Stirbt die Handschrift aus? Start einer Umfrage
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Stirbt die Handschrift aus? Start einer Umfrage
Stirbt die Handschrift aus? Start einer Umfrage Die Handschrift wird im Alltag zurückgedrängt. In den Schulen häufen sich Probleme, die damit zu tun haben. Der Deutsche Lehrerverband startet in Kooperation mit dem Schreibmotorik Institut e.V. deshalb jetzt eine Umfrage unter den Kolleginnen und Kollegen (erreichbar unter www.4teachers.de). Gesucht werden Wege, um die Kulturtechnik zu retten. Denn es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Schreiben mit der Hand und dem Lernen. In den meisten US-Bundesstaaten ist das Schreiben mit der Hand kein Pflichtprogramm mehr für Grundschüler. Eine Schreibschrift zu vermitteln, ist in dem neuen nationalen Kernlehrplan – der bereits von mehr als 40 der 50 Bundesstaaten ratifiziert wurde – nicht mehr als Pflichtstoff vorgesehen. Die „Common Core State Standards“ erlauben es den US-Schulen, selbst darüber zu entscheiden, wie sie Lesen und Schreiben lehren. Die Folge: Einige traditionsbewusste amerikanische Bildungseinrichtungen bieten Schreibschrift noch an, so berichtet die “Washington Post” – viele andere nicht mehr. Dort wird dann nur noch per Tastatur geschrieben. Eine Entwicklung, die bald auch in Deutschland droht? Auch wenn hierzulande nach wie vor die Lehrplanvorgabe der Kultusministerkonferenz gilt, dass Kinder in der Grundschule „eine lesbare und flüssige Handschrift“ zu lernen haben – das Problem, dass die Handschrift zurückgedrängt wird, hat auch die deutschen Schulen erreicht. Ergebnisse von Schuleingangsuntersuchungen legen nahe, dass die Schwierigkeiten bei einem Teil der Kinder schon in der Vorschulzeit beginnen: In Thüringen beispielsweise weist jeder zehnte Schulanfänger nach einer aktuellen Erhebung feinmotorische Defizite auf. Tatsächlich erreichen immer mehr Klagen aus dem Kollegenkreis den Deutschen Lehrerverband. Er will jetzt wissen: Wie gravierend sind die Probleme mit dem Handschreiben tatsächlich? Und was lässt sich dagegen tun? Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, bittet die Lehrerinnen und Lehrer um rege Teilnahme an einer entsprechenden Umfrage (Link siehe unten). Kraus dazu wörtlich: „Wir möchten auf die Probleme mit der Handschrift öffentlich aufmerksam machen. Dazu benötigen wir zunächst einmal eine Bestandsaufnahme. Dann wollen wir der Politik geeignete Maßnahmen vorschlagen. Ohne den Ergebnissen vorgreifen zu wollen, so ist doch deutlich: Wir benötigen mehr Ressourcen für die Förderung der Grob- und Feinmotorik schon in den Kindertagesstätten und dann auch in den Grundschulen. Darauf wollen wir hinwirken.“ Der Deutsche Lehrerverband kooperiert bei der Umfrage mit dem Schreibmotorik Institut e.V., Heroldsberg, das auf diesem Gebiet forscht und arbeitet. „In der Schule sagen alle, es gibt Probleme mit dem Schreiben, und das schon seit langem. Die Lehrer beklagen, dass Kinder ungenügende motorische Kompetenzen mitbringen und es an der Aufmerksamkeit hapert, die Eltern sind hilflos und die Schüler frustriert“, sagt der Motorikforscher Dr. Christian Marquardt, wissenschaftlicher Beirat des Schreibmotorik Instituts. Der Befund hat aktuell eine Debatte befeuert, ob mit der Einführung einer neuen „Grundschrift“ (anstelle der bislang in der Grundschule vermittelten Schriften „Lateinische Ausgangsschrift“, „Schulausgangsschrift“ und „Vereinfachte Ausgangsschrift“) die Schwierigkeiten zu lindern wären. Marquardt warnt aber vor allzu einfachen Lösungen: „Die Diskussion um die beste Schrift führen wir doch schon seit mehreren Jahrzehnten. Das Sütterlin wurde abgelöst durch die Lateinische Ausgangsschrift, und die wiederum durch die Vereinfachte Ausgangsschrift. In den ostdeutschen Bundesländern gibt es zusätzlich die Schulausgangsschrift. Jetzt gibt es eine neue Diskussion um die so genannte Grundschrift – doch die Reformen haben die Probleme nicht gelöst. Warum redet man immer über die Schrift und nie über das Schreiben?“ Der Schreibmotorikforscher schlägt stattdessen vor, mehr Möglichkeiten zur Förderung der Motorik in den Kindertagesstätten und Grundschulen zu schaffen. Das Schreibmotorik Institut setzt das Hauptaugenmerk auf den Prozess des Schreibenlernens. Doch warum sollten wir uns nicht überhaupt von der Lehrplanvorgabe der Kultusministerkonferenz verabschieden, dass Kinder in der Grundschule „eine lesbare und flüssige Handschrift“ zu lernen haben – und ihnen stattdessen frühzeitig das Tastaturschreiben vermitteln? „Das hätte gravierende Nachteile, für die allermeisten Kinder jedenfalls“, sagt Pädagogik-Professor Dr. Guido Nottbusch von der Universität Potsdam. Denn es gebe einen engen Zusammenhang zwischen dem Schreiben per Hand und dem Lernen. Allenfalls für eine sehr kleine Gruppe von Schülern mit schwerwiegenden Problemen in der Grafomotorik, bei den körperlichen Voraussetzungen fürs Handschreiben also, könne das Tastaturschreiben eine Hilfe sein. Nottbusch: „Der Handschrifterwerb ist aus der Grundschule nicht wegzudenken.“ Tatsächlich sind mittlerweile zahlreiche Studien erschienen, die belegen, dass Kinder leichter Lesen und Schreiben (einschließlich der Rechtschreibung) lernen, wenn sie auch eine Handschrift lernen – deutlich besser, als wenn sie die Buchstaben lediglich mit einer Tastatur tippen. Mehr noch: Es gibt auch Hinweise darauf, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Erlernen einer Handschrift und der Fähigkeit, Texte zu verfassen, dass letztlich die gesamte Sprachentwicklung durch die Handschrift gefördert wird – nicht zuletzt durch frühe Erfolgserlebnisse, die den Kindern das Erlernen einer Handschrift ermöglicht. „Aus pädagogisch-psychologischer Sicht begründet gerade der hohe Anspruch an motorische, planerische und sprachliche Prozesse des Verfassens eines Textes in handschriftlicher Form die Unverzichtbarkeit der Handschrift“, so heißt es in einer aktuellen Studie des Fraunhofer Instituts zur „Bedeutung der Handschrift im Kontext der Digitalisierung“. Redaktion Schreibmotorik Institut e.V. Info: Das Schreibmotorik Institut e. V., Heroldsberg, ist eine bundesweit einzigartige Einrichtung. Es beschäftigt sich mit der Forschung auf den Gebieten der Schreibmotorik und der Schreibergonomie, vernetzt relevante Institutionen im Bereich des Handschreibens und versammelt Experten, die sich seit Jahren in Theorie und Praxis mit effizientem Schreiben beschäftigen. Es hat Lehrmaterialien für den Schreibunterricht entwickelt und bietet Seminare für Pädagogen an. Die Umfrage ist im Internet erreichbar unter www.4teachers.de