Der Halo-Effekt und andere Managementillusionen

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Der Halo-Effekt und andere Managementillusionen
Der Halo-Effekt und andere
Managementillusionen
Täuschung Nr. 1: Der Halo-Effekt
Die Versuchung, die Gesamtperformance eines Unternehmens bestimmten Faktoren wie Unternehmenskultur, Führungsstil, Werten
und so weiter zuzuschreiben. Viele vermeintliche Performancefaktoren sind in Wirklichkeit lediglich Begleiterscheinungen vergangener
Erfolge.
Täuschung Nr. 2: Die Verwechslung von Korrelation und Kausalität
Zwei Erscheinungen können korreliert sein, ohne dass wir wissen, was
Ursache und was Folge ist. Garantieren zufriedene Mitarbeiter eine
höhere Performance? Die Wirklichkeit scheint eher das Gegenteil zu
beweisen – der Erfolg eines Unternehmens schlägt sich positiv in der
Zufriedenheit seiner Mitarbeiter nieder.
Täuschung Nr. 3: Die Illusion der einzig wahren Erklärung
Viele Studien machen für Performanceverbesserungen einen einzigen Faktor wie Firmenkultur, Kundenorientierung oder Führungsstil
verantwortlich. Weil aber viele dieser Faktoren hochgradig korreliert
sind, ist der Beitrag der einzelnen Faktoren in der Regel geringer als
angenommen.
Täuschung Nr. 4: Der ausschließliche Siegervergleich
Solange wir lediglich Erfolgsunternehmen miteinander vergleichen,
werden wir niemals jene Erfolgsfaktoren identifizieren, die sie vor ihren weniger erfolgreichen Wettbewerbern auszeichnen.
Täuschung Nr. 5: Die Illusion wissenschaftlicher Gründlichkeit
Eine schlechte Datenqualität lässt sich weder durch die Quantität der
gesammelten Daten noch durch die Güte der Analysemethoden kompensieren.
Täuschung Nr. 6: Die Illusion vom anhaltenden Erfolg
Fast alle leistungsstarken Unternehmen erleiden mit der Zeit Performanceeinbußen. Das Versprechen eines dauerhaften Erfolgsrezepts ist
verführerisch, aber wenig realistisch.
Täuschung Nr. 7: Die Illusion absoluter Performance
Unternehmensperformance ist ein relativer Begriff. Ein Unternehmen
kann sich nach absoluten Kriterien verbessern und dennoch hinter
seine Wettbewerber zurückfallen.
Täuschung Nr. 8: Die Verwechslung von Ursache und Wirkung
Auch wenn erfolgreiche Unternehmen häufig stark fokussierte Strategien verwenden, heißt das noch lange nicht, dass stark fokussierte
Strategien die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhen.
Täuschung Nr. 9: Die trügerische Metapher von den Naturgesetzen
der Unternehmensführung
Die Unternehmensperformance folgt keinen unveränderlichen Naturgesetzen und lässt sich nicht mit wissenschaftlicher Genauigkeit vorhersagen.
Vorwort
Dieses Buch handelt von Unternehmensführung und Management,
Erfolg und Scheitern, Wissenschaft und Anekdoten. Es will den Managern nahelegen, den Ratschlägen der Spezialisten, Berater und
Führungsgenies mit Skepsis zu begegnen und vielmehr auf das eigene
Denken zu setzen, um die Spreu vom Weizen zu trennen.
Wer sich jedoch nach einem Buch mit dem ultimativen Erfolgstipp, der einzig wahren Formel für die Marktbeherrschung oder den
sechs Schritten zur wahren Größe sehnt, findet in den Bücherregalen
reiche Auswahl. Dutzende von Neuerscheinungen bringen jedes Jahr
die Rezepte führender Unternehmen von General Electric und Toyota
bis zu Starbucks und Google unters Volk. Machen Sie sich ihre Tricks zu
eigen! Andere Bücher singen ein Lied auf Helden wie Michael Dell,
Jack Welch, Steve Jobs oder Richard Branson. Erfahren Sie, was diese
Menschen groß gemacht hat, und tun Sie es ihnen gleich! Wieder andere beschreiben den Weg zur Innovationsmaschine, zur unfehlbaren Strategie, zum nahtlos integrierten Unternehmen oder zur konkurrenzlosen
Spitzenposition. So zeigen Sie’s Ihren Wettbewerbern!
Aber alle Tricks und Formeln und alle klugen Ratschläge ändern
nichts an der Tatsache, dass sich Erfolg nicht erzwingen lässt; wahrscheinlich sogar weniger denn je in Anbetracht des zunehmend globalen Wettbewerbs und des immer rascheren technologischen Wandels –
und genau daraus erklärt sich möglicherweise auch die Anziehungskraft vermeintlicher Patentrezepte und Supertricks. Je verzweifelter
die Lage, desto größer die Sehnsucht nach einem rettenden Wunder.
vorwort
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Das hat nichts mit Verschwörung zu tun, weder im rechten noch
im linken Lager, weder an der Wallstreet noch in den Eliteunis. Schon
eher mit Bequemlichkeit. Manager sind viel beschäftigte Leute, von
denen ständig alle Welt erwartet, dass sie die Umsätze, Gewinne und
Renditen in die Höhe schnellen lassen. Da ist es nur natürlich, wenn
sie für Angebote schneller Patentlösungen, mit denen sie der Konkurrenz eins auswischen können, empfänglich sind. Und die Buchautoren
aus der Berater-, Professoren- und Guruzunft erfüllen ihnen diesen
Wunsch mit Handkuss. Nachfrage erzeugt Angebot und Angebot befriedigt Nachfrage, und so dreht sich das Karussell munter fort.
Aber Wunschdenken und Profitgier sind nur die halbe Erklärung.
Die Schar derer, die ernsthaft nach den Erfolgsursachen im Unternehmensgeschäft forschen, ist gewaltig. Und wenn ihre Anstrengungen so
wenig Früchte tragen, muss es dafür einen Grund geben. Warum ist
es so schwer, die Performancefaktoren dingfest zu machen? Warum
scheitern alle noch so ernsthaften Versuche, den Erfolgsgeheimnissen
auf die Spur zu kommen, mögen die zugrunde gelegten Daten aus
noch so vielen Unternehmen und aus noch so vielen Jahren stammen? Stellen wir die falschen Fragen oder suchen wir nach den falschen Antworten?
Die zentrale Botschaft dieses Buches lautet: Unser unternehmerisches Denken unterliegt mehreren Täuschungen. Die Untersuchung
solcher Täuschungsphänomene ist keineswegs neu. Charles Mackays
Klassiker Extraordinary Popular Delusions and the Madness of Crowds
aus dem Jahr 1841 beschreibt die Absurditäten des öffentlichen Urteils – von der holländischen Tulpenvernarrtheit bis zu den Spekulationsblasen der modernen Finanzwelt. Mittlerweile wissen wir aus
der Kognitionspsychologie, welche Wahrnehmungsverzerrungen die
Entscheidungen der Menschen prägen, sobald Unsicherheit im Spiel
ist. Dieses Buch beschreibt diverse Täuschungen, die uns den Blick
dafür verstellen, warum das eine Unternehmen Erfolg hat und das
andere nicht. Diese Irrtümer finden sich in der Tagespresse ebenso wie
in Fachzeitschriften und Business-Bestsellern. Sie hindern uns daran,
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klar zu denken und den Unternehmenserfolg mit kritischen Augen zu
sehen und zu bewerten.
Ist Täuschung ein zu starkes Wort? Ich denke nicht. Mein langjähriger Freund Dick Stull erklärt den Unterschied zwischen Illusion und
Täuschung folgendermaßen: Wenn Michael Jordan vor einem Korbleger einen Sekundenbruchteil bewegungslos in der Luft zu schweben
scheint, ist das eine Illusion. Unsere Augen spielen uns einen Streich.
Meinen wir aber, wir brauchten lediglich in Nikeschuhe zu schlüpfen
und nach einem Basketball zu greifen, um ein zweiter Mike zu sein, so
erliegen wir einer handfesten Täuschung. Wir machen uns etwas vor,
was niemals eintreten wird. Die Täuschungsmechanismen, die ich in
diesem Buch beschreibe, sind ein bisschen von dieser Art – wir hoffen
auf große Erfolge, sobald wir nur dies oder jenes tun, aber irgendwo
steckt immer der Teufel. Einige der größten Bucherfolge der Businessszene der letzten Jahre strotzen geradezu vor solchen Täuschungen.
Trotz ihres wissenschaftlichen Anspruchs und ihrer langatmigen Wiedergabe vermeintlich belastbarer und sorgfältig erstellter Studien bewegen sich die meisten von ihnen auf der Anekdotenebene. Sie liefern
inspirierende Geschichten, die wir als anregend und wohltuend empfinden, aber sie sind gedanklich unsauber gearbeitet. Sie sind gewissermaßen Blendwerk.
Marc Twain sagte einmal: »Tue stets, was recht ist. Einige erfreust
du, die übrigen verblüffst du damit.« Die Zielsetzung dieses Buches ist
eine etwas andere; es soll weder erfreuen noch verblüffen. Mir geht
es in erster Linie darum, eine Diskussion anzustoßen und das unternehmerische Denken zu verbessern und zu versachlichen. Es mangelt
nicht an klugen Managern. Pfiffige, tüchtige und in allen gängigen Unternehmenskonzepten bewanderte Führungskräfte gibt es zuhauf. Was
fehlt, sind weise Manager, die Nuancen wahrnehmen, gründlich nachdenken und zwischen richtig und falsch unterscheiden können. Ich
möchte den Managern helfen, mehr von dieser Weisheit zu erwerben,
auf dass sie ihre Wahrnehmung schärfen, eine gesunde Skepsis entwickeln und weniger empfänglich werden für simplifizierende Formeln
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und Schnellschusslösungen. Was veranlasst mich dazu? Bereits seit
über zwanzig Jahren beschäftige ich mich mit Fragen der Unternehmensführung, zuerst als Manager für ein führendes US-Unternehmen,
dann als Professor an der Harvard Business School und nun schon
seit zehn Jahren als Professor am Lausanner IMD. Täglich stehe ich in
Kontakt mit Führungskräften aus den unterschiedlichsten Branchen.
Dabei beobachte ich bei Managern ebenso wie bei Professoren stets
aufs Neue die Neigung, sich mit einfachen und ganz offensichtlich unzulänglichen Antworten zufriedenzugeben und nach Billiglösungen
zu greifen, anstatt sich mit Problemen gründlich auseinanderzusetzen
und von den eigenen Gehirnzellen Gebrauch zu machen.
Entscheidend ist nicht, was Sie denken, sondern dass Sie lernen,
kritisch und eigenständig zu denken. Vielleicht werden Sie einige
Teile dieses Buches als provozierend empfinden. Das schadet nichts.
Schließlich liegt mir ja gerade daran, dass Sie lernen, Kritik zu üben.
Eines meiner Vorbilder in diesem Bereich war Herbert Simon, der Vater der künstlichen Intelligenz, Träger des Wirtschaftsnobelpreises für
seine Arbeiten zur Entscheidungsfindung und Professor an der Carnegie Mellon University vom Ende der Vierzigerjahre bis zu seinem Tod
im Jahr 2001. In seinen Memoiren Models of My Life beschreibt Simon,
wie er im Laufe diverser, häufig sehr zeitaufwendiger und kostspieliger Erkundungsreisen während der Sechzigerjahre zur Formulierung
seines Reisetheorems 1 kam, das wie folgt lautet:
Alles, was ein gewöhnlicher erwachsener Amerikaner auf einer Auslandsreise (von maximal einjähriger Dauer) lernen kann, kann er
schneller, billiger und bequemer in der Stadtbibliothek von San Diego
erfahren.
Die Reaktion? Simon schreibt: »Die Menschen reagieren auf mein
Reisetheorem mit äußerster Heftigkeit. Ich versuche ihnen klarzumachen, dass ich keineswegs die Freuden des Reisens infrage stelle,
sondern lediglich die Zweckmäßigkeit des Reisens unter dem Aspekt
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Der Halo-Effekt
des Lernens. Aber man hört mir offenbar nicht zu, sondern hält mir
stattdessen vor, dass ich doch selbst ständig reise. Warum gönne ich
anderen nicht dasselbe? Wenn sie sich schließlich so weit beruhigt
haben, dass sie mein Theorem zur Kenntnis nehmen, können sie es
immer noch nicht lassen, mich anzugreifen. Irgendwann sagen sie
dann nichts mehr, sind aber keineswegs überzeugt. Sie denken dann
im Stillen: Was bringt es, mit einem Verrückten zu diskutieren?«
Ich finde das Reisetheorem wundervoll – nicht, weil ich derselben
Meinung bin, sondern weil es mich zum Nachdenken anspornt. Ich
frage mich dann: Was ist der eigentliche Zweck dieser oder jener Reise? Will ich Spaß oder will ich etwas lernen? Was genau will ich lernen
und wie gelingt mir das am besten? Sollte ich meine Zeit und mein
Geld nicht besser in andere Lernquellen investieren, anstatt um den
halben Globus zu jetten? Mag Simons Reisetheorem zutreffen oder
nicht – entscheidend ist, dass wir uns damit auseinandersetzen. Eine
solche Art des kritischen Denkens kann niemals schaden.
Die meisten Managementbücher drehen sich um die unmittelbare
Frage: Wie lässt sich eine gute Performance erzielen? Wir wollen hier eine
andere Frage stellen: Warum lassen sich die Performancefaktoren so schwer
auf den Punkt bringen? Ich möchte den Vorhang lüften und anhand
einer Reihe selten gestellter Fragen Licht auf diverse weit verbreitete Wahrnehmungsverzerrungen werfen. Die Kapitel 2 bis 8 zeichnen
nach, warum die Experten – Gurus, Berater, Professoren und Journalisten – so häufig danebenliegen. Sie beschreiben jene Täuschungen,
denen wir allerorten begegnen: in der Wirtschaftspresse, in der akademischen Forschung und in den Bestsellercharts. Aber das ist nur
der erste Schritt. Sobald der Nebel der Trugbilder verweht ist, gilt es,
die tatsächlich entscheidenden Faktoren der Unternehmensperformance herauszuarbeiten – immer unter Berücksichtigung der dem
Wirtschaftsgeschehen innewohnenden fundamentalen Unsicherheit.
Davon handeln die Kapitel 9 und 10, in denen ich ein differenzierteres Performanceverständnis unter Berücksichtigung bestimmter
Wahrscheinlichkeitsfaktoren vorstellen will. Glücklicherweise finden
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sich auf dem Wirtschaftsparkett sehr wohl Führungskräfte, die die hier
vorgestellten Prinzipien beispielhaft vorleben und die ich dem Leser im
letzten Kapitel kurz vorstellen möchte.
Findet sich am Ende dann ein Goldschatz? Nicht im üblichen Wortsinn. Ein definitives Erfolgsversprechen suchen Sie auf diesen Seiten
vergeblich. Eine Garantie, dass diese vier Regeln oder jene fünf Schritte Sie ans Ziel bringen, kann es nicht geben. Dennoch bin ich davon
überzeugt, dass ein klarsichtiger und kritischer Denkansatz den in den
meisten gängigen Businessratgebern angepriesenen Hauruckmethoden allemal überlegen ist.
Von einem weiteren klugen Vordenker, der auf den folgenden Seiten zu Wort kommen wird, stammt die These, dass sich so manche
Disziplin gern mit zusätzlichem Pomp umgibt, indem sie Dinge unnötig kompliziert ausdrückt und darstellt. Die Beispiele reichen von der
Soziologie über die Philosophie bis zur Wirtschaftsgeschichte – und
mit Sicherheit gehört auch die Wirtschaftswissenschaft dazu. Dass sich
viele ökonomische Ratgeber ziemlich zäh und trocken präsentieren,
resultiert aus dem Wunsch, den Anschein von Allwissenheit zu erzeugen und die existierenden Kenntnislücken zu verschleiern. Mit Blick
auf einen besonders wichtigtuerischen Philosophen heißt es bei Feynman:
Mich nervt weniger der philosophische Inhalt selbst als vielmehr das
Gedöns darum herum. Wenn er doch wenigstens über sich selbst lachen könnte! Wenn er doch sagen würde: »Ich sehe das so, aber Leipzig
sah es anders, und auf seine Weise hatte er auch nicht so unrecht.«
Wenn er doch zu seiner Subjektivität stünde. 2
In diesem Sinne also: Was Sie auf den folgenden Seiten finden, ist
meine subjektive Sicht der Dinge. Lesen Sie sie mit Ihren eigenen Augen!
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