Roger Behrens Sex-Pop Einige Anmerkungen zu Triebstruktur und
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Roger Behrens Sex-Pop Einige Anmerkungen zu Triebstruktur und
Behrens – Seite 1 Behrens – Seite 2 Sex-Begehren sein, sondern die Körper und die Lüste.«4 Roger Behrens Sex-Pop Einige Anmerkungen zu Triebstruktur und Gesellschaft im zwanzigsten Jahrhundert Zweifellos hat der Pop das Verhältnis zur Sexualität verändert und zweifellos hat der Sex im Namen des Pop das Verhältnis zur Kultur verändert. Rock ’n’ Roll meinte von Anfang an nicht einfach Musik, sondern eine wilde Musik des Begehrens, der Körper, der Lüste – eine mit der Kultur gebändigte Sexualität, die gleichzeitig als Befreiung des Sexes erscheint. Pop kann als die Fortsetzung der Sexualität mit anderen Mitteln verstanden werden. Rock ’n’ Roll Sexplosion Michel Foucault hat von einem Dispositiv der Sexualität gesprochen (Dispositiv = Vorkehrung, Apparat, Mechanismus …), von einem an »Massenkultur ist Psychoanalyse verkehrt herum.«1 »Kunstwerke sind asketisch und schamlos, Kulturindustrie ist pornographisch und prüde.«2 »Sexualität spielt keine besondere Rolle, das heißt, selbst in den zahlreichen Katastrophen, die sie den Spalten der Zeitungen liefert, ist nichts Besonderes, mit dem viel Aufhebens oder Rühmens zu machen wäre; es scheint, die Bedürfnisse, die der Sexus stellt, können leicht befriedigt werden: sie sind nicht so groß.«3 »Man muss sich von der Instanz des Sexes frei machen, will man die Mechanismen der Sexualität taktisch umkehren, um die Körper, die Lüste, die Wissen in ihrer Vielfältigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen die Zugriffe der Macht auszuspielen. Gegen das Sexualitätsdispositiv kann der Stützpunkt des Gegenangriffs nicht das 1 Leo Löwenthal, zitiert nach: Martin Jay, ›Dialektische Phantasie‹, Frankfurt am Main 1981, S. 209; vgl. auch Löwenthal ›Adorno und seine Kritiker‹, in: Schriften Bd. 4, Frankfurt am Main 1990, S. 61: »Es erfüllt mich mit Stolz und Genugtuung, dass Adorno meiner Kurzdefinition der ›faschistischen Agitation‹ und der ›Kulturindustrie‹ als ›umgekehrte Psychoanalyse‹ zustimmte und sie übernahm.« 2 den Sex gebundenen Machttypus, der bereits im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts, vor allem dann aber im zwanzigsten Jahrhundert zu einer ›Scientia sexualis‹ geführt hat, durch welche die alte, in der griechischen Antike gegründete ›ars erotica‹ abgedrängt, wenn nicht ersetzt wurde. Charakterisiert ist diese ›Scientia sexualis‹ durch eine Vermehrung der Diskurse über den Sex innerhalb der letzten drei Jahrhunderte – und die Annahme, dass wir es in der gegenwärtigen Gesellschaft mit einer Verknappung dieser Diskurse zu tun haben, also mit einer zunehmenden Tabuisierung des Sexes, enttarnt Foucault in seiner ›Histoire de la sexualité‹ als Effekt einer der Strategien, über den Sex zu reden, ja unablässig über ihn reden zu müssen: die Gesellschaft ist auf unterschiedlichsten Ebenen damit beschäftigt, den Sex zum Sprechen zu bringen, setzt nachgerade mit einer gewaltigen Obsession einen ›Wille zum Wissen‹ durch, der das Geständnis über den Sex – vor allem in seinen diskursiven Formen der Perversion – zur »Wahrheit« erhebt. »Die Frage, die ich stellen möchte, lautet nicht: weshalb werden wir unterdrückt? Sondern: weshalb sagen wir mit solcher Leidenschaft, mit solchem Groll gegen unsere jüngste Vergangenheit, gegen unsere Gegenwart und gegen uns selbst, dass wir unterdrückt werden? Durch welchen Spiralgang sind wir dahin gelangt, zu bejahen, dass der Sex verneint wird, ostentativ zu zeigen, dass wir ihn verbergen, zu sagen, Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, ›Dialektik der Aufklärung‹, in: Adorno, Gesammelte Schriften Bd. 3, Frankfurt am Main 1997, S. 162. 3 Bertolt Brecht, ›Sexualität des dritten Jahrzehnts‹, in: Schriften zur Politik und Gesellschaft 1919–1956, Frankfurt am Main 1974, S. 33. 4 Michel Foucault, ›Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I‹, Frankfurt am Main 1992, S. 187. Behrens – Seite 3 dass wir ihn verschwiegen – und das gerade dadurch, dass wir explizit darüber reden, dass wir ihn in seiner nacktesten Realität zu enthüllen suchen und dass wir ihn in der Positivität seiner Macht und seiner Wirkungen affirmieren?«5 Insbesondere wendet sich Foucault damit gegen die von ihm so genannte Repressionshypothese, wonach nicht nur der Sex unterdrückt sei und er befreit werden müsse, sondern die Befreiung des Sexes Mittel und Zweck der Emanzipation des Menschen ist. »Glauben wir nicht, dass man zur Macht nein sagt, indem man zum Sex ja sagt; man folgt damit Behrens – Seite 4 »A padded pink plastic SEX sign above the shop announces the arrival of a truly creative period. Clothing featuring sadomasochistic porno quotes and images alongside Situationist sloganeering are enhanced with the arrival of shopgirl Jordan. A t-shirt listing Westwood & McLaren’s ›loves and hates‹ with the title ›one day your gonna wake-up and know which side of the bed you’ve been lying on!‹ delivers the first mention of ›Kutie Jones & the Sex Pistols‹ The world is waking up to an uneasy stir at the bottom of the King’s Road …«7 Westwood eröffnete die Boutique 1971 unter dem Namen ›Let It Rock‹. vielmehr dem Lauf des allgemeinen Sexualitätsdispositivs … Ironie dieses Dispositivs: es macht uns glauben, dass es darin um unsere ›Befreiung‹ geht.«6 1975 wurden die Sex Pistols gegründet, 1977 erschien die einzige Langspielplatte ›Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols‹; im selben Jahr eröffnete in New York das ›Studio 54‹ und Foucault Mit Freuds Entdeckung des Unbewussten und die Kanalisierung der psychischen Dynamik auf die Libido werden die Diskurse über den Sex über die ganze Gesellschaft ausgeweitet und zugleich die Lüste im Namen der Sexualität vereinheitlicht und normalisiert: die Wahrheit der Sexualität wird in der allgemeinen Zur-Schau-Stellung des Sexes ebenso gesucht und gefunden, wie in den zahllosen wissenschaftlichen – medizinischen, psychiatrischen, forensischen etc. – Exkursen in die Welt des Sexes. Man kann von einer Rückkopplung zwischen der Diskursivierung des Sexes und der Sexualisierung der Diskurse sprechen, die von der Entfaltung der Popkultur in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht zu trennen ist: das »Alles ist Pop« am Ende des Jahrhunderts lässt sich ohne Weiteres in ein »Alles ist Sex« übersetzen. veröffentlicht ein Jahr zuvor, 1976, den ersten Band von ›Sexualität und Wahrheit‹. – Die massiven Veränderungen in der Kultur, die Simon Frith in seiner ›Sociology of Rock‹ 1978 noch als Konfrontation von Pop versus Rock beschrieb, die sich aber faktisch mit Disco und Punk, schließlich House, HipHop, Metal etc. zum allgemeinen Pop aufzulösen begann, bildet gleichsam den Ausdruckszusammenhang zu Foucaults Überlegungen; zugleich erscheint ›Sexualität und Wahrheit‹ ebenfalls als eine weitere Spezifizierung der Diskursivierung der Sexualität, als Fortsetzung von Foucaults eigener »Obsessionshypothese«. Foucault hat nicht den Sex als Machttypus sondern in seiner Theorie der Macht den Sex entdeckt. Er hat die Forderung nach Befreiung des Sexes nicht widerlegt, sondern schlichtweg annulliert; die sexuelle Unterdrückung hat er von den Körpern abgezogen, um den Körper gegen den Sex auszuspielen. »SEX« »SEX« prangt in großen Buchstaben 1974 als Name der von Vivienne Westwood und Malcolm McLaren in der Londoner King’s Road betriebenen Mode-Boutique: 5 Foucault, ›Der Wille zum Wissen‹, a. a. O., S. 18. 6 Foucault, ›Der Wille zum Wissen‹, a. a. O., S. 187 f. Die Vervielfältigung der Diskurse über den Sex überführt den Komplex von ›Sexualität und Wahrheit‹ in das, was Foucault »Bio-Macht« nennt. Auch wenn diese nach Foucault einen historisch neuen Machttypus darstellt (indem die Sexualität in die politische Anatomie des menschlichen Körpers und der Gesellschaft eingeschrieben wird), bedeutet diese Denkfigur dennoch eine Rückkehr zum Ausgangspunkt dieser Theorie: es geht um die Macht, die keine Herrschaft ist, keine personalisierte Instanz von Gewalt, sondern eine Struktur 7 http://www.seditionaries.com/History/history.htm (November 2007). Behrens – Seite 5 (beziehungsweise poststrukturalistisch gedacht: eine Struktur ohne Subjekt); eine Macht, zu der es kein Außen gibt. Es ist gleichwohl aber eine Macht, die bei aller Emphase Foucaults für die Lüste und das Fleisch merkwürdig körperlos bleibt – immateriell: es ist eine Macht des Sprechens, eine Ordnung der Diskurse. Die Macht ist die Matrix, die es den Poststrukturalisten Foucault erlaubt, eine Wahrheit und Wissen konstituierende Einheit der Sexualität zu behaupten, die am Ende zur Behrens – Seite 6 gleichzeitig jede Identität und Entität abgesprochen wird und versagt bleibt. Der Pop gestattet gleichzeitig, diesen Abschied vom bürgerlichen Subjekt und die Transformation zum Sexobjekt als Spektakel, das heißt als Spiel und als Fest zu inszenieren. Gesellschaftliche Probleme können als sexuelle Probleme formuliert werden; die Politik wird vom Sex erfasst und verliert sich in ihm. Die sexuelle Revolution, die noch bei Wilhelm Reich der politischen Revolution einhergehen sollte, ersetzt paradigmatischen Totalitätsstruktur der Gesellschaft wird (Bio-Politik). schließlich die politische Revolution; und die politischen Bewegungen der Linken konvertieren zu Sekten der politisierten Sexualität und Im Pop spiegelt sich diese Einheit, beziehungsweise erscheint die Sexualität in all ihren Facetten, wie sie heute zur Schau gestellt werden, als popkulturelle Matrix, an der die Einheit der Gesellschaft zum Ausdruck kommt. Die verschiedenen Erscheinungsweisen des Sexuellen lassen sich scheinbar ohne großen Aufwand auf das Sexuelle selbst kanalisieren. Was Foucault als »Macht« oder »Machttypus« klassifiziert ist jedoch Ideologie; als solche kann können die Diskurse über den Sex durchaus auf ein Dispositiv der Macht hinauslaufen, doch bleibt dies nur die abstrakte Bestimmung von dem, was hier konkret sich vollzieht: Über Sexualität wird eine Einheit konstruiert, die in den tatsächlichen, manifesten Strukturen der Gesellschaft nicht mehr aufrechtzuerhalten ist – die Identität des bürgerlichen Subjekts, die über die bürgerlichen Verhältnisse selbst nicht länger herstellbar ist, wird nun in einen Bereich verschoben, in dem jenseits aller sozialen Schranken und individuellen Differenzen die Gleichheit aller Menschen behauptet werden kann, und zwar auf quasi-naturwissenschaftlicher, biologischer Grundlage: der Mensch als Sexualwesen. Schon Freud entschlüsselte zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts die Sexualität gleichermaßen als Kitt, der die fragile Konstruktion des bürgerlichen Subjekts zusammenhält, und als Sprengstoff, der das Selbst auseinander zu reißen vermag. Mit der Entwicklung der spätkapitalistischen Kultur des Pop wird das Innere nach Außen gekehrt, die verborgenen Mechanismen des Trieblebens zur Schau gestellt und auf den Oberflächen der Körper inszeniert: der Mensch erscheint nicht mehr als bürgerliches Subjekt, sondern als Sexualobjekt (und im selben Maße, in dem das Sexuelle veräußert und vergegenständlicht wird, wird das Bürgerliche verinnerlicht und verdinglicht). So wie der Pop als Ideologie die Einheit einer Gesellschaft repräsentiert, die faktisch keine Einheit darstellt, so wird über den Sex die Einheit des Subjekts gewährleistet, dem sexualisierten Politik. ›Torches of Freedom‹ Die Entdeckung des Unbewussten durch die Psychoanalyse fällt mit den zahlreichen Veränderung der Moderne zusammen, die in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in der Kulturindustrie konvergieren: Die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse in der fordistischen Phase ist aufs engste mit der Mobilisierung der libidinösen Kräfte verbunden, indem die ökonomische Logik in der Triebstruktur der Menschen verankert wird; diese Mobilisierung entpuppt sich allerdings zugleich als Verdinglichung – die libidinösen Bewegungen werden für die Produktionsabläufe instrumentalisiert und in der gesellschaftlichen Inszenierung dieses Prozesses kollektiviert (in der Mode, im Sexualverhalten, in der Zur-Schau-Stellung des Sexes etc.); gleichzeitig wird die Lust immobil, das heißt privatisiert und im häuslichen Sexualleben stillgestellt. Der Warenfetisch fällt mit dem Sexualfetisch zusammen, die Ware wird sexualisiert und der Sex – weit über die tradierten Formen der Prostitution als so genannte käufliche Liebe hinaus – kommodifiziert. Freud argumentiert, dass das, was als Zivilisation und kultureller Fortschritt erscheint, Ergebnis einer Sublimierung der Triebe ist, Resultat des organisierten Aufschubs ihrer Erfüllung – das Lustprinzip wird durch das Realitätsprinzip ersetzt. Tatsächlich zeigt sich in der Entwicklung der kapitalistischen Kultur im zwanzigsten Jahrhundert, dass das Lustprinzip und das Realitätsprinzip konvergieren. Es muss immer weniger sublimiert (oder unterdrückt) werden: die Einlösung Behrens – Seite 7 sexueller Versprechen kann im immer größeren Umfang gewährleistet und nur noch wenige Sexualtabus müssen aufrechterhalten werden – gleichzeitig folgt daraus aber keine Stärkung des Lustprinzips; die Triebbefriedigung geschieht ungehemmt, aber ziellos. Die Triebe verlieren gewissermaßen ihren Inhalt je mehr sie in die Warenform übergehen. Der Sex wird von der Lust gelöst und einerseits abstrakt in das Symbolische verschoben (zum Beispiel: Kleidung symbolisiert sexuelle Attraktivität; alle möglichen spitzen Gegenstände können das Phallische symbolisieren, etc.), andererseits konkret auf die stereotype Geschlechtlichkeit des Menschen reduziert (das heißt nicht nur Sex = Geschlecht, sondern vor allem Geschlecht = Sex, im Sinne von: je erkennbarer das Geschlecht ist, desto mehr Sex …). Kommodifizierung heißt, dass auf der abstrakten Ebene in immer feineren Formen das Sexuelle symbolisiert werden kann (beziehungsweise immer mehr sexuelle Symbole geschaffen und Symbole sexuell gedeutet werden), dass hingegen auf der konkreten Ebene der als Geschlechtlichkeit manifeste Sex zur Ware und in die Produktion integriert wird (Pornografie, »Sexindustrie«, aber auch allgemein kulturelle Produktion, etwa Modeindustrie oder Nahrungs- und Genussmittelindustrie). Ein vielleicht auf den ersten Blick abseitig anmutendes, aber eben für die Subtilität der Verbindung von Libido und Alltagskultur bezeichnendes Beispiel dafür ist die unter dem Titel »Torches of Freedom« bekannt gewordene Kampagne, mit der Edward Bernays – Enkel von Sigmund Freud und »Erfinder« der modernen Public Relations – Anfang der neunzehnhundertzwanziger Jahre das Rauchen für Frauen etablierte: Aus der psychoanalytischen Theorie seines Onkels war Bernays bekannt, dass Zigaretten mit dem Phallus assoziiert werden; tatsächlich galt das Rauchen als Symbol von Männlichkeit beziehungsweise männlicher Macht. Bernays inszenierte auf der Fifth Avenue in New York eine der damals üblichen Frauenrechts-Demonstrationen und bezahlte Frauen dafür, als so genannte Suffragetten vor Fotografen mit brennenden Zigaretten zu posieren. Nicht des Geschmacks wegen, sondern in Konnotation mit der phallischen Symbolik wurde fortan das Rauchen bei Frauen als Zeichen ihrer politischen Emanzipation beliebt – Zigaretten waren somit »Fackeln der Freiheit«. Die Frauen entsprachen im Übrigen alle dem damaligen Schönheitsideal und erschienen als mondäne, selbstbewusste Angestellte … Behrens – Seite 8 ›Intimate Confessions‹ Pop ist untrennbar mit Sex verbunden; Sex ist vom Pop nicht zu trennen. Pop und Sex sind nicht bloß Abkürzungen (Pop = populär; Sex = Sexualität) und haben sich gleichermaßen als Begriffe verselbstständig. Beide Worte sind – nicht zuletzt wegen ihres lautmalerischen, allokutionären und performativen semantischen Charakters – zentrale und integrale Bestandteile der heutigen Alltagssprache. Pop ist schon in seinem Ursprung mit Sex verbunden. In der Collage ›I was a Rich Man’s Plaything‹, die Eduardo Paolozzi 1947 im Rahmen seiner ›Bunk‹-Serie anfertigt, taucht das erste Mal das Wort »Pop« im Kunstkontext auf: »POP!« steht in roten Buchstaben auf einer Rauchwolke vor der Pistole, aus der offenbar in diesem Moment ein Schuss abgefeuert wurde; harrscharf muss die Kugel am Kopf des Pinup-Girls vorbeigegangen sein, die sich keck auf dem Cover des Magazins ›Intimate Confessions‹ räkelt. Das Pin-up-Girl steht im Kontext mit zwei weiteren stark real-symbolisch aufgeladenen Bildelementen: eine CocaCola-Reklame und ein Propagandabildchen zur Unterstützung der USamerikanischen Luftwaffe verweisen auf die Bedeutung von Konsum und Militär. Anders gesagt: Sexualisierte Weiblichkeit, Warenkonsum und Krieg bilden eine Einheit, die gleichsam durch Waffengewalt – die Popkultur kommt gewissermaßen aus der Pistole geschossen – zusammengehalten wird. Paolozzis Collage wird erst 1971 das erste Mal ausgestellt; öffentlich bekannt wird das Wort »Pop« mit Richard Hamiltons Collage ›Just what is it that makes today’s Homes so different, so appealing?‹ (ein Poster für die Ausstellung ›This is Tomorrow‹, die 1956 in der Whitechapel Art Gallery in London zu sehen war): hier ist »Pop« als Warenmarke auf einem Lutscher zu lesen ist (ein so genannter »Lollipop«). Auch hier wird »Pop« onomatopoetisch im Sinne von ›to pop‹ = ›platzen‹, ›aufplatzen‹, ›schießen‹ oder ›knallen‹ verwendet, noch nicht als Kategorie von Kultur und noch nicht als Abkürzung von ›populär‹. Und auch hier steht es im unmittelbaren Zusammenhang mit Sexualität: Ein nackt posierender Bodybuilder hält den vergrößerten Pop-Lutscher wie einen Tennisschläger; der sexualisierte Männerkörper korrespondiert im Bildaufbau mit einer ebenfalls nackten Frau auf einem Sofa, die aufreizend ihre kaum verhüllten Brüste präsentiert. Diese Behrens – Seite 9 beiden Körper sind zwar als Anspielung auf Akt-Darstellungen der traditionellen Malerei zu verstehen, treten aber gleichzeitig ohne jede ästhetische Distanz aus dem Bild heraus: es sind keine Kunstfiguren, sondern Körper, die aus der alltäglichen Bilderwelt der Werbung, des Sports und des Entertainments bekannt sind. Hamiltons Collage zeigt einen Innenraum, ein typisches Wohnzimmer, wodurch die sexuelle Präsentation der Körper im selben Moment als Einblick in deren Privatsphäre erscheint. An der Wand hängt als Gemälde das Cover eines Comicmagazins: »Young Romance – True Love« ist darauf zu lesen; ein junger Mann macht einer jungen Frau ein Heiratsversprechen. Dies ist als Hinweis auf die im zwanzigsten Jahrhundert, und insbesondere in der Popkultur vollzogene Verschränkung von Liebe und Sexualität zu verstehen, die in der bürgerlichen Gesellschaft durch die Monogamie gesichert wird. Interessant ist, was auf diesen beiden Collagen von Paolozzi und Hamilton alles nicht zu sehen ist: für diese Bilder gilt gleichsam, was Brecht einmal für die Fotografie konstatierte – die Wirklichkeit ist in die Funktionale gerutscht, das heißt über die Produktionsverhältnisse, oder besser, über die grundlegende gesellschaftliche Struktur ist nichts zu erfahren; was das Leben in der Gegenwart im innersten zusammenhält, ist auf den Collagen nicht zu erkennen. Gleichwohl geben sie aber vor, die Wirklichkeit und ihre Struktur darzustellen – das verrät natürlich allein schon der Titel von Hamiltons Collage ›Just What Is It That Makes Today's Home So Different, So Appealing?‹. Die Antwort, die Hamilton uns gibt, beschränkt sich auf die Kultur, beziehungsweise auf das Idealbild des modernen Alltagslebens, welches von Konsum und Freizeit geprägt ist (oder zumindest ideologisch so vorgestellt wird); in dem das, was das gegenwärtige Leben so anders und anziehend macht, aber darauf kanalisiert wird und gleichzeitig diese Bilder »sexuell« aufgeladen werden, sind zwei für den Pop entscheidende Strategien zusammengebracht: Kulturalisierung und Sexualisierung (ein altmodischer Begriff wie Sittlichkeit, der einmal Kultur bezeichnete und dann aber sich zunehmend auf das Sexualverhalten verengte – z. B. das Behrens – Seite 10 Sittendezernat – verweist auf diese Konvergenz in eigentümliche Weise).8 Sexualisierung heißt nicht, dass es tatsächlich innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung mehr Freiraum für Sexualität (in welcher Weise auch immer dies zu verstehen wäre) gibt. So wie Kulturalisierung vor allem die Ideologie meint, die aus gesellschaftlichen Verhältnissen kulturelle macht und damit das spezifisch Gesellschaftliche unterschlägt (das, was den Menschen zum gesellschaftlichen Wesen macht), so bezeichnet auch die Sexualisierung eine Ideologie der Verschiebung als Verdrängung – eine Kanalisierung durch den Sex. Signifikant für die Sexualisierung ist es indes, dass sie immer auch das Gegenteil bedeuten kann, und zumeist auch faktisch bedeutet: Desexualisierung und Pseudosexualisierung (beziehungsweise Desexualisierung als Pseudosexualisierung und umgekehrt). Die einfachste Strategie der Sexualisierung ist die Aufwertung durch das Sexuelle, die in der gegenwärtigen Gesellschaft in unterschiedlicher Weise angeboten wird – gemeinsam ist ihr in der Regel, eine schwache oder als schwach empfundene soziale Stellung durch die Zur-SchauStellung der Sexualität zu überwinden oder zumindest zu verdrängen. Casting-Shows im Fernsehen funktionieren ebenso nach diesem Prinzip wie die verschiedenen Sexualisierungen innerhalb der Linken (von der »Kommune I« bis zum ›Kontrasexuellen Manifest‹). In welcher Weise in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts Sexualisierung und Kulturalisierung verschränkt werden, findet auch in dem Titel von Paolozzis Collage seinen Ausdruck: ›I was a Rich Man’s Plaything‹ ist eine der Schlagzeilen auf dem in der Collage verwendeten Cover der Illustrierten ›Intimate Confessions‹. In der Kombination mit dem lasziven Pin-up-Girl sind die »Intime Geständnisse« keine für die gesellschaftliche Ordnung untragbaren Anomalien, nichts was ideologisch verwerflich ist; in Überschriften wie »I Confess«, »If this be Sin« und »Dauther of Sin« wird mit den religiösen Konnotationen lediglich gespielt; hier droht keine kirchliche Inquisition – der Sex wird nicht der Beichte unterworfen, sondern die Beichte wird dem Sex 8 Vgl. hierzu Walter Benjamin, ›Eduard Fuchs, der Sammler und der Historiker‹, in: Ders., ›Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit‹, Frankfurt am Main 2003, S. 65 ff. technischen Behrens – Seite 11 unterworfen. Und unterhalb der Pistole ist in Großbuchstaben das Wort »true« zu lesen: ›wahr‹. – Geständnis, Wahrheit und Sexualität formen sich hier zu einem Komplex, der unweigerlich Foucaults ›Wille zum Wissen‹ in Erinnerung ruft; auch Hamiltons Collage, in der voyeuristisch das (sexuelle) Privatleben zur Schau gestellt wird, lässt sich als Illustration der Foucaultschen Überlegungen interpretieren. Tatsächlich offenbaren beide Collagen, obwohl man über die Struktur Behrens – Seite 12 Die Repressionshypothese sieht Foucault etwa prominent durch Wilhelm Reich oder Herbert Marcuse vertreten. Foucault reduziert deren kritische Theorie der Sexualität auf eben eine »Hypothese«, nämlich die vom unterdrückten Sex. Unterstellt hat Foucault damit, dass die Vertreter der Repressionshypothese gleichsam die Sexualität nur im Sinne einer Diskursanalyse verhandeln; manifeste Formen sexueller Gewalt – Vergewaltigungen, Diskriminierungen, sexuelle Denunziation, der Gesellschaft, also über die Produktionsverhältnisse, nichts erfährt, die Sexualität als ein »soziales Verhältnisse«, eingebettet in eine sexuelle Ausbeutung etc. – kommen bei Foucault nicht vor und spielen für seine Konstruktion eines auf den Sex bezogenen Machttypus keine kulturelle Logik der spätkapitalistischen Ideologie. Rolle. Damit verschwimmt aber auch vollkommen, was eine Hypothese von der unterdrückten Sexualität bedeutet: Für Foucault scheint dies eine falsche Vorstellung davon zu sein, wie über den Sex geredet oder Das intime Geständnis: Es beichtet nicht irgendjemand irgendeinen Sex, sondern es ist das als Pin-up verkleidete Mädchen, welches gesteht, das Spielzeug eines reichen Mannes gewesen zu sein. Sexualität definiert und reproduziert hier soziale Verhältnisse des Subjekts (Geschlecht, »Rasse«, Klasse etc.), die in der poststrukturalistischen Perspektive entweder vollständig außer Acht gelassen werden, oder sich nur aus der redundanten Konstruktion des Sexes ergeben. – Auch in Hamiltons Collage ist das Ideal des nackten Menschen nicht von den Geschlechterverhältnissen und ihren klassenspezifischen Ausprägungen unabhängig: alles, was in diesem Wohnzimmer zu sehen ist, symbolisiert die Angestelltenkultur der fünfziger Jahre, den neuen Wohlstand der nunmehr universalisierten Mittelklasse. Die gesellschaftlichen Widersprüche sollen fortan nicht mehr auf der Ebene der Produktion, sondern auf der Ebene der Konsumtion gelöst werden: die Arbeit erscheint als Anhängsel der Freizeit, als notwendiges Übel einer Gesellschaft, die sich scheinbar vollständig durch den Konsum aufrechterhält. Auch wenn der Sex sich scheinbar immer weiter vom Kapitalismus entfernt und zunehmend von der bürgerlichen Gesellschaft entkoppelt wird, kann dennoch von einer Konzentration des Komplexes Sex, Ware, Subjekt gesprochen werden. Die von Foucault beschriebenen Vermehrungen der Diskurse über den Sex stehen dabei überhaupt nicht im Gegensatz zu der von ihm als »Repressionshypothese« bezeichneten Diagnose, dass der Sex einer zunehmenden Unterdrückung ausgesetzt ist. Gerade das Interesse am Sex in der kapitalistischen Gesellschaft läuft, weil es das verdinglichte Interesse der Verwertungslogik ist, auf eine Fortsetzung und Verschärfung der Unterdrückung der Sexualität hinaus. nicht geredet wird. Tatsächlich gehört zur kritischen Theorie der Sexualität, wie sie bei Reich oder Marcuse – trotz aller frappierenden Differenzen – formuliert wird, die Dialektik von sexueller Repression und repressiver Sexualität. Sie begründet sich nicht, wie Foucault zu unterstellen scheint, in der Befreiung der Sexualität an sich, nicht in einer – wie auch immer verzerrt – imaginierten »normalen Sexualität« oder »sexuellen Norm«, sondern in der Utopie der Befreiung, die nichts anderes ist als die Utopie der Emanzipation des Subjekts. Im Interesse dieses Subjekts diagnostiziert die kritische Theorie – darin ganz und gar Marx’ Radikalitäts-Postulat folgend – die »Unterdrückung«; und dass es diese im Bereich der Sexualität gibt, bedarf keines wissenschaftlichen Beweises, sondern ist historisch-faktisch evident. Die repressive Sexualität und die sexuelle Repression ist indes Ausdruck, Symptom und schließlich durchaus auch Ursache für eine repressive Struktur der Gesamtgesellschaft, die der kapitalistischen Verwertungslogik unterworfen ist. Für Reich stellte sich die Frage der ›Sexuellen Revolution‹, die Frage der ›Sexualität im Kulturkampf‹9 vor dem Hintergrund des Klassenkampfes und des Nationalsozialismus. Bei Marcuse geht es – zuerst 1955 in ›Eros and Civilization‹ – um die Veränderungen der psychischen Dynamik durch die Ersetzung des Realitätsprinzips durch ein Leistungsprinzip und die Folgen der von 9 Wilhelm Reichs Buch ›Die Sexuelle Revolution‹ von 1966, auf das wahrscheinlich Foucault auch anspielt, erschien 1936 unter dem Titel ›Die Sexualität im Kulturkampf. Zur sozialistischen Umstrukturierung des Menschen‹. Behrens – Seite 13 Marcuse so genannten »repressiven Entsublimierung«; dabei ging es, wenn es überhaupt explizit um »Sex« ging, um die Abhängigkeit der sexuellen Beziehungen von ökonomischen Faktoren, die durch den fortgeschrittenen Kapitalismus und seine Ideologie bestimmt sind. – Also: eine »Repressionshypothese«, wie Foucault sie zu seinem Gegner erklärt, hat es zumindest in der kritischen Theorie der Gesellschaft und ihren Versuchen, Marx und Freud produktiv zu verbinden, nie Behrens – Seite 14 wahrnehmbar ist (in Hinblick auf die Produktion ist er ein ökonomisches Problem, das Wirtschaftsexperten, Unternehmern und Politikern überlassen wird). Pop erscheint als Sphäre, in der gesellschaftliche Widersprüche beständig neu verhandelt werden können, ohne dabei mit der gesellschaftlichen Struktur, die ja wesentlich in diesen Widersprüchen fundiert ist, in Konflikt zu geraten. Darin kommt eine Kulturalisierung zum Ausdruck, für die der Pop gegeben. gleichermaßen als Symptom und Ursache beschrieben werden kann: »Gesellschaft« wird durch »Kultur« ersetzt. Der Kapitalismus geht dabei Sex sells »Kultur« und »Sexualität« sind keine Invarianten; ihre ideologische und reale Bedeutung verändert sich mit der gesellschaftlichen Organisation individueller Bedürfnisse. Signifikant wird das in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mit der Aufhebung der Kulturindustrie in Popkultur. Hier wird die politische Emphase der Moderne, die einmal im neunzehnten Jahrhundert als Ganze im Zeichen der Revolution stand, auf die technologische Revolution und die sexuelle Revolution kanalisiert, die darüber hinaus tendenziell zusammenfallen: die mit dem vermeintlichen technischen Fortschritts verbundene Idee der Freiheit beschränkt sich zumeist auf die Liberalisierung des Sexes, während umgekehrt die sexuelle Freizügigkeit an Formen technologischer Rationalisierung gebunden wird – das wird nicht nur durch die zahlreichen Beispiele aus der Werbung illustriert (am bekanntesten dürfte dabei die Verbindung von Frau und Automobil sein), sondern vor allem durch den Pop selbst, von seinen Ursprüngen in der Dreifaltigkeit von Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll sowie der Verkörperung oder besser Leibwerdung des Begehrens im Soul in den fünfziger Jahren, über die Formen von Love & Peace in den sechziger Jahren, die in den siebziger Jahren schließlich mit Disco und Punk gleichermaßen durch Feminismus, Schwulen-Lesben-Bewegung, SM etc. ergänzt oder transformiert wurden, über die Achtziger und Neunziger bis heute: Techno, Sexyness, ›queer politics‹, die Entkörperlichung der Kultur und Immaterialisierung der Sexualität durch den Popdiskurs und die Dekonstruktion des Subjekts. über die Ausdehnung der Warenproduktion in die Kultur noch hinaus: die Warenproduktion wird selbst Kultur. Kann man die Kulturindustrie, die die Phase des Fordismus bestimmt, durch das Zur-Ware-Werden der Kultur definieren, so bestimmt sich der Pop, der die Phase des Postfordismus prägt, über das Zur-Kultur-Werden der Waren. Insofern Kulturalisierung und Sexualisierung miteinander verschränkt sind, kommt dem kommodifizierten Sex nunmehr eine besondere Funktion zu: Am Sex kristallisiert sich, inwieweit im fortgeschrittenen Kapitalismus einerseits der Tauschwert zu einem neuen Gebrauchswert der Waren wird und andererseits das über den Sex vermittelte Gebrauchswertversprechen zu einem Tauschwertversprechen wird. Das sind gleichwohl abstrakte Prozesse, die in der kulturellen Praxis ihre Konkretion erfahren: Dort, wo die technologische Rationalität am weitesten fortgeschritten ist, nämlich in der Technik selbst, repräsentiert der Sex in vielfältiger Weise das Lebendige, das Emotionale, das Natürliche, das Menschliche, das Schöpferische etc. Das Sex-Objekt wird zum toten Sex-Subjekt, das lebendige Subjekt zur Sexmaschine, zur sexualisierten »Wunschmaschine«. Pop bezeichnet eine kapitalistische Gesellschaft, in der der Kapitalismus Beispiele dafür finden sich in den mit Technik und Modernität verschränkten Frauenbildern des Jugendstils um 1900, aus denen die späteren massenmedialen Inszenierungen von moderner Weiblichkeit hervorgehen – von Langs ›Metropolis‹ bis zu den CyborgIdealisierungen bei Donna Haraway und in der Techno-Szene. Bemerkenswerter Weise geht es hierbei zumeist um den Körper, der – bei aller gleichzeitigen Kritik der an ihm zum Ausdruck kommenden Verhältnisse von Sex & Gender – merkwürdig auf den gleichermaßen verdinglichten und ästhetisierten Formen der Geschlechtlichkeit beschränkt bleibt. Lust, Begehren, Libido, sexuelle Bedürfnisse etc. nur noch in Bezug auf den Konsum als gesellschaftliches Phänomen erscheinen als ideologisch nachträglich in die sexualisierten wie Behrens – Seite 15 geschlechts-dekonstruierten Körper eingepflanzt; interessanterweise orientieren sich Kritik und konforme Aufrechterhaltung der zweigeschlechtlichen Matrix latent oder offensiv immer am barocken Ideal der Maschine, konfrontieren also die (post-) moderne Realität der Sexualverhältnisse mit ihren vormodernen, längst vergangenen Idealen. Der Barock bildet eine Art historischen Nullpunkt, von dem aus sich Bilder entfalten, in denen idealisierte Vorstellungen von Vergangenheit (Urgeschichte, Urzustand) und Zukunft (Posthistorie, nach der Geschichte) gleichermaßen verkettet entfaltet werden: Der wilde Sex entfesselter Männlichkeit und Weiblichkeit, das ungehemmt waltende Lustprinzip, wird von einem in der totalen Apparatur verdinglichten Realitätsprinzip eingeschlossen und geschützt: der Modernismus von ›Metropolis‹ wird von ›Barbarella‹, ›Conan‹, ›Mad Max‹, aber auch ›Matrix‹ (insbesondere der zweite Teil) und anderen kinegrafischen Bildproduktionen wie ›Underworld‹ ab- und aufgelöst, gleichzeitig aber auch in den phantastischen Cyber-Pornografien bewahrt und aktualisiert (›Ghost in the Shell‹, ›Elektra‹, ›Æon Flux‹). Die sexuelle Kulturalisierung und die kulturelle Sexualisierung der Gesellschaft im Pop geriert allerdings eine Bilderordnung, die ihre symbolische Prägnanz sukzessive verliert. Eine Werbung wie die »Geiz ist geil«-Kampagne des Saturn-Konzerns (2003–2007) gibt nichts mehr her, außer dass sie diesen Spruch bekannt gemacht hat, dass sie das im Spot auftauchende Model Sarah Kickuth-Latraverse als namenlose Ikone stilisiert hat und dass sie wahrscheinlich den an der Werbung beteiligten Unternehmen einigen Gewinn beschert haben dürfte. Was man gleichsam als Betrug oder geschickten Reklametrick interpretieren könnte, verliert sich rasch in der bedeutungs- und belanglosen Assoziation: Freilich kann man sich ausdenken, wie gewieft die Werbestrategen den (männlichen) Blick auf ein digitales Chaos zu Beginn eines jeden Spots konzentrieren, welches – den Ansprüchen des »analen Charakter« gemäß, der sich in Pedanterie, Ordnungszwang und Geiz äußert – kreativ geordnet wird, dem dann mit sauber gerenderten Brüsten die laszive Frau als Superheldin entsteigt, um ihren nur scheinbar widersinnigen Satz »Geiz ist geil!« aufzusagen, mit dem sie dann verschiedene Angebote aus dem Sortiment präsentiert; in den dreißig Sekunden eines jeden dieser Spots könnte sicherlich verschiedene Stufen der Pseudobefriedigung, der Sublimierung, des Aufschubs, der Abwehr etc. ausgemacht werden; ohne Weiteres ließen Behrens – Seite 16 sich in kritischer oder affirmativer Absicht Parallelen zur neuen und ungleich banaleren »Wir lieben Technik, wir hassen teuer«-Kampagne herstellen, die freilich wieder nicht auf die comicartig überzeichnete Frau verzichten wollte. Und so weiter. Dabei ist die Funktionsweise dieser Werbung so billig und einfach wie die jeder anderen Werbung: »Sex sells«. Dieser Satz gehört zum Grundgesetz des Pop: 1953 erschien im ersten Heft des Magazins ›Playboy‹ die nackte Marilyn Monroe … In einer Gesellschaft, in der tendenziell alles sexuell ist und alles auch Sex sein kann, bedarf es keiner unnötigen Anstrengungen mehr: es wird an die niedersten Instinkte appelliert, zu denen die Sexualität mittlerweile herabgerutscht ist. Was das Sexuelle als soziales Verhältnis in Zeiten des Pop schließlich noch signifikant macht, ist eben nicht die Vermehrung der Diskurse über den Sex, das Reden und der spielerische Zwang des Redens über ihn, sondern die Normalität der Gewalt, der die sexualisierten Körper auch und allemal im Pop ausgeliefert sind. [Hallenbaduniversität; FSK – Erstsendung: 6. Februar 2008, 14–15.00 Uhr; Sprechzeit: {noch nicht ermittelt} Minuten]