Reisebericht Günther Engelhart zum Honolulu Marathon
Transcrição
Reisebericht Günther Engelhart zum Honolulu Marathon
Ein Marathon-Volksfest Locker über 42,195 km - Hawaiis Generalmotto „Hang loose“ gilt (auch) laufend Ich bin ja einer, der 40 km schon regelmäßig unter vier Stunden läuft, dem es aber trotzdem noch nicht gelungen ist, eine Marathon-Endzeit zu erreichen, die mit einer 3 beginnt. Vielleicht, weil meine Liebe eigentlich dem Triathlon gehört. 4.05 bis 4.10 jedenfalls sind meine beliebtesten Marathonzeiten. Ich nahm mir vor, mich zu meinem 50er und damit im Jahre 2012 mit einem besonderen Marathon zu beschenken. Honolulu, Hawaii, schien mir ideal. Ein Jahr reifte das Projekt bis zu seiner Umsetzung am 9. Dezember. Training selbstgestrickt, was halt leicht machbar ist neben Job und Familie. In diesem Jahr lief ich gute 1.300 km, dazu kamen 2000 km auf dem Fahrrad und fünf Längen schwimmen in der Südstadt bei Wien (Achtung! 50-Meter-Becken, nur um Rechenfehlern vorzubeugen). Weil man viel hört über den Honolulu Marathon (Hitze, Wind, tropische Verhältnisse, durchschnittliche Finisher-Zeit bei 5.30 Stunden …), zügelte ich meinen Ehrgeiz und blieb bescheiden. Fünf minus mussten es aber jedenfalls werden, 4 Stunden 30 waren das erklärte Ziel, für jede Minute darunter versprach ich mir als wirkungsvolle Selbstmotivation einen Mai Tai als Belohnung. Aus Respekt vor diesem Drink und ohne Lust, alkoholvergiftet einen hospitalitären Folge-Aufenthalt mitten im Pazifik anzustreben, pendelte ich mich schließlich bei einem Dutzend Mai Tais ein. Richtig: 4 Stunden 18 war letztlich meine Endzeit. Doch von Beginn, ist gleich 5 Uhr früh, an: Man muss erleben, weil es unbeschreiblich ist, wenn sich 13.000 JapanerInnen und 12.000 EnthusiastInnen aus der restlichen Welt zu nachtschlafender Zeit mitten in der Hawaii-Metropole auf die Reise machen. Ein gigantisches Feuerwerk und fallweise fußballstadiontaugliche Straßenbeleuchtung bringen Licht ins tageszeitliche Dunkel. Ich ging es sehr vorsichtig an. Elfeinhalb Minuten nach 2 km bzw. 57 nach 10 km waren eine ideale Marschroute, und anfangs verbrauchte ich unglaublich viel Mentalenergie, um meinen Ehrgeiz zu zügeln. Das schonte den Köper, der Kopf ist ohnedies schnell erneuerbar. Bei km 13 kam ein kurzer aber heftiger Anstieg. Fließen lassen und keine Kraft verschwenden, empfahl unser Trainer und Betreuer Herbert Steffny. Ich ließ es derart fließen, dass ich den Eindruck hatte, bergab zu laufen. Ein paar taschenbelampte Streckenposten schrien sich meinen Namen nennend die Seele aus dem Leib. Prangte auch in Riesenlettern von meiner Brust. Die, die mich überholten, waren mir gleichgültig, ich kannte sie ja nicht. Nur bei ein paar Japanern hatte ich das Gefühl, sie am Vorabend in den Lokalen am Waikiki Beach schon mal gesehen zu haben. Ich lächelte ihnen mitleidig nach. Und überholte sie 25 km später, also bei km 38, zurück, denn da galt es den gleichen Anstieg in der Gegenrichtung zu bewältigen. Sie alle gingen dann schon, ich lief noch immer. Zwar jetzt ohne das bergab-Gefühl, das kam erst dann, als es tatsächlich bergab ging und keine Kraft mehr da war zum Bremsen. Was dazwischen war? Die Sonne ging auf, und die immer wärmer werdende Luft legte sich als unsichtbare Haut rund um den Körper. Der wehrte sich mit der Absonderung von Wasser dagegen. Dieses musste natürlich ersetzt werden. Etwa sechs Liter füllte ich während der gesamten Distanz nach, was verbrauchstechnisch einer Luxuslimousine gleichkam. Weitere sechs Liter dienten, äußerlich über Kopf und Körper verteilt, der Kühlung. Bald kamen mir, da es auch einen „Gegenverkehrsbereich“ gab, die ersten Läufer - eine Handvoll langbeiniger Leichtgewichte kenianischer und äthiopischer Herkunft – entgegen. Die waren da schon bei km 34, ich bei 19. Plötzlich auch der erste Japaner. Den kannte ich definitiv nicht vom Vorabend. Dieser Gegenverkehrsbereich war ein genialer Griff der Streckendesigner in die Trickkiste. Man sieht, wer noch aller hinter einem läuft, so man sich nicht in der Nähe des Schlusslichtes befindet. Das motiviert für die letzten zähen Kilometer. Als Schlusslicht wiederum hat man die Motivation, im offiziellen Laufbericht genannt zu werden. In meinem Fall waren das noch etwa 22.600 Läufer, die mir entgegen kamen. Natürlich kannte ich so gut wie niemanden, außer die bereits erwähnten Japaner vom Vorabend, wobei ich aber zweifle, ob das wirklich auch die vom Vortag waren. Einige kamen im Business-Anzug, andere in - tok tok tok - Holzschuhen, wieder andere als Santa Claus mit asiatischen Gesichtszügen, oder sonst lustig verkleidet. Wie auch immer, „Teriyaki“, grüßte ich auf die Gegenseite, und „Sushi“ - das waren die einzigen beiden Wörter, die ich auf Japanisch beherrschte. Zu spät fiel mir dann auch noch „Sayonara“ ein. Die AC/DC-Hymne „Highway To Hell“ dröhnte mir von auf einem Pickup gestapelten Boxen entgegen, anspornend, am Fuße der letzten Steigung bei km 38. „It’s A long Way To The Top“ kam mir in den Sinn und hätte auch besser gepasst. Nein, es war definitiv kein Höllenritt. Der Honolulu Marathon hat Volksfest-Charakter. Keine verbissene Tempojagd, kein Lauf für persönliche Rekorde – man will’s ja genießen. Auch wenn körperlich ein „locker bleiben“ auf der Zielgeraden schon schwer fiel – gedanklich bringt man das „Hang loose“ nicht weg. Und das ist gut so. 4 Stunden, 18 Minuten und 25 Sekunden nach dem Start hat man mich als 2.448. im Ziel mit einem „Aloha“ begrüßt. Zwei Wochen später war ich, nach zweisamkeitsgeprägten Trips mit meiner Frau auf Big Island, Maui und Kauai, wieder in Honolulu. Und spazierte die letzten drei Kilometer der Marathonstrecke ab. In Gedanken spulte ich den gesamten Lauf nochmals ab. Und kam zu der Erkenntnis, dass die mentale Bewältigung um einiges leichter und vor allem um vieles schneller geht. Ich schaffte die zweite, die mentale, Auflage des HonoluluMarathons in der Weltrekordzeit von unter einer Stunde. Ein wertloser Rekord. Wertvoller die zeitlich verzögerte Beantwortung der Frage, ob es mit gut ging oder schlecht: Es ging mir gut. Zwei Wochen zuvor, und ganz besonders jetzt. Günter Engelhart Österreich