Bilder im Recht Pictures in the Law - Max-Planck
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Bilder im Recht Pictures in the Law - Max-Planck
Jahrbuch 2007/2008 | Dölemeyer, Barbara; Härter, Karl; Stolleis, Michael; Vec, Milo¿; Vismann, Cornelia | Bilder im Recht Bilder im Recht Pictures in the Law Dölemeyer, Barbara; Härter, Karl; Stolleis, Michael; Vec, Milo¿; Vismann, Cornelia Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt/Main Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Bilder können auf ganz unterschiedliche Weise Recht vermitteln. Der Rechtsgeschichte etw a dienen sie als Quelle, im Rechtsunterricht kommen sie als Gedächtnisstütze vor. In der Rechtspraxis helfen sie dabei, Täter zu identifizieren oder Öffentlichkeit herzustellen. Ein Projekt am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte hat die vielfältigen Verw endungsmöglichkeiten von Bildern in einem juristischen Kontext untersucht. Die Ergebnisse belegen, dass das Recht zu keiner Zeit ausschließlich auf den Text fixiert gew esen ist. Summary Illustrations or pictures have many functions for the law . They may serve as sources for legal history. They act as mnemonics in legal education and instruction. In legal practice they are used to identify delinquents, or to create publicity. The project’s research on the use of images in a legal context show s that law w as at no time based entirely on texts. Bilder sind w eitaus seltener als Texte Gegenstand der rechtshistorischen Forschung. Zw ar gibt es Bildarchive zur Rechtsgeschichte (Zürich, Graz, Bielefeld, München), doch bleibt die Forschung hierzu ein Randgebiet. Ein Projekt am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte hat die enorme Bedeutung der Bilder für die Vermittlung von Recht in drei zentralen Bereichen erforscht: in der Rechtsgeschichte selbst, in der Rechtsw issenschaft (Unterricht) und in der Rechtspraxis (Verbrechensbekämpfung und Gericht). In rechtshistorischer Perspektive w ar es das Ziel, visuelle Quellen – von Architekturen über Gemälde bis hin zu Fotografien – nach bestimmten Kriterien zu erschließen. Besonderes Augenmerk galt dabei den Quellen zum Recht des Mittelalters. Im Hinblick auf die Rechtsw issenschaft w urde untersucht, w ie Bilder zu didaktischen Zw ecken und als Gedächtnisstütze bei der Erlernung eines Rechtsstoffs in der Frühen Neuzeit genutzt w urden. Zu den Bildern der Rechtspraxis zählen die Verbrechens- und Verbrecherdarstellungen, die bereits im Ancien Régime eingesetzt w urden, um die Grenze zw ischen Abw eichung und Norm zu vermitteln. Von gemalten oder in Kupfer gestochenen Bildern führte der Weg zum massenhaft gedruckten Fahndungsplakat und vor allem zur Fotografie des Tatorts. Diese Bilder erlangten dann auch für die Rechtsprechung einen Wert: Sie sollten den Täter vor Gericht überführen. Doch nicht nur als Bew eismittel fanden Bilder Verw endung. Sie dienten und dienen w eiterhin auch der Information der Öffentlichkeit, indem sie das Geschehen im © 2008 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/6 Jahrbuch 2007/2008 | Dölemeyer, Barbara; Härter, Karl; Stolleis, Michael; Vec, Milo¿; Vismann, Cornelia | Bilder im Recht Gerichtssaal nach außen übertragen. An diesen Bildern entzündete sich ein Streit um ihre Zulässigkeit, der bis heute nicht beigelegt ist. Bilder als Sachzeugen des Rechts im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit Für die Rechtsgeschichte sind Bilder regelrechte „Sachzeugen“, die Auskunft über juristische Zusammenhänge aus der Vergangenheit geben. Münzen, Medaillen, Siegel und Notariatszeichen dokumentieren Gerechtigkeitsvorstellungen, zeigen Herrscherportraits, aber auch einzelne Handlungen und Szenen, die für das Recht relevant sind [1]. Eine bedeutende rechtshistorische Bildquelle ist die circa 1.000 Fotografien umfassende „Sammlung Frölich“ des Gießener Rechtshistorikers Karl Frölich (1877–1953). In ihr sind hauptsächlich Orte und Gegenstände der Rechtsausübung des Mittelalters zu sehen. Der Forscher hat ganz bew usst ein optisches Medium eingesetzt, um nicht-textuelle Quellen des Rechts zusammenzustellen: ikonografische Zeichen der Herrschaftsausübung, der Gerichtsbarkeit und der Marktfreiheit, etw a die Maße und Gew ichte zur Kontrolle des W irtschaftslebens sow ie mittelalterliche und frühneuzeitliche Gerichtsstätten. Es fehlt allerdings eine den Textmedien vergleichbare Quellenkritik, um diese „Sachzeugen des Rechtslebens“ (Frölich) zu erschließen. Daher w ar es zunächst w ichtig, die Bilder so zu bearbeiten und zu archivieren, w ie man es mit überlieferten Texten getan hätte. Die alten Fotografien w urden nach dem Ort der Aufnahme in ihren heutigen geografischen Zusammenhang eingeordnet. Forscher suchten einige der noch existierenden Plätze, Gebäude und Gegenstände auf, um durch aktuelle Fotos herauszufinden, inw iew eit diese Orte und Dinge, eine Gerichtslinde etw a oder ein Spilhus (Rathaus), heute noch bestehen. So bezeugen etw a die mittelalterlichen Rathäuser eine vergangene Praxis der Rechtsausübung, in der die w ichtigen Ereignisse des Gemeinschaftslebens an einem Ort stattfanden: Spielen und Tanzen, Handel und W irtschaftskontrolle, Verw alten und Urteilen, Strafe und Strafvollzug ([2], Abb. 1). Alte s R a tha us in Birk e na u, La ndk re is Be rgstra ße , He sse n, m it Konsolpra nge r und Norm a lm a ß (Elle ) in de r Türe . © Link s: Sa m m lung Frölich (SF=F00-0499); re chts: MP I für e uropä ische R e chtsge schichte /Döle m e ye r Bilder im Rechtsunterricht (Frühe Neuzeit) Eine w ichtige Funktion w ird den Bildern gegenw ärtig bei der didaktischen Vermittlung von Recht beigemessen, etw a in Form visualisierter Darstellungen rechtlicher Systematik bis hin zur Vorführung von Gerichtsfilmen. Ob ein stärker bildorientierter Rechtsunterricht tatsächlich eine Hilfe für die Vermittlung von Rechtsw issen leistet, © 2008 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/6 Jahrbuch 2007/2008 | Dölemeyer, Barbara; Härter, Karl; Stolleis, Michael; Vec, Milo¿; Vismann, Cornelia | Bilder im Recht ist allerdings fraglich. Traditionell verw endet man Skizzen, um komplexe Sachverhalte zu begreifen, sei es an der Tafel oder mithilfe modernerer Medien. Schon seit dem Mittelalter sind Versuche unternommen w orden, aus der Rhetorik spezielle Hilfen der Mnemotechnik zu entw ickeln, um die Masse des römischen Rechts besser im Gedächtnis einprägen zu können. Das Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte hat dazu exemplarisch holländische Kupferstiche des 17. Jahrhunderts zum Ausw endiglernen des Corpus Iuris Civilis, des damals geltenden römischen Rechts, untersucht. Im Ergebnis zeigte sich, dass der praktische Nutzen solcher visuellen Orientierungshilfen für Studenten und Examenskandidaten des Rechts offenbar nicht als besonders hoch angesehen w urde [3]. Criminalbilder und Sicherheitsdiskurse im vormodernen Europa Das Projekt „Criminalbilder und Sicherheitsdiskurse im vormodernen Europa“ beschäftigte sich mit Bildern von Kriminalität und Strafjustiz, die populäre Medien, aber auch juristische Texte vermittelten und die die Wahrnehmung von Devianz und Recht, aber auch das „Sicherheitsempfinden“ und die Justizpraxis beeinflussen konnten. Am Beispiel eines „Sicherheitsdiskurses“, der sich vom 16. bis zum 19. Jahrhundert herausbildete, lässt sich bereits für die Vormoderne nachw eisen, dass das Sicherheits- beziehungsw eise Bedrohungsgefühl nicht nur von der „realen“ Kriminalität abhängig ist, sondern auch von medial geprägten Einstellungen und Wahrnehmungen, die keinesw egs den „tatsächlichen“ Bedrohungen entsprechen. Ganz besonders gilt dies für die mediale Vermittlung politischer Verbrechen, w ie sich an einem der in zahlreichen europäischen Ländern publizierten Einblattdrucke von 1757 zeigen lässt. Der Druck stellt das Attentat auf den französischen König Ludw ig XV. im selben Jahr durch den „politischen Verbrecher“ Robert-François Damien dar (Abb. 2). Das Attentat, das der König leicht verletzt überlebte, w urde von der Justiz und in den populären Medien zu einem „terroristischen“ Akt einer Verschw örergruppe, die einen Angriff auf den Staat und die Herrschaftsordnung beabsichtigte, hochstilisiert. Damiens w urde lange und intensiv gefoltert, um von ihm Informationen über Initiatoren, Mitw isser und Ziele der vermuteten Gruppe herauszupressen, w as der Einblattdruck entsprechend hervorhebt. Ebenso symbolisiert die Darstellung der öffentlichen Hinrichtung die Schw ere des Verbrechens und die W iederherstellung der Ordnung: Nachdem Damiens in Stücke gerissen w orden w ar, verbrannte der Scharfrichter seine Hand, mit der er das Messer gegen den König – und die staatliche Ordnung – geführt hatte. Der Einblattdruck zeigt folglich exemplarisch, w ie Justizpraxis und Medien das Bild einer umfassenden Bedrohung der Gesellschafts- und Herrschaftsordnung erzeugten. Sie stimulierten damit nicht nur einen in Frankreich (und in ganz Europa) einsetzenden Sicherheitsdiskurs, sondern verstärkten unspezifische Bedrohungsängste vor politischen („terroristischen“) Verbrechen und Verbrechern [4]. © 2008 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/6 Jahrbuch 2007/2008 | Dölemeyer, Barbara; Härter, Karl; Stolleis, Michael; Vec, Milo¿; Vismann, Cornelia | Bilder im Recht Joha nn Ma rtin W ill: De r Mord a n König Ludwig XV. von Fra nk re ich und die Hinrichtung Fra nçois R obe rt Da m ie ns, 1757, Flugbla tt, Nürnbe rg, Ge rm a nische s Na tiona lm use um , Gra phische Sa m m lung, HB 13769. © Ge rm a nische s Na tiona lm use um , Nürnbe rg Bilder von Verbrechern Mit der modernen Technik gelangte eine neue Dimension in die visuelle Darstellung des Kriminellen und der Kriminalität. Polizei, Justiz und W issenschaft machten vielfach Gebrauch von der Zeichenhaftigkeit der Verbrecher- und Verbrechensbilder. Als sich um 1880 Kriminalistik und Kriminologie formierten, spielten die Bilder eine w ichtige Rolle für den Aufstieg beider Disziplinen. Diese begriffen sich unter anderem als Hilfsw issenschaften des Strafrechts und suchten Anschluss an die modernen Naturw issenschaften. Deshalb beschäftigten sie sich mit den Ursachen und Erscheinungsformen der Kriminalität im Allgemeinen, aber auch mit der Aufklärung von Straftaten. Beide Disziplinen verfolgten ein semiotisches Paradigma, das heißt, die über Fotografie, Zeichnungen und naturw issenschaftliche Messungen visuell lesbaren Spuren w urden nicht nur als Hinw eise auf das Verbrechen gedeutet, sondern auch als Zeichen einer Disposition zum Verbrecher. An Gesichtern und Gliedmaßen konnte man, so die Annahme der kriminalbiologischen und kriminalanthropologischen Schule, den geborenen Verbrecher erkennen (Abb. 3). Demgegenüber bestand das Interesse der Kriminalistik vor allem darin, den Sachverhalt zuverlässig aufzuklären und verdächtige Individuen – auch zu präventiven Zw ecken – präzise zu ermitteln. Die Sichtbarkeit des Devianten w ar somit die gemeinsame Arbeitshypothese zw eier W issenschaften. Allerdings erw ies sich ihr Umgang mit Bildern w issenschaftlich als unterschiedlich tragfähig. W ährend die Kriminalistik ihr visualisierendes Indizienparadigma im Verlauf des 20. Jahrhunderts ausbaute und verfeinerte, musste sich die Kriminologie zunehmend vom Sicherheitsparadigma verabschieden und eingestehen, dass entgegen allen kriminalbiologischen Thesen und Alltagstheorien kriminogene körperliche Zeichen nicht nachw eisbar w aren. Im Gegenteil: Gerade alltagstheoretische Annahmen über die Sichtbarkeit einer Anlage zur Kriminalität führten eher in die Irre [5]. © 2008 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/6 Jahrbuch 2007/2008 | Dölemeyer, Barbara; Härter, Karl; Stolleis, Michael; Vec, Milo¿; Vismann, Cornelia | Bilder im Recht Da s ve rrä te rische O hr a ls Stigm a e ine s ve rbre che rische n Typus: Ha ns Kure lla illustrie rte se in 1893 e rschie ne ne s k rim ina la nthropologische s O pus Ma gnum m it Ze ichnunge n und Fotogra fie n von a na tom ische n De ta ils (a us: Kure lla , Na turge schichte de s Ve rbre che rs, Stuttga rt 1893, S. 80). © Ma x -P la nck -Institut für e uropä ische R e chtsge schichte Bilder der Rechtsprechung vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart An den erfolgreichen kriminalistischen Umgang mit Bildern schloss die Strafjustiz an. Sie betrachtete das Bild des Verbrechens und des Verbrechers als Bew eismittel, um den Täter zu überführen. Ein Blick in die Geschichte der Rechtsprechung im 19. und 20. Jahrhundert zeigt aber, dass das technisch erzeugte Bild mit Skepsis aufgenommen w urde. Die Rechtsprechung sah in ihnen Medien, die dem Prozessgrundsatz der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens zuw iderliefen. Als dann im 20. Jahrhundert Bilder als Speichermedien im Prozess zu Bew eiszw ecken w eitgehend anerkannt w aren, entzündete sich der Streit an einer anderen Sorte von Bildern, solchen, die als Übertragungsmedien über den Prozess zu Popularisierungszw ecken eingesetzt w urden. Zw ar ist es nach der gegenw ärtigen Rechtslage hierzulande unzulässig, eine Hauptverhandlung in einem regulären Gerichtsverfahren in den Medien zu übertragen, doch gilt dieses Verbot nicht für eine transitionale Justiz (transitional justice). Diese Justiz zur Aufarbeitung von Vergangenheit nach einem Regimew echsel hat die modernen Massenmedien stets für ihre Zw ecke genutzt. In der jüngeren Geschichte ist dafür das Verfahren des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses ein Beispiel. Es w urde von Filmkameras aufgezeichnet und im Gerichtssaal w urden Filme gezeigt [6, 7]. Originalveröffentlichungen Nach Erw eiterungen suchenBilderw eiterungChanneltickerDateilisteHTML- Erw eiterungJobtickerKalendererw eiterungLinkerw eiterungMPG.PuRe-ReferenzMitarbeiter Editor)Personenerw eiterungPublikationserw eiterungTeaser (Employee mit BildTextblockerw eiterungVeranstaltungstickererw eiterungVideoerw eiterungVideolistenerw eiterungYouTubeErw eiterung © 2008 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/6 Jahrbuch 2007/2008 | Dölemeyer, Barbara; Härter, Karl; Stolleis, Michael; Vec, Milo¿; Vismann, Cornelia | Bilder im Recht [1] B. Dölemeyer: Karl Frölich und das Institut für Rechtsgeschichte. In: Rechtsw issenschaft im W andel. Festschrift des Fachbereichs Rechtsw issenschaft zum 400jährigen Gründungsjubiläum der Justus-Liebig-Universität Gießen. (Hg.) W . Gropp, M. Lipp, Heinhard Steiger. Mohr & Siebeck, Tübingen 2007, 1–22. [2] B. Dölemeyer: Bavaria in nummis – Bayerische Rechtsgeschichte auf Münzen und Medaillen. In: Rechtssetzung und Rechtsw irklichkeit in der bayerischen Geschichte. Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Beih. 30, Reihe B. (Hg.) H.-J. Hecker, R. Heydenreuter, H. Schlosser. Beck, München 2006, 1–28. [3] M. Stolleis: Corpus Juris Civilis par coeur im 17. Jahrhundert. In: Usus modernus pandectarum. Römisches Recht, Deutsches Recht und Naturrecht in der Frühen Neuzeit. Klaus Luig zum 70. Geburtstag. (Hg.) H.-P. Haferkamp, T. Repgen. Böhlau, Köln/W eimar/W ien 2007, 245–269. [4] K. Härter, G. Sälter, E. Wiebel (Hg.): Criminalbilder und Sicherheitsdiskurse. Sicherheit. Devianz und Strafe in der Repräsentation öffentlicher Diskurse (15.-20. Jahrhundert). Frankfurt a.M. 2008. [5] M. Vec: Sichtbar/Unsichtbar: Entstehung und Scheitern von Kriminologie und Kriminalistik als semiotische Disziplinen. In: Kriminalitätsgeschichte im W andel. Interdisziplinäre Perspektiven von der Frühneuzeit zur Moderne. (Hg.) R. Habermas, G. Schw erhoff. 2008. [6] J.-B. Joly, Th. Weitin, C. Vismann (Hg.): Bildregime des Rechts. merz&solitude, Stuttgart 2007. [7] Ch. Delage: La Vérité par l’image. De Nuremberg au procès Milosevic. Denoêl, Paris 2006, 181ff. © 2008 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/6