Zum Begriff der „Kommunikativen Rationalität“ bei Jürgen Habermas

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Zum Begriff der „Kommunikativen Rationalität“ bei Jürgen Habermas
Vortragsreihe „Philosophiegeschichte“ der
FSI Philosophie Wintersemester 2012/13
05.Dezember 2012
Die Frankfurter Schule
Zum Begriff der „Kommunikativen Rationalität“ bei
Jürgen Habermas
Qellen:
1. Jürgen Habermas, „Theorie des kommunikativen Handels“, Suhrkamp Verlag
2. Markus Heuft, „Sagen und Meinen – Phänomenologische Untersuchungen“, Wilhelm Fink Verlag
3. Walter Reese-Schäfer, „Jürgen Habermas“, Campus Einführungen
4. Florian Sander und Gaudenz Steinlin, Seminararbeiten zum Thema „TdKH“
5. Biographie „Jürgen Habermas“; Auszüge von http://www.hdg.de/lemo/html/biografien/HabermasJuergen/index.html
Kurzbiographie
1929
18. Juni: Jürgen Habermas wird in Düsseldorf geboren.
1944
kommt er als Fronthelfer an den Westwall.
1949-1954
Studium an den Universitäten Göttingen, Zürich und Bonn Philosophie, Psychologie, Deutsche Literatur und Ökonomie.
Promotion mit dem Thema "Das Absolute in der Geschichte. Eine Untersuchung zu Schellings Weltalterphilosophie".
1954-1959
Tätig zunächst als freier Journalist, bis er 1956 von dem aus dem Exil zurückgekehrten Theodor W. Adorno zur Mitarbeit am wieder eröffneten
Institut für Sozialforschung in Frankfurt/Main eingeladen wird.
1961
Habermas habilitiert in Marburg mit der Schrift "Strukturwandel der Öffentlichkeit“. Es folgt außerordentliche Professur für Philosophie an der
Universität Heidelberg.
1964-1971
Professur für Philosophie und Soziologie an der Universität Frankfurt/Main.
1968
Veröffentlichung der Studie "Erkenntnis und Interesse", die Habermas über den deutschsprachigen Raum hinaus bekannt macht.
1971-1983
Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt nach Starnberg.
1981
Veröffentlichung seines Hauptwerks "Theorie des kommunikativen Handelns", dem 1992 sein zweites Opus magnum "Faktizität und Geltung" folgt.
1983-1994
Professor für Philosophie in Frankfurt/Main mit dem Schwerpunkt Sozial- und Geschichtsphilosophie.
1992
In der Studie "Faktizität und Geltung" entwirft Habermas eine normative Theorie des Rechtsstaates.
1996
Veröffentlichung der Studie zur politischen Theorie "Die Einbeziehung des Anderen" und des Essays "Vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen
Ausdruck".
1998
Veröffentlichung der politischen Essays " Die postkoloniale Konstellation" und "Die postnationale Konstellation".
1999
Veröffentlichung der philosophischen Aufsätze "Wahrheit und Rechtfertigung".
1. Ausgangslage
1. Die Herrschaft der Zweck-Mittel-Rationalität
Die Pathologie der modernen Gesellschaft:
1. Eindringen von ökonomischen und bürokratischen Systemrationalisierungen in die
Lebenswelt,
2. Kolonialisierung der Lebenswelt führt zu Sinn- und Freiheitsverlusten.
→ „rationale“ Standards als normative Grundlagen Handlungen in der Gesellschaft
→ Souverän ist die Verwaltung
→ Autonomie der Subjekte wird zunehmend aufgehoben (Gläserner Mensch)
→ Verrechtlichung der Familie, Schulen, etc.
→ Verdinglichung des Subjekts zum Objekt (Ämter, Bachelorsystem, etc.)
1. Ausgangslage
2. Motive für eine Theorie des kommunikativen Handelns
Max Weber „Wirtschaft und Wissen“
„Handeln soll ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun,
Unterlassen oder Dulden) heissen, wenn und insofern als der oder die Handelnden
mit ihm einen subjektiven Sinn verbindet.
„[Soziales Handeln]...ist ein Handeln, welches seinem von dem oder den Handelnden
gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem
Ablauf orientiert ist.“
Horkheimer/Adorno „Dialektik der Aufklärung“
„Odysseus entdeckt an den Worten, was in der entfalteten bürgerlichen
Gesellschaft Formalismus heißt: ihre perennierende Verbindlichkeit wird damit bezahlt,
daß sie sich vom je erfüllten Inhalt distanzieren, im Abstand auf alle möglichen Inhalte sich beziehen, […]. S
olche Anpassung ans Tote durch die Sprache enthält das Schema der modernen Mathematik.“
Ironie des Schicksals:
DdA weist der Selbstkritik der Vernunft den Weg zur Wahrheit und bestreitet zugleich die Möglichkeit,
dass auf dieser Stufe vollendeter Entfremdung die Idee der Wahrheit noch zugänglich ist.“
(Habermas, TdkH)
1. Ausgangslage
3. Paradigmenwechsel zur Intersubjektivität
→ Kritik an der Verankerung in der Bewusstseinsphilosophie
→ Mit Ausdifferenzierung der Welt, Wegfall der Naturordnung oder Wille Gottes,
verbleibt nur noch der Einzelne, das auf sich gestellte Subjekt. Interesse an
Selbsterhaltung lässt den objektiv vernünftigen Zweck verschwinden.
Habermas Gedanken:
→ Mensch ist sprach- und handlungsfähiges Subjekt.
→ Subjekt ist nicht alleine, sondern greift mit anderen auf eine gemeinsame Welt zu.
→ Verschiebung der kognitiv-instrumentellen Rationalität hin zur kommunikativen
Rationalität, mit dem Ziel der Verständigung.
„Ich werde zeigen, dass ein Paradigmenwechsel zur Kommunikationstheorie die
Rückkehr zu einem Unternehmen gestattet, das seinerzeit mit der Kritik der instrumentellen
Vernunft abgebrochen worden ist; dieser erlaubt ein Wiederaufnehmen der liegengebliebenen Aufgaben einer kritischen
Gesellschaftstheorie“
(Habermas, TdkH)
1. Ausgangslage
4. Der gemeinsame Nenner: Sprache zur Handlungskoordination
→ Sprache als fundamentale Handlungskoordinierung funktioniert in der „Lebenswelt“,
die als „Raum für Verständigung“ begriffen werden kann,
→ Im „System“, begriffen als „Funktionsbereich“, findet ein Missbrauch der Sprache statt.
Habermas will mit einer Theorie des kommunikativen Handelns, die normativen
Grundlagen der kritischen Gesellschaftstheorie aufstellen. Kernstück der Theorie
bildet dabei die „Kommunikative Rationalität“.
„Verständigung wohnt als Telos der menschlichen Sprachen inne!“
(Habermas, TdkH)
2. Handlungen und Sprache
1. Handlungsarten I
Wenn schon kommunikatives Handeln, von welchen anderen Handlungsarten grenzt es sich
ab?
Teleologisches Handeln
→ Zielt auf Verwirklichung eines Zweckes.
Sprachlich: Indirekte Verständigung derer, die ihre eigenen Zwecke im Auge haben.
Normatives Handeln
→ Bezieht sich auf Gruppen, die ihr Handeln an gemeinsamen Werten orientieren.
Die Normbefolgung wird von allen Mitgliedern erwartet.
Sprachlich: Bloßes Aussprechen eines schon vorhandenen, normativen Einverständnisses
Dramaturgisches Handeln
→ Bezieht sich auf die expressive Selbstpräsentation vor einem Publikum.
Sprachlich: Selbstdarstellung
2. Handlungen und Sprache
2. Handlungskoordination I
Handlungsorientierung = Woran orientieren sich die Handelnden, wenn sie ihre Handlungen
Koordinieren?
Erfolgsorientiert
Verständigungsorientiert
Handlungssituation
= In welchem Kontext findet die Handlung statt?
Sozial
Nicht-Sozial
Mit der Einführung der Handlungskoordination vollzieht Habermas den Wechsel
von der Bewusstseinsphilosophie hin zur Kommunikationstheorie. Es geht nicht mehr um
die Perspektive des „Einzelnen“, sondern darum, wie „Viele“ Ihr Handeln koordinieren.
2. Handeln und Sprache
3. Handlungskoordination, Teil II
Handlungsorientierung
Nicht
Sozial
Instrumentelles
Handeln
Sozial
Handlungssituation
erfolgsorientiert
Strategisches
Handeln
verständigungsorientiert
Kommunikatives
Handeln
„[...] und zwar sollen sich diese Einstellungen unter geeigneten Umständen anhand des
intuitiven Wissens der Beteiligten selbst identifizieren lassen.“
(Habermas, TdkH)
2. Handlungen und Sprache
4. Sprechakte I
Sprechakttheorien nach Austin, Searle und Bühler, in denen Sprache als Sprachakte
verstanden werden, mit Geltungsansprüchen und Weltbezügen.
Lukutionär
→ „Morgen fällt die Vorlesung aus“
Es wird ein reiner Sachverhalt ausgedrückt
Illukutionär
→ „Ich teile Dir mit, dass Morgen die Vorlesung ausfällt“
Durch das „mitteilen“ wird aus dem Sachverhalt eine selbstgenügsame Sprechhandlung
Perlokutionär
→ Wenn aufgrund des illukutionärem Sprechakt ein Handlungseffekt beim Hörer
erzielt wird.
Perlokutionäre Effekte werden erzielt, wenn Illuktionen mit der Absicht ausgeführt werden,
um bei dem Hörer einen bestimmten Zweck zu erreichen.
„Ich rechne also diejenigen sprachlich vermittelten Interaktionen, in denen alle Beteiligten mit ihren Sprechhandlungen
Illokutionäre Ziele und nur solche verfolgen, zum kommunikativen Handeln. Die Interaktion hingegen, in denen mindestens
Einer der Beteiligten mit seinen Sprechhandlungen bei einem Gegenüber perlokutionäre Effekte hervorrufen will,
Betrachte ich als sprachlich vermitteltes strategisches Handeln.“
(Habermas, TdkH)
2. Handlungen und Sprache
5. Handlungskoordination III
→ Sprachliche Interaktionen dienen in einem kommunikativ strukturiertem
Handlungszusammenhang der Koordination der Handlungen = Verständigung
Frage: Woher kommt nun diese handlungskoordinierende Kraft der Sprache?
1. Mit Sprechakten erheben wir den Anspruch auf Geltung der Sprechakte
2. Aussagen behaupten implizit dass das Gesagte wahr, richtig oder wahrhaftig ist
3. Geltungsansprüche können geprüft werden und mit „ja“ oder „nein“ beantwortet
werden.
4. Sind Geltungsansprüche geprüft und anerkannt, so wird nicht nur der Inhalt für wahr,
richtig oder wahrhaftig akzeptiert, sondern die Handlungen müssen entsprechend des
Einverständnisses erfolgen.
Problem: Die Rationalität beim Sprecher muss vorausgesetzt werden, d.h.: dass der
Sprecher nicht etwas anderes meint als die Bedeutung dessen was er sagt.
2. Handlungen und Sprache
6. Sprechakte II, Geltungsansprüche und Weltbezug (nach Habermas)
Karl Bühlers Organon-Modell
Wahrheit
Objektive Welt
Wahrhaftigkeit
Subjektive Welt
Richtigkeit
Soziale Welt
2. Handlungen und Sprache
7. Arten Handlungsrationalität sozialen Handelns
Wird der Geltungsanspruch abgelehnt, so erhebt nur der „Kritiker“ seine
Geltungsansprüche. Es kommt zum Diskurs.
Durch die Handlungskoordinierung und Geltungsansprüche ergeben sich vier Arten der
Handlungsrationalität:
1. Strategisches Handeln → Kann in Bezug auf die Wirksamkeit kritisiert werden
2. konstative Sprechhandlungen → Explizite Darstellung von Wissen, was unter dem Aspekt der
Wahrheit kritisierbar ist.
3. Normenregulierte Handlung → Verkörpern moralisch-praktisches Wissen, welche unter dem Aspekt
der Richtigkeit kritisiert werden können.
4. Dramaturgische Handlungen → Verkörpern Wissen aus der eigenen Subjektivität, welche unter dem
Aspekten der Wahrhaftigkeit kritisiert werden können.
In dem Vorgang des Diskurses liegt für Habermas die Rationalitätsform begründet.
Ziel: Kommunikative Rationalität oder Verständigungsrationalität erreicht?
3. Theorie des kommunikativen Handelns (Teil 1)
1. Kritisierbarkeit der Geltungsansprüche
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3. Theorie des kommunikativen Handelns (Teil 2)
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