SCHWEIFEN, WO DIE WEITE LOCKT

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SCHWEIFEN, WO DIE WEITE LOCKT
Reiseblatt
FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG
Wie Spielzeuge sehen die Bagger und Laster in den Goldminen aus. In Wahrheit sind es tonnenschwere Giganten.
davon anonym. Arthur Jenkins starb 1897
an Fieber, besagt sein Grabstein. Tach Mahomed, einer der afghanischen Kameltreiber, kam am 10. Januar 1896 im Alter von
37 Jahren durch die Hand eines Mörders
ums Leben. „Consumption“ schließlich
war für den Tod anderer Männer verantwortlich, also der Genuss von Methylalkohol. Auch Typhus brach auf den Goldfeldern immer wieder aus. Wasser, das von
weither gebracht oder mit Kondensatoren erzeugt wurde, war sehr teuer und oft
verschmutzt. Das änderte sich erst, als
der Ingenieur Charles Y. O’Connor im
Auftrag der Regierung daranging, eine
540 Kilometer lange Pipeline von Perth
quer durchs Land zu bauen. Es war ein
verwegenes Unterfangen, und die Zeitungen zogen heftig über den visionären
Techniker her. Entnervt erschoss er sich
1902, nicht ohne – ganz pflichtbewusster
Beamter – in seinem Abschiedsbrief daran zu erinnern, dass jeden Nachmittag
um drei ein bestimmter Hahn im Pumpsystem geschlossen werden müsse.
eun Monate später plätscherte
das erste Wasser in das MountCharlotte-Reservoir im nahen
Kalgoorlie. Bungalows aus Backstein säumen die Einfallstraße in diese
Stadt, große Vierradfahrzeuge stehen in
den Auffahrten, und die mit vierundzwanzigkarätigem Gold ummantelte Spitze
des Rathausturms signalisiert weiterhin:
Hier ist Geld zu Hause. Beiderseits der
zentralen Hannan Street reihen sich die
Fassaden wie in einem Freilichtmuseum
aneinander. Die Häuser sind mit viktorianischen Erkern, Türmchen und Kuppeln
verziert. Filigrane Ziergitter säumen luftige Veranden, gusseiserne Säulen stützen
Vordächer aus Blech, schattige Arkaden
bieten Schutz vor der glühenden Sonne.
Aber es herrscht Leben in der mehr als
hundertjährigen Architektur. Banken, Cafés, ein Juweliergeschäft gibt es hier, Geschenkläden, chinesische Massagesalons,
ein Musikgeschäft. 30 000 Menschen leben in Kalgoorlie, im Durchschnitt sind
sie gerade einmal dreißig Jahre alt. Während der goldenen Zeiten zu Beginn des
zwanzigsten Jahrhunderts mögen es ein
paar Tausend mehr gewesen sein. Aber
das machen die 150 000 Touristen pro
Jahr allemal wett.
Kalgoorlie lebt immer noch vom Gold.
Und es lebt gut davon. Vierzig Minen sind
rund um die Stadt in Betrieb. Auf der Golden Mile, dem wertvollsten Streifen Land
ganz Australiens, betreibt die Firma Kalgoorlie Consolidated Gold Mines den Superpit, die größte Goldgrube des Kontinents. Wer die Besichtigungstour per Bus
N
bucht, gibt sein Einverständnis, sich jederzeit einer Leibesvisitation zu unterziehen; man könnte ja den einen oder anderen Klumpen eingesteckt haben. Fast vier
Kilometer lang, zwei Kilometer breit und
600 Meter tief liegt die Grube wie ein Riesenbombentrichter am Rand von Kalgoorlie-Boulder. Zu Terrassen geformt, fallen
die Wände schräg ab, am Grund tummelt
sich eine abwechslungsreiche Sammlung
von Matchbox-Fahrzeugen. Beim Näherkommen entpuppen sie sich als gigantische Schaufellader und Bohrmaschinen.
Regelmäßig wird ein weiterer Abschnitt
des Felsenbodens gesprengt, auch aus
Tunneln wird Erz nach oben transportiert. Die junge Frau, die den Besucherbus steuert, schüttet ihre Zuhörer mit Imponierzahlen zu: Viereinhalb Millionen
Australische Doller kostet so ein Laster
da unten, 38 000 Dollar allein einer der
sechs Reifen. Jedes Fahrzeug trägt 250
Tonnen Gestein. Aus der Last von sieben
Lastern gewinnt man Gold in Größe eines Golfballs. Bei Vollbetrieb sind das 68
Kilo pro Tag.
Bis zu 70 000 Euro verdient ein Lastwagenfahrer pro Jahr, und das Geld will ausgegeben werden. Zwar stehen nicht mehr,
wie in den glorreichen Zeiten, 92 Pubs
und acht Brauereien bereit, um den Durst
ausgetrockneter Männerkehlen zu stillen.
Aber man bekommt im York Hotel oder
im Palace Hotel jederzeit frische Austern
und hervorragende Steaks, und in den
Bars steppt am Wochenende das Känguruh. „All die Jungs, die nicht wissen wohin mit ihrer Kraft“, seufzt Türsteher Sonny in der Wildwest Bar. Musik hämmert
im Halbdunkel, die Gäste, fast nur Kerle,
brüllen dagegen an. Die Luft ist testosterongeschwängert und riecht nach dem billigen Parfüm, das man sich in der Männertoilette für einen Dollar aus dem Automat aufsprühen lassen kann. „Skimpies
of the week“, Barmädchen der Woche,
sind Belinda, Caitlin und Letitia. Sie wirbeln hinter der Theke, lassen die dünnen
Stofffetzen, die sie am Leib tragen, gern
mal verrutschen, schieben Pint auf Pint
Swan-Bier über den Tresen, sind zu jedem frech und kokett und stecken deftige
Trinkgelder ein. Die Jungs schielen sich
die Augen aus dem Kopf, lassen ihre Finger aber bei sich. Eine Skimpy anzufassen
zieht sofortiges Lokalverbot nach sich.
Und den bulligen Sonny und seine drei
Kollegen in Aktion zu erleben, ersparen
sich die meisten auch lieber.
Es gibt einige Sportvereine in Kalgoorlie, aber das beliebteste Freizeitvergnügen ist immer noch das traditionellste:
Wer auf sich hält, zieht am Wochenende
hinaus und schürft nach Gold. In Matts
Laden findet man alles, was man dazu
braucht, Metalldetektoren für 350 Dollar,
Spitzhacken, Hämmer, Lupen, Stiefel,
Moskitonetze und den „Gold Atlas of
Western Australia“ für 125 Dollar. Matt
hat siebzehn Jahre lang im Superpit gearbeitet und zieht selbst jede freie Minute
hinaus. Er ist der Philosoph unter den
Schürfern: „Immer, wenn du auf ein Stück
Gold stößt, überkommt dich ein Gefühl
des Staunens. Zwei Millionen Jahre lag es
in der Erde, Saurier sind darüber gestolpert – und du bist der erste Mensch, der es
in Händen hält.“
Wer Glück hatte und seine goldene Ernte versilbern will, ist ein paar Türen weiter an der richtigen Adresse. Ted und
Lecky Mahoney kaufen und verkaufen
Edelmetall. Umstandslos holt Lecky eine
zwanzig Zentimeter lange, goldgelb
schimmernde Kruste hervor. Einer ihrer
Kunden hat das Nugget heute morgen gebracht. Mit 35 000 Dollar in bar und steuerfrei spazierte er fröhlich wieder zur Tür
hinaus. Die 22 Unzen liegen schwer in
der Hand. Heute nachmittag, meint
Lecky, wird das Stück verkauft sein, Investoren stehen Schlange für schöne Nuggets. Die Geschäftsfrau hat viele Finder
erlebt, Jubelnde, Gelassene, Stillvergnügte. Aber sie kennt auch die hässliche Seite
der Geschichte. Familien streiten, Freundschaften zerbrechen, Ehen geraten ins
Kriseln. „Gold fördert die übelsten Seiten
im Menschen zutage“, sagt sie.
on anderen schlimmen Begleiterscheinungen des Schürfens erzählt das Museum in Kalgoorlie.
Zum einen wurden die Aborigines, die sich mit den frühen Siedlern
halbwegs arrangiert hatten, vom Ansturm der Abenteurer geradezu überrannt. Ihre Frauen wurden vergewaltigt,
Männer gewöhnten sich an Alkohol.
Zum anderen kam es 1934 zu üblen Ausschreitungen gegen italienische Minenarbeiter, die ihre Arbeitskraft angeblich zu
billig verkauften. Außerdem wurden während der Boomjahre jährlich 500 000 Tonnen Holz gefällt, für Eisenbahnlinien,
Dampfmaschinen, den Ausbau von Tunneln. Erosion war die Folge. Und bis heute ist der Abraum, der zurückgeblieben
ist, mit Chemikalien verseucht. Meist
aber erzählt das Museum Heldensagen:
Fahrradkuriere bewältigten unglaubliche
Entfernungen. Krankenschwestern kümmerten sich hingebungsvoll um Typhuserkrankte. Verdurstende überlebten dank
Fröschen, die Wasser speicherten. Und
gegen Diebe versteckten manche der
Männer nachts ein Meter große Tellereisen im Sand.
DON N E RS TAG , 1 6 . JA N UA R 2 0 1 4 · N R . 1 3 · S E I T E R 9
Die Ausbeute einer Woche: Für eine Handvoll Nuggets muss man schuften wie ein Ochse.
Das Gold hat die Geschichte Westaustraliens geschrieben. Allein rund um Kalgoorlie ließ es innerhalb von nur zehn Jahren fünfzig Städte aus dem Nichts entstehen. Heute ist gerade mal ein halbes Dutzend davon übrig, und nicht alle Überlebenden haben es zu blühenden Gemeinwesen geschafft. In Kookynie zum Beispiel wohnen acht Menschen, 1903 waren
es 2300. Hier betreibt Margret Pusey gemeinsam mit ihrem Mann Kevin das
Grand Hotel. Auch ihr Haus hat bessere
Zeiten gesehen, aber wer aus dem heißen
Outback in die glitzernde Bar mit dem
ausgestopften Krokodil tritt und sich ein
kühles Bier zapfen lässt, glaubt sich im Paradies. Margret ist 72 und führt seit mehr
als dreißig Jahren das Zepter. „Als feste
Regel gilt: Wer betrunken ist, fliegt raus.
Und vor einer alten Frau mit weißen Haaren haben alle Respekt.“ Kevin, ein paar
Jahre jünger, steht in der Küche und brät
Hamburger. Im Zweitjob überprüft er als
„end user“ neue Google-Produkte auf
ihre Handhabbarkeit und fährt hin und
wieder zu Kongressen. „Das Schöne am
Leben hier draußen ist“, sagt der Mann
mit dem langen Bart, der an einen Harley-Davidson-Jünger erinnert, „du gehst
fünf Minuten in irgendeine Richtung und
bist mutterseelenallein.“
as Hotel mit den acht Zimmern
und dem Restaurant läuft erstaunlicherweise ganz gut. Ein
Dutzend Autos und Caravans
voller Nostalgiker findet im Sommer täglich den Weg hierher. Dennoch wollen
Margret und Kevin das Haus verkaufen:
„Zweiunddreißig Jahre lang siebenmal
die Woche Achtzehnstundentage, das genügt“, sagt Margret. Für knappe 260 000
Euro – mit Spielraum nach unten – ist ein
Stück australischer Geschichte zu haben.
D
Fotos Franz Lerchenmüller
Irgendwann dreht sich, wie immer hier
draußen, das Gespräch ums Gold. Auch
Margret kauft Nuggets, streng nach dem
Tageskurs, den Kevin jeden Morgen im
Netz abfragt. Unaufgeregt holt sie einen
Button, eine Unze in Form eines dicken
Knopfes, aus der Schublade. Ein Schürfer
hatte ihr diesen Goldknopf einst wie einen Spielstein lässig über die Theke zugeschnippst, als sie verraten hatte, dass sie
heiraten werde. Und Lazy Les, der brummige alte Goldschürfer, dem die Sonne
während der Jahrzehnte die Haut zu
Schuppen gedörrt und ein böses Mal auf
die Nase gebrannt hat, zieht sein Filmdöschen aus der Brusttasche und kippt ein
paar golden schimmernde Körner auf seine Handfläche – die Ausbeute der vergangenen Woche. Und dann sagt er diesen einen Satz, der seit hundert Jahren das Leben hier prägt: „Wenn dich das Gold erst
einmal hat, lässt es dich nie mehr los.“
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SCHWEIFEN, WO DIE WEITE LOCKT
8FDLEFO/PSXƢSJO%JS
Valdres
Fjell Norwegen
Fotos: © valdresibilder.no, fjelletibilder.no, Terje Rakke, Roger Brendhagen, Espen Gees
Der Sirenenruf des Goldes im Herzen Westaustraliens
쐽 Anreise: Mit nur einem Zwischenstopp
verkehren zwischen Frankfurt und
Perth Qatar Airways, Thai Airways und
Singapore Airlines (Stopp in Doha,
Bangkok oder Singapur). Ab 1250
Euro. Von Perth fliegt Virgin nach Esperance. Man kann auch mit dem Mietwagen nach Kalgoorlie fahren.
쐽 Reisezeit: Die beste Reisezeit für den
Südwesten ist der australische Sommer
von Oktober bis März. Es ist warm,
auf den Goldfeldern kann es auch
heiß werden.
쐽 Essen und Trinken: Restaurants in Kalgoorlie haben längst nicht nur Steaks
und Hamburger auf der Karte. Obwohl
die Küste 600 Kilometer entfernt ist,
gibt es Schwertfisch in Pfefferkruste,
Jakobsmuscheln, Carpaccio vom Thunfisch in bester Qualität. Häufig sind
asiatische Einflüsse zu spüren. Mit 30
Euro für ein Hauptgericht ist die Küche allerdings nicht ganz billig. Wer
Outback-Küche in reinster Form kennenlernen will, ist im Gibson Soak Hotel richtig. Die Steaks ragen über die
Teller, die legendären Lammhaxen
sind zwölf Stunden mariniert, kommen im Eisentopf und sind fast nicht
zu schaffen. Norseman Road, Gibson
WA 6448, Telefon: 00 618/ 90 75/40 20,
[email protected].
쐽 Rydges Kalgoorlie Resort & Spa: Ruhig gelegen zwischen Kalgoorlie und
Boulder, bietet das Hotel schöne, saubere Zimmer und ein gutes Frühstück;
Darwin
AUSTRALIEN
Western
Australia
Kookynie
Adelaide
laide Canberra
Ade
Perth
Pert
Perth
Brisbane
1000 km
Northam
Bunbury
Bunbury
Merredin
KalgoorlieBoulder
Coolgardie
National Trust
Golden Pipeline
Norseman
Western Australia
Katanning
Esperance
Albany
100 km
F.A.Z.-Karte sie.
Doppelzimmer ab 90 Euro. 21 Davidson Street, Lakgoorlie WA 6430, Tel.:
00 618/90 80/08 00, [email protected], www.rydges.com.
쐽 Kalgoorlie Backpackers: Vom Stockbett im Schlafsaal (20 Euro) über Einzelzimmer (40 Euro) bis zu Familienräumen (20 Euro pro Erwachsenem,
10 Euro pro Kind) reicht die Palette.
166 Hay Street, Kalgoorlie WA 6430,
Telefon: 00 618/90 91/ 14 82, [email protected], www.kalgoorliebackpackers.com.au.
쐽 Grand Hotel: Wer mit Goldsuchern,
Touristen und Aborigines ins Gespräch kommen will und keinen Wert
auf großen Komfort legt, ist hier am
richtigen Platz. Britannia Street, Kookynie WA 6431, Telefon: 00 618/ 90 71/
23 30, Doppelzimmer ab 60 Euro.
쐽 Informationen: im Internet unter
www.westernaustralia.com, www.australiasgoldenoutback.com, www.superpittour.com, www.nullarborlinks.com,
www.naturalgoldnuggets.com.au,
www.kalgoorlietours.com, www.gwalia.org.au und www.museum.wa.
gov.au. Die Reise wurde unterstützt
von Tourism Western Australia.
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