THEATER IM MITTELALTER (CA. 6. BIS 15. JH) IN EUROPA

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THEATER IM MITTELALTER (CA. 6. BIS 15. JH) IN EUROPA
THEATER IM MITTELALTER (CA. 6. BIS 15. JH) IN EUROPA
Während sich in Asien in den Jahrhunderten nach der Zeitenwende kontinuierlich Theaterformen entwickelten, kam es in Europa nach dem Untergang des römischen Bühnenwesens nicht nur zum Stillstand in
der Theaterentwicklung, sondern das Theater, in seiner bereits entwickelten Form, geriet über 500 Jahre
völlig in Vergessenheit.
Nachdem durch den aus Griechenland importierten Mimus (Spiel ohne Masken) auch Frauen die Theaterbühne betreten durften/mussten und die gezeigten Themen wieder und wieder den Ehebruch betrafen, mit durchaus
naturalistischen Darstellungen des Geschlechtsverkehrs, sowie die Riten der
christlichen Kirche im Mimus vielfach verspottet wurden, lief die Kirche – aus
ihrer Sicht verständlicherweise – Sturm gegen das Unterhaltungstheater. Im
4. Jahrhundert wurde die Absage ans Theater ins Taufbekenntnis übernommen, und im 5. Jahrhundert drohte sonntäglichen Theaterbesuchern gar
die Exkommunikation. Im Jahre 529 n.Chr. wurden durch Kaiser Justinian
(Bild) sämtliche Theater des Reichs geschlossen.
Szenisches Spiel auf Straßen und Jahrmärkten konnte dieses Verbot aber nicht unterbinden. Ein Glück!
Sonst hätte die nächste europäische Theaterepoche aus dem Nichts heraus geboren werden müssen.
Dennoch hielten sich, am Rande der
Gesellschaft, außerhalb kirchlicher Kontrolle, dafür aber auch bar jeden Schutzes, Narren und Gaukler als Repräsentanten des Grotesken und Animalischen, sehr zur Freude des städtischen
Jahrmarktpublikums, sowie auch der
Höfischen, sozusagen über Wasser –
und in der Theaterbranche. Histriones,
Joculatoren und Mimen bezeichneten
sie sich – und waren Tänzer, Akrobaten,
Tierbändiger, Musikanten, Vortragskünstler. Letztere – auch Spilman gerufen (Bilder) – warteten mit Neuigkeiten, Spottversen, gesungenen oder rezitierten Heldensagen und Heiligenlegenden auf. Und waren beinahe überall gern gesehen.
THEATER IM MITTELALTER IN EUROPA
In Europa bildeten sich viele Staaten. Handel und Gewerbe im großen Stil gingen zurück. Die Naturalwirtschaft rückte in den Vordergrund. Der Feudalismus (Lehnswesen) entstand. Das städtische Bürgertum, einst
Träger der Kultur, verlor allgemein an Bedeutung. Die christliche Kirche thronte über allem. Und dies tat sie
durchaus auch mit Feuer und Schwert. Die mittelalterlichen Menschen wurden als Christenheit deklariert –
und die Kirche bestimmte alle Bereiche des öffentlichen und sozialen Lebens. Und sämtliche Wissenschaft
und Philosophie wurde der Theologie untergeordnet. Versuche, sich dieser Ober- und Übermacht zu entziehen, wurden (im späteren MA) gar mit blutiger Inquisition geahndet. Hexenprozesse sollten blindwütig
Reste heidnischer Kultur ausrotten, Ketzerverfolgung diente dem Beseitigen von (reformerischen) Gegnern.
Und alles, das nach Theater roch, galt als unmoralisch und schamlos und wurde verdammt.
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DIE GEISTLICHEN SPIELE IM MITTELALTER EUROPAS
Erstaunlich genug, dass ausgerechnet diese aufs Jenseits ausgerichtete Glaubensgemeinschaft, diese weltfremde Kirche selbst es
war, aus der das europäische Theater neu erstand.
Zunächst war da ein Anreichern der auf Latein gehaltenen Liturgie1
mit, durch Papst Gregor I. (590 – 604) vereinheitlicht, Gesängen in
festgelegter Weise: dem gregorianischen Choral2.
(Überhaupt ließ Gregor den römischen Ritus, der der Liturgie der
römisch-katholischen Kirche zugrunde lag, überarbeiten.)
Außerdem, da die Gefahr der Wiederkehr heidnischer Kulte einigermaßen gebannt schien, wurden erneut theatralische Elemente – auf
die das Volk salopp ausgedrückt „abfährt“ – in der Liturgie zugelassen: Weihrauch und Kerzen bildeten den Anfang.
Aber dennoch war diese lateinische Liturgie nach wie vor nichts für ein
Volk voller Analphabeten. Um aus dem christlichen Elfenbeinturm heraus das Volk besser erreichen zu können, wurde auf dem 4. Konzil zu Konstantinopel (692) gefordert, dass das
Göttliche Vermenschlicht werden müsse. In Folge lockerte die Kirche das Bilderverbot in den Kirchen.
Gesang, Requisiten und die Erlaubnis Bilder zu präsentieren: die Kirche war bereit für IHR Theater.
Und so begann die Kirche im 10. Jahrhundert die Osterliturgie inszenatorisch auszugestalten:
 OSTERSPIELE
- Einfügung dramatischer Wechselgesänge zwischen Chor und Solisten
- Einführung der Tropen: textliche Erweiterungen der liturgischen Gesänge3
- Herabnahme des Kreuzes (Symbol für Jesus) an Karfreitag; in ein Leichentuch gehüllt wurde es mit
feierlicher Prozession zu Grabe getragen
- Erhebung des Kreuzes am Ostersonntag für die Auferstehung; hierbei bot die Kernszene mit den
drei Marien (Verkündigung) und dem Engel höchstes dramaturgisches Potential. Von Bischof
Ethelwood von Winchester wurden hierzu Anweisungen überliefert4:
„Während der Lesung sollen sich vier Brüder umkleiden. Einer von ihnen soll mit der Alba bekleidet hereinkommen,
sich an die Grabstelle begeben und dort mit einer Palme in der Hand still hinsetzen. Die drei anderen sollen folgen,
mit der Cappa bekleidet und mit Weihrauchfässern in der Hand und sich langsam, als ob sie etwas suchten, dem
Grabe nähern. Sie stellen die drei Frauen dar, die mit Spezereien kommen, um Jesu Leichnam zu salben. Wenn nun
der am Grab sitzende Bruder, der den Engel darstellt, die Frauen herannahen sieht, soll er mit sanfter Stimme zu
singen beginnen: >Wen sucht ihr im Grab, oh Christinnen?< Dann sollen die drei einstimmig antworten: >Jesu
Nazarenum, den Gekreuzigten, oh Himmlische.< Dann wieder jener: >Er ist nicht hier, er ist auferstanden, wie er vorausgesagt hat. Geht und verkündet allen, daß er von den Toten auferstanden ist.< Daraufhin sollen sich die drei
Frauen zum Chor wenden mit den Worten: >Halleluja, der Herr ist auferstanden!< Danach soll der am Grab sitzende Engel die Frauen zurückrufen mit der Entgegnung: >Kommt und seht die Stätte, wo der Herr begraben war<.«
Bald schon gestattete die Kirche sich auch die (wirksame) Hinzunahme burlesker Szenen in die Osterliturgie:
- Apostel Petrus und Apostel Johannes beim Wettlauf zum Grab des Auferstandenen
- die Marien bei einem geschwätzigen Krämer ihre Salben kaufend (später  Krämerspiel5)
1
Anders die Ost-Kirche, die für ihre Liturgie nach dem byzantinischen Ritus die jeweilige Landessprache verwendete – und damit dem
Volk verständlich war. Hier gab es schon relativ früh dialogische Elemente zwischen Priester & Gemeinde.
2
einstimmiger, unbegleiteter, liturgischer Gesang der Römisch-katholischen Kirche in lateinischer Sprache. Als gesungenes Wort
Gottes ein wesentlicher Bestandteil der liturgischen Handlung.
3
Der Quem-quaeritis-Tropus (auch Visitatio sepulchri: ‚Besuch des Grabs‘) ist der erste überlieferte dialogische Text im Rahmen
der mittelalterlichen Liturgie, ein Frage-Antwort-Spiel zwischen Engeln und den trauernden Marien am leeren Grab Christi. Vermutlich wurde er im Gottesdienst antiphonal gesungen, also durch eine Teilung der Singenden in zwei Hälften.
4
Nach Peter Simhandl, Theatergeschichte in einem Band, Henschel Verlag, © 2007, Seite 54, 55
5
Spiel im Spiel, derb-komische Posse. Es beginnt mit einer Ansage vom Krämergesellen Rubin (später auch im Fastnachtsspiel eine eigenständige Figur); wenn die drei Marien da sind, wird die Handlung mit unflätigen Reden begleitet;
und während der Krämer Salben mischt, vergnügt sich seine junge Frau in eindeutiger Weise mit dem Gesellen Rubin.
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(Zitiert nach Robert Fricker: Das altere englische Drama. Bd.I. S. 24)
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13. bis 15. Jahrhundert
Christus selbst trat als handelnde und sprechende Figur auf. Dadurch wurden viele weitere Szenen möglich, (Maria Magdalenas Begegnung mit dem Auferstandenen, Erscheinung Jesus vor dem ungläubigen
Thomas, etc.), bis zurück zur Schöpfungsgeschichte. Und diese stoffliche Erweiterung führte zum
Verlassen des Kirchenraums
in einer Prozession umkreisten Geistliche und Gemeinde die Kirche, von Spielort zu Spielort, gelangten
wieder zum Portal (=Pforte zur Vorhölle), Christus klopfte an, von drinnen antwortete der Teufel, verweigerte den Zutritt, musste am Ende aber doch öffnen und den Gläubigen den Weg in den Himmel freigeben.
Parallel zu dieser räumlichen Veränderung vollzog sich auch eine sprachliche:
Elemente der Volkssprache durchdringen das Latein
(Nur zur Kenntnisnahme: Dies steht im Zusammenhang mit dem Nominalismus [s. Datei SCHOLASTIK] des
engl. Philosophen Wilhelm von Ockham: „Sprache ist Konvention, also gibt es keine heilige Sprache.“)
Gründe für den Wandel vom szenischen Ritual zum religiösen Theaterspiel
Sozioökonomische Veränderungen führten zu einem Wandel derart, dass die Berufsstände des Handwerkers
und der Kaufleute zunahmen, sich ein selbständiges Bürgertum in den Städten herausbildete. Die Bindung an
den Lehnsherrn löste sich mehr und mehr, der Mensch war zunehmend auf sich selbst gestellt. Und er begann
dadurch das Vertrauen in die Allmacht und Geborgenheit im Schoße Gottes zu verlieren, wurde Zweifler. Diese
Zweifel wieder zu zerstreuen, Glauben wieder zu stärken, setzte sich das das religiöse Theater nun zum Ziel.
Spätmittelalterliche Weltanschauung
war geprägt von bürgerlichen Idealen: Sachlichkeit, Kalkül, Realismus.
 der Symbolismus der Romanik wird verdrängt durch den Naturalismus der Gotik
 überzeitliche Sinnbilder werden verdrängt durch Abbilder der eigenen Zeit
 geschlossener Kirchenraum als Bühne wird verdrängt vom offenen Zentrum bürgerlichen Lebens (Marktplatz)
 die klerikale Spielleitung wurde verdrängt von der Spielleitung der Lehrer, Stadtschreiber, bildenden Künstler
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 MYSTERIENSPIELE
- Auf den Kirchenvorplätzen wurden „unzählige“ Spielorte im und um das Publikum herum aufgebaut
- Inhalt der Spiele waren die Heilsgeschichte von der Erschaffung der Welt bis zum Jüngsten Gericht
- Vor dem Kirchenportal GOTTVATER auf einem Thron im Paradies; auf der gegenüberliegenden Seite
des Platzes ein plastischer Höllenrachen, aus dem JESUS am Jüngsten Tag die Seelen erretten konnte; dann gingen die Teufel beim Kirchenvolk erneut auf Seelenfang
- Das Leiden JESU, die Passion, bildete meist den räumlichen Mittelpunkt des Spiels
- Sämtliche Spielorte & Figuren waren dauerhaft anwesend: Gesamtheit des Ordnungs- & Heilsystems
- Die Spiele dauerten mehrere Tage oder gar Wochen
- Ältestes deutsches Mysterienspiel „Spiel von den klugen und törichten Jungfrauen“ (1312)
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 PASSIONSSPIELE
- Höhepunkt und Zielpunkt des gesamten mittelalterlichen Theaterspielens
- Bis zu 300 Darsteller waren von Nöten, aus den Reihen der Bewohner. Dabei spielten auch und
vor allem die Handwerkerzünfte eine gewichtige Rolle. Ihnen wurde oft die selbständige Ausgestaltung einzelner Szenen übertragen (Shakespeares Sommernachtstraum, die Handwerkerszenen)
- Frauenrollen wurden aber von Männern dargestellt, da die Bühnenpräsentation des weiblichen
Körpers als sündig galt.
[In dtsch. Handschriften des 13. Jahrhunderts sind zwei Passionsspiele bruchstückweise erhalten, von denen das erste,
mit hauptsächlich lateinischem Text („Ludus paschalis sive de passione Domini“) einzelne deutsche Strophen enthält,
während das andre, von einem höfisch gebildeten Dichter herstammend, ganz in deutscher Sprache gehalten ist.]
Von einem der bedeutendsten Passionsspiele, dem Frankfurter Passionsspiel aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, hat sich das Regiebuch erhalten, die sogenannte Dirigierrolle, ein 4 Meter langer Papierstreifen, in dem
neben den zu erwartenden Regieanweisungen auch Stichworte und Einsätze einzelner Figuren, sowie Bühnenbildanweisungen notiert sind.
Auf dem Frankfurter Römerberg waren hierzu in einem Oval ein Dutzend „Loca“ (Spielstände) aufgeschlagen,
deren Bedeutung wechselte durch Verwendung unterschiedlicher Versatzstücke in der Ausstattung. Die Zuschauer wanderten mit den Darstellern
von Stand zu Stand. Da alle „Loca“ zugleich einzusehen waren, bezeichnet man
diese Bühnenform als „Räumliche Simultanbühne“. Wie bereits beschrieben lagen
auch hier Himmel und Hölle, als die Gegenpole eines mittelalterlichen Weltbilds,
einander gegenüber, der Raum dazwischen war die Welt als Ort des christlichen Heilsgeschehens.
Abb.: Renwart Cysats Plan zu den Luzerner Passionspielen von 1583
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Ein anschauliches Bild von solch einem
Spielort kann man sich anhand einer
überlieferten Grafik zu den Luzerner Passionsspielen von 1583 machen:
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FRANKREICH
Das religiöse Theater in Frankreich spiegelte stärker als das deutsche die sozialen und kulturellen Verhältnisse.
Seinen Höhepunkt erreichte es wohl um die Mitte des 16. Jahrhunderts im Passionsspiel von Valenciennes.
Dort waren die Spielstände allerdings – wie in Frankreich üblich – an einer Längsachse angeordnet. Man
spricht in diesem Fall von einer „Flächigen Simultanbühne“.
(http://library.calvin.edu/hda/node/1308)
SPANIEN
ENGLAND
Hier dominierten die Wagenbühnenspiele. Im großen Theaterstandardwerk von Kindermann findet man hierzu einen Bericht eines Zeitzeugen:
„Nach Beendigung des ersten Spiels, das am Tor stattfand, bewegte sich der Wagen zum Haus des
Bürgermeisters, und während die Szene dort wiederholt wurde, rückte auf den Platz am Tor der
nächste Wagen mit der zweiten Szene vor. So hatte jedes Stück seinen besonderen Wagen, und es
wurde auf diese Weise gleichzeitig an mehreren Punkten fortlaufend gespielt, so dass die Zuschauer
an den verschiedenen Stationen alle den gesamten Zyklus zu sehen bekamen.“
Aber man kannte in England, vor allem in Cornwall, auch die ‚Räumliche Simultanbühne‘; hier wurden die
Stationen in einem Kreisrund auf einem Erdwall errichtet. (s.a. THE CASTLE OF PERSERVERANCE)
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Nach Einführung von Fronleichnam wurde das Prozessionsspiel zum wichtigsten geistlichen Spiel in Spanien:
prächtige Umzüge, bei denen auf Plattformen lebende Bilder mitgetragen wurden, die sich auf den Plätzen in
theatralen Aktionen auflösten.
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DIE FOLGEN DES REALISMUS (UND DER REFORMATION) IM 16. JAHRHUNDERT
Frauen auf der Bühne
Die zunehmende Realismus-Forderung zu Beginn des 16. Jahrhunderts führte dazu, dass auf den Marktplätzen
auch Frauen und Mädchen die Bühne betreten durften. Durch ein wirklichkeitsnahes Spiel sollte das Publikum das
Bühnengeschehen stärker erleben können. So gelangten höchst spirituelle, leise Szenen in direkte Bühnennachbarschaft zu lauten, unflätigen Derbheiten.
Bühne und Requisiten
Und mittelalterliche „special effects“ waren an der Tagesordnung:
z.B. trug der Jesus-Darsteller unter seiner Perücke eine mit Blut gefüllte Schweinsblase; bei der Dornenkrönung lief
ihm dann das Blut reichlich übers Gesicht.
Flug- und Versenkungsapparate, Einrichtungen für Manna-Regen und Wasserwunder, Vorsehungen für „echte“ Folterszenen.
(Richtig schön grausam konnten die Märtyrerspiele werden; aber sie spielten letztendlich, wie auch die Weihnachtsspiele, Fronleichnamsspiele, Marienklagen und Weltgerichtsspiele, nur eine untergeordnete Rolle.)
Kostüme
Meist imitierte man einfach die zeitgenössische Mode, da es an historisierendem Geschichtsbewusstsein fehlte.
Die Figuren im Spiel wurden symbolisch gekennzeichnet: Juden trugen gelbe Spitzhüte, Feinde Jesu rote Perücken, überirdische Figuren: Engel trugen weiße Flügel, der Teufel eine Zottelpelz und eine grausige Maske.
Gestik und Sprechweise
An die Stelle der streng ritualisierten, symbolischen Gebärdensprache trat eine alltägliche Körpersprache; an die
Stelle des liturgischen Gesangs ein in gehobenem Ton gesprochenes Wort.
Reformation6
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Die im engeren Sinn kirchliche Erneuerungsbewegung zwischen 1517 und 1648, die zur Spaltung des westlichen Christentums in
verschiedene Konfessionen (katholisch, lutherisch, reformiert) führte.
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Diese führte vielerorts zu Liquidierung der Passionsspiele, und in den katholisch gebliebenen Gegenden verkam
es nach und nach zur reinen Volksbelustigung mit sehr unfrommen Begleiterscheinungen. In Folge sah sich der
Klerus genötigt rigorose Verbote gegen die Passionsspiele auszusprechen. Auf den Dörfern, in ländlichen, stadtfernen Gegenden erhielten sie sich aber – und durch eine neue Religiosität, die im Barock (etwa 1575 bis 1770)
aufkam, überlebten sie mancherorts bis ins 20. Jahrhundert (z.B. Oberammergau, erstmals 1634).
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ZWISCHEN GEISTLICH UND WELTLICH
 MORALITÄT
Entwickelte sich aus den Mysterienspielen. Beruht auf der Personifikation abstrakter Eigenschaften und Sachverhalte. Allegorische
Stücke mit moralischem oder religiös-lehrhaftem Charakter, in
denen die einzelnen Figuren Laster oder Tugenden repräsentierten (Wollust, Begehrlichkeit, Neid, Habsucht, Geiz, Nächstenliebe,
Barmherzigkeit, Verstand, Klugheit, Gerechtigkeit …), lehrhaft,
aber nicht trocken, und durchaus derb.
Das dramatische Grundelement ist dabei der Streit. Die Seele des
Menschen wird zwischen den guten und schlechten Eigenschaften, zwischen den Tugenden und Lastern, hin und her gezogen.
Zeitweilig in den Bann des Bösen geraten siegt am Ende aber natürlich das Gute durch Gottes Gnade.
Abb.: http://library.calvin.edu/hda/node/2878
Abbildungen: THE CASTLE OF PERSEVERANCE
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Die bedeutendsten Moralitäten:
- THE CASTLE OF PERSEVERANCE (Das Schloss der Beharrlichkeit), 1425, Cornwall
- EVERYMAN (engl.) / ELCKERLIJK (flämisch), Ende 15. JH, etwa 900 Zeilen kurz
 Nachdichtung von Hugo von Hofmannsthal: JEDERMANN
Hatte am 1.12.1911 im Berliner Zirkus Schumann (Regie: Max Reinhardt) Uraufführung.
Seit 1920 wird das Stück jedes Jahr bei den Salzburger Festspielen am Domplatz aufgeführt.
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DIE WELTLICHEN SPIELE IM MITTELALTER EUROPAS
Blieben in ihrer Bedeutung hinter den geistlichen Spielen
zurück.
Ihre Ursprünge finden sich
- in den mimischen Aktionen fahrender Spielleute
(Joculatores, Histriones)
- im vorchristlichen Brauchtum
Aus Fruchtbarkeitsriten entwickelten sich z.B.
Streitspiele zwischen den Jahreszeiten („Speel van den
Winter ende van den Somer“).
Aus der Sitte des Maikönigtums entwickelten sich die mit
Gesangs- & Tanzeinlagen angereicherten „Neidhartspiele“.
Unter anderem aus dem Nürnberger Schembartlaufen, bei
dem maskierte Handwerksgesellen in kleinen Versen und Liedern Prominente der Stadt verspotteten und für
ihre Fehltritte rügten, entwickelte sich das „Fastnachtsspiel“. Aus anfänglichen Improvisationen entstanden erste schriftlich fixierte, revueartige Spiele. Ziel des derben und obszönen Spotts waren die Bauern, für die Handwerker Inbegriff der Dummheit. In seiner frühen Form wurde keine moralische Absicht verfolgt.
Erst Hans Sachs hat die Gattung auf ein höheres sittliches und literarisches Niveau gehoben.
FRANKREICH
Hier entwickelte sich in der Mitte des 15. Jahrhunderts die Farce („La Farce de Maître Pathelin“ : ein Spiel vom
betrogenen Betrüger).
Ursprung: improvisierte Szenen, mit denen sich Handwerker, Kaufleute, Studenten … die Zeit vertrieben.
In seiner weiterentwickelten Form lebte die Farce vom Wortwitz und der Situationskomik, von drastischer
Spielweise und schauspielerischen Paradenummern. Viel Verwechslung und viel Verkleidung waren ein Muss.
Links
Bei YouTube „Passionsspiele Oberammergau“ eingeben
 Promotionvideos, die einen ganz guten Eindruck vermitteln
Über die Innsbrucker Osterspiele
http://de.wikipedia.org/wiki/Innsbrucker_Osterspiel
Text zu den Innsbrucker Osterspielen (Anfang 14. JH)
http://www.mod-langs.ox.ac.uk/files/docs/german/Das%20Innsbrucker%20Osterspiel%20-%20Set%20Text.pdf
THEATER IM MITTELALTER IN EUROPA
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 gutes Anschauungsmaterial
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Moralität
Clemens Holzmeister: Simultanbühne der Fauststadt, 1933–1937 (Ausschnitt)
Foto: Karl Ellinger – Salzburger Festspiele
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unten: die 3 Marien am leeren Grab
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