Von der Nanobiotechnologie zur Nanomedizin

Transcrição

Von der Nanobiotechnologie zur Nanomedizin
Von der Nanobiotechnologie zur Nanomedizin
Nanotechnologische Anwendungen und ihre Bedeutung
Aus der Nanobiotechnologie, dem Schnittbereich von Nanotechnologie und
Biotechnologie, sind in den vergangenen Jahren vielversprechende Entwicklungen hervorgegangen, die in der Medizin eine wachsende Rolle spielen.
Der Artikel soll einen Überblick über aktuell wichtige Forschungsthemen in
der Nanomedizin geben.
Drug-Delivery-Systeme
Der Wunsch, einen Wirkstoff gezielt zum kranken Gewebe zu transportieren, treibt die Entwicklung so genannter Drug-Delivery-Systeme
voran. Eine Lösung ist die Verwendung von liposomalen Carrier-Systemen im Nanometermaßstab, um den Transport von Medikamenten für
die Behandlung von z. B. Krebs, Pilzinfektionen
und Augenerkrankungen zu ermöglichen. Da Liposome aus natürlichen Grundbausteinen bestehen, sind sie wenig oder gar nicht immunogen
und werden aus dem Organismus problemlos
eliminiert. Obwohl sie zu den am besten untersuchten Drug-Delivery-Systemen gehören, ist die
Anzahl der darauf basierenden Arzneimittel relativ gering. Gründe hierfür sind die kurze Verweildauer im Blutkreislauf, die geringe Lagerstabilität und der hohe Preis.
Eine Alternative sind Drug-Delivery-Systeme
aus Polymer-Nanopartikeln. So bieten diese Nanopartikel die Option, Medikamente während
des Transports zu schützen und sie im erkrankten Gewebe gezielt und kontrolliert abzugeben.
So könnten zum Beispiel Medikamente, die bisher nur gespritzt werden konnten, zukünftig in
FOrm einer Tablette eingenommen werden. Derzeit werden auch Polymer-Nanopartikel für den
Einsatz in der Tumor- und AIDS-Therapie und für
die Applikation von Antibiotika entwickelt.
Ferrofluide in der Krebstherapie
Ferrofluide sind Suspensionen aus ferromagnetischen nanoskaligen Teilchen. Sie entfalten starke magnetische Kraftwirkungen, die ihren Nutzen z. B. in der magnetischen Hyperthermie zur
Krebsbekämpfung entfalten. Tumorzellen sind
sehr temperaturempfindlich. Temperaturen über
43 °C über einen längeren Zeitraum sind für sie
meist tödlich. Diese Eigenschaft nutzt man bei
der Hyperthermiebehandlung mit magnetischen
Nanopartikeln. Diese werden in ausreichend
großer Menge in und um das Tumorgewebe platziert. Dann wird ein magnetisches Wechselfeld
angelegt und es erfolgt eine Spinumkehr. Durch
diesen Effekt erhitzen sie sich und die umliegenden Tumorzellen. Dies führt dazu, dass deren
22 Dr. Rainer Hanselmann, Sarastro
22 Christoph Schreyer,
cc-Nanobionet
Proteine denaturieren und ihre Funktion einstellen. Die Tumorzelle stirbt. Diese Behandlungsmethode zur Therapie von bösartigen Hirntumoren
wurde zwischenzeitlich intensiv untersucht und
ist für bestimmte Anwendungen zugelassen.
Nano in der Zahnmedizin
Schmerzempfindliche Zähne werden oft durch
freiliegende Zahnhälse verursacht. Geht das
Zahnfleisch zurück, liegen die Zahnhälse offen,
und der Zahnzement bildet sich zurück. Durch
kleine Kanäle im Zahn (Dentin-Tubuli) können
dann unerwünschte Heiß-Kalt- oder Süß-SauerReize an die Nerven im Zahninneren gelangen
und so Schmerzen verursachen. Die offen liegenden Dentinkanälchen können durch Nanopartikel,
die in eine herkömmliche Zahncreme eingearbeitet sind, verschlossen und die Schmerzempfindlichkeit maßgeblich reduziert werden.
Nanomaterialien eignen sich aber auch als
Füll- oder Zahnersatzstoffe, die klassische Materialien wie Amalgam und Keramiken ersetzen
könnten. So wurden in den letzten Jahren zahlreiche Hybridkomposite mit Füllpartikeln auf den
Markt gebracht. Deren Einsatz ermöglicht z. B.
die Erhöhung der Festigkeit, die Verbesserung
der Handhabbarkeit des Materials und nicht zuletzt die Ausnutzung der Röntgenopazität. Die
Füllpartikel müssen eine gute chemische Beständigkeit aufweisen, farblos und bioinert und nicht
toxisch sein. Als solche Materialien eignen sich
Gläser, Glaskeramiken sowie einige Silicate. Bei
dieser technologisch sehr vorteilhaften Errungenschaft der Nanofüller dürfen die möglichen
Risiken durch Nanopartikel, die in die Mundhöhle und somit in den Körper eingebracht werden,
nicht vergessen und intensiv untersucht werden.
Nanoimplantate
Abb. 1: Die Nanobeschichtung macht die Oberfläche der High-Tech-Beinprothese kratzfest und extrem
beständig Quelle: cc-Nanobionet e. V. .
Durch die stetig steigende Lebenserwartung der
Menschen nehmen degenerative Erkrankungen
GIT Labor-Fachzeitschrift 3/2011, S. 178–179, GIT VERLAG GmbH & Co. KG, Darmstadt
www.gitverlag.com
www.git-labor.de
immer mehr an Bedeutung zu. Gelenke verlieren
mit zunehmendem Alter ihre Flexibilität oder
Funktionalität und müssen durch künstliche Materialien ersetzt werden. So beträgt die durchschnittliche Lebensdauer eines künstlichen Hüft- oder
Kniegelenks etwa 10 bis 15 Jahre. Eine Verlängerung der Lebensdauer und eine verbesserte Bioverträglichkeit wären für die Patienten mit künstlichen Hüft- oder Kniegelenkimplantaten eine große
Hilfe. Deshalb ist die Herstellung körperverträglicher Implantate ein wichtiger Anwendungsbereich
der Nanobiotechnologie.
Früher wurden Hüftendoprothesen mit einer
weitestgehend glatten Oberfläche hergestellt.
Allerdings bemerkte man, dass die Haftung und
dauerhafte Fixierung einer Prothese im Knochenschaft mit zunehmender Oberflächenrauigkeit
verbessert werden konnte. Dies führte zur Entwicklung von „mikrorauen“ Prothesen. Neuere
Ansätze versuchen, durch nanostrukturierte Implantatoberflächen die Biokompatibilität und die
Wechselwirkung zwischen Prothese und Gewebe
zu verbessern und die Anlagerung von Proteinen
zu ermöglichen. Einige Unternehmen arbeiten mit
Nanobeschichtungen auf der Basis von Hydroxylapatit (HA).
Eine weitere Anwendung ist die Oberflächenstrukturierung von Gefäßstents, kleine expandierbare Gittergerüste in Röhrchenform aus Edelstahl
oder Titan, die im Rahmen einer Herzinfarkttherapie in das verengte Blutgefäß eingesetzt werden.
Bei dieser Manipulation passiert es, dass Gewebe
zerrissen wird, d. h., es wird eine Wunde erzeugt.
Wunden repariert der Körper mit einer Narbe,
und der Prozess der Narbenbildung ist mit einer
Gewebekontraktion verbunden. Diese Gewebekontraktion führt in bis zu 30 % der behandelten
Herzpatienten zu einem erneuten Verschluss, der
nicht selten zum akuten Versterben des Patienten
führt. Ein Ansatz zur Lösung dieses Problems ist
der Einsatz von Stents, die in vivo ein Medikament
an ihre Umgebung abgeben, die dem Verschluss
entgegenwirken. Neben der Freisetzung von Medikamenten ist auch eine Beeinflussung der Interaktion zwischen dem Stent und dem Blut bzw.
den Endothelzellen und der extrazellulären Matrix
(EZM) möglich.
Nanomaterialien in der Hygiene
Titandioxid (TiO2), auch als Titanweiß bezeichnet,
ist ein ständiger Begleiter unseres täglichen Lebens. Titandioxid ist chemisch stabil, gut verfügbar
und nicht toxisch. Darüber hinaus sind besondere
Kristallformen photokatalytisch aktiv, eine Eigenschaft, die man z. B. für selbstreinigende Oberflä-
Abb. 2: Ferrofluide – magnetische Flüssigkeiten –
kommen in der Krebstherapie zum Einsatz.
Quelle: „cc-Nanobionet e. V.“
Abb. 3: Nanopartikel (rot) dringen in eine
menschliche Zelle
(grün) ein. Der Zellkern (blau) ist deutlich zu erkennen. Quelle: Christian Schumann, Sabrina
Schübbe, Leibniz-Institut für Neue Materialien
chen, in der Luft- und Wasserreinigung und auch
für antibakterielle Materialien nutzt. Bei der Bestrahlung mit energiereichem Licht werden mittels
TiO2 Sauerstoffradikale gebildet. Der so aktivierte
Sauerstoff ist in der Lage, Bakterien, Pilze, Viren
und Biomoleküle wirkungsvoll abzutöten bzw. zu
degradieren. Auch Erreger wie SARS und H5N1
können bei Kontakt mit der aktivierten TiO2-Oberfläche abgetötet werden. Resistenzbildungen sind
nicht bekannt.
Neben photokatalytischem Titandioxid spielt
vor allem nanopartikuläres Silber eine Rolle, dessen keimtötende Wirkung schon lange bekannt
ist. Heute werden silberhaltige Pharmazeutika zur
Infektionsprophylaxe am Auge von Neugeborenen
oder zur Behandlung von Brandwunden appliziert.
Außerdem werden Silberionen in Wasserentkeimungstabletten zur Wassertankkonservierung eingesetzt. Ein Beispiel, in dem Silberpartikel in einem
Medizinprodukt zum Einsatz kommen, sind Venenoder urologische Katheter. Dabei werden Silberionen in den Katheter-Schleimhautzwischenraum
abgegeben und verhindern so das Eindringen von
potenziell pathogenen Keimen, die im schlimmsten Fall zu einer Blutvergiftung führen können.
Tissue Engineering gilt als ein Lösungsansatz,
um die Komplikationen der bestehenden Behandlungsmethoden zu überwinden. Beim Aufbau der
Gerüstmatrix spielt Nanotechnologie eine entscheidende Rolle: Die porösen, teils nanoskaligen
Matrices bieten den Zellen aber nicht nur das
mechanische Gerüst, das ein dreidimensionales
Wachstum im gesamten Volumen der Matrix erlaubt. Sie sind oftmals mit besonderen Funktionalitäten ausgestattet, die das Einwachsverhalten
positiv beeinflussen und gezielt lenken.
Tissue Engeneering
Unter Tissue Engeneering versteht man, vereinfacht gesprochen, die Verbindung von vitalem Material mit einer synthetischen oder biologischen
Matrix zur Gewebekultivierung, um größere Gewebedefekte zu beheben. Solche Defekte entstehen z. B. nach Unfällen, Tumorerkrankungen oder
bei chronischen Wunden. Der Körper versucht,
diese Gewebedefekte durch einen Reparationsprozess wieder aufzufüllen. Häufig gelingt dies
aber nicht, was zu einer massiven physischen und
psychischen Belastung der Patienten und zu einer
Explosion der Behandlungskosten führt.
Zusammenfassung
Wie die exemplarischen Beispiele zeigen, hat die
Nanobiotechnologie bereits einen viel versprechenden Einzug in die Medizin gehalten. Die sich
rasant entwickelnde Technologie wird zukünftig
in vielen Bereichen der Diagnose, der Behandlung
und der täglichen Praxis an Einfluss gewinnen.
Es ist zu hoffen, dass alle Beteiligten eine der
wohl am meisten transdisziplinären Technologien unserer Zeit weiterhin verantwortungsbewusst und ethisch vertretbar gestalten.
▶ ▶K ontakt
Christoph Schreyer
cc-Nanobionet e. V.
Science Park I
Saarbrücken
Tel.: 0681/6857364
Fax: 0681/6857795
[email protected]
www.nanobionet.de
Dr. Rainer Hanselmann
geschäftsführender Gesellschafter
Sarastro GmbH