Dresscodes verstehen: Wie Sie die ungeschriebenen
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Dresscodes verstehen: Wie Sie die ungeschriebenen
Ungeschriebene Kleidungsgesetze U 51/1 Haben die traditionellen Kleidungsregeln ausgedient? Wenn Darum geht es: man die Medien betrachtet, könnte man das meinen. Doch bekommt der Bewerber den erhofften Job als Bankangestellter, der in Jeans zum Bewerbungsgespräch erscheint? Wirkt die Unternehmensberaterin, die schulterfrei beim Kunden auftaucht, glaubwürdig? Wohl nicht. Da lohnt ein Blick auf die Details. Tipps & Trends Dresscodes verstehen: Wie Sie die ungeschriebenen Kleidungsgesetze geschickt anwenden Suchwortverzeichnis top-thema A B C D Die Themen: E So sieht Kleidung für die erste Liga aus – und das aus gutem Grund ���������������������������������������������������������������� 2 Unausgesprochene Regeln sinnvoll interpretiert: 7 Fälle aus der Praxis �������������������������������������������������������������������������� 8 „In Erinnerung bleiben, nicht auffallen.“ Interview mit Kati Wempe �������������������������������������������������������������� 20 F G H I J K L M N O P Q R Ihre Expertinnen: Elisabeth Bonneau und Kati Wempe S T Elisabeth Bonneau hört in ihren Seminaren zur Business-Etikette häufig Fragen zum angemessenen Erscheinungsbild, von Top-Managern genauso wie von Auszubildenden. Kati Wempe ist Mitglied der Geschäftsführung im Freiburger Modehaus Kaiser. Zuvor war die Hamburgerin in diversen Führungspositionen für Damen- und Herrenmode tätig. U V W X Y www.stil.de Ausgabe 2/2012 • 75 Z U 51/2 Ungeschriebene Kleidungsgesetze So sieht Kleidung für die erste Liga aus – und das aus gutem Grund Microsoft-Chef Bill Gates, einer der reichsten Männer der Welt, erscheint zu Großveranstaltungen in Jeans. Michelle Obama, die Frau des amerikanischen Präsidenten, begleitet ihren Mann zu offiziellen Anlässen im ärmellosen Kleid. Der deutsche Bundespräsident hält das unbedeckte Tattoo seiner Frau, Bettina Wulff, für „kein Problem“. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätten die traditionellen Kleiderregeln für die internationale erste Liga ausgedient. Alles egal? Stimmt das wirklich? Und wie sieht es für die jeweils erste Liga in einer Branche, einem Unternehmen, einer Abteilung aus? Alles egal, anything goes? Mit Sicherheit nicht! Das sagen nicht nur Modefachleute, sondern auch Soziologen und Psychologen. Schauen wir also genauer hin: Was hat es heute auf sich mit den mehr oder weniger klar formulierten Regeln für die Kleidung im Beruf? Der Dresscode im gehobenen Geschäftsleben Kleidung muss passen, sie sollte nicht aufreizend sein, sie muss gepflegt und vor allem zweckdienlich sein: Ein Heizungstechniker wäre bei der Arbeit im dunklen Anzug genauso deplatziert wie eine Investmentbankerin im Overall. Auf dieser selbstverständlichen Basis gründet die in vielen Berufen herrschende Freiheit bei der Kleiderwahl. „You can never go wrong with convention“ – mit Konventionen können Sie nichts falsch machen. John Morgan (1959–2000) englischer Stil-Experte 76 • Ausgabe 2/2012 Eine große Berufsgruppe hat sich aber gegen diese Freiheit und für ein einheitlich dezentes, bedeckendes und gedecktes Outfit entschieden: um den Eindruck von Seriosität, Kontinuität und Wertigkeit zu vermitteln. Ob Sie nämlich Managerin sind, Bankmitarbeiter, Anwältin oder Verkäufer im gehobenen Warensegment: Mit dem klassischen Business-Outfit sind Sie immer gut bedient. www.stil.de Ungeschriebene Kleidungsgesetze U 51/3 Klassische Geschäftskleidung im Überblick – für Damen Nummer sicher Kann gut sein Das lieber nicht Kostüm in kalten, gedeckten Farben: Dunkelblau, Anthrazit typgerechter edler Schmuck Kostüm in Schwarz, Dunkelbraun, Hellgrau; Kombination von Jacke und Hose Bluse in Pastelltönen wie Rosa oder Grau; dezente Streifen und Karos; elegantes Shirt, Kleid diskreter, hochwertiger Modeschmuck Strümpfe: hautfarben, dunkelblau, rauchfarben Pumps farblich auf die Kleidung abgestimmt fein gemustert, auch schwarz elegante Stiefel zum Rock; Slingpumps auffällige Farben und Muster, Mustermix von Rock/ Hose und Jacke; Verzicht auf Jackett; Jeans gewagte Muster, grelle Farben; tiefes Dekolletee, ärmellose/transparente Oberteile Schmuck, der den Blick weg vom Gesicht (Mimik) und von den Händen (Gestik) lenkt grellbunte und/oder gemusterte Strümpfe Sneakers, Sandalen, Stiefel zu Hosen, High Heels, Peeptoes Bluse in Weiß oder Hellblau Klassische Geschäftskleidung im Überblick – für Herren Nummer sicher Kann gut sein Das lieber nicht Anzug in kalten, gedeckten Farben: Dunkelblau, Anthrazit Langarmhemd in Weiß, Hellblau auffällige Farben und Muster, Mustermix von Hose und Jacke; Verzicht auf Jackett; Jeans Kurzarmhemd, gestreiftes Hemd zu gestreiftem/kariertem Jackett schwarze glattlederne Schnürschuhe Motivkrawatten; Schmuck, der den Blick weg vom Gesicht (Mimik) und den Händen (Gestik) lenkt bunte Socken, grellbunte und/ oder gemusterte Strümpfe, zu kurze Strümpfe (sodass z. B. beim Überschlagen der Beine die Haut zu sehen ist) Sneakers, Sandalen, Stiefel zu Hosen; Loafers zum Anzug Anzug in Schwarz, Dunkelbraun, Hellgrau; Kombination von Jacke und Hose in dezenten Farben Langarmhemd in Pastelltönen wie Rosa oder Grau; dezente Streifen und Karos uni oder dezent ge- dezenter Mustermix von musterte Krawatte; Hemd und Krawatte; unter typgerechter edler gewissen Bedingungen SigSchmuck nalrot (siehe Seite U 51/7) Strümpfe in Schwarz lange Herrensocken/Kniestrümpfe in Schwarz bzw. auf Hose/Schuhe abgestimmt www.stil.de Loafers zur Kombination Ausgabe 2/2012 • 77 U 51/4 Ungeschriebene Kleidungsgesetze tipp: Mehr zum Thema finden Sie in den Beiträgen K 48 Kleidung, Frau und K 49 Kleidung, Mann in Ihrem Grundwerk. Warum eine Business-Uniform? Weil Ähnlichkeit Vertrauen schafft! Warum, so fragen Sie sich vielleicht, muss ein einheitliches – manche sagen eintöniges – Bild im Wirtschaftsleben sein? Der Elitenforscher Professor Michael Hartmann zitiert in seinem Buch „Der Mythos von den Leistungseliten“ einen Kollegen, den Psychologieprofessor Dieter Frey: „Bei gleicher Leistung wirkt sich Ähnlichkeit als Plus, Unähnlichkeit hingegen als Minus aus.“ Signal: Zugehörigkeit Beim Aufstieg in die Top-Etagen der Wirtschaft ist die Vertrautheit mit den Verhaltens- und Dresscodes der Zielgruppe ein wesentliches Auswahlkriterium. Wer sich verhält und kleidet wie „die da oben“, suggeriert, dass er weiß, „wie man das macht“, dass er „dazugehört“. Hand aufs Herz: Würden Sie sich bei der Besetzung eines Arbeitsplatzes in Ihrem Umfeld nicht auch eher für eine Person entscheiden, von der Sie den Eindruck haben: Sie ist berechenbar, weil „eine von uns“? Sie „passt zu uns“. Lassen Sie die Intuition der anderen für sich arbeiten Nun will nicht jeder in die Top-Etagen aufsteigen, doch dass Kleidung als Mittel der Beeinflussung dient, liegt auf der Hand. Machen Sie sich ein Bild von den Personen, auf die Sie wirken wollen. Der Volksmund nennt das unwillkürliche Erkennen von Ähnlichkeiten „Stallgeruch“, die Psychologen sprechen lieber von „Resonanzphänomenen“. In den letzten Jahren hat die psychologische Forschung herausgefunden, wo im Gehirn solche Erkennungs-Prozesse stattfinden: Es ist das System der Spiegelnervenzellen. 78 • Ausgabe 2/2012 www.stil.de Ungeschriebene Kleidungsgesetze Erkennen, ohne zu wissen: So funktioniert das Diese Spiegelneuronen schließen von Teilen einer Handlung auf eine gesamte Sequenz. Sie erkennen also intuitiv, was an der Oberfläche von Erscheinungsbild, Sprache und Verhalten gar nicht objektiv wahrnehmbar ist, und sagen künftiges Verhalten voraus. Der Mediziner, Neurobiologe und Psychotherapeut Professor Joachim Bauer stellt diese Erkenntnisse in seinem Bestseller „Warum ich fühle, was du fühlst“ eindrücklich dar. „Die Hauptaufgabe dieses Systems besteht“, laut Joachim Bauer, „darin zu deuten, was auf die Absichten oder Empfindungen anderer Menschen … schließen lässt“. So ziehen Ihre Kunden, Geschäftspartner, Vorgesetzten, Personalchefs, Kollegen und Mitarbeiter auch aus Ihrer Kleidung Rückschlüsse auf Ihr künftiges Verhalten – unbewusst, doch nicht minder wirkungsvoll. „Passt oder passt nicht“, diese Bewertung der Kleidung bekommt so eine ganz neue Dimension. U 51/5 Absichten und Empfindungen deuten Rolle verwechselt Als blutjunge Lehrerin wurde ich gleich an meinem ersten Arbeitstag als Pausenaufsicht eingesetzt. Mit prüfendem Blick durch die Schülermenge gehend, spürte ich plötzlich: Da kniff mich jemand in den Po. Ohne eine Sekunde zu überlegen, verpasste ich dem „Täter“ eine Ohrfeige. Was für ein Einstieg an einem Gymnasium! Ich eilte zum Schulleiter. Der sagte nur „Gut, dass ich es weiß“ und musterte mich. Was sah er da? Overknee-Stiefel aus schwarzem Lack, einen roten Minirock und ein schwarzes Shirt – für den Oberprimaner nicht unbedingt ein Hinweis auf eine Respektsperson. Ich hätte es mir denken können. Kleidung von Respektpersonen Warum sich Manager auf der ganzen Welt in schlichtes Blau und Grau kleiden Die Repräsentanten des gehobenen Business entscheiden sich für gedeckte Farben – warum? Früher trugen wichwww.stil.de Ausgabe 2/2012 • 79 U 51/6 Ungeschriebene Kleidungsgesetze tige Personen doch Farbe, da brauchen wir nur in die Geschichtsbücher zu schauen! Und die Gewänder hoher Vertreter von Kirche und Rechtsprechung sind auch heute noch farbenprächtig, siehe beispielsweise das Rot der Kardinäle und Bundesverfassungsrichter. Der Grund ist zum einen historischer Natur: Das aufstrebende Bürgertum wollte sich im 19. Jahrhundert vom Adel abgrenzen – und wählte darum Kleidung, die der Adel nicht trug: Statt wallender Gewänder aus Samt, Brokat und Seide in schillernden Farben wählten sie schlichte Stoffe und Schnitte sowie zurückhaltende Farben. Noch Mitte des 20. Jahrhunderts trug ein Herr den schwarzgrauen Stresemann und einen schwarzen Anzug nur mit farbloser (silberner) Krawatte. Wie Farben auf Betrachter wirken Außerdem haben sich im Lauf der Zeit Assoziationen und Sehgewohnheiten entwickelt – nicht nur bei den Farben von Kleidung. In ihrem Standardwerk „Wie Farben wirken“ zeigt die Soziologin und Psychologin Dr. Eva Heller das Ergebnis einer anonymen Befragung zu Farben und den ihnen zugeschriebenen Eigenschaften. Farben und Eigenschaften 80 • Ausgabe 2/2012 Das Ergebnis beweist folgende für Berufskleidung relevanten Schwerpunkte: Blau, die Lieblingsfarbe der meisten Deutschen, gilt als die Farbe der Treue, der Kühle, der unbegrenzten Dimensionen. Rot steht für Leidenschaft und Feuer – sowie für das gesetzlich und moralisch Verbotene. Bei Schwarz denken viele an das Ende und die Trauer, aber auch an Mode und Anarchie. Weiß steht für Sauberkeit und Unschuld sowie für Sterilität und Leere. Braun ist die unsympathischste Farbe; sie wird mit Faulheit und Spießigkeit verbunden, aber auch mit Gemütlichkeit und Geborgenheit. Und woran denken viele bei Grau? An Mittelmaß, Gefühlsferne und Bescheidenheit. www.stil.de Ungeschriebene Kleidungsgesetze U 51/7 Alarmstufe Rot Erst kürzlich bestätigten Experimente des Psychologen Andrew Elliott von der University of Rochester/ USA die Wirkung von Rot als Signalfarbe: „Wer Rot trägt, empfindet die eigene relative Dominanz als höher. Sieht man den Gegner rot gekleidet, verstärkt die Wahrnehmung die gegnerische Stärke und Gefährlichkeit.“ Definieren Sie also die Situationen, in denen Sie ein leuchtendes Rot tragen sollten. Macht und Gefahr Farben färben ab – auf das Image des Trägers Kein Wunder, dass sich Dunkelblau und Dunkelgrau als die Farben für die Berufe, in denen es um das Geld meist anderer Menschen geht, herauskristallisiert haben. Sind es doch die Farben, die am wenigsten mit – wenig fassbaren, gar unberechenbaren – Emotionen assoziiert werden. Kein Wunder auch, dass nach der Entscheidung für das Gesamtbild die Frage „Welche Farbe passt zum Teint?“ erst an zweiter Stelle steht. Vertrauen und Berechenbarkeit Ein mittleres Grau wird zwar mit Berechenbarkeit, aber oft auch mit Mittelmaß assoziiert – „grau innen und außen“. Daher ist es so wichtig, dass Trägerinnen und Träger von mittelgrauen Anzügen die Farben und Muster von Hemden/Blusen sowie die Accessoires so wählen, dass das Grau und somit sie selbst Kontur bekommen. Auch für Farbzusammenstellungen gilt: Sie können nicht nicht wirken Der feine dunkle Anzug und das weiße Hemd waren außerdem lange Zeit Menschen vorbehalten, die sich bei der Arbeit im unmittelbaren Sinn des Wortes nicht „die Finger schmutzig machen“ mussten. Heute noch wird derart gekleideten Personen zugeschrieben, dass sie die besser Bezahlten, die Entscheider, sind. Ohnehin wirken Farben stärker, wenn sie im Kontrast auftreten. Erinnern Sie sich, wie Barack Obama in seinem www.stil.de Ausgabe 2/2012 • 81 U 51/8 Ungeschriebene Kleidungsgesetze Präsidentschaftswahlkampf vorwiegend im blauen oder dunkelgrauen Anzug mit weißem Hemd und roten Farben auftrat? Auf die Idee, ihm karierte Jacketts, gestreifte Hemden und warme Ton-in-Ton-Kombinationen zu empfehlen, wäre kein Berater gekommen. tipp: Schauen Sie sich einmal um. Sie sehen nicht nur in den Medien: Kalte Farben im Kontrast erzeugen eine Wirkung von Stärke. Kombinationen von hellerem Grau mit hellem Blau und/oder leichte Streifen oder Karos im weißen Hemd wirken zurückhaltender. Erdtöne wie Braun, Orange oder Rostrot lassen den Träger weicher erscheinen, aber auch weniger „mächtig“. Unausgesprochene Regeln sinnvoll interpretiert: 7 Fälle aus der Praxis Nicht jedes Unternehmen hat einen festgeschriebenen Dresscode. Und wenn es einen gibt, ist die Umsetzung oft sehr uneinheitlich. Wo liegen die Spielräume im Geschäftsalltag? Wie erkennen Sie die unausgesprochenen Gesetze ganz konkret? Das lesen Sie hier. Praxisfall 1: Das Kurzarmhemd situation: Sie sind als Herr gewohnt, Langarmhemden zu tragen. In Ihrer neuen Firma tragen alle Männer Kurzarmhemd. Müssen Sie sich anpassen? die lösung: Das Kurzarmhemd kommt – als Freizeithemd – im Business-Dresscode nicht vor. Genauso wenig wie das Button-down-Hemd, das offen, aber nicht mit Krawatte zu tragen ist. Doch als geheime Regel gilt in Ihrer neuen Firma offensichtlich: „Hier wird zugepackt! Und da beugt man sich keinen Kleiderregeln.“ Befolgen Sie die Regel nicht, laufen Sie Gefahr, als „bunter Hund“ zu gelten. 82 • Ausgabe 2/2012 www.stil.de Ungeschriebene Kleidungsgesetze U 51/9 Wie weit sind Sie bereit, um der Gemeinschaft willen Ihren Stil und Ihren Geschmack zu opfern? Anpassungsfähigkeit ist ein hohes Gut im Zusammenleben, wie die Wissenschaft belegt (siehe Michael Hartmann); Ich-Stärke ist es aber auch. In Ihrem Fall können die beiden Positionen Hand in Hand gehen: Bleiben Sie sich selbst treu, indem Sie weiterhin Ihre Langarmhemden tragen. Sich selbst treu bleiben Senden Sie das Signal „Auch ich packe hier mit an“, indem Sie bei passender Gelegenheit im Büroalltag ruhig einmal die Ärmel hochkrempeln. Die Redensart „die Ärmel hochkrempeln“ bedeutet „tüchtig zupacken“. Wenn jedoch ungeplant Kundenbesuch ansteht, können Sie die Ärmel wieder herunterkrempeln und Ihren Gast korrekt gekleidet empfangen. Krawatte „auf halb acht?“ Bitte nicht! Die Grenze der Erleichterung wäre allerdings überschritten, wenn sich die Kollegen im Sommer oder im Eifer des Arbeitens Erleichterung verschafften, indem sie den obersten Hemdknopf öffnen und den Krawattenknoten lösen. Auch wenn George Clooney mit der Krawatte „auf halb acht“ Werbung für eine Kaffeesorte macht, wirkt diese Bindung schlampig und auf manche sogar trotzig: „Aha, da beugt sich einer dem Krawattenzwang, demonstriert aber gleichzeitig, wie ungern er das tut.“ Sandalen? Nein, danke! Dass man den deutschen Touristen weltweit an Shorts und Socken in Sandalen erkennen kann, ist ein Vorurteil. Engländer sieht man auch so! Sagen die Engländer. Nicht nur im Business ein „No go“. Von noch so eleganten bloßen Füßen in Sandalen wird für das gehobene Geschäftsumfeld abgeraten – auch bei Frauen. Der britische Verhaltensforscher Desmond Morris zeigt in „The Naked Woman“, welche Bandbreite an erowww.stil.de Ausgabe 2/2012 • 83 U 51/10 Ungeschriebene Kleidungsgesetze tischen Fantasien ein nackter Frauenfuß bei einem Mann auslösen kann. Eine Frau, die Seriosität ausstrahlen will, sollte tunlichst vermeiden, solche Assoziationsketten in Gang zu setzen. Praxisfall 2: Wenn die Chefin selbst die Regeln bricht situation: Ihre Chefin verlangt gedeckte, seriöse Kleidung, hält sich selbst aber nicht an diese Regeln. Sie „Quod licet Iovi not trägt ein tiefes Dekolletee, im Sommer ärmellose licet bovi“: Was Jupiter darf, darf der Büffel noch Blusen ohne Jackett und keine Strümpfe. Müssen lange nicht. Sie dennoch den Anforderungen entsprechen? Überliefert nach dem römischen Komödiendichter Terenz, Originalname Publius Terentius Afer, 195 (?) v. Chr. bis 159 (?) v. Chr. die lösung: Sie kennen sicher das Sprichwort „Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe“ und vielleicht auch die lateinische Version „Quod licet Iovi, not licet bovi“. Offensichtlich hat die Dame diese geheime Regel im Kopf. Was riskieren Sie, wenn Sie diese Regel brechen und sich kleiden wie Ihre Vorgesetzte? Rein juristisch nicht viel. Denn die Gesetzgebung für Kleidung am Arbeitsplatz ist nicht eindeutig. Sie finden sogar in Gerichtsurteilen so schwammige Begriffe wie etwa „branchenüblich“ und die Angabe, dass das für einen Bankberater Anzug bedeutet. Über die Geschäftskleidung von Frauen finden Sie in Gerichtsurteilen und Gesetzestexten keine konkreten Angaben. Der kalkulierte Regelbruch: Für und Wider Kleidung und Modestatus 84 • Ausgabe 2/2012 Wenn Sie elegante, doch gedeckte Business-Kleidung tragen, schreiben Ihre Kunden und Geschäftspartner Ihnen einen höheren Status zu, als wenn Sie sich locker und sexy kleiden. Ein hoher Status entsteht aber auch dadurch, dass sich Menschen nicht sklavisch an Regeln halten. Michael Hartmann hat herausgefunden, dass für den beruflichen Aufstieg auch sicheres Auftreten und unternehmerisches Denken zählen. www.stil.de Ungeschriebene Kleidungsgesetze U 51/11 Motivkrawatte ist nicht gleich Motivkrawatte Immer wieder klagen Mitarbeiter, dass ihr Vorstand Motivkrawatten untersagt, aber selbst welche trägt. Da wird in der Regel nicht mit zweierlei Maß gemessen, sondern es wird an unterschiedliche Motive und Preiskategorien gedacht. Dollarzeichen, Nikoläuse, Mickymäuse: nein, stilisierte Pflanzen und Tiere auf hochwertigen französischen Seidenkrawatten: ja. Mut zum Risiko – konstruktiv interpretiert Doch müssen Sie Mut zum Risiko in einem Regelbruch bei der Kleiderwahl beweisen? Und der Chefin, sollte sie Sie tadeln, ins Gesicht sagen: „Schauen Sie sich doch selbst an!“? Kanalisieren Sie Ihren Mut besser konstruktiv, und legen Sie der Dame unter vier Augen Ihr Dilemma dar: „Ich kenne unsere Kleiderregeln und sehe, wie Sie sie umsetzen. Ist es für Sie in Ordnung, wenn auch ich das tue und – ab einer Temperatur von … / wenn kein Kundenbesuch ansteht – auf Strümpfe verzichte?“ wichtig: Fragen Sie aufrichtig. Geben Sie dadurch Ihrer Chefin die Chance, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren, Kompromisse zu finden oder Ausnahmeregelungen zu definieren. Vielleicht ist sie Ihnen nicht ewig dankbar dafür. Auf jeden Fall wissen Sie aber, worauf es ihr ankommt. Praxisfall 3: Schlecht gekleideter Chef – was nun? situation: Sie kleiden sich gern hochwertig und modisch, Ihr Vorgesetzter kommt im 15 Jahre alten Anzug, der ihm längst nicht mehr passt, daher. Dürfen Sie hochwertigere Anzüge, Hemden, Krawatten und Schuhe tragen als er? die lösung: Für Ihren Chef gilt offensichtlich die Regel, dass Kleidung zweitrangig ist. Diese Einstellung ist falsch – und ungünstig für Ihren Chef. Als Anbieter, der www.stil.de Ausgabe 2/2012 • 85 U 51/12 Ungeschriebene Kleidungsgesetze im schlecht sitzenden Anzug „maßgeschneiderte Lösungen“ verspricht, ist er unglaubwürdig. Die Sprache verrät noch mehr: „Gut betucht“ bedeutet wohlhabend, weil erfolgreich. Er kommt in abgenutztem Stoff daher: Welches Erfolgsversprechen nimmt ein Geschäftspartner ihm ab? Feedback geben zu persönlichen Themen Handelte es sich um einen Kollegen, könnten Sie bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein ein persönliches Feedback auf gleicher Augenhöhe geben: Unter Kollegen 1.„Ich schätze dich sehr, deine Leistungen sind hervorragend. 2.Deshalb erlaube ich mir, dir zu sagen: Lass doch deine Kompetenz auch in deiner Kleidung zum Tragen kommen. 3.Ich sage dir gern mehr dazu. Bis hier aber schon mal: Danke, dass ich dir das sagen durfte.“ Rückmeldungen an den Chef Einem Vorgesetzten allein eine persönliche Rückmeldung zu geben, um die er nicht gebeten hat, ist delikat. Männer lassen sich in Kleidungsfragen außerdem eher von Frauen beraten. Offensichtlich hat Ihr Chef aber keine Frau zu Hause, die diese Beraterrolle erfolgreich ausübt. Vielleicht findet seine Ehefrau sein Outfit sogar in Ordnung, beispielsweise weil Geld für die Ausbildung der Kinder oder den Hausbau gebraucht wird. Machen Sie besser im Team diesen Versuch: Mehrere (!) Kolleginnen, die einen guten Draht zu ihm haben, loben den Chef konsequent charmant, wenn er sich (einmal) gut kleidet. Sie thematisieren Kleidung und ihre Wirkung immer wieder auch an eigenen Beispielen. So sensibilisieren sie den Chef peu à peu dafür, wie und dass ein Erscheinungsbild eben wirkt. 86 • Ausgabe 2/2012 www.stil.de Ungeschriebene Kleidungsgesetze U 51/13 Steter Tropfen höhlt den Stein Die Assistentin der Geschäftsleitung einer Bank bat mich um Feedback zur Farbwahl ihrer Kleidung. Sie trug generell nur Graues mit weißen Blusen, ich riet ihr zu mehr Farbe; sie lehnte das strikt ab. Zufällig hörte ich, wie ein Kollege sie fragte: „Warum kleiden Sie sich eigentlich immer so trist?“ Daraufhin kam sie erneut zu mir: „Welche Farben meinten Sie genau?“ Wie wäre es mit einer guten Beratung? Es soll Männer geben, die zwar Humor, aber für vermeintlich „unwichtige“ Äußerlichkeiten keinen Blick haben. Zählt Ihr Chef zu dieser Gruppe? Dann kann ein Gutschein für eine Farb- und Stilberatung helfen, ihm die Augen zu öffnen. Es reicht schließlich nicht, dass er einen neuen Anzug kauft, er sollte ihm und zu ihm passen. Den Gutschein bitte als Team überreichen und nett verpacken, auch verbal! Wollen Sie ihm aber gar nicht helfen, sondern nur für sich eine Entscheidung treffen? Wenn Ihrem Chef an Kleidung so wenig liegt, liegt ihm auch an Ihrer Kleidung wenig. Tragen Sie die stilvolle Kleidung, die Ihnen gefällt. Praxisfall 4: Querverweise von Querbindern situation: Sie tragen gern Fliege statt Krawatte, werden aber von Kollegen in der Abteilung deshalb gehänselt. die lösung: Eine Tagesfliege oder -schleife ist im Business-Outfit eine Ausnahmeerscheinung. Sie weckt daher beim Betrachter die Erwartung auf ein im positiven Sinn „anderes“ Verhalten. Zeigen Sie sich also generell pfiffig? Dann können Sie das mit Ihrer Fliege ruhig unterstreichen. Ausnahme erscheinungen tipp: Immer rote Socken, immer eine grüne Krawatte – diese Insignien mögen als abgewandelte Parteiabzeichen herhalten. Achten Sie aber darauf, dass solche Zugehörigkeitsbeweise nicht mit einer eitlen Marotte verwechselt werden. www.stil.de Ausgabe 2/2012 • 87 U 51/14 Ungeschriebene Kleidungsgesetze Wenn es den lieben Kollegen nicht gefällt: Gilt in Ihrer Abteilung generell das japanische Sprichwort „Der Nagel, der aus dem Holz hervorsteht, wird eingeschlagen oder abgebrochen“? Dann ist das Hänseln eine Art Mobbing, und Sie sollten sich auf den Weg zum Betriebs- oder Personalrat machen. Oder sind die Kollegen sonst kollegial, nur modisch etwas einfallslos? Dann folgen sie der Regel „Was chic ist, bestimmt die Mehrheit“. Und Sie können die Sprüche schmunzelnd ignorieren. Oder Sie übernehmen die ehrenvolle Aufgabe, zur Geschmacksbildung des Teams beizutragen. Dann erläutern Sie beispielsweise, dass Ihre blaue Fliege mit den gelben Punkten exakt auf das Jackett abgestimmt ist. Oder Sie kommentieren die Langbinder der Kollegen „Die Farbe passt gut zum Sakko“ beziehungsweise „Der Streifen gefällt mir zu deinem einfarbigen blauen Hemd besser“. Wer das nicht mag, hört auf, Ihre Querbinder zu kommentieren. Wer dadurch Stilempfinden entwickelt, sowieso. Was ist zu viel des Guten? Dem Status angemessen Tragen Sie schon seit Jugendtagen Doppelmanschetten mit Manschettenknöpfen in Edelmetall, handgenähte Schuhe, ein Einstecktuch und einen Siegelring? Dann tun Sie das bitte immer und mit Selbstverständlichkeit. Stellen Sie sich aber manchmal die Frage, ob Sie mit einem bestimmten Accessoire Ihren Kunden, Geschäftspartnern, Vorgesetzten und Kollegen ein Bild von sich zeigen, das in das Umfeld nicht unbedingt passt? Dann entscheiden Sie sich für die schlichtere Variante des Business-Outfits: Auch strategische Bescheidenheit kommt an. 88 • Ausgabe 2/2012 www.stil.de Ungeschriebene Kleidungsgesetze U 51/15 Praxisfall 5: Weiche Tweed-Jacke in harten Verhandlungen? situation: Sie, Produktmanager dritter Ebene in einem internationalen Konzern, lieben Tweed-Jacken. Warum sollten Sie sie nicht bei Preisverhandlungen mit Kunden tragen? die lösung: Ihre Frage erinnert mich an ein Zitat, das ich irgendwo aufgeschnappt habe: „Stolz neigt leicht zu großen Posen, Lässigkeit zu kurzen Hosen.“ Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen kurzen Hosen und TweedJacken. Doch lässiger als ein gedeckter Anzug wirkt ein grob gemusterter Tweed-Stoff immer. Ist das für Ihre Geschäftspartner das richtige Signal, wenn es um viel Geld geht? Ich meine, nein. Sie wollen sich vielleicht einfach nur wohl fühlen, gerade wenn Sie etwas Wichtiges für das Unternehmen leisten müssen. Die generelle Business-Regel lautet hingegen: „Sorgen Sie dafür, dass man Ihnen ansieht, dass Sie etwas leisten können.“ Und das ist in einem glatten Anzug wirklich eher der Fall. Kleidung und Wohlbefinden – eine subtile Verbindung Wohlbefinden in einem Kleidungsstück entsteht … … aus dem unmittelbaren Gefühl des Stoffes am Körper. Der gibt nämlich Ihrem Gehirn Feedback zu diesem Empfinden. Wollen Sie sich wirklich „weich“ fühlen, wenn Sie hart verhandeln müssen? … durch den Respekt, der sich in Blick und Verhalten des Gegenübers widerspiegelt. Im grob gewebten Stoff werden Sie aber eher für den „Mann fürs Grobe“ gehalten als für den klugen Verhandlungspartner. Wollen Sie das riskieren? Denken Sie an die Spiegelneurone. „Mann fürs Grobe“ … aus dem Bewusstsein, die eigene Wirkung im Griff zu haben. Wollen Sie nicht doch lieber auf Nummer sicher gehen und den Sehgewohnheiten des Geschäftsumfelds entsprechen? www.stil.de Ausgabe 2/2012 • 89 U 51/16 Ungeschriebene Kleidungsgesetze Um die Ecke gedacht, falsch gedacht Ein potenzieller Kunde lud mich zu einem KennenlernGespräch auf eine Café-Terrasse ein. Es war ein heißer Sommertag, ich entschied mich für ein leichtes, helles Kostüm und – ich war 20 Jahre jünger als jetzt, meine Beine waren es auch – gegen Strümpfe. Kaum saß ich, ärgerte ich mich über mich selbst: Hätte ich mich doch businesskonform gekleidet! Jahre und zig Seminare später erzählte ich dem Kunden davon. Darauf er: „Denken Sie, ich hätte nichts Besseres zu tun gehabt, als Ihnen auf die Beine zu schauen?“ Es war also weniger der Regelbruch als der Gedanke daran, der mein Missbehagen geprägt hatte. Lenken Sie mit Ihrer Kleidung Ihre Gedanken „Body-Feedback“ Dass Ihr Körper seine eigene Sprache spricht, die andere zu verstehen versuchen, ist nicht neu. Der Körper sendet aber auch Signale an das eigene Gehirn. Sie brauchen nur wenige Minuten Kopf und Schultern hängen zu lassen und schon fühlen Sie sich schlechter als zuvor. Umgekehrt lenkt ein „Kopf hoch!“ die Gedanken in eine positive Richtung. „Body-Feedback“ nennen die Psychologen dieses Phänomen. „Outfit-Feedback“ Genauso hilft Ihnen das bewusste Zuknöpfen der Anzugjacke, Ihre Gedanken zu sammeln. Elegante Pumps verhelfen der Dame, feine Schnürschuhe mit Ledersohle dem Herrn zu einem festen Stand. Deshalb fühlen Sie sich mit diesem Schuhwerk professioneller als in Gesundheitsschuhen mit Gummisohle. Man könnte dieses Phänomen „Outfit-Feedback“ nennen. Ein wenig Make-up: Tun Sie anderen und sich selbst den Gefallen Kein Dresscode kann eine Mitarbeiterin zwingen, sich zu schminken. Doch wenn Sie Ihre Augen und Ihren Mund farblich unterstreichen und kleine Unebenheiten im Ge- 90 • Ausgabe 2/2012 www.stil.de Ungeschriebene Kleidungsgesetze U 51/17 sicht mit Puder überdecken, wirken Sie professioneller. Ihr Gegenüber wertet die leichte Formung des Naturzustands als Wertschätzung: „Für mich hat sie sich zurechtgemacht.“ Sie können Make-up sogar für Ihr Body-Feedback nutzen und beim Schminken denken: „Jetzt geht’s an die Arbeit, jetzt verlasse ich den privaten Raum.“ Malen Sie sich aber nicht an. Lassen Sie sich von einer Fachkosmetikerin Schminktipps für ein naturnahes Aussehen geben. Machen Sie das Beste aus Ihrem Gesicht. Praxisfall 6: Wie viele Taschen für die Dame? situation: Sie (weiblich) besuchen Kunden in ihrem Unternehmen. Müssen Sie zusätzlich zu Ihrer Laptop-Tasche eine Handtasche mitnehmen? die lösung: Die alte Regel, dass eine Dame grundsätzlich eine Handtasche bei sich haben muss, gilt nicht mehr, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel täglich illustriert. Praktikabilität gilt als hoher Wert. Daher reicht Ihre Laptop-Tasche völlig aus, wenn Sie Ihre persönlichen Utensilien darin verstauen können. Wenn schon Handtasche – dann welche? Früher war eine Damenhandtasche generell in Farbe und Material auf die Schuhe und die Kleidung abzustimmen. Das ist natürlich auch heute noch stilvoll. Und bei einem eleganten beruflichen Anlass wie einem Geschäftsessen sollten Sie auf dieses Stilmittel nicht verzichten. Im reinen Business-Umfeld zählt eine Handtasche aber nicht mehr als Accessoire, sondern als Gebrauchsgegenstand. Sie brauchen also nicht täglich die Taschen passend zur Kleidung zu wechseln: neue Lebenswelten, neue Regeln. Tasche als Gebrauchs gegenstand Praxisfall 7: Frieren für das Firmen-Image? situation: Sie arbeiten in einer Anwaltskanzlei am Empfang, im Winter ist es dort kalt und zugig. Wie weit dürfen Sie gegen die strenge Kleiderordnung verstoßen? www.stil.de Ausgabe 2/2012 • 91 U 51/18 Ungeschriebene Kleidungsgesetze Gesundheit geht vor die lösung: Gilt in Ihrem Unternehmen die Regel „Die Firmenphilosophie steht über der Gesundheit der Mitarbeiter!“? Mit Sicherheit nicht. Bei Damen ist ein fein gestrickter Rollkragenpullover mit Tuch statt Bluse unter dem Jackett akzeptabel. Kündigt sich hoher Besuch an, ist eher die „Zwiebeltechnik“ mit Pullover oder Pullunder über der Bluse sinnvoll: Da ziehen Sie für ein paar Stunden Pullunder oder Pullover aus. Herren halten sich im dreiteiligen Anzug warm. Auch gegen warme Wollsocken in etwas breiteren Schuhen zum (Hosen-)Anzug ist nichts zu sagen. Es müssen ja nicht die grob gestrickten Norweger-Modelle sein. Stiefeletten zur Hose gelten allerdings weder bei Damen noch bei Herren als businesslike. tipp: Die Zeiten, zu denen der Rocksaum über den Stiefelschaft reichen musste, sind vorbei. Blickdichte dunkle Strümpfe füllen den Zwischenraum zwischen Rock und Stiefel harmonisch aus. Feines Schuhwerk und Schmuddelwetter Sicherlich tragen Sie bei Matsch und Schnee Ihre feinen Lederschuhe nicht auf dem Weg zur Arbeit. Bei schlechtem Wetter gehen Sicherheit und Gesundheit vor. Warmes, rutschfestes und wasserdichtes Schuhwerk ist Pflicht. 92 • Ausgabe 2/2012 www.stil.de Ungeschriebene Kleidungsgesetze U 51/19 Sie entscheiden sich für ein angemessenes festes Schuhwerk für unterwegs und deponieren die empfindlichen Geschäftsschuhe im Büro, richtig? Was aber können Sie tun, wenn Sie Kunden in deren Firma oder gar im Privathaushalt besuchen? Sie haben die Wahl: Sie tragen draußen über Ihren feinen Schuhen Überschuhe – in den 1960er Jahren aus der Mode gekommen, jetzt topmodisch – und ziehen diese an der Haustür des Kunden aus. Sie haben Ihre Geschäftsschuhe in einem Beutel dabei und tauschen am Eingang die Schuhe aus. Sie behalten Ihr festes Schuhwerk an, reinigen es aber vor Betreten des Hauses mit einem Lappen. Kommen Besucher mit nassen oder schmutzigen Schuhen zu Ihnen, bieten Sie ihnen ein Tuch zum Säubern der Schuhe an. Welcher seriöse Geschäftsmann, welche kompetente Geschäftsfrau würde sich gern barfuß oder in fremden Pantoffeln präsentieren? Wie weit im Sommer die Frustrationstoleranz geht Welche Erleichterung ist bei Sommerhitze in Abteilungen ohne Klimaanlage möglich? Entscheiden Sie das nicht allein und täglich neu. Klären Sie das generell im Team und mit Ihrem Vorgesetzten. So ersparen Sie sich Maßregelungen bei einer in den Augen der Geschäftsleitung zu großen Abweichung vom Dresscode. wichtig: Sie bieten dabei als Team Ihren Besuchern zwar ein von der Regel abweichendes, aber doch einheitliches Bild. www.stil.de Ausgabe 2/2012 • 93 U 51/20 Ungeschriebene Kleidungsgesetze „In Erinnerung bleiben, nicht auffallen.“ Expertinnen-Interview mit Kati Wempe Kati Wempe ist Geschäftsführerin für Damenmode im Freiburger Modehaus Kaiser, dessen Damenabteilung von der legendären Zita Kaiser gegründet wurde. Deren Credo war, dass Mode als Ausdruck von Kultur und Ästhetik zu verstehen sei. Kati Wempes Leitmotiv lautet: „Klare Statements abgeben, aber der Kaiserschen Handschrift treu bleiben.“ Frau Wempe, woran sehen Sie, dass ein Anzug oder ein Kostüm passt? Das sehe ich wie alle „Textilisten“ zuerst einmal an der Silhouette. Blazer-, Rock- und Hosenlänge müssen an der Größe der Person orientiert sein. Große Frauen mit kurzem Jäckchen sehen genauso unvorteilhaft aus wie nicht so große Männer mit langen Jacketts. Es geht auch um die Silhouette der Hose: Es gibt erstens schmale, zweitens gerade geschnittene und drittens die Flared-Hosen, die am Oberschenkel eng sind und vom Knie an weiter werden. Letztere sind vor allem für große Frauen ideal. Worauf achten Sie außerdem? Farbharmonie und Mustermix Auf den Warenausfall, das ist die Stoffqualität, dann die Oberflächenbeschaffenheit, die Verarbeitung der Nähte, modische Details wie Knöpfe und das Stitching, also den Nahtverlauf. Zuletzt auf die Farbharmonie und den Mustermix. Und sicherlich auf das Material … 94 • Ausgabe 2/2012 www.stil.de Ungeschriebene Kleidungsgesetze U 51/21 Ja, doch Vorsicht: Je hochwertiger die Stoffqualität, desto anfälliger ist ein Kleidungsstück für Falten. Wer viel aus dem Koffer lebt oder von Termin zu Termin sprintet, ist mit der viel gepriesenen reinen Wolle gar nicht so gut bedient. Da ist eine Wollmischung vorteilhafter. Es gibt heute chemische Ausrüstungen (Veredelungsmaßnahmen) in den Textilien, die sehr angenehm im Tragen sind. Man sollte offen auf verschiedene Qualitäten zugehen. Es entspricht dem Zeitgeist, „Crossdressing“ zu tragen. „Crossdressing“: Heißt das Männerkleidung für Frauen und umgekehrt? Nein, auf keinen Fall! „Crossdressing“ bedeutet heute, sich nicht auf eine Preiskategorie festzulegen, sondern hochpreisige Stücke mit preiswerteren zu kombinieren. Ein Kleidungsstück muss vor allem ein Gesicht haben: individuelle Details, eine ansprechende Oberfläche. Hoch- und niedrigpreisig kombinieren Sagen wir, ein junger Mensch kommt von der Universität und tritt seine erste Arbeitsstelle in einem Umfeld an, in dem Anzug beziehungsweise Kostüm zu tragen ist. Wie viel muss er für seine Grundausstattung ausgeben? Bei der Wirkung geht es um Stil, nicht um den Preis. Sie können mit den wertigsten Sachen billig aussehen, wenn die nicht zu Ihnen passen. Fangen Sie nicht gleich mit dem Teuersten an. Probieren Sie, was zu Ihnen passt. Sie können auch mit einem knappen Budget top gekleidet sein. Woher weiß diese junge Person, was zu ihr passt? Die beste Freundin fragen? Wir bei Kaiser haben einen VIP-Service. Da geht es nicht um hochpreisige, sondern um typgerechte Kleidung. Da werden zuerst einmal diese Fragen gestellt: Nicht hochpreisige, sondern typgerechte Kleidung 1.Welche Rolle spielen Sie? 2.Wie wollen Sie wirken? 3.Was brauchen Sie in Ihrem Job? www.stil.de Ausgabe 2/2012 • 95 U 51/22 Ungeschriebene Kleidungsgesetze Die Kundin/Der Kunde bekommt im Lauf der Beratung ein Gefühl für ihre/seine Wirkung als Person. Sie muss sich wohl und darf sich nicht verkleidet fühlen, die Kleidung muss bequem sein. Wie finde ich diese Experten, wenn ich nicht in Baden wohne? Fragen Sie in einem renommierten Modehaus Ihrer Stadt nach einer entsprechenden Beratung. Gibt es sie nicht, suchen Sie weiter. Finden Sie sie nicht … kommen Sie nach Freiburg. (lacht) Wie viel Spielraum ist beim Business-Outfit möglich? Natürlich gibt es in bestimmten Berufen bestimmte Konventionen. Wir machen den Menschen Mut, damit zu spielen und auch ein klein wenig über die eigenen Grenzen zu gehen und die Bandbreite auszuschöpfen. Und wie viel Mode darf in einem konservativ geprägten Geschäftsfeld wie etwa dem Banken- oder Versicherungswesen sein? Giorgio Armani hat gesagt: „Eleganz bedeutet nicht aufzufallen, sondern in Erinnerung zu bleiben.“ Mode hat sehr viel mit Kultur zu tun. Interesse an Mode dokumentiert Kultur, Wissen, Ästhetik, Sensibilität. Wer die Flexibilität hat, mit Mode umzugehen, der ist immer gut gekleidet. www.stil.de ipp T Ein Klick und Sie sind immer bestens informiert. Nutzen Sie auch den Abonnentenbereich exklusiv für alle Leser von „Der große Knigge“! 96 • Ausgabe 2/2012 www.stil.de