G+G – Das AOK Magazin für Politik, Praxis und Wissenschaft 05/2010
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G+G – Das AOK Magazin für Politik, Praxis und Wissenschaft 05/2010
IM INTERVIEW: ELKE FERNER „Unser Ziel bleibt die Bürgerversicherung“ Die SPD will die solidarische Krankenversicherung retten. Dazu müssen die Beiträge wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen und die Effizienzreserven im System gehoben werden, meint die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Elke Ferner. 38 Ausgabe 5/10, 13. Jahrgang G+G: Frau Ferner, Sie sind seit 1990 fast durchgängig im Bundestag und jetzt als stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende für die Sozial- und Gesundheitspolitik zuständig. Hat die SPD ihre Rolle in der Opposition schon gefunden? Ferner: Noch nicht vollständig, aber das wird. Die meisten bei uns in der Fraktion haben keine Oppositionserfahrung. Ich hatte allerdings bereits das zweifelhafte Vergnügen, acht Jahre Opposition machen zu müssen – da kann man seine Positionen zwar klarer formulieren, aber leider nichts davon umsetzen. Was die Gesundheitspolitik angeht: Wir haben unsere Anträge zu Arzneimittelpreisen, zur Abschaffung der Zusatzbeiträge und zu einem Patientenrechtegesetz bereits im Bundestag vorgelegt, während die Koalition sich in keiner Frage einig zu sein scheint. G+G: Schwarz-Gelb plant den Totalumbau der Kranken- und Pflegeversicherung, tönte die SPD nach der Regierungsbildung im November. Glauben Sie das immer noch? Ferner: Wir stehen nach wie vor zur Mechanik des Gesundheitsfonds. Der Risikostrukturausgleich ist deutlich besser als vorher – er sorgt für einen hundertprozentigen Finanzkraftausgleich zwischen den Kassen. Das ist für alle Kassen gut, deren Mitglieder eher zu den geringer Verdienenden gehören. Dieses System muss bleiben. Wenn der Beitragssatz in Kombination mit Steuerzuschüssen und Ausgabenkontrolle nicht ausreicht, dann muss die Politik da nachbessern. G+G: Sie können sich also wieder unterschiedliche Beitragssätze vorstellen? Ferner: Ja. Auch wenn wir die Zusatzbeiträge abschaffen wollen – es wird einen Beitragsanteil geben müssen, den die Kassen selbst bestimmen. Wichtig ist, dass der auch in den Finanzkraft- und Risikostrukturausgleich fließt. Denn sonst würden die grundlohnschwachen Krankenkassen „Wir stehen zum Gesundihre Mitglieder deutlich mehr belasten müssen als die grundlohnstarken. heitsfonds – er gleicht Wichtig ist aber, dass der Unterschied zwischen den Beitragssätzen, also die die unterschiedliche Beitragsspreizung, nicht mehr so groß Finanzkraft der Kassen ist wie früher. Ferner: Ja, das ist das erklärte Ziel der FDP. Und auch große Teile der Union stehen dahinter. Bis auf die hundertprozentig aus.“ Störfeuer aus Bayern habe ich nicht G+G: Wie wichtig ist Ihnen die Beigehört, dass man an einer solidaritragssatzstabilität? schen Finanzierung festhalten will. FDP und CDU geht es darum – und da sind sie sich auch mit Ferner: Die steht bei uns nicht an erster Stelle. Wichtiger ist, der CSU einig –, den Arbeitgeberanteil dauerhaft festzuschrei- dass alle eine hochwertige medizinische Versorgung bekomben. Das bedeutet, dass die Versicherten für alle Mehrkosten men, unabhängig davon, bei welcher Kasse sie versichert sind aufkommen müssen, die wegen der Demografie, des medizini- und wie groß ihr Geldbeutel ist. schen Fortschritts, aber auch wegen Untätigkeit der Regierung im Bereich der Ausgaben zu erwarten sind. G+G: Gibt es eine Obergrenze für Steuerzuschüsse? Fotos: Michael Ebner G+G: Die SPD will die Zusatzbeiträge und den Arbeitnehmer-Sonderbeitrag von 0,9 Prozent wieder abschaffen. Wo soll das Geld dann herkommen? Ferner: Es gibt drei Stellschrauben: Zum einen und zuerst müssen wir die Effizienzreserven im System heben. Das wird aber nicht alles auffangen können. Wir können zudem die Beitragssätze anheben oder mehr Steuern ins System geben. Wir müssen den Menschen aber auch ganz offen sagen, dass die Gesundheitsversorgung nicht billiger werden wird – schon wegen der demografischen und medizinischen Entwicklung wird es Kostensteigerungen geben, die solidarisch getragen werden müssen. Wir wollen zurück zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Unser Ziel bleibt die Bürgerversicherung, ein universelles System, in das alle einzahlen und in das alle Einkünfte einbezogen werden sollen. G+G: Die schwarz-rote Koalition hat den Gesundheitsfonds und den einheitlichen Beitragssatz eingeführt. Steht die SPD weiterhin dazu? Ausgabe 5/10, 13. Jahrgang Ferner: Sie können nicht ins Unermessliche gehen. Deshalb müssen die Effizienzreserven, die zweifelsohne noch vorhanden sind, gehoben werden. Da sind auch die Kassen gefordert, indem sie mit den Leistungserbringern mehr einzelvertragliche Lösungen eingehen und so ihren Versicherten vernünftige Leistungen und gute Konditionen bieten. G+G: Das Gesundheitswesen gilt als Wachstumsmarkt. Sind steigende Ausgaben aus arbeits- und sozialpolitischer Sicht da nicht geradezu wünschenswert? Ferner: Es hängt davon ab, bei wem das Geld zum Schluss ankommt. Obwohl wir für den Krankenhaussektor am meisten ausgeben und die Kosten dort entsprechend gestiegen sind, kommt das Geld nicht bei den Beschäftigten an. Das gleiche gilt auch für andere Bereiche der Leistungserbringung. Wir müssen versuchen, den Bedarf an Gesundheitsleistungen so gering wie möglich zu halten. Deshalb muss Prävention eine viel größere Bedeutung bekommen. Dass die schwarz-gelbe Koalition ein Präventionsgesetz ablehnt, ist ein Stück weit zynisch und bedeutet vier verschenkte Jahre. 39 „Die schwarz-gelbe Koalition lehnt ein Präventionsgesetz ab. Das bedeutet vier verschenkte Jahre.“ G+G: Die Vergütung für Ärzte im ambulanten Bereich ist vergangenes Jahr um mehrere Milliarden Euro gestiegen. Trotzdem sind sie nicht zufrieden. Haben Sie dafür Verständnis? Ferner: Nein, überhaupt nicht. Die Arzthonorare sind zuletzt deutlich gestiegen, während andere im Moment Kurzarbeit machen und um ihre Jobs bangen. Im Nachhinein muss ich sagen: Hätten wir gar nichts gemacht, hätte der Ärger eigentlich nicht größer sein können. G+G: Die hohen Preise für neue Arzneimittel in Deutschland sind ein Ärgernis. Sind Preisverhandlungen zwischen Kassen und Pharmaherstellern, wie sie Gesundheitsminister Philipp Rösler vorgeschlagen hat, der richtige Weg? Ferner: Das ist ja schon jetzt nicht verboten. Man fragt sich nur, warum es bisher nicht zu Verhandlungen gekommen ist. Da ist doch kein Druck dahinter, solange die Pharmaunternehmen den Preis zunächst selbst diktieren können. Wir sind für eine Kosten-Nutzen-Bewertung. Der höhere Nutzen sollte schon bewiesen sein, bevor das Mittel zulasten der Kassen verordnet werden darf. Arzneimittel vom gleichen Hersteller sind in anderen Ländern teilweise deutlich günstiger sind als bei uns. Das liegt nicht an der unterschiedlichen Mehrwertsteuer, sondern an anderen Preisbildungsmechanismen. Das müssen wir in Deutschland thematisieren: Was im Ausland billiger abgeben wird, sollte auch bei uns billiger sein. Wir fordern deshalb, in solchen Fällen den europäischen Durchschnittspreis anzusetzen. Das kann man auch deshalb verlangen, weil Deutschland der größte Markt für Arzneimittel ist. Im Wirtschaftsleben ist es doch so, dass da, wo der größte Markt ist, auch die größten Rabatte gewährt werden. Im Übrigen brauchen wir Sofortmaßnahmen wie die Erhöhung Zur Person Elke Ferner, 1958 in Idar-Oberstein geboren, machte nach dem Abitur eine Lehre als Datenverarbeitungskauffrau. Anschließend arbeitete sie zehn Jahre als Programmiererin in Saarbrücken. 1983 trat Elke Ferner in die SPD ein und wurde 1990 erstmals in den Bundestag gewählt. Dort machte sie sich einen Namen als verkehrspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Von 1998 bis 2000 war sie beamtete Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium. Seit 2005 ist Elke Ferner stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und im SPD-Parteivorstand. des Hersteller-Rabatts und müssen auch Rabatte im Distributionsweg abschöpfen. G+G: Zurück zu den Krankenkassen: Sollten Kassen, die fusionieren, genau so auf marktbeherrschende Stellung geprüft werden wie große Unternehmen? Ferner: Nein. Krankenkassen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie sind Sozialversicherungsträger, deshalb gelten für sie andere Maßstäbe. Wenn man dem Markt im Gesundheitswesen freien Lauf ließe, explodierten die Kosten so, dass niemand mehr krankenversichert sein wollte, weil es nicht zu bezahlen wäre. Deshalb brauchen wir für die Krankenkassen Regeln, die ihnen so viel Spielraum geben, dass sie für ihre Versicherten das bestmögliche Angebot zusammenstellen – unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit. G+G: Alles medizinisch Notwendige wird bezahlt – lässt sich das Versprechen von Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt in Zukunft halten? Ferner: Ich fürchte, dass wir uns von diesem Grundsatz verabschieden müssen. Der Koalitionsvertrag sieht vor, die bestehenden Leistungen einzufrieren. Dann kann nicht mehr jeder den gleichen Zugang zum medizinischen Fortschritt haben. Außerdem will die Koalition die Festzuschüsse ausweiten. Wie beim Zahnersatz muss vieles dann mit Zusatzversicherungen abgedeckt werden. Wer so gerade eben die Kopfpauschale bezahlen kann, wird sich das nicht leisten können und mit der Medizin von vorgestern vorlieb nehmen müssen. Das ist der Einstieg in die Drei-Klassen-Medizin. Ich fürchte, dass diese Koalition ein Sicherheitsrisiko für die solidarische Krankenversicherung ist. Es wird wahrscheinlich schon in vier Jahren bei der nächsten Bundestagswahl deutlich werden, dass man den Sozialstaat nicht Schwarz-Gelb anvertrauen darf, wenn man ihn erhalten will. G+G: Glauben Sie, dass die Koalition vier Jahre hält? Ferner: Ja, aber wenn die Koalition so weitermacht wie bisher, dann ist sie bald so unbeliebt wie die Kopfpauschale. √ Die Fragen stellte Burkhard Rexin, Redakteur beim KomPart-Verlag. Ausgabe 5/10, 13. Jahrgang