht, sei es nun in Form von Literatur, Malerei, Musik,
Film oder eben als Computerspiel. Es findet sich ein breites Spektrum an Darstellungen der
Mittelalterlichen Welt. Wer kennt beispielsweise nicht das Bild des „dunklen“ Mittelalters.
Historisch betrachtet schlicht und ergreifend zeitlich falsch eingeordnet, fügt sich hier die
gesamte Thematik der Hexenverfolgung perfekt ein. Und für viele ist demnach sicher der
prasselnde Scheiterhaufen, in dessen Flammen eine junge Frau kreischend ihr Ende erfährt,
etwas typisch Mittelalterliches. Demgegenüber existieren auch Perspektiven, die so nahe wie
möglich an geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse gelehnt sind. Betrachtet man nur diese
beiden extremen Möglichkeiten, so eröffnen sich schon verschiedenste Räume, die je nach
Intention und Bedürfnis genutzt werden können. Diese Bedürfnisse aber entspringen, wie
Bachorski schreibt, der eigenen Gegenwart.3
Welchen Raum oder welche Räume beansprucht „Assasins Creed“? Oder einfacher
ausgedrückt: Welche Mittelaltervorstellung wird für die Geschichte in Assasins Creed
benötigt? Die Antwort fällt nicht allzu schwer. Es wird eine Zeit benötigt, die gewaltbereite
Säbelrassler, religiösen Fanatismus und, was das Wichtigste ist, Grundlage für Geheimbünde
2
Referenz zu authentischen Aufbau der Städte
Bachorski, Hans-Jürgen: Visuelle Kolonisation. Die Erfahrung des Fremden im Mittelalter-Film.
In:Mittelalterrezeption V. Gesammelte Vorträge des V. Salzburger Symposiums 1990. Hrsg. V. Ulrich Müller
und Kathleen Verduin. Göppingen 1996. S. 244
3
und Verschwörungstheorien, liefert. Es muss die Keimzelle bilden, in der altes
beziehungsweise zeitloses okkultes Wissen entdeckt wird, das bis in die Gegenwart oder
Zukunft reicht. Dies macht zumindest den Kern der erzählten Geschichte aus. Ein solches
Mittelalterbild deckt sich ziemlich genau mit dem „Mittelalter der Überlieferung“ Ecos.4 Das
Mittelalter bietet hier Raum für Quellen geheimen oder nur noch für wenige Eingeweihte
zugänglichen Wissens. In gewisser Weise handelt es sich also auch um ein „dunkles“
Mittelalter. „Dunkel“ in dem Sinn, da jeglicher Einblick in die bösartigen Machenschaften
einiger Mächtiger (von deren Macht aber der Normalbürger nicht unbedingt etwas weiß)
verhindert wird. Was Computerspiele betrifft, so bedienen sich häufig die Macher_ von
Adventure Spielen_ eines solchem Mittelalters („Broken Sword: The Shadow of the
Templars“ – Nur um mal den Titel eines Klassikers zu nennen). Aber im Prinzip wird immer
dort, wo der Schwerpunkt auf einer Geschichte liegt, die über Jahrhunderte hinweg am
brodeln oder laufen ist, gerne das Motiv, von die Zeit überdauernden Geheim- Orden,
Gruppen oder Wissen, verwendet.
Andererseits, um nun auf das Design der Animus- Interfaces, den Molekülen und sonstigen
biotechnologischen Symbolen_ zu kommen, schafft die Erzählung eine scheinbare Distanz
zum Mittelalter. Die mittelalterliche Welt wird geschaffen oder, besser gesagt, simuliert und
von der Gegenwart im Abstergo- Labor überlagert. Man könnte also ein Mittelalter vermuten,
das dazu dient einen Kontrast zur Gegenwart (der Geschichte) zu zeigen.5 Dieser Kontrast
beschränkt sich aber lediglich auf die visuelle Ebene, da die gesellschaftlichen Muster im
Prinzip als unverändert dargestellt werden. Desmond hat den Assasinen im Blut (um ein
etwas älteres Symbol für das Schicksal durch Vererbung zu verwenden) und seine Entführer
verschwören anscheinend auch seit 800 Jahren ununterbrochen. Was letzten Endes trotz High
Tech bleibt, ist wieder ein Mittelalter, in dem alles Übel seinen Ursprung hat und das in
gleicher Art und Weise weiter besteht, was die eigentliche (geheime) Weltordnung betrifft.
Gleiches Schema – andere Motive
Um an das Mittelalter anzuknüpfen, möchte ich zwei Elemente nennen, die sich in Assasins
Creed finden und bereits in Handschriften aus dem „echten Mittelalter“ zu finden sind. Das
eine ist, wie bereits angedeutet, die Vorstellung eines vorherbestimmten Schicksals durch
Abstammung. Nur ein Adliger, auch wenn er es erst gar nicht weiß, wie etwa Parzival, ist
dazu geboren, Ritter zu werden, Abenteuer oder Quests (ja ziemlich ähnlich wie in RPG`s,
nur dass das Ganze wahrscheinlich meist nicht gespielt sondern vorgetragen wurde) zu
bestehen und die schönste Frau zu bekommen. Zum anderen seien Kleidung und Accessoires,
die einen Helden erst zum Helden machen, genannt. Was wäre ein Edelmann ohne Schwert,
Pferd und edle Stoffe. Was wäre Altair ohne sein Heldenkostüm, versteckte Klinge, Schwert
etc.6
Es soll nun aber nicht um Gemeinsamkeiten von Computerspielen und mittelalterlichen
Texten gehen, sondern darum, dass es Elemente, Strukturen und Muster gibt, die in
bestimmten Erzählungen immer wieder auftauchen. Wird die Wiederholung zum Kern der
Struktur, so spricht Umberto Eco vom „Seriellen“. 7 Es handelt sich dabei um bestimmte
Strukturen und Muster, die immer dem gleichen Schema folgen, aber scheinbar etwas Neues
4
Eco, Umberto: Zehn Arten, vom Mittelalter zu träumen. In: Über Spiegel und andere Phänomene. München
1993. S. 121 – 122.
5
Bachorski, Hans- Jürgen: Brückenschlagen – Hakenschlagen. Erzählen über`s Mittelalter. In: Mitteilungen des
deutschen Germanistenverbandes 30 (1983), H 4, S.38.
Bachorski spricht von einem „exotischen Gegenbild“ zu den Errungenschaften der Gegenwart.
6
Desmond scheint wohl so was wie der unwissende Parzival zu sein, der seine ersten Ritter kennen lernt.
Vielleicht bekommt er ja im zweiten Teil seine Insignien…
vermitteln. Eco weist darauf hin, dass diese Phänomene vor allem in Massenmedien vertreten
sind und oft, wie Erzeugnisse der Popkultur allgemein, von der akademischen Welt negativ
gewertet werden. Er wendet dazu ein, dass dies im Prinzip nicht berechtigt ist, weil dasselbe
Schema auch in der so genannten „hohen Kunst“ zu finden ist.8 Ob Soaps, Fantasy-, Arzt- und
sonstige Taschenbuchromane, Hollywoodfilme oder eben Computerspiele und vieles mehr -,
die Mehrzahl dieser Medien unterliegt nicht nur einer seriellen Produktion, sondern auch einer
seriellen Erzählweise. Reizvoll für Leser, Zuschauer oder Spieler ist dabei, dass er ohne
Schwierigkeit mit dem Stoff und der Handlung oder auch Spielschema vertraut wird, da er
den Handlungsverlauf im Prinzip kennt, aber dennoch die Illusion bekommt, etwas Neues zu
erfahren.9
Um es kurz zu fassen: Auch Assasins Creed ist als groß angelegtes Massenprodukt, ohne dies
irgendwie gut oder schlecht zu bewerten, seriell. Und genau darum könnten wohl auch die
einzelnen Elemente, die die Story kennzeichnen, beliebig ausgetauscht werden. Warum
sollten die Templer nicht irgendwelche Freimaurer sein? Warum die Assasinen keine Ninja
im mittelalterlichen Japan? Warum der Animus nicht die altbewährte Zeitmaschine oder
warum heißt es jetzt Edensplitter statt Gral10, Kristallschädel oder sonstige
„Weltherrschaftsansichreißmöglichkeiten“? Und auch die Elemente á la „alles nur Schein und
Illusion“ dürften seit Matrix den Sprung aus verstaubten philosophischen Schriften, in den
Pool des westlichen Allgemeinwissens, geschafft haben. Um auf die GentechnikMolekülsymbolik zurückzukommen, so fungiert diese für die Ereigniskette der Erzählung erst
einmal als Schlüssel, was ja im Spiel selbst erläutert wird. Allerdings ist das ziemlich egal.
Eine alte Prophezeiung, physikalische Gleichung oder der Koran rückwärts gelesen könnte
das auch. Allerdings hat der Fantasybereich der Unterhaltung bereits mehrfach bewährt auf
die Biologie zugegriffen, um etwa ein Heer von Zombies oder Dinosauriern auf die
Bildschirme zu holen.
Mythos
Auch wenn die genannten Elemente austauschbar sind, so müssen doch die Motive je nach
Anliegen des Erzählers in eine bestimmte Richtung drängen. Die Elemente von Adventure
Spielen, und als solches möchte ich Assasins Creed mal rein von der Erzählweise her
betrachten, haben doch spontan assoziiert meist etwas Mythologisches. Zieht man
beispielsweise die Templer heran, so kann man auch vom Mythos der Templer sprechen. Das
ist auch bei genauer Betrachtung keineswegs abwegig. Nach Hartmut Heuermann sind die
Mythen wie etwa alte Göttererzählungen nicht aus der Welt verschwunden, sondern finden
sich in der Gegenwart in den Medien wieder. 11 Er verweist zu Beginn seines Aufsatzes auf
Edgar Morin`s „The Stars“. Hier geht es um die ersichtlichen Ähnlichkeiten von
Hollywoodstars und antiken Göttern. Diese Ähnlichkeiten sind sowohl in der
(Selbst)darstellung der Stars sowie im Fankult zu finden. Übrigens beschreibt Heuermann
ziemlich ausführlich die Aufnahme und Verarbeitung von durch Medien gelieferten Stoffen,
um daran nach seiner angegebenen Definition den Mythos festzumachen, was ich hier, etwas
7
Eco, Umberto: Die Innovation im Seriellen. In: Ders.: Über Spiegel und andere Phänomene. München 1990, S.
155-180.
8
Als Beispiel älterer deutscher Literatur möchte ich Brandts „Das Narrenschiff“ nennen, da das gesamte Werk
aus einer Serie von Episoden, die nahezu identische Strukturen und Inhalte aufweisen, besteht. Zudem war das
Werk im zeitlichen Kontext betrachtet ein Massenprodukt.
9
Eco, Umberto: Die Innovation im Seriellen. In: Ders.: Über Spiegel und andere Phänomene. München 1990, S.
160.
10
Im Bezug auf das Gralsmotiv sind vor allem moderne Auslegungen gemeint.
11
Heuermann, Hartmut: Die Fabrikation der Träume: Ist Medienwirkung wirklich mythogen?. In:
Medienwissenschaft. Teil 5: Fiktion als Fakt. "Metaphysik" der neuen Medien. Hrsg. Reiner Matzker, Siegfried
Zielinski. Bern 2000. S. 25ff
salopp, als „Fankult“ zusammenfasse. Aber es erscheint mir äußerst wichtig, wenn man von
Mythos spricht, auch den Begriff Kult einzuführen und diesen Begriff als etwas
Eigenständiges zu sehen. Denn etliche Ausprägungen, die viele spontan einer Art Kult
(Kultfigur, Fankult) zuordnen würden, versucht Heuermann als ein Indiz für den Mythos zu
sehen. Dies ist auch notwendig, da nach seiner Definition diese kollektiven Ausprägungen
Teil des Mythos sind. Ich möchte allerdings nicht Heuermanns oder irgendeine andere tief
greifende Definition des Begriffes Mythos anführen, sondern eher beim allgemeinen
Verständnis von Mythos bleiben und dazu auf einen Brockhaus – Eintrag zum Begriff Mythos
verweisen:
„Im engeren Sinn die Bezeichnung für die Erzählung von Göttern, Heroen und anderen
Gestalten und Geschehnissen aus vorgeschichtlicher Zeit[…]; im weiteren Sinn das Resultat
einer sich auch in der Moderne noch vollziehende Mythisierung im Sinne einer Verklärung
von Personen, Sachen, Ereignissen oder Ideen zu einem Faszinosum von bildhaften
Symbolcharakter. – Der Mythos ist meist ätiologisch und weist enge Bezüge zum Kult auf.
[…]“12
Nach dieser allgemeinen Definition ist der Mythos ziemlich umfassend und hat lediglich enge
Bezüge zum Kult. Und natürlich fallen in diesen Bereich Starmythen (besonders von jung
verstorbenen Stars) und die von Heuermann erwähnten Mythen um Star Wars und Star Trek,
aber auch andere Fantasywelten wie Tolkiens Herr der Ringe.
Ebenso kann man wohl von Mythen sprechen, wenn etwa von Verschwörungen die Rede ist.
So wurde seit dem 19. Jahrhundert auch der Templerorden mythologisiert, indem man
beispielsweise anfing Legenden um das Geheimwissen dieses Ordens zu kreieren, die bis zu
einer Verschmelzung mit Themenkomplexen wie etwa den Gralslegenden reichte. Als Kulte,
die an diese Mythologisierung geknüpft sind, können beispielsweise die Gründungen von
Orden gelten, die für sich in Anspruch nehmen in der Tradition der historischen Templer zu
stehen, wie beispielsweise der Ordo Templi Orientis, der vor allem durch Aleister Crowley
bekannt wurde. Es zeigt sich also, wie ein an und für sich neutrales historisches Motiv,
symbolisch, esoterisch und magisch aufgeladen wird. Mit dieser geheimnisvollen oder
magischen Aura versehen, bieten sich die Templer natürlich geradezu für eine
Kommerzialisierung an. Und so finden sie sich auch in Assasins Creed_ in einem dafür
typischen Zusammenhang wieder. Zudem scheint es so, als versuchten die
Unterhaltungsmedien selbst immer wieder weitere ähnliche Themenkomplexe bewusst zu
mythologisieren. Mag es auch nur in den seltensten Fällen eine so weit reichende Wirkung
haben, dass Zuschauer, Spieler etc. eine gewisse Glaubenshaltung entwickeln, die über den
Moment des Erzählens hinausreicht, so erreichen die Motive moderner Mythen doch eine
bestimmte Haltung, die als Symbol eine Reihe von Assoziationen hervorrufen, deren Wirkung
für die Erzählung wichtig ist. Vergleichen kann man dies eventuell mit der Wirkung eines
Verkehrsschildes für den Autofahrer, der für eine gewisse Zeit in eine Erwartungshaltung
versetzt wird. Wobei allerdings diese Wirkung bei jeglichen bekannten Symbolen eintritt. Das
Besondere an der Verwendung mythischer Motive ist aber deren verklärender Charakter, der
nicht, wie ein Verkehrsschild, für Sicherheit sorgt, sondern eher auf Glatteis führt. Hätte der
Mensch aber nur das Bedürfnis nach sicherem Stand, was eigentlich am logischsten wäre, so
gäbe es keine Schlittschuhe. Heuermann verweist auf eine schon seit der Antike feststellbare
Zweiteilung menschlicher Deutungsmöglichkeiten in Logos und Mythos. 13 Grob gesagt,
macht der Logos die Welt durch rationales Denken erfassbar, während der Mythos Dinge auf
einer eher emotionalen affektgeladenen Ebene erfassbar macht. In unserer Zeit stellt es sich
nun so dar, dass auf dem Logos aufbauende Strukturen viel höher gewertet werden. So ist
12
Der Brockhaus von A-Z. In drei Bänden. Augsburg, 2000
Heuermann, Hartmut: Die Fabrikation der Träume: Ist Medienwirkung wirklich mythogen?. In:
Medienwissenschaft. Teil 5: Fiktion als Fakt. "Metaphysik" der neuen Medien. Hrsg. Reiner Matzker, Siegfried
Zielinski. Bern 2000. S. 25ff
13
übrigens auch die Negativwertung von Unterhaltungsmedien nicht verwunderlich. Denn
gerade hier wird das Bedürfnis nach Mythen gestillt.
Spannung, im eigentlichen Sinn, entsteht immer dann, wenn sich beide Bereiche begegnen.
Wissenschaft, die rein in der aufklärerischen und rationalen Tradition verhaftet ist, bleibt für
die Unterhaltungsindustrie beispielsweise uninteressant. Gibt man aber einen Schuss
Irrationalität hinzu, wird schließlich ein DNA-Molekül zum Stoff für ein erzählendes
Computerspiel. Es geht schließlich nicht um Erklären, sondern um Verklären. Man kann,
meiner Meinung nach, daher auch sagen, dass die spezielle Mischung aus
(populär)wissenschaftlich anerkannten Fakten und Fiktionen kennzeichnend für Erzählungen
ist, die mit dem kulturellen Hintergrundwissen der Rezipienten spielen und so eine
zwielichtige Atmosphäre erzeugen wollen.
Die Entwickler von Assasins Creed zielen genau in diese Richtung. Weshalb sollte es sonst
von Interesse sein, historisches Hintergrundwissen auf der Internetseite des Spieles zu
veröffentlichen.14 Der angeblich authentische Nachbau der mittelalterlichen Städte, mit dem,
wie schon gesagt, kräftig geworben wurde, sollte wohl den gleichen Effekt erzeugen.
Fazit
Vorerst lässt sich also sagen, dass Motive, die von der Wissenschaft als real existierend
gelten, aber genügend Leerstellen aufweisen, die spekulativ oder kreativ gefüllt werden
können, unterhaltsam verwendet werden. Geschieht dies mit dem gleichen Thema öfter, kann
sich auch ein gewisser Mythos herausbilden, der nun immer wieder mit starkem Effekt in
Serie gehen kann. Erfüllen die Motive diese Voraussetzungen, so ermöglichen sie in
Geschichten eine Art „Es könnte ja sein“- Effekt. Was daraus folgen kann, ist ein gespanntes
Erwarten auf Erklärungen. Es ist sogar eine Beschäftigung mit den einzelnen Motiven
anzunehmen, die bis zur Ausprägung einer Art Kult führen kann. Geschieht dies, so sind das
natürlich die besten Voraussetzungen für eine serielle Produktion (z.B. Trilogie) oder
geschickt platzierte Werbung. Nicht zu unterschätzen ist dabei übrigens auch_ die selbst
laufende Werbung; zum Beispiel in Forumsdiskussionen.
Die Erzählung Assasins Creed zielt genau auf diese Art Spannung, und wohl auch auf den
dadurch erreichbaren kommerziellen Erfolg, und kann als ein Beispiel gelten, bei dem
versucht wird, reine Fiktion mit dem kulturellen Hintergrundwissen des Spieler zu mischen.
DNA und Templer sind dabei weder für die Struktur der Erzählung, noch für die Wirkung
wichtig. Vielmehr sind sie mit ähnlichen Motiven beliebig austauschbar.
Offensichtlich seriell ist letzten Endes auch der historische Raum des Mittelalters, da es für
diese Art der Unterhaltung schon eine gewisse Tradition hat. „Mittelalter“ ist schließlich ein
großer Mythos und die Mutter vieler kleinerer Mythen – hier der dunklen verschwörerischen
Zirkel und Orden.
14
Hier ein Beispiel zu den historischen Personen: http://www.assassinscreed.de/content/view/172/74/