Von spatzen und Kanonen
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Von spatzen und Kanonen
gesellschaft Von Spatzen und Kanonen 40 No. 07 / 2012 Die Landwirte, die vor das Verwaltungsgericht gezogen sind, prüfen derzeit den Gang vor die dritte Instanz. Und auch das Nonstaler Apfelkonsorzium Melinda, mit seiner Jahresproduktion von über 300.000 Tonnen in etwa so groß wie die Vinschgauer VI.P, kann gerade mit Blick auf die Nachbarn wenig mit solchen Auflagen anfangen. „Das ist das Gegenteil von dem, was in Südtirol passiert,“ sagt Melinda-Präsident Michele Odrizzi – „obwohl man dort zwischen Landwirtschaft, Tourismus und Umwelt genug zu kauen hat.“ Tatsächlich zeigt der Blick nach Norden, dass die Gesetzesmacher in Südtirol den entgegengesetztenWeg eingeschlagen haben. So wiegt hierzulande de facto noch immer ein Dekret des Landeshauptmannes aus dem fernen Jahre 1989, das selbst von Vertretern der Landwirtschaft „zahnlos“ genannt wird. Proteste bei der Landesverwaltung über einige Landwirte, die ohne Rücksicht auf Anrainer quasi bis ans Wohnzimmerfenster sprühen, haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Sogar beim dafür nicht zuständigen Beratungsring für Obst- und Weinbau gehen etwa zehn Anrufe pro Jahr ein, bestätigt Walther Waldner. „Leider haben Einzelne eine Regelung nötig gemacht“, sagt Landesrat Hans Berger. Dass Handlungsbedarf besteht, hat also auch das Land eingesehen. Nach fast zweijährigen Verhandlungen, bei denen sich vor allem der Bauernbund gegen strengere Auflagen gewehrt hat, wurden zum Jahreswechsel schließlich neue Leitlinien beschlossen. Muss beim Ausbringen von Pestiziden ein Mindestabstand zu Häusern, Gärten, Straßen und Parks eingehalten werden? Die Gemeinde Malosco (unten) am Mendelpass hat mit ihren strengen Bestimmungen vom Verwaltungsgericht Recht bekommen Foto: Gemeinde Malosco D ie Genugtuung über diesen seinen „eindeutigen Sieg“ kann Adriano Marini nicht verbergen. Nur 430 Einwohner zählt Malosco, ein idyllisches Dörfchen im oberen Nonstal an der Grenze zum Mendelpass. Und doch hat Marini als Bürgermeister der Gemeinde in zweiter Gerichtsinstanz einen Erfolg einbuchen können, der weit über die Dorfgrenzen hinaus für Aufruhr sorgt. Das Verwaltungsgericht von Trient hat nämlich am 17. Jänner einen Rekurs von zwei Apfelproduzenten gegen eine Gemeindebestimmung aus dem Jahr 2010 abgewiesen. Damit gelten in Malosco die vielleicht strengsten Auflagen für die Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln überhaupt: Bauern müssen beim Sprühen einen Abstand von 50 Metern zu Gebäuden, Gärten, Wegen, angrenzenden Anbauflächen u. v. m. einhalten. Zudem verbietet Malosco den Einsatz von Pestiziden, die als giftig und sehr giftig eingestuft werden. „Dieses Urteil schreibt Rechtsgeschichte“, ist Adriano Marini überzeugt, der nach eigener Aussage nicht nur die Gesundheit seiner Bürger im Fokus hat. „Ich habe es geschafft zu verhindern, dass der intensive Obstbau das Dorf einnimmt. Wir sind ein touristisches Dorf, Apfelmonokulturen würden unser Landschaftsbild zerstören. Ihr in Südtirol sucht das Zusammenleben der beiden, aber ich weiß ehrlich nicht, wie ihr das machen wollt.“ Nicht alle sind so glücklich über das Urteil, das bei Umwelt- und Landschaftsschützern auf helle Zustimmung stößt. Foto: Alexander Alber Wie nahe an Häusern und Gärten dürfen Pflanzenschutzmittel gesprüht werden? Laut neuen Südtiroler Leitlinien weit näher als anderswo – verbindlich sind sie ohnehin nicht. „Wir haben uns gefreut, als wir von einer Regelung gehört haben und das als Schritt in die richtige Richtung betrachtet“, sagt Peter Gasser von der Umweltschutzgruppe Vinschgau. Nur: Was am Ende herauskam, nennt Gasser „eine gewaltig dünne Suppe. Wenn man eine Problematik schon erkennt und dann doch nur so ein Papierchen macht, dann reicht das bei Weitem nicht aus.“ Die einzuhaltenden Abstände, um die Pestizidbelastung zu verringern, betragen danach acht Meter für Obstanlagen und fünf Meter für Weinberge. Werden Maschinen neuerer Generation eingesetzt, die die Abdrift nachweislich verrringern, ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl gesellschaft Geräten und den Witterungsbedingungen abhängen, bestätigen Landwirtschaftsund Umweltschutzvertreter gleich wie die Versuchsanstalten Laimburg und San Michele. „Über die Meter kann man natürlich streiten, aber diese Regelung ist schon eine wesentliche Entlastung“, sagt Walther Waldner vom Beratungsring. „Persönlich bin ich schon froh, wenn das so übernommen werden würde.“ Lockeres Land, strenge Nachbarn Mindestabstand bei der Ausbringung von Pestiziden zu Gebäuden, Gärten etc. (im Trentino auch zu anderen Anbauflächen) Gemeinde Malosco: Geräte neuer Generation ältere Ausbringungsfahrzeuge 50 m 50 m Leitlinie Provinz Trentino: 30 m 30 m Kompromissvorschlag Nonstal: 10 m 30 m Dekret des Südtiroler Landeshauptmanns (1989) 0m so können Bauern bis auf vier bzw. zweieinhalb Meter an Wohnhäuser, Schulen oder Gärten heranfahren. Das ist nicht nur im Vergleich mit den 50 Metern in Malosco wenig: Die Provinz Trient sieht einen verbindlichen Abstand von 30 Metern vor. Und sogar der Kompromissvorschlag der Nonstaler Produzenten sieht eine Reduktion der 30 auf zehn Meter nur für neueste Sprühgeräte vor. Hans Berger hält 30 Meter für „sehr unrealistisch“, damit sei eine „Übertretung vorprogrammiert“. Die Nonstaler Apfelbauern sehen das offenbar anders: „Es ist für die Bauern kein Problem, diesen Abstand einzuhalten“, ist Melinda® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl Präsident Michele Odrizzi überzeugt. „Anstatt des Allgemeinwohls scheinen offenbar wirtschaftliche Interessen im Zusammenhang mit der chemischen Landwirtschaft Vorrang zu haben“, heißt es beim WWF Bozen zum Südtiroler Modell, gegen das ein Rekurs geprüft wird. WWF-Vertreter Luigi Mariotti spricht von „nachsichtigen Leitlinien, die den Bauernstand unterstützen und der chemischen Landwirtschaft freie Hand lassen.“ In Südtirol seien die Bauern nun einmal ein sehr starker Verband, der auf politische Unterstützung zählen könne. Nun sind Abstände eine relative Angelegenheit, die vor allem von den verwendeten ff-Grafik Leitlinien Südtirol (von Gemeinden noch nicht übernommen): 4 m (Weinbau 2,5 m) 8 m (Weinbau 5 m) Wenn. Denn die größten Schwachstellen der Leitlinien liegen anderswo: Sie sind zwar von der Landesregierung erlassen – rechtsgültig sind sie aber nicht. Um in Kraft zu treten, muss die Regelung erst einmal von einer Gemeinde übernommen werden, wenn sie das denn möchte. „Das Land hat die heiße Kartoffel einfach an die Gemeinden weitergegeben“, kritisiert der Vinschger Umweltschützer Peter Gasser. „Aber wie soll das in einem Dorf funktionieren, in dem der Bürgermeister Apfelbauer und vielleicht auch noch Bauernbundfunktionär ist?“ So jedenfalls passiere in den meisten Gemeinden vermutlich nichts. Wie heiß die Kartoffel ist, zeigt sich an der Reaktion in der größten Obstbaugemeinde des Landes. In Lana wollen weder der Bürgermeister noch der zuständige Gemeinderefernt Auskunft darüber geben, ob man gedenkt, die Leitlinien irgendwann zu übernehmen. Kritikpunkt Nummer zwei: „Was ist mit angrenzenden Bioflächen? Was mit Weideflächen, Kräuteranbau oder Äckern?“ fragt sich Peter Gasser. „Wir haben das eigentlich für alle angedacht, auch für angrenzende Anbauflächen“, sagt Bauernbundobmann Leo Tiefenthaler. Warum sie dann in den Leitlinien nicht erwähnt werden? „Da müssen Sie Landesrat Berger fragen, ich weiß es nicht.“ Hans Berger verweist auf das Recht des zuerst Gekommenen: „Wenn ich konventionell wirtschafte und der Nachbar jetzt auf bio umsteigt, warum muss ich mich dann anpassen?“ Eine ablehnende Haltung gegenüber mehr Bioanbau will Berger nicht auf sich sitzen lassen. „Sie wissen ja, ich habe selbst einen bio logischen Betrieb. Aber wir müssen das Recht beider betrachten und nicht gleich mit Kanonen auf Spatzen schießen.“ n Judith Innerhofer No. 07 / 2012 41