Auf der Walz
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Auf der Walz
T h e m e n kalender 46 47 Auch Mädchen gehen heute auf die Walz. 80 mal 80 Zentimeter großen Tuch, das kunstvoll zusammengerollt wird, sind Handwerkszeug, Wasch- und Schuhputzzeug sowie Unterwäsche verpackt. Nicht zu übersehen der „Stenz“, der bizarr gedrehte Knotenstock. Der „rechtschaffene fremde Geselle“ trägt auch ein Wanderbuch bei sich, welches in vier Sprachen geschrieben den Charakter eines Reisepasses hat und den Inhaber als „echtmäßig fremdgeschriebenen Gesellen“ ausweist. n Deutschland sollen es noch an die 600 sein, die zwischen Gesellen- und Meisterprüfung als „Tippler“ durch die Lande wandern. Auch durch Österreich „walzen“ noch ab und zu „fahrende“ Handwerksgesellen. Die Wanderschaft dauert drei Jahre und einen Tag, wobei sich der fahrende Geselle seinem Heimatort nur auf 50 Kilometer nähern darf. Längere Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind tabu. Genächtigt wird in Jugendherbergen, unter Heuschobern oder unter freiem Himmel. Bei einem Meister darf der Geselle maximal drei Monate lang für Kost und Logis arbeiten. Unschwer zu erkennen sind die „fahrenden“ Gesellen an ihrer schwarzen Kleidung: Dazu gehören beispielsweise bei den Maurern und Zimmerleuten ein schwarzes Wams mit großen Perlmuttknöpfen, eine schwarze Samthose mit weiten Hosenbeinen, ein weißes, kragenloses Hemd, schwarze Schuhe oder Stiefel, ein schwarzer Zylinder oder noch häufiger der breite schwarze Schlapphut, den die Wanderburschen nur „vor dem Herrn und vor einer vollen Schüssel“ abnehmen. Wie die Kleidung ist auch das weitere „Zubehör“ der Wandergesellen auffällig: Im „Charlottenburger“ oder „Charlie“, einem Zünfte und Gesellenverbände Die „rechtschaffenen fremden Gesellen“ sind eine überparteiliche, überreligiöse und übernationale Vereinigung von gleichgesinnten Bauhandwerkern, die in die Welt ziehen, um sich mit den Bräuchen, Lebensgewohnheiten und Arbeitspraktiken anderer Völker vertraut zu machen und berufliche Erfahrungen zu sammeln. Sie sind die älteste noch existierende deutsche Zunft für das Maurer- und Steinhauerhandwerk sowie für die Zimmerer und Schieferdecker. Die Mitgliedschaft muss „erwandert“ werden, der Aspirant muss eine ins Baufach fallende Gesellenprüfung abgelegt haben, soll zuverlässig und kameradschaftlich, schuldenfrei, nicht über 30 Jahre und unverheiratet sein. Nach dreijähriger Wanderschaft kann er sich „einheimisch melden“, wird zum „einheimischen fremden Gesellen“ und kann sich nach Ablegung der Meisterprüfung sesshaft machen. Zünfte waren ursprünglich Vereinigungen von Handwerkern desselben Handwerkerzweiges zum gemeinsamen Schutz und zur Regelung von Gewerbefragen. Vollberechtigte Zunftmitglieder waren nur Handwerksmeister, deren Frauen und Kinder. Lehrlinge und Gesellen waren weitgehend rechtlos, wurden vielfach ausgebeutet und gezüchtigt und zählten zu den besitzlosen Habenichtsen. Im Mittelalter gegründete Fotos: Gerhard Spanring Einst mussten die Handwerksgesellen nach der Lehre auf die Walz (auch Stör, Tippelei oder Gesellenwanderung genannt) gehen, um neue Arbeitspraktiken kennen zu lernen und Lebenserfahrung zu sammeln. Erst danach wurden sie zur Meisterprüfung zugelassen. Meister kann man seit gut einem Jahrhundert auch ohne Walz werden, trotzdem begeben sich auch heute noch Gesellen auf Wanderschaft. I Auf der Walz Auffällig ist nicht nur die Tracht, sondern auch der gedrehte Stock. Gesellenverbände erzwangen von den Meistern geregelte Arbeitszeiten bei gerechten Löhnen, Lehrlingsausbildung und Aufwertung des Gesellenstandes. Nicht nur Kleidung und „Zubehör“ der Wandergesellen sind auffällig, auch zunftbezogene Ausdrücke unterscheiden sich von der üblichen Sprache: Meinen doch die fahrenden Gesellen unter „Schmalmachen beim Krauter“ die zünftige Vorsprache bei einem Meister um Quartier und Arbeit. Im „Krug“, also in der Herberge, „schallern“ (singen) die Wanderburschen zünftige Gesellenlieder und klatschen im Takt, wenn in fröhlicher Runde „Kölm“ (Schnaps) und Bier getrunken wird. Gerhard Spanring