Erstes Buch - Philosophisches Seminar
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Erstes Buch - Philosophisches Seminar
Johannes Gutenberg-Universität Mainz Philosophisches Seminar Hauptseminar: Nietzsche: „Menschliches, Allzumenschliches“ und „Die fröhliche Wissenschaft“ Leitung: PD Dr. D. Solies Referentinnen: Melissa Boyce, Julia Ackermann, Susanne Reinhardt Datum: 16.06.2009 Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft Erstes Buch Nietzsche über Moral, Gesellschaft und Kultur Nietzsches Kritik der Moral/Kultur Aph. 1: Die Lehrer vom Zwecke des Daseins • Grundlegende Skepsis gegen diese „Zwecklehrer“ (372), „jener Lehrer der Gewissensbisse und der Religionskriege[.]“ (370) • Nietzsches Interesse: der reale (kulturelle) Effekt der Moralen auf Menschen; Bezug auf Reale Welt (Kein Gott, kein Paradies etc.) • Kritik der Moral nicht generell, sondern bestimmt (eine für alle: schadhaft für manche) • Forderungen der Moralen hindern die Erhöhung des Menschen • Moralität im Menschen: psycho-physiologisches Phänomen • Moralen: Strukturelle Gemeinsamkeiten: a) deskriptive und b) normative Komponenten • Moral der Religionen: „[Der Trieb der Arterhaltung] hat dann ein glänzendes Gefolge von Gründen um sich und will mit aller Gewalt vergessen, dass er im Grunde Trieb, Instinct, Thorheit, Grundlosigkeit ist. Das Leben soll geliebt werden, d e n n ! Der Mensch s o l l sich und seinen Nächsten fördern, d e n n ! Und wie alle diese Soll’s und Denn’s heissen und in Zukunft heissen mögen! Damit Das, was nothwendig und immer geschieht, von sich aus und ohne allen Zweck hin gethan erschiene und dem Menschen als Vernunft und letztes Gebot einleuchte, - dazu tritt der ethische Lehrer auf, als Lehrer vom Zweck des Daseins [.]“ (371) • Kritik an Kants Morallehre: Um ein Werkzeug zu sein, muss man pathetische Prinzipien haben -> ein unbedingtes Sollen, dem man sich ohne Scham unterwerfen darf (1.5) • Polarisierung/Gegensätze von Frohsinn und Traurigkeit (Moral und Wissenschaft) Gut und Böse etc. (Irrlehre der Moral) • Bsp. Frohsinn: kein Kriterium zur Erhöhung des Menschen; ,Leiden’ notwendig zur Erhöhung (intrinsischer Wert) • Lachen i. S. von FW als Hinterfragen Aph. 14: Was Alles Liebe genannt wird • Habsucht und Liebe: derselbe Trieb (suchend und ruhend) • Nächstenliebe: Drang nach (neuem) Besitz [auch Liebe zur Wahrheit, zum Wissen], wird durchs Besitzen gemildert bzw. eliminiert („uns selbst überdrüssig werden“ 386) • Mitleid: Lustvolles Besitzergreifen von einem anderem, dem Leidenden (unbedingte Macht bei Liebenden) • Kulturell: Liebe als Gegensatz zum Egoismus (obwohl Liebe egoistisch motiviert ist, „unbefangenster Ausdruck des Egoismus“ 387) • gemeinsames Verlangen nach Habsucht: Freundschaft • „Alle geordnete Gesellschaft schläfert die Leidenschaft ein [.]“ (1.4 376) Aph. 13: Zur Lehre vom Machtgefühl (Überlegungen, die im Konzept des „Willen zur Macht“ enden) • „Mit Wohlthun und Wehethun übt man seine Macht an Anderen aus – mehr will man dabei nicht!“ (384) • Schmerz: Ursachenforschung (rückwärts), Lust: Tatsachenbezug (bei sich selbst) (aktuell) • Kampf: Verlangen nach Macht, Erhaltung des Machtgefühls, Besitz von Macht/Wahrheit, Mangel an Macht (Lust-Unlust-Prinzip) Aph. 7: Etwas für Arbeitsame (Programm für Wissenschaft der Moral) • Genealogie ist notwendig • Tierethik, Ernährungslehre • Welche Moralen und warum? (wieso genau dort, genau diese Moral?) • Wissenschaft: Kann sie die Stellung der Moral (insb. Handlungsziele) einnehmen? Nach Auflösung der Moral, neu fühlen durch Wissenschaft • Nietzsche: Naturalistischer Realist oder Anti-Realist? Aph. 18: Antiker Stolz • wir sind gewöhnt an die Lehre von der Gleichheit der Menschen, nicht an die Gleichheit selbst • Sklave: kann nicht über sich selbst verfügen → ist für uns noch nichts Verächtliches • sklavenhafte Eigenschaften stecken in jedem von uns aufgrund unserer gesellschaftlichen Ordnung • im Gegensatz zu den alten und vornehmen Griechen, die zwischen sich und Sklaven eine große Distanz sahen • antiker Stolz ist uns fremd: Der griechische Philosoph meinte, dass jeder Sklave sei, der nicht Philosoph ist → auch die Mächtigsten sind seine Sklaven Aph. 19: Das Böse • Böses begünstigt großes Wachstum fruchtbarer und bester Menschen/Völker • ist für die Schwächeren Gift, an dem sie zugrunde gehen. Aber für die Starken ist es kein Gift, sondern Stärkung Aph. 21: An die Lehrer der Selbstlosigkeit • Tugenden sind gut, wenn andere in der Gesellschaft von ihren Wirkungen profitieren. Sie schaden aber ihren Besitzern → Opfer der eigenen Tugend • bedauert wird der Tod eines Tugendhaften nur, da ein Werkzeug der Gesellschaft verloren gegangen ist. Er ist aber nur ein kleines Opfer für „das Große der Gesellschaft“ • das Hand-in-Hand-Gehen von Tugend und eigenen Vorteilen wird zur Anerziehung der Tugenden dargestellt: Bsp. Fleiß als Weg zu Reichtum und Ehre. Die Gefahr dabei wird verschwiegen • Gelingen der Erziehung = Tugend ist für die Gesellschaft nützlich, birgt private Nachteile → geistig-sinnl. Verkümmerung • der „Nächste“ lobt Selbstlosigkeit, da er dadurch Vorteile genießt. Würde er selbstlos sein, würde er Schädigungen ablehnen, Selbstlosigkeit nicht als „gut“ bewerten → Grundwiderspruch dieser Moral: Ihre Motive stehen im Gegensatz zu ihrem Prinzip. Gleichzeitiger Gebrauch von „du sollst“ und „du sollst nicht“ Aph. 23: Die Anzeichen der Korruption • Korruption als von Zeit zu Zeit notwendiger Zustand der Gesellschaft, nennt Anzeichen dafür: 1. Aberglaube nimmt überhand, vorheriger Glaube des Volkes tritt zurück • Aberglaube: Freigeisterei 2. Ranges → abergläubischer Mensch erlaubt sich ein Recht der Wahl, wählt Formen aus, die ihn ansprechen. Er ist damit individueller als ein religiöser Mensch. • negative Darstellung des Aberglaubes nur durch Anhänger der alten Religion → Aberglaube ist ein Fortschritt gegen den Glauben, mehr Individuen treten auf und werden unabhängiger → Korruption ist ein Symptom d. Aufklärung 2. Gesellschaft wird der Erschlaffung beschuldigt: Krieg wird weniger geschätzt, Bequemlichkeiten angestrebt • aber: alte Energie des Volkes wird jetzt in privaten, individuellen Leidenschaften umgesetzt, daher weniger sichtbar 3. Zeiten der Korruption werden als milder empfunden, weniger grausam der vorherigen (gläubigeren, stärkeren) Zeit gegenüber • aber: Bosheit und Lust an ihr werden geschafften. Menschen dieser Zeit wissen, dass „Gutgesagtes“ geglaubt wird 4. „Sitten verfallen“ → Tyrannen kommen auf, als Vorläufer der Individuen • wenn der Verfall den Höhepunkt erreicht, kommt ein „Schlusstyrann“ → Kultur am höchsten, Kulturmenschen brauchen Ruhe von außen, da Unruhe in sich → Bestechlichkeit und Verrat am größten, Liebe zum entdeckten Ich ist mächtiger als zum alten Vaterland → Sicherung gegen Schwankungen des Lebens durch Annahme von Gold • Individuen leben für den Augenblick, lassen sich auch nur für ihn bestechen und verführen, unterwerfen sich Tyrannen → in Zeiten der Korruption kommen die reifen Individuen auf Aph. 26: Was heißt Leben? • Leben: etwas abstoßen, das sterben will; unerbittlich gegen Schwaches und Altes an uns sein; ohne Rücksichtnahme gegen Sterbende, Schwache und Greise sein → Mörder sein? Aph. 28: Mit seinem Besten schaden • unsere Stärken haben zur Konsequenz, dass wir unsere Schwächen nicht mehr aushalten können → werden hart gegen sie, die eigentlich geschont sein wollen • Wirken großer Menschen → richten mit ihrem Besten die Schwachen zugrunde → sie verlieren ihren Verstand und ihre Selbstsucht Aph. 29: Die Hinzu-Lügner • Hinzu-Lügen von Gründen zum weiteren Bestehen von Gesetzen, Moral und Religion → man will sich nicht eingestehen, dass man nur daran gewöhnt ist, will es nicht mehr anders • die Gründe hinter der Gewohnheit werden erst hinzu gelogen, wenn diese Gewohnheit angegriffen und nach den Motiven gefragt wird → Unehrlichkeit der Konservativen Aph. 39: Veränderter Geschmack • Veränderung des Geschmacks ist wichtiger als die Veränderung der Meinungen -> Meinungen sind Symptome des veränderten Geschmacks, nicht dessen Ursachen • Veränderung: Einzelne, Mächtige setzen ohne Schamgefühl ihren Geschmack durch -> führt zu Zwang, dann zu Gewöhnung und dann zum Bedürfnis der Restlichen • „Sie haben aber den Mut sich zu ihrer Physis zu bekennen und deren Forderungen noch in ihren feinsten Tönen Gehör zu schenken: ihre ästhetischen und moralischen Urteile sind solche 'feinste Töne' der Physis“ Aph. 40: Vom Mangel der vornehmen Form • Soldaten und Führer haben ein besseres Verhältnis als Arbeiter und Arbeitgeber -> militärisch begründete Kulturen stehen höher als industriell begründete • industrielle: gemeinste Kulturform überhaupt -> Gesetz der Not: wenn man leben will, muss man sich verkaufen, aber man verachtet den, der den Arbeiter kauft • Massen sind nur zur Sklaverei bereit, wenn der Höhere sich beständig als höher sieht -> zum befehlen geboren und legitimiert ist (Geburtsadel) • ohne den Geburtsadel kommt der Mensch auf die Idee, dass nur Glück und Zufall den Einen über den Anderen erhoben hat -> der Einzelne versucht auch sein Glück Denker/Normaler: Aph. 42: Arbeit und Langeweile • Arbeit ist nur ein Mittel und nicht das Ziel -> die Arbeit, die den meisten Gewinn abwirft, bevorzugen wir • gibt aber Menschen, die lieber zugrunde gehen als ohne Lust an der Arbeit zu arbeiten -> der Gewinn ist egal -> die Arbeit selbst ist der Gewinn • diese seltenen Menschen fürchten Langeweile weniger als die Arbeit ohne Lust -> haben sogar viel Langeweile nötig wenn die Arbeit gelingen soll • für Denker ist Langeweile die Windstille, die sie überwinden müssen -> geringere Naturen können das nicht erlangen • Langeweile von sich scheuchen und ohne Lust arbeiten ist das Allgemeine Not und Leiden: Aph. 47: Von der Unterdrückung der Leidenschaften • wenn man sich die Sprache und Gebärden der Leidenschaft verbietet, erreicht man das, was man nicht will: die Unterdrückung der Leidenschaft selber bzw. ihre Minderung oder Veränderung • in dem Zeitalter, welches auf diese Unterdrückung folgt, sind die Menschen unfähig unartig zu sein • zu Nietzsches Zeit: die Konvention der Leidenschaftlichkeiten wird verlangt, aber nicht Leidenschaft selber • somit wird die Leidenschaft erreicht -> Nachkommen werden echte Wildheit haben und nicht nur die Wildheit der Formen Aph. 48: Kenntnis der Not • Grad der Not (Seele + Leib) ist der Unterschied zwischen Menschen und Zeiten • Not des Leibes: früher musste man, um sich vor Gewalt zu schützen, selbst Gewaltmensch sein • Not der Seele: kennen die meisten Menschen nur aus der Beschreibung, nicht aus der Erfahrung • Schmerz ist heutzutage verhasster als in früheren Zeiten -> schon allein der Gedanke an den • • Schmerz ist schlimm durch die Überempfindlichkeit des Schmerzes kommt es zu pessimistischen Philosophien und der Auffassung, dass das Dasein etwas Böses ist das einzige Rezept gegen Not lautet Not Aph. 56: Die Begierde nach Leiden • braucht das Leiden als einen Grund zur Tat -> Not ist nötig • „Daher das Geschrei der Politiker, daher die vielen falschen, erdichteten, übertriebenen 'Notstände' aller möglichen Klassen und die blinde Bereitwilligkeit an sie zu glauben.“ • brauchen das Unglück von außen, da wir nicht stark genug sind uns selbst eine Not zu schaffen • können nichts mit uns anfangen -> haben immer andere und deren Not nötig Nietzsche über Erkenntnis und Wissenschaft Aph. 12: Vom Ziele der Wissenschaft • hedonistisch: Unlust-Vermeidung, Lust-Maximierung (als Ziel der Wissenschaft ironisch, ablehnend) • stoisch: wenig Lust begehren, um wenig Unlust vom leben zu haben → Wissenschaft kann beides: Fähigkeit zum Schmerz und zur Freude hervorbringen (2 Kräfte) • Bewusstheit und Selbsterkenntnis: FW (Bewusstheit blockiert durch Moralen und Religionen (Tragödien) ) • Bewusstsein: Epiphänomen (naturalistische Erklärungsweise des Menschen), unfertig, „Einheit der Organischen“ , Wissen soll instinktiv sein (Instinkte als Regulator), Bewusstheit zielt auf Irrtümer und deckt sie auf (1.11) • „Animalische“ Eigenschaften des Menschen: Instinktgetriebener als Moralen propagieren Aph. 2: Das intellectuale Gewissen • fehlt den meisten Menschen: Glauben ohne zu Hinterfragen, kein Bedürfnis nach Gewissheit/wissenschaftlicher Erkenntnis • Gläubige lehnen Vernunft i. S. vom freien Denken ab -> „böses intellectuale Gewissen“ (373) • „Das Nachdenken ist um all seiner Würde Form gekommen [.]“ (1.6, 378) „[Frei denkende Menschen] als den Atavismus eines Volkes und seiner Gesittung [.]“ (1.10, 381) • Wissenschaft leidenschaftlich betreiben Aph. 15: Aus der Ferne • manche Größe wirkt nur durch eine Distanz zu ihr, von unten • macht das Umliegende bedeutungsvoll, ist es aber nicht selbst • auch manche Menschen dürfen sich selbst nur aus der Distanz sehen, um sich „erträglich oder anziehend und kraftgebend“ zu finden → rät ihnen damit von Selbsterkenntnis ab Aph. 25: Nicht zur Erkenntnis vorausbestimmt • demütige Menschen: wenn diese etwas Ungewöhnliches wahrnehmen, glauben sie sich getäuscht zu haben → statt das Auffällige noch einmal zu prüfen, vermeiden sie erneuten Kontakt damit → demütige Menschen wollen nichts erkennen, was der gängigen Meinung über Dinge widerspricht Aph. 37: Aus drei Irrtümern • hat die Wissenschaft aus drei Irrtümern gefördert • a) Versuch mit ihr Gottes Güte und Weisheit zu verstehen • b) Glaube an die absolute Nützlichkeit der Wissenschaft -> Verbindung zwischen Moral, Wissen und Glück • c) Glaube an die Selbstlosigkeit und Unschuld der Wissenschaft -> es seien keine bösen Triebe des Menschen daran beteiligt Aph. 46: Unser Erstaunen • die Wissenschaft ermittelt Dinge, die standhalten und immer wieder Grund zu neuen Ermittlungen geben • Ergebnisse der Wissenschaft, die standhalten, erstaunen uns, da wir in einer Welt der Unsicherheit und Phantasterei der Urteile leben • früher hat das Wandelbare erstaunt