Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike - Prof. Paulus
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Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike - Prof. Paulus
Juristische Fakultät Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Insolvenzrecht sowie Römisches Recht Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Prof. Dr. Christoph G. Paulus Stand: Wintersemester 2009/2010 Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 2 INHALT 1.Teil: Einführung § 1. Das Recht als Kulturphänomen .............................................................................. 3 § 2. Perioden der Rechtsgeschichte............................................................................... 3 § 3. Literaturempfehlungen (Gesamtbetrachtungen) ....................................................... 4 2. Teil: Der Begriff der Kodifikation § § § § 1. 2. 3. 4. Einleitung ........................................................................................................... 8 Typische Eigenschaften einer Kodifikation ............................................................... 8 Große Gesetzeswerke der Rechtsgeschichte ............................................................ 9 Literatur zur Kodifikationsidee ............................................................................. 10 3. Teil: Antikes Recht im Mittelmeerraum § § § § 1. 2. 3. 4. Gesetzgebung der Babylonier .............................................................................. Hebräisches Recht.............................................................................................. Das Recht des neuen Testaments......................................................................... Demokratie und Rechtsdenken der Griechen ......................................................... 11 13 17 19 4. Teil: Römisches Recht § § § § § § § § § § 1. Allgemeine römische Geschichte .......................................................................... 2. Grundlagen und Quellen des römischen Rechts ...................................................... 3. Die XII-Tafeln.................................................................................................... 4. Die Verfassung .................................................................................................. 5. Römisches Privatrecht ........................................................................................ 6. Der Prozess....................................................................................................... 7. Das Corpus Iuris Civilis ....................................................................................... 8. Das Fortwirken des römischen Rechts im Frühmittelalter......................................... 9. Die Rezeption des römischen Rechts im Mittelalter ................................................. 10. Herkunft von Bestimmungen des BGB aus dem römischen Recht ............................. 24 26 29 32 37 43 46 49 49 51 Quellenverzeichnis.................................................................................................. 54 Stichwortverzeichnis .............................................................................................. 56 Humboldt-Universität zu Berlin Juristische Fakultät Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Insolvenzrecht sowie Römisches Recht Unter den Linden 9 (Palais) Raum 432 Tel.: 030/2093-3434; Fax: 030/2093-3432 Internet: http://www.rewi.hu-berlin.de/jura/ls/pls/ Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 3 1. TEIL. EINFÜHRUNG § 1. Das Recht als Kulturphänomen1 Wer heutzutage von Jura oder dem Juristen spricht, ruft damit üblicherweise Assoziationen an eine Technik bzw. Techniker oder gar an Herrschaftswissen aus. Auch wenn eine derartige Gedankenverbindung rein faktisch keinesfalls von der Hand zu weisen ist, wird dadurch doch die Tatsache verdeckt, dass es sich bei dem Recht um ein uraltes Kulturphänomen handelt, dem man sich auf ganz unterschiedliche Weise nähern kann. So ist die besagte Technik das, was Ihnen im Studium hauptsächlich beigebracht wird, nämlich die Dogmatik. Den Kulturbezug stellen dagegen vornehmlich die folgenden Disziplinen her – und zwar jede aus einem unterschiedlichen Blickwinkel: Rechtssoziologie, Rechtsphilosophie, Rechtsvergleichung, Rechtsanthropologie und Rechtsgeschichte (als Beispiel: JuS 1994, 367; 2004, 1051). § 2. Sparten und Perioden der Rechtsgeschichte A. Sparten der Rechtsgeschichte Die Rechtsgeschichte ist (naturgemäß) ein derart umfangreiches Gebiet, dass sachbezogene Einschränkungen erforderlich wurden, die zu einer nunmehr eingebürgerten Spartenbildung führten: Antikes Recht, wobei dem römischen Recht wegen seines überwältigenden Einflusses auf die Rechtsentwicklung bis in die heutige Zeit die Hauptrolle gebührt. Das germanische Recht; byzantinisches Recht; kanonisches Recht; Privatrechtsgeschichte der Neuzeit; neueste Rechtsgeschichte; Strafrechtsgeschichte; Verfassungsgeschichte. Trotz dieser Einteilung ist damit bei weitem noch nicht die gesamte Rechtsgeschichte erfasst. Man befleißigt sich hierbei nämlich eines zwar durchaus verständlichen, aber gleichwohl perspektivenverengenden Eurozentrismus. Über die Rechtsgeschichte etwa der Japaner, der Araber, der nordamerikanischen Indianer, der Inka oder der Eingeborenen Zentralafrikas wird nichts berichtet (Vorwurf an uns Lehrende und Forschende). B. Zeitliche und räumliche Abschnitte Man kann sich die zeitlichen und räumlichen Abschnitte der Geschichte, speziell der Rechtsgeschichte in der Antike bis zum Beginn des Mittelalters etwa folgendermaßen vorstellen: I. Orientalische Rechte, insbes. 1. 2. Keilschriftrechte, am bekanntesten der Codex Hammurabi von Babylon um 1700 v. Chr., Hebräisches Recht, enthalten in dem von den Christen so genannten Alten Testament (jüdisch: Thora). II. Griechische Rechte 1. 2. zum einen die Gesetzesreformen Drakons und Solons in Athen um 620 v. Chr. sowie das Stadtrecht von Gortyn aus der Mitte des 5. Jhdts. v. Chr., zum anderen die Rechts- und Staatsphilosophie Platons und Aristoteles’ im 5. und 4 Jhdts. v. Chr. III. Römisches Recht, die überhaupt wichtigste Grundlage des modernen Rechts 1. 1 der Anfang markiert durch das 12-Tafel-Gesetz um 449 v. Chr., Spannendes zum Begriffspaar Recht und Kultur bei Hofmann, JZ 2009, 1 ff. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 4 2. mit dem Höhepunkt der Schriften der klassischen Juristen um 0 - 200 n. Chr. und 3. am Ende zusammengefasst durch Kaiser Justinian im Corpus Iuris Civilis, 533 4. Vulgarrecht, d.h. die vom römischen Recht beeinflussten germanischen Rechte IV. Mittelalter Wiederentdeckung und Verbreitung, sogenannte Rezeption des römischen Rechts seit etwa 1100 § 3. Literatur A. Römisches Recht Es sind in erster Linie zwei Arten von Lehrbüchern zu unterscheiden; auf der einen Seite sind hier diejenigen aufgeführt, die sich mit der Rechtsgeschichte beschäftigen, also historische Entwicklungen beschreiben (insbesondere geht es um Staatsaufbau und um die großen Kodifikationen). Diese Bücher eignen sich besonders zur vorlesungsbegleitenden Lektüre. Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Büchern, die sich mit dem römischen Privatrecht beschäftigen, die also das materielle römische Recht behandeln; sie dienen der Vertiefung für die besonders Interessierten. I. Rechtsgeschichte, Empfehlungen für das Studium Bretone, Mario Waldstein, Wolfgang/ Rainer, Michael Ebel, Friedrich/Thielmann, Georg Kaser, Max Kunkel, Wolfgang/Schermaier, Martin Liebs, Detlef Manthe, Ulrich Söllner, Alfred Stein, Peter G. Wesel, Uwe Wieacker, Franz Geschichte des Römischen Rechts, 2. Aufl., 1998 Römische Rechtsgeschichte, 10. Aufl., 2005 Rechtsgeschichte, Bd. 1, 3. Aufl., 2003 Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., 5. Nachdruck, 1994 Römische Rechtsgeschichte, 13. Aufl., 2001 Römisches Recht, 6. Aufl., 2004 Geschichte des römischen Rechts, 3. Aufl. 2007 Einführung in die römische Rechtsgeschichte, 5. Aufl., 1996 Römisches Recht und Europa, 1996 Geschichte des Rechts, 2. Aufl., 2006 Römische Rechtsgeschichte, 1. Abschnitt, 1989 II. Römisches Privatrecht Behnke, Nikolaus/Meissel, Franz Behnke, Nikolaus/Meissel, Franz Bürge, Alfons Hausmaninger, Herbert Honsell, Heinrich Jörs/Kunkel/Wenger Kaser, Max/Knütel, Rolf Zimmermann, Reinhard Übungsbuch zum römischen Schuldrecht, 6. Aufl., 2006 Übungsbuch zum römischen Sachenrecht, 9. Aufl., 2008 Römische Privatrecht, 1999 Römisches Privatrecht, 9. Aufl., 2001 Römisches Recht, 6. Aufl., 2006 Römisches Recht, 4. Aufl., 1987 Römisches Privatrecht, 19. Aufl., 2008 The Law of Obligations, Roman Foundations of the Civilian Tradition, 1993 (jetzt auch in verbilligter Studienausgabe, Oxford Univ. Press). Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 5 III. Sonstiges Bleicken, Jochen Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, Bd.1, 4. Aufl., 1995; Bd. 2, 3.Aufl., 1994 Civis Romanus Latein für Jurastudenten, 3. Aufl., 2001 Hausmaninger, Herbert Casebook zum römischen Vertragsrecht, 6. Aufl., 2002 Hausmaninger, Herbert/Gamauf, Richard Casebook zum römischen Sachenrecht, 10. Aufl., 2003 Koschaker, Paul Europa und das römische Recht, 4. Aufl., 1966 Liebs, Detlef Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter,7. Aufl., 2007 (auch: Wiss. Buchgesellschaft) B. Rechtsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit Eisenhardt, Ulrich Köbler, Gerhard Laufs, Adolf Mitteis, Heinrich/Lieberich, Heinz Schlosser, Hans Schröder, Rainer Wieacker, Franz Deutsche Rechtsgeschichte, 3. Aufl., 1999 Deutsche Rechtsgeschichte, 6. Aufl., 2005 Rechtsentwicklungen in Deutschland, 6. Aufl., 2006 Deutsche Rechtsgeschichte, 19. Aufl., 1992 Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., 2005 Rechtsgeschichte, 7. Aufl., 2006 Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., 1967, Nachdruck 1996 C. Verfassungsgeschichte Menger, Christian F. Forsthoff, Ernst Willoweit, Willoweit, Zippelius, Zippelius, Dietmar Dietmar/Seif, Ulrike Reinhold Reinhold Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 9. Aufl., 2002 Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 4. Aufl., 1972 Deutsche Verfassungsgeschichte, 4. Aufl., 2005 Europäische Verfassungsgeschichte, 2003 Geschichte der Staatsideen, 10. Aufl., 2003 Kleine deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., 2006 D. Empfehlenswerte Aufsätze Kaser, Max Krampe, Christoph Krause, Hermann Paulus, Christoph Ders./Renner, Cornelius Stolleis, Michael Der römische Anteil am deutschen bürgerlichen Recht, JuS 1967, 337 Privatrecht, Staatslexikon, hrsg. Görres-Gesellschaft, Bd. 4, 7. Aufl., 570 Der deutschrechtliche Anteil an der heutigen Privatrechtsordnung, JuS 1970, 313 Ein Plädoyer für unscheinbare Normen, JuS 1994, 367 Ein weiteres Plädoyer für unscheinbare Normen, JuS 2004, 1051 Vom Nutzen der Historie vor 1806, JuS 1989, 817 Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Willoweit, Dietmar Zimmermann, Reinhard Seite 6 Historische Grundlagen des Privatrechts, JuS 1977, 229 ff., 573 ff. Das römisch-kanonische ius commune als Grundlage europäischer Rechtseinheit, JZ 1993, 920 E. Quellensammlungen Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung, I. Institutionen, 1999 (utb) dies. Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung, II, Digesten 1 - 10, 1995 Corpus Iuris Civilis Editio stereotypa, 3 Bde. Fuhrmann, Manfred/Liebs, Detlef Exempla Iuris Romani, hrsg., übersetzt und erläutert, 1988 Härtel, Gottfried/Kaufmann,Frank-Michael Codex Iustinianus, 1991 Huchthausen, Liselot/Härtel, Gottfried Römisches Recht in einem Band, 1991 Otto/Schilling/Sintenis Das Corpus Juris Civilis ins Deutsche übersetzt 7 Bde., 21839 ff., 1830, Nachdruck 1985 Scharr, E. Römisches Privatrecht, ausgewählt, übertragen, 1960 F. Zeitschriften Forum Historiae Iuris im Internet: http://www.forhistiur.de Ius Commune Rechtshistorisches Journal Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, 3 Abteilungen (römisch, germanisch, kanonistisch). G. Sonstige Empfehlungen Coing, Helmut Demandt, Alexander (Hrsg.) Dilcher/Horn (Hrsg.) Fikentscher u.a (Hrsg.) Haft, Fritjof Hattenhauer, Hans Hattenhauer, Hans Kleinheyer/Schröder Manthe/Ungern-Sternberg Pauly/Wissowa Der Neue Pauly Der Kleine Pauly Sinzheimer, Hugo Europäisches Privatrecht, 2 Bde., 1985 und 1989 Macht und Recht, Große Prozesse in der Geschichte, 1996 Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. IV, Rechtsgeschichte, 1978 Entstehung und Wandel rechtlicher Traditionen, 1980 Aus der Waagschale der Justitia, Ein Lesebuch aus 2000 Jahren Rechtsgeschichte, 4. Aufl., 2008 Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, Historischdogmatische Einführung, 2. Aufl., 2000 Europäische Rechtsgeschichte, 4. Aufl., 2004 Deutsche und Europäische Juristen, 5. Aufl., 2008 Große Prozesse der römischen Antike, 1997 Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft Enzyklopädie der Antike, 1996-2002 Lexikon der Antike, 5 Bände, 1979 Jüdische Klassiker der deutschen Rechtsgeschichte, Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike v. Stintzing/Landsberg Stolleis, Michael (Hrsg.) Wesel, Uwe Wesel, Uwe Wolf, Erik Ziegler, Karl H. Seite 7 1953 Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 3 Abteilungen in 4 Bden, 1880-1884, Nachdruck Juristen, Ein biographisches Lexikon, 2001 Frühformen des Rechts in vorstaatlichen Gesellschaften, 1985 Der Mythos vom Matriarchat, 9. Aufl., 2006 Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. Aufl., 1963 Völkerrechtsgeschichte, 2. Aufl., 2007 Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 8 2. TEIL. DER BEGRIFF DER KODIFIKATION § 1. Einleitung Viele deutsche Juristen denken beim dem Stichwort „Kodifikation” sofort an das BGB; für Jurastudierende ist es oft die erste Kodifikation, der sie im Studium begegnen. Auch das Handelsgesetzbuch und das Strafgesetzbuch sind Kodifikationen. Vielfach werden auch Verfassungen als Kodifikationen höherer Würde bezeichnet. Viele andere Gesetzeswerke haben ebenfalls die Eigenschaften von Kodifikationen, werden aber kaum je als solche bezeichnet, z.B. die vier Reichsjustizgesetze von 1877 (GVG, ZPO, StPO, KO [seit 1999 ersetzt durch die InsO]), das jetzt geltende Baugesetzbuch oder das im Entstehen begriffene Sozialgesetzbuch. Haben also Kodifikationen für unser Recht auch heute noch eine zentrale Bedeutung, so darf dennoch nicht der Einfluss der Kodifikationen aus vergangenen Zeiten auf unser heutiges Recht übersehen werden. Die Geschichte der Kodifikationen beginnt, jedenfalls soweit uns bekannt, bei König Hammurabi um 1700 v. Chr. Seitdem haben Kodifikationen vor allem für Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit eine große Bedeutung, ist doch durch sie häufig Recht für das Volk erst zugänglich geworden; Sie haben aber vor allem das Recht unserer Vorfahren verewigt und für seine Überlieferung gesorgt. Wegen dieser überragenden Bedeutung für die Rechtsgeschichte sind hier die Ausführungen zur Kodifikation vorangestellt. § 2. Typische Eigenschaften einer Kodifikation • Sie umfasst ein größeres Rechtsgebiet oder mehrere Rechtsgebiete oder sogar die gesamte Rechtsordnung. ! Das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 mit seinen rund 20 000 Paragraphen umfasst fast das ganze Recht von der Verfassung über das Privatrecht und Strafrecht bis zum Beamtenrecht und war trotzdem nicht vollständig Schon dadurch unterscheidet sie sich von Einzelgesetzen, die nur einzelne Rechtsverhältnisse regeln. ! Das BGB ist eine Kodifikation, die lex Aquilia aus dem römischen Recht, die den Schadensersatz von Sachbeschädigungen regelt, dagegen nicht. • Die Kodifikation bezweckt eine gewisse Vollständigkeit. Ob man trotz Unvollständigkeit von einer Kodifikation sprechen darf, ist zweifelhaft. ! Zweifelhaft in bezug auf die römischen Zwölf Tafeln von 450 v. Chr. Aber selbst das BGB ist nicht vollständig, z. B. keine Definition der zentralen Begriff ”Willenserklärung” und ”Rechtsgeschäft”, viele nicht geregelte Materien aufgezählt im EGBGB. • Die Kodifikation bezweckt die Ordnung des überlieferten Rechtsstoffes und Rechtsreformen. Damit strebt sie Rechtssicherheit und Gerechtigkeit an. Deswegen wird der Stoff in einer systematischen Weise geordnet, wobei die Systeme im Laufe der Jahrtausende selbstverständlich verändert werden. ! Dem preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 liegt eine andere Systematik zu Grunde als dem Grundgesetz von 1949. • Autor der Kodifikation ist oft ein Herrscher. ! Hammurabi, Justinian, Napoleon Ob man die Arbeiten von Privatleuten als „Kodifikation” anerkennen soll, kann bezweifelt werden. ! Deswegen zweifelhaft der 1. Teil des Corpus Iuris Canonici, das Decretum Gratiani; Eike von Repgows Sachenspiegel und viele andere mittelalterliche Arbeiten in England, Frankreich und Spanien. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 9 • Häufig wird mit Kodifikationen die Rechtsvereinheitlichung, zu politischen und wirtschaftlichen Zwecken, bezweckt. ! Hammurabi und Justinian nach ihren Eroberungen, Napoleon zur Stärkung der Nation; Deutschland im 19. Jh. zur Vorbereitung oder Fortführung des einheitlichen Wirtschaftsmarkts und der Reichseinheit. • Erfahrungsgemäß werden mit Kodifikationen oft nur geringe materielle Veränderungen, d.h. Reformen, des geltenden Rechts beabsichtigt oder erreicht. ! Das war 1896 der Hauptgrund für die Enttäuschung über das BGB. Häufig handelt es sich lediglich um die Aufzeichnung von bereits geltendem Gewohnheitsrecht ! XII-Tafeln • Den Anlass bilden häufig Staatsumwälzungen. Häufig wird die Kodifikation auch als Propagandamittel eingesetzt. ! z. B. durch Kaiser Iustinian, 533 n. Chr.; Napoleon, 1804; für den Glanz des Reiches 1896. • Die neueren Kodifikationen sollten als "staatliches Recht" unmittelbare Geltung haben. Ob das auch für die alten Rechtsaufzeichnungen gilt und ob man sie auch ohnedies als Kodifikationen ansehen darf, ist zweifelhaft. ! Deswegen z. B. Bedenken in bezug auf Codex Hammurabi und Zehn Gebote oder Sachsenspiegel. • Das Wort ist abgeleitet vom lateinischen Codex, insbesondere Codex Iustiniani (um 533 n. Chr.). • Sehr oft benutzen einzelne Rechtshistoriker engere Kodifikationsbegriffe, mit denen sie allein die modernen Gesetzbücher erfassen. • Besonders wichtig ist der "Kodifikationsstreit" in Deutschland 1814 zwischen Thibaut (für eine gesamtdeutsche Kodifikation) und Savigny (dagegen) und der Kodifikationsvorgang seit 1873 (dazu Näheres in der Vorlesung von Prof. Schröder). § 3. Große Gesetzeswerke der Rechtsgeschichte A. Antike Um 1750 um 1200 um 600 5. Jh. v. Chr. 533 n. Chr. Codex Hammurabi, Babylon Dekalog Moses, Israel Drakon und Solon, Athen Gortyn, Zwölf Tafeln, Rom Corpus Iuris Civilis, Kaiser Iustinian, Byzanz. B. Mittelalter und frühe Neuzeit Um 500 - 800 Germanenrechte Um 1140 Corpus iuris canonici um 1230 Sachsenspiegel Eikes von Repgow 1532 Constitutio Criminalis Carolina, Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 10 C. Zivilrechtskodifikationen in der Neuzeit 1756 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von Kreittmayr 1794 Preußisches Allgemeines Landrecht von Suarez (nicht nur Zivilrecht) 1804 Code Civil = Code Napoléon 1811 Österr. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) von Martini und Zeiller 1875 Sog. Field-Code von New York 1896 BGB. § 4. Literatur zur Kodifikationsidee Alle Bücher zur Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, außerdem speziell: P. Caroni, Kodifikation, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 907 922; Sten Gagnér, Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung, Stockholm 1960; A. Wolf, Gesetzgebung in Europa 1100 - 1500, München 1996, alle mit weiteren Nachweisen. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 11 3. TEIL. ANTIKE RECHTE DES MITTELMEERRAUMS Im 3. Teil werden besonders wichtige Perioden und Gebiete der alten Rechte des Mittelmeerraums behandelt. In dieser Auswahl bleibt z.B. das ägyptische Recht ausgespart, weil es die weitere Rechtsentwicklung weniger beeinflusst hat. Für das römische Recht wird schließlich der 4. Teil reserviert bleiben. § 1. Gesetzgebung der Babylonier Die konventionelle Unterscheidung zwischen Vorgeschichte und Geschichte mit der Schrift als Unterscheidungskriterium sind fraglich. Aber erst durch Schriftzeugnisse sind wir über das Denken und Handeln der früher lebenden Menschen und damit auch über ihr Recht einigermaßen informiert. Die Wiege unserer Zivilisation, im Nahen Osten, enthielt auch Kodifikationen, auf die im Folgenden hingewiesen werden soll. A. Zeittafel um 3000 Hochkulturen in Ägypten und Mesopotamien (heute: Irak) Hieroglyphen und Keilschrift um 1790 Codex Eschnunna um 1750 König Hammurabi von Babylon, Codex Hammurabi B. Allgemeine Geschichte Der Reichtum des Landes ”zwischen den Strömen” (daher griechisch: Mesopotamien), nämlich zwischen Euphrat und Tigris, beruhte auf der jährlichen Hochflut, für die Dämme und Kanäle angelegt und unterhalten werden mußten. Es wurden Städte mit großen Tempelanlagen (daher die Geschichte des Turmbaus zu Babel [d.h. Babylon]) gebaut. Kunst und, nach der ”Erfindung” der Schrift im 3. Jtsd., Literatur blühten. Es bildeten sich die Reiche von Sumer und Akkad, assyrische Reiche und das vorübergehende Reich König Hammurabis von Babylon. Großstädte und Großreiche, Wirtschaftsorganisation und Kriegsführung, Götter und Könige waren in einer hoch differenzierten Gesellschaft mit Beamtentum, Heer und Priestern, mit Freien, Halbfreien und Sklaven miteinander verbunden. C. Rechtsgeschichte Das Recht wurde seit der Mitte des dritten Jahrtausends vor Christi aufgezeichnet. Das erste vollständig erhaltene (aber nicht das früheste, früher waren etwa der Codex Urnammu, der Codex Lipit Ischtar oder der Codex Eschnunna) Gesetz ist der sogenannte Codex des akkadischen Königs Hammurabi. Er ist in Keilschrift auf einer Stele (Säule) in rund 300 Paragraphen erhalten und befindet sich heute in Paris im Louvre. Der Codex betrifft Verbrechen (Falschanklage, -aussage und -entscheidung, Diebstahl und Raub, Unzucht, Körperverletzung und Tötung), Lehen, Grundstücke, Handel und Gewerbe, Sklaven-, Familien- und Erbrecht. Wahrscheinlich hat von hier aus die Gesetzgebungskunst überhaupt ihren Ausgang genommen. D. Textbeispiele Diese wörtlichen Übersetzungen sind teilweise nicht ohne weiteres verständlich - lesen Sie den Text ruhig langsam und mehrmals, um sich im Aufnehmen und Verfassen juristischer Texte zu trainieren. § 53 Codex Eschnunna Wenn ein Stier einen anderen stößt, so dass er stirbt, so sollen die beiden Eigentümer den Wert des lebenden und den Kadaver des toten Ochsen teilen. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 12 § 9 Codex Hammurabi Wenn ein Bürger, dem seine Sache verlorengegangen ist, seine verlorengegangene Sache in der Hand eines (anderen) Bürgers ergreift (und) der Bürger, in dessen Hand das Verlorengegangene ergriffen wird "Ein (gewisser) Verkäufer hat sie mir verkauft, vor Zeugen habe ich (sie) gekauft" sagt, und (wenn darauf) der Herr des Verlorengegangenen "Zeugen, kundig des (mir) Verlorenen, bringe ich bei" sagt, (wenn jetzt) der Käufer den Verkäufer, welcher ihm (die Sache) verkauft hat, und Zeugen, in deren Gegenwart er (sie) gekauft hat, beibringt, und auch der Herr des Verlorengegangenen Zeugen, (die) kundig (sind) seines Verlorengegangenen, beibringt, (so) werden die Richter ihre Worte prüfen. Dann werden die Zeugen, vor denen der Kauf gekauft worden ist, und die Zeugen, kundig des Verlorengegangenen, vor dem Gotte aussagen. Wenn (sich dann) der Verkäufer (als) Dieb (erweist), wird er getötet. Der Herr des Verlorengegangenen wird sein Verlorengegangenes (an sich) nehmen. Der Käufer wird aus dem Hause des Verkäufers das Silber, das er (diesem) (dar)gewogen hat, nehmen. Fragen zum Text: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. Was fällt Ihnen auf? Welche Bemerkungen können Sie zu dem Text machen? Welche ist die Quelle des Textes, wer ist ihr Autor, von wann stammt der Text, welchen Umfang hat er, was regelt er, wo befindet er sich jetzt? Berichten Sie langsam den Tatbestand. Welche Personen sind betroffen? Welches Verfahren ist vorgesehen? Welche Rechtsfolgen werden angeordnet? Schildern Sie die dabei als selbstverständlich vorausgesetzte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, Staats- und Gerichtsverfassung. Welchen heutigen Rechtsgebieten kann man Tatbestand und Rechtsfolgen zuordnen? Nennen Sie die entsprechenden Normen des StGB ... und des BGB. Halten Sie die Regelung für angemessen oder für unangemessen? Ist die Vorschrift eher kasuistisch oder eher abstrakt formuliert? Sehen Sie es als einen Vor- oder einen Nachteil an, dass die von uns heute getrennten straf- und zivilrechtlichen Tatbestände in den alten Rechten gar nicht oder jedenfalls nicht so scharf getrennt waren wie heute? § 246 Codex Hammurabi Wenn ein Mann ein Rind gemietet hat und er dessen Fuß bricht oder dessen Nackensehne zerbricht, so ersetzt er dem Eigentümer des Rindes Rind um Rind. E. Quellen und Literatur R. Haase, Die keilschriftlichen Rechtssammlungen in deutscher Übersetzung, Wiesbaden 1963. R. Haase, Einführung in das Studium keilschriftlicher Rechtsquellen, Wiesbaden 1965; R. Haase, Zur Einführung: Keilschriftrechte, JuS 1966, 176-179; R. Herzog, Staaten der Frühzeit, Ursprünge und Herrschaftsformen, München 1988. Ferner einige Werke zu den antiken Rechten (s. das allgemeine Literatur-Verzeichnis). Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 13 § 2. Hebräisches Recht Der Beitrag, den das antike Judentum, vermittelt durch das Christentum, für das moderne Recht geleistet hat, ist neben all' den anderen Einflüssen, aus denen sich die Menschen die heutige Rechtsordnung gebildet haben, schwer für sich zu erfassen, kann aber grundsätzlich nachgewiesen werden. A. Zeittafel ab 1500 v. Chr. um 1250 um 1000 danach 6. Jh. Um 33 n. Chr. 70 Ca. 400 - 700 B. Wortgebrauch Hebräer Eindringen der israelitischen Stämme in Palästina Auszug von Teilen der Stämme aus Ägypten unter Mose, 10 Gebote König David, Nachfolger sein Sohn Salomo, Höhepunkt hebräischer Macht Zerfall in Südreich (Juda, Hauptstadt Jerusalem) und Nordreich (Israel, wechselnde Hauptstädte). Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar II. von Babylon, 587 "Babylonische Gefangenschaft" der Juden. Persische, seit 539 v. Chr., dann makedonische, syrische, römische Herrschaft (63). Kreuzigung Jesu. Zerstörung Jerusalems durch die Römer. Herstellung des Jerusalemer und des Babylonischen Talmuds. Hebräer wurde zur Bezeichnung aller Israeliten bzw. Juden. Hebräische Sprache, Schrift und Literatur sowie hebräisches Recht ist weitgehend identisch mit der Torah, d. h. mit dem Alten Testament. Israel hebr. Gotteskämpfer (1. Mos., 32, 29), Beiname des Patriarchen Jakob, übertragen auf seine Nachkommen, das Volk Israel, zuerst die semitischen Stämme, die vom 15. bis 13. Jh. v. Chr. in Palästina eindringen. Später werden die Israeliten Juden genannt. Juda hebr. Yehudi, Gottlob, der vierte Sohn Jakobs von der Lea, Stammvater des wichtigsten israelitischen Stammes, dann Königreich Juda im Süden. Juden der ursprünglich in der Landschaft Juda beheimatete Stamm. Seit dem babylonischen Exil der Name für alle Anhänger des jüdischen Glaubens und für den über die Welt zerstreuten Rest des ehemaligen Volkes Israel. Palästina Land der Philister. C. Allgemeine Geschichte Um 1250 ziehen Hirtenstämme aus Ägypten unter Moses nach Palästina. Sie verehren einen einzigen Gott, Jahwe (der Seiende), von dem sie sich noch nicht einmal ein Bild machen, ja, dessen Namen sie noch nicht einmal aussprechen dürfen. Sie erleben Gottes Offenbarung auf dem Berge Sinai, wo Gott seinen Bund mit ihnen schließt und ihnen die Zehn Gebote gibt. Palästina, ein kleiner Landstreifen zwischen dem Mittelmeer im Westen und den Steppen im Osten, ist ein wichtiger Weg des kulturellen und wirtschaftlichen Austauschs. Das Land ist nur während kurzer Zeit selbständig und ungeteilt. Seinen Höhepunkt erlebt das Königreich Israel um 1000 unter König David und seinem Sohn Salomon. Danach zerbricht das Reich in zwei Teile, Israel im Norden, um 721 von den Assyrern besetzt, und Juda im Süden mit der Hauptstadt Jerusalem, welches bis 587/6 Bestand hatte. 587 v. Chr. zerstört Nebukadnezar II. von Babylon Jerusalem und führt die Juden in die "babylonische Gefangenschaft" (bis 537). Ptolemäus I. siedelt größere Bevölkerungsteile in Alexandria an. Zahlreiche Aufstände verlaufen oft erfolglos; die Bevölkerung wird immer wieder vertrieben oder verschleppt, so dass sich große Judenkolonien bilden. Zuletzt werden die Juden nach der römischen Erobe- Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 14 rung im Jahre 70 n. Chr., bis nach Persien, Indien, China und Japan vertrieben. Die von den Römern nach Spanien gebrachten Juden erhalten sich teilweise in der gotischen, arabischen und wiederum christlichen Zeit bis zu ihrer Ausweisung im Jahr 1492, darauf entstanden die Siedlungen der spanischen Juden (Sephardim) an den Mittelmeerküsten. Im späteren Deutschland finden sich Juden schon zur Römerzeit, von hier aus ziehen sie teilweise nach Osteuropa (Aschkenasim). Große Judenverfolgungen insbesondere im Kaiserreich, in Frankreich und England beginnen mit den Kreuzzügen (1096) und gelangen zu einem Höhepunkt mit dem Schwarzen Tod (1348 - 1350). D. Rechtsgeschichte I. Rechtsquellen Zur ältesten Rechtsschicht gehören die Zehn Gebote (griech. Dekalog), vielleicht in der Periode der Landnahme entstanden. Die wichtigste Quelle ist die Torah (d. h. das geschriebene Gesetz), die Fünf Bücher Mosis (griech. Pentateuch), der Hauptteil des Alten Testaments der Christen, entstanden um 400 v. Chr. Die weiteren Überlieferungen und Lehren werden zwischen 400 und 700 n. Chr. im Talmud (nhebr. das Lernen) gesammelt. Gott ist die Quelle des Rechts und richtet über jedes Verhalten. Recht, Moral und Religion sind unlösbar miteinander verschmolzen. Da das Recht von Gott selbst gegeben wurde, kann das Recht von Menschen nicht verändert, sondern nur durch Auslegung an neue Gegebenheiten angepasst werden. Die Juden halten an ihrem Recht wie an ihrem Glauben immer und überall fest. Die intensive Beschäftigung mit ihrem Recht in nahezu allen Schichten und Gruppen während ihrer ganzen Geschichte ist geradezu ein Charakteristikum der Juden. Dieser Rechtsglaube wird später ein erheblicher Beitrag zur Rechts- und Gesellschaftsentwicklung in Westeuropa. Das hebräische Recht beeinflusst über die Bibel und die Kirche das europäische mittelalterliche Recht. II. Einzelne Regeln Das Recht des Alten Testaments ist relativ human, so wenn es verbietet, einem Verurteilten mehr als 40 Schläge zu geben; um dieses Verbot nicht zu übertreten, gaben die gottesfürchtigen Juden lediglich 39 Schläge. Zum Alten Testament gehört etwa das Verbot, von dem Stammesbruder Zins zu nehmen, verbunden mit der Erlaubnis, von Ausländern Zinsen zu verlangen2. Eine soziale Absicht liegt auch dem Sabbat und dem Jubeljahr (Vgl. Ex. 21, 2 und Deut. 15, 1-3, s. unten F), in dem die israelischen Schuldsklaven freigelassen wurden, zu Grunde. Charakteristisch sind weiterhin die Speisenverbote (z. B. Schwein) und die Vermischungsverbote (z. B. Milch und Fleisch, Wolle und Flachs). Die hebräischen Rechtsregeln sind verwandt mit babylonischen Texten. Auf das Alte Testament werden etwa die Königs- und Priesterweihe, die Abgaben an die Priester, der Zehnte, strafrechtliche Regeln wie das Verbot der Zauberei und prozessuale Vorschriften zurückgeführt. Die Zusammenfassung der zehn wichtigsten Grundgedanken allen Rechts in der Form der Zehn Gebote ist eine Abstraktion weit fortgeschrittenen Grades. E. Bedeutung für das moderne Recht Das Recht der Torah hat seine unmittelbare Bedeutung für die jüdischen Minderheiten und für den Staat Israel behalten. Es hat zudem über mehrere Wege im Mittelalter, insbesondere über die Theologie und das kanonische Recht, auf das europäische Recht eingewirkt. Besonders wichtig sind die hohe Bedeutung der Gerechtigkeit mit dem Vertrauen auf den gerechten Gott, die zum modernen Rechtsstaat (Art. 19 IV und 20 III GG), zur gegenwärtigen Verrechtlichungstendenz und geradezu zu einer Rechtsgläubigkeit führt. Wichtig ist außerdem das im Alten Testament angelegte und im Neuen Testament voll entfaltete Liebesgebot, das zu den Wurzeln des modernen Sozialstaates (Art. 20 I GG) gehört. Damit verbunden ist das Friedensgebot, das sich heute als Verbot des Angriffskrieges im Völkerrecht wiederfindet (vgl. Art. 26 GG). Weitere Bedeutung haben die im Christentum 2 Ex. 22, 24; Deut. 23,20 - 21; Lev. 25, 35 - 38. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 15 befindlichen subjektiven Elemente für das Recht erlangt. Die in der Schöpfungsgeschichte beschriebene Gottähnlichkeit des Menschen begründet seine Würde (Art. 1 I und 79 III GG). Die Zehn Gebote haben die Vorstellung einer Rechtskodifikation gestärkt. Nicht zuletzt hat das Arbeitsethos, das bereits in der Schöpfungsgeschichte und danach mehrfach zum Ausdruck kommt, über das Christentum in die vormoderne und moderne Zeit hineingewirkt. Außerdem sind viele Einzelregeln in das mittelalterliche Recht übernommen worden. Obwohl alle diese Gedanken oft missachtet oder pervertiert wurden, ist es mehr als wahrscheinlich, dass ohne hebräisches und christliches Recht sich das moderne Recht und die moderne Gesellschaft anders entwickelt hätten. Beachte darüber hinaus, dass etwa die Geschichte von König David und Uria (2. Samuel 11) hinreichend klar belegt, dass die individuelle Zurechenbarkeit einer Tat (Verschulden) sehr wohl als Problem erkannt, sene Lösung aber Gott überantwortet wurde. F. Textbeispiele zum Alten Testament Exodus (2. Mose) 20 (Dekalog) (Vs.13) Du sollst nicht morden. (14) Du sollst nicht ehebrechen. (15) Du sollst nicht stehlen. (16) Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen gegen deinen Nächsten. Fragen zur Quelle: 1. 2. 3. 4. 5. 6. Wer hat - der Bibel zufolge - diese Regeln aufgestellt? Handelt es sich um religiöse oder um juristische Regeln, oder ist diese Unterscheidung hier unzutreffend? Würde man diese Regeln dem Strafrecht oder eher dem Zivilrecht zuordnen, was spricht hier gegen diese Unterscheidung? Ist der Tatbestand genau? Suchen Sie die Parallelen im geltenden Recht auf. Mit welcher Sanktion ist zu rechnen? Charakterisieren Sie den Sprachstil. Exodus (2. Mose) 21.35 Wenn jemandes Ochse eines anderen Ochsen stößt, so dass er stirbt, so sollen sie den lebenden Ochsen verkaufen und das Geld teilen und den Kadaver auch teilen. Exodus (2. Mose) 21.2 Wenn du einen hebräischen Sklaven kaufst, so soll er dir sechs Jahre dienen; im 7. Jahr soll er umsonst freigelassen werden. Deuteronomium (5. Mose) 15 1. Alle sieben Jahre sollst Du ein Erlassjahr halten. 2. So aber soll’s zugehen mit dem Erlassjahr: Wenn einer seinem nächsten etwas geborgt hat, der soll’s ihm erlassen und soll’s nicht eintreiben von seinem Nächsten oder von seinem Bruder; denn man hat ein Erlassjahr ausgerufen dem Herrn. 3. Von einem Ausländer sollst Du es eintreiben; aber dem, der dein Bruder ist, sollst Du es erlassen. 3. Mose 25 8. Und du sollst zählen solcher Sabbatjahre sieben, dass sieben Jahre siebenmal gezählt werden, und die Zeit der sieben Sabbatjahre mache neunundvierzig Jahre. ... 10. Und ihr sollt das fünfzigste Jahr heiligen und sollt ein Freijahr ausrufen im Lande allen, die darin wohnen; denn es ist euer Jubeljahr. Da soll ein jeglicher wieder zu seiner Habe und zu seinem Geschlecht kommen .... G. Textbeispiele zum Talmud Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 16 Auch diese Rechtstexte erschließt sich nicht ohne weiteres, sondern verlangt eingehendes Studium. Versuchen Sie es! Talmud. Bawa Kamma 83 b/84 a. Gemara. Wie kann das sein? "Auge um Auge" sprach doch der Allbarmherzige. Sollte ich da nicht sagen: Wirklich das Auge? Das komme dir ja nicht in den Sinn; denn es wird gelehrt: Man könnte meinen: Wer ein Auge geblendet hat, dem blendet man ein Auge, wer eine Hand abgehauen hat, dem haut man eine Hand ab, wer einen Fuß zerbrochen hat, dem zerbricht man einen Fuß, so besagt doch der Text: "Wer einen Menschen schlägt" und: "Wer ein Tier erschlägt". Wie derjenige, "der ein Tier erschlägt", zu Ersatzleistungen verpflichtet ist, so ist auch derjenige, "der einen Menschen schlägt", zu Ersatzleistungen verpflichtet. Wenn du aber etwas dagegen sagen wolltest, siehe, so sagt doch die Schrift: "Nehmt kein Lösegeld für das Leben eines Mörders, der schuldig ist zu sterben!" Für das Leben eines Mörders also darfst du kein Lösegeld nehmen, wohl aber sollst du Lösegeld nehmen sogar für die hauptsächlichen Gliedmaßen, die nicht wiederherzustellen sind. [...] Es wird gelehrt: Rabbi Dostai, Jehudas Sohn, sagt: "Auge um Auge" bezieht sich auf Geldentschädigung. Du sagst: Es bezieht sich auf Geldentschädigung? Aber vielleicht ist es nicht so, sondern es bezieht sich wirklich auf das Auge? Aber siehe, was willst du sagen, wenn das Auge des einen groß war und das Auge des andern klein ist? Wie soll ich in diesem Fall das "Auge um Auge" anwenden? [...] Es wird gelehrt: [...] Aber siehe, was willst du sagen, wenn da ein Blinder war, der blendete, ein Verstümmelter, der verstümmelte, ein Lahmer, der lähmte? Wie soll ich in diesem Fall das "Auge um Auge" aufrechterhalten, da doch die Weisung sagt: "Ein einziges Recht soll für euch gelten", das gleiche Recht soll für euch alle gelten? [...] Es wird gelehrt: Rabbi Elieser sagt: "Auge um Auge" - das ist wirklich gemeint. Ist das wirklich gemeint? Was kommt dir in den Sinn! Sollte sich Rabbi Elieser gegen alle diese Mischnalehrer stellen? Rabba sagte: Das besagt, dass man ihn nicht als Sklaven einschätzen soll. Abbaje sagte zu ihm: Wie soll man diesen sonst einschätzen? Etwa als Freien? Ein Freier hat doch keinen Geldwert. Nein, Raw Aschi sagte: Das besagt, dass man es nicht beim Geschädigten einschätzen soll, sondern beim Schädiger. Fragen zum Textbeispiel 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Welcher Text ist der Ausgangspunkt der Überlegungen? Welches Ergebnis wird von den Interpreten gesucht? Warum? Welcher Name wird Gott in diesem Text gegeben, warum? Zeigen Sie an diesem Text die wörtliche Auslegung, die Auslegung contra legem, das argumentum e contrario und das argumtentum ad absurdum. Wie wird in diesem Text mit dem Prinzip umgegangen, das auch dem römischen Recht bekannt ist, dass ein Freier keinen Geldwert hat, corpus liberi non habet pretium? Welche Bedeutung hat in diesem Text der Gleichheitssatz? Welche Tendenzen des jüdischen Rechts liegen diesem Text zu Grunde? Welche entsprechenden Regelungen kennt das moderne Zivilrecht? Babylonischer Talmud Bawa kamma 83b (nach R. Mayer "Goldmann" 296 f.) Mischna. Wer seinen Nächsten verletzt, kann ihm gegenüber wegen fünferlei verpflichtet werden: Für Wertminderung, für Schmerz, für Kur, für Zeitverlust und Beschämung. Auf welche Weise für Wertminderung? Hat er ihm ein Auge geblendet, eine Hand abgehauen oder einen Fuß zerbrochen, so sieht man den Geschädigten an, als ob er ein Sklave sei, der auf dem Markt verkauft wird, und man schätzt, wie viel er wert war und wie viel er jetzt wert ist. Schmerz: Hat er ihn mit einem Bratspieß oder mit einem Nagel gebrannt, und sei es auch nur auf seinem Fingernagel, also an einer Stelle, an der keine Wunde entsteht, so veranschlagt man, wie viel ein Mensch wie er verlangen würde, wenn er Gleiches zu ertragen hätte. Kur: Hat er ihn geschlagen, so ist er für die Heilungskosten ersatzpflichtig. Sind ihm Geschwüre gewachsen, so ist er ersatzpflichtig, wenn sie wegen des Schlages entstanden sind. War die Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 17 Wunde geheilt und ist aufgebrochen, wieder geheilt und aufgebrochen, so ist er für die Heilungskosten ersatz-pflichtig; war die nötige Heilung schon ganz erreicht, so ist er für die Heilungskosten nicht ersatzpflichtig. Zeitverlust: Man sieht ihn an, als ob er einer sei, der Gurken bewacht; denn er hat ihm ja den Wert für seine Hand oder den Wert für seinen Fuß schon ersetzt. Beschämung: Alles entsprechend dem Stand des Beschämers und des Beschämten. (zum Bewachen der Gurken: Das ist natürlich nur ein geringer Schadensposten; der Verdienstausfall ist nämlich grundsätzlich grundsätzlich bereits in der Wertminderung mit einkalkuliert. Anderes gillt allenfalls bei einer qualifizierten Berufsausbildung; da kann der Schädiger ggf. den konkreten Dienstausfall ersetzen [vgl. Toßafotkommentar S. 85b]). Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 18 H. Weitere Geschichte Die in der Antike beginnende Abgrenzung zwischen Christen und Juden, die Judenverfolgungen im Mittelalter und in der Neuzeit, die Emanzipation im 19. Jahrhundert, die Verfolgung und die Gründung des Staates Israel im 20. Jahrhundert gehören in andere Kapitel. I. Literatur und Quellen Bibel. Der Babylonische Talmud, von L. Goldschmidt, 8 Bde., 2. Aufl., Leipzig 1906 - 1909. D. Goodblatt, The Babylonian Talmud, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II, Principat, 19.2, Berlin u. a. 1979, 294 ff.; G. Stemberger, Der Talmud - Einführung, Texte, Erläuterungen, München 1982; ders., Einleitung in Talmud und Midrasch, 8. Aufl., München 1992. Außerdem die Werke zu den antiken Rechten (s. Lit.-Verzeichnis), insbesondere Thielmann-Ebel (mit Quellenbeispielen), Gaudemet und Gilissen. § 3. Das Recht des Neuen Testaments Das Denken, Rechtsbewusstsein und Handeln der frühen Christen wird in den meisten historischen Darstellungen nicht besonders thematisiert, obwohl von christlichem Abendland und christlichen Parteien ständig die Rede ist. Trotz Kriegen und Bürgerkriegen, Kapitalismus und Ausbeutung der Dritten Welt ist das Christentum in seinen verschiedenen Erscheinungen ein wesentlicher Faktor der europäischen Gesellschaft. Wichtige Vermittler zwischen Christentum und Gesellschaft waren im Mittelalter die in jeder Hinsicht große christliche Kirche, die Theologie und das damals für alle (ausgenommen die Juden und die, von ihnen unterschiedenen, Ungläubigen) verbindliche Kirchenrecht, das kanonische Recht. A. Zeittafel 1. Jh. 284 - 305 313 391 Kreuzigung Jesu; Missionsreisen des Paulus Kaiser Diokletian, Christenverfolgungen Kaiser Konstantin, Toleranzedikt von Mailand Christentum wird Staatsreligion. B. Allgemeine Geschichte Das Christentum erhebt sich auf dem Boden der jüdischen Religion als Erfüllung der dort gegebenen Weissagungen. In der Auseinandersetzung mit vielen heidnischen Religionen und Philosophien hält es den Monotheismus und den Glauben an einen unsichtbaren Gott, an den bereits in Menschengestalt erschienenen Messias und die leibliche Auferstehung aufrecht. Nach den Christenverfolgungen, insbesondere unter Diokletian, und dem Toleranzedikt Konstantins wird es als Staatsreligion anerkannt, während die anderen Kulte verfolgt werden. C. Rechtsgeschichte und Bedeutung für das moderne Recht Die beiden Grundlagen des Christentums sind das jüdische Recht und die Lehren Christi. Charakteristisch sind Gottes Liebe zu den Menschen und die Vergebung der Sünden, verbunden mit dem Gebot der Nächstenliebe unter den Menschen. Die Nächstenliebe spielt in den Lehren (insbesondere in der Bergpredigt) und Gleichnissen (die Arbeiter im Weinberg, der barmherzige Samariter, Lazarus) eine hervorgehobene Rolle. Die Kirche musste sich als praktisch notwendig erweisen und die Bedürfnisse des Alltags in einer für jedermann einsichtigen Weise befriedigen. Zu den von ihr betriebenen Einrichtungen gehörten mithin nicht nur Kultgebäude, sondern, wie es ein Kaisergesetz beispielhaft aufzählte: "Kirchen, Klöster, Krankenhäuser, Hospitäler und Waisenhäuser3." Der Kirche fielen die ihrer Barmherzigkeitspredigt entsprechenden Aufgaben zu. Deshalb übernahm die Kirche entsprechende Staatsfunktionen, wie Preiskontrolle und Konsumentenschutz. Ihr stand in diesen Rechts3 Codex Iust. 1, 2, 17. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 19 fragen nicht nur die Rolle einer geduldeten Fürsprecherin zu. Sie hatte vielmehr feste Rechte im Staat und verfügte, im doppelten Sinne des Wortes, über das notwendige Vermögen, um ihre Aufgaben zu erfüllen4. Das Humanitätsideal mit der Achtung vor Wert und Würde des Menschen wirkten sich also vielfältig in der Praxis des Alltags aus. Damit verbunden ist die christliche Suche nach Frieden. Die Christen predigten, dass der Frieden weder auf jüdische Weise (strenge Erfüllung aller Gesetzesvorschriften), noch auf römische (durch militärische und juristische Befriedung) endgültig zu erreichen sei. Frieden sei nur zu haben, wenn jemand erlittenes Unrecht als sinnvoll ertrage, den eigenen Rechtsstandpunkt opfere und Unrecht nicht erwidere5. Der Gemeinde der einfachen Leute entspricht das Gleichheitsprinzip, gesteigert zu dem Satz, dass die Letzten die Ersten sein werden. Da die Kirche ihre Anhänger unter den einfachen Leuten suchte, machte sie, ebenfalls gestützt auf die Bibel, aus der Arbeit eine Tugend mit der Maxime, "wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen". Wichtig ist zum einen der Gedanke, dass Gott in die Herzen sieht und dass weder die nur äußerliche Vornahme der Zeremonien, noch die guten Werke allein ausreichen. Daher stammen die Bedeutung des individuellen Gewissens und psychologischer Elemente im Recht, z. B. Treu und Glauben (hier wird möglicherweise auch arabischer Einfluss eine Rolle gespielt haben), Absicht, Vorsatz, Fahrlässigkeit, Irrtum etc. Andererseits führen die Ausbreitung der Religion unter der römischen Besetzung und die Mission unter anderen Völkern zu der Trennung von Kirche und Staat bzw. Recht: "Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist und Gottes was Gottes ist", dies im Gegensatz zur jüdischen Religion. Die Abspaltung des Christentums vom Judentum ist eine der Ursachen für die Judenfeindschaft der Christen. Frage zur Wiederholung und Vertiefung: In welchen Prinzipien oder Regelungen des modernen Rechts finden sich Anklänge an die christlichen Lehren wieder? D. Textbeispiele Matth. 5, 7-9 7. Glücklich zu preisen, die barmherzig sind, denn sie werden Barmherzigkeit erfahren. 8. Glücklich zu preisen, die lauter im Herzen sind, denn sie werden Gott sehen. 9. Glücklich zu preisen, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Fragen zum Textbeispiel: 1. 2. 3. 4. 4 5 Welche Tugenden werden gelobt? Was kann mit der "Lauterkeit des Herzens" gemeint sein? Vergleichen Sie Inhalt und Stil der Bergpredigt mit Inhalt und Stil der Zehn Gebote. Welche Sanktion wird ausgesprochen, schon für das Diesseits? Handelt es sich um die Form eines Rechtstextes? H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Heidelberg 1992, S. 115. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 106 f. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 20 Beispiele für Rechtliches im Neuen Testament Markus 14, 66 – 72 66. Und Petrus war unten im Hof. Da kam eine von dem Mägden des Hohenpriesters; 67. und als sie Petrus sah, wie er sich wärmte, schaute sie ihn an und sprach: Und du warst auch mit dem Jesus von Nazareth. 68. Er leugnete aber und sprach: Ich weiß nicht und verstehe nicht, was du sagst. Und er ging hinaus in den Vorhof, und der Hahn krähte. 69. Und die Magd sah ihn und fing abermals an, denen zu sagen, die dabeistanden: Das ist einer von denen. 70. Und er leugnete abermals. Und nach einer kleinen Weile sprachen die, die dabeistanden, abermals zu Petrus: Wahrhaftig, du bist einer von denen; denn auch du bist ein Galiläer. 71. Er aber fing an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen nicht, von dem ihr redet. 72. Und alsbald krähte der Hahn zum zweiten Mal. Da gedachte Petrus an das Wort, das Jesus zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er fing an zu weinen. Markus 15,1 – 5 1. Und alsbald am Morgen hielten die Hohepriester Rat mit den Ältesten und Schriftgelehrten und dem ganzen Hohen Rat, und sie banden Jesus, führten ihn ab und überantworteten ihn Pilatus. 2. Und Pilatus fragte ihn: Bist du der König der Juden? Er aber antwortete und sprach zu ihm: Du sagst es. 3. Und die Hohepriester beschuldigten ihn hart. 4. Pilatus aber fragte ihn abermals: Antwortest du nichts? Siehe, wie hart sie dich verklagen! 5. Jesus aber antwortete nichts mehr, so daß sich Pilatus verwunderte. E. Literatur David Daube, Das Alte Testament im Neuen – eine jüdische Perspektive, Xenia 10, 1984; Christentum, Säkularisation und modernes Recht, hrsg. v. L. Lombardi Vallauri und G. Dilcher, 2 Bde., Baden-Baden 1981; H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Heidelberg 1992. § 4. Demokratie und Rechtsdenken der Griechen Die Griechen gaben die Leistungen des Orients an den Westen weiter. Vor allem kann der eigentlich griechische Einfluss auf die römische Zivilisation nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die griechische Logik und Rechtsphilosophie wirkten im Mittelalter auf die Scholastik und in der Neuzeit auf die Naturrechtslehren des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Gebrauch von Wörtern griechischer Herkunft zeigt die Fortdauer des Einflusses bis heute. A. Zeittafel Um 600 Bürgerkriegssituation in Athen, darum Gesetzgebungen Drakons (621) und Solons (594) mit bedeutenden Rechtsreformen 5. und 4. Jh. am Anfang die Kriege gegen die Perser (480 - 470) Philosophie: Sokrates (470-399), Platon (427-347) und Aristoteles (384322/21) Klassische Kunst: Tempelbau und Bildhauerei; Tragödien: Aischylos, Sophokles, Euripides; Geschichtsschreibung: Herodot und Thukydides; am Ende der Peloponnesische Krieg zwischen den griech. Staaten (431 - 404) Alexander d. Gr. (Herrscher 336 - 323) 215 Übergreifen Roms nach Griechenland. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 21 B. Allgemeine Geschichte und Verfassungsgeschichte In Athen sind die "drakonischen" Gesetze Drakons (620 v. Chr., z. B. Todesstrafe für Müßiggang und Diebstahl von Feldfrüchten, aber auch Eindämmuung der Blutrache) und die Rechtsreform Solons (u.a. Verbot der Selbstverpfändung; Berufung gegen Urteile, Popularklage) um 600 v. Chr. von Bedeutung. Sie schränken die Macht des Adels ein, heben die Leibeigenschaft an griechischen Schuldnern auf (die Sklaverei, insbes. an Kriegsgefangenen, bleibt) und fördern die Wirtschaft. C. Griechisches Staatsdenken I. Demokratie Aristoteles beschreibt in seiner Schrift über den "Staat der Athener" die Entwicklung der athenischen Verfassung bis zu den Verhältnissen seiner eigenen Zeit: Im 7. Jh. wird es erforderlich, dass in Kriegen nicht mehr allein die Adligen, sondern das ganze Volk geschlossen kämpft. Neben die Landwirtschaft treten Gewerbe und Handel (Münzprägung um 650) mit einem gewerblichen Mittelstand. Eine allgemeine Rechtspflege, unterstützt durch Rechtskodifikationen (namentlich Drakon und Solon), beseitigt adlige Fehde und Rechtswillkür. Für Kriegsdienst und Steuern, Wahlen und Gesetzesbeschlüsse in der Volksversammlung (Ecclesia) und Geschworenengerichte sowie für die Staatsämter teilt Solon die Bürger nach ihrem Grundbesitz und mobilen Vermögen in vier Klassen mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten ein. Minderbemittelten Bürgern wird unter Perikles die Teilnahme am politischen Leben durch Tagegelder und Amtsbesoldung ermöglicht. Ein Rat (Boulé) von 400, später 500 Mitgliedern leitet die Verwaltung und entwirft die Gesetze. Der Areopag, besetzt mit früheren Oberbeamten (Archonten), übt die Verfassungsaufsicht und die Mordgerichtsbarkeit aus. Überhaupt ist die vielfältige Differenzierung der Gerichtsbarkeit auffällig. Volksvertreter, Beamte und Richter werden durch das Los bestimmt oder gewählt. Missliebige Bürger werden durch das Scherbengericht (Ostrakismus) verbannt. Aber Sklaven, Halbfreie und Fremde, Frauen und Kinder sind von den politischen Entscheidungen ausgeschlossen. Frage: Kann man überhaupt von "Staaten" in der Antike und im Mittelalter sprechen? Was macht den "Staat" aus? Es ist heute kontrovers, ob man von einem "Staat" in vormoderner Zeit sprechen darf. Die m.E. gescheiteste Erklärung der Entstehung von Staaten findet sich bei dem Anthropologen Marvin Harris, Menschen - wie wir wurden, was wir sind, dt. 2. Aufl., 1994. Drei Haupt-Theorien zum modernen "Staat": 1. 2. 3. "Organisation der hoheitlichen Macht eines Volkes". Drei-Elemente-Lehre: "Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt". "Der Staat ist 1. die politische Einheit einer Gemeinschaft von Menschen (nicht identisch mit Volk oder Nation schlechthin), 2. die in einem bestimmten Gebiet (mit festen Grenzen) sesshaft sind, 3. unter einer obersten Gewalt, ausgestattet mit Kontinuität, zur Erfüllung des Staatszwecks organisiert sind". Verschiedene Integrationslehren, insbes. von Rudolf Smend (1882 - 1975, 1928). Staat als "geistige" Realität der Bürger und Staatsorgane, in einem längeren Prozess der Integration entwickelt, in ständigem Prozess der Erneuerung am Leben gehalten. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 22 II. Rechtsdenker und Rechtsdenken im Athen des 5. und 4. Jh. v. Chr. Die griechischen Philosophen suchen nach der Erkenntnis des richtigen Rechts und nach dem Zusammenhang zwischen Recht und Macht. Sokrates (470 - 399) gilt als der Begründer der attischen Philosophie, hat keine Schriften hinterlassen, sondern belehrte seine Mitbürger auf Straßen und Plätzen. Er unterwarf die überlieferten Meinungen eindringlichen Fragen und meinte, die individuelle Einsicht bringe das rechte Handeln hervor. Dennoch müsse der Bürger auch ungerechte Gesetze und Richtersprüche befolgen. Wegen angeblicher Gotteslästerung und Verführung der Jugend wurde er zum Tode (durch Trinken des Giftbechers) verurteilt. Im 4. Jh. v. Chr. entwirft Platon Pläne für den idealen Staat, und Aristoteles stellt Beobachtungen über Staatsfunktionen und -formen sowie deren Veränderungen an. Nach seiner Auffassung ist der Mensch von Natur aus auf das Zusammenleben mit anderen angewiesen. Seine Lehren gehören zu den Fundamenten des neuzeitlichen Naturrechts (16. - 18. Jh. n. Chr.), auf dem das moderne Verfassungsrecht und die moderne Rechtsphilosophie aufbauen. Platon (428/427 - 349/348), Verfasser der Dialoge u. a. über den "Staat" (Politeia), den "Staatsmann" (Politikos) und die "Gesetze" (Nomoi), leitet das Wesen des Staates aus dem Wesen des Menschen ab, "weil jeder von uns ... vieler bedürftig ist", kommt damit (in der Politeia) zur Arbeitsteilung und schließlich zur Gliederung des Staates in den Erwerbsstand , sowie in den Krieger- und Herrscherstand, diese beiden bei völliger Gleichberechtigung der Frauen und mit Güter-, Frauen- und Kindergemeinschaft. Platon sieht jedoch in seinen späteren Nomoi die Wahl der Regierung durch die Volksversammlung und die Herrschaft im Rahmen von Grundgesetzen vor. Wenn die Wesensprinzipien des Staates verletzt werden, zerfällt er durch Revolution oder durch äußeren Anstoß, wie in der Zyklentheorie dargelegt6. Aristoteles (384 - 322), hat seine Rechts- und Staatsphilosophie vor allem in der Nikomachischen Ethik, der Politik und dem Verfassungenvergleich (darunter der "Staat der Athener") niedergelegt, weitere Schriften betreffen Metaphysik, Logik und Rhetorik sowie Naturwissenschaften. Da der Mensch ein geselliges Wesen (Zoon politikón) sei, erreiche er seine vollkommene Entfaltung erst im Staat. Infolgedessen sind nur solche Staatsformen gerecht, die auf den gemeinsamen Nutzen aller Bürger hinzielen. Das staatliche Recht sei entweder "natürlich", d. h. von der Natur des Menschen vorgegeben, daher allen Menschen gemeinsam und überall gültig. Oder das staatliche Recht sei "gesetzlich", indem es allein auf den positiven Gesetzen eines bestimmten Staates beruhe. Die Gerechtigkeit sei austeilend, "distributiv", geometrisch, indem sie jedem gerade soviel an Ehren zuteilt, wie er im Rahmen des Staates zu beanspruchen hat. Oder die Gerechtigkeit sei ausgleichend, arithmetisch, indem sie allen das Gleiche zuteilt, insbesondere beim Austausch im Geschäftsverkehr, bei der Wiedergutmachung von unerlaubten Schädigungen und im Strafrecht, da der Richter alle Personen gleichbehandeln muss. Im Dienste der Gerechtigkeit steht auch die Billigkeit. Aristoteles hatte eine überragende Bedeutung in der griechischen und römischen Antike, im arabischen und christlichen Mittelalter und in der Neuzeit. Fragen zur Wiederholung und Vertiefung: 1. Zeigen Sie am Beispiel der griechischen Geschichte den Zusammenhang von wirtschaftlicher, militärischer, politischer, verfassungsrechtlicher und rechtsphilosophischer Entwicklung. 2. Nennen Sie einige der Hauptthemen der griechischen Rechtsphilosophie. 3. Ist für die griechischen Philosophen die Verankerung des Rechts im Jenseits ebenso wichtig wie für Juden und Christen? 4. Ist der Staat überwiegend religiös bestimmt? 6 K.R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1, Der Zauber Platons, utb/München 1977. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 23 5. Wie kann man es erklären, dass Aristoteles - wie schon die Philosophen vor ihm unterschiedliche Staatsformen diskutierte? 6. Was bedeutet wörtlich: Demokratie? Inwieweit ist die athenische Demokratie von den heutigen Anforderungen an eine Demokratie entfernt? 7. Welche Unterschiede zwischen Recht und Gesetz sind zu erkennen? 8.Findet sich das Kodifikationsprinzip auch in Griechenland? 9. In welchen neueren Perioden der Philosophiegeschichte kam es ebenfalls auf die individuelle Einsicht an? 10. In welchem Maße müssen auch heute ungerechte Gesetze und Richtersprüche befolgt werden? D. Textbeispiele I. Beispiel zu Staatszwecken nach Aristoteles Aristoteles, Politik, III 9 - 10, 1280 b 29 - 1281 a 167 [...] Offensichtlich ist also der Staat nicht bloß eine Gemeinschaft des Ortes und um einander nicht zu schädigen und um des Handels willen. Sondern dies sind nur notwendige Voraussetzungen, wenn es einen Staat geben soll; aber auch wenn all das vorhanden ist, ist noch kein Staat vorhanden, sondern dieser beruht auf der Gemeinschaft des edlen Lebens in Häusern und Familien um eines vollkommenen und selbständigen Lebens willen. Freilich kann dies nicht zustande kommen, wo man nicht an demselben Orte wohnt und keine Ehegemeinschaft hat. Und so gibt es in den Staaten Verschwägerungen und Brüderschaften und Opferfeste und Formen des geselligen Lebens. Das ist das Werk der Freundschaft. Denn der Wille, zusammenzuleben, ist Freundschaft. Ziel des Staates ist also das edle Leben, und jenes andere ist um dieses Zieles willen da. Und der Staat ist die Gemeinschaft der Geschlechter und Dorfgemeinden um des vollkommenen und selbständigen Lebens willen. Dieses endlich ist, wie wir betonen, das glückselige und edle Leben. Man muss also die politischen Gemeinschaften auf die edlen Handlungen hin einrichten und nicht bloß auf das Beisammenleben. Wer darum zu einer solchen Gemeinschaft am meisten beiträgt, der hat auch einen größeren Anteil an dem Staate als jene, die an Freiheit und Abkunft gleich oder sogar überlegen sind, aber an politischer Tugend weniger besitzen, oder jene, die an Reichtum hervorragen, an Tugend aber zurückstehen. Offensichtlich haben also jene, die über die Verfassungsformen diskutieren, nur einen Teil der Gerechtigkeit im Auge. 10. Gefragt wird nun, was das Entscheidende im Staate sein soll: die Menge, die Reichen, die Anständigen, der Eine, der der beste von allen wäre, oder der Tyrann? All das scheint Schwierigkeiten zu haben. Denn wenn die Armen zufolge ihrer Mehrzahl den Besitz der Reichen aufteilen, ist dies nicht ungerecht? Und doch schien es dem entscheidenden Teile in der Tat gerecht. [...] Ergänzung: Staatszwecke 1. Zweck. Sicherheit 2. Zweck. Wohlfahrt, Daseinsvorsorge 3. Zweck. Rechtsstaat 4. Zweck. Vollkommenheit Fragen: 1. Welche Voraussetzungen, welche Zwecke des Staates nennt Aristoteles? 2. Welche Staatszwecke ergeben sich aus dem Grundgesetz? Sind sie dieselben wie die des Aristoteles? 3. Auf welche Staatsformen wird in dem Text mit der Frage nach "dem Entscheidenden" hingewiesen? 7 Aristoteles, Politik, übersetzt und hersg. von O. Gigon, dtv/München 1973. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 24 II. Textbeispiele zu Billigkeit nach Aristoteles Aristoteles, Nikomachische Ethik V 1134 b 17 (nach O. Gigon) Von dem politischen Rechte ist das eine natürlich, das andere gesetzlich. Das natürliche hat überall dieselbe Autorität und hängt nicht von der Meinung der Menschen ab; beim gesetzlichen kommt es ursprünglich nicht darauf an, ob es so ist oder anders; wenn es aber einmal gesetzt ist, kommt es darauf an, etwa dass das Lösegeld für einen Gefangenen eine Mine betragen soll, oder dass man eine Ziege und nicht zwei Schafe opfern soll, oder gar, was für einzelne Fälle bestimmt wird, etwa, dass dem Brasidas geopfert werden soll, und was durch Abstimmung beschlossen wird. Aristoteles, Nikomachische Ethik, V 14, 1137 b 10 - 1138 b 288 Die Schwierigkeit kommt daher, dass das Billige zwar ein Recht ist, aber nicht dem Gesetze nach, sondern als eine Korrektur des gesetzlich Gerechten. Die Ursache ist, dass jedes Gesetz allgemein ist, in einigen Dingen aber in allgemeiner Weise nicht korrekt gesprochen werden kann. Wo man allgemein reden muss, dies aber nicht angemessen tun kann, da berücksichtigt das Gesetz die Mehrzahl der Fälle, ohne über diesen Mangel im unklaren zu sein. Dennoch geht es richtig vor. Denn der Fehler liegt weder im Gesetz noch beim Gesetzgeber, sondern in der Natur der Sache. Die Materie des Handelns ist nämlich von vornherein von dieser Art. Wenn also nun das Gesetz allgemein spricht, dabei ein Fall eintritt, der dem Allgemeinen widerspricht, so ist es, soweit der Gesetzgeber allgemein formulierend eine Lücke lässt, richtig, dies zu verbessern, wie es ja auch der Gesetzgeber selbst getan hätte, wenn er dabei gewesen wäre; und wenn er diesen Fall gewusst hätte, hätte er ihn ins Gesetz aufgenommen. Daher ist das Billige ein Recht und besser als ein gewisses Recht, nicht als das Recht im allgemeinen, sondern als der Mangel, der entsteht, weil das Gesetz allgemein spricht. Dies ist also die Natur des Billigen, eine Korrektur des Gesetzes, soweit es auf Grund seiner Allgemeinheit mangelhaft ist. Dies ist auch die Ursache davon, dass nicht alles gesetzlich geregelt wird, da man über einige Dinge unmöglich Gesetze geben kann; da bedarf es denn besonderer Beschlüsse. Fragen: 1. Vergleichen Sie die Äußerung des Aristoteles und die Regelung im schweizerischen Zivilgesetzbuch. 2. Warum müssen - Aristoteles zufolge - Gesetze im Wege der Billigkeit ergänzt werden? 3. Liegt hier die Billigkeit außerhalb der Gerechtigkeit? E. Quellen und Literatur Originalausgaben und Übersetzungen der Schriften der griechischen Philosophen sind allgemein zugänglich. Dazu: Geschichte in Quellen, Bd. 1, Altertum, bearbeitet von W. Arend, München 1965. F. Ebel, G. Thielmann, Rechtsgeschichte, Bd.1, Antike und Mittelalter, Heidelberg 1989; J. Hirschberger, Geschichte der Philosophie, 2 Bde., Freiburg u. a. 1991 (Taschenbuchausgabe); W. Naucke, Rechtsphilosophische Grundbegriffe, 3. Aufl., Neuwied u. a. 1996; A. Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, Wien 1958, S. 1 - 50. 8 Aristoteles, Die Nikomachische Ethik, übersetzt von O. Gigon, dtv/München 1972. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 25 4. TEIL. RÖMISCHES RECHT § 1. Allgemeine römische Geschichte Da das römische Recht die weitaus wichtigste Grundlage des modernen Rechts ist, soll man sich zuerst kurz die allgemeine Situation Roms, die Verfassungsstrukturen und die Rechtsquellen klarmachen, bevor man sich speziell dem römischen Privatrecht zuwendet. A. Zeittafel 753 - 510 Königszeit 753 Gründung Roms, Königsherrschaft 510-27 v.Chr. Republik 510 449 367/366 3.Jh.v.Chr. 133-121 1.Jh.v.Chr. ab 27 v. Chr. Kaiserzeit: Prinzipat und Dominat (ab 310 n. Chr) 27 v. 0 - 200 n. 3. Jh. 284-305 313 4. Jh. 476 533 1453 Sturz der etruskischen Könige, Beginn der Republik, Ständekampf Patrizier gegen Plebejer. Dauernd Kriege in Italien und Ausdehnung der römischen Herrschaft. Zwölf-Tafel-Gesetz. Leges Liciniae Sextiae: Schuldenermäßigung; Höchstgrenze für Grundbesitz an Staatsland; Plebejer als Konsuln. Kriege gegen Karthago (Punische Kriege), sowie Ausdehnung nach Griechenland und Kleinasien. Reformbewegung der beiden Brüder Gracchus. Bürgerkriege. Caesar wird Diktator, aber 44 v. Chr. ermordet. Darauf erneut Bürgerkrieg. Beginn des Prinzipats durch Augustus. Klassisches römisches Recht. Beginnende Spaltung in Westrom und Ostrom (Hauptstadt Byzanz = Konstantinopel). Kaiser Diokletian. Kaiser Konstantin, Toleranzedikt von Mailand. Beginn der germanischen Völkerwanderung. Ende des weström. Reichs durch Absetzung des weström. Kaisers. Kaiser Justinian in Byzanz lässt durch Tribonian das (später sogenannte) Corpus Iuris Civilis herstellen; 4 Teile: Institutionen, Digesten, Codex, Novellen. Einnahme Konstantinopels (= Byzanz) durch die Türken. B. Geschichte Seit etwa 1000 v. Chr. ist das Gebiet der späteren Stadt Rom auf den (sieben) Hügeln und bald auch in dem dazwischen liegenden Gelände besiedelt. Es werden Landwirtschaft und wahrscheinlich Handel am Übergang über den Tiber-Fluss betrieben. Die Einzelsiedlungen werden später zu einem Gemeinwesen verbunden (nach der Sage Stadtgründung durch Romulus und Remus im Jahre 753) und beherrscht von etruskischen Königen (nach der Sage eine Reihe von sieben). Um 510 v. Chr. werden die Könige gestürzt, und die Republik wird errichtet. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 26 Zwischen dem Adel, den Patriziern, und dem Rest der Bevölkerung, den Plebejern, bricht nach der Vertreibung der Könige, zu Beginn der Republik der Ständekampf aus, vor allem weil die Plebejer für den Kriegsdienst unentbehrlich sind und wahrscheinlich auch weil sie durch Gewerbe und Handel eine erhebliche Wirtschaftmacht erlangt haben. Die Plebejer schließen sich in eigenen Versammlungen, in den concilia plebis, zusammen, fassen seit 286 v. Chr. eigene verbindliche Beschlüsse, die plebis scita, und wählen eigene Beamte, die tribuni plebis. Der Ausgleich erfolgt im Laufe von zwei Jahrhunderten: Das Zwölf-Tafel-Gesetz etwa von 449 v. Chr. bringt Rechtssicherheit, Rechtsgleichheit und Rechtshumanisierung. Die Leges Liciniae Sextiae von 367/366 v. Chr. ermäßigen die Schuldenlast, legen (zur Beschränkung adliger Macht und zwecks wirtschaftlicher Gleichheit) eine Höchstgrenze für den Besitz an erobertem Feindesland (ager publicus) fest und eröffnen den Plebejern den Zugang zum Konsulat. Gleichzeitig unterwerfen die Römer Italien. Seit dem 3. Jh. v. Chr. greifen sie nach Spanien, (Nord-) Afrika, Griechenland, Kleinasien und großen Teilen des Nahen Ostens einschließlich Palästinas und Ägyptens aus. Die Bewohner nördlich der Alpen, Germanen und Gallier, werden von den Römern, endgültig von Caesar, in schweren Kämpfen seit dem 2. Jh. v. Chr. unterworfen. So kommt es zwar tatsächlich zum Imperium Romanum, das in Provinzen eingeteilt wird, aber verfassungsrechtlich bleibt es vorerst bei den alten Einrichtungen der Republik. Die Stadt Rom wird zu einer Großstadt. In der Landwirtschaft, im Gewerbe und Handel nehmen Großbetriebe überhand und verdrängen mit ihrer Sklavenarbeit den freien bäuerlichen und gewerblichen Mittelstand. Dem besitzlosen Proletariat stehen die wohlhabenden Nobiles der alten Familien und die neureichen Equites gegenüber. Reformversuche der Brüder Tiberius Sempronius Gracchus und Gaius Sempronius Gracchus scheitern. Das Jahrhundert vor Christi Geburt ist weiterhin durch Kriege innerhalb und außerhalb Italiens bestimmt und zudem durch Bürgerkriege zwischen römischen Gruppen erschüttert. Die Republik geht mit Gaius Iulius Caesar, ermordet 44 v. Chr., unter. Oktavian beendet die Bürgerkriege. Vom Senat mit dem Ehrennamen "Erhabener", Augustus, ausgezeichnet, stellt er die Verfassung der Republik wieder her, so dass ihre Einrichtungen (z. B. Senat und Konsulat) erhalten bleiben, wenn sie auch an Bedeutung verlieren. Er erreicht mit verfassungsrechtlichen Besonderheiten (s.u.) die Herrschaft eines einzigen, des Princeps, und begründet damit das Kaiserreich. Die Kaiser dehnen das Reich weiter aus. Doch bald setzt der Zerfall ein, der vor allem durch Diokletian (284 - 305) und Konstantin d. Gr. (324 - 337) aufgehalten wurde. Das Reich spaltet sich (395) in Westrom und Ostrom auf. Das früher verfolgte Christentum wird zur Staatsreligion. Germanen dringen in das Reich ein, plündern im 5. Jh. die Stadt Rom und setzen 476 den letzten weströmischen Kaiser ab. Der byzantinische Kaiser Justinian I. führt kurzzeitig noch einmal das ganze römische Reich zusammen. Teil seiner Restaurationspolitik ist 533 die Kodifikation des römischen Rechts. 1453 wird Byzanz/Konstantinopel von den Mohammedanern erobert. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 27 § 2. Grundlagen des römischen Rechts A. Rechtsquellen9 Von Anfang an sind Religion und Recht weitgehend geschieden. Das älteste Recht ist Gewohnheitsrecht, z. B. die Macht des Hausvaters, pater familias, über Ehefrau, Abkömmlinge und Sklaven. Das Gesamtvolk kann Gesetze, leges, beschließen, z. B. das Zwölftafelgesetz (449 v. Chr.), die leges Liciniae Sextiae (367 v. Chr., benannte nach den Antragstellern) und die verschiedenen Bodenreformgesetze, leges agrariae. Das Volk ohne die Patrizier, d. h. die Plebs, erlässt Plebiszite, die seit der lex Hortensia von 286 v. Chr. dieselbe Rechtskraft wie leges im eigentlichen Sinne haben, also für alle Römer verbindlich waren (vgl. Gai. I. 1, 3 s. unten). Z. B. ist die Regelung des Schadenersatzrechts, die lex Aquilia, ein Plebiszit, das von dem Volkstribunen Aquilius vorgeschlagen worden war (vgl. dazu unten § 5 C V). Der Senat fasst seine senatus consulta, die u.a. das Vermögensrecht regeln und die (wie schon aus der Bezeichnung hervorgeht) formell zunächst nur unverbindlich waren. Die Magistrate erlassen Edikte. Besondere Bedeutung hatte das Rechtsprechungsedikt des Praetors mit Listen und Musterformeln der Klagansprüche (actiones; eine strenge Unterscheidung zwischen Anspruch und Klage kannten die Römer nicht) und Einreden (exceptiones) (s.u. § 6 B). Das vom Praetor gesetzte Recht heißt ius honorarium, das den Gegensatz zum von der Volksversammlung erlassenen ius civile bildet. Später erlangt auch der Kaiser die Rechtssetzungsbefugnis: Was der Princeps beschlossen hat, hat Gesetzeskraft, Quod principi placuit, legis habet vigorem. Übrigens behaupteten die Juristen, dass auch die Rechtsgutachten anerkannter Rechtslehrer eine Rechtsquelle darstellten. Ergänzung: Der Begriff ius civile wird sowohl als Gegenbegriff zum ius honorarium, als auch als Gegenbegriff zum ius gentium gebraucht und bezeichnet im letztgenannten Fall das Recht, das nur für Geschäfte zwischen römischen Bürgern (cives romani) gilt, während das ius gentium zunächst nur bei Rechtsgeschäften zwischen Fremden (peregrines) oder zwischen Römern und Fremden zur Anwendung kommt. Das ius gentium ist also, auch wenn es oft wörtlich so übersetzt wird, kein Völkerrecht im heutigen Sinne. ius civile ! ius honorarium ius civile ! ius gentium Textbeispiele: Pap. D. 1,1,7 Ius autem civile est, quod ex legibus, plebis scitis, senatus consultis, decretis principum, auctoritate prudentium venit. Ius praetorium est, quod praetores introduxerunt adiuvandi vel supplendi vel corrigendi iuris civilis gratia propter utilitatem publicam. Quod et honorarium dicitur ad honorem praetorum sic nominatum. Zivilrecht jedoch ist das Recht, das aus Gesetzen, Plebisziten, Senatsbeschlüssen, Kaisererlassen und der Autorität der Rechtsgelehrten hervorgeht. Praetorisches Recht ist das Recht, das die Praetoren im öffentlichen Interesse eingeführt haben, um das Zivilrecht zu unterstützen, zu ergänzen oder zu verbessern. Es wird auch als Amtsrecht bezeichnet und ist nach dem Ehrenamt der Praetoren so genannt worden. 9 Ausführlich Schröder, Rechtsgeschichte, Punkte 1.2 und 1.3, S. 1 ff.; und Schröder, Quellensammlung; beide Mal mit dem Rechtsquellenkatalog des römischen Juristen Gaius (Gai. 1, 27) und weiteren antiken Äußerungen zu den einzelnen Rechtsquellen. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 28 Gai. I. 1,3 Lex est, quod populus iubet atque constituit. plebiscitum est, quod plebs iubet atque constituit. plebs autem a populo eo distat, quod populi appellatione universi cives significantur, connumeratis et patriciis; plebis autem appellatione sine patriciis ceteri cives significantur; unde olim patricii dicebant plebiscitis se non teneri, quae sine auctoritate eorum facta essent; sed postea lex Hortensia lata est, qua cautum est, ut plebiscita universum populum tenerent: itaque eo modo legibus exaequata sunt. Gesetz ist, was das Volk befiehlt und beschließt. Ein Plebiszit ist, was die Plebs befiehlt und beschließt. Die Plebs unterscheiden sich aber vom Volk insofern, als mit der Bezeichnung Volk alle Bürger gemeint sind unter Einschluß auch der Patrizier, mit der Bezeichnung Plebs aber Bürger gemeint sind, die nicht Patrizier sind. Deswegen sagten aber die Patrizier, dass sie an Plebiszite nicht gebunden seien, die ohne ihre Beteiligung gemacht wurden. Aber später wurde die Lex Hortensia erlassen, durch die angeordnet worden ist, dass die Plebiszite das ganze Volk binden: so sind sie daher den Gesetzen angeglichen worden. Ulp. D. 1,1,1 Iuri operam daturum prius nosse oportet, unde nomen iuris descendat. est autem a iustitia appellatum: nam, ut eleganter Celsus definit, ius est ars boni et aequi. Cuius merito quis nos sacerdotes appellet: iustitiam namque colimus et boni et aequi notitiam profitemur, aequum ab iniquo separantes, licitum ab illicito discernentes, bonos non solum metu poenarum, verum etiam praemiorum quoque exhortatione efficere cupietes, veram nisi fallor philosophiam, non simulatam affectantes. Huius studii duae sunt positiones, publicum et privatum. publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem: sunt enim quaedam publice utilia, quaedam privatim. publicum ius in sacris, in magistratibus consistit. privatum ius tripertitum est: collectum etenim est ex naturalibus praeceptis aut gentium aut civilibus. Ius naturale est, quod natura omnia animalia docuit: nam ius istud non humani generis proprium, sed omnium animalium, quae in terra, quae in mari nascuntur, avium quoque commune est. hinc descendit maris atque feminaeconiunctio, quam nos matrimonium appellamus, hinc liberorum procreatio, hinc educatio: videmus etenim cetera quoque animalia, feras etiam istius iuris peritia censeri. Ius gentium est, quo gentes humanae utuntur. quod a naturali recedere facile intellegere licet, quia illud omnibus animalibus, hoc solis hominibus inter se commune sit. Wer das Recht studieren will, muss zunächst wissen, woher das Wort Recht, ius, stammt. Das Recht ist aber nach der Gerechtigkeit, iustitia, benannt. Wie nämlich Celsus treffend definiert hat, ist das Recht die Kunst des Guten und Gerechten. Mit Grund kann man uns Priester der Gerechtigkeit nennen. Denn wir dienen der Gerechtigkeit und lehren das Wissen vom Guten und Gerechten, indem wir Recht von Unrecht trennen, Erlaubtes von Unerlaubtem scheiden und danach streben, die Menschen nicht durch Furcht vor Strafe, sondern durch Verheißen von Belohnung zum Guten zu führen. Damit streben wir, wenn ich mich nicht täusche, wahrhaft nach Philosophie, nicht nur dem Anschein nach. Für dieses Studium gibt es zwei Ansatzpunkte, das öffentliche Recht und das Privatrecht. Öffentliches Recht ist das, was sich auf die Ordnung des römischen Staatswesens bezieht, Privatrecht das, was sich auf die Interessen des einzelnen bezieht. Denn die einen Regelungen dienen dem öffentlichen, die anderem dem privaten Interesse. Das öffentliche Recht regelt den Staatskult, die Priesterschaften und die Magistraturen. Das Privatrecht besteht aus drei Teilen. Denn es setzt sich aus Vorschriften des Naturrechts, des Völkergemeinrechts (ius gentium) und des Zivilrechts zusammen. Naturrecht ist das, was die Natur alle Lebewesen gelehrt hat. Denn dieses Recht ist nicht allein dem Menschengeschlecht eigen, sondern allen Lebewesen, die es auf dem Lande und im Wasser gibt, gemeinsam auch den Vögeln. Hieraus leitet sich die Verbindung des männlichen Geschlechts mit dem weiblichen ab, die wir Menschen Ehe nennen, ebenso die Erzeugung und Erziehung der Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 29 Kinder, und wir sehen ja, dass auch die übrigen Lebewesen, selbst die wilden Tiere, nach der Kenntnis dieses Rechts eingestuft werden. Ius gentium ist das Recht, das die menschlichen Völkerschaften befolgen. Dass es vom Naturrecht abweicht, ist leicht einzusehen, weil dieses allen Lebewesen, jenes nur den Menschen untereinander gemein ist. B. Rechtsbildung durch Juristen Die Rechtsprechung war in Rom immer Sache weltlicher Hoheitsträger, die Kenntnis und Fortentwicklung des Rechts gehörte demgegenüber jahrhundertelang zum Geheimwissen der Priester. Dann aber wurden Rechtsberatung und Rechtswissenschaft von weltlichen Privatleuten ausgeübt. Die Begriffe und Regeln des Vermögensrechts, das Rechtssystem und die allgemeinen Rechtssprichwörter wurden von Rechtskennern aus der höchsten Gesellschaftsschicht geschaffen, die sich aus persönlicher Neigung mit Rechtsproblemen und tatsächlichen Fällen befassten, diese diskutierten und darüber Bücher schrieben10. Sie sind also nicht das Ergebnis des Gewohnheitsrechts, der Gesetzgebung, der Rechtsprechung oder der staatlichen Universitätslehre. Hierin liegt eine Erklärung für die auffällige Bemerkung der klassischen Juristen, die Autorität der Rechtslehrer, auctoritas prudentium, sei eine Rechtsquelle. In der römischen Rechtsfortbildung ist die theoretische Erörterung nicht unwichtig, z. B. in dem Lehrbuch über die Rechtseinrichtungen, die Institutiones, des Juristen Gaius, ebenso in den Institutiones Kaiser Justinians im Corpus Iuris Civilis. Aber eigentlich charakteristisch ist die Diskussion einzelner Fälle11. Die Namen und Schriften der römischen Juristen sind nicht direkt überliefert, sondern nur in der Sammlung des Corpus Iuris Civilis erhalten. Zu den berühmtesten zählen Iulian und Celsus sowie Gaius aus dem 2. Jh. n. Chr. und Papinian, Paulus (nicht zu verwechseln mit dem Apostel) und Ulpian aus dem 3. Jh n. Chr.. Fast alle hatten höchste Staatsämter inne. Marcus Tullius Cicero ist berühmt als Staatsmann (Konsul), Gerichtsredner (z. B. gegen Verres) und philosophischer Schriftsteller (über den Redner, den Staat, die Gesetze, die Pflichten), aber nicht als eigentlicher Rechtswissenschaftler, iuris consultus oder iuris peritus. Basiswissen zu den wichtigsten klassischen römischen Juristen (0-200 n. Chr.): Frühklassik: Labeo: Zeitgenosse des Augustus, ca. 400 Bücher, insbesondere Kommentarwerk zum Edikt des Praetors, lehnte ihm angebotenes Konsulamt ab, da er als leidenschaftlicher Republikaner das Prinzipat ablehnte. Sabinus: stammte aus einfachen Verhältnissen, Begründer der Rechtsschule der Sabinianer. Proculus: Schuloberhaupt der nach ihm benannten Prokulianer, Konsul unter Vespasian. Hochklassik: Gaius: über ihn ist wenig bekannt, wohl aus Kleinasien, Kommentarwerk zum Provinzialedikt, Institutionen (160 n. Chr.). Celsus: bekleidete wichtige Staatsämter (Praetor, zweimal Konsul); scharfer, geistvoller Kopf, kraftvolle Ausdrucksweise; mit Neraz Schuloberhaupt der Prokulianer; digesta in 39 Büchern. Julian: einer der größten römischen Juristen, aus afrikanischer Provinz, bekleidete zahlreiche Staatsämter (Quaestor, Konsul, Statthalter in Köln), abschließende Redaktion des Edikts unter Hadrian (130 n. Chr.); Digestenwerk mit 90 Büchern. 10 11 Ausführlich Schröder, Rechtsgeschichte, Punkt 1.3.4, S. 9. Beispiele für die verschiedenen Literaturgattungen im Kaufrecht bei Schröder, Quellensammlung. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 30 Spätklassik: Papinian: wohl aus Provinz; Leiter der kaiserlichen Privatkanzlei (a libellis), Quaestiones in 37, Responsae in 19 Büchern, 213 n. Chr. Hinrichtung unter Caracalla Paulus: wohl aus Provinzialfamilie, Inhaber des obersten Ritteramtes, große Stoffmasse: Kommentar zum ius civile mit 16 Büchern, zum Edikt mit 78 Büchern Ulpian: Schüler des Papinian, Mitglied des Konsiliums des Severus (mit Paulus), 80 Bücher zum Edikt, 51 zum ius civile; 1/3 der Digestenstellen stammen von ihm, wurde als Praetorialpraefekt 223 bei Praetorianeraufstand ermordet. C. Rechtspraxis statt Rechtsunterricht Einen systematischen Rechtsunterricht hat es in klassicher Zeit nur ansatzweise gegeben. Man darf z. B. annehmen, dass die Institutiones des Gaius aus dem 2. Jh. n. Chr. ein Lehrbuch gewesen sind und dass die Rechtsschulen, scholae, die die Namen der Juristen Sabinus und Proculus tragen, zumindest auch mit dem Unterricht zu tun gehabt haben. Wichtiger jedoch war für die Ausbildung die Begleitung eines angesehenen Juristen bei seiner Gutachtenerteilung und seinen Diskussionen mit anderen Juristen. D. Rechtsüberlieferung Überliefert sind im wesentlichen im Corpus Iuris Civilis, das Lehrbuch des Juristen Gaius aus dem 2. Jh., die Institutiones, Fragmente, d. h. Ausschnitte aus den Schriften der klassischen Juristen in den Digesta, einzelne kaiserliche Erlasse im Codex und neue kaiserliche Gesetze in den Novellae. Andere Rechtsquellen sind kaum direkt überliefert, sondern werden von den Juristen bei anderer Gelegenheit nur erwähnt, wie z. B. die Zwölf Tafeln oder die Edikte des Praetors oder des Aedils. E. Literatur Das Wenige, was man über die römischen Juristen weiß, bei: W. Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen, 2. Aufl., Graz u. a. 1967. Die Rekonstruktion der römischen Juristenschriften unternimmt: O. Lenel, Palingenesia iuris civilis, 2 Bde., Leipzig u. a. 1889 (Nachdruck). § 3. Die Zwölf Tafeln Schon in der Königszeit, die es sicher gegeben hat, auch wenn die Einzelheiten in Sagen versteckt sind, gab es neben ungeschriebenem Recht auch Gesetze, die sagenhaften leges regiae. Das von den Römern aber besonders verehrte, von den Schülern jahrhundertelang auswendiggelernte "Grundgesetz" (dieser Begriff ist keinesfalls im Sinne unseres heutigen GG zu verstehen) bilden die Zwölf Tafeln, auch wenn diese rasch überholt wurden. Daher findet man noch in mittelalterlichen Darstellungen als Symbol für weltliches Recht die Zwölf Tafeln (neben den Zehn Geboten als Symbol für göttliches oder kirchliches Recht). Übrigens zeigt die Entstehung des Zwölf-Tafel-Gesetzes wiederum die Verbindung zwischen Politik (hier, wie öfter: Revolution) und Privatrechtsgesetzgebung. A. Entstehung Nach der Vertreibung der Könige im Jahre 510 lagen die Rechtsanwendung in den Händen der Patrizier und die Rechtskunde in denen der patrizischen Priester. Daher waren die Plebejer leicht der rechtlichen Willkür ausgesetzt. Sie forderten deswegen die schriftliche Festlegung und Veröffentlichung des Rechts, um damit die Rechtsgleichheit herzustellen und die Rechtsanwendung zu kontrollieren. Die Patrizier weigerten sich lange. Im römischen Heer gewann jedoch bei der Kriegsführung das bewaffnete Fußvolk an Bedeutung, so dass die Plebejer nun eine wichtige Rolle im Heer übernahmen und ihnen damit ein Druckmittel zur Verfügung stand. Die Patrizier gaben nach, und es wurden zehn Männer gewählt, die decem Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 31 viri, um das Gesetz zu entwerfen. Der Entwurf, der ursprünglich zehn Tafeln umfasst hatte und den man nach anfänglicher Unzufriedenheit noch um zwei weitere Tafeln ergänzte, wurde schließlich von der Volksversammlung, den Comitia, angenommen. Das Gesetz wurde auf bronzenen Tafeln öffentlich aufgestellt. B. Überlieferung Die ausgestellten Bronzetafeln wurden schon bei dem Galliereinfall im 4. Jhdt. v. Chr. in Rom zerstört. Aber noch zu Ciceros Zeit lernte man sie auswendig wie das Alphabet. Sie sind nicht direkt überliefert. Ausgabe einer Rekonstruktion mit Übersetzung von R. Düll, Das Zwölftafelgesetz, Zürich. C. Form und Inhalt Form und Inhalt der Kodifikation wurden wahrscheinlich vom griechischen Recht beeinflusst. Die Gesetzgebungstechnik ist abstrakt, nicht kasuistisch. Die Sprache ist knapp. Die Zwölf Tafeln betreffen Regeln aus allen Rechtsgebieten, vor allem Verfahrens- und Privatrecht, daneben Strafrecht und Polizeirecht. D. Textbeispiele I. Tab. III. Satz 3. Wenn der Schuldner das Urteil nicht erfüllt oder niemand für ihn vor Gericht bürgt, soll der Gläubiger ihn mit sich führen. Er soll ihn fesseln, entweder mit einem Strick oder mit Fußfesseln von 15 Pfund, nicht mit schwereren, doch wenn er will, mit leichteren. Satz 4. Wenn der Schuldner es will, soll er sich selbst verpflegen. Geschieht das nicht, soll ihn der Gläubiger, der ihn gefesselt hält, täglich mit einem Pfund Brei versorgen. Wenn er will, soll er mehr geben. Satz 5. Es bestand jedoch das Recht, in der Zwischenzeit die Sache gütlich beizulegen. Kam es aber nicht dazu, wurden die Schuldner 60 Tage in Haft gehalten. Innerhalb dieser Tage wurden sie an drei aufeinanderfolgenden Markttagen zum Praetor ins Comitium gebracht und es wurde ausgerufen, zu welcher Geldschuldhöhe sie verurteilt waren. Am dritten Markttag wurden die Schuldner entweder getötet oder jenseits des Tiber ins Ausland verkauft. Satz 6. Am dritten Markttag sollen sie ihn in Teile schneiden. Wenn sie mehr oder weniger abgeschnitten haben, soll das ohne Nachteil sein. Bemerkung zum Textbeispiel: Schon den Römern aus der Zeit um Christi war kein Fall bekannt, dass ein insolventer Schuldner getötet worden wäre. II. Fragen zu Beispiel I: 1. Was zeigt das Beispiel hinsichtlich der Gesetzgebungstechnik? 2. Inwiefern wird hier die Forderung nach bestimmten Rechtsnormen erfüllt? 3. Lassen sich hier soziale Aspekte der Legislation entdecken? 4. Welche Rechtsmaterie (nach moderner Systematik) wird hier geregelt? 5. Welche Zwecke haben die Haft beim Gläubiger, 6. ... die Ausstellung auf dem Markt, 7. ... der Verkauf ins Ausland? III. Tab. IV. 2 b Si pater filium ter venum du[uit] filius a patre liber esto. Wenn ein Vater seinen Sohn dreimal zum Verkauf gegeben hat, soll der Sohn von der väterlichen Gewalt frei sein. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 32 IV. Tab. V. 3-5 Uti legassit super pecunia tutelave suae rei, ita ius esto. Si intestato moritor, cui suus heres nec escit, adgnatus proximus familiam habento. Si adgnatus nec escit, gentiles familiam [habento]. Wie jemand hinsichtlich seines Geldes und der Vormundschaft über seine Sache letztwillig bestimmt hat, so soll es rechtens sein. Stirbt jemand, der keine Abkömmlinge hat, ohne (gültiges) Testament, so soll der nächste Agnat sein Familiengut erben. Ist ein solcher Agnat nicht vorhanden, sollen die Gentilen die Erbschaft haben. V. Tab. V. 7 a Si furiosus escit, adgnatum gentiliumque in eo pecuniaque eius potestas esto. Wenn jemand geisteskrank ist, sollen die Agnaten und Gentilen über ihn und sein Vermögen das Bestimmungsrecht haben. VI. Tab. VI. 1 Cum nexum faciet mancipiumque, uti lingua nuncupassit, ita ius esto. Wenn jemand eine Darlehensverpflichtung und ein Kaufgeschäft vornimmt, so soll es rechtens sein, was er mündlich bedungen hat. VII. Tab. VIII. 21 Patronus si clienti fraudem fecerit, sacer esto. Wenn ein Patron seinen Schutzbefohlenen betrügt, soll er verflucht sein. VIII. Tab. VIII. 24 a Si telum manu fugit magis quam iecit, aries subicitur. Wenn eine Waffe mehr ohne Absicht des Werfenden aus der Hand gelangt, als dass sie (bewusst) geworfen hat, wird ein Sündenbock bestellt. IX. Tab. X. 1 Hominem mortuum in urbe ne sepelito neve urito. Einen Toten darf man innerhalb der Stadt weder begraben, noch in ein Brandgrab bringen. X. Aufgaben/Fragen zu den Beispielen III-IX: 1. 2. 3. 4. 5. Geben Sie kurz den Inhalt der XII-Tafelsätze mit eigenen Worten wieder. In welche zwei Teile lassen sich die Rechtssätze der Beispiele III bis VIII trennen? Was ist Zweck der Regelung in Beispiel III? Worum geht es in Beispiel VIII und was wird hier voneinander abgegrenzt? Was wird mit der Regelung in Beispiel IX bezweckt und welchem Rechtsgebiet wäre eine solche Regelung heute zuzuordnen? Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 33 § 4. Die Verfassung Die römische Verfassung der Republik und dann die des Prinzipats dienten wiederholt im europäischen Mittelalter und in der Neuzeit als Orientierung: Beispielsweise nahmen schon im Mittelalter kleine und große Fürsten für sich in Anspruch, wie der römische Princeps nicht an die Gesetze gebunden zu sein, legibus solutus, und noch Napoleon erklärte sich wie ein Römer der Republik zum Ersten Konsul. A. Die Verfassung I. Königtum Die Könige herrschten in Rom bis 510 v. Chr. Sie hatten sakrale, politische und militärische Funktionen. Eine zentrale Aufgabe war die Vertretung der Gemeinde gegenüber den Göttern. Deshalb wurde der König auch nicht etwa gewählt, sondern durch Gotteszeichen bestimmt (z.B. Vogelflug). Dem Herrscher stand von Beginn an ein Ältestenrat (senatus, von senex = greis) zur Seite, der zunächst aus den patres der 200 Gentes bestanden hat. Aus den Gentilverbänden ist wohl der König ursprünglich auch hervorgegangen. Die Macht des Ältestenrates war zunächst zu Zeiten, als der König noch vornehmlich kultische Funktionen wahrnahm, recht groß, nahm aber unter den tarquinischen Herrschern stark ab. II. Republik Die Königszeit wird abgelöst durch die Republik. Diese ist gekennzeichnet durch die Magistrate. Die Macht war nun auf mehrere Schultern verteilt, und die Römer sprechen von ihrem Staat als der öffentlichen Angelegenheit, res publica. Sie sehen Senat und Volk Roms, Senatus Populusque Romanus, SPQR, als entscheidend an. Die Republik war aber auch gekennzeichnet von gesellschaftlichen Umwälzungen, die die Verfassung beeinflussten. Politische Ämter konnten zunächst nur von der Oberschicht, den Patriziern, bekleidet werden. Die Plebejer erkämpften sich in den jahrzehntelangen Ständekämpfen (vgl. dazu schon oben § 3 A) eine weitgehende Gleichstellung. Als Abschluss dieser Unruhen kann man das Jahr 367 v. Chr. bezeichnen, als mit den Leges Liciniae Sextiae den Plebejer das Konsulamt offen stand (vgl. dazu auch oben § 1 B). Nur wenige Rechte wurden ihnen nie gewährt, so die Befugnis der patrizischen Senatoren (patres), in Zeiten, in denen es keinen Träger der Befehlsgewalt gab (etwa durch Todesfälle oder Amtsniederlegungen), die Regierung für höchstens fünf Tage zu übernehmen (interregnum). Es bildete sich relativ schnell eine neue Oberschicht (Nobilität) aus den Patriziern und den wenigen Plebejern, die es in Folge der Reformen geschafft hatten, das höchste Staatsamt zu bekleiden. Der Geburtsadel hatte sich damit seit 367 v. Chr. zu einem Amtsadel gewandelt. 1. Die Ämter Bei den im folgenden dargestellten Ämtern der Republik handelt es sich ausschließlich um Ehrenämter (deshalb heißt auch das vom Praetor gesetzte Recht ius honorarium), Beamte in unserem heutigen Sinne gibt es erst im Prinzipat. Die Macht der römischen Magistrate ist erheblich. Sie ist aber dadurch begrenzt, dass die Beamten von Wahlen abhängig sind, jede Funktion mehrfach besetzt ist (Kollegialität), gleichrangige und höhere Beamte das Widerspruchsrecht haben (Interzession, Veto d. h. ich verbiete), ihre Amtszeit nur ein Jahr dauert (Annuität; Ausnahme sind die Zensoren, die fünf Jahre im Amt sind), gegen gewisse Entscheidungen die Volksversammlung angerufen werden kann, provocatio ad populum, sie vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden können und einer gewissen Kontrolle durch den Senat unterliegen. a) Das Konsulat An der Spitze des Staates stehen die Konsuln. Sie sind auch die obersten Heerführer. Jedenfalls seit den Leges Liciniae Sextiae von 367 v. Chr. war das Amt stets doppelt besetzt. Die Befugnisse der Konsuln knüpfen noch stark an die Königszeit an. Dies zeigt sich schon an der Beibehaltung äußerlicher Umstände (so legte etwa der Konsul nach erfolgreichen Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 34 Feldzügen noch das Purpurgewand des Königs an). Wie auch der König hatte der Konsul die politische und militärische Gewalt. Abgespalten waren jetzt allerdings die sakralen Aufgaben, die vom pontifex maximus wahrgenommen wurden. Weitgehend entzogen war dem obersten Magistrat12 seit 367 v. Chr. auch die Rechtsprechung, die nun vom Praetor übernommen wurde. b) Die Praetoren In der Ämterhierarchie folgen die vor allem für die Rechtsprechung zuständigen Praetoren. Sie hatten im Formularprozess ausschließlich über Rechtsfragen zu entscheiden, während das Beweisverfahren von einem Laienrichter (iudex) durchgeführt wurde (vgl. dazu im Einzelnen unten § 6 B). Neben der Rechtsprechung hatten die Praetoren auch gewisse Rechtssetzungsbefugnisse durch die Möglichkeit, zu Beginn ihrer Amtszeit Klageformeln zu veröffentlichen (Edikte, vgl. auch dazu unten § 6 B). Ab 242 v. Chr. wird dem Stadtpraetor (praetor urbanus), der für die Rechtsprechung zwischen römischen Bürgern zuständig war, der Fremdenpraetor (praetor perigrinus) an die Seite gestellt (vgl. Pomp. D. 1,2,2,27 und 28 unter C), der über Streitigkeiten zwischen Fremden sowie zwischen Römern und Fremden entschied. c) Die Aedilen Die Aedilen sind die allgemeine „Polizei“ für Straßen und Märkte. Neben den plebejischen Aedilen, die ursprünglich Sonderbeamte der plebs waren, gab es seit 367 v. Chr. die kurulischen Aedilen. Sie hatten in Marktangelegenheiten auch gewisse Rechtsprechungs- und Rechtssetzungsbefugnisse, letzteres durch den Erlass von Edikten. Einem kurulischen Edikt entspringen etwa die Regeln über die Sachmängelgewährleistung beim Vieh- und Sklavenkauf, auf denen die §§ 434 ff. BGB basieren. d) Die Zensoren Den alle fünf Jahre auf jeweils 18 Monate gewählten Zensoren oblag die Volkszählung, die Einordnung der Bürger in Klassen sowie die Berufung der Senatoren. Die Zensoren genossen großes Ansehen, und das Amt wurde später fast ausschließlich mit ehemaligen Konsuln besetzt. e) Die Quaestoren Die ursprünglich zwei, später sogar 20 Quaestoren waren Finanzbeamte, die zunächst nur zuständig waren für die Staatskasse. Noch im 5. Jahrhundert kam die Verwaltung der Kriegskasse hinzu, und die Quaestoren wurden zu Gehilfen der Feldherren. f) Die Volkstribunen Die Volkstribunen waren Führer der Plebsversammlung (concilium plebis) und die Interessenvertreter der plebs. Sie hatten ein Vetorecht gegen die Entscheidungen der anderen Magistrate und waren sakrosankt (unverletzlich). Die Unverletzlichkeit beruhte auf einem Eid, den alle Plebejer schworen, jeden Angriff auf ihren Führer mit dem Tode zu rächen. Dafür hatten die Tribune die Pflicht, das Volk vor der Unterdrückung durch die Oberschicht zu schützen (ius auxilii). g) Der Diktator In Krisenzeiten konnte ein Diktator eingesetzt werden Er hatte sämtliche zivilen und militärischen Befugnisse inne. Seine Macht war aber insoweit beschränkt, als die Dauer der Amtsführung auf höchstens sechs Monate begrenzt war. 12 Das oberste Amt trug bis 367 v. Chr. noch nicht die Bezeichnung „Konsul“, sondern „Praetor“. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 35 2. Volksversammlung und Senat Wichtige Befugnisse hatten neben den Magistraten die Volksversammlungen und der Senat. Die Volksversammlung (in der Formation von comitia) beschließt die Gesetze und wählt die Beamten. Entsprechende Funktionen hatte die Plebsversammlung, das concilium plebis, deren Beschlüsse seit 286 v. Chr. (lex Hortensia) für das Gesamtvolk verbindlich sind. Der Senat spielte eine wichtige Rolle bei Volksbeschlüssen und in der Außenpolitik. Formell konnte der Ältestenrat zwar nur Empfehlungen aussprechen (senatus consulta). Der Senat war aber dadurch, dass die Senatoren im Gegensatz zu den Magistraten auf Lebenszeit berufen wurden, der ruhende Pol der Verfassung. Wegen dieser Kontinuität und der Besetzung der Senatorenämter mit einflussreichen Bürgern, war die tatsächliche Macht weit größer, als es die geringen Befugnisse vermuten lassen. III. Die Krise der Republik Im 2. Jahrhundert v. Chr. befand sich ein großer Teil des Landes in den Händen von Großgrundbesitzern. Die Versuche einer Agrarreform und der Demokratisierung des Staates durch die Brüder Tiberius und Gaius Gracchus (133 - 121 v. Chr), die das Amt des Volkstribuns innehatten, scheiterten. Es kam zum Machtkampf zwischen den Verfechtern der römischen Aristokratie (Optimaten) und den sog. Popularen, die ihre Ziele mit Hilfe der breiten Volksmassen zu erreichen versuchten. Die Situation mündete in Bürgerkriege und führte schließlich zur Errichtung einer „Monarchie“. Wohl schon Sulla herrschte seit 82 v. Chr. fast uneingeschränkt. Caesar schließlich wurde 44. v. Chr. bei dem Versuch, auch formell eine Monarchie zu errichten, ermordet. IV. Prinzipat und Dominat Oktavian (= Augustus) stellte 27 v. Chr. formell die Verfassung der Republik wieder her. Daneben schiebt sich aber die Verfassung des Prinzipats. Der princeps versteht es, seine Macht auszuweiten, dies aber vor dem römischen Volk geschickt zu verbergen, indem er sich nur unbedeutend anmutende Machtbefugnisse übertragen lässt: das imperium proconsulare, das ihm vor allem die Macht über die Heere in den Provinzen gibt, die tribunicia potestas des Volkstribuns, die ihm die Interzession gegenüber den Entscheidungen der formell weiter bestehenden Magistraturen ermöglicht sowie die Befugnisse des pontifex maximus. In den Provinzen lässt er sich dagegen offen als Kaiser verehren. Nach und nach schafft sich der princeps einen eigenen Verwaltungsapparat, der neben den Magistraturen besteht und dessen Mitarbeiter aus der Privatkasse des Herrschers besoldet werden. Aus dem anfänglichen "primus inter pares" entwickelt sich zum Ende des 3. nachchristlichen Jahrhunderts hin der Dominat, der nun seine Macht offen ausübt. Exkurs: Was ist eigentlich eine Verfassung? ! ! ! ! 1. 2. 3. 4. Bedeutung: Tatsächliche Daseinsweise eines Staates. Bedeutung: System der höchsten Normen des Staates. Bedeutung: Wertordnung. "Formeller Verfassungsbegriff", das einzelne Verfassungsgesetz, einfach zu bestimmen nach formalen Merkmalen. ! 5. M. E. heute Kombinations-Theorien für moderne Verfassungen13. 13 Grund für den heutigen Namen unseres "Grundgesetzes": Die zahlreichen Regelungen zwischen Kaiser und Ständen waren leges fundamentales (insbes. die Goldene Bulle von 1356, die Reichskammergerichtsordnung und der Ewige Landfrieden von 1495), der Westfälische Friede von 1648 war eine loi fondamentale. 1820 hieß es bei den Verhandlungen für den Deutschen Bund: der Begriff des Grundgesetzes sei "einer von jenen einfachen Begriffen, die durch schulgerechte Definitionen viel leichter verdunkelt als aufgeklärt" würden. 1949 wollten die Parlamentarier "nichts Endgültiges" festlegen. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 36 B. Römisches Verfassungsrecht Verfassungsrecht im heutigen Sinne kannten die Römer nicht. Auch wurde nicht streng zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht unterschieden. Immerhin lehrt aber der große römische Jurist Ulpian um 200 n. Chr., D. 1, 1, 1, 2: Publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorem utilitatem... (Öffentliches Recht ist das, was den Zustand des römischen Staats betrifft, Privatrecht das, was das Interesse der einzelnen angeht...; vgl. auch oben § 2 A) Die Kaiser nahmen bisweilen für sich in Anspruch (freilich nicht umfassend, sondern wohl nur auf Teilbereiche beschränkt), an die Gesetze nicht gebunden zu sein: princeps legibus solutus, daher seit dem Spätmittelalter „Absolutismus“. C. Textbeispiele: Pomponius D. 1, 2, 1 und 2 Et quidem initio civitatis nostrae populus sine lege certa, sine iure certo primum agere instituit omniaque manu a regibus gubernabantur. Postea aucta ad aliquem modum civitate ipsum Romulum traditur populum in triginta partes divisisse; quas partes curias appellavit propterea, quod tunc rei publicae curam per sententias partium earum expediebat. et ita leges quasdam et ipse curiatas ad populum tulit: tulerunt et sequentes reges. Und in den Anfängen unserer Bürgerschaft ordnete das Volk seine Verhältnisse zunächst ohne feststehendes Gesetz und ohne feststehendes Recht, alles wurde von Königen mit eigener Hand geleitet. Nachdem sich später die Bürgerschaft bis zu einem bestimmten Umfang vergrößert hatte, soll es Romulus gewesen sein, der das Volk in dreißig Abteilungen aufgeteilt hat, die er deshalb Kurien nannte, weil er damals die Sorge für das Gemeinwesen gemäß den in diesen Abteilungen ergehenden Gesetzesbeschlüssen wahrnahm. Und so brachte er auch selbst manche Kuriatsgesetze beim Volk ein. Auch die folgenden Könige brachten solche Gesetze ein. Pomp. D. 1,2,2,16 Exactis deinde regibus consules constituti sunt duo: penes quos summum ius uti esset lege rogatum est: dicti sunt ab eo quod plurimum rei publicae consulerent. qui tamen ne per omnia regiam potestatem sibi vindicarent, lege lata factum est, ut ab eis provocatio esset neve possent in caput civis Romani animadvertere iniussu populi: solum relictum est illis, ut coercere possent et in vincula publica duci iuberent. Nach der Vertreibung der Könige wurden dann zwei Konsuln bestellt, bei denen, wie durch Gesetz bestimmt wurde, die höchste Staatsgewalt liegen sollte. Sie wurden deshalb Konsuln genannt, weil sie vor allem für das Wohl des Gemeinwesens sorgen sollten. Damit sie die königliche Gewalt jedoch nicht in jeder Hinsicht beanspruchen konnten, wurde durch Gesetz bestimmt, dass gegen sie die Anrufung der Volksversammlung zulässig war und dass sie die Todesstrafe gegen einen römischen Bürger nicht ohne Zustimmung des Volkes verhängen konnten. Ihnen wurde nur gestattet, gegen Bürger Zuchtstrafen zu verhängen und sie in das öffentliche Gefängnis abführen zu lassen. Pomp. D. 1,2,2,27 und 28 Cumque consules avocarentur bellis finitimis neque esset qui in civitate ius reddere posset, factum est, ut praetor quoque crearetur, qui urbanus appellatus est, quod in urbe ius redderet. Post aliquot deinde annos non sufficiente eo praetore, quod multa turba etiam peregrinorum in civitatem veniret, creatus est et alius praetor, qui peregrinus appellatus est ab eo, quod plerumque inter peregrinos ius dicebat. Und weil die Konsuln wegen der Kriege mit Nachbarvölkern die Stadt verlassen mußten und niemand da war, der im Gemeinwesen Recht sprechen konnte, kam es dazu, dass auch ein Praetor gewählt wurde, den man Stadtpraetor nannte, weil er in der Stadt Recht sprach. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 37 Als dann nach einigen Jahren dieser Praetor nicht mehr genügte, weil eine große Zahl auch von Fremden in das Gemeinwesen kam, wurde ein weiterer Praetor gewählt, den man deshalb Fremdenpraetor nannte, weil er meistens zwischen Fremden Recht sprach. Pomp. D. 1,2,2,18 Populo deinde aucto cum crebra orerentur bella et quaedam acriora a finitimis inferrentur, interdum re exigente placuit maioris potestatis magistratum constitui: itaque dictatores proditi sunt, a quibus nec provocandi ius fuit et quibus etiam capitis animadversio data est. hunc magistratum, quoniam summam potestatem habebat, non erat fas ultra sextum mensem retineri.. Als in der Folgezeit das Volk sich vergrößerte, häufig Kriege ausbrachen und von den Nachbarn auch einige schwerere Kriege in das Land getragen wurden, beschloss man manchmal, wenn die Lage es erforderte, einen Magistrat mit noch größerer Amtsgewalt einzusetzen. So wurden Diktatoren bestellt. Ihnen gegenüber gab es das Recht, die Volksversammlung anzurufen, nicht, und ihnen wurde sogar erlaubt, [ohne das Volk] die Todesstrafe zu verhängen. Da dieser Magistrat die umfassendste Amtsgewalt hatte, war es nicht rechtens, dass er länger als sechs Monate im Amt blieb. Cic. de legibus 3,3,7 Censoris populi aevitates suboles familias pecuniasque censento, urbis [ta] templa vias aquas aerarium vectigalia tuento, populique partis in tribusd discribunto, exin pecunias aevitatis ordinis partiunto, equitum peditumque prolem discribunto, caelibes esse prohibento, mores populi regunto, probrum in senatu ne relinquonto. Bini sunto, magistratum quinquennium habento; reliqui magistratus annui sunto; ..... Die Zensoren sollen die Altersstufen, die Nachkommen, die Haushalte und die Vermögensklassen des Volkes registrieren, die Tempel in der Stadt, die Straßen, die Wasserleitungen, den Staatsschutz und die Steuern überwachen und die Bevölkerung den Bezirken (tribus) zuweisen, darauf nach Einkommen, Altersstufen und Ständen unterscheiden, den Nachwuchs der Reiter und Fußsoldaten einteilen, Ehelosigkeit unterbinden, die Sitten des Volkes steuern, schändliches Verhalten im Senat nicht auf sich beruhen lassen. Es sollen jeweils zwei Zensoren sein, sie sollen ihr Amt fünf Jahre lang verwalten; die übrigenMagistrate sollen ein Jahr im Amt sein;... Exkurs Wissenschaftsgeschichte: Theodor Mommsen Theodor Mommsen hat das römische Verfassungsrecht aus den verstreuten Bemerkungen der römischen Schriftsteller gewissermaßen erst rekonstruiert. Er war überhaupt der bedeutendste deutsche Historiker, geb. 1817 in der Nähe von Schleswig, gest. 1903 in Charlottenburg, Professor in Berlin, Abgeordneter der Nationalliberalen Partei im preußischen Landtag und im Reichstag. Herausgeber des Corpus Iuris Civilis. Sein berühmtestes, mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnetes Werk ist die "Römische Geschichte". Nach wie vor unersetzt ist auch sein "Römisches Strafrecht". D. Wiederholung und Vertiefung Welchen Einfluss hatten das Staatsrecht der Republik und das der Kaiserzeit später in der europäischen Geschichte? Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 38 § 5. Römisches Privatrecht A. Einleitung Einmalig ist die Leistung der Römer auf dem Gebiet des Privatrechts, ius privatum oder ius civile. Sie rechneten mit den Begriffen, wie Savigny sagte, und gelangten damit für die unterschiedlichsten und kompliziertesten Fälle zu gerechten Ergebnissen. Römisches Recht galt im Mittelalter und in der Neuzeit fast in ganz Europa, so dass man vom ius commune, dem "Gemeinen Recht" sprach. Es ist die wichtigste Grundlage des BGB. Dieser Einfluss des römischen Rechts wird deutlich etwa bei den Einteilungen in Persona, Gegenstand (res) und Handlung/Klage/Anspruch (actio), in Eigentum (dominium, proprietas) und Besitz (possessio), in Rechtsgeschäft (contractus) und unerlaubte Handlung (delictum). Die Institutionen wie Kauf (emptio venditio), Miete (locatio conductio rei), Auftrag (mandatum) und Gesellschaft (societas) sind voll entwickelt, viele Einzelheiten, etwa Unmöglichkeit und Verzug, Wandlung und Minderung, Rechtswidrigkeit und Schuld (culpa), sind erfasst, ebenso sind die Praxis und Theorie der Subsumtion und der sonstigen rechtlichen Argumentation bekannt. Die Sklaverei hat in der Gesellschaft und dementsprechend in der Rechtsordnung eine große Bedeutung. Viele Sachverhalte handeln von Sklaven als bloßen Objekten des Handelns, von dem Verkauf oder der Vermietung, von der Übereignung oder Verpfändung von Sklaven. Andere Rechtsfälle erörtern die Wirkungen von Rechtsgeschäften und unerlaubten Handlungen der Sklaven, sehen diese also insofern als Rechtssubjekte an. B. Einzelne Rechtsinstitute14 I. Die patria potestas Die patria potestas bezeichnet die Gewalt des pater familias (d.h. des ältesten männlichen Familienmitgliedes) über die mit ihm in einer Hausgemeinschaft Lebenden. Ursprünglich ging diese Gewalt so weit, dass der Vater über Leben und Tod der Gewaltunterworfenen entscheiden konnte. Später war dies jedenfalls durch eine Willkürkontrolle eingeschränkt. Was aber blieb, waren die vermögensrechtlichen Folgen. Der Vater war als einziges Familienmitglied vermögensfähig. Hauskinder, Sklaven und die Ehefrau (die in der manus des Mannes stand), konnten kein eigenes Vermögen haben; alles was sie erwarben, fiel dem Vater unmittelbar zu. Scheinbare Ausnahme von diesem Grundsatz war eine Art Taschengeld (peculium), das der Vater den Kindern gewähren konnte. Dieses peculium war jedoch tatsächlich nur ein Sondergut, d.h. ein Rechnungsposten im Vermögen des Vaters. Die Entlassung aus der väterlichen Gewalt war durch die sog. emancipatio möglich, indem der Vater den Sohn dreimal verkaufte und er jeweils in die väterliche Gewalt zurückfiel. Nach dem dritten Verkauf war er sui iuris; bei der Tochter genügte der einmalige Verkauf. Diese Regelung, ein XII-Tafel-Satz (s. oben § 3 D), diente ursprünglich dem Schutz der Hauskinder vor der Ausbeutung durch den Vater und wurde erst später – als Ergebnis einer ingeniösen Auslegung – zur Entlassung aus der väterlichen Gewalt genutzt. Durch die patria potestas bekam der Hausvater auch die Möglichkeit, sich von den Gewaltunterworfenen vertreten zu lassen (iussum), da sie nur für ihn Vermögen erwerben konnten, während die Römer die (unmittelbare [vgl. § 164 BGB]) Stellvertretung ansonsten so gut wie gar nicht kannten. Der Vater haftete für bestimmte Handlungen der Gewaltunterworfenen vertraglich (sog. adjektizische Klagen) und deliktisch (Noxalhaftung). Die vertragliche Haftung konnte den Vater treffen bei Gewährung eines Taschengeldes (actio de peculio), bei Handeln nach seinem Befehl (actio quod iussu) sowie bei eigener Bereicherung durch die Handlung eines Gewaltunterworfenen (actio de in rem verso). 14 S. auch noch unten § 10, S. 51. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 39 Frage: Inwieweit ist die Zweckänderung bei der Emanzipation charakteristisch für die Rechtsanwendung in Rom? II. Ehe und Scheidung Die Ehe (matrimonium) ist bei den Römern mehr ein “soziales Faktum” (Kaser) als ein Rechtsgeschäft. Erforderlich waren daher zur Eheschließung lediglich die Lebensgemeinschaft und der Wille, dass es sich dabei um eine Ehe handeln solle. Erforderlich war allerdings daneben die Fähigkeit, mit der anderen Person eine gültige Ehe einzugehen (conubium; so war beispielsweise die Ehe zwischen einem römischen Bürger und einem Sklaven nicht möglich). Zur Lösung der Frau aus der väterlichen Gewalt und zur Überführung in die manus des Ehemannes bedurfte es im Gegensatz zur Ehebegründung eines Formalaktes (coemptio). Es handelte sich dabei um einen Unterfall der mancipatio (unten V). Erforderlich war, dass der pater familias der Ehefrau die Gewalt für einen symbolischen Kaufpreis bei Anwesenheit von fünf Zeugen und einem Waagenhalter an den Ehemann übertrug. Auch ohne diesen Formalakt konnte die Frau durch usus zur uxor in manu werden. Dies setzte wie bei der Ersitzung voraus, dass die Frau ein Jahr mit dem Ehemann in gültiger Ehe gelebt hat. Nach einem XII-Tafel-Satz konnte die Ehefrau dies verhindern, indem sie dem Haus des Mannes an drei aufeinanderfolgenden Nächten (trinoctium) fernblieb. Es war also auf diese Weise durchaus möglich (und auch üblich), auf Dauer eine manus-freie Ehe zu führen. Die Frau blieb dann unter der patria potestas ihres Vaters. Der Vater konnte die Tochter in diesem Fall mittels vindicatio herausverlangen, sofern er dies nicht willkürlich tat. Auch die Scheidung (divortium) war zunächst formfrei und setzte nur die Auflösung der Lebensgemeinschaft und den Willen voraus, dass die Ehe beendet sei; abgesehen von wenigen Willküreinschränkungen waren dafür keine besonderen Gründe erforderlich. Wiederum bedurfte aber die Herauslösung der Frau aus der manus des Mannes der förmlichen Übertragung mittels remancipatio. Die Gewalt konnte dabei entweder auf den früheren pater familias oder auf einen Treuhänder erfolgen, wobei im letzteren Fall dieser die Frau anschließend durch manumissio freiließ, so dass sie sui iuris wurde. In nachklassischer Zeit wurden die Voraussetzungen an die Scheidung durch den christlichen Einfluss verschärft; es gab nun eine Strafandrohung für eine grundlose Scheidung. Weiterhin uneingeschränkt möglich blieb die einvernehmliche Aufhebung der Ehe. III. Die Handlungsfähigkeit Entsprechend der §§ 104 ff BGB kannten auch die Römer verschiedene Stufen der Handlungsfähigkeit. Die infantes (bis zum 7. Lebensjahr), die man für nicht imstande hielt, die nötigen Wortformeln zum Vertragsschluss zu sprechen (= in fari), waren geschäftsunfähig. Eine Art beschränkte Geschäftsfähigkeit besaßen die impuberes. Die obere Grenze dieser Altersstufe wurde an der Geschlechtsreife festgemacht. Diese hielt man bei Mädchen mit 12 Jahren für gegeben, bei Jungen war die Grenze umstritten; um diese Frage drehte sich ein berühmter Streit zwischen den beiden Rechtsschulen. Die Sabinianer machten den Eintritt der Geschäftsfähigkeit von der individuellen Reife abhängig, während die Prokulianer von der festen Grenze des vollendeten 14. Lebensjahres ausgehen. Frage: Welche Argumente fallen Ihnen für fließende, welche für feste Altersgrenzen ein? Einschränkungen in der Geschäftsfähigkeit gab es aber auch bei Erreichen dieser Altersgrenze noch, bis zum 25. Lebensjahr (minores viginti quinque annis) bestand noch ein gewisser Schutz vor bestimmten, besonders gefährlichen Geschäften. Neben diesen Beschränkungen ist die Handlungsfähigkeit bei gewaltunterworfenen Römern vor allem durch die oben dargestellte patria potestas eingeschränkt. Aber auch hier gab es in Ansätzen mit § 110 BGB vergleichbar- das peculium (oben I). Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 40 IV. Vertragsrecht Die meisten der Vertragsarten, die heute im BGB geregelt sind, haben ihren Ursprung im römischen Recht. Die Römer unterschieden die Verträge nach der Art des Zustandekommens. Realkontrakt: Zustandekommen durch Übergabe (datio) und Vereinbarung (conventio) (mutuum - Darlehen, commodatum - Leihe, depositum – Verwahrung, pignus - Pfand) Verbalkontrakt: Zustandekommen durch Sprechen einer bestimmten Wortformel, bei Versprechen kein Vertrag (z.B. stipulatio) Konsensualkontrakt: Zustandekommen durch Einigung zwischen den Parteien, ohne dass es auf Wortformeln o.ä. ankommt (z.B. emptio venditio - Kauf) Litteralkontrakt: Verpflichtung entsteht mit Eintragung in “Soll- und Habenbuch” Auf zwei wichtige Typen von Konsensualverträgen soll hier näher eingegangen werden: 1. emptio venditio Der Kaufvertrag kam wie im heutigen Recht zustande durch Willenseinigung der Parteien; sie mußten sich über die wesentlichen Vertragsbestandteile (essentialia negotii) einig sein. Dabei wurden insbesondere hohe Anforderungen an die Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des Kaufpreises gestellt (pretium certum). Auch kannten die Römer die Gewährleistung des Verkäufers für Sach- und Rechtsmängel. Erstere ist der heutigen Regelung der §§ 434 ff BGB ähnlich. Die Klage des Käufers heißt actio empti, die des Verkäufers actio venditi. Mit diesen beiden Klagen ließen sich nicht nur die Primärpflichten einklagen, sondern etwa auch der Schadensersatz wegen Nichterfüllung. 2. locatio conductio Die Bezeichnung locatio conductio umfasst unsere heutige Miete/Pacht (locatio conductio rei), den Werkvertrag (locatio conductio operis) und den Dienstvertrag (locatio conductio operarum). Locator ist dabei derjenige, der etwas zur Verfügung stellt; der Vermieter/Verpächter eine Sache, der Besteller beim Werkvertrag das zu bearbeitende Material, der Dienstnehmer die Arbeitskraft. Derjenige, der mit dem zur Verfügung Gestellten etwas tut, heißt conductor. Die ensprechenden Klagen heißen actio locati und actio conducti. Frage: Warum ist uns die Einordnung des Bestellers beim Werkvertrag in eine Kategorie mit dem Vermieter/Verpächter und dem Dienstnehmer fremd? Warum würden wir ihn eher auf “die andere Seite” stellen? 3. negotiorum gestio Die Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio; heute geregelt in §§ 677 ff BGB) setzt voraus, dass jemand ein fremdes Geschäft führt, ohne von diesem beauftragt worden zu sein. Folge ist, wenn der Geschäftsführer das Geschäft zum Nutzen des Geschäftsherrn geführt hat, dass er Ersatz seiner Aufwendungen verlangen kann. Der Geschäftsherr kann im Gegenzug Herausgabe des durch die Geschäftsführung Erlangten fordern. Das Rechtsinstitut der negotiorum gestio soll altruistisches Verhalten fördern, egoistisches unterbinden. V. Sachenrecht Neben der oben erwähnten Unterscheidung zwischen Eigentum und Besitz kannten die Römer bereits eine Reihe dinglicher Klagen (actiones in rem). Zu erwähnen ist hier insbesondere die rei vindicatio, die dem heutigen § 985 BGB entspricht. Der Eigentumserwerb fand zunächst durch das sehr formale Rechtsinstitut mancipatio statt, bei dem acht Personen (die Vertragsparteien, ein Waagehalter -libripens- und fünf Zeugen) anwesend sein mußten, wenn die Sache dem künftigen Eigentümer übergeben wurde. Später Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 41 wurde sie durch die formlose Übergabe der Sache ersetzt (traditio), die, sofern ein Rechtsgrund vorlag, zum Eigentumsübergang führte; das Abstraktionsprinzip kannten die Römer also noch nicht, dieses geht vielmehr auf Savigny zurück. Auch den heute in §§ 932 ff BGB geregelten gutgläubigen Eigentumserwerb kannten die Römer nicht; gehörte dem Veräußerer die Sache nicht, konnte der Erwerber das Eigentum erst durch die Ersitzung (usucapio) erwerben, deren Fristen freilich kürzer waren als heute (ein Jahr bei beweglichen Sachen, zwei Jahre bei Grundstücken). VI. Haftung für Unerlaubte Handlung Bis zurück zu einem Plebiszit unter dem Volkstribun Aquilius aus dem Jahr 286 v. Chr. reichen die Wurzeln unseres heutigen § 823 I BGB. Die lex Aquilia ist in drei Kapitel unterteilt, wovon für uns insbesondere das erste und dritte von Bedeutung sind. Im ersten Kapitel ist die Tötung von Sklaven und vierfüßigen Herdentieren geregelt, das dritte Kapitel ist allgemeiner gehalten und regelt das Verbrennen (urere), Zerbrechen (frangere) und Zerreißen (rumpere) von Gegenständen. Vor allem unter die letzte Fallgruppe wurden später weitere Einwirkungen auf Gegenstände gefasst, so dass letztlich jede Sachbeschädigung erfasst war. Zusätzliche Voraussetzung war, dass die Verletzungshandlung iniuria begangen wurde, d.h. rechtswidrig und schuldhaft (vorsätzlich, mit dolus, oder fahrlässig, mit culpa). Anmerkung: Der Terminus culpa wurde sowohl für “Schuld” als auch für “Fahrlässigkeit” verwandt. Die Schadensberechnung enthielt dabei insofern im ersten Kapitel ein poenales Element, als der höchste Wert des Sklaven/Herdentieres im letzten Jahr vor der Tötung zugrundegelegt wurde (vgl. Textbeispiel unten § 10 B), unabhängig vom Wert zum Zeitpunkt der Schädigung. Im dritten Kapitel war dagegen der Wert zum Zeitpunkt der Schädigung relevant, allerdings wurde der Schaden erst 30 Tage nach der Schädigung bestimmt. Frage: Welche Überlegung wird hinter der letztgenannten Regelung stehen, d.h. warum lässt sich ein Schaden oft erst später bestimmen? Textbeispiele: D. 9.2.2.pr. Gaius libro septimo ad edictum provinciale: Lege Aquilia capite primo cavetur: ´ut qui servum servamve alienum alienamve quadrupedem vel pecudem iniuria occiderit, quanti id in eo anno plurimi fuit, tantum aes dare domino damnas esto´. Gaius im 7. Buch zum Provinzialedikt: Im ersten Kapitel der Lex Aquilia wird bestimmt: “Wenn jemand einen fremden Sklaven oder eine fremde Sklavin oder ein (fremdes) vierfüßiges Herdentier widerrechtlich tötet, soll er verpflichtet sein, dem Eigentümer so viel Kupfergeld zu geben, wie die Sache in diesem Jahr wert gewesen ist”. D. 9.2.27.5. Tertio autem capite ait eadem lex Aquilia: ´Ceterarum rerum praeter hominem et pecudem occisos si quis alteri damnum faxit, quod usserit fregerit ruperit iniuria, quanti ea res erit in diebus triginta proximis, tantum aes domino dare damnas esto´. [Ulpian im 18. Buch zum Edikt:] Im dritten Kapitel aber sagt die lex Aquilia: “ Wenn jemand einem anderen an anderen Sachen -abgesehen von der Tötung eines Sklaven oder Herdentieres- dadurch Schaden zugefügt hat, dass er sie wiederrechtlich verbrannt, zerbrochen oder zerrissen hat, soll er verpflichtet sein, dem Eigentümer soviel Kupfergeld zu geben, wie die Sache in den nachfolgenden 30 Tagen wert sein wird. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 42 D. 9,2,39 Pomponius 17 ad Quintum Mucium. Quintus Mucius scribit: equa cum in alieno pasceretur, in cogendo quod praegnas erat eiecit: quaerebatur, dominus eius possetne cum eo qui coegisset lege Aquilia agere, quia equam in iciendo ruperat. si percussisset aut consulto vehementius egisset, visum est agere posse15. Pomponius im 17. Band seines Kommentars zu Quintus Mucius. Quintus Mucius schreibt: eine trächtige Stute, die auf fremder Weide graste, hatte eine Fehlgeburt, als sie vertrieben wurde: es wurde gefragt, ob der Eigentümer der Stute denjenigen aus der lex Aquilia verklagen könne, der sie vertrieben hatte, weil er sie durch das Schlagen verletzt hätte. Wenn er sie geschlagen oder absichtlich zu heftig verjagt hätte, ist entschieden worden, dass man klagen könne. Erläuterungen: Justinian und Tribonian haben in ihrem Corpus Iuris Civilis sorgfältig zu den übernommenen Fragmenten die zitierten Autoren und ihre Werke aus der klassischen Zeit festgehalten: Quintus Mucius Scaevola ist der bedeutendste Jurist der Republik (1. Jh. v. Chr.), Verfasser eines Werks über das Ius civile. Pomponius hat im 2. Jh. nach Chr. dieses Werk mit seinen eigenen Bemerkungen versehen. Fragen: 1. Welche Personen kommen hier als Kläger bzw. als Beklagter in Betracht? Wem gehört die Weide, wem die Stute? 2. Wird von Quintus Mucius Scaevola selbst eine Begründung überliefert? 3. Welche Argumente - wenn man eine Regelung ähnlich dem heutigen § 823 I BGB zugrunde legt - können dafür gesprochen haben, den Eigentümer der Weide nicht haften zu lassen? 4. Welche Gründe können dagegen, also für Schadenersatz, gesprochen haben? 5. Werten Sie das Gutachten aus rechtspolitischer Sicht. 6. Wie würden Sie den Fall heute entscheiden? VII. Erbrecht 1. Die Erbfolge Das Erbrecht hat seit jeher eine immense Bedeutung für die Wirtschaftsordnung. Es schafft Anreize zum Anhäufen von Vermögen und es gewährleistet dessen Fortbestand über den Tod des Erblassers hinaus. Die Wurzeln des römischen Erbrechts, das unser heutiges Recht beeinflusst hat wie kaum ein anderes Rechtsgebiet, liegen bei der Erbfolge der (gewaltabhängigen) Hausgenossen, die den Hof des pater familias bei dessen Tod übernahmen (Frau und Kinder erbten als Erbengemeinschaft zu gleichen Teilen: consortium). Es galt das Prinzip der Agnation – es erbten die sui heredes, d.h. diejenigen Hausgenossen, die durch den Tod des pater familias gewaltfrei wurden. Überlebten den Erblasser keine Hausgenossen, erbten die (gradnächsten) agnatischen Verwandten; waren auch solche nicht vorhanden, erbten die Gentilen (vgl. den XII-Tafel-Satz Tab. V. 3-5, dazu oben § 3 D 4). Etwas später trat neben die gesetzliche Erbfolge (Intestaterbfolge) die Möglichkeit, die Erbfolge testamentarisch zu bestimmen. Nachdem die testamentarische Erbfolge anfangs vor den Kuriatskomitien bestimmt werden musste und später durch die Übertragung (mancipatio, s.o. V) des Vermögens zu Lebzeiten auf einen Treuhänder (familiae emptor) erfolgte, der es dann nach dem Tod des Erblassers an die Erben auskehrte, war bald vor allem der in einer Urkunde festgelegte Wille des Erblassers maßgeblich; die ursprünglichen Übertragungsakte wurden zur bloßen leeren Form. Auf diesem Wege entwickelte sich das Testament zu einer echten Verfügung von Todes wegen. 15 H. Hausmaninger, Das Schadenersatzrecht der Lex Aquilia, 4. Aufl., Wien 1990. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 43 2. Prätorisches Erbrecht Später trat neben das zivile Erbrecht ein prätorisches (zur Unterscheidung zwischen Zivilrecht und prätorischem Recht s.o. § 2 A). Die gesetzliche Erbfolge (bonorum possessio intestati) unterschied danach drei Klassen: die unde libri (sui heredes und nicht gewaltunterworfene Abkömmlinge), die unde legitimi (die gesetzlichen Erben nach dem Zivilrecht, s.o. 1) und die unde vir et uxor (Ehegatten, die nicht gewaltunterworfen waren und daher nicht den ersten beiden Klassen unterfielen). Die prätorische Testamentserbfolge (bonorum possessio secundum tabulas) unterschied sich von der zivilen dadurch, dass die formalen Anforderungen weiter gelockert wurden. Erforderlich war nur noch eine Urkunde, deren Authentizität von fünf Zeugen, dem familiae emptor und dem libripens (s.o. V) bezeugt war. Der Übertragungsakt auf den Treuhänder entfiel. 3. Ersatzerbschaft Der Erblasser konnte neben dem oder den Erben einen oder mehrere Ersatzerben für den Fall bestimmen, dass der Erbe vor dem Erblasser starb oder die Erbschaft aus anderen Gründen nicht erwarb (Vulgarsubstitution). So konnte der Erblasser auch für den Fall, dass er vor Eintritt der Mündigkeit seines Kindes starb, einen Ersatzerben einsetzen (Pupillarsubstitution). Die Frage, ob die vom Erblasser angeordnete Pupillarsubstitution zugleich eine Vulgarsubstitution enthielt, was Gegenstand eines berühmten Prozesses (causa Curiana, 92 v. Chr.), von dem Cicero berichtet: Cic. de inventione 2, 122 pater familias cum liberorum haberet nihil, uxorem autem haberet, in testamento ita scripsit: „si mihi filius genitur unus pluresve, is mihi heres esto“; deinde quae assolet; postea: „si filius ante moritur, quam in tutelam suam venerit, tum mihi ille heres esto“; filius narus non est. Ein Hausvater, der zwar eine Frau, aber keine Kinder hatte, schrieb in seinem Testament folgendermaßen: „Wenn mir ein Sohn (oder mehrere) geboren wird, dann soll er (oder sie) Erbe sein“. Dann folgten die üblichen Klauseln; sodann hieß es; „Jener soll mein Erbe sein, wenn mein Sohn vor erreichter Mündigkeit sterben sollte“. Ein Sohn wurde ihm nicht geboren. Die gesetzlichen Erben stritten nun mit dem Ersatzerben um die Auslegung der Klausel. Pontifex Quintus Mucius Scaevola vertrat die Auffassung, wegen des eindeutigen Wortlauts hätte der Ersatzerbe nur bei Geburt eines Sohnes und dem Tod des Erblassers vor dessen Mündigkeit erben können. Dagegen argumentierte Crassus mit dem (mutmaßlichen) Willen des Erblassers, der den Ersatzerben auch für den Fall erben lassen wollte, dass kein Sohn geboren wurde16. Noch heute findet sich in § 2102 BGB die Regelung, dass die Einsetzung eines Nacherben „im Zweifel“ gleichzeitig als Einsetzung zum Ersatzerben gilt. 4. Legat und Fideikommiss Durch Legat konnte der Erblasser seine Erben anweisen, bestimmte Vermögensgegenstände an einen (oder mehrere) Nichterben herauszugeben. Ein solches, wie wir es heute nennen: Vermächtnis konnte als Vindikationslegat angeordnet werden – mit der Folge, dass der Bedachte mit dem Erbfall Eigentümer wurde und das Vermachte mit der rei vindicatio herausverlangen konnte. War dagegen ein Damnationslegat verfügt, bestand nur ein schuldrechtlicher Anspruch, vgl. damit § 2174 BGB. Gar keinen Anspruch begründete zunächst das formfreie fideicommissum, dessen Erfüllung anfangs nur vom guten Willen des Erben abhing. Später wurde dem Bedachten aber auch hier eine Klage gewährt. 16 Lesenswert zur causa Curiana: Manthe in: Große Prozesse der römischen Antike, 1997, S. 74 ff. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 44 § 6. Der Prozess Recht haben ist bekanntlich nicht dasselbe wie Recht bekommen. Die römischen Juristen gingen vom Prozess, von der Klage, der actio, aus. Ihr Denken war, wie es heißt, aktionenrechtlich bestimmt. Die scharfe Trennung von Prozessrecht und materiellem Recht, von Anspruch und Klage, kannten sie nicht. Sie gelang erst dem bekannten Juristen Bernhard Windscheid (1817 - 1892)17. Der heutige Rechtsanwalt muss selbstverständlich prozessuale Gesichtspunkte in seine Überlegungen einbeziehen. Artikel ‚Prozeßrecht’ aus: Der Neue Pauly Die Verwendung eines eigenen Begriffs zur Kennzeichnung der hier vorgestellten Rechtsmaterie impliziert eine Isolierbarkeit oder doch Unterscheidbarkeit des Gegenstandes, die die Antike zu keiner Zeit vorgenommen hat – und schon gar nicht mit moderner Trennschärfe. Während heutzutage das Prozeßrecht als vollkommen separates Pendant zum materiellen Recht verstanden wird, fielen beide Materien von der Frühzeit an bis weit ins 19.Jhdt. in Eins zusammen. Die aus dieser Sicht resultierende Gleichsetzung des (subjektiven) Rechts mit der gerichtlichen Durchsetzbarkeit einer Rechtsposition fasst man heute üblicherweise unter dem Begriff „aktionenrechtliches Denken“ zusammen – damit den römisch-rechtlichen Begriff der !> actio aufgreifend, dessen Bedeutungsgehalt exemplarisch auf dem vom Praetor aufgestellten !> edictum zum Ausdruck kommt. Was dort als Rechtsschutzverheißung in der jeweiligen !> formula niedergeschrieben ist, hat erst Windscheid (Lit.-Verz.) endgültig in einen, das heutige Rechtsverständnis prägenden materiell-rechtlichen Anspruch und davon getrennten, den Zugang zum Gericht eröffnenden Justizgewährungsanspruch geschieden. Der neuartige Begriff P. kennzeichnet also die Summe all derjenigen Vorschriften, die sich auf das Verfahren beziehen, mittels dessen Rechtspositionen vor einem neutralen Dritten, dem Richter, durchgesetzt werden. Ob dieser Richter eine vom Staat instituierte oder eine (geachtete) Privatperson ist, ob die zur Entscheidung notwendigen Tatsachen oder Meinungen von Amtswegen erforscht werden oder ob ihre Beibringung den Parteien überlassen ist, ob schließlich die Richterbank mit einem oder mehreren Richtern besetzt ist oder ob gar die Funktion „des Richters“ wie im Falle des römischen Legisaktionen- und Formularprozesses auf mehrere, hintereinander tätige Personen verteilt wird, ändert nichts an der Grundfunktion eines jeden P.: Im Wesentlichen obliegt es ihm, denjenigen Verfahrensgang zu regulieren, in dem sich zwei Parteien (egal ob Private oder, wie im Falle des Strafprozesses, wenigstens auf einer Seite der Staat) um eine Rechtsposition (egal ob privatrechtlicher oder staatlicher StrafAnspruch) streiten und zu diesem Zweck einem neutralen Dritten, dem Entscheider (Richter), die erforderlichen Informationen (egal ob selbst oder durch andere) verschaffen, damit dieser eine dem Recht entsprechende Lösung des Streites finden kann. Was dabei unter diesem „Recht“ zu verstehen ist, darf erneut nicht mit modernem Maß gemessen werden; neben oder gar anstatt streng rechtlicher Erwägungen kann die Entscheidung ebenso gut auch von sozialen Fakten wie Ansehen, Hilfebedürftigkeit, etc. der jeweiligen Parteien abhängen. Von dem griechischen P. wissen wir Institutionelles vornehmlich aus Aristoteles Beschreibung im ‚Staat der Athener’ (Kap. 63 – 69), Rechtspraktisches dagegen hauptsächlich aus den überlieferten Gerichtsreden (insbes. Demosthenes, Isokrates, Lysias). Das attische Recht hat eine Entwicklung vollzogen, die vom König als Richter über den königlichen Beamtenrichter hin zum durch und durch demokratisch organisierten Volksgerichtshof führte; Scheidepunkt ist dabei die Solonische Gesetzgebung. Am Ende dieser Entwicklung steht der von Aristoteles beschriebene Gerichtshof, der den höchst komplexen, komplizierten Mechanismus beschreibt, der allmorgenlich in Gang gesetzt wurde, um die für den jeweiligen Tag zuständigen Gerichte und Richter auszuwählen; er sollte die Gewähr für die Unparteilichkeit und Unbestechlichkeit der Richter und damit für die „Richtigkeit“ der Urteile bieten. In Verbindung mit den von 17 Die actio des römischen Zivilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts (1856). Eine gewisse Parallele zum aktionenrechtlichen Denken stellt die heutige Anspruchsmethode dar; dazu D. Medicus, Bürgerliches Recht, 19. Aufl., Köln, Berlin u.a. 2002, Rn. 1 ff. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 45 Aristoteles ebenfalls erwähnten Regeln über die feste Zuteilung von Redezeit an die Parteien sowie über die die Anonymität gewährleistende Abstimmung der Richter zur Erreichung des Endurteils ergibt sich aus dieser Darstellung ein solides Grundgerüst jeden P. Es ist eine unweigerliche Folge der Profanisierung, dass die Richtigkeitsgewähr des von den Parteien Vorgetragenen nicht essentiell ist für das Vorhandensein eines P.; dies belegt der zunehmende Bedeutungsverlust des Eides (Platon nom. 948 b-e) sowie die Tatsache, dass Rhetorik für die Urteilsfindung wesentlich bedeutsamer war als stringente juristische Argumentation. Im römischen Recht ist ebenfalls eine Entwicklung zu beobachten: Am Beginn steht die ausdrückliche Normierung prozessualer Geschehensabläufe in den ersten drei Tafeln des XIITafel-Gesetzes, die für das Legisaktionenverfahren verbindlich war. Demnach hat es hier schon die Zweiteilung in Rechtsfrage und Ermittlung der Fakten gegeben: Während letzteres einem Privatmann überlassen wurde, war die Festlegung der Rechtsfrage einem Jurisdiktionsmagistraten vorbehalten. Diese Rollenverteilung zwischen Offiziellem und Privatem wurde im Formularverfahren weiter verfeinert, bevor sie in etwa seit Beginn des Pricipats allmählich durch den beamtenähnlichen Einzelrichter (!> cognitio) abgelöst wurde. Vergleichbares findet sich im Bereich des Strafrechts, wo der Einzelrichter ebenfalls das aufwendigere Gerichtsverfahren der quaestiones verdrängt, die Sonderzuständigkeiten für bestimmte Delikte hatten und sich durch ein vielköpfiges Richtergremium auszeichneten. Unsere bislang allenfalls schemenhaften Kenntnisse über das in den Provinzen praktizierte P. sind durch einige Funde von lokalen Gesetzen (insbesondere das vom spanischen Irni) deutlich präzisiert worden. Sie weisen nunmehr in die Richtung, daß man sich offenbar an dem stadtrömischen Vorbild orientiert und das dortige Prozeßmodell auf die lokalen Gegebenheiten übertragen und angepasst hat. Auch in Rom gab es verfahrensmäßige Vorkehrungen, um die richterliche Neutralität zu gewährleisten: Der Praetor hatte eine Richterliste, aus der die Parteien den ihn gemeinsam genehmen Richter zu erwählen hatten. Während sich der erste Abschnitt des Verfahrens, in iure, d.h. vor dem Praetor, in der Öffentlichkeit abspielte, fand der zweite, vor dem Richter stattfindende Abschnitt, apud iudicem, in dessen Privathaus statt. Demgemäß war der erste Abschnitt von rechtlichen Erwägungen dominiert, während der zweite der Beweiserhebung und ihrer Würdigung diente und somit auch hier rhetorischen Darstellungen Raum ließ. Der Versuch einer Rechtlichkeitsgewähr etwas anderer Art zeigt sich etwa auch im Strafrecht, wenn unter mehreren in Frage kommenden Anklägern der am besten geeignete ausgewählt wird; bekanntestes Beispiel für ein derartiges Verfahren, divinatio, ist Ciceros erste Rede gegen Verres, mit der er den der Befangenheit verdächtigen Mitkonkurrenten Caecilius ausschaltete. Durch die gegenüber dem griechischen P. striktere Ausrichtung des römischen P. an der Rechtlichkeit ist es verständlich, dass es hier weniger ausgefeilte Vorschriften über die Urteilsfindung als dort gibt. In der nachklassischen Zeit wird das P. insofern gestrafft, als nunmehr das Verfahren allein einem verbeamteten Richter übertragen ist, der die Kognition eigenverantwortlich durchführt. Rechtsfindung ist damit letzten Endes allein dem Herrscher überantwortet – eine Grunddatum, das erst im 18./19. Jhdt. durch den Ruf nach einer Laienbeteiligung (Geschworene, Jury) am Gerichtsverfahren wieder in Frage gestellt worden ist. von C.P. A. Das Legisaktionenverfahren Zu Beginn der römischen Rechtsgeschichte zeigt sich besonders im Prozess, dem Legisaktionenverfahren, die starke Bindung der Römer an Formalien. In diesem zweigeteilten Prozess mußten Kläger und Beklagter bestimmte Wortformeln sprechen, diese galten als heilig, und jegliches Versprechen führte zum Unterliegen (vgl. Cicero, pro Murena, 25 ff.). Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 46 B. Der Formularprozess Ab dem dritten vorchristlichen Jahrhundert entwickelt sich daneben der Formularprozess, auch dieser ist zweigeteilt. Der erste Teil des Verfahrens fand vor dem Gerichtsmagistrat, dem Praetor, statt (in iure), der zweite Teil vor einem Laienrichter (apud iudicem). Über die Klagemöglichkeiten konnten sich die Rechtssuchenden im Edikt informieren, das öffentlich ausgestellt war und alle Klagen und Einreden enthielt, die der jeweilige Praetor während seiner (einjährigen) Amtszeit gewähren wollte. Die Edikte wurden häufig vom Amtsvorgänger übernommen; eine abschließende Redaktion durch den Juristen Julian erfuhren sie 130 n. Chr. unter Kaiser Hadrian (edictum perpetuum) 18. Diese Zusammenkunft vor dem Edikt hatte nicht selten den Effekt, dass die Parteien sich bereits einigten, ohne in das eigentliche Verfahren einzusteigen.19 Der Praetor hatte im Prozess die Aufgabe, die rechtlichen Gesichtspunkte eines Sachverhaltes zu beurteilen; er unterstellte dabei den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt als wahr. Er konnte dann, je nach Lage des Edikts, dem Kläger eine actio gewähren, dem Beklagten eine Einrede (exceptio). Die Parteien begaben sich nun zu dem von ihnen selbst ausgewählten Laienrichter (iudex), der die Beweiswürdigung vornahm und den Vorgaben des Praetors entsprechend ein Urteil sprach. C. Zwangsvollstreckung Die Zwangsvollstreckung ist hart: zwar ist nicht mehr die Tötung oder der Verkauf des Schuldners vorgesehen wie noch nach den Zwölf Tafeln (siehe dazu Quelle: oben § 3 D.I.), aber doch die zeitweilige Schuldhaft zum Abarbeiten der Schuld und die Gesamtvollstreckung. Die Zahlungsunfähigkeit (modern gesprochen: Insolvenz) bedeutete neben dem wirtschaftlichen auch den gesellschaftlichen Ruin (Infamie). Eine lex Iulia sah allerdings vor, dass im Falle einer unverschuldeten Zahlungsunfähigkeit die Infamie dadurch vermieden werden konnte, dass der Schuldner sein gesamtes, noch vorhandenes und zukünftiges Vermögen an seine Gläubiger übertrug, auf lateinisch: bonis cedere oder substantivisch: cessio bonorum. D. Weitere Entwicklung Im Laufe des Prinzipats entwickelte sich das sog. Kognitionsverfahren, das nicht mehr zweigeteilt war und in dem Berufsrichter Recht sprachen. Wiederholung und Vertiefung: Erörtern Sie im historischen Zusammenhang Ciceros Bemerkung, der Praetor sei die lebendige Stimme des Zivilrechts (Praetor est viva vox iuris civilis). (zitiert auch von Marcellus in D. 1,1,8 : Nam et ipsum ius honorarium viva vox est iuris civilis. Denn das Amtsrecht ist in der Tat die lebendige Stimme des Zivilrechts.) E. Literatur M. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht, 2. Aufl., München 1996; Der neue Pauly, Stichwörter: cognitio, editio, formula, legisactio, manu iniectio. 18 19 Das Edikt des Praetors und Aedils ist nicht direkt überliefert, sondern kann nur aus verschiedenen Textstücken rekonstruiert werden Standardwerk: O. Lenel, Das Edictum Perpetuum, 3. Aufl., Leipzig 1927 (Nachdruck). Vgl. dazu Paulus in: Der Neue Pauly, s.v. ‚editio’. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 47 § 7. Das Corpus Iuris Civilis von 533 n. Chr. Unsere Kenntnis des römischen Rechts beruht auf einer Quelle, die erst fast ein halbes Jahrtausend nach der Entstehung der wichtigsten Juristenschriften geschaffen wurde, auf dem Corpus Iuris Civilis. Dieses wiederum galt dann fast eineinhalb Jahrtausende lang als geltendes Recht in den völlig anderen geographischen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen des Mittelalters und der Neuzeit. A. Entstehung Nach einer langen Schwächeperiode im oströmischen Reich gelang es Kaiser Iustinian, Ostund Westreich kurzzeitig wieder zu vereinen. Sein Gesetzgebungswerk bildete einen bedeutenden Teil seines Restaurationsprogrammes. Über den Hergang der Gesetzgebung haben wir Kenntnis durch Konstitutionen Iustinians, die mit dem eigentlichen Gesetz veröffentlicht wurden (u.a. constitutio imperatoriam, constitutio tanta). Die Gesetzgebung begann im Jahre 528 mit der Einberufung einer zehnköpfigen Kommission, die auf der Basis der Codices Gregorianus, Hermogenianus und Theodosianus eine Sammlung von Kaisergesetzen erstellen sollte. Die Arbeit war nach einem Jahr beendet und der Codex Iustinianus trat 529 in Kraft. 530 begann dann die Zusammenstellung der Digesten aus den Schriften hauptsächlich klassischer Juristen. Iustinians Justizminister Tribonian wurde beauftragt, eine Kommission für diese Tätigkeit zusammenzustellen, deren Mitarbeiter man Kompilatoren nennt. Die Arbeit wurde in der angesichts der verarbeiteten Stofffülle enorm kurzen Zeitspanne von drei Jahren fertiggestellt. Über die Frage, mit welcher Arbeitsmethode dies möglich war, herrscht unter den Rechtshistorikern im einzelnen Streit. Die Institutionen, die weitgehend denen des Gaius entsprechen, traten ebenfalls im Jahre 533 in Kraft. Währenddessen wurde der codex noch einmal überarbeitet und trat in der uns heute bekannten Fassung 534 in Kraft. Die weitern Kaiserkonstitutionen, die in den Folgejahren unter Iustinian und seinen Nachfolgern erlassen wurden, wurden in den Novellen zusammengefasst (wohl bis 582). Ein gemeinsamer Name fehlte den vier Teilen zu Zeiten Iustinians, den Namen Corpus Iuris Civilis erhielt das Werk im 16. Jahrhundert. Constitutio Tanta § 12 Nachdem auf diese Weise die gesamte Ordnung des römischen Rechts zusammengestellt worden ist ...haben wir auch dieses Werk, das der Sicherung des menschlichen Lebens dient, dem allmächtigen Gott dargebracht... § 13. Wir haben daher als notwendig erkannt, allen Menschen diese Gesetzgebung vor Augen zu führen, damit ihnen bekannt werde (erstens), wie groß die Verwirrung und Weitläufigkeit waren, von der sie befreit worden sind und wie wohlgeformt und innerlich wahr die Rechtsordnung ist, zu der sie jetzt gelangt sind, und (zweitens) dass sie in Zukunft Gesetze haben, die ebenso sachnah wie knapp sind und die für alle zu Tage liegen, und (drittens) dass ... Reichen wie Armen der Erwerb der Rechtsbücher offen steht... § 19... Diese Gesetze sollt ihr also verehren und befolgen, während alles ältere Recht zu verstummen hat... Denn wir verfügen, dass einzig und allein das befolgt werden soll, was wir hiermit als Recht gesetzt haben... Fragen zur Constitutio Tanta: 1. Aus welchem Grund wurde die Constitutio Tanta erlassen? 2. Welche Merkmale des Kodifikationsprinzips sind ihr zu entnehmen? 3. Welches weitere Merkmal halten Sie für eine Kodifikation für wesentlich? Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 48 Textbeispiel zur Einsetzung der Digestenkommission: Constitutio Deo auctore 1, 17, 120 Kaiser Justinian, immer Mehrer des Reiches, an Tribonian, Exzellenz, Justizminister. (pr.) Mit Gottes Hilfe regiere ich mein Reich, das mir von der himmlischen Majestät übergeben ist. (3) Auf die trefflichen Dienste deiner klaren und rechtschaffenen Persönlichkeit haben Wir hierbei gerechnet. ... Wir haben dich dabei zugleich angewiesen, nach deinem Ermessen sprachgewandte Professoren der Rechtswissenschaft wie auch beredte Anwälte beim Gericht vom höchsten Range zur Mitarbeit auszuwählen. (4) So befehlen Wir euch also, die das römische Recht betreffenden Schriften der alten Rechtsgelehrten, denen die verewigten Kaiser die Befugnis zur Schaffung von Juristenrecht und zu seiner Erläuterung verliehen haben, zu sammeln und zu sichten, damit aus diesen der gesamte Rechtsstoff zusammengetragen wird und man dabei, soweit möglich, keine ähnliche und keine widersprechende Stelle stehen lässt. Vielmehr soll aus diesen Schriften das Ergebnis gesammelt werden, das als einheitliche Bestimmung für alle gesetzt wird... (5) ... Das ganze Recht soll man dann in 50 Bücher und in bestimmte Titel ordnen, und zwar entsprechend dem Vorbild Unserer Sammlung der kaiserlichen Verordnungen (codex constitutionum) wie gemäß dem der immerwährenden Ediktsammlung (edictum perpetuum), je nachdem dies euch zweckmäßiger erscheint. Dabei soll nichts außerhalb der erwähnten Zusammenfassung übrigbleiben können, vielmehr soll das ganze alte Recht, das durch einen fast 1400-jährigen Zeitraum unübersichtlich geworden und von uns nun gesichtet ist, durch diese 50 Bücher wie durch eine Mauer umgeben sein und nichts mehr außerhalb dieser lassen... Konstantinopel, den 15. Dezember 530. Fragen zum Textbeispiel 1. Wer sollte die Digesten zusammenstellen? 2. Welcher ist der Inhalt der Digesten? 3. Welche Vorgaben machte der Kaiser hinsichtlich des Systems der Digesten? 4. Charakterisieren Sie knapp den Inhalt der Teile des Corpus Iuris Civilis. 5. Zeichnen Sie den Weg der Kodifikation in der Antike nach. B. Aufbau und Inhalt des Corpus Iuris Civlis Das Corpus Iuris Civilis (neutrum!) besteht aus 4 Teilen. ! Der 1. Teil, institutiones (abgekürzt I oder Inst.), gibt einen lehrbuchartigen Überblick über die Rechtseinrichtungen21. Die Einteilung in personae, res, actiones entspricht dem Aufbau des BGB-AT. ! Der 2. Teil, Digesta oder Pandectae (abgekürzt Dig. oder, meistens, D.), enthält Ausschnitte aus den Schriften der vor allem klassischen Juristen. Dieses ist der weitaus umfangreichste, qualitätsvollste und historisch wirkungsvollste Teil. Die Digesten enthalten 50 Bücher. Die weitere Unterteilung erfolgt in Titel, Fragmente, Paragraphen (zitiert wird also etwa D.1.2.1.1). Die Darstellung der Rechtsprobleme erfolgt größtenteils anhand von Fallbeispielen. ! Der 3. Teil, der Codex (abgekürzt Cod. Just. oder Cod. oder, meistens, C.), überliefert einzelne Kaisergesetze, die ältesten stammen von Hadrian. ! Im 4. Teil werden später erlassene Gesetze, Novellae (abgekürzt N.), gesammelt. 20 21 Römisches Privatrecht, Lateinisch und deutsch, Ausgewählt, übertragen etc. von E. Scharr, Zürich u.a. 1960, S.185 ff. dazu: Meincke, Die Institutionen Iustinians, JuS 1986, 262 ff. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 49 Textbeispiel: I. 1, 2, 12 Alles Recht aber, das wir anwenden, bezieht sich auf Personen, auf Gegenstände oder auf Klagen. Und zuerst wollen wir die Personen betrachten. Denn man hat wenig vom Recht erfasst, solange man nicht über die Personen unterrichtet ist, für die es geschaffen ist. I. 1, 3 (pr.) Die oberste Einteilung des Rechts der Personen ist nun die, dass alle Menschen entweder Freie oder Sklaven sind. § 1. Und die Freiheit, libertas, nach der man auch von freien Menschen, liberi, spricht, ist die natürliche Fähigkeit, das zu tun, was einem jeden zu tun beliebt, sofern es nicht durch Gewalt oder Recht verhindert wird. § 2. Dagegen ist die Sklaverei eine Einrichtung des Völkergemeinrechts, durch die jemand entgegen dem Naturzustand dem Eigentum eines anderen unterworfen wird. I. 2, 2 (pr) Im übrigen sind manche Gegenstände körperlich, manche unkörperlich. § 1. Körperlich sind Gegenstände, die sich ihrer Natur nach anfassen lassen, zum Beispiel ein Grundstück, ein Sklave, ein Kleid, Gold, Silber und weitere zahllose Sachen. § 2. Unkörperlich sind dagegen Gegenstände, die man nicht anfassen kann; dieser Art sind Gegenstände, die nur rechtlich vorhanden sind, zum Beispiel die Erbschaft, der Nießbrauch und Schuldverhältnisse jeder Art. (...). I. 3, 13 (pr.) Jetzt wollen wir zu den Schuldverhältnissen übergehen. Das Schuldverhältnis ist ein rechtliches Band, durch das uns nach dem Recht unseres Gemeinwesens der Zwang auferlegt wird, irgendeinen Gegenstand zu leisten. § 2. Die weitere Einteilung ergibt vier Arten. Denn entweder beruhen die Schuldverhältnisse auf Vertrag oder Quasivertrag 22 oder auf Delikt oder Quasidelikt 23/24. Fragen: 1. Erläutern Sie anhand der früher zitierten Konstitution Deo Auctore die systematische Anordnung der Digesten. 2. Welches System liegt den Institutionen zugrunde? 3. Vergleichen Sie das Institutionen-System mit dem des ALR und dem des BGB. C. Geltung in Ostrom Das Corpus Iuris Civilis galt in Ostrom / Byzanz. Aber bald wurde die Handhabung des umfangreichen Textes in lateinischer Sprache zu schwierig. Es wurden griechisch-sprachige Auszüge für die Praxis hergestellt und auf der Grundlage des römischen Rechts vom Kaiser, Basileus, neue Gesetze erlassen, Basiliken genannt. 22 Quasivertrag ist ein vertragsähnliches Schuldverhältnis im römischen Recht, z. B. Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigte Bereicherung. 23 Quasidelikt ist im römischen Recht ein deliktsähnliches Schuldverhältnis, insbesondere die Haftung ohne Verschulden, etwa wegen aus einem Haus herausgeworfener oder ausgegossener Sachen. Den Ausdruck verwendet noch der Code civil. 24 Nach: O. Behrends, u.a., Corpus Iuris Civilis, Die Institutionen, Text und Übersetzung, Taschenbuchausgabe, Heidelberg 1993. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 50 § 8. Das Fortwirken des römischen Rechts im Frühmittelalter A. Ostrom Das Corpus Iuris Civilis wurde im Osten des Reiches durch ein weiteres Buch ergänzt. In diesen sog. Novellen wurden weitere kaiserliche Verlautbarungen und Erlasse zusammengefasst. Diesen Rechtsstoff fasst man heutzutage üblicherweise als "byzantinisches Recht" zusammen. Er ist wohl die Hauptverbindungslinie des antiken Rechts zu der nachfolgend erwähnten Rezeption des römischen Rechts. In Anbetracht der heutigen Trennungslinien und Spannungen ist in diesem Vorgang besonders hervorhebenswert, dass das heutige, zu ganz weiten Teilen auf dem römischen Recht basierende "westliche" Recht eine seiner wesentlichsten Wurzeln im byzantinischen (sich heute mehr oder minder stark dem islamischen Recht zuneigenden) Reich hat! Fundamentalismus erscheint dadurch als Frage, wie weit man in die Geschichte zurückzugehen bereit ist. (Lit.: D. Simon, Rechtsfindung am byzantinischen Reichsgericht, 1973.) B. Im Westen Im westlichen Teil des Reiches tauchte das klassische römische Recht immer weiter ab, ohne deswegen allerdings je in völlige Vergessenheit zu versinken. Allerdings bewirkte auch ein Erlass des Kaisers Iustinian im Jahr 554 (sanctio pragmatica), mit dem er die Geltungskraft des von ihm geschaffenen Corpus Iuris Civilis auf das Westreich erstreckte, keine Renaissance des klassischen Rechts. Dazu kam es erst in der Rezeption. Statt dessen lässt sich ab dem 4. Jahrhundert ein Vorgang beobachten, den man (nicht ganz glücklich, weil zu negative Assoziationen auslösend) als Vulgarisierung bezeichnet. Damit ist gemeint, dass eine ganze Anzahl germanischer Volksrechte - auch Leges Barbarorum oder leges Romanae genannt - in teilweise zunehmend verdünnter Form vom römischen Recht beeinflusst sind. Beispielhaft seien genannt: Das westgotische Edictum Theodorici von 460 und der Codex Euricianus von 475. Diese Codices hatten großen Einfluss auf spätere germanische Gesetzgebungen - die Lex Romana Visigothorum von 506 (Alarich II), die Lex Visigothorum von 654 (Reccesvinth), die Lex Burgundionum von ca. 500 (Gundobad), die Lex Salica von ca. 510 (Chlodwig I) sowie schließlich das Edictum Rothari von 643 (Rothari), das den Beginn der für die weitere Entwicklung entscheidenden, weil großartigen Langobardengesetzgebung einleitete. (Lit.: Schlosser, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 7. Aufl., 1996, S. 7 ff.) § 9. Die Rezeption des römischen Rechts im Mittelalter25 Im Mittelalter und in der Neuzeit ist das Recht in Europa unvorstellbar zersplittert. Die Rechtszersplitterung nimmt in Deutschland noch zu, da das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (im Unterschied zu England und Frankreich) keine Einheit gewinnt. Die vorhandenen älteren Rechte genügen nicht mehr den intellektuellen und wirtschaftlichen Anforderungen der neuen Gelehrtenwelt, Politik und Städtewirtschaft. A. Wiederentdeckung in Italien Das Römische Recht ist in Europa nie völlig vergessen worden, sondern über die Volksrechte ist das Vulgarrecht mit eingeflossen. Darüber hinaus hat die Kirche das römische Recht in Unterricht und Praxis gepflegt. Vergessen worden waren aber vor allem die Digesten. Gegen Ende des 11. Jh. begann man wieder, sich intensiver mit römischem Recht zu befassen. Irnerius (gestorben 1140) hatte in Bologna eine Digestenhandschrift 26 wiederentdeckt. Man befasste sich zunächst wissenschaftlich in erster Linie mit Grammatik und Rethorik der Digesten, weniger mit dem Recht als solchem.27 25 Schröder, Rechtsgeschichte, Punkte 3.7. und 4, S. 45 ff.; Schröder, Quellensammlung. Es handelte sich um eine Florentiner Digestenhandschrift, die wohl schon aus der Zeit Iustinians – genauer sogar aus dem Büro des Kommission Tribonians – stammte. 1406 wurde sie als Kriegsbeute fortgetragen und ist heute in der Bibliotheca Laurenziana in Florenz zu sehen. 27 Zur politischen Bedeutung dieser (Wieder-)Entdeckung lesenswert das 5. Kapitel von U.Eco, 26 Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 51 Wissenschaftlich bearbeitet und mit Anmerkungen versehen wurden die Digesten durch die Glossatoren (von Glosse = Zunge, später übersetzt mit Erklärung). Neben besagtem Irnerius waren Azo und Accursius bekannte Glossatoren. Die Vorgehensweise, der sog. mos gallicus, der Glossatoren war stark durch die scholastische Methode aus Theologie und Philosophie geprägt: Aus den Digestenstellen wurden klare Fragestellungen und Begriffe herausgearbeitet, logisch geformte Beweise wurden gesucht, und man ging davon aus, dass wirkliche Widersprüche nicht vorhanden waren. Die sog. Postglossatoren (Konsiliatoren), bekannte Vertreter waren Bartholus und Baldus, geben der Rechtswissenschaft ein praktischere Ausrichtung. Es ging nun um die Anwendung des römischen Rechts als geltendes Recht. Die Postglossatoren interpretierten das Recht und brachten es über ihre Gutachtertätigkeit in die Praxis ein. B. Die Bedeutung des Kirchenrechts Eine wichtige Rolle spielte bei der Rezeption das Kirchenrecht. Das Decretum Gratiani von 1140 ging zwar davon aus, dass das Kirchenrecht über allem anderen Recht stand; es ordnete auf der anderen Seite aber an, dass in allen Fällen, die das Kirchenrecht nicht regelte, das römischen Recht herangezogen werden sollte. Nach weitern Ergänzungen wurde das Werk Gratians schließlich Corpus Iuris Canonici genannt. C. Rezeption in Deutschland In Deutschland hielt das Römische Recht vor allem über die Söhne reicher Kaufleute Einzug, die an den italienischen Universitäten das römische und das Kirchenrecht studierten. Die aus Italien Zurückgekehrten wendeten als Anwälte oder Richter das dem einheimischen Recht vor allem wegen der starken Rechtszersplitterung überlegene römische Recht an. Zunächst übernahm man nur die Technik der Rechtsanwendung, später auch die römischrechtlichen Regelungen. Neu erlassene Gesetze waren geprägt vom römischen Recht, vor allem die Constitutio Criminalis Carolina von 1532 und die Reichskammergerichtsordnung von 1495. Kleine Anekdote zum Reichskammergericht am Rande: Der junge Johann Wolfgang von Goethe wurde nach seinem Studium an das Reichskammergericht geschickt, um die Praxis zu erlernen. Er wohnte in dieser Zeit bei einer Tante und verliebte sich in Tochter des Amtmanns des Deutschen Ordens, Lotte Buff. Aus dieser unglücklichen Liebe ist sein „Werther“ entstanden. Das Reichskammergericht hatte einen großen Einfluss auf das Eindringen des römischen Rechts. Es sollte urteilen nach „redlichen, erbern und leidlichen Ordnungen, Statuten und Gewohnheiten der Fürstenthum, Herrschaften und Gericht, die für sy pracht“ wurden. Das Partikularrecht sollte grundsätzlich Vorrang genießen, aber nur, wenn seine Anwendung von den Parteien bewiesen wurde. Der Grundsatz „cura novit iuria“ (das Gericht kennt das Recht) galt nur für das römisches Recht. Ein zusätzlich Erschwernis für die Anwendung des Partikularrechts war, dass es dem Richter sinnvoll und gerecht erscheinen musste. Trotz der Subsidiarität des römischen Rechts gewann es auf diese Weise immer mehr an Bedeutung; in Teilen Deutschlands war es bis 1900 in Geltung. Das deutsche Recht, vor allem die ersten drei Bücher des BGB und große Teile des Erbrechts, ist noch heute durch das römische Recht geprägt. Vor allem die juristische Argumentationsweise und die in den Schriften der römischen Juristen sowie in den Rechtssprichwörtern zum Ausdruck gelangende Rechtsgesinnung wirken weiter fort. Baudolino. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 52 § 10. Herkunft von Bestimmungen des BGB aus dem römischen Recht28 Es folgt je eine Illustration (von vielen, vielen weiteren möglichen) aus dem römischen Recht zu den fünf Büchern des BGB. Doch sei einschränkend darauf hingewiesen, dass viele andere Einflüsse das moderne Recht beeinflusst haben wie Kirchenrecht, Handelsgewohnheitsrecht, Naturrechtskodifikationen, Verordnungen und Gesetze betreffend Gewerbe und Industrie und die Verfassungen seit der Französischen Revolution. A. Quelle zum Allgemeinen Teil des BGB D. 18,1,9 Ulpian im 28. Band seines Kommentars zum Zivilrecht des Sabinus: pr.: Es ist klar, dass beim Kauf Konsens vorliegen muss. Wenn die Parteien bezüglich des Kaufes selbst oder des Preises oder eines anderen Aspektes uneinig sind, ist kein Kauf zustandegekommen. Wenn ich also glaube, das Landgut Cornelianus zu kaufen, du jedoch geglaubt hast, das Landgut Sempronianus zu verkaufen, liegt kein Kauf vor, da wir uns über den Kaufgegenstand nicht geeinigt haben... § 2. Weiters wird gefragt, ob ein gültiger Kauf vorliegt, wenn über den Gegenstand selbst nicht geirrt wird, jedoch ein Irrtum über die Substanz vorliegt, z. B. wenn Essig für Wein verkauft wird, Kupfer für Gold, Blei (oder etwas anderes Silberähnliches) für Silber. Marcellus hat im sechsten Buch seiner Digesten geschrieben, es liege ein Kauf vor, weil Konsens über den Gegenstand hergestellt worden sei, wenngleich über die Substanz geirrt worden sei. Ich stimme bezüglich des Weines zu, da praktisch dieselbe Substanz vorliegt, sofern der Wein sauer geworden ist. Wenn allerdings nicht Wein sauer geworden ist, sondern von vornherein Essig vorhanden war, etwa eine Essiglauge, scheint eine Sache statt einer anderen verkauft worden zu sein. In den übrigen Fällen glaube ich, dass kein Kauf vorliegt, sofern über die Substanz geirrt wird 29. B. Quelle zum Schuldrecht D. 9,2,2, pr. Gaius im 7. Band seines Kommentars zum Provinzialedikt: In der lex Aquilia wird im ersten Kapitel bestimmt: "Wer einen fremden Sklaven oder eine fremde Sklavin oder ein vierfüßiges Herdentier widerrechtlich tötet, soll verpflichtet sein, dem Eigentümer den Höchstwert der Sache in diesem Jahr in Geld zu ersetzen" 30. C. Quelle zum Sachenrecht I. Text: D. 41,1,7,7 Wenn jemand aus fremdem Material einen Gegenstand für sich hergestellt hat31, meinen Nerva und Proculus, dass derjenige Eigentümer sei, der ihn hergestellt hat, weil das, was hergestellt worden ist, vorher niemandem gehört hat. Sabinus und Cassius meinen, dass die natürliche Vernunft (naturalis ratio) eher dazu führe, dass der Eigentümer des Materials auch Eigentümer der Sache werde, die aus diesem Material erzeugt wird, weil ohne Material kein Gegenstand hergestellt werden könne, so z. B., wenn ich aus deinem Gold, Silber oder Kupfer irgendein Gefäß mache ... Es gibt jedoch auch eine mittlere Meinung (media sententia) derer, die zu Recht die Ansicht vertreten, wenn die bearbeitete Sache wieder in den ursprünglichen Rohzustand zurückgeführt werden könne, sei die Auffassung von Sabinus und Cassius richtiger, wenn das jedoch nicht möglich sei, dann die Auffassung von Nerva und Proculus. So kann z. B. das Gefäß eingeschmolzen und dadurch wieder zum Rohmaterial 28 29 30 31 Schröder, Rechtsgeschichte, Punkt 11, S. 114 ff. H. Hausmaninger, Casebook zum römischen Vertragsrecht, 4. Aufl., Wien 1990, Fall Nr. 75, S. 130 f. H. Hausmaninger, Das Schadenersatzrecht der lex Aquilia, 4. Aufl., Wien 1990, S. 43. Speciem ... fecerit, daher nennen Juristen die Verarbeitung auch Spezifikation. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 53 Gold, Silber oder Kupfer gemacht werden; der Wein aber oder das Getreide kann nicht wieder zu Trauben oder Ähren gemacht werden...32. II. Fragen 1. Welche Begründung führen 1. die Prokulianer, 2. die Sabinianer für ihre Ergebnisse an? 2. Was spricht schließlich für die media sententia? III. Rechtsentwicklung in der Neuzeit Die media sententia war auch im gemeinen Recht die herrschende. Das ALR folgte den Prokulianern, wenn der Hersteller gutgläubig war. Der Code civil übernahm die Ansicht der Sabinianer. IV. Lösung des BGB Wie ist demnach die Lösung des § 950 BGB einzuordnen? Warum Entscheidung des BGB für den Hersteller? "Die Würde der menschlichen Arbeit, in welcher der Geist mittels der von ihm beherrschten und in Geschicklichkeit umgewandelten Körperkraft aus Gegebenem neue Mittel für bessere Befriedigung menschlicher Bedürfnisse schafft, überwiegt bei der Abwägung der beteiligten Interessen das Gewicht des Stoffes weitaus"33. Voraussetzungen für § 950 BGB 1. "Verarbeitung oder Umbildung" 2. "Neue bewegliche Sache", nach Verkehrsanschauung, neue Bezeichnung kann Indiz sein. 3. Durch den Hersteller. 4. Berechnung, § 950 I 1, Halbs. 2, d. h. 1. Wert der neuen Sache, 2. abzüglich "Wert des Stoffes", 3. ergibt "Wert der Verarbeitung". 4. Dieser "Wert der Verarbeitung" (Punkt 3.) darf nicht "erheblich geringer sein" als "Wert des Stoffes" (Punkt 2.). Rechtsfolgen der Verarbeitung (wie bei §§ 946, 947 II und 948 BGB) 1. Eigentumsverlust der bisherigen Eigentümer der einzelnen Stoffe. 2. Hersteller wird Eigentümer der neuen Sache. 3. Obligatorische Ausgleichspflicht, §§ 951, 812. Rechtsfolgen aber nicht: Miteigentum, sondern "Alles oder Nichts". D. Quelle zum Familienrecht C. 5,25, 3 Die Kaiser Marc Aurel und Lucius Verus an Tatiana. Wenn du dem zuständigen Richter beweist, dass der Knabe, den du nach Deiner Behauptung von Claudius geboren hast, dessen Kind sei, dann wird er demselben (Claudius) befehlen, nach Maßgabe seines Vermögens jenem (dem Kinde) Alimente zu gewähren. Er wird auch ermessen, ob es bei demselben (Claudius) erzogen werden soll. Rom, den 17. Februar 162 34. 32 33 34 Übersetzung nach Hausmaninger, Casebook zum römischen Sachenrecht, Fall 120. R. Johow, Sachenrecht, hrsg. v. W. Schubert (Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches), 3 Bde., Berlin und New York 1982, Bd. 1, S. 949. Nach: C.E. Otto, B. Schilling, C. F. F. Sintenis, Das Corpus Iuris Civilis ins Deutsche übersetzt, Bd. 5, Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 54 E. Quelle zum Erbrecht D. 5, 3, 9 Ulpian im 15. Band seines Ediktskommentars. Man kann als Regel aufstellen, dass überhaupt derjenige auf Grund der Erbschaftsklage hafte, der ein Recht oder eine Sache aus der Erbschaft als Erbe oder als Besitzer inne hat35. F. Fragen zu den Quellentexten zu den fünf Büchern des BGB 1. Welche der Texte stammen aus einem Gesetz, aus einer kaiserlichen Entscheidung oder aus dem Bereich des Juristenrechts? 2. Aus welchen Teilen des Corpus Iuris Civilis stammen sie? 3. Ordnen Sie die einzelnen Texte bestimmten Regeln des BGB zu. 4. Inwieweit stimmen die antiken und die modernen Regeln überein, inwieweit sind sie unterschiedlich? 35 Leipzig 1832, S. 792 f. Nach: Otto, Schilling, Sintenis, Das Corpus Iuris Civilis ins Deutsche übersetzt, Bd. 1, 2. Aufl., S. 600. Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 55 Quellenverzeichnis Aristoteles Nikomachische Ethik V 1134 b 17 .............................................................S. 23 Nikomachische Ethik V 14, 1137 b 10 - 1138 b 28 ......................................S. 23 Politik, III 9 - 10, 1280b 29 - 1281 a 16 ....................................................S. 22 Bibel 2. Mose 20, 13-16...................................................................................S. 15 2. Mose 21,2 ..........................................................................................S. 15 2. Mose 21, 35 .......................................................................................S. 15 Matth. 5, 7-9 ..........................................................................................S. 18 Cicero De legibus 3,3,7 .....................................................................................S. 36 Codex Eschnunna § 53 ......................................................................................................S. 11 Codex Hammurabi § 9........................................................................................................S. 12 § 246 ....................................................................................................S. 12 Corpus Iuris Civilis C. 5,25,3 ...............................................................................................S. Const. Deo auctore 1,17,1, 3-5.................................................................S. Const. Tanta § 12 ...................................................................................S. Const. Tanta § 13 ...................................................................................S. Const. Tanta § 19 ...................................................................................S. D. 1,1,1. ................................................................................................S. D. 1,2,1 u. 2 ..........................................................................................S. D. 1,2,2,16 ............................................................................................S. D. 1,2,2,18 ............................................................................................S. D. 1,2,2,27 u. 28 ....................................................................................S. D. 5,3,9 .................................................................................................S. D. 9,2,2, pr. ..................................................................................... S. 40, D. 9,2,39 ...............................................................................................S. D. 18,1,9 ...............................................................................................S. D. 41,1,7,7 ............................................................................................S. I. 1,2,12 ................................................................................................S. I. 1,3, pr.-2............................................................................................S. I. 2,2, pr.-2............................................................................................S. I. 3,13, pr.-2 ..........................................................................................S. 52 47 46 46 46 27 35 35 36 35 53 51 41 51 51 48 48 48 48 Gaius Institutionen 1,3........................................................................................................S. 27 Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 56 Talmud Bawa Kamma 83b/84a. ...........................................................................S. 15 Zwölftafelgesetz Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. III. ................................................................................................S. IV. 2b.............................................................................................S. V. 3-5 ............................................................................................S. V. 7a ..............................................................................................S. VI. 1 ..............................................................................................S. VIII. 21 ..........................................................................................S. VIII. 24a.........................................................................................S. X. 1................................................................................................S. 30 30 31 31 31 31 31 31 Einführung in die Rechtsgeschichte der Antike Seite 57 Stichwortverzeichnis actio ..............................26, 37, 39, 43 Aedil .........................................29, 33 Altes Testament .......................... 13 ff. Aristoteles .................................. 21 ff. Babylonisches Recht ..................... 11 f. causa curiana.................................. 42 Caesar ...................................24 f., 34 Celsus ......................................... 27 f. Cicero ............................28, 30, 42, 44 Codex Eschnunna ............................ 11 Codex Hammurabi ........................... 12 comitia ......................................30, 34 Corpus Iuris Civilis.. 24, 28f., 36, 41, 46 ff., 49 Dekalog....................................... 14 f. Digesten..................................... 46 ff. Dominat ....................................24, 34 Drakon ........................................... 20 Edikte ................................. 26, 33, 45 emptio venditio ..........................37, 39 Ersitzung ...................................38, 40 exceptio ....................................26, 45 Fideikommiss .................................. 42 Formularprozess.........................33, 45 Gaius ............25, 28 f., 34, 40, 45 f., 51 Griechisches Recht....................... 19 ff. Hebräisches Recht ....................... 13 ff. impuberes ...................................... 38 infantes.......................................... 38 Institutiones ...........................28 f., 47 Ius gentium ................................. 26 f. Ius honorarium ..........................26, 32 Jüdisches Recht........................... 13 ff. Julian ........................................28, 45 Kodifikationsbegriff ........................ 8 ff. Konsensualkontrakt ......................... 39 Konsul............................. 25, 28, 32 ff. Labeo............................................. 28 Legat ............................................. 42 leges Liciniae Sextiae ..............24 ff., 32 Legisaktionenverfahren.....................44 lex Aquilia ...................... 26, 40, 41, 51 lex Hortensia ........................26, 27, 34 Litteralkontrakt................................39 locatio conductio ........................ 37, 39 mancipatio ............................ 37 ff., 41 minores viginti quinque annis ............38 Mommsen .......................................36 Neues Testament ......................... 17 ff. Papinian ...................................... 28 f. patria potestas ............................. 37 f. Patrizier ...........................25 ff., 29, 32 Paulus ......................................... 28 f. Platon..................................19, 21, 44 Plebejer ...................... 24, 25, 29, 32 f. Plebiszit ................................. 26 f., 40 Praetor ..............26 ff., 30, 32 f., 35, 43 Princeps....................... 25 f., 32 34, 35 Prinzipat ..........................24, 32 ff., 45 Proculus..........................................28 Realkontrakt ...................................39 rei vindicatio ............................. 39, 42 Republik ............................ 24 f., 32 ff. Rezeption..................................... 49 f. Sabinus ....................................... 28 f. Savigny .................................... 37, 40 Senat ................................ 25 f., 32 ff. Sokrates ................................... 19, 21 Solon ....................................... 19, 20 Staatsbegriff ...............................20 ff. Talmud ....................................... 14 ff. Torah .............................................14 traditio ...........................................40 Ulpian...............................28 f., 35, 40 usucapio .........................................40 Verbalkontrakt.................................39 Volkstribun......................................33 Zehn Gebote ............................. 15, 29 Zensor...................................... 33, 36 Zwölftafelgesetz ........................ 26, 30