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PERSPEKTIVE A D H S Ausga b e 7 9/ 2 013 In der Diskussion Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm Wenn auch die Eltern von ADHS betroffen sind Impulse aus der Erwachsenenpsychiatrie Das Problem der Komorbidität bei ADHS im Erwachsenenalter Das Thema Transition: Ohne Stolpersteine ins Erwachsenenalter? Gemalt von Jugendlichen des Vereins Kinder- und Jugendhilfe Frankfurt am Main e. V. Weitere Informationen zum Verein finden Sie auf S. 27 I N H A L T Editorial...................................................................................... 3 Aktuelles aus der internationalen ADHS-Welt...........................4 Aktuelle Debatten um die ADHS-Behandlung Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski, Mannheim und Prof. Dr. Manfred Döpfner, Köln Impulse aus der Erwachsenenpsychiatrie...................................8 Das Problem der Komorbidität bei ADHS im Erwachsenenalter Prof. Dr. Dr. Johannes Thome, Rostock Aktuelles aus der Neurowissenschaft....................................... 10 Adoleszenz: Innovationsmotor einer Gesellschaft und Grundlage zukünftiger Gesundheit Prof. Dr. Dieter Braus, Wiesbaden Wissenswert und kommentiert..................................................11 Medikamentöse ADHS-Behandlung reduziert Delinquenzrisiko vorgestellt von Prof. Dr. Wolfgang Retz, Homburg/Saar Die aktuelle ADHS-Studie vorgestellt von Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski, Mannheim und Prof. Dr. Jan Buitelaar, Nijmegen (Niederlande) Das Problem der Komorbidität bei ADHS im Erwachsenenalter 8 Das Thema................................................................................14 Transition: Ohne Stolpersteine ins Erwachsenenalter? Therapieerfolge beibehalten, wenn Jugendliche mit ADHS erwachsen werden In der Diskussion.......................................................................18 Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm Wenn auch die Eltern von ADHS betroffen sind Stimmen aus der Region..........................................................20 Am Runden Tisch Was ist für eine erfolgreiche Weiterbehandlung bei ADHS erforderlich? Erfahrungsaustausch in Koblenz Der individuelle Fall Therapieziel Lebensqualität Aktueller Tipp Behandlung eines ADHS-Patienten mit gleichzeitiger Suchtproblematik Veranstaltungen im Rückblick.................................................. 24 Erfolge sichtbar machen 10. Jubiläum der ADHS-Gespräche in Frankfurt am Main Können Psychopharmaka 18 werden? Satellitensymposium beim DGKJP in Rostock Veranstaltungskalender............................................................ 26 Die nächsten Termine … In eigener Sache....................................................................... 27 Verleihung des Hermann-Emminghaus-Preises 2013 Spendenaktion für die regionale Kinder- und Jugendarbeit Service......................................................................................28 2 14 Transition: Ohne Stolpersteine ins Erwachsenenalter? Therapieerfolge beibehalten, wenn Jugendliche mit ADHS erwachsen werden 24 Erfolge sichtbar machen 10. Jubiläum der ADHS-Gespräche in Frankfurt am Main E D I T O R I A L Liebe Leserinnen und Leser, wir freuen uns, Prof. Dr. Dr. Johannes Thome, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Rostock, im Wissenschaftlichen Beirat der „Perspektive ADHS” zu begrüßen. Mit seiner neuen Rubrik „Impulse aus der Erwachsenenpsychiatrie” und vier zusätzlichen Seiten wird auch die „Perspektive ADHS” ein Stück erwachsen. Impressum Herausgeber Lilly Deutschland GmbH Werner-Reimers-Straße 2-4 61352 Bad Homburg, www.lilly-pharma.de V.i.S.d.P. Katja Preugschat, Lilly Deutschland GmbH Leserservice/Medizinische Information Lilly-Service-Center Telefon: (061 72) 273-22 22 Telefax: (0800) 545 59 96 E-Mail: [email protected] Druck Océ-Deutschland Business Services GmbH 45481 Mülheim an der Ruhr Layout Mattner Concept & Design 60489 Frankfurt/Main Redaktion m:werk GmbH & Co. KG Kommunikationsagentur für Medizin und Gesundheit 65189 Wiesbaden Wissenschaftlicher Beirat Prof. Dr. Dr. Banaschewski (Mannheim) Prof. Dr. Dieter Braus (Wiesbaden) Prof. Dr. Jan Buitelaar (Nijmegen, Niederlande) Prof. Dr. Manfred Döpfner (Köln) Prof. Dr. Dr. Johannes Thome (Rostock) Mitwirkende Experten dieser Ausgabe Dr. Thomas Bauer (Glauchau), Dr. Matthias Bender (Weilmünster), Dr. Michael Bornheim (Marienheide), Dr. Jürgen Fleischmann (Sinzig), Dr. Jakob Hein (Berlin), Dr. Oliver Hennig (Mannheim), Dr. Astrid Neuy-Bartmann (Aschaffenburg), Dr. Birgit Pollitt (Neuwied), Prof. Dr. Wolfgang Retz (Homburg), Dr. Matthias Rudolph (Boppard), Dipl.-Med. Cornelia Stefan (Zwickau), Dr. Gerrit Scherf (Berlin), PD Dr. Timo Vloet (Aachen) Fotos (Seite 2, oben) © Dan Race - Fotolia.com, (Seite 2, Mitte) © Alexander Raths - Fotolia.com, (Seite 6) © PhotographyByMK - Fotolia.com, (Seite 4) Blend Images - Fotolia.com, (Seite 14) © onoky Fotolia.com, (Seite 17) © jogyx - Fotolia.com, (Seite 25) © Rico K. - Fotolia.com Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass Lilly Ihre Daten ausschließlich in dem Umfang erhebt, verarbeitet und nutzt, wie es zur Erfüllung der Geschäftsbeziehung mit Ihnen erforderlich ist. Dabei beachtet Lilly stets die gesetzlichen Vorschriften zu Datenschutz und Vertraulichkeit. Für den Fall, dass Sie weitere Informationen zum Umgang von Lilly mit Ihren Daten erfahren und/oder zukünftig keine Werbung mehr erhalten möchten, bitten wir Sie, sich gerne an unsere Abteilung Ethik & Compliance zu wenden. Die „Perspektive ADHS” möchte zukünftig dazu beitragen, den interdisziplinären Austausch zwischen den für ADHS relevanten Fachgruppen noch mehr zu fördern – unabhängig davon, in welchem Alter sich der Patient gerade befindet. Denn wenn sich auch die ADHSSymptomatik im zeitlichen Verlauf verändern mag: Die mit ADHS verbundenen Beeinträchtigungen bleiben häufig bestehen. In vielen Fällen hat sich ADHS noch nicht als behandlungsrelevantes Störungsbild in der Erwachsenenpsychiatrie etabliert. Aber die Patienten sind da, wenn auch häufig noch unentdeckt, wie Prof. Dr. Dr. Thome in seinem Artikel „Das Problem der Komorbidität bei ADHS im Erwachsenenalter” beschreibt (Seite 8 und 9). Zudem stehen immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene mit ADHS vor der Situation, vom Kinderund Jugendpsychiater bzw. Kinder- und Jugendarzt zum Erwachsenenpsychiater oder Hausarzt wechseln zu müssen – aus mehreren Gründen eine entscheidende Hürde, bei der viele Patienten aus der Therapie herausfallen. Daher beschäftigt sich die siebte Ausgabe der „Perspektive ADHS” mit dem Thema der Transition in all seinen Facetten. Wir haben mit ADHS-Experten aus der Kinder-, Jugend- und Erwachsenenmedizin besprochen, welche Erfahrungen sie mit Transitionen gemacht haben und welche konkreten Herausforderungen in der Praxis bestehen. Gemeinsam wurde diskutiert, wie die Übergänge sowohl für die Patienten als auch die behandelnden Ärzte möglichst fließend gestaltet werden können. Auf den folgenden Seiten erhalten Sie spannende Einblicke in die Arbeit Ihrer Kollegen! Wir wünschen Ihnen eine informative und interessante Lektüre. Ihr Lilly-Redaktionsteam 3 A K T U E L L E S A U S D E R I N T E R N A T I O N A L E N A D H S - W E L T Aktuelle Debatten um die ADHS-Behandlung Debatte 1: Die Wirksamkeit nicht-pharmakologischer Interventionen Nationale und internationale evidenzbasierte Leitlinien zur Therapie der ADHS empfehlen einen multimodalen Behandlungsalgorithmus, der Psychoedukation, psychosoziale Interventionen und medikamentöse Therapieoptionen umfasst. Rationale Grundlage dieser Empfehlungen bilden klinische Studien möglichst hoher methodischer Qualität, in denen Wirksamkeit und Sicherheit der Behandlungsoptionen anhand von durchschnittlichen Gruppenunterschieden im Vergleich zu Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) Mannheim 4 Kontrollgruppen statistisch gegen den Zufall abgesichert wurden. Meta-Analysen der verschiedenen Studien sind wichtig, um die Konsistenz der Ergebnisse zu überprüfen. Sie erlauben, den Einfluss verschiedener konfundierender Variablen auf die Ergebnisse zu erfassen, falls diese Variablen in den eingeschlossenen Studien kontrolliert wurden und die Anzahl der Studien groß genug ist, um diese Effekte zu kontrollieren. Meta-Analysen können dann zeigen, 1. ob sich über die verschiedenen Studien hinweg robuste Effekte finden lassen. 2. ob die Wirksamkeit und die Nebenwirkungen einer spezifischen Therapieoption auch von Patientenmerkmalen, wie z. B. Alter, Geschlecht, Art und Ausmaß komorbider Störungen, abhängen. Aus Meta-Analysen von Studien zur Wirksamkeit medikamentöser Therapieoptionen der ADHS wissen wir, dass etwa die Effektstärken für die Wirksamkeit medikamentöser Therapien für Kinder und Jugendliche durchschnittlich höher sind als für Erwachsene, wobei die Ergebnisse von methodischen Merkmalen der Studie abhängen (größere Effekte bei Crossover Design vs. Parallelgruppendesign; bei unizentrischer vs. multizentrischer Studie; Ergebnis vs. Veränderungsmaße). Prof. Dr. Manfred Döpfner, Leitender Diplompsychologe an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Klinikum der Universität zu Köln A K T U E L L E S Nun hat die Europäische ADHSLeitliniengruppe1 die Wirksamkeit verschiedener nicht-medikamentöser Behandlungsoptionen metaanalytisch geprüft und gefunden, 1. dass psychologische Interventionen (klassische verhaltenstherapeutische Verfahren, kognitive Trainings, Neurofeedback) und diätetische Interventionen (Elimination von Nahrungsbestandteilen, Elimination von Farbstoffzusätzen, Omega-3-/Omega-6Fettsäuren) signifikante Effekte auf die ADHS-Symptomatik hatten, wobei die Beurteiler in der Regel gegenüber der Behandlung nicht verblindet waren. 2. dass die Effektstärken dieser Therapieoptionen überwiegend nicht mehr statistisch signifikant waren, wenn die Effekte von Außenstehenden beurteilt wurden, die nicht wussten, ob die Patienten die Behandlung er hielten oder durch Verhaltens beobachtungen erfasst wurden. Die Ergebnisse dieser Meta-Analyse zeigen, dass die gegenwärtige Evidenz für die Wirksamkeit nichtpharmakologischer Interventionen auf die ADHS-Kernsymptomatik aufgrund von kontrollierten randomisierten Studien unbefriedigend ist. Es wäre aber voreilig festzustellen, dass damit die fehlende Wirksamkeit dieser Behandlungsoptionen nachgewiesen worden wäre; A U S D E R I N T E R N A T I O N A L E N weitere methodisch hochwertige Studien sind erforderlich (siehe dazu auch „Die aktuelle ADHS-Studie”, Seite 12 und 13). Was aber sind hochwertige methodische Studien, wenn die Wirksamkeit nicht-pharmakologischer Interventionen geprüft werden soll? Die Überprüfung der Wirksamkeit psychosozialer Interventionen ist methodisch wesentlich anspruchsvoller als die Untersuchung der Effektivität medikamentöser Therapien. Eine Schwierigkeit besteht darin, adäquate Kontrollbedingungen für die jeweilige Behandlung zu etablieren, die möglichst selbst nicht wirksam sein, aber andererseits erlauben sollen, Erwartungen und unspezifische Therapieeffekte zu kontrollieren. Eine zureichende Verblindung des Beurteilers ist oft nicht möglich. Wenn Außenstehende den Behandlungserfolg beurteilen, sind sie womöglich für Veränderungen der Behandelten und ihrer Lebenswelten wenig sensitiv. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass die Behandlungsqualität naturgemäß stärker variiert als z. B. die Wirkstoffdosierung oder Galenik medikamentöser Interventionen. In der genannten Publikation wurde in einigen Meta-Analysen eine signifikante Heterogenität der Effekte festgestellt, was stärker als bei den relativ einheitlich durchgeführten Pharmakotherapien auf Unterschiede der A D H S - W E L T angewendeten Interventionen hinweist. Zudem ist eine möglichst unverzerrte Erfassung von Effekten (beispielsweise durch verblindete Beurteilungen) für die wissenschaftliche Fragestellung von Bedeutung, ob sich das reale Verhalten des Patienten verändert hat oder (hauptsächlich) die Wahrnehmung von Bezugspersonen. Die Eltern sind auch in der klinischen Routine nicht blind. Sie wissen, welche Intervention ihr Kind bekommt. Wenn wir also wissen wollen, ob sich die ADHS-Symptomatik in der Einschätzung der Eltern verändert hat, dann sind die unverblindeten Urteile vermutlich aussagekräftiger. Für die Interpretation der Ergebnisse klinischer Studien ist zudem neben der Berücksichtigung der durchschnittlichen Gruppenunterschiede in den Behandlungsverläufen auch die Betrachtung möglicher interindividueller Unterschiede innerhalb der Gruppen wesentlich. Nur so lässt sich beantworten, ob und in welchem Ausmaß die Individualisierung der Diagnostik und Therapie möglich und erforderlich ist, um eine optimale Behandlung für den einzelnen Patienten zu gewährleisten. Es bleibt also noch einiges zu tun, um die Wirksamkeit nicht-pharmakologischer Interventionen bei ADHS mit hinreichender Sicherheit abschätzen zu können. 5 A K T U E L L E S A U S D E R Debatte 2: Nutzen oder Schaden von DSM-5? I N T E R N A T I O N A L E N A D H S - W E L T Endlich! DSM-5 ist da.2 Nach jahrelangen Vorarbeiten ist es nun soweit. Auf dem Kongress der American Psychiatric Association in San Francisco wurde die neueste Fassung des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders im Mai dieses Jahres vorgestellt. Noch bevor das Manual in seiner Endfassung vor- lag, wurde es in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. „Der Spiegel” und andere Medien berichteten kritisch, dass die Schwellen für die Definition psychischer Störungen mit der neuen Klassifikation immer weiter gesenkt würden, dass immer neue psychische Erkrankungen erfunden würden und so der Anteil der Personen, bei denen eine psychische Störung diagnostiziert werden kann, unaufhaltsam steigen würde. Wir müssen als Fachleute solche Sorgen und Kritiken sicher ernst nehmen und uns damit auseinandersetzen. Aber häufig werden solche Urteile in der breiten Öffentlichkeit sehr schnell und sehr pauschal ausgesprochen, ohne dass man sich die Mühe macht, detaillierter die Gründe 6 für Veränderungen von Kriterien zu diskutieren. Was hat sich bei ADHS wirklich geändert und ist das für uns wichtig? Schließlich leben wir in einem ICDLand und deren Revision wird noch Jahre dauern. Aber ICD orientierte sich bislang sehr stark an DSM und wird das wohl auch in Zukunft tun. Außerdem haben wir in unserer klinischen Praxis auch die DSM-Kriterien bisher berücksichtigt und konnten somit die differenziertere Sichtweise von DSM auf ADHS in den ICD-Diagnosen abbilden. Es lohnt sich also, näher hinzusehen. Dabei ist die größte Überraschung, wie wenig sich geändert hat nach den langen Diskussionen von Alternativvorschlägen, die teilweise erst in letzter Minute wieder gekippt worden sind. Zu Beginn des DSM5-Prozesses wurde diskutiert, ob man grundsätzlich die kategoriale Diagnostik zugunsten einer dimensionalen Sichtweise aufgeben sollte, weil sich die dimensionale Betrachtung des Phänomens in der Wissenschaft mehr und mehr durchsetzt. Diese Diskussion wurde zugunsten der klassischen Störungseinheiten mit definierten Grenzen, die natürlich weiterhin umstritten sind, entschieden. Ebenso lange wurde versucht, eine stärker an ätiologischen Faktoren orientierte Klassifikation aufzubauen, beispielsweise indem Subtypen mit bestimmten neuropsychologischen Defiziten definiert werden – auch das hat sich letztlich nicht durchgesetzt; vor allem weil die Bedeutung solcher Subtypen für die Prognose oder die Therapieindikation unklar ist. Auch eine stärkere Gewichtung der Impulsivität durch die Aufnahme weiterer Symptomkriterien oder die Berücksichtigung von A K T U E L L E S emotionaler Dysregulation als Bestandteil der ADHS haben sich nicht durchgesetzt. Damit blieb bei den Symptomkriterien im Wesentlichen alles beim Alten. Die meisten Kriterien wurden lediglich durch so genannte „elaborations”, also durch Beispiele ergänzt, die hauptsächlich die Ausgestaltung der Symptomatik bei Jugendlichen und Erwachsenen illustrieren sollen. Damit möchte man die Objektivität der diagnostischen Beurteilungen weiter verbessern. Das ist wohl ein Schritt in die richtige Richtung. Die insgesamt relativ geringfügigen Veränderungen bei der Definition der einzelnen Symptome haben zur Folge, dass die bisherigen auf DSM-IV ausgerichteten Fragebogenverfahren im Wesentlichen weiter benutzt werden können. Auch die bisherigen Subklassifikationen in den primär unaufmerksamen oder den primär hyperaktiv-impulsiven oder den kombinierten Subtypus sind im Wesentlichen gleich geblieben. Eine ursprünglich angedachte weitere Subkategorie eines weitgehend unaufmerksamen Subtypus, der so gut wie keine Hinweise auf Hyperaktivität oder Impulsivität hat, sondern möglicherweise sogar eher verlangsamt ist, wurde ebenfalls nicht realisiert; vermutlich, weil es für eine solche Subklassifizierung noch keine hinreichenden empirischen Belege gibt. Insgesamt wurde der Begriff der Subtypen zugunsten des Begriffs der „presentations”, d. h. der Ausgestaltungen bzw. Präsentationen, ersetzt, vor allem, weil Längsschnittstudien zeigen, dass die Subtypen nicht zwangsläufig stabil sind, sondern Patienten von einem Subtypus zu einem anderen im Verlaufe ihrer Entwicklung „wandern” können. Damit wird zu Recht deut- A U S D E R I N T E R N A T I O N A L E N lich gemacht, dass es sich mehr um entwicklungsabhängige Ausgestaltungen der Symptomatik als um wirklich stabile Subtypen handelt. Die Zahl der notwendigen Symptome wurde bei Jugendlichen ab dem Alter von 17 Jahren und bei den Erwachsenen um einen Punkt gesenkt. Jetzt müssen nur noch fünf anstatt sechs Kriterien von Unaufmerksamkeit und/oder Hyperaktivität/Impulsivität erfüllt sein, um in dieser Altersgruppe eine Diagnose stellen zu können. Damit will man dem Umstand Rechnung tragen, dass ab dem späten Jugendalter auch mit einer geringeren Anzahl an Symptomen beeinträchtigende Funktionseinschränkungen einhergehen können. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese (sehr moderate) Veränderung auf die Prävalenzraten auswirken wird. Außerdem wurde das Kriterium für den spätesten Beginn der Symptomatik, das bisher unter dem Alter von sieben Jahren lag, auf das Alter von zwölf Jahren angehoben; dies vor allem, weil sieben als sehr willkürliche Altersgrenze eingeschätzt wurde und weil die retrospektive Beurteilung insbesondere bei Erwachsenen kaum noch zuverlässig vorgenommen werden kann, wenn man den Beginn der Symptomatik in der Vorschulzeit eruieren muss. Allerdings verabschiedet man sich mit dieser Veränderung möglicherweise von der Konzeption von ADHS als einer entwicklungspsychopathologisch stark beeinflussten Störung, die besonders eng mit zentralnervösen Reifungsprozessen verbunden ist und sich in der Regel auch schon im Vorschulalter entwickelt. Wir sollten uns daher fragen, ob wir beispielsweise bei einem 13-Jährigen eine ADHS diagnostizieren wollen, der die meiste Grundschulzeit keine A D H S - W E L T Symptome von ADHS zeigte, sondern diese erst mit zwölf Jahren entwickelte. Wir würden uns in solchen Fällen sicher sehr intensiv um eine differentialdiagnostische Abgrenzung bemühen. Schließlich wurde die Autismusspektrumstörung als Ausschlussdiagnose gestrichen. Dies ist sicherlich von Vorteil, denn damit lassen sich nun auch Patienten mit einer Autismusspektrumstörung und zusätzlicher ADHS-Symptomatik von Patienten ohne zusätzliche ADHSSymptomatik diagnostisch besser abgrenzen und die Behandlung der ADHS-Symptomatik bei autistischen Patienten kann zielgerichteter vorgenommen werden. Insgesamt können wir also mit den meisten Veränderungen zufrieden sein. Die Heraufsetzung der Altersgrenze wird sicherlich noch für Diskussionen sorgen und muss anhand von Studien kritisch geprüft werden. Für Smartphone-Benutzer: Direktlink zu www.dsm5.org Quellen: 1 Sonuga-Barke EJ et al. Am J Psychiatry 2013; 170:275-289. 2 www.dsm5.org. 7 I M P U L S E A U S D E R E R W A C H S E N E N P S Y C H I A T R I E Das Problem der Komorbidität bei ADHS im Erwachse Noch sehr viel mehr als im Kindesund Jugendalter ist die Kernsymptomatik der ADHS bei betroffenen Erwachsenen häufig durch eine Vielzahl komorbider Störungen überlagert. Zusätzlich findet sich oft auch eine Veränderung des klinischen Bildes. Die hyperkinetische Komponente, die im Kindesalter oft sehr auffällig als von außen wahrnehmbare gesteigerte motorische Aktivität imponiert, wird von den erwachsenen Patienten eher als „innere Unruhe” oder „Nervosität” beschrieben. Es kommt also mit zunehmendem Lebensalter zu einer weniger klar ausgeprägten ADHS-Symptomatik i.e.S. und einer Zunahme von Komorbiditäten. Bedingt durch die höheren Anforderungen im täglichen Leben gehen diese oft mit erheblichen sozialen Beeinträchtigungen einher (Abb. 1). Zusätzlich berichten erwachsene ADHS-Patienten vermehrt von stärkerer Impulsivität, Desorganisation, Affektlabilität und Stressintoleranz. Dadurch können sich spezifische diagnostische Schwierigkeiten ergeben, die eine sorgfältige psychiatrische Untersuchung sowohl zur Abklärung von Komorbiditäten als auch zum Ausschluss möglicher Differentialdiagnosen erfordern. Bei Vorliegen klinisch relevanter komorbider Störungen müssen diese darüber hinaus auch in die individuelle therapeutische Planung miteinbezogen werden, da dann die alleinige Behandlung der ADHS oft nicht ausreicht. Prof. Dr. Dr. Johannes Thome, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Rostock 8 Im klinischen Alltag kommt es zudem nicht selten vor, dass die Symptome der komorbiden Störung hinsichtlich Leidensdruck der Patienten und Reduktion ihrer Lebensqualität so führend sind, dass die ADHSSymptome maskiert und damit übersehen werden können. Während ADHS per se in der Regel keine stationäre Behandlung erfordert, kommt es daher immer wieder vor, dass gerade auf so genannten störungsspezifischen Stationen psychiatrischer Kliniken Patienten mit Suchterkrankungen, affektiven, Angst- und/oder Persönlichkeitsstörungen behandelt werden und die ADHS lange Zeit nicht erkannt wird. Daher ist es essentiell, dass bei psychiatrischen Patienten grundsätzlich immer auch eine ADHS als mögliche zusätzliche Erkrankung (bzw. als Differentialdiagnose) berücksichtigt wird. Oft lässt sich dadurch erklären, weshalb bestimmte Patienten auf therapeutische Maßnahmen, die zwar auf Abbildung 1: Grafische Darstellung der mit steigendem Lebensalter abnehmenden Kernsymptomatik der ADHS (graues Dreieck) und zunehmenden Komorbidität sowie sozialer Probleme (grünes Dreieck) ➜ Angststörung ➜ Drogenmissbrauch ➜ Tourette-Syndrom/Tics ➜ affektive Störungen ➜ Lernschwächen ➜ disruptive Verhaltensstörungen ➜ Entwicklungsstörungen 0 Jahre ADHS 10 Jahre ➜ Persönlichkeitsstörungen 20 Jahre 30 Jahre ➜ Soziale Anpassungsstörungen/delinquentes Verhalten ➜ Schul-/Erziehungsprobleme ➜ Desorganisation ➜ Probleme bei der Arbeit ➜ instabile Beziehungen ➜ mangelnde Elternkompetenz Mit freundlicher Überlassung durch Prof. Dr. Wolfgang Retz, Homburg/Saar I M P U L S E A U S D E R E R W A C H S E N E N P S Y C H I A T R I E nenalter Depression, Sucht oder Persönlichkeitsstörung fokussieren, nicht aber die damit vergesellschaftete ADHS berücksichtigen, nicht oder nur unzureichend respondieren. Kessler und Mitarbeiter1 gehen davon aus, dass 38 % aller erwachsenen ADHS-Patienten zusätzlich an affektiven Störungen leiden (insbesondere Depressionen und bipolare Störungen), 43 bis 52 % leiden an Angsterkrankungen (insbesondere Phobien), 15 % an Suchterkrankungen (v. a. Alkohol und Nikotin) und 20 % an Impulskontrollstörungen. Hinsichtlich süchtigen Verhaltens sollte bei ADHS-Patienten auch immer die Möglichkeit des Vorliegens von nicht-stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen, wie insbesondere pathologischen Spielens, gedacht werden. Umgekehrt muss bei der Erstdiagnose einer psychischen Störung berücksichtigt werden, dass eine ADHS bei 21 % aller Patienten mit einer bipolaren Störung vorliegt, bei 19 % aller Patienten mit Agoraphobie und bei 25 % aller Patienten mit einer Drogenabhängigkeit.1 Die Abgrenzung einer ADHS als Komorbidität oder Differentialdiagnose ist hier meist problemlos möglich, da die ADHS-Symptome ja bereits im Kindesalter aufgetreten sein müssen, um im Erwachsenenalter diese Diagnose stellen zu können. Umgekehrt ist es nicht immer einfach, bei sicher vorliegender ADHS eine mögliche Komorbidität (wie z. B. Persönlichkeitsstörung) zweifelsfrei zu diagnostizieren und von der im Erwachsenenalter sich oft vielgestaltiger darstellenden ADHS-Symptomatik klar abzugrenzen. In vielen Fällen ist hier aber durch sorgfältige Verlaufsbeobachtung eine Klärung möglich. Während es eine Reihe von psychischen Störungen gibt, die typischerweise und überzufällig häufig mit ADHS komorbid auftreten, gibt es auch psychiatrische Erkrankungen, die bei ADHS nicht notwendigerweise häufiger auftreten. Im Falle einer „zufälligen” Komorbidität stellen diese den Behandler dann aber vor besondere diagnostische und therapeutische Probleme. Wissenschaftlich sind solche Konstellationen noch kaum erforscht. In einer eigenen Pilotstudie fiel beispielsweise auf, dass die Funktionsstörungen bei Patienten mit einer schizophrenen Psychose und zusätzlicher ADHS oft stärker ausgeprägt sind und gleichzeitig das Suizidrisiko deutlich erhöht ist.2 Eine besondere Herausforderung für Ärzte und Pflegende dürften auch erwachsene ADHS-Patienten sein, bei denen eine dementielle Entwicklung auftritt. Zu dieser klinisch hoch relevanten Problematik liegen in der internationalen wissenschaftlichen Literatur noch kaum Forschungsergebnisse vor, welche dringend benötigt werden. Immerhin wurde aber bereits gezeigt, dass bei erwachsenen ADHS-Patienten ein gesteigertes Risiko vorliegt, an Lewy-Body-Demenz zu erkranken.3 Nicht unerwähnt bleiben darf die Tatsache, dass ADHS-Patienten – nicht zuletzt aufgrund der erhöhten Impulsivität – auch einem erhöhten Komorbiditätsrisiko für bestimmte somatische Erkrankungen ausgesetzt sind. Hierzu zählen Unfallfolgen, die traumatologisch versorgt werden müssen, venerische Erkrankungen, Übergewicht und andere. Von besonderem Interesse im Themenkomplex der ADHS-Komorbiditäten sind auch die Schlafstörungen. Bei ADHS-Patienten liegen typi- scherweise Störungen der zirkadianen Rhythmik vor, die sowohl auf Verhaltensebene als auch auf endokrinologischer und molekularer Ebene nachgewiesen wurden.4 Zusätzlich neigt die überwiegende Mehrzahl aller erwachsenen ADHS-Patienten in ihrer Tageszeitpräferenz typischerweise zum so genannten Spättyp. Über 50 % der ADHS-Patienten klagen über Insomnie mit verkürzter Schlafdauer, verlängerter Schlaflatenz und häufigerem nächtlichen Erwachen.5 Diese chronobiologischen Veränderungen und Schlafstörungen vermindern die Lebensqualität von ADHS-Patienten erheblich und müssen daher in einem integrierten Therapieplan unbedingt berücksichtigt werden. Zusammenfassend sind komorbide Störungen bei erwachsenen Patienten mit einer ADHS typisch und häufig. Reine ADHS-Patienten ohne jegliche Komorbidität sind in der psychiatrischen Versorgung von Erwachsenen äußerst selten anzutreffen. Daher muss bei jeder ADHSDiagnose das Vorliegen einer weiteren komorbiden Störung abgeklärt werden. Darüber hinaus ist bei jeder psychiatrischen Untersuchung, unabhängig von klinischem Bild und Verdachtsdiagnose, grundsätzlich immer auch an das mögliche Vorliegen einer ADHS zu denken, die es differentialdiagnostisch auszuschließen oder als Komorbidität zu diagnostizieren gilt. Quellen: 1 Kessler RC et al. Am J Psychiatry 2006; 163:716-723. 2 Donev RM et al. World J Biol Psychiatry 2011; 12(Suppl1):52-56. 3 Golimstok A et al. Eur J Neurol 2011; 18:78-84. 4 Baird AL et al. Mol Psychiatry 2012; 17:988-995. 5 Voinescu BI et al. J Neural Transm 2012; 119:1195-1204. 9 A K T U E L L E S A U S D E R N E U R O W I S S E N S C H A F T Adoleszenz: Innovationsmotor einer Gesellschaft und Grundlage zukünftiger Gesundheit A uf unserer Reise vom Kind zum Erwachsenen mussten wir alle den „Rubicon” der Adoleszenz überwinden.1 Dieser spannende Lebensabschnitt im Alter von ca. zehn bis 20 Jahren umfasst nicht nur die biologische Reifung, sondern vor allem auch die kognitive und psychische Entwicklung zum verantwortungsbewussten, eigenständigen und überlebensfähigen Sozialwesen. Beziehungsaufbau, Identitätsentwicklung, Gestaltungswille für die eigene Zukunft, Selbstkontrolle und Verbessern der sozialen Kompetenzen stellen dabei zentrale Herausforderungen dar.2 Weltweit macht heute der Anteil der Adoleszenten etwa ein Viertel der Weltbevölkerung aus.3 Daten der Weltgesundheitsorganisationen verdeutlichen, dass eine gesunde psychosoziale Entwicklung in der Adoleszenz – neben der pränatalen Phase und der frühen Kindheit – entscheidend für die zukünftige persönliche Gesundheit ist. Spezifische neurobiologische Veränderungen spielen hier eine zentrale Rolle.3 Das Gehirn der Heranwachsenden durchläuft dabei eine einzigartige neuroplastische Phase, in der sich Umweltereignisse (Vorbilder, Erfahrungen etc.) in besonderer Weise prägend auf kortikale und subkortikale Netzwerke und deren Effizienz auswirken.2,4 Diese eröffnet Chancen Prof. Dr. Dieter Braus, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Dr. Horst Schmidt Klinik (HSK) Wiesbaden 10 für Schule und Elternhaus, birgt jedoch auch erhebliche Risiken. Histomorphologische Befunde und funktionelle Studien2,4 zeigen, dass es in dieser Lebensphase zu einer Entkopplung der Reifung subkortikaler „limbischer” Hirnareale (Amygdala, Hippocampus, Nucleus accumbens und Hypothalamus) und präfrontaler Das gibt dem Menschen seine ganze Jugend, dass er Fesseln zerreißt. Friedrich Hölderlin Kontrollareale (ventromedial und dorsolateral) kommt, welche wohl für Ich-Identitätsentwicklung essentiell ist. Eine Dissoziation des sich relativ langsamen, linear entwickelnden präfrontalen Impulskontrollsystems gegenüber der nicht-linearen Entwicklung des raschen Belohnungssystems mit dopaminerger Überreaktion auf Belohnungsreize spielt dabei eine entscheidende Rolle. Diese Entwicklungsphase ermöglicht deshalb einerseits ein hohes Maß an Begeisterungsfähigkeit, Kreativität und Veränderungskraft, auf der anderen Seite aber auch erhöhtes Risikoverhalten, insbesondere in Anwesenheit von Peers.2 Jugendliche in dieser Lebensphase können damit besonders von Lernerfahrungen profitieren, die in einem belohnenden emotionalen Kontext stattfinden und gezielt Emotionsregulation und kognitive Kontrolle fördern. Gleichzeitig besteht erhöhte Vulnerabilität gegenüber schädlichen Umwelteinflüssen, und zwar gerade solchen, die sich auch direkt auf das dopaminerge System auswirken. So führen z. B. Amphetamine oder Cannabis5 nachgewiesenermaßen besonders in der frühen und mittleren adoleszenten Phase zu dauerhaften funktionellen und mikrostrukturellen Veränderungen des Gehirns, die ungünstige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit des restlichen Lebens haben können. Aktuelle Hinweise aus tierexperimentellen Untersuchungen6 zeigen außerdem, dass noch harmlose pränatale Programmierungseffekte – beispielsweise durch Immunreaktionen während der Schwangerschaft – kombiniert mit stressvoll-traumatisierenden Erfahrungen in der Adoleszenz, ungünstige Effekte auf adulte Verhaltensfunktionen und Neurochemie haben, mit spezifischen Auswirkungen auf das dopaminerge und serotonerge System sowie auf Nucleus accumbens, Hippocampus und präfrontalen Kortex. Stressvolle Umweltereignisse in der Adoleszenz können hierüber einen latenten neuropathologischen Prozess demaskieren, der die Vulnerabilität für häufige psychiatrische Erkrankungen wie Psychose, Angst und Depression relevant erhöhen kann. W I S S E N S W E R T U N D K O M M E N T I E R T Medikamentöse ADHS-Behandlung reduziert Delinquenzrisiko In diesem Zusammenhang spielen sicherlich auch Hänseln und Schikanieren („Bullying”) unter Gleichaltrigen eine wichtige Rolle, welche nicht als harmlose Riten oder unausweichlicher Teil des Heranwachsens verharmlost werden dürfen. Eine aktuelle Studie7 zeigte, dass gerade im Alter von zehn bis 16 Jahren diese Erfahrungen mit erhöhtem Risiko für Angsterkrankungen, Depressionen, aber auch Psychosen assoziiert sind. Schikanieren unter Jugendlichen lässt sich leicht in der Schule oder im Verein feststellen und effektive Interventionsmöglichkeiten (auch juristischer Natur) stehen zur Verfügung. Adoleszenz ist eine entscheidende Phase in der Reifung des Gehirns und Menschen, die mit Chancen und Risiken assoziiert ist, welche langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit des Individuums und auch auf die Gesellschaft haben.3 Neben gesellschaftspolitischen Konsequenzen sind gerade auch wir Psychiaterinnen und Psychiater sowie Nervenärzte aufgefordert, die Bedeutung dieser Lebensphase öffentlich mehr zu thematisieren und die Schnittstellen zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie mit der Erwachsenenpsychiatrie zu optimieren, um die Adoleszenten bei ihrem Übertritt über den „Rubicon” noch erfolgreicher zu begleiten. Quellen: 1 McCarthy MM. Nat Neurosci 2013; 16:251-253. 2 Konrad K et al. Dtsch Arztebl Int 2013; 110:425-441. 3 Sawyer SM et al. Lancet 2012; 379:16301640. 4 Blakemore SJ, Robbins TW. Nat Neurosci 2012; 15:1184-1191. 5 Kuepper R et al. BMJ 2011; 342:d738. 6 Giovanoli S et al. Science 2013; 339:1095-1099. 7 Copeland WE et al. JAMA Psychiatry 2013; 7:419-426. M edication for attention deficit-hyperactivity disorder and criminality Lichtenstein P et al. N Engl J Med 2012; 367:2006-2014. Abstract: Background: Attention deficit-hyperactivity disorder (ADHD) is a common disorder that has been associated with criminal behavior in some studies. Pharmacologic treatment is available for ADHD and may reduce the risk of criminality. Methods: Using Swedish national registers, we gathered information on 25,656 patients with a diagnosis of ADHD, their pharmacologic treatment, and subsequent criminal convictions in Sweden from 2006 through 2009. We used stratified Cox regression analyses to compare the rate of criminality while the patients were receiving ADHD medication, as compared with the rate for the same patients while not receiving medication. Results: As compared with nonmedication periods, among patients receiving ADHD medication, there was a significant reduction of 32 % in the criminality rate for men (adjusted hazard ratio, 0.68; 95 % confidence interval (CI), 0.63 to 0.73) and 41 % for women (hazard ratio, 0.59; 95 % CI, 0.50 to 0.70). The rate reduction remained between 17 % and 46 % in sensitivity analyses among men, with factors that included different types of drugs (e.g. stimulant vs. nonstimulant) and outcomes (e.g. type of crime). Conclusions: Among patients with ADHD, rates of criminality were lower during periods when they were receiving ADHD medication. These findings raise the possibility that the use of medication reduces the risk of criminality among patients with ADHD. (Funded by the Swedish Research Council and others.) Kommentar: ADHS ist oftmals mit gravierenden Problemen im sozialen Leben der Betroffenen assoziiert. Im Verlauf der Störung von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter ergeben sich in der Regel vielfältige Probleme in der Alltagsbewältigung, die neben Schule und Beruf vor allem auch die Beziehung zu den eigenen Eltern und zu Freunden sowie Partnerschaften betreffen. Es ist aus Verlaufsuntersuchungen und Kohortenstudien außerdem bekannt, dass die Schwierigkeiten in der sozialen Adaptation der Betroffenen auch eine Neigung zu aggressivem Verhalten und zu Regelverstößen umfassen, die in der Adoleszenz und im Erwachsenenalter strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können. Bereits in der Kindheit werden oftmals die ADHS begleitenden Störungen des Sozialverhaltens registriert. Diese setzen sich nicht selten nach Erreichen der strafrechtlichen Verantwortungsreife mit 14 Jahren als delinquentes Verhalten fort. In entsprechen- Prof. Dr. Wofgang Retz, Leitender Oberarzt, Institut für Gerichtliche Psychologie und Psychiatrie, Neurozentrum Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar 11 W I S S E N S W E R T U N D K O M M E N T I E R T Die aktuelle ADHS- den Untersuchungen hat sich gezeigt, dass das Alter bei der ersten Verurteilung bei Straftätern mit ADHS erniedrigt und auch das Wiederholungsrisiko für erneute Straftaten erhöht ist.1 Indessen ist bislang nur wenig darüber bekannt, ob sich eine kontinuierliche pharmakologische Therapie auch auf das Delinquenzrisiko günstig auswirkt. Die meta-analytisch nachgewiesene Wirksamkeit von Stimulanzien bei Kindern mit ADHS und Störungen des Sozialverhaltens2 weist darauf hin, dass sich mit einer medikamentösen Behandlung der ADHS auch die soziale Adaptation verbessern lässt. Die Möglichkeiten, längerfristige Behandlungseffekte auf kriminelles Verhalten in kontrollierten, prospektiven Studien zu untersuchen, sind jedoch begrenzt. Lichtenstein und Mitarbeiter haben vor diesem Hintergrund eine bemerkenswerte Studie vorgelegt, die sich auf die Auswertung schwedischer Registerdaten stützt. In dieser Untersuchung konnten Behandlungsdaten von über 25.000 Personen mit ADHS und Daten aus dem Strafregister der schwedischen Justizbehörden zusammengeführt, analysiert und mit den Daten aus der Allgemeinbevölkerung verglichen werden. Die Hälfte der untersuchten Personen war älter als 24 Jahre, 37 % waren Frauen. In Übereinstimmung mit anderen Studien zeigte sich, dass die Prävalenz von gerichtlichen Verurteilungen sowohl bei Frauen (15,4 %) als auch bei Männern (36,6 %) mit ADHS im Vergleich zur Bevölkerungsstichprobe (2,2 % bzw. 8,9 %) deutlich erhöht war. Als zentrales Ergebnis der statistischen Analysen ist jedoch hervorzuheben, dass sich eine signifikante Assoziation des Risikos für eine Verurteilung mit dem medikamentösen Behandlungsstatus nachweisen ließ. Es konnte gezeigt werden, dass bei Männern mit ADHS in den Zeiträumen, in denen eine medikamentöse Behandlung mit Stimulanzien oder Atomoxetin durchgeführt wurde, das Risiko um 32 % und bei Frauen sogar um 41 % niedriger lag als in Zeiten ohne medikamentöse Behandlung. Auch bei Berücksichtigung einer Reihe von möglichen konfundierenden Einflussfaktoren erwies sich dieser Befund als außerordentlich robust. Eine Senkung der registrierten Verurteilungen wurde dabei sowohl unter Behandlung mit Stimulanzien (34 %), als auch unter der Behandlung mit Nicht-Stimulanzien (26 %) registriert. Ein vergleichbarer Zusammenhang bei der Behandlung mit anderen Psychopharmaka, speziell mit SSRIs, wurde nicht gefunden, was darauf hindeutet, dass es sich um spezifische Behandlungseffekte bei ADHS handelt. Die auf einer soliden Datenbasis aufgebaute Datenanalyse der schwedischen Arbeitsgruppe spricht dafür, dass sich bei Personen mit ADHS durch eine medikamentöse Behandlung das Risiko für strafrechtliche Probleme reduzieren lässt. Die Vermeidung von Straftaten stellt zweifellos nicht nur für den Straftäter und die davon unmittelbar Leidtragenden, sondern – nicht zuletzt unter ökonomischen Gesichtspunkten – auch für die Gesellschaft insgesamt einen enormen Gewinn dar. Obwohl sich bei dem hier gewählten methodischen Zugang letztlich keine kausalen Zusammenhänge klären lassen, liefert die Studie doch starke Argumente dafür, gerade auch im forensisch-psychiatrischen Bereich und im Strafvollzug stärker auf Straftäter mit ADHS zu achten und ihnen eine leitliniengerechte Behandlung einschließlich medikamentöser Maßnahmen zuteilwerden zu lassen. Quellen: 1 Rösler M, Retz W. Z Psychiatr Psychol Psychother 2008; 56:121-132. 2 Connor DF et al. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 2002; 41:253-261. 12 N onpharmacological Interventions for ADHD: Systematic Review and Meta-Analyses of Randomized Controlled Trials of Dietary and Psychological Treatments Edmund J.S. Sonuga-Barke · Daniel Brandeis · Samuele Cortese · David Daley · Maite Ferrin · Martin Holtmann · Jim Stevenson · Marina Danckaerts · Saskia van der Oord · Manfred Döpfner · Ralf W. Dittmann · Emily Simonoff · Alessandro Zuddas · Tobias Banaschewski · Jan Buitelaar · David Coghill · Chris Hollis · Eric Konofal · Michel Lecendreux · Ian C.K. Wong · Joseph Sergeant · European ADHD Guidelines Group · American Journal of Psychiatry 2013; 170(3):275-289. Abstract: Background: Nonpharmacological treatments are available for attention deficit hyperactivity disorder (ADHD), although their efficacy remains uncertain. The authors undertook meta-analyses of the efficacy of dietary (restricted elimination diets, artificial food color exclusions, and free fatty acid supplementation) and psychological (cognitive training, neurofeedback, and behavioral interventions) ADHD treatments. Method: Using a common systematic search and a rigorous coding and data extraction strategy across domains, the authors searched electronic databases to identify published randomized controlled trials that involved individuals who were diagnosed with Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) Mannheim W I S S E N S W E R T U N D K O M M E N T I E R T Studie ADHD (or who met a validated cutoff on a recognized rating scale) and that included an ADHD outcome. Results: Fifty-four of the 2,904 nonduplicate screened records were included in the analyses. Two different analyses were performed. When the outcome measure was based on ADHD assessments by raters closest to the therapeutic setting, all dietary (standardized mean differences=0.21–0.48) and psychological (standardized mean differences=0.40–0.64) treatments produced statistically significant effects. However, when the best probably blinded assessment was employed, effects remained significant for free fatty acid supplementation (standardized mean difference=0.16) and artificial food color exclusion (standardized mean difference=0.42) but were substantially attenuated to nonsignificant levels for other treatments. Conclusions: Free fatty acid supplementation produced small but significant reductions in ADHD symptoms even with probably blinded assessments, although the clinical significance of these effects remains to be determined. Artificial food color exclusion produced larger effects but often in individuals selected for food sensitivities. Better evidence for efficacy from blinded assessments is required for behavioral interventions, neurofeedback, cognitive training, and restricted elimination diets before they can be supported as treatments for core ADHD symptoms. Kommentar: Mittels verschiedener Meta-Analysen von insgesamt 54 randomisierten, kontrollierten Studien untersuchte die Europäische ADHS-Leitliniengruppe, eine internationale, multi-disziplinäre ADHS-Expertengruppe, die Wirksamkeit verschiedener nicht-medikamentöser Behandlungsoptionen auf die ADHSSymptomatik bei betroffenen Kindern und Jugendlichen. Die Ergebnisse der Meta-Analyse zeigten, dass die jeweiligen Beurteiler (Eltern, Lehrer und Ärzte) für alle sechs untersuchten Therapieoptionen im Vergleich zur jeweiligen Kontrollbehandlung durchschnittlich eine signifikante Verminderung der ADHSSymptomatik feststellten, wenn sie wussten, ob die Kinder die zu prüfende Therapie erhielten oder der Kontrollbedingung zugeordnet waren. Die Effekte der verschiedenen Behandlungsoptionen waren deutlich geringer und überwiegend nicht mehr statistisch signifikant, wenn die Effekte von Außenstehenden beurteilt wurden, die nicht wussten, ob die Patienten die Behandlung erhielten. In diesem Fall konnten geringe, aber statistisch signifikante Effekte auf ADHS-Symptome nur für die Nahrungsergänzung mit freien Omega-3-/ Omega-6-Fettsäuren oder dem Verzicht auf künstliche Lebensmittelfarbstoffe (oft bei bestehender Lebensmittelunverträglichkeit) festgestellt werden. Die Meta-Analyse zeigt, dass die Evidenz für die Wirksamkeit nicht- medikamentöser Behandlungsoptionen für die Reduktion der ADHSKernsymptomatik derzeit unzureichend ist. Es ist zu berücksichtigen, dass der fehlende Nachweis der Wirksamkeit dieser Behandlungsoptionen nicht mit dem Nachweis ihrer Nicht-Wirksamkeit auf die ADHS-Kernsymptomatik gleichgesetzt werden darf, da die Ergebnisse von Meta-Analysen auf der Zahl und Qualität der eingeschlossenen Studien und Auswahl der Patienten beruhen und Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit der Interventionen spezifisch für die analysierten Parameter sind und nicht über andere Bereiche, z. B. assoziierte aggressive Verhaltensauffälligkeiten, generalisiert werden dürfen. Auch ist möglich, dass nur bestimmte Interventionen (einer Klasse nicht-pharmakologischer Behandlungsoptionen) wirksam sind und/oder die Interventionen nur für bestimmte Patientensubgruppen wirken. Die Ergebnisse unterstreichen aber, dass die durchschnittliche Wirksamkeit nicht-pharmakologischer Behandlungsoptionen deutlich geringer ist als die Effektivität medikamentöser Interventionen und dass weitere Forschungsanstrengungen zur Entwicklung effektiver non-pharmakologischer Interventionen notwendig sind. Prof. Dr. Jan Buitelaar, Leiter der Psychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie der Radboud University Nijmegen Medical Center (Niederlande) 13 D A S T H E M A Transition: Ohne Stolpersteine ins Erwachsenenalter? Therapieerfolge beibehalten, wenn Jugendliche mit ADHS erwachsen werden ADHS ist eine chronische Erkrankung, die in ca. 60 % der Fälle über das Kindes- und Jugendalter hinaus fortbesteht und weltweit etwa 3,4 % der Erwachsenen betrifft.1,2 Die Erkrankung ist daher mit verschiedenen sowohl system- als auch persönlichkeitsbezogenen Übergängen (Transitionen) verbunden. So ist in vielen Fällen eine Weiterbehandlung der Betroffenen im Erwachsenenalter und damit ein Wechsel vom Kinder- und Jugendarzt oder -psychiater zum Erwachsenenpsychiater oder Hausarzt erforderlich. Auch die Entwicklung vom Kind zum Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen stellt einen Übergangsprozess dar, der sich auf die ADHS-Erkrankung und -Therapie auswirken kann. Unterschiedliche Faktoren, wie das verstärkte Autonomiebestreben in der Pubertät, die Veränderung der ADHS-Symptomatik oder Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit zwischen der Kinder- bzw. Jugend- und der Erwachsenenmedizin können die Transitionen erschweren und damit auch den Therapieerfolg beeinträchtigen. D er Begriff Transition geht auf den TransitionsAnsatz des amerikanischen Psychologen Philip Cowan zurück, der diesen in den 90er-Jahren entworfen hat, um Übergänge in der Entwicklung von Familien zu analysieren.3 Jede markante Veränderung, die das Kind oder den Jugendlichen betrifft, wie der Eintritt eines Kindes in das Jugend- bzw. Erwachsenenalter, das Ende der Schulzeit und der Beginn einer Ausbildung oder der Auszug aus dem Elternhaus, stellt an alle Beteiligten hohe Anforderungen. Dabei ändern sich nicht nur die Bedürfnisse und Erwartungen des Kindes bzw. Jugendlichen (Abb. 1). Auch die familialen Beziehungen und nicht zuletzt die Beziehung zwischen behandelndem Arzt und Patient verändern sich mit zunehmender Selbstständigkeit der Betroffenen. Abbildung 1: Life Transition Model: Ressourcen und funktionelle Anforderungen bei ADHS im Lebensverlauf Funktionelle Anforderungen Intensität Externe Unterstützung Kleinkindalter junges späteres Adoleszenz Erwachsenenalter Erwachsenenalter Modifiziert nach19 In der Medizin bezeichnet der Begriff Transition meist den geplanten Übergang von Kindern oder jungen Erwachsenen mit chronischen Erkrankungen in die Gesundheitsversorgung für Erwachsene.4 Nach den Daten des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) haben in Deutschland rund 14 % aller Kinder 14 D A S und Jugendlichen speziellen Versorgungsbedarf.5 Die Betroffenen benötigen eine adäquate medizinische Behandlung, unter Berücksichtigung der physischen, sozialen, emotionalen oder kognitiven Beeinträchtigungen, die in vielen Fällen auch im Erwachsenenalter fortgeführt werden muss. Ein erfolgreicher Transitionsprozess von der kinder- und jugendmedizinischen Versorgung zum Erwachsenen-Gesundheitssystem muss strukturiert, flächendeckend, patientenorientiert und flexibel verlaufen, damit eine Fehl- und Unterversorgung verhindert werden kann.6 Weiterbehandlung bei vielen Erwachsenen mit ADHS notwendig Erst seit einigen Jahren wird zunehmend anerkannt, dass auch Jugendliche mit ADHS zu der Gruppe von Patienten zählen, die bei der Transition besonders berücksichtigt werden muss. ADHS persistiert in der Mehrzahl der Fälle bis ins Erwachsenenalter.1 Die Häufigkeit der Erkrankung bei Erwachsenen liegt weltweit bei rund 3,4 %.2 Für die psychiatrische ambulante Versorgung schätzen Studien aus England, Irland und Mexiko die Prävalenz sogar auf bis zu 24 %.7,8,9 Während im Kindesalter das Verhältnis zwischen betroffenen Jungen und Mädchen bei 3 : 1 liegt, nimmt der Geschlechtsunterschied im Erwachsenenalter deutlich ab (1,5 : 1).10 T H E M A chiater bzw. Kinder- und Jugendärzte mit den weiterbetreuenden Erwachsenenpsychiatern oder Hausärzten idealerweise eng zusammen. „Bereits bevor der Patient in die Praxis kommt, sollten Krankheitsgeschichte, bisherige Medikation, Absetzversuche und dokumentierter Behandlungserfolg in schriftlicher Form vorliegen”, beschreibt Dr. Thomas Bauer, Leitender Oberarzt Psychiatrie, KKH Rudolf-Virchow, Glauchau. Voraussetzung hierfür ist, dass die Zustimmung des Patienten für die Weitergabe der Informationen vorliegt. „Ganz entscheidend sind Testergebnisse, die ja in der Kinder- und Jugendpsychiatrie oft sehr umfangreich erstellt werden. Das erleichtert die weitere Behandlung ungemein und man kann dann Medikamente, mit denen die Patienten bisher sehr gut zurechtgekommen sind, wie Methylphenidat und Atomoxetin, auch im Erwachsenenalter weiter verordnen. Da ist die Vorarbeit des Kinder- und Jugendpsychiaters ungeheuer nützlich.” Das bestätigt auch Dipl.-Med. Cornelia Stefan, Chefärztin Kinder- und Jugendpsychiatrie, Heinrich-Braun-Klinikum, Zwickau: „Es ist immer günstig, wenn man den Ansprechpartner kennt und einfach zum Telefon greifen kann, um den Patienten anzukündigen.” Regionaler Austausch zwischen Kinder- bzw. Jugend- und Erwachsenenmedizin ADHS kann unbehandelt auch im Erwachsenenalter Auch interdisziplinär wird die Problematik der Transitizu schwerwiegenden Beeinträchtigungen in verschieon zunehmend erkannt. „In Zwickau treffen sich redenen Lebensbereichen führen, wie Befunde untergelmäßig niedergelassene Psychologen und Kinderschiedlicher Studien in verschiedenen Populationen bzw. Jugendtherapeuten sowie klinisch tätige Psynahelegen. So ist die Erkrankung in vielen Fällen mit chiater und ambulante Dienste. In dem neu entstandeeinem niedrigen Bildungsniveau, beruflichen Problemen, nen ‚Netzwerk ADHS’ wird sowohl für Kinder und JuSchwierigkeiten mit sozialen Beziehungen und Beeingendliche als auch für den Erwachsenenbereich diskuträchtigungen der psychischen Gesundheit assoziiert.11 tiert, was hier in der Region angeboten wird und wie Das Risiko für Alkohol- und Drogenmissbrauch bei der Kontakt hergestellt werden kann”, beschreibt Steunbehandelten Betroffenen ist deutlich erhöht.12 Vor fan. Dabei finden zusätzlich gemeinsame Fortbildundiesem Hintergrund empfehlen viele deutsche und ingen der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und den ternationale Fachgesellschaften (z. B. NICE; Experten- Erwachsenenkliniken im Umland statt, an denen klikonsensus mit Unterstützung der DGPPN) gegebenen- nisch tätige Psychiater und niedergelassene Erwachfalls eine Weiterbehandlung im Erwachsenenalter und senenpsychiater teilnehmen, die den regelmäßigen damit die Transition von der Kinder- und Jugend- zur Austausch begrüßen. Erwachsenenversorgung.13,14 In der Praxis zeigt sich allerdings, dass die erfolgreiche Umsetzung dieses Symptomwandel und Komorbiditäten können zur Übergangs häufig schwierig ist und eine Versorgungs- Unterschätzung der Therapienotwendigkeit führen lücke entstehen kann.15 Mit dem Erwachsenwerden verändert sich die ADHSSymptomatik. So nimmt mit zunehmendem Alter die Wie erfolgt die ideale Transition in der Praxis? nach außen sichtbare Hyperaktivität in der Regel ab, Bei der Transition arbeiten Kinder- und Jugendpsywährend die Unaufmerksamkeit in den Vordergrund 15 D A S T H E M A tritt. Zu den charakteristischen Merkmalen kommen bei erwachsenen Betroffenen in vielen Fällen weitere Symptome wie Desorganisiertheit, emotionale Überreaktionen, mangelnde Stresstoleranz und Störungen der Affektkontrolle hinzu. Darüber hinaus ist die Erkrankung bei Erwachsenen mit einem hohen Risiko für komorbide psychiatrische Störungen assoziiert: In Untersuchungen wurden Depressionen in 18 bis 31 % der Fälle oder Angststörungen in 43 bis 52 % der Fälle gefunden.12,16 Durch den Symptomwandel und die häufigen Komorbiditäten können die Kernsymptome einer ADHS verdeckt und die Notwendigkeit einer Behandlung von allen Beteiligten unterschätzt werden. Pubertät ist mit Volljährigkeit meist noch nicht abgeschlossen Ein weiterer Punkt, der eine erfolgreiche Transition in die Erwachsenenversorgung gefährden kann, ist die Tatsache, dass die Pubertät mit Erreichen der Voll16 Abbildung 2: Zeit bis zum Abbruch der ADHS-Therapie 90 80 70 60 Anteil in % Behandlungsabbruch in der Pubertät ist die Regel und nicht die Ausnahme Auch durch ein verstärktes Autonomiebestreben der Betroffenen in der Lebensphase der Pubertät kann der Therapieerfolg beeinträchtigt werden. Die Jugendlichen wollen selbst über ihre Therapie entscheiden und lehnen diese häufig aus Protest gegenüber den Eltern ab. „Dies reflektiert die hohe Abbruchrate der Behandlung in dieser Übergangszeit”, beschreibt Bauer. Nach einer Analyse der Daten der Techniker Krankenkasse beendeten rund 60 % der Betroffenen (66,3 % Mädchen, 54,1 % Jungen), die bei der ADHS-Diagnose überwiegend im Alter zwischen sechs und elf Jahren waren, die Behandlung innerhalb von zwei Jahren nach dem Therapiebeginn (Abb. 2).17 „Der Behandlungsabbruch ist in der Pubertät eher die Regel, als dass er die Ausnahme ist”, bestätigt Bauer. „Viele Patienten kündigen den Therapieabbruch bereits frühzeitig an”, berichtet Stefan. In der Praxis geht Stefan in diesen Fällen pragmatisch vor, indem sie weder widerspricht noch moralisiert, sondern die Patienten vor und nach dem Absetzen der Medikation ihr Funktionsniveau selbst anhand eines Fragebogens bzw. der Conners-Skala bewerten lässt. „Ich erlebe die Patienten dabei als relativ kooperativ. Sie können so sehen, wo sie mit und ohne Medikamente stehen. Das verbessert auch die Compliance. Denn wenn sie merken, dass es ihnen ohne Medikation doch nicht so gut geht, haben sie wieder mehr Motivation, die Behandlung fortzusetzen.” „Meine Erfahrung bei diesen Patienten ist, dass sie nach drei oder vier Jahren, spätestens mit 25 wiederkommen, wenn sie sich in einer längeren Partnerschaft befinden oder es wichtig für ihren Beruf wird”, ergänzt Bauer. Die meisten Patienten waren im Alter zwischen 6 und 11 Jahren (68,5 %), 8,7 % waren jünger als 6 Jahre. 50 40 Innerhalb von 6 Monaten, 12 Monaten bzw. 24 Monaten brachen 22,4 %, 43,4 % bzw. 66,3 % der behandelten Mädchen und 17,8 %, 36,1 % bzw. 54,1 % der Jungen die Therapie ab. 30 20 10 0 0 6 Modifiziert nach17 12 18 24 30 36 Zeit bis zum Therapieabbruch (Monate) 42 46 D A S jährigkeit meist noch nicht abgeschlossen ist. Bei den jungen Erwachsenen stehen oppositionell-aggressives Verhalten, altersspezifische Beziehungskrisen, emotionale Instabilität, Suchtproblematik und Leistungsverweigerung häufig im Vordergrund und können die Fortführung der ADHS-Therapie erschweren. Hinzu kommt, dass aufgrund des neuen Rollenverständnisses der 18-Jährigen der Wunsch nach Selbstbestimmung weiter zunimmt. Gleichzeitig möchten sie sich durch die Diagnose einer ADHS nicht von ihrer Altersgruppe ausgrenzen und stellen die Diagnose in Frage.18 T H E M A von den Betroffenen selbst nicht mehr als Unterstützung gewünscht (Abb. 1). Die jungen Erwachsenen müssen deshalb lernen, Verantwortung für ihre Behandlung zu übernehmen und sich die dazu notwendige Kompetenz aneignen, während andererseits die Eltern lernen müssen, Verantwortung abzugeben. Um funktionelle Einbrüche zu verhindern, sollte nach dem Life Transitional Model (Abb. 1) möglichst bereits ab einem Alter von 14 Jahren begonnen werden, gemeinsam mit dem Patienten geeignete Lösungsstrategien zu entwickeln.19 So kann es beispielsweise sinnvoll sein, dem Jugendlichen früh Verantwortung für die Therapie oder Medikation zu übergeben, damit er später, wenn er selbst für sich sorgen muss, auch besser dazu in der Lage ist. In dieser schwierigen Phase stehen sie zudem vor der Herausforderung, einen weiterbehandelnden Arzt zu finden und mit ihm eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung aufzubauen. „In der Regel leiten die betreuenden Kinder- und Jugendpsychiater die TranBeide Experten sind sich jedoch einig, dass bei guten sition daher bereits bei den 17-Jährigen ein und spreFamilienverhältnissen während des Übergangs die chen den Übergang mit den Eltern ab”, erklärt Stefan. Eltern noch weitgehend in die Behandlung eingebun„Zudem haben wir die Möglichkeit, die Betroffenen bis den werden sollten, um den jungen Erwachsenen Sizum 21. Lebensjahr auch in der kinder- und jugendcherheit zu bieten. „Natürlich wird mit den Patienten psychiatrischen Ambulanz zu behandeln. Wenn wir dies vorab geklärt, ob sie damit einverstanden sind, dass ausreichend begründen, wird das von den Kassen in den die Eltern noch mitentscheiden dürfen”, betont Stefan. meisten Fällen übernommen.” Auch Bauer plädiert für Bei problematischen Familienverhältnissen besteht die einen weicheren Übergang: „Wir würden die ADHSMöglichkeit, ein Betreuungsverfahren familiengerichtPatienten gerne erst im Alter von 25 Jahren übernehlich einzuleiten, so dass den Betroffenen mit Erreichen des 18. Lebensjahres ein Betreuer zur Seite steht. Damen, d. h. in einem Alter, in dem die Pubertät neurobei ist nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches biologisch betrachtet abgeschlossen ist. Im Umgang Hilfe zur Erziehung und Eingliederungshilfe bis zum 27. mit pubertären Problematiken weisen Kinder- und Jugendpsychiater meist bessere Erfahrungen auf, wäh- Lebensjahr möglich.20 rend Erwachsenenpsychiater häufig unzureichend auf die Pubertierenden vorbereitet sind.” Ein weiteres „Besonders gelungen ist eine Transition dann, wenn Problem ist, dass es in vielen Teilen Deutschlands man nach der Übergabe an den Erwachsenenpsychianicht genügend Erwachsenenpsychiater gibt, die sich ter oder Hausarzt nichts mehr von dem Patienten hört”, mit ADHS beschäftigen. Das führt für die Patienten zu erläutert Stefan. Sowohl Stefan als auch Bauer betonen langen Fahrtstrecken und Wartezeiten. Häufig müssen noch einmal die Bedeutung einer engen Zusammenarsie länger als ein halbes Jahr auf einen ersten Termin beit in der Phase des Übergangs: „Es ist immer günstig, warten, was die Transitionsphase zusätzlich erschwert. wenn man mal den Telefonhörer in die Hand nimmt, um die wichtigsten Informationen auszutauschen.” Auch Einbindung von Bezugspersonen bietet Sicherheit wenn manche Netzwerke aufgrund der Arbeitsfülle aller Während die funktionellen Anforderungen an die PaBeteiligten zeitweise wieder in den Hintergrund treten, tienten beim Übergang zum Erwachsenenalter größer sind sie sich darin einig, dass es insgesamt eine positive werden, stehen die Eltern als unterstützende Ressour- Entwicklung bei der Vernetzung der behandelnden ce nicht mehr im gleichen Ausmaß zur Verfügung oder Ärzte und Einrichtungen gibt. werden aufgrund des erhöhten Autonomiebestrebens Quellen: 1 Canadian Attention Deficit Hyperactivity Resource Alliance (CADDRA). Canadian ADHD Practice Guidelines. 2011. 2 Fayyad J et al. Br J Psychiatry 2007; 190:402-409. 3 Cowan P. In: Cowan P, Hetherington M (Hg.). Family transitions: Advances in family research. Band 2. Hillsdale: Lawrence Erlbaum 1991:3-30. 4 Viner R. Arch Dis Child 1999; 81: 271-275. 5 Scheidt-Nave C et al. Prävalenz und Charakteristika von Kindern und Jugendlichen mit speziellem Versorgungsbedarf im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 2007; 50:750-756. 6 Reincke M, Zepp F (Hg.). Medizinische Versorgung in der Transition. Spezielle Anforderungen beim Übergang vom Kindes- und Jugendalter zum Erwachsenenalter. Report Versorgungsforschung Band 5. Deutscher Ärzteverlag 2012. 7 Rao P, Place M. Prog Neurol Psychiatry 2011; 15:7-11. 8 Montes LGA et al. J Atten Disord 2007; 11:150-156. 9 Syed H et al. Ir J Psych Med 2010; 27:195-197. 10 Philipsen A. Pharma-Fokus ZNS 2012; 9:40. 11 Brod M et al. Qual Life Res 2012; 21:795-799. 12 Davidson MA. J Atten Disord 2008; 11:628-641. 13 NICE: Attention deficit hyperactivity disorder: diagnosis and management of ADHD in children, young people and adults. Clinical Guideline 72. London: National Institute for Health and Clinical Excellence 2008. 14 Ebert D et al. Nervenarzt 2003; 10:939-945. 15 Marcer H et al. Child Care Health Dev 2008; 34:564-566. 16 Kessler RC et al. Am J Psychiatry 2006; 163:716-723. 17 Garbe E et al. J Child Adolesc Psychopharmacol 2012; 22:452-458. 18 Williamson P et al. Qual Health Res 2009; 19:352-365. 19 Turgay A et al. J Clin Psychiatry 2012; 73:192-201. 20 Sozialgesetzbuch VIII: Kinder- und Jugendhilfe. § 41 und einschlägige Vorschriften Vierter Abschnitt des Zweiten Kapitels. Online abrufbar unter www.sozialgesetzbuch-sgb.de (Stand: 01.08.2013). 17 I N D E R D I S K U S S I O N Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm Wenn auch die Eltern von ADHS betroffen sind Die genetische Komponente von ADHS legt in vielen Fällen nahe, dass bei einem Kind mit ADHS zumindest ein Elternteil ebenfalls betroffen ist. Wie es zur Diagnosestellung bei den Eltern kommt, welche Auswirkungen die ADHS der Eltern auf den Therapieerfolg des Kindes haben kann und welche Herausforderungen sich daraus für die tägliche Praxis der Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. -medizin ergeben, erörterten die Berliner Experten Dr. Gerrit Scherf, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und Dr. Jakob Hein, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, im Zwiegespräch. Dr. Jakob Hein (Berlin) Dr. Gerrit Scherf (Berlin) ? Wie häufig kommt es Ihrer persönlichen Einschät- ? Wie kommt es in der Regel zur Diagnosestellung bei zung nach vor, dass ein oder beide Elternteile von betroffenen Eltern? Kindern mit ADHS ebenfalls von der Erkrankung Hein: Das ist ein ganz klassischer Verlauf. Die Kinder betroffen sind? werden aufgrund ihrer Symptomatik diagnostiziert und Hein: Ich gehe davon aus, dass rund ein Drittel der Eldie Eltern erkennen sich und ihre Vergangenheit in den tern von Kindern mit ADHS selbst betroffen ist. Dabei beschriebenen Problematiken wieder. Häufig höre ich sehe ich keine Unterschiede, was die Häufigkeit in Be- Aussagen wie: „Ich habe mich über ADHS informiert zug auf das Geschlecht betrifft. Bei Vätern ist es meis- und was ich gelesen habe, klingt, als sei dort meine tens lediglich einfacher zu sehen, da hier häufiger eine Biographie beschrieben.” In der Kinder- und Jugendausgeprägte impulsive Komponente besteht. psychiatrie ist zwar das Kind der Ausgangspunkt, aber Scherf: Allerdings sind die wenigsten der betroffenen das eröffnet mir die Möglichkeit, auch mit den Eltern Eltern bereits diagnostiziert, geschweige denn behanüber ihre eigenen Problematiken zu sprechen. Das gedelt. Viele Eltern stellen sich bei uns sogar auf Anraten hört absolut zu meiner Routine. von kinder- und jugendpsychiatrischen Kollegen vor, bei denen die betroffenen Kinder in Behandlung sind. ? Was sind die typischen Anzeichen, die sich im GeHein: Dazu kommt, dass nicht selten beide Elternteispräch mit den Eltern zeigen und die auf eine möglile betroffen sind. Betroffene mit ADHS finden immer che ADHS der Eltern hinweisen? wieder in Partnerschaften zusammen, weil beide flipHein: Auffällig ist manchmal die Art und Weise, in der die pig sind und gute Ideen haben und nicht immer nach Mutter die Probleme ihres Kindes beschreibt. Die Aus„Schema F” vorgehen. Wenn beide Elternteile prädisführungen sind oft recht schillernd und auch ein bisschen poniert sind, erhöht das natürlich die Wahrscheinlichassoziativ gelockert, wie wir sagen, oder sie springt in ihkeit, dass auch die Kinder betroffen sind. ren Beschreibungen von einem Punkt zum anderen. 18 I N D E R D I S K U S S I O N Scherf: Manchmal springt einem im Gespräch auch die Hein: Außerdem kann sich die Erkrankung der bemotorische Unruhe eines Elternteils deutlich ins Auge. troffenen Eltern auch negativ auf die unterstützenden Diese drückt sich anders aus als bei den Kindern, ich Maßnahmen für die Kinder auswirken. Gerade das sage mal „sozial angepasst”. Aber irgendetwas ist Einhalten von Terminen oder auch, um 18 Uhr noch immer in Bewegung: ein Ring, an dem gespielt wird, aufnahmefähig für ein Elterntraining zu sein, fällt den ein Stift, der kreist, Zeichnungen, die parallel passieBetroffenen schwer. Das sind alles zusätzliche Hürden ren, usw. Das ist dann nicht so offenkundig wie bei bei der Therapie. Dennoch gibt es auch positive dem Kind, aber ich spreche das durchaus an. Teilweise Aspekte, wie Dr. Scherf schon anmerkte. Wenn sich bemerke ich auch eine erhöhte Ablenkbarkeit beim die Eltern, mit all ihren eigenen Problemen, auch als Gespräch, z. B., wenn draußen Lärm ist. Dies sind Teil der Lösung sehen, kann sich das durchaus positiv einfach kleine Hinweise. auf den Therapieerfolg auswirken. Hein: Wenn zusätzlich ein Elternteil betroffen ist, ? Welche Unterschiede sehen Sie bezüglich der Therapiekommt im Gespräch mit der Familie häufig eine bestimmte Dynamik auf. Da bemerkt man ganz schnell, möglichkeiten für betroffene Erwachsene und Kinder? dass hier nicht nur einer ein Problem mit Struktur und Hein: Ein großer Unterschied besteht sicherlich in den Impulsivität hat, sondern dass sich hier gerade zwei verfügbaren Therapieoptionen. Für Kinder mit ADHS hochschaukeln. besteht ein starkes Netzwerk. Ergo- und psychotherapeutische Einrichtungen spielen da eine große Rolle, ? Inwieweit kann die ADHS der Eltern Auswirkungen ebenso wie Hilfen und Entlastungsmöglichkeiten in der auf den Therapieerfolg der Kinder haben? Schule. All das ist so oder in vergleichbarer Form für Scherf: Hier spielt die gerade angesprochene Dynamik die Erwachsenen kaum vorhanden. in den Familien eine wichtige Rolle. Da sind einfach Scherf: Gerade auch, wenn es um die medikamentözwei oder mehr Betroffene, die sich gegenseitig hochse Behandlung geht, gibt es gewaltige Unterschiede. pushen und dann kommt eines zum anderen. Das wird Lange war nur ein Medikament für Erwachsene zugedann sehr sensibel wahrgenommen, falsch verstanden, lassen. Zudem gibt es kaum Psychiater oder Psychoes wird zurück ausgeteilt, dann ist jemand beleidigt – therapeuten, die sich mit ADHS im Erwachsenenalter das ist wie Sprengstoff. auskennen. Das Problem ist auch, dass in der AusAndererseits besteht aber auch eine hohe Empathiebildung zum Erwachsenenpsychiater keine Pädiatrie fähigkeit vonseiten der Eltern, was wieder positive vorgesehen ist. Kinder- und Jugendpsychiatrie ist Auswirkungen haben kann. fakultativ und sonst gibt es noch die Neurologie, in Hein: Natürlich gibt es positive Konstellationen, in der ADHS allerdings kein Thema ist. denen Eltern und Kind gemeinsam spontan sind und auch mal etwas Flippiges unternehmen. Häufig stellt ? Sie haben schon das Thema Netzwerke angesproes aber ein Problem dar, dass die Eltern den Kindern chen. Inwiefern gibt es Kooperationen zwischen Kinbei Dingen helfen müssen, die ihnen selbst schwer der- und Jugendmedizinern und den Kollegen im Erfallen. Gerade die Impulsivität kann sich sehr negativ wachsenenbereich? auswirken. Kinder mit ADHS profitieren am stärksten Hein: Unsere Praxisgemeinschaft besteht aus zwei von einer klaren Struktur der Eltern sowie davon, dass Erwachsenen- und zwei Kinder- und Jugendpsychiadie Eltern auch mal tief durchatmen und das Kind dazu tern. Die Eltern finden das wunderbar. Wir versuchen, motivieren, etwas noch einmal von vorne zu probiedie Termine so zu koordinieren, dass die Eltern bei uns ren. Aber genau das können betroffene Eltern oft nur zum gleichen Zeitpunkt wie ihre Kinder therapeutisch schwer bieten. versorgt werden. Das nimmt den Familien ein wenig Auch die Eltern leiden mit und geraten in Mühlen, von dem Termindruck und klappt in der Regel auch wenn sie den Tag nur als ein riesiges Monstrum zu sehr gut. bewältigender Aufgaben wahrnehmen, ohne die Scherf: So eine Kooperation stellt momentan sicherMöglichkeit, auch mal selbst zu entspannen oder Zeit lich das Optimum dar. Im Allgemeinen sehe ich die Befür sich zu haben. Gemeinsame Freizeitbeschäftigunreiche nicht so gut verzahnt. Es gibt vereinzelt Koopegen, welche die Familiensituation entspannen könnten, rationen, auch im Übergangsbereich vom Jugend- ins bleiben da häufig auf der Strecke. Erwachsenenalter, aber von einer flächendeckenden Scherf: Das stimmt. Ich sage es mal ganz salopp: Die Vernetzung kann hier nicht gesprochen werden. In der Verpeiltheit der Eltern geht auf Kosten der Ressourcen. Regel haben die Erwachsenenpsychiater fast keinen Abends ist dann nicht mehr viel los, die Eltern wollen Einblick in das, was die Kinder- und Jugendpsychiatrie ihre Ruhe haben und die Situation wird durch die Gemacht. Hier muss sich noch einiges bewegen. reiztheit der Eltern eher noch verschärft. 19 R E G I O N D E R A U S S T I M M E N A M R U N D E N T I S C H Was ist für eine erfolgreiche Weiterbehandlung bei ADHS erforderlich? Erfahrungsaustausch in Koblenz „Die Transition stellt im psychiatrischen Bereich häufig ein nicht zu unterschätzendes Problem dar”, eröffnete Diskussionsleiter Dr. Matthias Bender, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (Weilmünster) die Gesprächsrunde in Koblenz. Am siebten Runden Tisch der „Perspektive ADHS” diskutierten Dr. Michael Bornheim, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (Marienheide), Dr. Jürgen Fleischmann, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Psychotherapie (Sinzig), Dr. Brigitte Pollitt, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychiatrie und -psychotherapie (Neuwied) und Dr. Matthias Rudolph, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Rehabilitationswesen (Boppard) darüber, wie der Übergang von Patienten mit ADHS aus dem kinder- und jugendmedizinischen in den erwachsenenmedizinischen Bereich erfolgen kann, welche Probleme sich dabei stellen und welche Behandlungsmodifikationen nötig werden können. Dr. Matthias Bender (Weilmünster) „In Bezug auf Forschungs- und Lösungsansätze beim Übergang von Kindern und Jugendlichen in die Erwachsenenmedizin besteht definitiv Nachholbedarf”, führte Bender weiter aus. Denn ADHS besteht in vielen Fällen – wenn auch mit veränderter Symptomatik – ins Erwachsenenalter fort. Die Fortführung einer unter Umständen weiterhin erforderlichen ADHS-Behandlung in diesem Abschnitt stellt eine große Herausforderung dar. Die aktuelle Übergangsregelung entspricht nicht den Ansprüchen der Realität Einig war sich die Expertenrunde darin, dass die Regelung zum Übergang der ADHS-Patienten vom Kinder- und Jugendpsychiater oder -arzt ab einem Alter von 18 Jahren aus neurobiologischen Gesichtspunkten nicht haltbar ist. Pollitt erklärte: „Die Hirnentwicklung kann bis ins 26. Lebensjahr andauern, weshalb noch viele Veränderungen möglich sind. Es ist wichtig, den Patienten in diesem Stadium des Übergangs klarzumachen, dass man von Jahr zu Jahr schauen muss und keine festen Prognosen abgeben kann.” 20 Dr. Brigitte Pollitt (Neuwied) Dr. Michael Bornheim (Marienheide) Dr. Matthias Rudolph (Boppard) Dr. Jürgen Fleischmann (Sinzig) Pollitt fügte an: „In dieser Situation spielt die Realitätswahrnehmung der jungen Patienten, die sich teilweise erheblich von der Wahrnehmung ihres Umfelds unterscheidet, eine große Rolle. Auch mit 18 sind die Jugendlichen ja meistens noch nicht so reif, wie erwartet wird. Daher muss zum einen eine Korrektur des Blickwinkels erfolgen, zum anderen darf aber das Autonomiebestreben der jungen Patienten nicht aus den Augen verloren oder grob missachtet werden. Schafft man diesen Spagat nicht, führt dies häufig zum Abbruch der Therapie.” Auch Rudolph sprach sich für einen multimodalen Ansatz aus: „Gerade beim Thema Transition und junge Erwachsene dürfen wir auf keinen Fall die Psychoedukation vernachlässigen. So verlässt z. B. niemand nach der ersten Sitzung meine Praxis mit einem Rezept. Stattdessen bekommen die Patienten den Auftrag, persönliche Ziele, die unter der Therapie erreicht werden sollen, zu notieren. Bei der nächsten Sitzung werden diese dann besprochen und im weiteren Verlauf kann dann eine speziell auf die Bedürfnisse des Patienten ausgerichtete medikamentöse Therapie begonnen werden.” Insgesamt noch zu wenig Bewegung? Obwohl die Vernetzung der Behandler fachübergreifend zuzunehmen scheint, kann noch nicht von der großen Trendwende gesprochen werden. „Eine Telefonaktion verschiedener ADHS-Selbsthilfegruppen, bei der niedergelassene Ärzte und Psychiater zu ihren Kapazitäten und Wartezeiten befragt wurden, offenbarte, dass es immer noch niedergelassene Kollegen gibt, die ADHS-Patienten kategorisch ablehnen. Frei nach dem Motto: ‚Wollen wir nicht, haben wir nicht, kriegen wir nicht.’”, berichtete Rudolph. Diese Aussage scheint die Gesamtsituation gut abzubilden. Bornheim führte weiter aus: „Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich in den 13 Jahren, seit ich das erste Mal mit dem Thema ADHS im Erwachsenenalter in Berührung gekommen bin, nicht sehr viel bewegt hat.” Pollitt merkte jedoch an: „Es gibt in meiner Region immer mehr niedergelassene Fachärzte, die sich auch bezüglich ADHS weiterbilden und bereit sind, medikamentöse Behandlungen vorzunehmen.” Dadurch stiegen auch die Chancen einer erfolgreichen Transition. „Es geht darum, den Kollegen Mut zu machen. Am Anfang muss ein bisschen Arbeit investiert werden, aber nach erfolgter Einstellung läuft es dann in der Regel sehr gut für die und mit den meist hochmotivierten ADHS-Patienten in einer Behandlungspartnerschaft”, schloss Bender die Runde. R E G I O N Die Bedeutung von Netzwerken Sucht der behandelnde Kinder- und Jugendarzt im Rahmen einer Transition nach weiterbehandelnden Kollegen, offenbart sich die große Bedeutung eines gut funktionierenden, interdisziplinären Netzwerkes. Bender führte an, dass der Austausch nicht nur auf der fachlichen Seite, sondern auch zwischen Betroffenen, Angehörigen und Organisationen stattfinden müsse. So seien Arbeitsgemeinschaften, bei denen die Vertreter der verschiedenen Fachdisziplinen zusammenkommen, extrem hilfreich. Aber auch Selbsthilfegruppen seien in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen, wie Bornheim betonte: „Ich denke, es ist ein gangbarer Weg, über die Selbsthilfegruppen ein anderes Bewusstsein zu schaffen. Das ist wirklich ein spannender Aspekt, besonders, da kein anderes psychiatrisches Krankheitsbild so lange in der Öffentlichkeit diskutiert wurde wie ADHS.” D E R Psychoedukation als wichtiger Bestandteil einer multimodalen Therapie „Für einen erfolgreichen Übergang sollten die Weichen möglichst frühzeitig gestellt werden”, bestätigte Fleischmann. Psychoedukation könne als vorbereitende Maßnahme zur Transition einen entscheidenden Beitrag leisten und solle im Idealfall vor der Medikation erfolgen, da sonst das Risiko für einen Therapieabbruch steige: „Wir behandeln Menschen, die ein Problem damit haben, in unserer heutigen Gesellschaft zu existieren und wollen ihnen dabei helfen, ihren Platz und ihren Weg zu finden. Dafür vermitteln wir ihnen frühzeitig die richtige Einstellung zu sich und ihrer Problematik und geben erst im Anschluss ein Medikament. Auf diese Weise steigt die Akzeptanz der Therapie enorm. Das ist in meinen Augen der entscheidende Faktor. Somit werden die Weichen für eine gelingende Transition bereits früh, spätestens mit 14 bis 15 Jahren, gestellt.” T I S C H A U S Trotz der vielen Diskussionen zur Transition und den zahlreichen Fort- und Weiterbildungen für weiterbehandelnde Ärzte gibt es nach Meinung der Experten bisher wenig wirklich funktionierende, fachübergreifende Brücken. „Im Grunde genommen müssen wir uns noch viel intensiver diesen Übergängen, mit all ihren diagnostischen und differentialdiagnostischen Herausforderungen, die die Adoleszenz mit sich bringt, stellen. Die Transition muss eigentlich schon in der Pubertät beginnen. Denn das ist die Phase der Autonomieentwicklung und der Bildung sozialer, sexueller, beruflicher und familiärer Identität”, so Bender. R U N D E N S T I M M E N A M 21 I N D I V I D U E L L E F A L L Therapieziel Lebensqualität Der Fall des Herrn U.* aus Mannheim S T I M M E N A U S D E R R E G I O N D E R 22 D ie Empfehlung zur Diagnostik in unserer Spezialambulanz erhielt Herr U.* im Alter von 23 Jahren von seiner Psychotherapeutin. Eine ambulante Verhaltenstherapie hatte er Dr. Oliver Hennig, Facharzt für aufgrund einer leichten DepresPsychiatrie und Psychotherapie, sion begonnen, die unter der Spezialambulanz und ArbeitsBehandlung und mehr Sport gruppe ADHS im Erwachsenenalter, Zentralinstitut für Seelische bereits nahezu remittiert war. In Gesundheit (ZI) Mannheim der Anamnese war von Herrn U. zu erfahren, dass er häufig zu schnell arbeitete und ihm deshalb Fehler unterliefen. Überdauernd las der Patient langsam und musste oft von vorn beginnen, da er das Gelesene rasch vergessen hatte. Herr U. berichtete auch über große Probleme, Aufgaben anzugehen, die ihn wenig interessierten. Weiter bestanden dauernde Getriebenheit, Unfähigkeit zu entspannen sowie Einschlafstörungen und unerholsamer Schlaf. Am meisten litt der Patient unter ausgeprägten, kurzfristigen Stimmungsschwankungen. Hierzu erklärte Herr U., dass er sich schnell und intensiv für etwas begeistern könne, aber auch schnell frustriert, traurig oder wütend sei. Dies führe oft zu Überreaktionen, die ihm danach leidtaten. Die Freundin des Patienten bestätigte die beschriebene Unruhe, Ungeduld und das aufbrausende Temperament, während ihr die Unaufmerksamkeit weniger aufgefallen war. Die folglichen Alltagsbeeinträchtigungen fielen am Arbeitsplatz schon lange auf, wurden aber aufgrund der hohen Einsatzbereitschaft des Patienten toleriert. Subjektiv im Vordergrund standen Beeinträchtigungen in der Partnerschaft sowie im persönlichen Bereich. Bereits in der Kindheit war Herr U. laut seiner Mutter aufgedreht und unruhig. Seine schulischen Leistungen waren wechselhaft, er hat oft den Unterricht gestört, seine Mitschüler geärgert und Probleme mit Lehrern gehabt. Entsprechende Hinweise auf Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität fanden sich auch in den Zeugniskommentaren der Grundschule. Erweiterte Diagnostik Zur erweiterten ADHS-Diagnostik prüften wir die diagnostischen Kriterien nach ICD-10 mit der Fremdbeurteilungsskala ADHS-DC und der ADHS-SB als entsprechendem Selbstbeurteilungsbogen. Die Symptome in der Kindheit wurden rückblickend durch den Patienten mit der Kurzform der Wender Utah Rating Scale erhoben, die aktuellen exekutiven Störungen mit den Brown ADD Scales. Schließlich führten wir das strukturierte Wender-Reimherr-Interview zur Beurteilung der im Erwachsenenalter wichtigen Symptome wie Desorganisation und emotionale Dysregulation durch. Nach Ausschluss anderer psychiatrischer Erklärungen und somatischer Ursachen mittels internistisch-neurologischer Untersuchung, Labor, ambulanter Schlaf-Polygraphie, EEG und cMRT stellten wir die Diagnose einer im Erwachsenenalter persistierenden ADHS vom kombinierten Subtyp (ICD-10: F90.0). Behandlungserfolg unter Atomoxetin Aufgrund der deutlichen Beeinträchtigungen in Partnerschaft und Freizeit sowie leichten beruflichen Beeinträchtigungen empfahlen wir neben der Fortführung der begonnenen Verhaltenstherapie eine medikamentöse Behandlung. Wir informierten Herrn U. eingehend über Behandlungsoptionen und zu erwartende Wirkung, Nebenwirkungen und Risiken und entschieden uns gemeinsam mit dem Patienten für eine Behandlung mit Atomoxetin. Bereits nach zweiwöchiger Einnahme berichtete Herr U. über erholsameren Nachtschlaf, bessere Entspannungsfähigkeit, leicht verbesserte Konzentration und ausgeglichenere Stimmung, so dass er trotz vermehrten Schwitzens, Kopfschmerzen und leichter Puls- und Blutdruckerhöhung die Weiterführung der Behandlung wünschte. Nach mehrwöchiger Behandlung konnte bei nur noch leichtem Schwitzen, gelegentlichen, internistischerseits als unproblematisch beurteilten Tachykardien und normalisiertem Blutdruck eine weitere Symptomreduktion erreicht werden. Langfristig normalisierten sich auch Schweißneigung und Herzfrequenz, während die Wirksamkeit stabil erhalten blieb. Es kam nicht mehr zu Flüchtigkeitsfehlern bei der Arbeit mit folglicher beruflicher Weiterentwicklung, die Partnerschaft stabilisierte sich nachhaltig und Herr U. konnte in seiner Freizeit Entspannung genießen. Fazit Der Behandlungserfolg zeigt, dass die Diagnosestellung der ADHS im Erwachsenenalter einer verlaufsbezogenen Erhebung der Beschwerden bedarf und mit fremdanamnestischen Angaben und Dokumenten aus der Kindheit sowie einer strukturierten Erfassung der aktuellen und retrospektiven Symptome untermauert werden muss. Die medikamentöse Behandlung kann bei guter Verträglichkeit die Lebensqualität erheblich verbessern und die ADHStypischen Beeinträchtigungen im Alltag wesentlich reduzieren. Bei Symptomen wie affektiver Dysregulation, Reizbarkeit und fehlender Entspannungsfähigkeit, die sich nicht auf die Tagesstunden begrenzen, scheint eine lang wirksame Substanz von Vorteil zu sein. Bei der Behandlung mit Atomoxetin ist eine sich über lange Zeit aufbauende Wirkung und auch noch im langfristigen Verlauf verbesserte Verträglichkeit zu beobachten. *Initialen geändert. Die geschilderten Beobachtungen und Empfehlungen geben die Meinung des Autors wieder. ADHS-Patienten mit einer komorbiden Suchtstörung berichten häufig, dass sie mit dem Konsum von legalen und illegalen Substanzen angefangen haben, um die Grundsymptome ihrer ADHS zu lindern. Die quälende Unruhe, die ständige Spannung, das NichtAbschalten-Können belasten sie ebenso wie ständige Stimmungsschwankungen, Depressionen und Impulsivität. So berichten Patienten, wie entlastend sie es erlebt haben, z. B. mit Cannabis endlich einmal entspannen und Ruhe finden zu können. Häufig wird auch von Patienten berichtet, dass sie auf Amphetamine, Speed und Ecstasy ruhig und besonnen geworden sind und diesen Zustand als außerordentlich angenehm empfunden haben. Gerade bei ADHSPatienten wirken Stimulanzien ja paradox, d. h., sie reagieren auf Stimulanzien mit einer Verminderung ihrer motorischen Unruhe. Diagnostik Zu der Diagnostik bei ADHS im Erwachsenenalter gehört in jedem Falle eine ausführliche Suchtanamnese. Die Frage, warum die Suchtmittelsubstanz eingenommen wird und für welche der vorliegenden Symptome eine Abschwächung erwartet wird, erklärt häufig die Wahl des Suchtmittels. Die paradoxe Wirkung von Amphetamin bzw. Kokain kann weiterhin einen interessanten Hinweis auf das mögliche Vorliegen einer ADHS liefern. Wichtig ist weiterhin zu wissen, dass ADHS-Betroffene häufig zu Extremen neigen. Sie können einfach alles übertreiben. Nicht selten sind daher auch nicht stofflich gebundene Süchte wie Kaufsucht, Sexsucht, Spielsucht, Internetsucht und alle Formen der Esssüchte. Betroffene können auch sehr schnell ihre Süchte wechseln. Therapieoptionen ADHS benötigt eine störungsspezifische Therapie. Viele Patienten haben bereits Erfahrung mit Amphetaminen und aus forensischer Sicht ist die ambulante Behandlung bei erwachsenen ADHS-Patienten mit Stimulanzien sehr kritisch zu sehen. Gerade für diese Patientengruppe ist Strattera® (Atomoxetin) eine ausgezeichnete Therapieoption. Das Nicht-Stimulanz muss nicht auf einem BtMRezept verordnet werden und hat auch kein Suchtpotential. Viele Patienten berichten bei Einnahme von Strattera® von einem geringerem Craving (Substanzverlangen), mehr Ausgeglichenheit, weniger Stimmungsschwankungen, einer geringeren Impulsivität sowie einer oft deutlichen Verbesserung ihrer Konzentrationsfähigkeit. Fallbeispiel Eine 23-jährige Patientin berichtet, dass sie seit ihrem 14. Lebensjahr drogenabhängig sei. Sie habe mit Cannabis, Nikotin und Alkohol angefangen und bereits mit 16 Jahren regelmäßig Heroin konsumiert. Sie habe bereits fünf stationäre Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich. Zuletzt sei sie im Polamidon- und dann im Sobutexprogramm gewesen. Bis heute werde sie substituiert. Sie leide unter ständigen Stimmungsschwankungen und Jähzornausbrüchen mit Gewaltexzessen. Weiterhin sei sie nicht in der Lage, eine Ausbildung zu machen, weil sie sich nicht konzentrieren könne und viel zu sprunghaft sei. Unter der Medikation von Strattera® 60 mg konnte die Sobutexbehandlung beendet werden und die Patientin entschied sich für ein BWL-Studium an der Fachhochschule. Unter begleitender Therapie mit Atomoxetin gelang es der Patientin, ihr Studium abzuschließen und suchtfrei zu bleiben. Sie wurde ruhiger, konzentrierter und sie ist insbesondere in der Lage, ihr Leben besser zu strukturieren und eine bessere Gefühlskontrolle zu erreichen. Aktuell ist sie Mutter eines kleinen Sohnes, der auch wieder ADHS hat. Sie ist erziehungskompetent und es ist ihr auch gelungen, ihre Partnerschaft deutlich zu stabilisieren. Die geschilderten Beobachtungen und Empfehlungen geben die Meinung des Autors wieder. R E G I O N S ucht ist bei ADHS im Erwachsenenalter eine häufige Komorbidität. Diese Erkenntnis wird bis heute leider nicht in jeder Suchtklinik bzw. Suchtambulanz umgesetzt. Dr. Astrid Neuy-Bartmann, Gerade der Suchtbeginn wie Fachärztin für Psychosomatische auch die Schwere der SuchterMedizin und Psychotherapie, Aschaffenburg krankung sind bei Vorliegen einer ADHS häufig früher und ausgeprägter. Hierzu gibt es verschiedene Ursachen, die bis jetzt jedoch noch nicht abschließend geklärt wurden. Einerseits erschwert das Vorliegen einer Suchterkrankung den Behandlungsverlauf und die Prognose. Andererseits eröffnet die vorhandene ADHS-Symptomatik andere Therapieoptionen und verbessert unter Umständen damit auch die Prognose deutlich. Hierzu stehen allerdings Langzeitstudien noch aus. D E R Behandlung eines ADHS-Patienten mit gleichzeitiger Suchtproblematik A U S T I P P S T I M M E N A K T U E L L E R 23 V E R A N S T A L T U N G E N I M R Ü C K B L I C K Erfolge sichtbar machen 10. Jubiläum der ADHS-Gespräche in Frankfurt am Main Podiumsdiskussion: v.l.n.r.: Dr. Ulrich Kohns (Essen), Prof. Dr. Michael Huss (Mainz), Gerhard Broer (Höxter), PD Dr. Esther Sobanski (Mannheim), Dr. Markus Weiss (Haselünne), Prof. Dr. Aribert Rothenberger (Göttingen) Vom 14. bis 16. Juni 2013 gab es in Frankfurt am Main einen Grund zum Feiern: Die ADHS-Gespräche fanden bereits zum zehnten Mal statt. Unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Aribert Rothenberger (Göttingen) und Dr. Ulrich Kohns (Essen) drehte sich auf der diesjährigen Veranstaltung alles rund um das Thema Therapieerfolg. „Zehnmal ADHS-Gespräche bedeutet zehnmal wissenschaftliche Vorträge und kollegiale Gespräche in Pausen und Seminaren”, begrüßte Kohns die etwa 200 Teilnehmer. Bei der Auftaktveranstaltung im Jahr 2005 wurde Atomoxetin als „neuartige Therapie” für Kinder und Jugendliche vorgestellt. In diesem Jahr stand nun die Indikationserweiterung kurz bevor: Ende Juni 2013 wurde Strattera® bis 2015 als erstes und einziges Nicht-Stimulanz für den Beginn einer ADHS-Behand-lung im Erwachsenenalter zugelassen. Auch die ADHS-Gespräche sind mit dem 10. Geburtstag ein Stück erwachsen geworden: So soll der interdisziplinäre Austausch zukünftig nicht nur zwischen Kinderund Jugendpsychiatern und Kinder- und Jugendärzten stattfinden, sondern auch interessierte Erwachsenenpsychiater und Nervenärzte einbeziehen. DSM-5: Was ist neu und was bleibt? Die wichtigsten Neuerungen der DSM-5-Kriterien stellte Prof. Dr. Manfred Döpfner (Köln) vor. „Auch wenn die Symptomkriterien weitgehend gleich geblieben sind, hat sich doch einiges geändert”, so Döpfner. So wurden die Kriterien beispielsweise um konkrete Beispiele für ADHS im Erwachsenenalter ergänzt. Zudem wurden bei den Kriterien für die Diagnosestellung das Alter für den retrospektiven Nachweis des Beginns der Symptomatik in der Kindheit von sieben auf zwölf Jahre hochgesetzt. Weiterhin müssen für den Nachweis von ADHS bei Betroffenen ab dem Alter von 17 Jahren nur noch je24 weils fünf anstatt sechs von ins-gesamt neun Kriterien in den jeweiligen Symptom-clustern (Aufmerksamkeit bzw. Hyperaktivität/Impulsivität) erfüllt werden. (Mehr zu DSM-5 finden Sie auch auf den Seiten 6 und 7.) Wie definiert sich Therapieerfolg? Die kanadische ADHS-Expertin M.D. Ph.D. Margaret Weiss (Vancouver) ging in ihrem Vortrag darauf ein, wie wichtig es ist, gemeinsam mit den Patienten zu definieren und evaluieren, was ein Therapieerfolg ist. Und dabei geht es nicht nur um die Reduktion der Kernsymptomatik, sondern auch um die Verbesserung des Funktionsniveaus. Die größten Erfolge seien häufig Momente, die betroffene Familien zunächst nicht so deutlich wahrnehmen. Diese können sich z. B. darin äußern, dass das betroffene Kind plötzlich den Eindruck hat, seine Eltern seien netter zu ihm. Deshalb ist es wichtig, sich die Zeit für ausführliche Gespräche und regelmäßige Erfolgsmessungen zu nehmen, bei denen nach solchen Veränderungen gefahndet werden sollte – auch um Patienten und ihren Familien die eigenen Fortschritte vor Augen zu führen. Mit seinem Vortrag „Therapie oder doch Neuroenhancement?” gab Prof. Dr. Dieter Sturma (Bonn) einen ungewohnten Einblick in kontroverse Sichtweisen zu ethischen Aspekten der Therapie psychischer Störungen aus philosophischer Sicht. Welche Eigenschaften sollten in der Medizin als Gegebenheiten hingenommen wer- V E R A N S T A L T U N G E N den und wo sollte durch eine Medikation eingegriffen werden? Eine wichtige Rolle sah er dabei im ethischen Schutz von Entwicklungsmöglichkeiten und sprach von einem neuen Umgang mit dem Ist-Soll-Problem: „Wenn Lebe- M.D. Ph.D. Margaret Weiss (Vancouver) Prof. Dr. Dieter Braus (Wiesbaden) wesen gewisse Fähigkeiten haben, sollten sie diese ausleben können.” Affekt- und Emotionsregulation als Erfolgsparameter in der ADHS-Therapie Prof. Dr. Michael Huss (Mainz) zeigte in seinem Vortrag die Bedeutung der Affektregulation für die Therapie von ADHS auf. Denn auch wenn Affektregulations-Problematiken wie emotionale Labilität nicht zu den klassischen Kernsymptomen der ADHS zählen, spielen sie trotzdem mit steigendem Alter des Patienten eine essentielle Rolle. Daher sollten diese auch bei der Therapie von ADHS mit erfasst und behandelt werden. I M R Ü C K B L I C K Diese Thematik vertiefte Prof. Dr. Dieter Braus (Wiesbaden) in seinem Vortrag zu den neurobiologischen Korrelaten einer erfolgreichen ADHS-Therapie. Es gibt viele Daten, die zeigen, dass ADHS eine Netzwerkstörung auf der neurobiologischen Ebene ist, die Einfluss auf das noradrenerge und das dopaminerge System nimmt, was zu einer Störung der emotionalen Regulation führen kann. Die neurobiologische Reifung des Gehirns dauert etwa bis zum 26. Lebensjahr an und führt besonders in der Phase der Adoleszenz zu massiven Umstrukturierungsprozessen. Deshalb müssen die therapeutischen Interventionen bei ADHS-Betroffenen in dieser Phase dieser Situation entsprechend adaptiert sein. Eine gelungene Transition als Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie In der abschließenden Podiumsdiskussion waren sich die Teilnehmer einig, dass zwar erste Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Transition vorhanden sind, diese aber noch ausgebaut werden müssen. So gab es z. B. allgemeine Forderungen nach einer flächendeckenden Versorgung erwachsener ADHS-Patienten und einer adäquaten Honorierung von Psychiatern bei einer Übernahme von in der Kindheit diagnostizierten und behandelten ADHS-Patienten. Wichtig war den Teilnehmern der Podiumsdiskussion außerdem, den Übergang für die Patienten möglichst sanft zu gestalten, z. B. durch eine rechtzeitig vorbereitete Übergabe an den weiterbehandelnden Arzt ab dem 17. Lebensjahr oder, wenn möglich, mit einer Weiterbehandlung durch den betreuenden Kinder- und Jugendpsychiater Für Smartphone-Benutzer: Direktlink zu www.strattera.de bis zum Ende der mit Experteninterviews der Ausbildung. Referenten. Können Psychopharmaka 18 werden? Satellitensymposium beim DGKJP in Rostock Im Rahmen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. (DGKJP) veranstaltete Lilly ein Satellitensymposium zum Thema „Können Psychopharmaka 18 werden?”. Unter Leitung der beiden Vorsitzenden Prof. Dr. Dr. Martin H. Schmidt (Mannheim) und Prof. Dr. Frank Häßler (Rostock) wurde diskutiert, inwieweit die „magic number 18” – das Erreichen der Volljährigkeit eines Patienten – Konsequenzen für Forschung und klinische Praxis hat. 25 V E R A N S T A L T U N G S K A L E N D E R Magic number 18 „Kinder darf man nicht als kleine Erwachsene sehen”, betonte Prof. Dr. Michael Huss (Mainz). Das stellt Kliniker und Forscher gleichermaßen vor Herausforderungen, da nicht von erwachsenen Patienten auf betroffene Kinder geschlossen werden kann. Dies ändere sich auch nicht mit dem 18. Geburtstag des Patienten. Denn damit hat er zwar die gesetzliche Volljährigkeit erreicht, das neurobiologische Erwachsenenalter hingegen erst mit etwa 25. Andererseits hat das Erreichen der Volljährigkeit aus rechtlicher Sicht aber sehr wohl Einfluss auf die Praxis: Ab diesem Zeitpunkt entscheiden Patienten selbst über ihre Behandlung und auch der gesetzlich bedingte Übergang zum Erwachsenenpsychiater erfolgt spätestens mit 21 Jahren. Zudem haben Erwachsene mit ADHS andere Freiheiten als Kinder und stehen weniger unter dem Druck, sich anpassen zu müssen. „Erwachsene ADHS-Betroffene schaffen sich manchmal ökologische Nischen, in denen sie ihre persönlichen Fähigkeiten positiv nutzen”, so Huss. Die Bedeutung verschiedener Lebensabschnitte bei psychischen Störungen Prof. Dr. Frank Häßler (Rostock) und Prof. Dr. Dr. Ralf Dittmann (Mannheim) veranschaulichten die Bedeutung der unterschiedlichen Lebensabschnitte für die Behandlung psychischer Störungen anhand wissenschaftlicher Daten zu unterschiedlichen Indikationsbereichen. Häßler erläuterte anhand von Studienergebnissen, dass bei ADHS-Betroffenen mit geistiger Behinderung eine Medikation langsamer und niedriger angesetzt werden sollte. Bei Kindern und Erwachsenen seien außerdem unterschiedliche Therapien notwendig.1 Bei Kindern mit geistiger Behinderung erwies sich Atomoxetin als effektive und sichere Begleitmedikation, wenn parallel Symptome einer ADHS vorliegen.2 Dittmann erläuterte, wie sich die Wirkweise von Atomoxetin bei ADHS-Patienten in verschiedenen Lebensabschnitten verändert. So konnte unter einer Behandlung mit dem Nicht-Stimulanz ein vergleichbar gutes Wirksamkeits- und Verträglichkeitsprofil bei älteren Kindern (acht bis zwölf Jahre) wie bei Jugendlichen gezeigt werden.3,4 Jugendliche profitierten jedoch zusätzlich von stärkeren positiven Effekten auf das Selbstwertgefühl.5 Quellen: 1 Häßler F, Reis O. Dev Disabil Res Rev 2010; 16:265-272. 2 Jou RJ et al. J Child Adolesc Psychopharmacol 2005; 15:325-330. 3 Kratochvil CJ et al. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 2006; 45:919-927. 4 Wilens TE et al. J Pediatr 2006; 149:112-119. 5 Dittmann RW et al. Atten Defic Hyperact Disord. 2009; 1:187-200. 26 Die nächsten Termine … 5.–9. Oktober 2013 · Barcelona (Spanien) 26. Kongress des European College of Neuropsychopharmacology (ECNP) Themen u. a.: Understanding ADHD in adults 22.–27. Oktober 2013 · Orlando (USA) 60. Jahrestagung der American Academy of Child and Adolescent Psychiatry (AACAP) Weitere Informationen: www.aacap.org 27.–30. Oktober 2013 · Wien (Österreich) International Congress of the World Psychiatric Association (WPA) Thema: Future Psychiatry – Challenges and Opportunities Weitere Informationen: www.wpaic2013.org 14.–16. November 2013 · Berlin Jahrestagung des Berufsverbandes für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland e. V. Thema: Mauern – Brücken – Übergänge Weitere Informationen: www.bkjpp-jahrestagung.de 27.–30. Novemberr 2013 · Berlin Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde 2013 Thema: Von der Therapie zur Prävention Weitere Informationen: www.dgppn.de STRATTERA® 10 mg, 18 mg, 25 mg, 40 mg, 60 mg, 80 mg oder 100 mg Hartkapseln. Wirkstoff: Atomoxetinhydrochlorid. Zusammensetzung: Jede Kapsel enthält 10 mg, 18 mg, 25 mg, 40 mg, 60 mg, 80 mg oder 100 mg Atomoxetin als Atomoxetinhydrochlorid. Sonstige Bestandteile: Vorverkleisterte Stärke (Mais), Dimeticon 350 cSt, Natriumdodecylsulfat, Gelatine, essbare schwarze Tinte (enthält Schellack, Eisen(II,III)-oxid (E172)), Titandioxid (E171), Eisen(III)hydroxid-oxid x H2O (E172) (18 mg, 60 mg, 80 mg und 100 mg), Indigocarmin (E132) (25 mg, 40 mg und 60 mg), Eisen(III)oxid E172 (80 mg und 100 mg). Anwendungsgebiete: Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern ab 6 Jahren, bei Jugendlichen und bei Erwachsenen als Teil eines umfassenden Behandlungsprogramms. Die Behandlung muss von einem Arzt begonnen werden, der über ein entsprechendes Fachwissen in der Behandlung von ADHS verfügt, wie z. B. ein Kinderarzt, ein Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder ein Psychiater. Eine Diagnose sollte gemäß der jeweils gültigen DSM-Kriterien oder ICD-Richtlinien erfolgen. Bei Erwachsenen muss bestätigt werden, dass ADHS-Symptome bereits in der Kindheit vorhanden waren. Eine Bestätigung durch Dritte ist wünschenswert und eine Strattera-Behandlung darf nicht begonnen werden, wenn nicht sicher ist, dass ADHS-Symptome in der Kindheit vorhanden waren. Die Diagnose kann nicht aufgrund des ausschließlichen Vorhandenseins von nur einem oder mehreren ADHS-Symptomen gestellt werden. Laut klinischer Einschätzung des Behandlers sollte die ADHS-Symptomatik zumindest mittelgradig ausgeprägt sein, charakterisiert durch zumindest mittelgradige Beeinträchtigungen in mindestens zwei unterschiedlichen Lebensbereichen (z. B. soziales, akademisches und/oder berufliches Funktionsniveau), und somit verschiedene Aspekte des Lebens betreffen. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen Atomoxetin oder einen der sonstigen Bestandteile. Gleichzeitige Einnahme eines MAO-Hemmers; mindestens 2 Wochen Abstand zwischen Atomoxetingabe und Gabe eines MAO-Hemmers. Engwinkelglaukom. Schwerwiegende kardio- oder zerebrovaskuläre Erkrankungen. Phäochromozytom oder Phäochromozytom in der Anamnese. Nebenwirkungen: Berichte aus klinischen Studien mit Kindern und Jugendlichen sowie Spontanberichte nach der Markteinführung: Sehr häufig (≥ 1/10): Verminderter Appetit, Kopfschmerzen, Schläfrigkeit (inkl. Sedierung), abdominelle Schmerzen (inkl. Oberbauchschmerzen, Magen-, Bauch- und epigastrische Beschwerden), Erbrechen, Übelkeit, Blutdruck erhöht, Herzfrequenz erhöht. Häufig (≥ 1/100 und < 1/10): Appetitlosigkeit, Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen, Schlaflosigkeit (inkl. Ein- und Durchschlafstörung, frühmorgendliches Erwachen), Agitiertheit, Angst, Depression und depressive Verstimmung, Tics, Schwindel, Mydriasis, Verstopfung, Dyspepsie, Dermatitis, Pruritus, Hautausschlag, Müdigkeit, Lethargie, Gewichtsverlust. Gelegentlich (≥ 1/1.000 und < 1/100): Suizidale Verhaltensweisen, Aggression, Feindseligkeit, emotionale Labilität, Psychose (einschließlich Halluzinationen), Ohnmacht, Zittern, Migräne, Parästhesie, Hypästhesie, Krampfanfall, Palpitationen, Sinustachykardie, QT-Intervall-Verlängerung, Erhöhung des Bilirubins im Blut, vermehrtes Schwitzen, allergische Reaktionen, Kraftlosigkeit. Selten (≥ 1/10.000 bis < 1/ 1.000): Raynaud-Syndrom, erhöhte Leberwerte, Ikterus, Hepatitis, Leberschäden, akutes Leberversagen, verzögerte Blasenentleerung, Harnverhalt, Priapismus, Schmerzen am männlichen Genitale. Nebenwirkungen aus klinischen Studien mit Erwachsenen sowie Spontanberichte nach der Markteinführung: Sehr häufig (≥ 1/10): Verminderter Appetit, Schlaflosigkeit (inkl. Ein- und Durchschlafstörung, frühmorgendliches Erwachen), Kopfschmerzen, Mundtrockenheit, Übelkeit, Blutdruck erhöht, Herzfrequenz erhöht. Häufig (≥ 1/100 und < 1/10): Agitiertheit, reduzierte Libido, Schlafstörungen, Depression und depressive Verstimmung, Angst, Schwindel, Dysgeusie, Parästhesie, Schläfrigkeit (einschließlich Sedierung), Zittern, Palpitation, Tachykardie, Hitzewallungen, abdominelle Schmerzen (inkl. Oberbauchschmerzen, Magen-, Bauch- und epigastrische Beschwerden), Verstopfung, Dyspepsie, Blähungen, Erbrechen, Dermatitis, vermehrtes Schwitzen, Hautausschlag, Dysurie, Pollakisurie, verzögerte Blasenentleerung Harnverhalt, Dysmenorrhoe, Ejakulationsstörungen, erektile Dysfunktion, Prostatitis, Schmerzen am männlichen Genitale, Asthenie, Müdigkeit, Lethargie, Schüttelfrost, Gefühl der inneren Unruhe, Reizbarkeit, Durst, Gewichtsabnahme. Gelegentlich (≥ 1/1.000 und < 1/100): Suizidale Verhaltensweisen, Aggression, Feindseligkeit und emotionale Labilität, Ruhelosigkeit, Tics, , Ohnmacht, Migräne, Hypästhesie, QT-Intervall-Verlängerung, Kältegefühl in den Extremitäten, allergische Reaktionen, Pruritus, Urtikaria, Muskelkrämpfe, verstärkter Harndrang, Ejakulationsversagen, unregelmäßige Menstruation, veränderter Orgasmus, Kältegefühl. Selten (≥ 1/10.000 bis < 1/ 1.000): Psychose (einschließlich Halluzinationen) Krampfanfall, Raynaud-Syndrom, erhöhte Leberwerte, Ikterus, Hepatitis, Leberschäden, akutes Leberversagen, Erhöhung des Bilirubins im Blut, Priapismus. Verschreibungspflichtig. Pharm. Unternehmer: Lilly Deutschland GmbH, Teichweg 3, 35396 Gießen. Stand der Information: Mai 2013. I N E I G E N E R S A C H E Verleihung des Hermann-Emminghaus-Preises 2013 V.l.n.r.: Dr. S. Kraemer (Lilly), PD Dr. T. Vloet, Prof. Dr. Dr. M. H. Schmidt (Kuratoriumsvorsitzender HEP) Im Rahmen des diesjährigen DGKJP-Kongresses wurde der 14. HermannEmminghaus-Preis (HEP) verliehen. Der Preis würdigt wissenschaftliche Arbeiten im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Die mit € 5.500 dotierte Auszeichnung ging an PD Dr. Timo Vloet (Oberarzt am Universitätsklinikum für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Aachen) für seine Studien zum Thema „Neurobiologische Aspekte dissozialer Störungen”. Die Ergebnisse seiner Arbeiten stellte Vloet auf dem DGKJP gleich in mehreren Symposien vor. „Perspektive ADHS” führte mit dem Preisträger ein Interview. ? Inwieweit spielen neurobiologische Aspekte für die Sozialverhaltens assoziiert ist und nicht mit ADHS. Außerdem deuten unsere Untersuchungen an, dass die Behandlung dissozialer Störungen eine Rolle? Ausprägung individueller Ängstlichkeit bei Kindern mit Vloet: Störungen des Sozialverhaltens sind in der Störungen des Sozialverhaltens ein sehr wichtiges Kinder- und Jugendpsychiatrie sehr häufig und für Differenzierungsmerkmal ist. Diese Unterscheidung die Gesellschaft von großer Bedeutung. Da sie sehr heterogen sind, muss man lernen, sie zu unterscheiden, scheint wichtig zu sein, um die zum Teil sehr differenten Therapiemaßnahmen effektiv einsetzen zu können. damit z. B. möglichst spezifische Therapien entwickelt werden können. Besonders wichtig sind neurobiolo? Welche Bedeutung hat der Preis für Sie? gische Untersuchungen, auch um die Mechanismen Vloet: Der HEP ist ja ein sehr bekannter Preis in der zu verstehen, die für die Entstehung dieser Störungen Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ich sehe den Preis als grundlegend sind. große Auszeichnung für meine Kollegen und mich und ? Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus Ihren bedanke mich sehr beim Kuratorium, speziell auch beim Vorsitzenden Prof. Arbeiten für die Praxis? Schmidt: Es ist Vloet: Kinder mit ADHS haben etwa ein zehnfach Für Smartphone-Benutzer: ein großer Anhöheres Risiko für eine Störung des Sozialverhaltens. Direktlink zu www.emminghaus-preis.de sporn, weiterWir konnten zeigen, dass das verminderte vegetative zumachen. Ansprechen auf emotionale Reize mit Störungen des Spendenaktion für die regionale Kinder- und Jugendarbeit Zum 10. Jubiläum der ADHS-Gespräche initiierte Lilly eine besondere Spendenaktion: Die 200 Teilnehmer schrieben ihre persönlichen Wünsche für das alltägliche Leben von Kindern mit ADHS auf Postkarten und ließen diese an Luftballons in die Lüfte steigen. Für jede zurückgeschickte Karte spendete Lilly dem regionalen Verein Kinder- und Jugendhilfe in Frankfurt am Main e. V. einen festgelegten Betrag, so dass insgesamt € 920,- zusammenkamen. Der Verein organisiert ambulante Jugendhilfemaßnahmen für straffällig gewordene Jugendliche und Heranwachsende und unterstützt so ihre Integration in den Alltag. Für Herrn Dr. Herbert Lenhart, Ärztlicher Leiter der Fachklinik Michaelshof für suchtkranke junge Männer in Kirchheimbolanden, ist diese Spendenaktion eine Herzensangelegenheit: „Das Wichtigste für Jugendliche ist, Normalität zu leben und diese ins Erwachsenenalter mitzunehmen.” „Wir freuen uns sehr über die Spende und werden das Geld vor allem zur Anschaffung neuer Arbeitsmittel für unsere Kunstwerkstatt verwenden”, verkündete Carola Kubetz, Geschäftsführerin des Vereins. Ein Beispiel für die Werke, die die Jugendlichen in der Kunstwerkstatt herstellen, finden Sie auf dem Titel dieser Ausgabe der „Perspektive ADHS”. Mehr zum Verein unter: www.vkjh-frankfurt.de 27 S E R V I C E Um Patienten einen offenen Zugang zu einer bestmöglichen und patientenorientierten Versorgung in der Krebstherapie zu ermöglichen und die Entwicklung neuer Arzneimittel zu beschleunigen, ist sowohl ein fachlicher Diskurs unter Experten als auch ein breiter gesellschaftlicher Dialog notwendig. Vor diesem Hintergrund hat Lilly die länder- und sektorenübergreifende Initiative PACE (Patient Access to Cancer care Excellence) ins Leben gerufen. Ein Meilenstein des PACE-Engagements war die Gründung eines Global Council im November 2012, in dem sich eine Gruppe anerkannter Experten aus den Bereichen Patientenvertretung, Medizin, Politik, Forschung und Gesundheitswesen zusammenfindet. Eine aktuelle von PACE beauftragte Bürgerbefragung offenbarte, wie groß die Angst vor einer emotionalen Überforderung durch die Erkrankung sowohl bei Patienten als auch bei Angehörigen ist – ein weiterer Hinweis darauf, wie wichtig es ist, die ErwarFür Smartphonetungen und tatsächlichen Bedürfnisse der BeBenutzer: Direktlink zu www.pacenetwork.de troffenen stärker in die Entwicklung von Versorgungsstrukturen einzubeziehen. Im World Wide Web für Sie gefunden DIVA 2.0, die überarbeitete Version des Diagnostischen Interviews für ADHS bei Erwachsenen, ist zusätzlich zum kostenfreien und frei zugänglichen PDF auch als App für iPhones, iPads und Android Smartphones erhältlich. Das semi-strukturierte Interview zur professionellen Diagnostik einer ADHS wurde von der internationalen DIVA Foundation mit Sitz in Den Haag entwickelt. Mit Hilfe der kostenpflichtigen DIVA 2.0 App (€ 9,99) können die Gesamtzahl der ADHS-Symptome im Kindes- und Erwachsenenalter und die daraus resultierenden funktionellen Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen erfasst werden. Die Daten werden nach der Eingabe nicht gespeichert, sondern als Text- und SPSSDatei per Email zugesendet. Die DIVA 2.0 App ist auf Deutsch und in sieben weiteren Sprachen verfügbar, zusätzliche ÜberFür Smartphonesetzungen sind in Arbeit. Benutzer: Direktlink zu www.divacenter.eu Mehr Informationen zu DIVA 2.0 und zur App finden Sie unter: www.divacenter.eu Buchtipp Inzwischen ist ADHS auch in der Erwachsenenpsychiatrie ein anerkanntes Störungsbild. Allerdings erfordert die Behandlung Erwachsener eine andere therapeutische Herangehensweise als bei Kindern und Jugendlichen. Die Autoren präsentieren in dem praxisorientierten Buch aktuelle Forschungsergebnisse, auf deren Basis sie sowohl grundlegendes Wissen über die Erkrankung als auch begleitende Gesichtspunkte wie Komorbiditäten mit Suchterkrankungen und dem Asperger-Syndrom beschreiben. Daneben werden weitere häufige Nebenaspekte der ADHS thematisiert, wie z. B. die bei Betroffenen häufig vorhandene Kreativität und das ebenso häufige Risiko der Delinquenz. Martin D. Ohlmeier, Mandy Roy (Hrsg.). ADHS bei Erwachsenen – ein Leben in Extremen. Ein Praxisbuch für Therapeuten und Betroffene. Kohlhammer Verlag 2012. ISBN 9783-17-021068-4 DESTR01000a(1) Wussten Sie schon, … … dass Lilly die zentralen Akteure im Themenfeld Onkologie international vernetzt?