Vom aufgeklärten Absolutismus zum modernen Verfassungsstaat
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Vom aufgeklärten Absolutismus zum modernen Verfassungsstaat
Kay Wünsche Kompendium 1 Abiturwissen zum Thema: Vom aufgeklärten Absolutismus zum modernen Verfassungsstaat Brandenburg-Preußen und Deutschland vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Entstehung der Weimarer Republik © Rangsdorf 2001 Inhalt Seite Vorwort 1. Staats- und Verfassungstheorie 1.1. Der Begriff Staat 1.2. Staatsformen 1.3. Die Verfassung 4 4 5 2. Die alte Agrargesellschaft um 1800 2.1. Der aufgeklärte Absolutismus (am Beispiel Brandenburg-Preußens 1740-86) 2.2. Wirtschaft und Gesellschaft auf dem Lande 2.3. Die gewerbliche Produktion vor der Industrialisierung 2.4. Neue politische Entwicklungen und die Voraussetzungen der Industrialisierung 6 7 8 9 3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert 3.1. Wiener Kongress, Restauration und Vormärz 3.2. Beginn der Industrialisierung in Deutschland 3.3. Die Revolution von 1848/49 – ein Entwurf für ein modernes Deutschland 3.4. Moderne Antworten auf die soziale Frage 3.5. Das deutsche Kaiserreich 3.6. Modernisierte Arbeitswelt im Kaiserreich 3.7. Das Deutsche Reich zwischen Kontinentalpolitik und Weltpolitik 3.8. Die Novemberrevolution: Zwischen Kontinuität und Neubeginn 3.9. Der Weg zur Verfassungsordnung der Weimarer Republik 11 11 12 14 16 18 19 20 22 4. Historische Grundbegriffe 5. Anlagen 23 36 6. Literatur 37 2 Vorwort 1. Dieses Kompendium dient als Arbeits- und Lernhilfe für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II. Es soll in komprimierter Form • Substanz, • Übersicht und • Arbeitsmaterial vereinen, welches den Nutzern den Weg zum Abitur erleichtern wird. 2. Keineswegs ersetzt dieses Kompendium das Studium von Lehrbüchern, Sekundärliteratur oder gar die Mitarbeit im Unterricht. Das Anfertigen von Hausaufgaben bleibt ebenfalls ein unabdingbares Begleitphänomen der Schülerarbeit. 3. Das Kompendium stellt die historische Substanz in wenigen Aussagen zusammen, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. 4. Das Kompendium bietet Übersichten und Modelle zum besseren Verständnis historischer Ereignisse und Prozesse an. Dabei ist zu beachten, dass das Vereinfachen von historischen Abläufen immer die Gefahr der Pauschalisierung und Generalisierung in sich birgt und ein differenzierendes Betrachten der Zusammenfassung stets notwendig macht. 5. Das Kompendium enthält eine Reihe von Übungsmaterialien, die so oder in anderer Form als besondere Überprüfung (Test) oder Klausur bearbeitet werden könnten. 6. Die im Kompendium enthaltenen Definitionen sind als Diskussionsgrundlage und nicht als Indoktrination zu verstehen. Genauso sollte die Darstellung der Geschichte nicht als alleiniges Faktum begriffen werden sondern als eine Möglichkeit sie so zu deuten. 3 1. Staats- und Verfassungstheorie Wesen des Staates (Theorien): • • 1. Staats- und Verfassungstheorie • • Gottesgnadentum als Legitimationsgrundlage Staat als Macht und Herrschaftsapparat (Machiavelli) Vertrag zwischen Volk und Herrscher (Rousseau) Rechtssubjekt in Gestalt einer juristischen Person Zweck und Aufgaben des Staates: 1.1.Der Begriff Staat lat. „status“ (Zustand, Ordnung, Verfassung) Absolute Staatszwecklehren: a) „Drei-Elementen-Lehre“ (Jellinek) b) Def.: Der Staat ist eine Einrichtung, durch die eine Gesamtheit von Menschen auf einem bestimmten Teil der Erdoberfläche unter einer hoheitliche Gewalt in einer Gemeinschaft zur Verwirklichung von Gemeinschaftszwecken mit einander verbunden ist. Ein Staat ist als vorhanden anzusehen, wenn sich eine Staatsgewalt über einem Staatsvolk und einem Staatsgebiet endgültig militärisch und politisch durchgesetzt hat, nach außen unabhängig ist und dem Staat eine gewisse Ordnung gegeben hat. c) d) Notwendige Elemente: a) b) Staatsgebiet: abgegrenzter Teil der Erdoberfläche, der zum Aufenthalt von Menschen geeignet ist. (Frage der Beherrschbarkeit – Luftraum, Erdinneres, Wasser – z.B. Zwölfmeilenzone, Wirtschaftszone 200 – 350 Seemeilen) Staatsvolk: Personenverband, rechtliche und politische Schicksalsgemeinschaft, Gesamtheit der Staatsangehörigen > Staatsangehörigkeit: (z.B. Sprache, Rasse, Religion, Nationalität ...) Nicht alle Menschen, die sich im Staatsgebiet aufhalten, sind Staatsangehörige, diese haben Rechte (z.B. politische Mitwirkung, Wahlrecht, Grundrechte ...) und Pflichten (z.B. Wehrpflicht ...). Territorialprinzip (England) oder Abstammungsprinzip (Deutschland) ethische, vorgegebene sittliche und moralische Ideen durchsetzen religiöse, Verwirklichung des Willen Gottes wohlfahrtstheoretis che, Staat für Glück verantwortlich – Polizeistaat liberale rechtsstaatliche, Wahrung der Rechtsordnung, „laissez faire“ Träger der Staatsgewalt Staatsoberhaupt Staatsgebiet Monokratie Republik Einheitsstaat Monarchie Bundesstaat • kann Anordnungen und Befehle erteilen und zur Not zwangsweise durchsetzen, Letztverantwortlichkeit und Unabhängigkeit > von niemandem mehr kontrolliert Selbstorganisationsfähigkeit Unteilbarkeit der Trägerschaft Bindung an Rechtsgrundsätze (rechtsstaatliche Auffassung) Demokratie d) e) f) Legalität Souveränität Legitimität g) Staatsformen Aristokratie Nicht notwendige Elemente (umstritten!): f) Förderung des Gemeinwohls, Herrschafts- und Friedensfunktion Ordnungsfunktio n Gestaltungsfunk tion Unterscheidung nach: Staatsgewalt: Herrschaftsmacht des Staates über Land (Staatsgebiet>Gebietshoheit) und Leute (Staatsvolk>Personalhoheit) Merkmale: • • • e) 1.2. Staatsformen (nach Katz) c) • Relative Staatszwecklehren: Unmittel -bar Mittel bar Präsi dial Parla ment arisch absolut Konstitutionell ständisch Parlamentarisch unitar föderal 4 1. Staats- und Verfassungstheorie 20 Jahrhundert, Verlag Ferdinand Schönigh, Paderborn 1971, UTB–Bestellnummer: 3-8252-0058-2 Staatenverbindungen: Staatenbund (nach Jellinek) Def.: Ein Staatenbund ist eine dauernde , auf Vereinbarung beruhende Verbindung unabhängiger Staaten zum Zweck des Schutzes des Bundesgebietes nach außen und innerer Friedensbewahrung zwischen den verbündeten Staaten. es wird kein neuer Staat geschaffen ! Im Vergleich dazu: Bundesstaat (nach Siegrist) Def.: Ein Bundesstaat ist ein Staat in der Weise, dass sowohl Gesamtgebilde als auch die Glieder Staaten sind. es wird ein neuer Staat geschaffen 1.3. Die Verfassung (nach Katz) Def.: Die Verfassung (Konstitution) eines Staates enthält die grundlegenden Rechtsnormen über die Entscheidungsstrukturen und die Organisation des Staatsverbandes sowie die Funktionsweise des Staatsgewalt. Merkmale: • • • Vorrang erschwerte Abänderbarkeit erhöhte Bestandskraft Verfassungsgeschichte: • • • • • • • Nordamerika 1776 Frankreich 1791 Paulskirchenverfassung 1848/49 Deutsche Reichsverfassung 1871 Verfassung der Weimarer Republik 1919 Verfassung der Bundesrepublik Deutschland 1949 Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik 1949/68 Aufgaben: 1. Vergleichen Sie wesentliche Merkmale verschiedenen Verfassungen miteinander! der 2. Versuchen Sie, alle theoretischen Aussagen mit historischen bzw. aktuellen Beispielen zu belegen. Literatur: Katz, Alfred: Staatsrecht, Grundkurs im öffentlichen Recht, C.F. Müller Verlag, Heidelberg 1996, ISBN 3-8114-3996-0 Hildebrandt Horst (Hrsg.): Die deutschen Verfassungen im 19. und 5 1. Staats- und Verfassungstheorie • 2. Die alte Agrargesellschaft um 1800 • 2.1. Der aufgeklärte Absolutismus in Brandenburg-Preußen • • • • • • • • • • • • • • • • • • • 1740 bis 1786 unter Friedrich II. Anpassung an neue Entwicklungstendenzen in Europa (Aufklärung) Reaktion auf die modernen wirtschaftlichen und weltanschaulichen Einflüsse durch Übernahme bzw. Abwandlung bgl. Auffassungen. Lehre vom Gesellschaftsvertrag war geeignet, eigene Herrschaft auf neue Weise zu begründen, die eigene Macht weiter zu sichern Anpassung an die neuen Tendenzen in Europa nur auf einigen wenigen gesellschaftlichen Gebieten (Verwaltung, Justiz, Kultur) Grundtendenz des aufgeklärten Absolutismus in Preußen konservativ, teilweise durch Krieg motiviert Abschaffung der Folter 1740 Justizreform ab 1745 (Vereinfachung der Rechtsprechung und die formale Gleichbehandlung, Einschränkungen bei der Anwendung der Todesstrafe) Verbot des „Bauernlegens“ Teilweise Aufhebung der Zensur für nichtpolitische Zeitungen in Berlin Wiederbelebung der Akademie der Wissenschaften Einrichtung des V. Departements des Generaldirektoriums für die Förderung von Handel und Gewerbe Bildung eines besonderen Departements für Militärökonomie Einwanderungspolitik durch Versprechen religiöser Freiheiten und materieller Besserstellungen wie Steuerprivilegien bzw. Landvergabe durch Kultivierung weiter Landesteile wie durch die Entwässerung des Oderbruchs 1747 bis 1753 – Rodungen Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Preußens vor dem Hintergrund zu erwartenden außenpolitischen Kräftemessens Militär verschlang 2/3 des Staatsetats Lasten trug die Bevölkerung (Kontributionen,Kavalleriegeld,Lebensmit tellieferungen) militärische Formen des Zusammenlebens ins zivile Leben übertragen, Erziehung eines an blinden Gehorsam gewöhnten Menschen > sog. „preußische Tugenden“ wie: Disziplin, Pünktlichkeit, Gehorsam, Treue, Pflichtbewusstsein, Obrigkeitsglaube, Untertanengeist Opposition des Adel wurde durch Besetzung nahezu aller Funktionen im Militär und Verwaltung unterdrückt > Grund und Boden blieb Privileg des Adels (siehe Allgemeines Preußisches Landrecht von 1794) Insgesamt blieb der Absolutismus in Brandenburg-Preußen auf einige aufklärerische Zutaten beschränkt, was nicht zuletzt am Einvernehmen lag in der sich große Teile der Bevölkerung mit dem Staat befanden. Funktionsweise des Systems Politisches System König Gottesgntm. Militär geistlicher A d e l Beamte weltlicher Volk bäuerliches bürgerliches Merkantilismus als Wirtschaftssystem (Zollpolitik) 6 2. Die alte Agrargesellschaft um 1800 Zusammensetzung des Staatsetats Preußischer Staatshaushalt Einnahmen indirekte (Akzise) Klerus, Unternehmer, Handwerker, Bauern Verwaltung direkte (Kontribution) Unternehmer, Handwerker, Bauern) Unternehmer) Unternehmer) Hofhaltung (Gehälter, Pensionen) • • • • 2/3 Militär Steuern: • Ausgaben 2.2. Wirtschaft und Gesellschaft auf dem Lande Subventionen Siedlungspolitik Zölle: Infrastrukturpolitik • Ausfuhrzölle • Einführzölle Gewinne: aus Staatsbetrieben (Bergbau, Eisenerzeugung, Handel, Banken > um 1800) (Flotte)(Kolonien) Staatsgüter bzw. - betriebe Aufgaben: 1. Worin bestehen Ihrer Meinung nach die Unterschiede zur klassischen Form des Absolutismus? 2. Diskutieren Sie, ob und inwiefern Wirtschaftsformen heute noch aktuell sind. merkantile 3. Vergleichen Sie die Zusammensetzung des Staatshaushaltes im Absolutismus mit der Etatstruktur anderen Zeitepochen. ¾ der Gesellschaft auf dem Land Produktionsüberschüsse der Landwirtschaft, Freisetzung von Arbeitskräften und Entstehung eines Marktes für gewerbliche Produkte waren Fortschrittsvoraussetzungen Agrargesellschaft war bestimmend (Susistenzwirtschaft), Mehrheit der Bevölkerung an den Adel gebunden: Hörigkeit und Leibeigenschaft überwiegend, westlich der Elbe vorw. Grundherrschaften, östlich der Elbe vorw. Gutsherrschaften Def.: Gutsherrschaft (nach Fedor Bochow), Bezeichnung für die seit dem 15./16. Jahrhundert im Osten Mitteleuropas übliche Form des Großgrundbesitzes; sie war eine Fortentwicklung der mittelalterlichen Grundherrschaft. Im Gegensatz zum grundherrlichen Streubesitz zeichnete sich die Gutsherrschaft vor allem durch die Geschlossenheit ihres Gebiets aus. Der Gutsherr hatte neben den grundherrlichen Rechten auch öffentliche Rechte wie etwa die Ortsherrschaft und die Gerichtsherrschaft inne, auf deren Grundlage er über weit reichende Gewalt über seine bäuerlichen Untertanen verfügte. Die Gutsherren übten allerdings in engen Grenzen auch Sozialfürsorge aus, setzten Pfarrer und Lehrer ein. Die Bauern selbst waren an die Scholle gebunden und zu umfangreichen Frondiensten verpflichtet. Seit dem 16. Jahrhundert erweiterten die Gutsherren ihren Gutsbesitz vielfach durch das Bauernlegen. Mit der Bauernbefreiung im 18./19. Jahrhundert fand die politisch-rechtliche Seite der Gutsherrschaft ein Ende; die Gutsherrschaften als Wirtschaftseinheiten blieben in der Regel bestehen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Gutsbezirke, die seit dem 19. Jahrhundert den Landgemeinden gleichgestellt waren, per Gesetz fast vollständig aufgelöst. Def.: Grundherrschaft, Bezeichnung für die wirtschaftliche, soziale und rechtliche Organisationsform, die den agrarischen Großgrundbesitz vom frühen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert hinein prägte. Grundprinzip der Grundherrschaft war die Vergabe von Herrenland an unfreie, sesshafte Bauern (die Grundholden) zur Nutzung, die dafür ihrem Grundherrn, zu dem sie in unterschiedlicher Abhängigkeit standen, zu Frondiensten und Abgaben verpflichtet waren. Die Grundherrschaften in Deutschland bestanden meist aus Streubesitz; die Fronhöfe, d. h. die Höfe der Grundherren bzw. deren Verwalter (Meier), bildeten das Zentrum der grundherrschaftlichen Verwaltung. Zum Fronhof gehörte in der Regel das Salland, derjenige Teil des Grundbesitzes, der in der direkten Verfügung des Grundherrn blieb. Ab dem Spätmittelalter wurde das Salland aber häufig ebenfalls verpachtet. Das Herrenland wurde nicht nach dem Lehnsrecht an die Grundholden weiterverliehen; trotzdem bildeten die unfreien Bauern als diejenigen, die die materiellen Grundlagen für den Lebensunterhalt ihrer Herren schufen, die Basis des feudalen Systems. Die so genannte „ältere Grundherrschaft“ des Frühmittelalters beschränkte sich nicht auf die Herrschaft des Herrn über seinen Grund und Boden, sondern schloss auch die Herrschaft über Land und Leute ein, d. h. sie umfasste auch Herrschaftsrechte wie die Gerichtsbarkeit über die Grundholden; außerdem 7 2. Die alte Agrargesellschaft um 1800 war der Grundherr zu Schutz und Schirm gegenüber seinen Grundholden verpflichtet. Fortsetzung nächste Seite! Im Spätmittelalter bildete sich die „jüngere Grundherrschaft“ heraus, die nur noch die Herrschaft über Grund und Boden umfasste. Gleichzeitig wurden mit dem Aufkommen der Geldwirtschaft die Grundlasten in Form von Naturalabgaben und Frondiensten mehr und mehr in Geldabgaben umgewandelt. Die Grundherrschaft wurde nun zu einer primär wirtschaftlichen Organisationsform, während Gerichtsbarkeit, Vogtei und ähnliche Herrschaftsrechte von der Grundherrschaft getrennt wurden; die Grundherren verloren Teile ihrer ursprünglichen Herrschaftsrechte und damit auch an Verfügungsgewalt über ihre Grundholden sowie an politischem Einfluss. Die allmähliche Reduzierung des Verhältnisses zwischen Grundherrn und Grundholden auf ein vorwiegend wirtschaftliches ermöglichte es den Grundholden in zunehmendem Maße, ihren Grundherrn gegen Leistung einer Ablöse zu verlassen, um z. B. in die Stadt umzusiedeln, oder – in seltenen Fällen – das von ihnen bewirtschaftete Land zu erwerben. Im Hoch- und Spätmittelalter war der Landesherr häufig einer der größten bzw. der einzige Grundherr in seinem Territorium, was in der Herausbildung der Landesherrschaften eine bedeutende Rolle spielte. Ab dem 19. Jahrhundert ging die Grundherrschaft im adeligen Großgrundbesitz auf. Entwicklungen in der Landwirtschaft • • • • • Dreifelderwirtschaft wissenschaftliche Verfahren zur Bodenverbesserung, systematische Zucht von Tieren Gründung von Dörfern steigende Getreidepreise > Bodenspekulation 1794 „Allgemeines Landrecht“ in Preußen 1794 - Auszüge aus dem Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten § 1. Unter dem Bauerstande sind alle Bewohner des platten Landes begriffen, welche sich mit dem unmittelbaren Betriebe des Ackerbaues und der Landwirtschaft beschäftigen, insofern sie nicht durch adlige Geburt, Amt, oder besondere Rechte von diesem Stande ausgenommen sind. § 2. Wer zum Bauerstande gehört, darf, ohne Erlaubnis des Staats, weder selbst ein bürgerliches Gewerbe treiben, noch seine Kinder dazu widmen. § 91. Nur die Besitzer von Rittergütern können in der Regel Untertanen haben und herrschaftliche Rechte über dergleichen ausüben. § 93. Kinder untertäniger Eltern werden derjenigen Herrschaft untertan, welcher die Eltern zur Zeit der Geburt unterworfen waren. § 94. Waren die Eltern ungleichen Standes, so folgen, auch in Ansetzung der Untertänigkeit eheliche Kinder dem Vater, uneheliche aber der Mutter. § 96. Personen weiblichen Geschlechts, welche einen untertänigen Mann heiraten, treten in die Untertänigkeit, zu welcher dieser verpflichtet ist. § 97. Wenn während der Ehe der freie Mann sich in die Untertänigkeit begibt, so kann die Frau, ihm dahin zu folgen, in der Regel nicht gezwungen werden. § 98. Vielmehr ist sie auf Trennung der Ehe und dass der Mann für den schuldigen Teil erkannt werde, anzufragen berechtigt. § 122. Eine jede Gutherrschaft ist schuldig, sich ihrer Untertanen in vorkommenden Notfällen werktätig anzunehmen. § 125. Der Gutsherrschaft liegt besonders ob, für eine gute und christliche Erziehung der Kinder ihrer Untertanen zu sorgen. Fortsetzung oben § 133. Untertanen sind ihrer Herrschaft Treue, Ehrfurcht und Gehorsam schuldig. § 147. Untertanen werden, außer der Beziehung auf das Gut, zu welchem sie geschlagen sind, in ihren Geschäften und Verhandlungen als freie Bürger des Staates angesehen. § 148. Es findet daher die ehemalige Leibeigenschaft, als eine Art der persönlichen Sklaverei, auch in Ansehung der untertänigen Bewohner des platten Landes nicht statt. § 149. Sie sind fähig, Eigentum und Rechte zu erwerben, und dieselben gegen jedermann, auch gerichtlich zu verteidigen. § 150. Sie dürfen das Gut, zu welchem sie geschlagen sind, ohne Bewilligung ihrer Grundherrschaft nicht verlassen. § 151. Sie können aber auch von der Herrschaft, ohne das Gut, zu welchem sie gehören, nicht verkauft, vertauscht oder sonst an einen Anderen wider ihren Willen abgetreten werden. § 152. Wo es bisher zulässig gewesen, dass Untertanen, mit ihren Stellen zugleich, von einer Gutsherrschaft an die andere überlassen worden, da mag es zwar auch ferner dabei sein Bewenden haben. § 155. Entwichene Untertanen kann die Herrschaft überall und zu allen Zeiten aufsuchen und zur Rückkehr nötigen. § 172. Ohne ausdrückliche Erlaubnis der Gutsherrschaft können sie zur Erlernung eines bürgerlichen Gewerbes oder zum Studieren nicht gelassen werden. § 176. Wenn ein Kind, nach dem Befunde sachkundiger Männer, zu einer Kunst oder Wissenschaft vorzügliche Talente und die erforderlichen Hilfsmittel zu deren Erlernung besitzt, so darf ihm auch dazu die Erlaubnis nicht verweigert werden. § 227. Faules, unordentliches und widerspenstiges Gesinde kann die Herrschaft durch mäßige Züchtigungen zu seiner Pflicht anhalten. Zit. nach: Günther Franz (Hrsg.): Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes in der Neuzeit. (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) Darmstadt 1976, S.324ff. Die gewerbliche Industrialisierung • • Produktion vor der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ im europäischen Maßstab kann auch am Nebeneinanderbestehen verschiedener Produktionsformen erkannt werden: Zunftwesen, Verlagssystem, Manufakturen, Fabriken in Deutschland > gewerbliche Produktion fast nur städtisch > Zunftkontrolle Die Zünfte waren wichtig im Leben der mittelalterlichen Stadt, denn sie beeinflussten das wirtschaftliche Wohlergehen sowohl der Handwerker als auch der Verbraucher. Die Zunft versuchte den Handwerkern hauptsächlich auf zwei Arten zu helfen: Sie schützte zum einen vor dem Wettbewerb durch Handwerker aus anderen Städten und zum anderen vor möglichem Wettbewerb durch Bürger der Stadt, die in anderen Geschäften des gleichen Handwerkszweiges arbeiteten. Das erste Ziel erreichte die Zunft, indem sie den Handel für diesen Bereich in der Stadt monopolisierte; d. h., sie erlaubte nicht, dass Waren aus anderen Städten für den Verkauf eingeführt wurden. Das zweite Ziel wurde dadurch erreicht, dass für alle Geschäfte, die die gleichen Waren herstellten, auch dieselben Öffnungszeiten galten und für Arbeiter im gleichen Handwerksbereich einheitliche Löhne 8 2. Die alte Agrargesellschaft um 1800 gezahlt wurden. Damit kein Meister gegenüber einem anderen einen Vorteil haben konnte, bestimmte die Zunft einheitlich die Zahl der Angestellten, Werkzeuge und Arbeitsstunden pro Geschäft sowie die Preise, die der Meister für die fertigen Produkte verlangen durfte. Die Zunft überwachte die Einhaltung ihrer Regeln durch ständige und genaue Überwachung der Geschäfte. Kein Meister durfte für seine Produkte werben, damit er nicht mehr Geschäfte machte als ein anderer Meister. Jede Verbesserung in der Herstellungstechnik, durch die ein Geschäft seine Ware schneller und billiger als andere hätte herstellen können, war gleichfalls verboten. Die Zünfte wollten völlige Gleichheit unter den Mitgliedern jeder der drei Klassen erreichen, in die sie unterteilt waren. Die Verbraucher profitierten von der Existenz der Zünfte besonders durch die hohen Qualitätsansprüche, die die Zunft an das fertige Produkt stellte, obwohl ihnen andererseits billigere Preise durch verbesserte Herstellungsmethoden und durch den Wettbewerb beim Verkauf vorenthalten wurden. Der Aufstieg des Kapitalismus Die Hauptursache für den Niedergang und das Ende der Zünfte ab dem 16. Jahrhundert war der Aufstieg des Kapitalismus als neues Herstellungs- und Verteilungssystem. Dieses neue Wirtschaftssystem maß der Massenproduktion von Gütern, dem Wettbewerb der Märkte zwischen den Herstellern und einer breiten Distribution (Verteilung) der Güter größte Bedeutung zu. Da sich die Zünfte und Innungen gegen alle drei Prinzipien sträubten, gründeten so genannte Kapitalisten ihre Geschäfte im Allgemeinen in Zentren, wo keine Zünfte bestanden. Die Zünfte waren nicht in der Lage, selbst für ihren eigenen heimischen Markt Waren so schnell und billig herzustellen wie die kapitalistischen Unternehmen. Daher wurden sie allmählich aus dem Wirtschaftsleben verdrängt. • • • • • Basis für den Unternehmer war Sach- und Geldvermögen > Kapital über Erfolge entschied der > Gewinn marktorientierte Produktionsweise unter Ausnutzung lohnabhängiger Arbeitskräfte > „kapitalistisch“ West-Ost-Gefälle (Westen höher entwickelt) (Agrarsektor nördl. Ostpreußen 87%, Ostwestfalen 49%) im Osten fehlen vor allem freie Arbeitskräfte 2.4. Neue politische Entwicklungen und die Voraussetzungen der Industrialisierung • 1789 Beginn der Französischen Revolution • 1799 Abschaffung der Gutsherrschaft auf den Domänen des preußischen Königs • 1803 Reichsdeputationshauptschluß (Säkularisation geistlicher Fürstentümer, Mediatisierung der meisten freien Reichsstädte – außer Hamburg, Bremen, Lübeck, Frankfurt/M., Nürnberg und Augsburg) • 1806 Niederlage Preußens gegen Frankreich bei Jena und Auerstedt (Gebietsverlust 50%) • 1807 Beginn der preußischen Reformen (Agrarreform, Städtereform, Militärreform, Verwaltungsreform, Bildungsreform, Judenemanzipation) Die Agrarreformen Industrialisierung • • • • • Aufgaben: 1. Beschreiben Sie Vor- und Nachteile von Manufakturen gegenüber den Zünften. Diskutieren Sie diese in der Rolle Betroffener. 2. Vergleichen Sie den Entwicklungsstand Preußens mit dem in England um 1800. 3. Nennen Sie Unterschiede. 4. Welches waren die Haupthemmnisse für den deutschen Fortschritt? die Hauptursachen für • • die • • als Basis der „Reform von oben“ Freiherr vom und zum Stein Ansatzpunkte: Aufhebung zweier alter Sozialordnungen > Grund- und Gutsherrschaft sowie Zünfte > Abschaffung der Ständeordnung Wirkung: Entlassung von Millionen Menschen in die Freiheit > Schaffung freier Arbeitskräfte und Belebung des Marktes für Waren und Personen, Aufhebung des Gewerbemonopols und Ansiedlung von Unternehmen, Probleme: Bewahrung der politischen und sozialen Macht des Adels (im Gegensatz zu Frankreich), kein leistungsfähiges Kreditsystem, Verteilung des Bodens nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, Lösung für Ablösung von Diensten, Entschädigung der Güter für Einkauf neuer Arbeitskräfte, Bauernstellen müssen leistungsfähig sein, um Ablöse zu bezahlen Praxis: bis 1842 84 Gesetze zu Regelung, Ablösezahlungen bis nach 1900, fast nur Bauern mit eigenem Zugvieh, Bilanz: keine rasche Abwanderung in die Städte, Zunahme der Arbeitskräfte auf dem Land durch Intensivierung (Futterpflanzen, Chemie), immer wieder Missernten (1847 > Ausbruch der Revolution 1848), Bevölkerungszuwachs bis 1848 um 60% ohne nennenswerte Hungersnöte Inkonsequenzen: keine Demokratisierung auf dem Land > Gutsbezirke bleiben bestehen > Gutherr hat Judikative und Exekutive bis 1848/51 Folgen: Auswanderung, Verschuldung > Außenpolitik nachhaltig beeinflusst 1810 – Gesindeordnung für die Provinzen der preußischen Monarchie (Auszug) 9 2. Die alte Agrargesellschaft um 1800 Von den Rechten und Pflichten der Herrschaften und des Gesindes. auf eine bestimmte Zeit, sowie der andere zu einer dafür zu gebenden bestimmten Belohnung sich verpflichtet. § 9. Dienstboten, welche schon vermietet gewesen, müssen bei dem Antritte eines neuen Dienstes die rechtmäßige Verlassung der vorigen Herrschaft nachweisen. § 64. Das Gesinde ist schuldig, seine Dienste treu, fleißig und aufmerksam zu verrichten. § 70. Auch außer seinen Diensten ist das Gesinde schuldig, der Herrschaft Bestes zu befördern, Schaden und Nachteil aber, so viel an ihm ist, abzuwenden. § 71. Bemerkte Untreue des Nebengesindes ist es der Herrschaft anzuzeigen verbunden. § 74. Ohne Vorwissen und Genehmigung der Herrschaft darf es sich auch in eigenen Angelegenheiten vom Hause nicht entfernen. § 76. Die Befehle der Herrschaft und ihre Verweise muß das Gesinde mit Ehrerbietung und Bescheidenheit annehmen. § 77. Reizt das Gesinde die Herrschaft durch ungebührliches Betragen zum Zorn, und wird in selbigem von ihr mit Scheltworten oder geringen Tätlichkeiten behandelt, so kann es dafür keine gerichtliche Genugtuung fordern. § 79. Außer dem Falle, wo das Leben oder die Gesundheit des Dienstboten durch Mißhandlungen der Herrschaft in gegenwärtige und unvermeidliche Gefahr gerät, darf er sich der Herrschaft nicht tätlich widersetzen. § 82. Die Herrschaft ist schuldig, dem Gesinde Lohn und Kleidung zu den bestimmten Zeiten ungesäumt zu entrichten. § 83. Ist auch Kost versprochen worden, so muß selbige bis zur Sättigung gegeben werden. Offenbar der Gesundheit nachteilige und ekelhafte Speisen kann das Gesinde anzunehmen nicht gezwungen werden. § 1. Das Verhältnis zwischen Herrschaft und Gesinde gründet sich auf einem Vertrage, wodurch der eine Teil zur Leistung gewisser häuslicher oder wirtschaftlicher Dienste § 84. Die Herrschaft muß dem Gesinde die nötige Zeit zur Abwartung des öffentlichen Gottesdienstes lassen und dasselbe dazu fleißig anhalten. § 86. Zieht ein Dienstbote sich durch den Dienst oder bei Gelegenheit desselben eine Krankheit zu, so ist die Herrschaft schuldig, für seine Kur und Verpflegung zu sorgen. § 167. Gesinde, welches vor Ablauf der Dienstzeit ohne gesetzmäßige Ursache den Dienst verläßt, muß durch Zwangsmittel zu dessen Fortsetzung angehalten werden. Zit. nach: Günther Franz (Hrsg.): Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes in der Neuzeit. (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) Darmstadt 1976, S. 359 Voraussetzungen der Industrialisierung im Wirkungszusammenhang 10 3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert 1. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert • 1819 Karlsbader Beschlüsse (Reaktion der Konservativen > Verbot der Burschenschaften, Zensur, Kontrolle über Universitäten • Folge: biedermeierlicher Rückzug der Gesellschaft in Haus, Garten und Privatgesellschaft bis in die 40er Jahre > Lesegesellschaften, Vereinswesen • Auswirkungen der französischen Julirevolution von 1830: Opposition in den Landtagen > Reformdruck, neue Zeitungen, verbesserte Verfassungen (Kurhessen, Sachsen, Hannover ...) • Hambacher Fest 1830 als Höhepunkt der Oppositionsbewegung, 1841 „Deutschlandlied“, „Göttinger Sieben“ 3.1. Wiener Kongreß, Restauration und Vormärz • 1813 Befreiungskriege • 1815 Wiener Kongreß – Neuordnung Europas nach dem Sturz Napoleons (Deutscher Bund > Staatenbund zur Durchführung der Restauration und Heilige Allianz > Militärbündnis zur Wiederherstellung der Pentarchie in Europa entstehen) > Einbeziehung Frankreichs in die Verhandlungen (vgl. Versailler Vertrag 1919) • 1817 Wartburgfest (seit 1815 gegründete liberal und nationale gesonnene Burschenschaften fordern politische Einheit Deutschlands, Abschaffung der Privilegien, Meinungsfreiheit und Volksvertretung) • 1818/19 frühkonstitutionelle Verfassungen im Baden, Württemberg und Bayern Aufgaben: 1. Welche Folgen hatten die Ergebnisse des Wiener Kongresses auf die Entwicklung des deutschen Nationalstaats? 2. Welche gesellschaftlichen Widersprüche entstehen besonders in Preußen? 3. Erläutern Sie die Redewendung „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ anhand politischer Entwicklungen im Vormärz! 3.2. Der Beginn der Industrialisierung in Deutschland • • • • bis in die 40er bestimmte die Landwirtschaft die deutsche Wirtschaft nach Aufhebung der französischen Kontinentalsperre war die deutsche Wirtschaft der Konkurrenz des Auslandes ausgesetzt > Mangel an Arbeitsplätzen rücksichtslose Ausbeutung der Arbeitskräfte > Pauperismus > massives Entwicklungshemmnis, da Massenkaufkraft fehlt > Aufstand der schlesischen Weber 1844 Mangel an Kapital begünstigt Verlagssystem > Eingriff des Staates: • • • • • • • 1818 Abbau der Zollgrenzen in Preußen Verbesserung der Infrastruktur Staat als Unternehmer (Bergbau, Rüstung, Maschinenbau ... Eisenbahn) Modernisierung des Schulsystems > Gewerbeschulen Kreditvergabe und Subventionen 1834 Deutscher Zollverein 1843 neues Handelsgesetzbuch und Aktienrecht Staatsorgane in der badischen Verfassung von 1818 11 3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert 3.3. Die Revolution von 1848/49 – ein Entwurf für ein modernes Deutschland > Rolle der Eisenbahn als Leitbranche Landwirtschaft Maschinenbau Eisenbahnen Hoch- und Tiefbau Die Ursachen Eisen- und Stahlindustrie Bergbau Nachfrage der Eisenbahnen Nachfrage der Eisenbahnen von Eisenbahnen ausgelöste Nachfrage durch Eisenbahn ausgelöste Nachfrage Nachfrage nach Transport Nachfrage nach Eisenbahntransport permanente Nachfrage nach Arbeitskräften! Permanente Nachfrage nach Arbeitskräften! • • • • Bilanz: • • • • 1835 erste deutsche Eisenbahn ab 1840 geht die Hälfte aller Investitionen in Verkehrswirtschaft > Eskalation der Nachfrage fortschreitende Arbeitsteilung > Rationalisierung > Verbilligung der Produktion Entstehung von Leitregionen: Ruhrgebiet, Berlin, Sachsen, Oberschlesien 1847 letzte Wirtschaftskrise, die durch eine Missernte ausgelöst wurde Rückschläge durch Schwankungen der Konjunktur lassen neben dem allgemeinen Optimismus in Wirtschaft und Gesellschaft auch Kritik entstehen > Auswanderung, Marxismus Kurz nach 1871 sinkt der im Agrarbereich beschäftigte Anteil der Erwerbspersonen unter 50%. Deutschland ist Industriestaat ! wirtschaftliche Nöte: • Strukturprobleme durch rapiden Bevölkerungszuwachs > Überschuss an Arbeitskräften > geringe Löhne > extensive Arbeitszeiten > Pauperismus > Aufstände • Teuerungsraten infolge von Missernten • Existenznot und Unzufriedenheit Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels: • viele Kleinbauern sanken auf das Niveau von Tagelöhnern, da sie den marktwirtschaftlichen Anforderungen nicht gewachsen waren • Gesellen und Kleinmeistern in den Städten drohte sozialer Abstieg durch Wegfall der Zunftabsicherung > Wanderschaft > überdurchschnittliche Politisierung Legitimation des politischen Systems: • Bildungsund Besitzbürgertum zweifelte zunehmend an der Fähigkeit der fürstlicharistokratischen Regierungen, soziale und wirtschaftliche Probleme zu lösen • verstärktes politisches Selbstbewusstsein > Forderung nach Teilhabe an der Macht • Monarchen halten am Gottesgnadentum fest Die Märzereignisse 1848 und ihre Folgen Februar 1848 März 1848 Aufgaben 3. Diskutieren Sie ob und inwieweit eine industrielle Revolution heute in den Ländern der Dritten Welt wiederholbar wäre! • • • 1. Beurteilen Sie inwieweit sich die Industrialisierung in Deutschland als ein vorhersehbarer und planbarer Prozess erwies! 2. Vergleichen Sie die tatsächlichen Entwicklungen mit den Vorhersagen und Erwartungen in der Theorie von Adam Smith! Sturz des Königs Louis Philippe und Ausrufung der Republik in Frankreich als Anstoß • • • April 1848 Mai 1848 Umsturzversuch in Baden • • Juni 1848 Märzforderungen (Reform des Wahlrechts, Presseund Versammlungsfreiheit, Volksbewaffnung, Geschworenengerichte, Errichtung eines gesamtdeutschen Nationalstaates) Märzministerien Revolution in Wien, Sturz Metternichs Revolution in Berlin Vorparlament in Frankfurt • Wahlen zur Nationalversammlung Zusammentritt der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche Erfolge Österreichs bei der Niederschlagung nationaler Erhebungen 12 3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert • NV wählt Erzherzog Johann zum „Reichsverweser“ – vorläufiges Staatsoberhaupt Oktober 1848 Rückeroberung des aufständischen Wiens November 1848 Belagerung Berlins Dezember 1848 Auflösung der preußischen NV, Oktroyierung der ersten preußischen Verfassung kleindeutsche Lösung Zusammensetzung der Nationalversammlung • • • • ca. 812 Abgeordnete Rechte + rechtes Zentrum (Mehrheit): hohe Staatsbeamte, Richter, Hochschullehrer, Grundbesitzer, Großkaufleute linkes Zentrum: freie Berufe, Mittelschichten, Grundbesitzer, Kaufleute, Beamte 50:50 Linke: freiberufliche Intelligenz, untere Mittelschichten großdeutsche Lösung Ergebnisse der Paulskirchenversammlung März 1849 NV beschließt Erbkaisertum und wählen Friedrich Wilhelm IV. von Preußen zum Kaiser April 1849 Friedrich Wilhelm lehnte ab Mai 1849 Verlagerung der NV nach Stuttgart Juni 1849 Württembergische Truppen sprengen das Rumpfparlament Diskussionen und Probleme • provisorische Regierung hat keine exekutive Macht, außer von USA nicht anerkannt • Grundrechtsdebatte: weitgehende Einigkeit über Freiheit der Person, Zugang zu allen Ämtern, Wehrpflicht, Versammlungsfreiheit, Lehrfreiheit, Beschwerderecht, Eigentumsrecht, Schulaufsicht des Staates • Grenzdebatte: groß- oder kleindeutsche Lösung Großösterreich (70 Mio.) • Entscheidung über das Staatsoberhaupt: mit 4 Stimmen Mehrheit – Erbkaisertum • unitarische (Außenpolitik, Militär, Schifffahrt, Post, Eisenbahn, Zoll, Maße, Münzen, Gewichte • und föderative Elemente: Zweikammersystem für die anderen Gesetze • Wahlrecht: wegen der Stimmen zum Erbkaisertum stimmen liberale Kräfte für, allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht • konstitutionelles Regierungssystem im Verfassungsentwurf von 1849: siehe Übersicht nächste Seite 13 3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert Aufgaben 1. Diskutieren Sie die Interdependenzen zwischen Niederlage der 48er Revolution in Deutschland und der sog. „Revolution von oben“. 2. Arbeiten Sie heraus, welche revolutionäre Strömung welche Forderungen hatte. 3. Nennen Sie Gründe, weshalb sich die Paulskirche so und nicht anders entschied. 3.4. Moderne Antworten auf die Soziale Frage Ursachen für das Scheitern der Revolution 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Vielstaaterei Grenzfrage Spaltung in unterschiedliche Interessensgruppen, die mit unterschiedlicher Dynamik arbeiten unterschiedliche Modernitätsvorstellungen keine Schwächung der Aristokratie keine Lösung der sozialen Probleme keine Schaffung des Nationalstaates Folgen: • • • • • viele Zugeständnisse werden rückgängig gemacht Verfassungen nach dem Willen der Obrigkeit entstehen Einigung Deutschlands wird „von oben“ gelenkt das deutsche bürgerliche demokratische Selbstbewusstsein schindet zugunsten eines romantisch verklärten Blicks auf die Wohlfahrt bringende Allmacht des Staates die entferntesten Folgen sind die „verspätete Nation“ mit wahnwitzigem Imperialismusstreben, 1. Weltkrieg, der Erfolg und die Niederlage Hitlers und die Spaltung Deutschlands in dessen Folge Soziale Frage (nach Fedor Bechow), mit dem bereits im 19. Jahrhundert geprägten Begriff „Soziale Frage“ werden die gesamten sozialpolitischen Probleme umschrieben, die im Zuge der industriellen Revolution entstanden: Der einsetzende wirtschaftliche Aufschwung war begleitet von zahlreichen sozialen Missständen; wenigen wohlhabenden Kapitalisten standen zahlreiche verarmte Proletarier (Landarbeiter, Kleinbauern, Handwerker) gegenüber. Im Industriezeitalter setzten enorme gesellschaftliche Veränderungen ein. Die feudale Agrargesellschaft wandelte sich in eine kapitalistische Industriegesellschaft. Wegen sich auflösender Großfamilien und der fehlenden Absicherung durch die Grundherren, wegen der Bevölkerungsexplosion und der einsetzenden Landflucht kam es zu großen sozialen Schwierigkeiten. Das Angebot an Arbeitskräften in den Industriezentren stieg – nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Arbeitsloser –, was wiederum die Löhne sinken ließ. Die Existenz hing von der Arbeit mehrerer Familienmitglieder ab. Frauen und sogar Kinder mussten zum Unterhalt der Familie beitragen. Arbeitszeiten von 15 Stunden pro Tag waren nicht ungewöhnlich, Nacht- und Sonntagsarbeit durchaus üblich. Die Wohnverhältnisse waren oft katastrophal (Mietskasernen, in denen mehrere Menschen pro Zimmer leben mussten), die Arbeitsverhältnisse äußerst bedenklich (ungenügende Sicherheitsmaßnahmen). In Folge davon traten vermehrt körperliche und psychische Schäden auf, und die Lebenserwartung sank; des Weiteren konnte man einen eklatanten Bildungsmangel und moralischen Verfall feststellen. Erste staatliche Maßnahmen wurden Anfang des 19. Jahrhunderts in Großbritannien (Fabrikgesetze ab 1833), seit 1839 dann in Preußen (Arbeitsverbot für Kinder unter neun Jahren zur regelmäßigen Arbeit in Hüttenwerken) ergriffen. Um die Missstände zu bekämpfen, wurden diverse kirchliche und weltliche Organisationen – von denen nur wenige die bestehende Ordnung verändern wollten – ins Leben gerufen: Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (1863 von Ferdinand Lassalle begründet), Internationale Arbeiterassoziation (1864 von Karl Marx ins Leben gerufen), Verein für Socialpolitik (1872 von Gustav Schmoller mitbegründet), Rauhes Haus (1833 von Johann Wichern gegründet), Bethel (ab 1872 durch Friedrich von Bodelschwingh geführt), Katholischer Gesellenverein (1846 von Adolf Kolping gegründet). Auch die Sozialpolitik Otto von Bismarcks – Einführung der gesetzlichen Kranken- (1883), Unfall- (1884) und Invaliditäts/Altersversicherung (1889) – war eine Reaktion auf die Probleme, sollte aber gleichzeitig gemeinsam mit dem Sozialistengesetz (1878 in Kraft getreten, bis 1890 gültig) der immer mächtiger werdenden Sozialdemokratie und 14 3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert ihren Forderungen den Boden entziehen und diese von der Arbeiterschaft trennen. • erste unternehmerische Hilfen: Betriebskranken- und Pensionskassen • Hilfe christliche Kirchen: kirchliche Sozialarbeit (Wichern, Ketteler, Kolping), christliche Gewerkschaften, 1891 Sozialenzyklika von Papst Leo XIII. > „Lohn muss über Existenzsicherung hinaus gehen“ • revolutionärer Sozialismus (Marxismus) Marxismus, von Karl Marx und Friedrich Engels begründete Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie. Der Begriff Marxismus entstand als abwertend gemeinte Bezeichnung anarchistischer Theoretiker gegen die Lehren und die Politik von Marx und seinen Anhängern und wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts auch Selbstbezeichnung der sich an Marx orientierenden sozialistischen Gruppierungen. Unter Marxismus versteht man im heutigen Sprachgebrauch auch die Weiterentwicklungen und Interpretationen der Lehren von Marx (siehe Revisionismus, Leninismus, Maoismus, Frankfurter Schule, Kritische Theorie). Im folgenden Artikel wird Marxismus im engeren Sinn als die Gesamtheit der Lehren von Karl Marx verstanden. Geschichte und Theorieansätze Die Marx’sche Gesellschaftstheorie entstand, als sich Marx und andere so genannte Junghegelianer kritisch mit der Religionsphilosophie Hegels auseinanderzusetzen begannen. Marx entwickelte dabei in Negation des philosophischen Idealismus Hegels seine materialistische Weltanschauung, hielt aber an der von Hegel entwickelten dialektischen Methode fest. Entscheidenden Einfluss auf Marx und Engels übte auch das Gedankengut der europäischen Aufklärung aus, vor allem deren Vernunftund Fortschrittsgläubigkeit, wie sie zu Lebzeiten Marx’ vor allem in den Utopien der englischen und französischen Frühsozialisten formuliert wurden. Die materialistischen Studien zur historischen Entwicklung erforderten eine immer intensivere Auseinandersetzung Marx’ mit den Schriften der Klassiker der englischen Nationalökonomie, so dass die Kritik der politischen Ökonomie, wie sie Marx in seinem dreibändigen Hauptwerk Das Kapital (1867-1894) entwickelte, als Kernstück seiner Theorie anzusehen ist. Der Marxismus lässt sich in vier miteinander zusammenhängende Theorieansätze gliedern: Erstens den dialektischen Materialismus (DIAMAT), als der Theorie von den allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen der Natur und der Welt; zweitens den historischen Materialismus (HISTOMAT), der sich mit den Entwicklungsgesetzen der „Menschengesellschaft“ befasst; drittens der politischen Ökonomie, als der Wissenschaft von den Gesetzen, die die sozioökonomischen Grundlagen menschlicher Gesellschaften beschreiben; und viertens dem wissenschaftlichen Sozialismus, einer Revolutionstheorie, die als theoretischer Ausdruck der politischen Kämpfe der Arbeiterbewegung den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus und schließlich zum Kommunismus erfassen und vorantreiben soll. Mit Marx gesprochen handelt es sich bei diesem Prozess um den „… Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit“. Kritik der politischen Ökonomie Marx wollte die der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise innewohnenden Gesetzmäßigkeiten aufdecken. Jede geschichtliche Epoche war nach seiner Auffassung durch eine spezifische Produktionsweise gekennzeichnet, die ihrerseits einer jeweils spezifischen Machtkonstellation zugrunde lag. Diese Machtkonstellation wiederum zeichnete sich dadurch aus, dass sich eine ökonomisch herrschende Klasse in ständigem offenem oder verborgenem Konflikt mit einer anderen, unterdrückten Klasse befand. In der kapitalistischen Gesellschaftsformation basiert die Grundbeziehung zwischen den Klassen, die Lohnbeziehung, auf einem Vertrag zwischen rechtlich gleichgestellten Parteien, die sich aber in gänzlich unterschiedlichen ökonomischen Ausgangslagen befinden. Die Besitzer des Kapitals (die Kapitalisten) bezahlen den Arbeitern (dem Proletariat) Löhne für eine vereinbarte Zahl von Arbeitsstunden, aber nicht für die erstellten Produkte. Die Kapitalisten eignen sich in diesem Prozess also das gesamte Arbeitsprodukt der Arbeiter an, welche als historisches Charakteristikum der kapitalistischen Produktionsverhältnisse weder über die Produktionsmittel noch über das von ihnen geschaffene Produkt verfügen können, sondern „… darauf angewiesen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um leben zu können“. In der Produktion schaffen die Arbeiter aber einen Wert, der ihren Lohn übersteigt, den so genannten Mehrwert. Dieser Mehrwert, d. h. die im Mehrprodukt vergegenständlichte Mehrarbeit des Lohnarbeiters, bildet die Quelle des Reichtums der bürgerlichen Klasse, die sich diesen als Eigentümerin der Produktionsmittel aneignet. Dem so genannten Mehrwertgesetz zufolge ist die permanente Produktion von Mehrwert das eigentliche Ziel der kapitalistischen Produktion. Während sich der Reichtum der besitzenden Klasse durch das rasche Wachstum des Kapitals beständig vermehrt, wächst aufseiten der Arbeiter Leistungsdruck, Arbeitshetze und Existenzunsicherheit. Marx ging davon aus, dass die Organisation der Arbeiter der Tendenz zur Verelendung entgegenwirken kann, konstatierte aber ein Anwachsen der Unsicherheit der Existenz, denn der Ersatz von immer mehr Arbeitern durch Maschinen (Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate) führt zu Massenarbeitslosigkeit und zur Entstehung einer industriellen Reservearmee. Marx behauptete, der Lohn zwinge die Arbeiter dazu, lebenslänglich für die Kapitaleigentümer verfügbar zu sein, wobei allerdings weder der Lohn noch der Arbeitsplatz garantiert seien. Die historische Aufgabe der organisierten, sich ihrer selbst bewussten Arbeiterklasse bestand für Marx darin, die aus ökonomischer Notwendigkeit zyklisch wiederkehrenden ökonomischen und politischen Krisen dazu zu nutzen, im revolutionären Klassenkampf die Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft zu überwinden. Marx führte dazu aus: „[Das Proletariat] kann seine eigenen Lebensbedingungen nicht aufheben, ohne alle unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft, die sich in seiner Situation zusammenfassen, aufzuheben“; und weiter: „Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum. Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf und damit auch den Staat als Staat.“ Im Verlauf der weiteren historischen Entwicklung markiert somit die Diktatur des Proletariats nur eine Übergangsphase. Eigentliches Ziel ist die Überführung der Produktionsmittel in die Hände der unmittelbaren Produzenten (Arbeiter), was zugleich Voraussetzung für das „Absterben der Staatsgewalt“ ist, die nach Marx nur in Klassengesellschaften notwendig ist. Am Ende läuft 15 3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert der historische Prozess nach der Marx’schen Überzeugung auf eine klassenlose, d. h. kommunistische Gesellschaft zu, in der jeder nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen leben kann. gewerkschaftliche Entscheidung zufalle – Heeresreform ohne Zustimmung des Parlaments – Protest – Auflösung Einigung: nach Sieg gegen Österreich 1866 mit Indemnitätsvorlage (vom Parlament nachträglich zugebilligte Straflosigkeit für Regierung) – Kanzler erkennt das Budgetrecht nachträglich an 1863 Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (ADAV) unter Ferdinand Lassalle (allgemeines und direktes Wahlrecht, Reform innerhalb des bestehendes Staates, Gegner von Marx) Die machtstaatliche Einigung Deutschlands unter Führung Preußens („Eisen und Blut“) • politische und Arbeiterbewegung: 1869 Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) unter August Bebel und Wilhelm Liebknecht (vertritt Ziele der marxistischen internationalen ArbeiterAssoziation) revolutionär • • • 1875 Vereinigung der beiden Parteien zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) • • Gewerkschaften (Tarifverträge) • Eingreifen des Staates: Sozialgesetze unter Bismarck ab 1883 (Kranken- , Unfall-, Rentenversicherung) • Aufgaben 1. Fassen Sie die Ursachen für die Entstehung des Pauperismus in Thesen zusammen. • 2. Diskutieren Sie, welche Rolle theoretische Beeinflussung der Bevölkerung bei der tatsächlichen Entwicklung spielte. 3. Erarbeiten Sie die Etappen des politischen Konzepts der Sozialdemokratie vom 19. Jahrhundert bis zum Beginn der Weimarer Republik. Auseinandersetzungen um die Hegemoniefragen in Deutschland zwischen Preußen und Österreich Streit um Schleswig und Holstein: – deutsch - dänischer - Krieg 1864 > Abtretung der Herzogtümer an Preußen und Österreich zur gemeinsamen Verwaltung Krieg gegen Österreich: Bismarck schürt Differenzen in der Besatzungspolitik > Einmarsch preußischer Truppen > Mobilmachung des Deutschen Bundes gegen Preußen > Königgrätz 1866 Sieg Preußens 1867 Norddeutscher Bund: alle 22 nördlich der Mainlinie liegenden deutschen Staaten schlossen sich zum N.B. zusammen > Führungsmacht Preußen > Bismarck versucht, gegen den Widerstand Frankreichs und Österreichs süddeutsche Staaten zum Beitritt zu bewegen 1870/71 deutsch-französischer Krieg: Erbfolgestreit um spanischen Thron – Verzicht der Hohenzollern – Napoleon III. verlangte zusätzliche Garantien von Preußen – Bismarck kürzt die Antwort Wilhelms („Emser Depesche“) und die Zeitungsveröffentlichung beleidigt Frankreich – Kriegserklärung Frankreichs im Juli 1870 – 2. September 1870 Kapitulation Frankreichs bei Sedan Gebietsabtretungen (Elsass und Teile Lothringens) Reparationen von 5 Mrd. Franc in Gold dauerhafte Krise zwischen Deutschland und Frankreich geschaffen ! 3.5. Das deutsche Kaiserreich Die Reichsproklamation Deutsche Politik nach der Revolution von 1848/49 • • • • 1850 Preußen gibt die Nationalstaatspläne auf – der Deutsche Βund wird wiederhergestellt 1851 – 1859 der restaurierte Bundestag hob die Grundrechte von 1848 wieder auf • unter Drohungen, Gewährung von Sonderrechten für Bayern stimmen die deutschen Staaten am 18. Januar 1871 in Versailles für den deutschen Nationalstaat preußischer König ist zugleich Deutscher Kaiser nationale Idee wandelt sich von der liberalen zur konservativen Komponente ! Heeres- und Verfassungskonflikt in Preußen • • • • seit 1861 Prinz Wilhelm König wollte Wehrdienstzeit auf drei Jahre erhöhen – liberale Mehrheit im Abgeordnetenhaus war dagegen – es ging um das Prinzip des Budgetrechts, das auf Militärhaushalt wirkte und von der Regierung bestritten wurde 1862 wird Otto von Bismarck Ministerpräsident Lückentheorie: für den Fall einer Kontroverse zwischen König und Parlament sah die Verfassung keine ausdrückliche Regelung vor – Bismarck interpretierte, dass dem König die Aufgaben 1. Erläutern Sie die Wandlung des Nationalismus von einer liberalen Idee hin zu einer konservativen Strömung. 2. Bewerten Sie die Reichsgründung innerhalb der Entwicklungslinien Demokratisierung und Liberalisierung. 16 3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert • Die Verfassung des Kaiserreichs • Deutscher Kaiser (Erbmonarchie für den König von Preußen) Streitkräfte Reichskanzler Staatssekretäre Bundesrat kontrolliert Verwaltung, Vetorecht ab 14 Stimmen 25 Landesregierungen entsenden 58 Vertreter, davon 17 aus Preußen Länderparlamente nach unterschiedlichem Wahlrecht gewählt siehe auch Anlagen! Aufgaben: 1. Vergleichen Sie die föderalen Strukturen des Kaiserreiches mit denen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland! übereinstimm ende Mehrheitsbeschlüsse Reichstag 2. Untersuchen Sie die Reichsverfassung nach dem Vorhandensein von Grundrechten! 3. Beurteilen Sie die Reichverfassung hinsichtlich ihrer Wirkung auf die alten Eliten und das Bürgertum! § Wahlberechtigte männliche Bevölkerung über 25 Jahre, allgemeines, direktes, geheimes Wahlrecht mit absoluter Mehrheitsabstimmung Obrigkeitsstaat und („Zuckerbrot und Peitsche“) • • Das Reich • • • Bundesstaat starke föderale Strukturen (eigene diplomatische Vertretungen, Eisenbahn, Post, Finanzhoheit, alle direkten Steuern das reich ist „Kostgänger bei den Ländern“ Staatsoberhaupt • • • • • • König von Preußen ernannte Reichskanzler und Reichsbeamte völkerrechtliche Vertretung Entscheidung über Krieg und Frieden Ausfertigung der Reichsgesetzte Auflösung des Reichstages mit Zustimmung des Bundesrates Regierungschef • • • • Abstimmungsrecht über Gesetzesvorlagen mit dem Erfordernis der Übereinstimmung mit dem Bundesrat 397 Wahlkreise – pro WK ein Abgeordneter – Mehrheitswahlrecht – auf 100.000 Einwohner (war auf Dauer nicht zu halten) • • • • Kaiserreich Parteien waren für Bismarck „Verbündete auf Zeit“ „Tendenzpolitik“: anfangs Kooperation mit Nationalliberalen, dann liberale Fortschrittspartei, später Bruch mit den Liberalen wegen Interventionismus in der Wirtschaft, Staatstragende Parteien: konservative Gruppierungen diejenigen, die Kanzlerpolitik nicht teilten > „Reichsfeinde“ > politischer Katholizismus > Sozialdemokratie 1871-1887 Kulturkampf: Auseinandersetzung zwischen Staat und römisch-katholischer Kirche 1883 Sozialgesetzgebung 1878-1890 Sozialistengesetz zur Unterdrückung von Arbeiterparteien und Gewerkschaften Aufgabe Informieren Sie sich über die Hintergründe der politischen Änderungen in der bismarckschen Politik. verantwortlich für die Politik des Reiches ausschließlich dem Kaiser rechenschaftspflichtig Vorsitz im Bundesrat preußischer Ministerpräsident Bundesrat • • • • • 58 Mitglieder, Preußen mit 17 Stimmen Vetorecht ab 14 Stimmen erlässt in Übereinstimmung mit dem Reichstag die Reichsgesetze Ratifikation völkerrechtlicher Verträge und von Kriegserklärungen Vorsitz durch Reichskanzler Reichstag • • Haushaltsbewilligungsrecht Initiativrecht 17 3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert 3.6. Modernisierte Arbeitswelt im Kaiserreich 2. Erläutern Sie die Zusammenhänge zwischen Konzentration, Investition und Wirtschaftswachstum. Integrative und spaltende Tendenzen im deutschen Nationalstaat „Gründerboom“ und „Gründerkrach“ • • hohe Erwartungen nach der Reichsgründung durch Gebietszuwachs und Reparationen gefördert > Eskalation der Konjunktur > Überkapazitäten entstanden > über 500 neue Aktiengesellschaften > Arbeitslosigkeit fast beseitigt > „Marx schien widerlegt“ • • • • • • • Mitte 1873 Kursstürze > Preisverfall > Lohnverfall > Produktionsrückgang > Anstieg der Arbeitslosigkeit > Tiefpunkt 1879 > „Marx war wieder aktuell“ > „Interventionismus“ des Staates durch Schutzzollpolitik • • Nationalbewegung hatte ihr wesentliches Ziel erreicht > Nationalstaat mit Segnungen der Technik und erfolgversprechender Zukunft 1873 Reichsmark 1900 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Kaiserkult inoffizielle Nationalhymne „Heil dir im Siegerkranz“ Nationalfeiertag „Sedantag“ 2. September Militarisierung der Gesellschaft Armee als „Staat im Staate“ nationale Überheblichkeit (Deutsche Kolonialgesellschaft, Alldeutscher Verband, Deutscher Flottenverein) > Einteilung der Welt in gut und böse Antisemitismus, Frauenemanzipation und soziale Differenzen als spaltende Elemente Aufgabe Vergleichen Sie die konjunkturelle Entwicklung mit der gesellschaftlichen Entwicklung. Die zweite Phase der Industrialisierung • • • • • • • • • ab 1879 bis ca. 1895 schwaches wirtschaftliches Wachstum Zusammenschluss von Interessensverbänden der Arbeitnehmer (s.o.) und Arbeitgeber (1876 Centralverband Deutscher Industrieller, 1893 Bund der Landwirte, 1895 Bund der Industriellen) Mitte 90er Jahre neue „Leitsektoren“ der Industrie: Maschinen- und Motorenbau (DaimlerBenz), Chemieindustrie (Bayer, Hoechst, BASF), optische und feinmechanische Industrie, Elektroindustrie (Siemens) staatliches Schul- und Hochschulwesen Konzentration des Kapitals in horizontaler und vertikaler Richtung > Kartellen > Syndikate > Monopole Bedeutung der Banken steigt (seit 1870 mehrere Großbanken gegründet: Deutsche Bank, Commerzbank, Dresdner Bank ...) Verschmelzung von Banken und Industrie Staat gerät immer mehr in Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Erfolg der Großunternehmen Außenpolitik im Interesse der eigenen Wirtschaft, deren Vertreter vielfach in gehobenen Positionen des Staates sitzen > Personalunion > Kolonialismus > Imperialismus (Lenin: staatsmonopolistischer Kapitalismus) Aufgaben 1. Erläutern Sie, welche Funktion der Kult um den Kaiser hatte. Vergleichen Sie diesen Kult mit aktuellen Phänomenen. 2. Finden Sie Beispiele für antisemitisches Verhalten im 19. Jahrhundert in Deutschland. Nennen Sie Motivationen für die Ausgrenzung. Aufgaben 1. Erläutern Sie, in welchen wirtschaftlichen und politischen Zwängen sich das Kaiserreich befand und inwiefern diese die Politik beeinflussten. 18 3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert 3.7. Das Deutsche Reich zwischen Kontinental- und Weltpolitik Die außenpolitische Konzeption Bismarcks • • • Europa befürchtet ein expansives Deutschland Bismarcks Verdienst ist das Zurückdrängen dieser Ängste nach 1871 existieren drei Grundrivalitäten, in deren Rahmen Bismarck Außenpolitik gestalten muss: 1. 2. 3. Russland gegen England (Asien) Russland gegen Österreich (Balkan) Deutschland gegen Frankreich Lothringen) B. verzichtet auf provokante außenpolitische Maßnahmen („das Reich ist saturiert“) vermeidet jede neue Eskalation gegen Frankreich aus Frucht vor Gegnerschaft anderer („Krieg-in-Sicht- Krise“ 1875) versucht Gegensätze zwischen anderen Mächten zu nutzen und sie für gute Beziehungen zu Deutschland zu gewinnen (Elsass- 1873 Dreikaiserabkommen (D-Ö/U-R) 1878 Berliner Kongress (Bismarck „makelt“ zwischen Interessen aller Großmächte > Verschlechterung der Beziehungen zu Russland) 1879 Zweibund (D-Ö/U) gegen Russland 1882/83 Dreibund mit Italien 1887 Rückversicherungsvertrag mit Russland Deutschlands Einstieg in die Weltpolitik • • • • • • 1884/85 erste Kolonien in Neuguinea 1890 Wilhelm II. drängte Bismarck aus dem Amt > beansprucht „Platz an der Sonne“ > „ich führe euch herrlichen Zeiten entgegen“ > Steigerung des Kolonialismus zum Imperialismus Verschlechterung der Beziehungen zu anderen Großmächten (durch Kapitalexport wie Bagdad-Bahn, Flottenrüstung, ...) > 1904 Bildung der „Entente Cordiale“ zwischen Großbritannien und Frankreich (Vertiefung dieses Bündnisses durch MarokkoKrise 1904/05 und 1911) 1907 Beitritt Russlands zur „Triple-Entente“ Handlungsspielräume Deutschlands wurden geringer („Einkreisung“ > Hochrüstungspolitik > „Schlieffenplan“) 1914 Beginn des 1. Weltkrieges 1917 Eintritt der USA in den Krieg 1918 Ende des 1. Weltkrieges am 11. November 19 3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert Nationale 3.8. Die Novemberrevolution: Zwischen Kontinuität und Neubeginn • • • • • Nazis • • • • • • • • • Eingeständnis der Niederlage durch OHL im Oktober 1918 letzter vom Kaiser ernannter Kanzler Prinz Max von Baden musste Waffenstillstand organisieren > 11. November („Dolchstoßlegende“) parallel dazu Verfassungsreform > Deutschland wird parlamentarische Monarchie Massenkundgebungen und Meuterei, Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten 9. November 1918 Abdankung Wilhelms 10. November Rat der Volksbeauftragten übernimmt die Regierung Bündnis Ebert - Groener Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann in Berlin (zwei Stunden später durch Karl Liebknecht sozialistische Republik) Friedrich Ebert SPD durch revolutionäre Ereignisse legitimiert – stärkste Fraktion im Reichstag – überlässt die Entscheidung über die zukünftige Staatsform einer gewählten Nationalversammlung > Termin 19. Januar 1919 Der Kampf um die Umsetzung unterschiedlicher politischer Vorstellungen • • • • • • • politische Gruppe Kommunisten Außenpolitik • • • Sozialdemokraten • • • • • • Zentrumsanhänger • • politische Gruppe Kommunisten Sozialdemokraten Innenpolitik • • • • • Zentrumsanhänger • • • Liberale Konservative • • • • • • • • • • • Sozialismus Zerschlagung des alten Machtapparates Rätedemokratie parlamentarische Demokratie Dezentralisierung des Staates weltliche Schulen gegen gewaltsamen Umsturz Vereinheitlichung der Verwaltung Unparteilichkeit der Justit Bekenntnisschule Demokratie Liberalismus Volksstaat Gleichheit kommunale Selbstverwaltung gesetzmäßig aufgerichtetes Kaisertum verantwortliche Mitarbeit der Volksvertretung Stärkung der Familie gegen Fremdstämmige nationale Einheitsschule Liberale Konservative • • • • • • • Nationale • • • Nazis • • • • • politische Gruppe über den Parteien stehende Monarchie starkes Preußen Mitwirkung der Volksvertretung bei Gesetzgebung starke Exekutive Berufsbeamtentum starkes deutsches Volkstum (antisemitisch) rassisches Staatsbürgerschaftsrecht antiparlamentarisch starke Zentralgewalt antiföderal antipluralistisch antikommunistisch Annullierung aller internationalen Schulden und Reparationen politisches und wirtschaftliches Bündnis mit der UdSSR Selbstbestimmungsrecht aller Nationen antiimperialistisch demokratisch sozialistisch friedlich Selbstbestimmungsrecht Abrüstung europäische Wirtschaftseinheit Gleichberechtigung Deutschlands Prüfung der Kriegsschuldfrage keine Gebietsbesetzungen gerechte Friedensverträge Selbstbestimmungsrecht Gleichberechtigung Deutschlands Nationalitätenprinzip Völkerversöhnung, nur, wenn Ehre Deutschlands beachtet wird Vereinigung Deutschlands und Österreichs gerechte Friedensverträge gegen Zwangsfrieden Volksgemeinschaft mit allen Deutschen im Ausland Selbstbestimmungsrecht Zusammenschluss aller Deutschen auf Grundlage des Selbstbestimmungsrechts gegen Zwangsfrieden Kolonialismus gegen Ausländer Wirtschaft 20 3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert Kommunisten • • • • Sozialdemokraten • • • • • Zentrumsanhänger • • Liberale • • • • • • • Konservative • • • • Nationale • • Nazis • • • • • entschädigungslose Enteignung der Industrie, des Großgrund- und des großen Hausbesitzes Übergabe von Grund und Boden an landlose Bauern Abschaffung der Unternehmensprofite Plan- und Zentralverwaltungswirtschaft Volkseigentum wirtschaftliches Rätesystem Kartellkontrolle Förderung der Genossenschaften Verstaatlichung von Grund und Boden Gewährleistung des Rechts auf Privatunternehmen und Genossenschaften Verstaatlichung gegen Entschädigung Schutz des Mittelstandes Kartellkontrolle gegen Vergesellschaftung der Produktionsmittel Privatwirtschaft gegen Monopole Aufteilung des Großgrundbesitzes Schutz von Handwerk und Kleinhandel Privateigentum nur bedingte Verstaatlichung gegen Entschädigung Genossenschaftswesen Förderung der Landwirtschaft und des Mittelstandes Privateigentum Förderung der Landwirtschaft und des Mittelstandes Verstaatlichung aller bereits vergesellschafteten Betriebe Gewinnbeteiligung an Großbetrieben gesunder Mittelstand Bodenreform Kommunalisierung der Großwarenhäuser 1917 verwirklicht. Auf deutschem Gebiet versuchte nach dem 1. Weltkrieg u. a. die USPD, Räterepubliken zu errichten. Im März 1919 wurde in München die Räterepublik ausgerufen, die bis Anfang Mai bestand; eine gleichzeitig von Béla Kun in Ungarn errichtete Räterepublik hielt sich bis August. • • • Bildung von Freikorps Januar 1919 Gründung der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) > Spartakusaufstand > Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg die Versuche, Räterepubliken zu gründen scheitern am Widerstand der Regierung und der Freikorps Aufgaben: 1. Arbeiten Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Politikvorstellungen der o.g. Gruppen heraus. 2. Überlegen Sie, für welche Interessensverbände innerhalb Deutschlands und im Ausland welche politische Gruppierung unterstützenswert erscheint. Rätesystem, auch Rätedemokratie, Regierungssystem, in dem die bisher unterprivilegierte Schicht durch unmittelbare Demokratie über Räte die Macht ausüben soll. Die auf unterster Ebene (Gemeindeebene) direkt gewählten, weisungsgebundenen Räte üben richterliche, ausführende und gesetzgebende Gewalt aus. Das Rätesystem lehnt eine Gewaltenteilung ab, und stellt sich damit gegen das System der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie. Die direkt vom Volk beauftragten Räte wählen wiederum Bevollmächtigte für die nächsthöhere Ebene. An der Spitze des Staates steht der Zentralrat. Einen Vorläufer hatte das Rätesystem in der Pariser Kommune von 1871. Es wurde theoretisch weiterentwickelt u. a. von Karl Marx, Friedrich Engels und Lew Trotzkij, die durch das Rätesystem die Selbstbestimmung der Massen in der „Diktatur des Proletariats“ durchsetzen wollten. Das Rätesystem wurde bereits in der Russischen Revolution von 1905 angestrebt und in der Oktoberrevolution von 21 3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert 3.9. Der Weg zur Verfassungsordnung der Weimarer Republik • Parteien, die sich zur Wahl stellten: o Deutsche Demokratische Partei (DDP) o Deutsche Volkspartei (DVP) o Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) o Kommunistische Partei Deutschland (KPD) o Deutschnationale Volkspartei (DNVP) o Zentrum o andere Wahlergebnis: Mehrheit für bgl. Parteien gegen Rätesystem, 76,1% für Weimarer Koalition (SPD, DDP, Zentrum) > Zweidrittelmehrheit Zusammentreten der NV am 6. Februar 1919 in Weimar Aufgaben: 1. Schaffung einer vorläufigen Reichsgewalt > Friedrich Ebert zum Reichspräsidenten gewählt, Philipp Scheidemann mit Regierungsbildung beauftragt 2. Ausarbeitung einer Verfassung (Hugo Preuss) Annahme und Verkündung der Verfassung im Juli/August 1919 Die Verfassung der Weimarer Republik • 1. 2. zwei Hauptteile: Aufbau und Aufgaben des Reiches (1-108) Grundrechte und Grundpflichten des Deutschen (109-165) • Souverän ( Die Staatsgewalt geht vom Volke aus [Art. 1] ) Willen durch Reichstag (RT) verkörpert wählt den Reichspräsidenten (RP) direkt Möglichkeit von Volksentscheiden • • • • Parlament • • • • Parteien in der Verfassung nicht ausdrücklich erwähnt Aufgabe: Organisation der Wahlen Wahlrecht: allgemein, gleich, direkt und geheim für Männer und Frauen über 20 Jahre Verhältniswahlrecht ohne Sperrklauseln RT ist zentrale Legislative Gesetzesinitiative in normalen Zeiten Kontrolle der Regierung Entscheidung über Krieg und Frieden Länderkammer • Reichsrat Vetorecht besitzt nur suspensives Reichsregierung • schwache Stellung • vom Vertrauen des RT und RP abhängig Grundrechte • nachstaatlich • Grundrechte nach Maßgabe der Gesetze eingeräumt Siehe auch Anlagen! Aufgaben: 1. Vergleichen Sie die Verfassung der Weimarer Republik mit der der Bundesrepublik Deutschland! Versuchen Sie die Veränderungen zu begründen! 2. Untersuchen Sie, welche verfassungsrechtlichen Entwicklungen es von der Paulskirchenverfassung bis zur Verfassung der Weimarer Republik gegeben hat! 3. Beurteilen Sie die Weimarer Verfassung im Hinblick auf andere Verfassungen zur damaligen Zeit. Das Volk • • • Reich und Länder • Staaten des Kaiserreichs heißen Länder • Länderregierungen und Landtage • über Reichsrat an der Gesetzgebung beteiligt > aber: „Reichsrecht bricht Landesrecht“ (Art. 13) • das Reich zieht alle wichtigen Bereiche an sich Staatsoberhaupt • RP = „Ersatzkaiser“ • höchster Repräsentant • an Gesetzgebung beteiligt (Art. 48) • kann RT auflösen (Art. 25) • kontrolliert die Regierung (Art. 53) durch Ernennung und Entlassung von Ministern • Oberbefehlshaber der Streitkräfte • Diktator auf Zeit (Art. 48) > Recht zur Reichexekution • für 7 Jahre gewählt, ohne Wiederwahlbeschränkung Parteien und Wahlen 22 4. Historische Grundbegriffe 4. Historische Grundbegriffe Absolutismus, die Staatsform, in der die Herrschaftsgewalt im Staat weitgehend beim Monarchen liegt; auch die Bezeichnung für die durch die absolutistische Staatsform charakterisierte Epoche der europäischen Geschichte (vom 16. Jahrhundert bis zur Französischen Revolution 1789 bzw. in seiner Spätphase bis zur Revolution von 1848/49). Der Begriff Absolutismus ist eine Neuschöpfung des 19. Jahrhunderts und geht auf die von den Staatsdenkern Jean Bodin und Thomas Hobbes im 16. und 17. Jahrhundert wieder aufgenommene römische Rechtsformel princeps legibus solutus (lateinisch „der von den Gesetzen losgelöste Fürst“) zurück, die besagt, dass des Herrschers Wille als oberstes Gesetz absolut gilt. Der Begriff steht also für eine Regierungsform, in der der Herrscher seinen Willen mit Hilfe einer von ihm abhängigen Bürokratie, einer ihm ergebenen Armee und einer ihm unterstehenden obersten Gerichtsbarkeit durchsetzt, in der er ohne die Mitwirkung einer Volksvertretung wie der Stände und ohne Kontrollorgan regiert und die ungeteilte Herrschaftsgewalt in seinen Händen vereint. Von der Willkürherrschaft z. B. eines Despoten unterscheidet sich der Absolutismus insofern, als sich der absolutistische Monarch auf das Gottesgnadentum beruft, d. h. er beansprucht für sich, aus göttlichem Recht zu regieren, und sich dem überkommenen menschlichen Recht verpflichtet sieht. Oberste Maximen des absolutistischen Herrschers sind die Souveränität und die Staatsraison, also die Unabhängigkeit des Monarchen nach innen und nach außen sowie das auf die Wahrung und Mehrung des Nutzen des Staates ausgerichtete Handeln. Formen: Frühabsolutismus (Friedrich II. von Stauffen) Die mangelnde Ordnungskraft der feudalen Ständestaaten erklärt das Aufkommen der frühen absolutistischen Regierungsformen in Europa bis Ende des 15. Jahrhunderts. Konfessioneller Absolutismus (Philipp II. von Spanien, Elisabeth I. von England) Die Erschütterung von Staat und Gesellschaft im Zuge der Glaubenskriege des 16. Jahrhunderts forcierte das Entstehen starker Zentralgewalten. Als Modell des konfessionellen Absolutismus steht u.a. die Herrschaft Heinrichs IV. in Frankreich. Er schuf im durch die Hugenottenkriege zerrütteten Frankreich eine straffe Verwaltung und stärkte die königliche Zentralgewalt; zudem, und das ist bis auf wenige Ausnahmen kennzeichnend für den Absolutismus, zeigte er zugunsten des inneren Friedens und im Sinne der Staatsraison Toleranz gegenüber konfessionellen Minderheiten. Klassischer Absolutismus, höfischer oder Hochabsolutismus (Ludwig XIV. von Frankreich, Friedrich Wilhelm I. von Preußen, Peter der Große von Russland) Ludwig XIV. führte in Frankreich den absolutistischen Machtstaat unter dem Motto „L’état c’est moi“ (französisch, „Der Staat bin ich“) im 17. Jahrhundert zu seinem Höhepunkt. In England dagegen konnte sich das Parlament endgültig 1688 gegen absolutistische Tendenzen der Krone durchsetzen, und im Heiligen Römischen Reich scheiterten im 16. und 17. Jahrhundert die Versuche der Kaiser, das Reich im Sinne einer Stärkung der Zentralgewalt umzugestalten, am Widerstand der Landesfürsten; in einzelnen deutschen Territorialstaaten dagegen gelang die Errichtung absolutistischer Herrschaften. Charakteristisch für den absolutistischen Staat war die weitgehende politische Entmachtung der Stände und die Zurückdrängung des Adels und des Klerus (wobei die ständische Sozialordnung bestehen blieb) und, im Gegenzug, die Heranziehung des gebildeten und des Handel treibenden Bürgertums als loyale, nur dem König verpflichtete Beamtenschicht und als bedeutende Wirtschaftskraft. Das weisungsgebundene Beamtentum war das wichtigste Instrument des absolutistischen Monarchen zur Durchsetzung der Zentralgewalt im Inneren; das stehende, nur dem Herrscher unterstehende Heer sein wichtigstes Instrument zur Verteidigung der Souveränität des Staates nach außen. Der straffen Zentralisierung und der Schaffung rationaler Verwaltungsorgane entsprach im Bereich der Wirtschaft die Etablierung von Organisationsformen wie Merkantilismus und Kameralismus zur Regulierung der Wirtschaft und zur Sicherung der Staatsfinanzen. Ein weiteres wesentliches Merkmal des Absolutismus ist – trotz der Berufung auf das Gottesgnadentum – die Enttheologisierung des Staatswesens und die Aufhebung der weltlichen Herrschaftsbefugnisse der Kirche. Aufgeklärter Absolutismus (Friedrich II. von Preußen, Joseph II. von Österreich, Katharina II. von Russland) Die Aufklärung brachte auch in der Staatstheorie einen Wandel. Der aufgeklärte Fürst wie etwa Friedrich II. von Preußen oder Joseph II. von Österreich definierte sich nunmehr als „erster Diener des Staates“ und als primär dem Gemeinwohl verpflichtet. Im Sinne einer humanitären Staatsidee führte der aufgeklärte absolutistische Monarch das Gemeinwohl fördernde Reformen durch, leitete z. B. mit umfangreichen Rechtskodifikationen wie dem „Allgemeinen Landrecht“ in Preußen oder dem „Bürgerlichen Gesetzbuch“ in Österreich erste Schritte auf dem Weg zur Rechtsstaatlichkeit ein, schaffte Folter und Leibeigenschaft ab und führte die allgemeine Schulpflicht ein. Seine Legitimation bezog der aufgeklärte Herrscher aus der Erfüllung der aus der Verpflichtung auf das Gemeinwohl erwachsenden Aufgaben, der bloße Verweis auf das Gottesgnadentum war nun nicht mehr hinreichend. Spätabsolutismus (Napoleon, Friedrich Wilhelm III. und IV. von Preußen) Der absolutistische Herrscher stützte sich zwar in Verwaltung und Wirtschaft in großem Umfang auf das aufstrebende Bürgertum, versagte ihm aber die entsprechende politische Repräsentanz im Staatswesen. Diese Spannung entlud sich dann in den Revolutionen von 1789 bzw. 1848. Auf der anderen Seite wurden z. B. mit der beginnenden Nivellierung der mittelalterlichen Sozialstrukturen, mit der Rechtskodifikation und mit der Schaffung durchschaubarer Verwaltungsstrukturen in der Zeit des Absolutismus wichtige Schritte in Richtung Modernisierung und Demokratisierung des Staates getan. Adel (von althochdeutsch adal: „Geschlecht“, „Abstammung“), durch Geburt, Besitz oder Leistung sozial, rechtlich und politisch privilegierte Klasse. Der Adel ist ein in allen Kulturen und Epochen zu beobachtendes Phänomen. Mit dem Ende des alten Reiches 1806 wurden die geistlichen Fürstentümer in Deutschland säkularisiert und die Gebiete der Reichsritter und der kleineren Reichsfürsten und -grafen mediatisiert, d. h. größeren Fürstentümern eingegliedert. Die mediatisierten Fürsten behielten zunächst ihre Rechtsstellung als Mitglieder des Hochadels und ihre Privilegien; 1848 verloren sie allerdings einen großen Teil ihrer Standesvorrechte. Mit dem Deutschen Bund kam 1815 der Briefadel auf, d. h. der per Adelsbrief von einem Fürsten verliehene, nicht ererbte Adel, und im Laufe des 19. Jahrhunderts verschwanden alle zunächst noch bestehenden Unterschiede zwischen dem mediatisierten Adel und dem Briefadel. In Deutschland behielt der Adel bis 1918 seine gesellschaftlich und politisch führende Stellung, trotz der Verluste seiner Privilegien und der fortschreitenden Nivellierung der ständisch gegliederten Gesellschaft. 1918 wurden sämtliche noch verbliebenen Privilegien des Adels aufgehoben und durch die Weimarer Verfassung von 1919 der Adelsstand an sich abgeschafft; der Adelstitel durfte als Teil des bürgerlichen Namens weitergeführt werden. In Österreich wurde ebenfalls 1919 der Adelsstand inklusive Privilegien und Titeln aufgehoben; das Führen eines Adelsprädikats ist seitdem gesetzlich untersagt. Arbeiter (nach Roland Detsch), unselbständig oder abhängig Beschäftigte, die ihre überwiegend körperlich ausgeführte Arbeitskraft dem Arbeitgeber gegen Entgelt zur Verfügung stellen. Man unterscheidet einerseits zwischen ungelernten Arbeitern (Hilfsarbeitern) und angelernten, die über keine berufliche Qualifikation verfügen, und andererseits gelernten Arbeitern oder Facharbeitern, die sich durch langjährige Berufserfahrung bzw. eine geregelte Berufsausbildung auszeichnen. Im Zuge des wirtschaftlichen Wandels und technischen Fortschritts hat die Zahl der Arbeiter in den Industrieländern kontinuierlich abgenommen. Gleichzeitig stieg die Zahl der Angestellten vor allem im Dienstleistungsbereich stetig an. Der moderne Arbeiter zeichnet sich weniger durch bloße Handfertigkeit aus als durch Kontrollfertigkeit im Umgang mit Maschinen. Die Rolle und soziale Stellung der Arbeiter hat sich im Laufe der Geschichte stark verändert. In der Antike gab es neben den unbezahlten Sklavenarbeitern bereits Lohnarbeiter, die von den Landbesitzern beschäftigt wurden (griechisch: Theten, römisch: Proletarii). Im Mittelalter dominierten Wanderarbeiter auf Zeit, die im Merkantilismus (18. Jahrhundert) von Tagelöhnern abgelöst wurden, die sich in den Manufakturen verdingten. Im Frühkapitalismus des 19. Jahrhunderts entwickelte sich ein Proletariat, das den unmenschlichen Gesetzmäßigkeiten der ungeregelten Marktwirtschaft unterworfen war. Erst durch die Solidarisierung in der Arbeiterbewegung konnte es eine Verbesserung seiner sozialen Situation erzwingen. Im 20. Jahrhundert wurden die Arbeiter zunehmend wirtschaftlich und gesellschaftlich integriert. Bauernbefreiung zusammenfassende Bezeichnung für die Neuordnung der bäuerlichen Verhältnisse im 18. und 19. Jahrhundert in Europa und die damit verbundene Herauslösung der Bauern aus ihren feudalen Abhängigkeitsverhältnissen. Die Bauernbefreiung verlief in den einzelnen Territorien je nach historischen und rechtlichen Voraussetzungen in unterschiedlicher Weise und zeitlicher Abfolge. Sie umfasste im Wesentlichen folgende rechtliche Vorgänge: 1. die Aufhebung der persönlichen Unfreiheit der Bauern (Leibeigenschaft, Erbuntertänigkeit), 2. die Übertragung des Grundeigentums an die Bauern, die den Boden bewirtschafteten (Auflösung der Grundherrschaft oder Gutsherrschaft), 3. die Ablösung der mit der Grund- oder Gutsherrschaft verbundenden Gerichtsrechte (Patrimonialgerichtsbarkeit) sowie der bäuerlichen Verpflichtungen zu Abgaben (siehe Zehnten) und Leistungen (Frondienst). Mit Ausnahme Frankreichs, wo die Bauernbefreiung auf revolutionärem Wege erfolgte, wurde sie meist im Zuge staatlicher Reformen „von oben“ durchgeführt. Die ehemaligen Grund- oder Gutsherren erhielten dabei für die Ablösung der früheren Rechte Entschädigungen durch Land oder Geld. Erste Schritte zur Bauernbefreiung in Brandenburg-Preußen unternahm bereits ab 1718 Friedrich Wilhelm I. Die Aufhebung der Leibeigenschaft wurde zwar 1763 von Friedrich II. befohlen, ließ sich aber gegen den Adel noch nicht durchsetzen. In Österreich ergriff Maria Theresia erste Maßnahmen zur Bauernbefreiung; unter Joseph II. wurde 1781 die Leibeigenschaft aufgehoben und 1783 die Ablösung der Frondienste ermöglicht. In Baden erfolgte 1783 die Aufhebung der Leibeigenschaft. Von erheblichem Einfluss auf die Bauernbefreiung in Deutschland war die Französische Revolution, die in Frankreich die feudalen Abhängigkeiten beseitigte. Im Zuge der Preußischen Reformen, zu denen die Niederlage Preußens gegen Napoleon in der Schlacht von Jena/Auerstedt (14.10.1806) den Anlass gab, verschaffte das „Oktoberedikt“ von 1807 sämtlichen Bauern ab dem Martinitag 1810 die Freiheit von der Gutsherrschaft. Spätere Edikte von 1811 und 1816 regelten die Entschädigungen für die Gutsbesitzer. Auch in den französisch gewordenen deutschen Gebieten und den mit Frankreich verbündeten Staaten des Rheinbundes wurden verschiedene Maßnahmen zur Bauernbefreiung durchgeführt; sie wurden aber – mit Ausnahme der Abschaffung der Leibeigenschaft – im Zuge der Restauration nach dem Wiener Kongress (1814/15) zum Teil wieder rückgängig gemacht. Weitere Impulse für die Bauernbefreiung gingen 1830 von der französischen Julirevolution aus. Die deutsche Märzrevolution von 1848 vollendete die Bauernbefreiung in allen Staaten des Deutschen Bundes. Die Bauernbefreiung war einerseits eine wichtige Voraussetzung für den Abbau der Standesschranken und die Entstehung eines allgemeinen und gleichen Staatsbürgertums. Andererseits führte sie dort, wo die bäuerlichen Anwesen nach Abzug der Entschädigungsleistungen für die ehemaligen Grundherren den Lebensunterhalt der Bauern und ihrer Familien nicht mehr sichern konnten, oft zur Verarmung oder Aufgabe der Hofstellen. Vor allem in Gebieten, wo die Gutsherrschaft dominierte – so in Deutschland östlich der Elbe –, bedeutete die Bauernbefreiung eine tief greifende gesellschaftliche Umwälzung. Viele der sozial entwurzelten ehemaligen Bauern fanden als Landarbeiter bzw. ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auch als Industriearbeiter Beschäftigung oder wanderten aus. Bauernlegen, Bezeichnung für das Einziehen – durch Auskaufen bzw. Abmeierung oder Vertreibung bzw. Eviktion – von Gütern abhängiger Bauern durch adlige Grund- oder Gutsherren. Seinen Ursprung hatte das Bauernlegen im 15./16. Jahrhundert in England; die Grundherren erweiterten auf diese Weise ihr Weideland (siehe Einhegungen). In Deutschland wurde das Bauernlegen vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg bis ins 18. Jahrhundert hinein betrieben. In Preußen war das Bauernlegen seit 1709 verboten; das Verbot wurde allerdings wenig beachtet. Bourgeoisie, zunächst Bezeichnung für die freien Einwohner europäischer Städte. Später wurde der Begriff Bourgeoisie ein Synonym für Bürgertum. Im 17. Jahrhundert wandte sich das Bürgertum entschieden gegen das so genannte Gottesgnadentum und die mit diesem verbundenen Privilegien des Herrschers und des Adels. So führten die Bourgeoisie die Englische Revolution im 17. Jahrhundert und die Amerikanische und Französische Revolution Ende des 18. Jahrhunderts an. In diesen Revolutionen wurden politische Rechte und persönliche Freiheiten für alle Bürger erkämpft. Bourgeoisie und marxistische Theorie Die aufkommende industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts brachte bedeutende Veränderungen der Wirtschaft mit sich: die Entwicklung der mechanischen Antriebskraft führte zur Einführung des 24 Fabriksystems und über dieses zur Entstehung großer Industriestädte. Das Bürgertum spaltete sich in die alte Bourgeoisie – die Kapitalisten – und die ständig anwachsende Gruppe der Kleinbürger. Zu dieser Zeit entwickelte Karl Marx seine Theorie des Klassenkampfes. Marx betrachtete die bürgerliche Kapitalistenklasse – d. h. die Unternehmer – als reaktionäre Kraft, die ihre Vormachtstellung aufrechterhielt, indem sie die Arbeiterklasse, das Proletariat, ausbeutete. Er sagte voraus, dass das Proletariat sich eines Tages erheben werde, um die Bourgeoisie als ökonomische Klasse zu ersetzen, und zwar durch Übernahme der Produktionsmittel. Heute wird der Begriff Bourgeoisie außer von Wirtschaftshistorikern kaum mehr in seinem ursprünglichen Sinn verwendet. Seine deutsche Übersetzung Bürgertum ist austauschbar mit dem Begriff der Mittelschicht. In der modernen Gesellschaft besteht diese Gruppe aus gut ausgebildeten Fachleuten und Angestellten. Demokratie (nach Fuchs/ Raab), griech. , Volksherrschaft, Die Demokratie unterscheidet sich nach der klassischen Dreiteilung der Staatsformen (Aristoteles) als Herrschaft aller vor der Herrschaft eines Einzelnen (Monarchie, Tyrannis), ebenfalls von der Herrschaft weniger (Aristokratie, Oligarchie). Verwirklicht war die klassisch-antike Form der Demokratie in einer Anzahl von Stadtstaaten Alt-Griechenlands, z.B. Athen; sie beruhte auf der Gleichheit der Staatsbürger. Allerdings waren nicht alle Einwohner Staatsbürger, da breite Schichten (Sklaven, Heloten) keine politischen Rechte besaßen. So stellten die vollberechtigten Einwohner stets eine Minderheit dar. Im republikanischen Rom vermochten sich nur einzelne demokratische Einrichtungen durchzusetzen. Wohl galten gleiche Rechte und gleiche Pflichten innerhalb des Stammesverbandes bei den Germanen; die daher noch von Montesquieu vertretene Auffassung, dass bei ihnen der Ursprung der D. zu suchen sei , erscheint aber nicht haltbar. Die urspr. Gleichheit der germanischen Freien wurde durch das erstarkende Königtum und die Durchbildung des Lehnswesens mehr und mehr verdrängt. Das MA kann als das Zeitalter des monarchischen und aristokratischen Ständestaates betrachtet werden; sein Wesen wird durch Vor- und Sonderrechte (Privilegien) geprägt; zudem überwog bald die Herrschaftsgewalt des Landesherrn. Auch dort wo in der mittelalterlichen Staatstheorie der Gedanke der Volkssouveränität vertreten wird, wird ein ständisch gegliedertes Volk vorausgesetzt. Echte demokratische Zielsetzungen zeigen sich in den Fällen, in denen die "niederen Stände" Anteil an der politischen Gewalt fordern und sich mit ihren Forderungen durchsetzen können. Speziell in den Urkantonen der Schweizer Eidgenossenschaft entstand seit dem 13. Jh. eine bäuerliche D. auf der Grundlage der Genossenschaft. In den europäischen Städten kommt es zum Kampf der Handwerkerzünfte um die Gleichberechtigung mit den herrschenden Ständen. Als ersten großen Durchbruch der religiösen D. kann man die engl. Revolution des 17. Jh. betrachten. Durch die Auswanderer kamen die Vorstellungen von der religiösen D. nach Amerika; sie fanden ihren Ausdruck in der "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" sowie schließlich in der Unabhängigkeitserklärung der USA 1776. Neben den im religiösen Bereich entwickelten Gedanken wurden philosophisch-naturwissenschaftliche wirksam, welche bereits im Altertum (Stoa) vorgebildet waren. Die Aufklärungsphilosophie in England und in Frankreich hat den Gedanken, dass der Staat die Pflicht habe, die Freiheit aller anzuerkennen und zu sichern sowie jedem einen gleichen Anteil an der Staatsgewalt zuzugestehen, zur Überzeugung derjenigen Kreise gemacht, aus denen schließlich die Franz. Rev. 1789 hervorging. Von bedeutendem Einfluss dabei waren die Theorien von Montesquieu und Rousseau. Während die Lehren Montesquieus zum liberalen Staat mit starken Freiheitssicherungen (Gewaltenteilung) hinführten, bekannte sich Rousseau zu einer schrankenlosen Allmacht der "volonté generale". Wie die Erfahrungen der Franz. Rev. zeigen, kann diese leicht in die Diktatur umschlagen. Außerdem wurde die D. auch wirtschaftlich-sozial begründet. Schon während der ma. Städterevolutionen und der Bauernaufstände wurde der Anspruch auf unbeeinträchtigte Lebensbetätigung, auf die Achtung der Menschenwürde sowie auf wahres Recht und auf ausreichende Nahrung für jeden erhoben. Unter der Einwirkung der Verfassung der USA sowie der Franz. Rev. setzten sich demokratischen Grundsätze in der Gesetzgebung und der Verwaltung sowohl in Deutschland wie auch in anderen europäischen Staaten durch, die sich, teilweise in heftigen Verfassungskämpfen, zu konstitutionellen Monarchien wandelten. Hierbei war das engl. Vorbild von nicht zu unterschätzendem Einfluss. Im allg. darf man von einer ständigen Ausbreitung und Verstärkung der demokratischen Einrichtungen bis zum Ersten Weltkrieg sprechen. Die Ursache hierfür lag in der Gewaltigen Bevölkerungsvermehrung in Europa sowie in dem Streben der Massen nach sozialem Aufstieg und Mitbeteiligung an der politischen Verantwortung. Die Fortbildung des demokratischen Ideengutes vollzieht sich seit dem 19. Jh. in der Auseinandersetzung mit den sozialistischen Theorien. Obwohl sich die D. im 20. Jh., insbes. auch unter nicht-europäischen Völkern, stark ausbreitet, kann man von einer Bedrohung ihrer geistigen Voraussetzungen wie auch ihrer Existenz und Durchführung sprechen. In zahlreichen Staaten modernen Staaten haben sich die Gegensätzen der Interessen und Weltanschauungen verschärft. Das freie Spiel der politischen Meinungen ist nicht mehr entscheidend. Interessenblöcke und ideologische Fronten lassen eine Diskussion kaum mehr zu. Der Individualismus, die Grundlage der überlieferten D., ist bereits weitgehend durch einen Kollektivismus verdrängt worden, in dem Massenführer die Möglichkeit erhalten, mit demokratischen Methoden an die Macht zu gelangen. Andererseits ist der Wille zu demokratischen Lebensformen durch die Erfahrungen in den modernen Diktaturen gestärkt worden. Dreiklassenwahlrecht (nach Wieland Eschenhagen), allgemeines, indirektes, ungleiches, an die Steuerleistung der Wähler gebundenes Wahlrecht. Das Dreiklassenwahlrecht galt von 1849 bis 1918 für die Wahl zum Abgeordnetenhaus und der Stadtverordneten in Preußen. Die Steuer zahlende Bevölkerung (Urwähler) jedes Wahlkreises wurde in drei Klassen aufgeteilt, die jede ein Drittel des Aufkommens an direkten Steuern des Kreises erbrachten. Da jede Klasse die gleiche Anzahl von Wahlmännern stellte, die den Abgeordneten wählten, ergab sich ein extrem ungleiches Stimmgewicht der Urwähler zugunsten der reichen, hoch besteuerten Bürger. Bei den ersten Wahlen nach diesem System im Jahr 1849 fielen auf die erste Klasse, die Hochbesteuerten, 4,7 Prozent, auf die zweite 12,6 Prozent, auf die dritte, die Gering- oder Nicht Besteuerten, 82,6 Prozent der Wähler. 1896 wurde das Dreiklassenwahlrecht modifiziert in Sachsen eingeführt. Die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts, eine der zentralen Forderungen der SPD, erfolgte 1918. Emanzipation (nach Wolfram Schellberger) (lateinisch: Befreiung), Befreiung aus einer sozialen Abhängigkeit. Die heute vorherrschende Begriffsbedeutung setzt ein modernes Verständnis des sich in freier Selbstbestimmung verwirklichenden Menschen voraus. In der Französischen Revolution wurde diese moderne Forderung nach Emanzipation erstmals von breiten Bevölkerungsschichten erhoben. Gleichheit und Freiheit aller und die Abschaffung der ökonomischen, sozialen und politischen Ungleichheiten galten als erste Ziele der Revolution. Die bürgerlichen Emanzipationsbewegungen des 18. und des 19. Jahrhunderts strebten die Befreiung ihrer sozialen Klasse aus den Abhängigkeitsverhältnissen der monarchischen Herrschaft an. In diesem Sinne heißt Emanzipation: Aufhebung von 25 Fremdbestimmung als Abschaffung der Bedingungen, die Selbstbestimmung verhindern. Damit hat sich der ursprüngliche Wortsinn in sein Gegenteil verkehrt. Im Römischen Reich verstand man unter Emanzipation die Freigabe eines Kindes aus der (allumfassenden) Gewalt des Vaters. Über den Zeitpunkt der Emanzipation entschied der Vater. Sie war eine rechtlich und sozial verankerte Form des Generationenwechsels. In der marxistischen Terminologie hat man unter Emanzipation den Prozess der Zurückführung der „menschlichen Verhältnisse auf den Menschen selbst“ zu verstehen (siehe auch Entfremdung). Emanzipatorische Bestrebungen heute fordern die Herstellung von Chancengleichheit. In diesem Sinn hat vor allem die Frauenbewegung argumentiert, der wohl die Popularisierung des Emanzipationsbegriffs in erster Linie zu verdanken ist. Emanzipatorische Ansätze fanden seit Ende der sechziger Jahre vor allem in den Erziehungswissenschaften ihren Niederschlag. Pädagogisches Leitbild war die Erziehung zur (kritischen) Mündigkeit. Es löste das Ziel einer erfolgreichen – d. h. reibungslosen – Integration des Kindes in die bestehende Sozialstruktur ab. Feudalismus (nach Mechthild Weißer), Bezeichnung für die hoch- und spätmittelalterliche Gesellschaftsordnung, die auf dem Lehnswesen gründete und sich dadurch auszeichnete, dass der Monarch eine freie, adelige Oberschicht durch das Lehnsrecht mit Grundherrschaften und verschiedenen Hoheitsrechten ausstattete. Die lehnsrechtlich bestimmte Gesellschaft war streng hierarchisch gegliedert und wurde durch gegenseitige Treuebeziehungen zusammengehalten. Der Begriff „Feudalismus“ entstand im 17. Jahrhundert in Frankreich (französisch féodalité) und kommt vom mittellateinischen Wort feudum, der Bezeichnung für das vasallische Lehen. (nach Helmut Assing), Feudalismus ist ein Produktionsverhältnis zwischen Bodeneigentümern und Bauern, denen der Boden zwecks Bearbeitung gegen eine Rente (Abgaben und/oder Dienste) überlassen oder verblieben ist. Das Lehnswesen Das Lehnswesen ging als Synthese aus der römischen clientela und dem germanischen Gefolgschaftswesen hervor. Es entwickelte sich mit der Änderung der Wehrverfassung im 7./8. Jahrhundert im Frankenreich: Das Aufgebot aller Freien im Volksheer wurde abgelöst durch ein ständig verfügbares, besser ausgerüstetes Reiterheer aus Berufskriegern. Die Reiter bzw. Ritter wurden vom König oder einem anderen mächtigen Grundbesitzer, dem Lehnsherrn, materiell ausgestattet, um sich Ausbildung, Ausrüstung und ritterlichen Lebensstil leisten zu können. In der Regel erhielten sie Land, oft auch Ämter oder Rechte, die Erträge abwarfen, zur dauernden Nutzung. Als Gegenleistung für diese Ausstattung, die Lehen, waren die Lehnsnehmer, die Vasallen (vom keltischen Wort für „Diener“), ihren Herrn gegenüber zu Treue, Gehorsam und Dienstleistung verpflichtet. Die Treuepflicht war gegenseitig und galt auch für den Herrn gegenüber den Vasallen. Die Dienstpflicht bestand vor allem aus dem Ritterdienst und der Heerfahrt, wobei letzteres insbesondere die Romfahrt, d. h. den Zug zur Kaiserkrönung nach Rom, beinhaltete. An der Spitze der lehnsrechtlich organisierten Gesellschaft stand der König. Er vergab Grund bzw. Grundherrschaften und Ämter als Lehen an die Kronvasallen, die im Gegenzug die ihnen anvertrauten Ämter auszufüllen und Kriegsdienst zu leisten, d. h. Ritter zu stellen hatten. Die Kronvasallen, in der Regel Herzöge, Grafen, Bischöfe und Reichsäbte, rekrutierten sich aus dem Hochadel. Diese wiederum gaben Land und Ämter an Aftervasallen zu Lehen weiter, die dafür ebenfalls ihren Herren Amts- und Kriegsdienst zu leisten hatten. Die Aftervasallen gehörten dem niederen Adel an, waren Ritter, Dienstmannen und Äbte und gaben ihrerseits Land zur Bearbeitung an unfreie, hörige Bauern weiter, die dafür Naturalabgaben und Arbeitsdienste leisten mussten. Zu den Unfreien bestanden keine lehnsrechtlichen Beziehungen. Die Lehnsgesellschaft war pyramidenförmig aufgebaut: Die breite Basis bildete die Masse der unfreien Bauern, darüber kam die schmalere Schicht der Aftervasallen, gefolgt von der noch kleineren Gruppe der Kronvasallen. An der Spitze der Pyramide stand der Herrscher. Im Laufe des Hochmittelalters bildete sich in Deutschland eine differenziertere Struktur in der Lehnshierarchie heraus, die Heerschildordnung, die die Lehnsfähigen, d. h. diejenigen, die Lehen vergeben oder annehmen konnten, sieben Stufen zuordnete: An der Spitze stand wieder der König bzw. Kaiser, auf der zweiten Stufe folgten die geistlichen Fürsten, auf der dritten die weltlichen Fürsten, auf der vierten Grafen und Freiherren; die fünfte Stufe bildeten die Ministerialen (Dienstmannen), die sechste deren Mannen, die siebte und unterste die übrigen ritterbürtigen Mannen, die als Einzige des Heerschildes nicht die aktive Lehnsfähigkeit besaßen, d. h. selbst keine Lehen vergeben, sondern nur annehmen konnten. Die „Schildbürtigen“, also alle Angehörigen des Heerschildes, konstituierten den mittelalterlichen Adel und bildeten gegenüber der Masse der Unfreien eine relativ dünne, elitäre Herrenschicht. Das Lehnsrecht Lehnsfähig waren zunächst nur Ritterbürtige, d. h. Freie, die waffenfähig und im Vollbesitz ihrer Ehre sein mussten; im Spätmittelalter konnten auch unfreie Ministerialen in den Ritterstand aufsteigen. Begründet wurde das Lehnsverhältnis durch einen symbolischen Akt, der Vertragscharakter hatte: Der Vasall leistete, indem er seine gefalteten Hände in die des Lehnsherrn legte, Mannschaft bzw. Gefolgschaft (hominium, homagium) und den Treueid (fidelitas). Der Lehnsherr investierte durch die Übergabe von Herrschaftssymbolen wie Schwert, Ring, Zepter oder Handschuh seinen Vasallen mit dem Lehen (investitura). Mit dem Lehnsverhältnis ging der Herr zugleich auch die Verpflichtung zu Schutz und Unterhalt gegenüber dem Vasallen ein. Der Lehnsdienst bestand in erster Linie in Heerfahrt, also Kriegsdienst, und in Hoffahrt, also der Anwesenheit des Vasallen beim Herrn, um ihm Rat und Hilfe zu leisten. Aus der Hoffahrt entwickelten sich ab dem Spätmittelalter zum Teil die Land- und Reichstage sowie die lehnsrechtlich geprägte Stellung der Reichsfürsten. Das Lehnsgut – Land oder Amt – wurde dem Vasallen zunächst lediglich zur Nutzung überlassen. Später bildete sich für die Seite des Vasallen der Status eines Untereigentümers des Lehens heraus, wobei der Herr der Obereigentümer blieb, und schließlich entwickelte sich mit der Vererbbarkeit der Lehen ein Anspruch der Erben des Vasallen auf Wiederbelehnung. Eigentümer blieb jedoch weiterhin der Herr. Der Feudalstaat Die mittelalterlichen europäischen Staaten waren in ihrer Herrschaftsstruktur in unterschiedlichem Maße durch das Lehnswesen geprägt. Nicht nur Grund und Boden mit allen zugehörigen Rechten, sondern auch Ämter, wie Grafschaften und Vogteien, und königliche Hoheitsrechte (Regalien), wie Zollrecht und Gerichtsbarkeit, wurden vom König als Lehen vergeben. Die zentrale Herrschaftsgewalt verblieb zwar theoretisch weiterhin beim König, wurde aber durch die Delegation an eine Vielzahl von Personen, die die Ämter und Hoheitsrechte in Eigenverantwortung ausübten, de facto zersplittert und geschwächt. Als problematisch erwies sich zudem, dass die Kronvasallen Ämter und Rechte vielfach an Aftervasallen weitergaben. Ein unmittelbares Herrschaftsverhältnis bestand somit nur zwischen dem König und den Kronvasallen. Dies galt zumindest für die deutschen Länder, wo die Aftervasallen dem König nicht zur Treue verpflichtet waren. Außerdem konnten die Kronvasallen durch Weiterbelehnung und die damit verbundenen Treueverpflichtungen eigene Herrschaften aufbauen, die zur Königsgewalt in Konkurrenz treten konnten. In den deutschen Ländern kam erschwerend hinzu, dass der König nur über einen Teil des Grundes mit den zugehörigen Herrschaftsrechten verfügte; der andere Teil war Eigengut des Adels, das nicht in den 26 Lehnsverband eingegliedert war und daher zur Grundlage für die Errichtung vom König unabhängiger Adelsherrschaften werden konnte. Um ein Gegengewicht zu dem sich verselbständigenden Adel zu schaffen, stützte sich der König im hochmittelalterlichen Deutschen Reich zunächst auf die Reichskirche, der er in großem Umfang Grund und Privilegien zukommen ließ (ottonischsalisches Reichskirchensystem). Nach dem Investiturstreit suchte das Königtum, die Reichskirche enger in den Reichslehnsverband einzubinden, u. a. indem es Bischöfe und Reichsäbte mit der weltlichen Herrschaftsgewalt belehnte. Die staufischen Könige schließlich bemühten sich, sowohl das adelige Eigengut in vom König abhängige Lehen umzuwandeln als auch die Reichsverwaltung auf der Basis einer lehnsrechtlich vom König abhängigen Reichsministerialität zu zentralisieren. Der staufische Versuch scheiterte jedoch. Die spezifische Ausprägung des Lehnswesens in Deutschland führte zum Zerfall der Herrschermacht und zur Territorialisierung des Reiches. In Frankreich dagegen und in den normannisch dominierten Staaten England und Sizilien sowie in den französischnormannischen Kreuzfahrerstaaten nahm das Lehnswesen eine andere Entwicklung: Hier waren auch die Aftervasallen dem König zu Treue und Gefolgschaft verpflichtet, zudem unterstand der Großteil des Bodens mit all seinen Rechten der Verfügung des Herrschers, so dass sich – im hochmittelalterlichen England und in den Kreuzfahrerstaaten mehr noch als in Frankreich – weitgehend feudalisierte, zentralisierte, straff durchorganisierte einheitliche Staatswesen herausbilden konnten. Gilde, Vereinigung von Personen, die gleiche Interessen innerhalb eines Kunsthandwerks, eines Handwerks, in der Wirtschaft oder innerhalb eines Berufs haben. Zweck der Vereinigung sind gegenseitige Hilfe und Schutz. Man verwendet den Begriff besonders für zwei Arten dieser Vereinigung, die in Europa während des Mittelalters ihre Blütezeit hatten: die Kaufmannsgilden und die Handwerkszünfte, die man manchmal auch Handelsgilden oder Handwerksinnung nannte. Die Kaufmannsgilden Diese Gilden entstanden in Kontinentaleuropa im 11. Jahrhundert, die Anfänge reichen aber bis ins Fränkische Reich (8. Jahrhundert) zurück. In Britannien entstanden sie im 10. Jahrhundert nach der normannischen Eroberung Englands. Sie bildeten sich, weil sowohl der Handel als auch die städtischen Gemeinschaften in jenem Jahrhundert wuchsen. Kaufleute reisten in fremden Ländern von Markt zu Markt. Um sich gegenseitig zu schützen, reisten Kaufmannsgruppen aus derselben Stadt oft zusammen in einer Karawane. Die Mitglieder einer solchen Karawane wählten einen Führer und erstellten Regeln, die alle befolgen mussten. Diese Regeln enthielten nicht nur Vorschriften zur Verteidigung bei körperlichen Angriffen, sondern sie verpflichteten die Mitglieder auch, einander in Rechtsstreitigkeiten beizustehen. In den germanischen Ländern Europas nannte man diese Karawanen Gilde oder Hansa. In den Ländern mit romanischem Sprachgebrauch nannte man sie Caritas oder Fraternitas. Häufig blieben die Mitglieder einer Hansa oder Fraternitas nach der Rückkehr von der Reise in ihren Städten in enger Verbindung miteinander. Solche Verbindungen beanspruchten dann allmählich Rechte und Privilegien hinsichtlich des Handels in der Stadt oder Gemeinde. Diese Rechte wurden von einem Feudalherrn bzw. später in Städten ohne Feudalherrschaft von der Stadt selbst verliehen. Mit der Zeit erlangten die Kaufmannsgilden ein Monopol über den gesamten Handel und die Industrie einer Stadt; sie überwachten die verschiedenen Handwerke und verkauften im Groß- und Einzelhandel alle in der Stadt hergestellten Waren. Kaufleute, die kein Mitglied einer Gilde waren, durften zwar auch Waren verkaufen, jedoch nur im Großhandel; ihre Geschäftstätigkeit unterlag auch vielen besonderen Einschränkungen, von denen die Mitglieder der Gilde befreit waren. So musste beispielsweise ein Nichtmitglied spezielle Abgaben an den Feudalherrn oder die Stadt zahlen. Für Mitglieder einer Gilde zahlte dagegen einmal jährlich die Gilde die Abgaben; außerdem waren sie von anderen städtischen Steuern befreit. Die Kaufmannsgilden bestanden normalerweise aus den reichsten Kaufleuten der Stadt, und sie erlangten beträchtlichen politischen Einfluss. Man übertrug ihnen oft die Verwaltungsmacht über einige der Stadtfunktionen. Manchmal gewährten die Kaufmannsgilden Kaufleuten aus anderen Städten die Mitgliedschaft; daraus entstanden gelegentlich Gilden, die den Handel mehrerer Städte monopolisierten. Niedergang der Kaufmannsgilden Die Kaufmannsgilden verloren nach und nach an Bedeutung, und zu Beginn des 14. Jahrhundert gab es praktisch keine mehr. Hauptursache für ihr Verschwinden aus dem Wirtschaftsleben war die Entstehung von Handwerkszünften. Deren Mitglieder übten ein bestimmtes Handwerk aus, und sie monopolisierten die Herstellung und den Verkauf eines bestimmten Produkts innerhalb der Stadt, in der sie ihre Zunft hatten. In dem Maße, wie die verschiedenen Handwerker einer Stadt sich in Handwerkszünften organisierten, nahm die Macht der Kaufmannsgilden zur Steuerung des Handels in der Stadt bis zur Bedeutungslosigkeit hin ab. Dort wo Kaufmannsgilden stark mit einer Stadtverwaltung verflochten waren, kamen sie auch in Konflikt mit den erstarkten Regierungen der Nationalstaaten, die gegen Ende des Mittelalters entstanden, und häufig ging ihre Macht auf diese über. Die Handwerksgilden Etwa zu Beginn des 12. Jahrhunderts entstanden Organisationen, die die Briten Craft Guild nannten, die Franzosen Corporation de Métier, die Italiener Arte und die Deutschen Zunft oder Innung. Normalerweise entstanden diese Zünfte, wenn sich eine Gruppe von Handwerkern, dem Beispiel der Kaufmannsgilden folgend, zum gegenseitigen Wohl zusammenschloss. In einigen Fällen entstanden zunächst Gruppen als religiöse Bruderschaften, die nur aus Handwerkern eines Handwerksbereichs bestanden. Diese verlagerten mit der Zeit ihr Schwergewicht von religiösen Fragen hin zur Wirtschaftshilfe für ihre Mitglieder. Allmählich wurden sie dann vollwertige Handwerkszünfte. Bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts gab es in allen Teilen Westeuropas Handwerkszünfte oder Innungen. In einigen Städten hatte der einzelne Handwerker das Recht, sich der Innung anzuschließen oder selbständig zu bleiben. In anderen Städten kauften die Zünfte von den Stadtverwaltungen oder der königlichen Regierung das Recht, ihren Handwerkszweig zu kontrollieren. In diesen Fällen musste jeder, der in dieser Stadt seinem Handwerk nachgehen wollte, Mitglied der Handwerkszunft werden. Die Mitglieder einer Zunft waren in drei Klassen unterteilt: Meister, Apprentices (Lehrlinge) und Gesellen. Der Meister, der ein Kleinunternehmer war, besaß das Rohmaterial und die Werkzeuge und verkaufte die in seinem Laden gefertigten Waren zu seinen Gunsten. Die Lehrlinge und Gesellen lebten in seinem Haus. Die Lehrlinge waren Berufsanfänger und erlernten beim Meister ihr Handwerk. Sie erhielten im Allgemeinen nur Unterkunft und Verpflegung für ihre Tätigkeit. Hatte ein Lehrling seine Lehre beendet, wurde er Geselle und erhielt einen festen Lohn für seine Arbeit. Mit der Zeit konnte der Geselle Meister werden. Da es für jene, die bereits Meister waren, von Vorteil war, ihre eigene Zahl nicht zu erhöhen, waren die Bedingungen, unter denen ein Geselle Meister werden konnte, sehr schwer zu erfüllen. Nach dem 14. Jahrhundert wurden die Anforderungen so streng, dass es praktisch keinem Gesellen mehr möglich war, Meister zu werden. Im 14., 15. und 16. Jahrhundert schlossen sich die Gesellen in eigenen Vereinigungen zusammen. Ihr Ziel war es, bessere Löhne und Arbeitsbedingungen von ihren Meistern zu erhalten. In England waren solche Vereinigungen bekannt als Journeyman oder Yeoman Guild; in Frankreich nannte man sie Compagnonnages und in Deutschland Gesellenbruderschaft. Sie erreichten manchmal durch Streiks eine leichte Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen und des Lohnes, doch insgesamt verbesserten sie den wirtschaftlichen Status ihrer Klasse nicht sonderlich. Aufgrund ihrer Verteidigung der Arbeitsrechte, ihrer 27 strengen Kontrolle über die Mitglieder und der angebotenen Leistungen betrachtet man die Gesellenbruderschaften als Vorläufer der modernen Gewerkschaft. Die Zünfte waren wichtig im Leben der mittelalterlichen Stadt, denn sie beeinflussten das wirtschaftliche Wohlergehen sowohl der Handwerker als auch der Verbraucher. Die Zunft versuchte den Handwerkern hauptsächlich auf zwei Arten zu helfen: Sie schützte zum einen vor dem Wettbewerb durch Handwerker aus anderen Städten und zum anderen vor möglichem Wettbewerb durch Bürger der Stadt, die in anderen Geschäften des gleichen Handwerkszweiges arbeiteten. Das erste Ziel erreichte die Zunft, indem sie den Handel für diesen Bereich in der Stadt monopolisierte; d. h., sie erlaubte nicht, dass Waren aus anderen Städten für den Verkauf eingeführt wurden. Das zweite Ziel wurde dadurch erreicht, dass für alle Geschäfte, die die gleichen Waren herstellten, auch dieselben Öffnungszeiten galten und für Arbeiter im gleichen Handwerksbereich einheitliche Löhne gezahlt wurden. Damit kein Meister gegenüber einem anderen einen Vorteil haben konnte, bestimmte die Zunft einheitlich die Zahl der Angestellten, Werkzeuge und Arbeitsstunden pro Geschäft sowie die Preise, die der Meister für die fertigen Produkte verlangen durfte. Die Zunft überwachte die Einhaltung ihrer Regeln durch ständige und genaue Überwachung der Geschäfte. Kein Meister durfte für seine Produkte werben, damit er nicht mehr Geschäfte machte als ein anderer Meister. Jede Verbesserung in der Herstellungstechnik, durch die ein Geschäft seine Ware schneller und billiger als andere hätte herstellen können, war gleichfalls verboten. Die Zünfte wollten völlige Gleichheit unter den Mitgliedern jeder der drei Klassen erreichen, in die sie unterteilt waren. Die Verbraucher profitierten von der Existenz der Zünfte besonders durch die hohen Qualitätsansprüche, die die Zunft an das fertige Produkt stellte, obwohl ihnen andererseits billigere Preise durch verbesserte Herstellungsmethoden und durch den Wettbewerb beim Verkauf vorenthalten wurden. Die Handwerkszünfte waren zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert eine wichtige Kraft im Wirtschaftsleben Europas. In Frankreich und in Flandern drohten sie im 12. und 13. Jahrhundert sogar häufiger die Stadtobrigkeiten zu beherrschen. Um die Zünfte zu schwächen, entzogen ihnen einige Städte viele Privilegien, darunter das Recht zur Regulierung der Gewerbe. Dennoch begannen die Zünfte im 14. Jahrhundert mit den reichen Kaufleuten der Städte um die Regierungsgewalt zu streiten. In einigen Städten gelang es den Zünften tatsächlich, die Verwaltung der Stadt völlig zu übernehmen. So bestand vergleichsweise in Lüttich im Jahr 1384 der Rat der Stadt vollständig aus Vertretern der 32 Handwerksgilden der Stadt. Der Aufstieg des Kapitalismus Im 15. Jahrhundert jedoch fing die Macht der Zünfte zu schwinden an. Sie kämpften mit den bereits geschilderten internen Spannungen zwischen Meistern und Gesellen. Auch waren sie starker Kritik und teilweise auch Aktionen der Obrigkeit ausgesetzt, weil sie industrielle Produktionsweisen und die Freiheit der Arbeit einschränkten. Um den Zunftzwang aufzuweichen, ernannten Landesherren und Städte z. B. so genannte Freimeister, die ohne Zugehörigkeit zu einer Zunft arbeiten durften. Die Hauptursache für den Niedergang und das Ende der Zünfte im 16. Jahrhundert war der Aufstieg des Kapitalismus als neues Herstellungs- und Verteilungssystem. Dieses neue Wirtschaftssystem maß der Massenproduktion von Gütern, dem Wettbewerb der Märkte zwischen den Herstellern und einer breiten Distribution (Verteilung) der Güter größte Bedeutung zu. Da sich die Zünfte und Innungen gegen alle drei Prinzipien sträubten, gründeten so genannte Kapitalisten ihre Geschäfte im Allgemeinen in Zentren, wo keine Zünfte bestanden. Die Zünfte waren nicht in der Lage, selbst für ihren eigenen heimischen Markt Waren so schnell und billig herzustellen wie die kapitalistischen Unternehmen. Daher wurden sie allmählich aus dem Wirtschaftsleben verdrängt. Im Jahr 1776 schaffte Anne Robert Jacques Turgot, Generalkontrolleur der Finanzen König Ludwigs XVI. von Frankreich, bis auf vier Zünfte alle anderen ab, damit die Arbeiter ihre Dienste den Arbeitgebern frei anbieten konnten. Während der Französischen Revolution wurden alle Zünfte abgeschafft. Preußen und andere deutsche Staaten schafften die deutschen Zünfte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ab. Die Handwerksgilden, die in Großbritannien noch bestanden, wurden durch Beschlüsse des Parlaments in den Jahren 1814 und 1835 abgeschafft. Als neue Formen des beruflichen Zusammenschlusses entstanden die Innungen. Der Begriff Gilde wird heute immer noch gebraucht. Er wird für verschiedene Arten von Vereinigungen verwendet, z. B. bei Vereinen für Wohlfahrtsarbeit und Organisationen zur Förderung verschiedener kultureller Aktivitäten, wie Musik und Schauspiel, außerdem für einige Arbeitsorganisationen. Er diente auch zur Bezeichnung einer modernen Idee des Sozialismus, nämlich des Gildensozialismus. Grundrechte (nach Helmut W. Müller), unantastbare, unverletzliche und unveräußerliche Rechte des Einzelnen gegenüber dem Staat, die in der Regel in den Verfassungen der Staaten als Elementarrechte festgehalten sind. Bestimmte Grundrechte wie z. B. die Menschenwürde, die Gleichheit und die Freiheit (Menschenrechte) sind aus naturrechtlicher Sicht überstaatlich und aus diesem Grund auch von allen Staaten anzuerkennen. Geschichte Schon in der Antike ist der naturrechtliche Gedanke von Menschen- und Bürgerrechten entstanden. Durch die Scholastik und die Naturrechtslehre des 17. und 18. Jahrhunderts wurden die Menschenrechte philosophisch und politisch weiterentwickelt und erstmals verfassungsrechtlich in der Habeaskorpusakte und der Bill of Rights gewährleistet. Während der Französischen Revolution erfolgte die berühmte Déclaration des Droits de l’homme et du citoyen (1789), in der die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zum Ausdruck kamen. Im 19. Jahrhundert wurden Grundrechtskataloge fast in alle europäischen Verfassungen aufgenommen. Nach modernen Theorien des Völkerrechtes sind die Grundrechte auch völkerrechtlich unantastbar und unverletzlich. Unter dem Eindruck der Menschenrechtsverletzungen während des 2. Weltkrieges entstand die Europäische Menschenrechtskonvention, der die Bundesrepublik Deutschland am 7. August 1952 beigetreten ist. Im Grundgesetz der BRD sind die Grundrechte vor allem in Art. 1-19 gewährleistet, in Österreich gilt noch das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, in der Schweiz sind die Grundrechte insbesondere in der Bundesverfassung von 1874 festgehalten. Allgemeines Aufgrund ihrer historischen Entwicklung sind die Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat, d. h., sie schützen die Freiheitssphäre des Einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt. Dieses Grundrechtsverständnis, das aus einem als dualistisch begriffenen Verhältnis von Staat und Gesellschaft entstanden ist, ist in den modernen demokratischen Staaten einem Wandel unterworfen. So leitet man aus den Grundrechten heute auch die Verpflichtung des Staates ab, diese Rechte aktiv zu schützen und zu fördern. Die Grundrechte sind von bloßen Abwehrrechten des Bürgers zu Leistungs- und Teilhaberechten geworden. Die Grundrechte binden unmittelbar die Gesetzgebung, die Exekutive und die Judikative. Sie gelten unmittelbar nur im Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Immer wichtiger wird die so genannte Drittwirkung der Grundrechte. Darunter versteht man die Wirkung der Grundrechte gegenüber nichtstaatlichen Gewalten. So ist z. B. im Arbeitsrecht im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG angeordnet. Außerdem sind die Wertentscheidungen der Grundrechte auch bei der Auslegung im Privatrecht anzuwenden, wenn das Gesetz unbestimmte Rechtsbegriffe oder Generalklauseln wie z. B. „Treu und Glauben“ verwendet. 28 Man unterscheidet Grundrechte, die nur für Deutsche gelten (Bürgerrechte) und solche, die für jedermann gelten (Menschenrechte). So gilt z. B. das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) für alle Menschen, während die Berufsfreiheit, die u. a. die Freiheit der Berufswahl garantiert, nur für Deutsche gilt. Im Fall der Verletzung von Grundrechten durch den Staat kann Verfassungsbeschwerde erhoben werden. Einzelne Grundrechte Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Unter Menschenwürde versteht man den inneren und zugleich sozialen Achtungs- und Wertanspruch, der dem Menschen als Träger höchster geistiger und sittlicher Werte zukommt. Der Mensch darf daher keiner Behandlung ausgesetzt werden, die ihn zum bloßen Objekt staatlichen Handelns degradiert. Typische Fälle der Verletzung der Menschenwürde sind z. B. Sklaverei, Folter, Menschenversuche oder die Vernichtung so genannten lebensunwerten Lebens. Eng mit der Menschenwürde verwandt ist das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das in Art. 2 GG niedergelegt ist. Als allgemeines Menschenrecht wird die freie Entfaltung der Persönlichkeit für jedermann garantiert. Geschützt ist die Selbstverwirklichung des Menschen nach seinen eigenen Vorstellungen. Darunter fallen z. B. die Freiheit, Verträge zu schließen, die Wettbewerbsfreiheit, die Ausreisefreiheit, die freie geschlechtliche Betätigung etc. Aufgrund der Weite des geschützten Freiheitsrechtes und der Gemeinschaftsgebundenheit des Menschen setzt das Grundgesetz der freien Entfaltung der Persönlichkeit Schranken, die in den Rechten anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Sittengesetz begründet sind. Der allgemeine Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG fordert die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gesetz. Darunter ist aber keine schematische Gleichbehandlung zu verstehen. Vielmehr ist eine Unterscheidung aus sachlichen Gesichtspunkten zulässig, wohingegen die Willkür verboten ist. So hat das Bundesverfassungsgericht kürzere Kündigungsfristen für Arbeiter als für Angestellte als Verstoß gegen den Gleichheitssatz angesehen. Als zulässig wird aber die Ungleichheit der Besteuerung von Beamtenpensionen und Renten angesehen. Einen Spezialfall der Gleichbehandlungsgrundsatzes bildet Art. 3 Abs. 2, der bestimmt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. In Anwendung dieses Grundsatzes der Gleichberechtigung wurden viele Gesetze erlassen, durch die die Gleichstellung der Frau im Arbeitsleben (Arbeitsrecht), in der Familie (siehe Eherecht) und in der Gesellschaft vorangetrieben wurde. Die Glaubens-, Bekenntnis- und Gewissensfreiheit in Art. 4 GG gewährleistet jedermann die Möglichkeit, seine innersten religiösen und weltanschaulichen Anschauungen frei zu bilden und auch frei zu bekennen und zu äußern. Sie wird ergänzt durch die Freiheit der Religionsausübung (siehe Religionsfreiheit). Nach Art. 5 Abs. 1 GG hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Gleichzeitig wird auch die Pressefreiheit garantiert. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit findet aber seine Grenzen in den allgemeinen Gesetzen, den Gesetzen zum Schutz der Jugend und im Recht der persönlichen Ehre. So sind z. B. die Beleidigung oder Verleumdung nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt. Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistet die Freiheit von Kunst und Wissenschaft. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Damit ist jede Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen und von Familienmitgliedern gegenüber Nicht-Familienzugehörigen grundsätzlich verboten. Wichtig ist der Schutz der Familie auch im Asylrecht. So ist z. B. dem Ehegatten und den minderjährigen Kindern eines Asylberechtigten ein Bleiberecht zu gewähren, damit die Familiengemeinschaft fortgesetzt werden kann. Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG ist das Recht aller Deutschen, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Die Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel sind im Versammlungsgesetz näher geregelt. Durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit wird die kollektive Meinungsbildung und Meinungsäußerung geschützt. Die Vereins- und Koalitionsfreiheit, die in Art. 9 GG geregelt ist, gibt das Recht, sich zu Vereinen oder Gesellschaften zusammenzuschließen, aber im Gegenzug auch das Recht, einem Verein oder einer Vereinigung fernzubleiben. Art. 11 GG gibt allen Deutschen das Recht, sich ungehindert an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes aufzuhalten oder zu wohnen. Nach Art. 12 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, Beruf und Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Geschützt sind alle Arten von Berufen. Das Grundrecht garantiert allerdings nicht, dass man in einem gewünschten Beruf auch tatsächlich unterkommt. Berufswahl und Berufsausübung können durch Gesetze beschränkt werden, allerdings nur unter engen Voraussetzungen. So kann z. B. nicht aus Gründen des Konkurrentenschutzes eine Taxikonzession versagt werden. Zulässig ist dagegen, aus Gründen der Volksgesundheit die Zulassung zum Beruf des Arztes oder Heilpraktikers von bestimmten Prüfungen und Ausbildungsnachweisen abhängig zu machen. Art. 14 Abs. 1 garantiert das Eigentum und das Erbrecht. Gleichzeitig fordert aber Art. 14 Abs. 2 GG die am Gemeinwohl orientierte Nutzung des Eigentums durch das Postulat „Eigentum verpflichtet“. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG regelt das Asylrecht. Industrialisierung, ein Prozess, der eine Volkswirtschaft so umgestaltet, dass die Industrie im Verhältnis zu Landwirtschaft und Handwerk zunehmend an Bedeutung gewinnt. Aus einer Agrargesellschaft wird im Verlauf der Industrialisierung eine Industriegesellschaft. Bei einer erfolgreichen Industrialisierung steigen das Pro-Kopf-Einkommen und die Produktivität einer Volkswirtschaft. Die Industrialisierung der Erde begann Ende des 18. Jahrhunderts mit der industriellen Revolution in Großbritannien. Kapitalismus, Bezeichnung für die den Feudalismus ablösende Epoche der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, deren Wirtschaftssystem durch Privateigentum an Produktionsmitteln und die marktförmige Steuerung des Wirtschaftsgeschehens gekennzeichnet ist. Im Allgemeinen unterscheidet man – wie bereits Werner Sombart – drei Phasen des Kapitalismus: 1. den Frühkapitalismus (ab dem 15. Jahrhundert), 2. den liberalen Hochkapitalismus (ab dem 18. Jahrhundert, auch „ManchesterLiberalismus“) und 3. den Spätkapitalismus (ab Ende des 19. Jahrhunderts). Entscheidende Impulse für die Entwicklung des kapitalistischen Wirtschaftssystems gingen von der Industrialisierung (industrielle Revolution), d. h. der mit ihr einhergehenden Entwicklung des Fabriksystems aus, das umgekehrt aber kein kapitalistisches Wirtschaftssystem voraussetzt. Die klassische Wirtschaftstheorie betrachtet den Kapitalismus als ein Wirtschaftssystem, das sich durch Angebot und Nachfrage selbst reguliert. Wesentlich ist also die Abwesenheit einer zentralen staatlichen Planungsinstanz. Staatliche Eingriffe beschränken sich innerhalb des kapitalistischen Gesellschaftssystems auf die Setzung von Rahmenbedingungen. Adam Smith behauptete in An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776), dem Klassiker der kapitalistischen Theorie, das durch den Kapitalismus geförderte individuelle Gewinnstreben stehe nicht nur nicht im Gegensatz zur allgemeinen Wohlfahrt, sondern sei im Gegenteil unabdingbare Voraussetzung für den Wohlstand einer Nation. Privateigentum und Wettbewerb würden wie „von einer unsichtbaren Hand“ zum Wohl der Gesellschaft gelenkt. Staatliche 29 Einflussnahme und Lenkung seien dagegen der Wohlfahrt abträglich. Die Entscheidungen der einzelnen Wirtschaftssubjekte orientieren sich am Marktgeschehen und sind dabei vom Konkurrenzprinzip und dem Ziel der Gewinnmaximierung geleitet. Auftretende soziale Verteilungsprobleme sollen nach der heute vorherrschenden Theorie der sozialen Marktwirtschaft durch sozialpolitische Eingriffe des Staates gemildert werden. Max Weber hat die spezifische Rationalität des Kapitalismus und deren Dynamik einer psychologischen Deutung unterzogen und verortete den Geist und die Antriebskräfte des Kapitalismus in der protestantischen Ethik – der Kapitalismus ist geprägt durch den Typus des freien Unternehmers, der seine Antriebskraft aus einer religiös bestimmten Askese und Heilserwartung bezieht. Bei Karl Marx steht kapitalistische Produktionsweise für den auf Ausbeutung basierenden Industrialisierungsprozess der bürgerlichen Gesellschaft und die mit ihm verbundenen Krisenerscheinungen. In der kapitalistischen Gesellschaftskonstellation, in der die Verfügungsmacht über die Produktionsmittel bei den Unternehmern liegt, muss der Arbeiter zur Selbsterhaltung seine Arbeitskraft gegen Lohn verkaufen. Diese Zwangssituation führt zur Ausbeutung der Arbeiterklasse (Proletariat) durch die besitzende bürgerliche Klasse (Bourgeoisie) während des Produktionsprozesses. Der Kapitalist mehrt mit Hilfe des von seinen Beschäftigten produzierten Mehrwertes sein Kapital: Aufgrund des Eigentums gehören ihm nicht nur die Produktionsmittel, sondern auch die hergestellten Arbeitsprodukte. Nach der marxistischen Theorie führt der kapitalistische Produktionsprozess zu Armut, Arbeitslosigkeit und Gesundheitsschädigungen, damit zu einer Zuspitzung des Klassenkampfes und zu periodischen Konjunkturschwankungen bzw. Krisen (Vernichtung gesellschaftlichen Reichtums). Die Dynamik des Kapitalismus führt letzten Endes zu seiner Aufhebung durch die Arbeiterklasse und zum Übergang in eine sozialistische Wirtschaftsform. Für Marx werden in der sozialistischen Gesellschaft die Voraussetzungen für ein Absterben des Staates geschaffen, da Marx den Staat als gewaltsame Klammer von Klassengesellschaften begreift. Ziel ist eine klassenlose Gesellschaft, in der die Kennzeichen des Kapitalismus (Ware, Geld, Eigentum) zugunsten einer rein gebrauchswertorientierten Produktion aufgehoben sind (siehe Marxismus, Kommunismus). Klasse, im weiteren Sinn ein Begriff der Soziologie, der soziale Schichten in menschlichen Gesellschaften bezeichnet, die sich nach Kasten, nach Besitz oder Status voneinander unterscheiden. Jede Klasse definiert Einzelpersonen und Gruppen danach, was sie tun, wen sie heiraten können und welche rituellen Rechte und Pflichten sie in Bezug auf andere Schichten haben. Außerdem wird jedes dieser Systeme vor allem durch einen besonderen Prozess stabilisiert, der regelnd oder normenerhaltend wirkt: Die Kaste wird durch die Religion, der Besitz durch das Gesetz und der Status durch die Gesellschaft sanktioniert. Im engeren Sinn definiert der Begriff Klasse eine soziale Schicht über ihre wirtschaftliche Stellung in der Gesamtgesellschaft. Dieser gebräuchlichere Klassenbegriff soll im Folgenden näher erläutert werden. Kaste, Besitz und Status sind historisch älter als das soziale Phänomen Klasse. Klassen bilden sich erst in arbeitsteiligen Gesellschaften aus, in denen der Wirtschaft entscheidende Bedeutung zukommt. Daher erschienen Klassen in Europa erstmals mit der beginnenden Industrialisierung. Karl Marx gilt als der Autor, der die Klassenterminologie maßgeblich begründete, wenngleich auch Max Weber einen bedeutenden Beitrag zur Klärung der einschlägigen Begriffe geleistet hat. Marx verband seine Klassenterminologie, besonders die „Bourgeoisie“ und das „Proletariat“, mit einer Geschichtstheorie, die den Standpunkt vertrat, dass materielle Interessen die wesentlichen menschlichen Antriebskräfte seien. Die Klassenteilung der Gesellschaft würde durch die Produktion und den Austausch ihrer Produkte bestimmt. Sie sei als Folge einer unterentwickelten Produktion geschichtlich notwendig, würde aber mit zunehmender Entfaltung der Produktivkräfte im Kommunismus historisch überflüssig. Nach Marx entsteht eine Klasse durch die objektiven Gemeinsamkeiten ihrer wirtschaftlich determinierten Existenzbedingungen. Klassenbewusstsein entwickle sich in politischer Organisation im Kampf gegen andere Klassen. Die Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft führten ihre Kämpfe um die Produktionsmittel (die Mittel, um der Natur den Lebensunterhalt abzuringen); diese Kämpfe sind Klassenkampf. Auf der Grundlage dieser Theorie sah Marx eine Revolution durch die ausgebeuteten Proletarier voraus, der eine Periode der Diktatur des Proletariats folge und dieser schließlich das Ende allen Krieges und aller Spezialisierung in einer klassenlosen Gesellschaft. Die Bedeutung der Klasse als grundlegender Determinante für die Lebenschancen von Einzelpersonen und Gruppen ist nicht zu leugnen, gleichgültig, ob man sie von einem nichtmarxistischen oder vom marxistischen Standpunkt aus betrachtet. In den meisten Ländern sind die Ungleichheiten von Kapital, Einkommen, Gesundheit und Ausbildung auch heute noch dramatisch. Die Klassenanalyse bleibt weiterhin eine wichtige Aufgabe. Es gibt anhaltende Ungleichheiten im Gesundheits- und Ausbildungsstand, die die Sozialpolitik in reichen Ländern nicht erheblich ändern konnte und die eng mit der Klassenposition verbunden sind. Eine Klasse wird definiert als Gruppe mit gemeinsamen Beziehungen zu Arbeit oder Kapitalmärkten. Die Gliederung der Klassen hängt von der Beschäftigungsstruktur eines Landes ab. Das bedeutet, dass Klassen unterschiedlichen und gewöhnlich ungleichen Zugang zu Privilegien, Vorteilen und Chancen haben. Sowohl der Markt als auch die Arbeitsbedingungen verschiedener Klassen sind typischerweise ungleich. In den Gesellschaften unserer Zeit finden wir beispielsweise Direktoren großer Unternehmen mit Jahresgehältern von 1,5 Millionen DM, während Empfänger von Sozialhilfe oder Renten nicht selten weniger als 12 500 DM erhalten. Sicherlich haben die Kinder dieser Eltern völlig unterschiedliche Lebenschancen. Das ist die nach wie vor bestehende Realität der Klassengesellschaft. Dennoch sind heute die Chancen auf soziale Mobilität ungleich größer als je zuvor in der Geschichte. Im Gegensatz etwa zur Kastenordnung, die über 5 000 Jahre in Indien bestand, bindet die Klasse eine Person nicht an den Beruf, dem ihr Vater nachging, noch verpflichtet sie die Menschen, innerhalb der Kaste ihrer eigenen Geburt zu heiraten. Nach groben Schätzungen ist eine Korrelation zwischen der Klasse der Eltern und der der Kinder von 0,35 typisch für moderne Industriegesellschaften, wobei 0 eine vollkommen flexible Beziehung zwischen den Generationen anzeigen würde und 1 eine starre Kastengesellschaft. Schließlich hat es, besonders im 20. Jahrhundert, große Veränderungen der Klassenstruktur in allen Teilen der industriellen Welt gegeben, weil das Produktivsystem der Gesellschaft fast ständig Umwälzungen erfährt. Konzentration (Wirtschaft) (nach Joachim Seng), Zustand oder Prozess einer Zusammenballung wirtschaftlicher Größen (Umsatz, Vermögen, Einkommen) in den Händen von Unternehmen oder Personen. Allgemein wird unter wirtschaftlicher Konzentration vor allem das interne und externe Wachstum eines Unternehmens verstanden, mit dem sich dessen wirtschaftliche Macht erhöht. Wegen der Bedeutung der wirtschaftlichen Konzentration für die Wettbewerbspolitik, wird der Konzentrationsprozess (bei Unternehmen, Vermögen oder der Verfügungsmacht über Kapital) analysiert und überwacht (kartellrechtliche Fusionskontrolle). So kann z. B. eine Konzentrationsanalyse die Veränderung der Zahl von 30 Wirtschaftseinheiten innerhalb einer bestimmten Branche (absolute Konzentration) bestimmen, oder die Veränderung der Größe der Wirtschafteinheiten und der Verteilung ihrer Merkmalswerte (Beschäftigung, Umsatz usw.) in Bezug auf die unterstellte Gleichverteilung messen (relative Konzentration). Für eine wirtschaftliche Konzentration können technische Faktoren (Automatisierung, optimale Betriebsgröße) oder betriebswirtschaftliche Überlegungen (steuerliche Faktoren, Risikominderung) die Ursache sein. Legalität (nach Holger Krause), bedeutet Gesetzmäßigkeit, also die Übereinstimmung von staatlichen oder privaten Handlungen und Maßnahmen mit dem geltenden Recht. Im Rahmen einer verfassungsstaatlichen Ordnung muss das staatliche Handeln durch die Verfassung gesetzlich ermächtigt, gewöhnliche Gesetze müssen mit der Verfassung konform sein. Legitimität, die Rechtfertigung der staatlichen Macht durch die Erfüllung der als allgemein verbindlich geltenden Normen staatlichen Handelns. Mit der Legitimität ist die Frage nach der ethisch-rechtlichen Rechtfertigung staatlicher Herrschaft angesprochen. Die Grundnormen und die Rangfolge der Grundnormen, die die politische Ordnung legitimieren, sind zu unterschiedlichen Zeiten und von Kultur zu Kultur verschieden. In ihnen spiegeln sich das jeweilige Zielkonzept der Institution Staat und die tatsächlich in der Bevölkerung mehrheitlich anzutreffenden Wertvorstellungen und Rechtfertigungsgründe. Die Legitimität wird von den Politikwissenschaften aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick genommen. So fragt die Politische Theorie nach den Rechtfertigungsgründen für legitimitätsstiftende Normen und die Politische Psychologie danach, wie sich solche Normen in der Bevölkerung entwickeln, durchsetzen und verändern. Die soziologisch-deskriptive Annäherung an den Legitimitätsbegriff geht auf Max Weber zurück. Weber untersuchte die Legitimität von Herrschaft auf der Grundlage der typischen Gehorsamsmotivationen der der Herrschaft Unterworfenen. Solche Legitimitätsgründe sind etwa: der Glaube an die Tradition oder das Charisma eines Herrschers sowie die Übereinstimmung mit der von den Herrschenden verfolgten Wertordnung. Im modernen Staat lässt sich Herrschaft nicht durch einige wenige Legitimitätsgründe rechtfertigen. Der Staat muss sich in einem weiten Netzwerk von Aufgaben bewähren und die Gefolgschaft seiner Bürger immer wieder neu gewinnen. Auch bestehen zwischen den einzelnen Traditionen und Schulen der Politikwissenschaft und Staatsrechtslehre gehörige Unterschiede in der Gewichtung der dem Staat zugeschriebenen Aufgaben und seine Herrschaft begründenden Normen. Doch über die Zeit hat sich ein Kanon von legitimitätsstiftenden Kernelementen herauskristallisiert, über den ein weitgehender Konsens besteht. Zentralmotiv aller gesellschaftsvertraglichen Staatsmodelle ist die Abwehr der Gefahr, die Sicherung des Lebens. Wenn der Staat die sich daraus ergebende Schutzfunktion nicht erfüllt, verliert er seine Legitimität. Und weil die Schutzfunktion in den westlichen Demokratien zumeist auch verfassungsrechtlich normiert ist, steht in dem Fall, dass der Staat bei der Erfüllung dieser Pflicht versagt, auch die Legalität seines Herrschaftsanspruchs auf dem Spiel. Leibeigenschaft, im Spätmittelalter aufgekommene Bezeichnung für ein bestimmtes, durch Unfreiheit geprägtes Abhängigkeitsverhältnis vor allem des bäuerlichen Untertanen zu seinem Herrn. Die Leibeigenschaft unterschied sich grundsätzlich von der Sklaverei; der Leibeigene war durch persönliche Bande mit seinem Herrn verbunden, nicht durch eine Gebundenheit an Grund und Boden; er war in der Regel zur Zahlung einer Kopfsteuer und/oder zu Dienstleistungen verpflichtet, war aber auch zumindest eingeschränkt rechtsfähig und durfte über Eigentum verfügen. Leibeigenschaft in Deutschland Die bäuerliche Unfreiheit entsprang zum einen germanischen Rechtstraditionen; zum anderen entstanden in der Spätantike und dem Frühmittelalter u. a. durch Unterwerfung fremder Stämme oder auch dadurch, dass sich in Not geratene aus freiem Willen in Schuldknechtschaft begaben, neue Schichten Unfreier. Je nach der Art ihrer Arbeit und der Stellung ihres Herrn gab es vielfältige Abstufungen innerhalb der Masse der Leibeigenen: Die servi casati, die behausten Eigenleute, hatten ein Bauerngut zur Leihe gegen die Zahlung einer Kopfsteuer und die Leistung von Diensten; die servi in domo bzw. servi in perpetuo servitio, d. h. die eigentlichen Leibeigenen auf dem Hof ihres Herrn, wurden als Handwerker und Taglöhner zu unbeschränkter Dienstleistung in Haus und Hof herangezogen und standen in sehr enger persönlicher Abhängigkeit zu ihrem Herrn; die servi quotidiani verfügten über einen kleinen Besitz, waren zu Dienstleistungen verpflichtet, hatten aber keine Kopfsteuer zu zahlen. Ab dem Hochmittelalter waren die Unfreien nicht mehr unbedingt an den Grund ihres Herrn gebunden; sie konnten sich in einer anderen Grundherrschaft oder als Handwerker in der Stadt niederlassen, blieben aber weiterhin zur Zahlung der Kopfsteuer an ihren Leibherrn verpflichtet; sozialer Aufstieg gelang den Leibeigenen durch Freilassung, durch den Aufstieg im persönlichen Dienst zum Ministerialen und in den niederen Adel oder, in späterer Zeit, durch Loskauf. Im 12. Jahrhundert verwischten sich in Deutschland die Grenzen zwischen Leib- und Grundherrschaft; damit verbunden war eine Lockerung der Leibeigenschaft. Diese Lockerung äußerte sich u. a. in der Ablösung der zum Teil unbeschränkten Frondienste durch festgelegte Zinszahlungen und die Einbeziehung der Leibeigenen in die ordentliche Gerichtsbarkeit, d. h. sie wurden der willkürlichen Gerichtsbarkeit ihrer Herren entzogen; positiv zugunsten einer Lockerung der Leibeigenschaft seitens der Leibherren wirkte sich auch die Ostkolonisation aus, die den Bauern einen freien Status in Aussicht stellte, sowie die Abwanderung der Landbevölkerung in die Städte. Im Zuge einer allgemeinen Agrarkrise und der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Bauern kam es im 15. Jahrhundert in einigen deutschen Ländern wieder zu einer Verschärfung der Leibeigenschaft. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch landesherrliche Interessen sowie die zunehmende Abwanderung der Landbevölkerung in die Städte –während zuvor die Leibeigenschaft gelockert worden war, um die bäuerlichen Unfreien zum Bleiben zu animieren, wurde sie nun wieder verschärft, um sie am Abwandern zu hindern. In den seit dem 14. Jahrhundert immer wieder ausbrechenden Bauernerhebungen, die 1524/26 in den Bauernkriegen gipfelten, war die Aufhebung der Leibeigenschaft eine zentrale Forderung; allerdings bezogen sich die Forderungen der Bauern in erster Linie auf eine Verbesserung ihrer rechtlichen Stellung, weniger auf die Reduzierung oder gar Abschaffung der Abgaben und Dienste. Seit dem 18. Jahrhundert wurde die Leibeigenschaft in Deutschland zunehmend gelockert und seit dem frühen 19. Jahrhundert nach und nach in allen deutschen Staaten abgeschafft. 31 Liberalismus (von lateinisch liberalis: die Freiheit betreffend), freiheitliche Gesinnung und politisch-philosophische Lehre. Der Liberalismus steht für den Versuch, sich von überlieferten Dogmen zu emanzipieren. Im Zentrum seiner politischen Philosophie steht die individuelle Freiheit. Sie ist nach liberaler Überzeugung die Grundnorm der menschlichen Gesellschaft, auf die hin der Staat und seine politische wie wirtschaftliche Ordnung auszurichten sind. Die Freiheit des Einzelnen markiert die Schranken der öffentlichen Gewalt, sie endet jedoch zugleich dort, wo die Freiheit eines anderen beeinträchtigt würde. Der Liberalismus steht zu allen Formen absoluter Herrschaft ebenso in Gegnerschaft wie zu radikaldemokratischen oder anarchistischen Auffassungen. Wenngleich seine besondere Aufmerksamkeit auf die Abwehr der Freiheitsbeschränkung durch den Staat gerichtet ist, stellt er die Notwendigkeit des Staates selbst und sein Gewaltmonopol nicht in Frage. Ein zentrales Element liberaler Staatsmodelle ist die besondere Betonung der Rechtsstaatlichkeit, zu der Glaubens- und Meinungsfreiheit ebenso gehören wie eine umfassende Freiheit zur politischen und auch wirtschaftlichen Betätigung. Die Verfassung der USA ist ebenso von den Grundüberzeugungen des Liberalismus geprägt worden wie die französische Verfassung von 1791. Die Idee des liberalen Rechtsstaates ist seither unauflösbar verknüpft mit der Sicherung der Grundrechte durch eine unabhängige richterliche Gewalt und eine umfassende Rechtswegegarantie. Auf Montesquieu vor allem geht das für den Verfassungsstaat konstitutive Element der Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative (richterliche Gewalt) zurück. Seine Wurzeln hat der Liberalismus im Individualismus der Renaissance sowie in der Philosophie der Aufklärung und des Idealismus. Zu seinen prominentesten Vertretern zählen die Engländer John Locke, Francis Hutchinson, Jeremy Bentham und John Stuart Mill, die Franzosen Montesquieu, Emmanuel Joseph Sieyès sowie die Enzyklopädisten. Für Deutschland ist insbesondere Immanuel Kant zu nennen. Für die besondere Ausprägung des Wirtschaftsliberalismus im 19. Jahrhundert stehen die Namen Adam Smith und David Ricardo, die jede Einmischung des Staates in das Wirtschaftsgeschehen grundsätzlich ablehnten und völlige Gewerbefreiheit forderten sowie die Abschaffung aller den freien Welthandel behindernden Zollschranken. Nicht einmischen sollte sich der Staat auch in die Beziehung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Die soziale Frage zu lösen sei nicht die Aufgabe des Staates, sondern der Betroffenen selbst. Lediglich ein verbessertes Bildungswesen könne hierzu einen sinnvollen Beitrag leisten. Markt (von lateinisch mercatus: Handel, Messe), im engeren Sinne ein Ort, an dem sich Käufer und Verkäufer treffen, um wirtschaftliche Güter gegen Geld zu tauschen. Im weiteren Sinne ist ein Markt jedes Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage, unabhängig davon, ob er geographisch oder zeitlich eindeutig bestimmbar ist, wie beispielsweise ein Wochenmarkt, oder ob er ein weltweiter Markt ist wie der Markt für Investitionsgüter (Maschinen u. a.). Auch ist es gleichgültig, unter welchen Umständen Angebot und Nachfrage zusammentreffen. Beim Devisenmarkt beispielsweise einigen sich Käufer und Verkäufer am Telefon. In der klassischen volkswirtschaftlichen Theorie bildet sich als Ergebnis des Zusammenwirkens von Angebot und Nachfrage der Marktpreis: Er ist ein Gleichgewichtspreis und liegt im Schnittpunkt zwischen Nachfrage- und Angebotskurve (bei den meisten wirtschaftlichen Gütern steigt die Nachfrage mit sinkendem Preis, während das Angebot mit dem Preis steigt). Zum Marktpreis kann die größtmögliche Gütermenge abgesetzt werden; er räumt den Markt, d. h., es gibt weder einen Angebotsnoch einen Nachfrageüberhang. Der Marktpreis zeigt die Knappheit eines Gutes an: Je knapper das Angebot eines begehrten Gutes ist, desto eher kann man den Preis anheben, z. B. für Äpfel nach einem schlechten Erntejahr. Umgekehrt sinkt der Preis für ein Gut, wenn das Angebot größer ist als die Nachfrage. Der Marktpreis kann sich nur frei bilden, wenn auf einem Markt ein vollkommener Wettbewerb herrscht: Keiner unter den Anbietern und Nachfragern darf so viel Macht haben, dass er den Preis beeinflussen kann. Der vollkommene Wettbewerb ist die theoretische Grundvoraussetzung für eine freie Marktwirtschaft. Realisiert wird solch ein vollkommener Markt in der Praxis am ehesten an der Börse. Marktformen Man kann die Märkte, die in einer Volkswirtschaft bestehen, nach dem Umfang des Wettbewerbs auf Angebotsund Nachfrageseite einteilen in Polypole, Oligopole und Monopole. Im Polypol konkurrieren viele relativ kleine, ungefähr gleich starke Wirtschaftseinheiten miteinander. Im Oligopol stehen einige mittlere, in etwa gleich starke Wirtschaftseinheiten in Konkurrenz zueinander. Im Monopol gibt es nur einen großen Anbieter bzw. Nachfrager. Merkantilismus, Wirtschaftspolitik der absolutistischen Staaten im 16. bis 18. Jahrhundert. Oberstes Ziel der merkantilistischen Wirtschaftspolitik war es, Geld für die Staatskasse zu beschaffen, um so die Macht des Staates zu stärken. Denn für Söldnerheere und Berufsbeamtentum benötigten die Staaten viel Geld. Sie strebten eine aktive Handelsbilanz an, d. h. mehr Export als Import, um möglichst viel Gold und Silber ins Land zu holen. Die Exportindustrie (Manufakturen) wurde durch Privilegien gefördert. Der Export von Rohstoffen wurde gehemmt, ebenso der Import von Fertigprodukten. Das Bevölkerungswachstum wurde begünstigt, da dem Produktionsfaktor Arbeit große Bedeutung zugemessen wurde. Kolonien wurden gegründet und ausgebeutet, um die Mutterländer mit Edelmetallen zu versorgen und mit Rohstoffen, von denen die Exportindustrien abhingen. In den einzelnen europäischen Ländern war der Merkantilismus unterschiedlich ausgeprägt, z. B. in Deutschland als Kameralismus, der u. a. eine großzügige Einwanderungspolitik (Peuplierungspolitik) verfolgte; oder als Colbertismus in Frankreich, wo die Entwicklung des Gewerbes durch den Staat im Vordergrund stand; in England konzentrierte sich der Staat auf die Förderung der Nachfrage nach Produkten der einheimischen Textilindustrie und auf die Kolonialpolitik. Im 18. Jahrhundert wurde der Merkantilismus in England von der klassischen Nationalökonomie abgelöst, in Frankreich von der physiokratischen Lehre. In Deutschland bestimmte er noch im 19. Jahrhundert die Wirtschaftspolitik. Nationalismus, zum Teil neutral, meist eher kritisch bis abwertend verwendete Bezeichnung für auf die Interessen der eigenen Nation fixierten, teilweise auch zur Militanz neigenden Ideologien. Nationalistische Ideologien sind darauf ausgerichtet, den als etwas Besonderes empfundenen Nationalcharakter zu bewahren, zu stärken und gegen andere abzugrenzen. Diese auf Festigung der inneren Einheit gerichtete Abgrenzung nach außen richtet sich dabei auch gegen Minderheiten im eigenen Land. Nationalistische Ideologien können eine je nach historischen, politischen und sozioökonomischen Hintergründen 32 unterschiedliche Ausprägung annehmen. In der politikwissenschaftlichen Forschung unterscheidet man etwa u. a. zwischen kulturellem, politischem, ökonomischem und religiösem Nationalismus. Allen Nationalismen ist eine übersteigerte Wertschätzung der eigenen Nation und das Empfinden der eigenen Besonderheit als Überlegenheit gegenüber anderen Völkern oder nationalen Minderheiten sowie ein Sendungsbewusstsein gemeinsam. Dabei wird in wirtschaftlichen und territorialen Fragen (häufig offen rassistisch) für die eigenen Interessen ein Rechtsvorrang behauptet. Im Chauvinismus wird das nationale Eigeninteresse häufig zum alleinigen, obersten Maßstab für die Politik. Geschichte Die Entstehung des Nationalismus hängt eng zusammen mit der Herausbildung der Nationalstaaten. Wesentliche Impulse für die Entwicklung nationalistisch orientierter Grundhaltungen gingen von der Französischen Revolution aus, deren Kampflied, die spätere französische Nationalhymne, mit den für die neue, auch emotionale Bedeutung der Nation – des Vaterlandes – kennzeichnenden Worten beginnt: „Allons enfants de la patrie“ (Marschieren wir los, Kinder des Vaterlandes). Die Idee der Nation war zugleich verbunden mit der Idee der Souveränität, der Grundlage des Nationalstaatsprinzips. Erst die Ausbildung der modernen Nation ließ ein sozialintegratives, auch ideologiefähiges Bewusstsein der Zugehörigkeit zu der im Staat organisierten sozialen Großgruppe entstehen. Im 19. Jahrhundert suchten nationalistische Bewegungen u. a. in Deutschland, Griechenland, Italien und Ungarn, auf der Grundlage der historischen, sprachlichen und kulturellen Verbundenheit eine auch politische, auf einen souveränen Nationalstaat gerichtete, nationale Identität zu stiften. In bestehenden Nationalstaaten wurde der zunehmende Nationalismus bewusst sowohl zur Festigung der nationalen Einheit als auch zur Durchsetzung von Macht- und Territorialinteressen eingesetzt. In der schärfer werdenden Konkurrenz zwischen den europäischen Staaten um Rohstoffressourcen und Absatzmärkte wurde der Nationalismus zum Ausgangspunkt kolonialistischen und imperialistischen Vormachtstrebens. Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung im 1. Weltkrieg. Die sich danach in Italien und Deutschland entwickelnden Extremformen des Nationalismus, der Faschismus und der Nationalsozialismus, sowie die von ihnen errichteten totalitären Diktaturen waren gekennzeichnet von einer schrankenlosen Aggressivität nach außen, die sich u. a. in rücksichtslosen Angriffskriegen manifestierte. Erneut zum Problem wurde der militante Nationalismus im Europa der neunziger Jahre mit dem Aufbrechen des Ostblocks und den revolutionären Umwälzungen in den Staaten des früheren Warschauer Paktes sowie ganz besonders auf dem Balkan nach dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens. In Afrika, Asien und Ozeanien wirkte der sich im Zuge der Entkolonialisierung entfaltende Nationalismus sozialintegrativ und trug zur inneren Stabilisierung ebenso bei wie zur Überwindung der Abhängigkeit von den früheren Kolonialherren. Enorme militärische Kraft entfaltete dieser neue Nationalismus u. a. im Indochina- und im Vietnamkrieg durch sozialrevolutionäre Guerillabewegungen. Eine erhebliche Bedrohung für den Frieden im arabischen Raum geht weiterhin von dem religiösen Nationalismus der islamischen Fundamentalisten aus. Nationalstaat (nach Mathias Boxleitner), ein Staat, in dem alle Angehörigen einer Nation (gemeinsame Merkmale z. B.: Abstammung, Sprache, Religion, Kultur, Geschichte) zusammenleben, im Gegensatz zu dem aus mehreren Nationen bestehenden Vielvölkerstaat (Nationalitätenstaat). Die Nationalstaatsbewegung im frühen 19. Jahrhundert hoffte, mit der Errichtung von Nationalstaaten freiheitliche, demokratische Verfassungsstaaten zu schaffen. Sie richtete sich gegen die Ordnung des Wiener Kongresses für Europa, da die Trennung von Kulturnationen in verschiedene Staaten als unnatürlich empfunden wurde. Dem multinationalen Staat, geführt von einer dynastischen Regierung, wurde die Legitimität abgesprochen. Die Gliederung der Gesellschaft in Stände sollte abgelöst werden durch ein Staatswesen mit politisch gleichberechtigten Bürgern. Aber die Nationalstaaten entwickelten sich nicht immer in diese Richtung, manche erhielten nicht demokratische, sondern monarchische oder diktatorische Regierungen. Auch das Ziel, alle Angehörigen einer Nation in einem Staat zusammenzufassen, wurde oft nur unvollkommen erreicht. Die europäische Nationalstaatsbildung vollzog sich in mehreren Etappen. Die westeuropäischen Nationalstaaten Frankreich, Spanien und Großbritannien hatten sich durch jahrhundertlange politische Tradition und innerstaatliche Revolutionen bereits im 18. Jahrhundert herausgebildet. Dennoch handelt es sich nicht im engeren Sinne um Nationalstaaten, da sich die Bevölkerung einiger Regionen (Waliser, Schotten, Bretonen, Korsen, Basken) als eigene Nation empfand. Die Nationalstaaten Mitteleuropas, Deutschland und Italien, entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts durch den Zusammenschluss von Teilstaaten (Einheitsbewegungen), in denen die Angehörigen einer sich als zusammengehörig empfindenden Kulturnation lebten. Gegen Ende des 1. Weltkrieges zerfielen die multinationalen Großreiche in Osteuropa (Österreich-Ungarn, Russland und das Osmanische Reich) und schufen somit die Grundlage für die Entstehung einer Reihe von Nationalstaaten (Finnland, Griechenland). Auch außerhalb Europas versuchte man, Nationalstaaten zu errichten. Alle im Prozess der Dekolonisation entstandenen Staaten berufen sich auf das Prinzip des Nationalstaats, ohne seiner Definition gerecht zu werden. Die Grenzen der neuen Staaten, besonders in Afrika, gehen auf die Grenzen der europäischen Kolonialreiche zurück und berücksichtigen nicht die traditionelle Zusammengehörigkeit der Bevölkerung in Stammesstrukturen. Angesichts der oftmals aggressiven Ausprägung des Nationalismus im Europa des 20. Jahrhunderts und neuer, globaler Probleme wie Umweltzerstörung und Wirtschaftskrisen gibt es Bestrebungen, das Nationalstaatsprinzip durch die Gründung von internationalen Organisationen (z. B. der Europäischen Union) zu ersetzen. Pauperismus (zu lateinisch pauper: arm), Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene Bezeichnung für die Massenarmut, die in Europa vor und zu Beginn der Industrialisierung auftrat. Durch die Auflösung von traditionellen Bindungen und Rechten der vorindustriellen Gesellschaft, wie z. B. von Zünften, verlor ein großer Teil der ständig anwachsenden Bevölkerung jegliche soziale und ökonomische Absicherung und war gezwungen, von der Unterstützung durch Wohltätigkeitsorganisationen oder von Bettelei zu leben. In der Marx’schen Theorie bezeichnet Pauperismus die in Folge kapitalistischer Ausbeutung entstandene Massenarmut. Die der kapitalistischen Produktionsweise innewohnende Tendenz zu einer ständigen Rationalisierung der Produktion führt zur Arbeitslosigkeit von immer mehr Arbeitern und damit zur Herausbildung einer industriellen Reservearmee, die zunehmend verelendet. Verelendung (nach Jutta Brusis) Begriff der marxistischen Theorie, der die Verschlechterung der gesamten, d. h. der materiellen, sozialen, kulturellen und psychischen, Lage der Arbeiterklasse bezeichnet. Die Herausbildung einer industriellen Reservearmee und die immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen den Besitzenden (Kapitalisten) und den nicht 33 besitzenden Arbeitern (Proletariat), haben materielle und dadurch bedingt soziale Verelendung zur Folge. Nach Marx entspricht die „Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ... also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalität und moralischer Degradation auf dem Gegenpol“ , der vom Proletariat gebildet wird. Die Lage der Arbeiterschaft kann sich dabei trotz steigendem Arbeitslohn sozial verschlechtern, da ihr Anteil am Nationaleinkommen sinkt. Diesen Verelendungstendenzen könnte nach Ansicht von Karl Marx die (gewerkschaftliche) Organisierung der Arbeiter entgegenwirken. Preußische Reformen (nach Marion Pausch), unter dem Eindruck der Französischen Revolution und der napoleonischen Eroberungen von Freiherr vom Stein, Friedrich Freiherr von Hardenberg, Wilhelm Freiherr von Humboldt und August Gneisenau in Gang gesetzte Reformen im sozialen, wirtschaftlichen, bildungspolitischen und militärischen Bereich. Ab Oktober 1807 begann Stein in seiner etwas über einjährigen Amtszeit mit der Reform der Staatsverwaltung, indem er ein Kabinett unabhängiger, verantwortlicher Minister mit klar umrissenen Ressorts an die Stelle der Zentralregierung setzte. Das von Stein erlassene Oktober-Edikt von 1807 schaffte die Erbuntertänigkeit der Bauern ab; einen Monat später beschloss er die Selbstverwaltung der Gemeinden und befreite sie vom Zunftzwang. Hardenberg, der nach Steins Sturz von 1810 bis 1822 das Amt des Staatskanzlers innehatte, setzte das begonnene Werk mit eigenen Akzenten fort. Von besonderer Bedeutung war die unter Gneisenau und Scharnhorst in Angriff genommene Heeresreform. Zwar ließ sich eine allgemeine Wehrpflicht nicht durchsetzen, doch entstand neben einer 120 000 Mann starken Landwehr eine Berufsarmee, die sich dank einer kurzen Wehrdienstdauer permanent erneuerte („Krümpersystem“) und daher im Ernstfall eine hohe Zahl ausgebildeter Reservisten heranzuziehen vermochte. Gleichzeitig musste der Adel fortan denselben militärischen Ausbildungsgang durchlaufen wie die Bürger. Die von Humboldt initiierte Bildungsreform, die das gesamte Unterrichtswesen der staatlichen Aufsicht unterstellte, verfolgte parallel dazu das Ziel, im zivilen Bereich ein eigenverantwortliches, hochqualifiziertes Personal heranzubilden. Hierzu sollten die ab 1809 neu gegründeten humanistischen Gymnasien ebenso beitragen wie noch weiterführende Bildungseinrichtungen, etwa die ebenfalls neu entstandene staatliche Universität von Berlin (Humboldt-Universität). Obgleich konservative Kräfte, insbesondere der Adel, die Reformen zu bremsen versuchten, ließ sich die Neustrukturierung des preußischen Staates nicht aufhalten. Dabei teilten Politiker wie Stein oder Hardenberg keineswegs die Ideale der Französischen Revolution, sondern versuchten vielmehr im Gegenteil, sich von ihr „inspirieren zu lassen, um ihr besser Widerstand leisten zu können“. Reichsdeputationshauptschluss (nach Wieland Eschenhagen), Beschluss der letzten außerordentlichen Reichsdeputation (25. Februar 1803), der eine territoriale Neuordnung des Heiligen Römischen Reiches nach sich zog. Nach den Koalitionskriegen zwischen dem revolutionären Frankreich und den anderen europäischen Mächten (1791-1797, 1798-1801) war die Annexion linksrheinischer deutscher Gebiete durch Frankreich im Frieden von Lunéville 1801 völkerrechtlich bestätigt worden. Zur Ausarbeitung einer Entschädigungsregelung für die von der Abtretung betroffenen Reichsfürsten setzte der Reichstag 1801 einen Ausschuss (Deputation) ein, dessen Vorschlag er 1803 akzeptierte. Für ihre verlorenen Gebiete erhielten die früheren Eigentümer, im Wesentlichen Österreich und Preußen sowie die mittleren Landesherrschaften Bayern, Württemberg, Hannover, Hessen und Sachsen, rechtsrheinische Territorien. Diese wurden durch die Einziehung der meisten katholischen Gebiete (Säkularisation) und die Aufhebung der Reichsunmittelbarkeit von 41 freien Reichsstädten (Mediatisierung) gewonnen. Zugleich erhielten die Fürsten von Salzburg, Württemberg, Baden und HessenKassel die Kurfürstenwürde der erloschenen linksrheinischen Kurfürstentümer Köln, Trier und Kurpfalz. Die Umgestaltung kam den Vorstellungen Frankreichs und Russlands, den neuen Ordnungsmächten in Europa, entgegen. Sie milderte die Zersplitterung Deutschlands zugunsten Preußens, das Österreich ebenbürtig wurde, und der mittelgroßen Staaten. Letztere gewannen an Gewicht, ohne sich aber dem Einfluss Frankreichs entziehen zu können. Die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches 1806 war damit vorgezeichnet. Für die katholische Kirche bedeutete der Reichsdeputationshauptschluss den größten Verlust seit der Reformation. Restauration (nach Wieland Eschenhagen), Wiederherstellung von Grundzügen einer alten Herrschaftsordnung nach einer gesellschaftlichen Umwälzung oder politischen Revolution. Speziell bezeichnet dieser Begriff folgende historische Phasen: 1. Rückkehr der durch den Englischen Bürgerkrieg vertriebenen Dynastie der Stuarts nach England (1660). Das Oberhaus wurde wieder eingeführt, die anglikanische Kirche setzte wieder Bischöfe ein. 2. Wiedereinsetzung der Bourbonen-Dynastie in Frankreich unter Ludwig XVIII. Im Jahr 1814 nach der Französischen Revolution und dem Kaiserreich Napoleons I. (unter Beibehaltung wesentlicher Errungenschaften, z. B. Code Napoléon). Der emigrierte Adel kehrte zurück und wurde entschädigt. Der Versuch Karls X., zum Absolutismus zurückzukehren, führte zur JuliRevolution 1830. 3. Die Epoche zwischen dem Wiener Kongress 1814/15 und der Julirevolution 1830 in Europa (in Deutschland und Österreich bis 1848). Sie war von dem Bestreben geprägt, die Ergebnisse der Französischen Revolution wieder rückgängig zu machen. Hauptinstrument war das vom österreichischen Kanzler durchgesetzte reaktionäre „System Metternich“, in dessen Zentrum die Heilige Allianz der konservativen Großmächte Europas zur Unterdrückung der liberalen und nationalrevolutionären Bewegungen stand. In Deutschland versuchte der Deutsche Bund mit den Karlsbader Beschlüssen gegen die Burschenschaften und mit den Demagogenverfolgungen revolutionärer Bestrebungen Herr zu werden. Die Forderungen nach deutscher Nationalstaatlichkeit und demokratischen Freiheiten ließen sich jedoch auf Dauer nicht unterbinden (Hambacher Fest, 1832). Die Märzrevolution 1848 beendete die Restauration. In Deutschland und Österreich prägte sie weitgehend das kulturelle Leben und bezeichnet daher auch die vorwiegend konservative Grundstimmung und Stilrichtung der Kunst, Literatur und Philosophie dieser Zeit. Revisionismus, im weiteren Sinn das Streben nach Veränderung eines politischen Programms. In einem engeren Sinn wird unter Revisionismus eine Strömung innerhalb der Sozialdemokratie um die Jahrhundertwende verstanden, die einige der zentralen Annahmen des Marxismus revidieren wollte. Im Grund ging es um die Angleichung der Lehre an die praktizierte Politik. Daher standen Fragen der (partei-)politischen Strategie im Vordergrund; so etwa das Problem, ob eine sozialistische Gesellschaftsordnung durch Revolution oder allmählich mittels Reformen herbeizuführen sei. Damit hängen Entscheidungen zugunsten der parlamentarischen Demokratie sowie gegen die Verstaatlichung von Privatunternehmen aufs engste zusammen. Wichtigste Vertreter des Revisionismus waren Eduard Bernstein und Karl Kautsky. 34 Revolution, im weitesten Sinn die grundlegende Umwälzung einer bestehenden Ordnung oder einer bislang gültigen Glaubens- oder Wissenschaftsdoktrin. Im engeren Sinne steht der Begriff Revolution für den Bruch mit einer überkommenen politisch-sozialen Ordnung, insbesondere für die gewaltsame Umwälzung der staatlichen Machtstruktur. Eine politisch-soziale Revolution zeichnet sich in der Regel durch vier Merkmale aus: 1. Findet sie unter Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten und unter Ausbruch offener Gewalt in einem konzentrierten Zeitrahmen statt; 2. bewirkt eine Revolution eine tiefgreifende Umwälzung des sozialen Systems mit Schwerpunkt auf der politischen Ordnung; 3. erschöpft sich eine Revolution nicht allein im Austausch der Führungsgruppe an der Staatsspitze wie etwa beim Staatsstreich, sondern eröffnet anderen Schichten als den bisherigen Eliten den Zugang zur Macht; 4. folgt dem revolutionären politischen Umbruch eine Neuorientierung hinsichtlich der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung. Souveränität, die allumfassende und nicht abgeleitete Hoheitsgewalt des modernen Staates nach innen und nach außen, die lediglich vom Völkerrecht und von den Grundrechten begrenzt werden kann. Souveränität nach außen bedeutet die Unabhängigkeit eines Staates von anderen sowie die rechtliche Gleichstellung aller souveräner Staaten. Der souveräne Staat ist gleicher und freier Akteur; er hat einen Anspruch auf Nichteinmischung in seine inneren Angelegenheiten, in der Gestaltung seiner Außenpolitik ist er frei. Das Völkerrecht sowie die zunehmende Bedeutung internationaler Verträge setzten einer ungehemmten, absoluten Souveränität nach außen jedoch Grenzen; supranationale Organisationen wie etwa die UNO, die EU und die NATO schränken die Souveränität ihrer Mitgliedsstaaten ebenfalls ein, bzw. die Mitgliedsstaaten übertragen diesen Organisationen Souveränitätsrechte. Souveränität nach innen meint das Recht zur freien und unabhängigen Gestaltung der Staats- und Gesellschaftsordnung, der Verfassung und des Rechtssystems. Träger der Souveränität ist in parlamentarisch-demokratischen Systemen das Volk. Zuvor lediglich im Zusammenhang mit bestimmten obersten Jurisdiktionsrechten gebraucht, wurde der Begriff der Souveränität mit der Entstehung der modernen Nationalstaaten zu einem Schlüsselbegriff der Staatslehre, insbesondere bei Jean Bodin, der die Fürsten als Träger der Souveränität definierte. Gegen diese Fürstensouveränität wurde bereits seit dem Mittelalter auch die Forderung nach Volkssouveränität laut; einer der Hauptvertreter dieser Richtung war Jean-Jacques Rousseau. Sozialismus, im 19. Jahrhundert mit dem Aufkommen der sozialen Frage entstandene politische, zunächst vor allem von der Arbeiterbewegung getragene Bewegung, deren wesentliche Ziele Gleichheit, Solidarität, Gerechtigkeit, soziale Sicherheit und die Überwindung des Kapitalismus waren. Die Entstehung des Sozialismus war eine Reaktion auf die negativen Auswüchse des Kapitalismus im Zuge der industriellen Revolution, insbesondere auf die Verelendung der Arbeiterschaft in den großen Städten. Das Spektrum sozialistischen Veränderungswillens reicht heute von Konzepten zur Reform der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bis zur Revolution mit dem Ziel einer grundlegenden Umverteilung bzw. Verstaatlichung des Eigentums, der Abschaffung von Zins und Grundrente sowie einer Beschränkung des Erbrechts. Der u. a. mit den Namen Etienne Cabet und François Babeuf verbundene Frühsozialismus war von den Idealen der Aufklärung geprägt und wird häufig als utopischer Sozialismus bezeichnet. Auch dem deutschen Frühsozialisten Wilhelm Weitling haftet dieses Etikett an. Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und sozialer Verfassung wurde zuerst von Claude de SaintSimon erkannt. Genossenschaftliche Wirtschaftsmodelle entwarfen u. a. der französische Sozialphilosoph Charles Fourier und der britische Unternehmer Robert Owen (siehe Genossenschaftsbewegung). Karl Marx und Friedrich Engels, Begründer eines wissenschaftlichen Sozialismus, sahen gegenüber den menschenverachtenden frühkapitalistischen Zuständen ihrer Zeit einen Umsturz der kapitalistischen Ordnung im Rahmen einer proletarischen Revolution als unausweichlich an. Der radikale Marxismus wurde von Lenin weiterentwickelt und als MarxismusLeninismus grundlegende Ideologie des Bolschewismus (siehe auch Kommunismus). Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert spaltete sich von der marxistischen Bewegung eine gemäßigte Richtung ab, der so genannte Revisionismus, für den u. a. der Name Eduard Bernstein steht. Der Revisionismus leitete die Abkehr der Sozialdemokratie vom revolutionären Sozialismus zu einer auf die Reform von Staat und Gesellschaft gerichteten evolutionären Politik ein. Aber auch innerhalb der deutschen Sozialdemokratischen Partei (SPD) gab es weiterhin einen linken, revolutionären Flügel, der sich 1916 als Spartakusbund von der SPD abspaltete und mit den Namen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verbunden ist. Rosa Luxemburg entwarf 1918 das Programm für die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), zu deren Mitbegründern auch Liebknecht gehörte. Durch die zum Teil menschenverachtenden Auswüchse des so genannten real existierenden Sozialismus in den Ländern Osteuropas und der Dritten Welt sowie den letztendlichen flächendeckenden Zusammenbruch sozialistischer Herrschaftssysteme in jüngster Zeit wurde die Idee des Sozialismus als solche weitgehend diskreditiert; entsprechende Denkmodelle, soweit sie sich nicht im Rahmen eines demokratischen Sozialismus bewegen, scheinen ihre Blütezeit bis auf weiteres hinter sich zu haben. Stände (nach Wieland Eschenhagen), soziale Schichten in einem hierarchisch gegliederten Gesellschaftssystem (Ständegesellschaft), deren Angehörige jeweils den gleichen sozialen Rang und bestimmte, daraus abgeleitete Rechte, Privilegien und Pflichten hatten. Die Zugehörigkeit zu einem Stand ergibt sich aus Herkunft (Ebenbürtigkeit), Beruf (Berufsstand, z. B. Zünfte, Bauern) oder gesellschaftliche Rolle (Geistlichkeit) und wird von ihren Mitgliedern durch ihre moralischen Werte, ihre Lebensführung und ihren gesellschaftlichen Umgang (Standesbewusstsein) bekräftigt. Die Ständeordnung des Mittelalters nahm die grundsätzliche Trennung zwischen Freien und Unfreien, zwischen Herrschenden und Dienenden als gottgegeben an. Auf dieser Basis bildeten sich – in der Regel dreigliedrige – Ständesysteme heraus, die aus Klerus (1. Stand), Adel (2. Stand), Stadtbürgertum (3. Stand) und in einzelnen Fällen freien Bauern aufgebaut war. Die staatstragenden Stände (auch Landstände bzw. im Heiligen Römischen Reich Reichsstände, in Frankreich Generalstände, in den Niederlanden Generalstaaten genannt) traten in repräsentativ beschickten Landtagen bzw. Reichstagen (in England: Ständeparlament) zusammen, wo sie mitbestimmende, die Macht des Landesherrn bzw. Königs oder Kaisers mehr oder weniger einschränkende Kompetenzen besaßen. Die Bewilligung von Steuern, auf die der Landesherr angewiesen war, wenn er die Kosten für die Kriegsführung nicht mehr aus eigenen Mitteln bestreiten konnte, bildete sich früh als wichtigstes Recht und Druckmittel der Ständeversammlungen gegenüber dem Herrscher heraus. Während des Absolutismus überwand die fürstliche Zentralgewalt Ständeschranken (in England und Holland behaupteten sich in Bürgerkriegen die noch ständischen Parlamente, in der Französischen Revolution machte sich der bürgerliche 3. Stand zum alleinherrschenden Faktor). Die sich mit der industriellen Revolution seit dem 18. Jahrhundert herausbildende Arbeiterklasse stellte einen neuen, unterprivilegierten „4. Stand“ dar, der den Rahmen der Ständegesellschaft sprengte. 35 5. Anlagen Zur Charakterisierung der Reichsverfassung von 1871 (Dittmar Friedrich) Zur Charakterisierung der Reichsverfassung von 1871 gibt es eine Reihe unterschiedlicher Interpretationen der Geschichtswissenschaft, von denen drei in verkürzter Darstellung vorgestellt werden. 1. Traditioneller Konstitutionalismus mit Übergewicht der Exekutive Eine wissenschaftliche Ausrichtung sieht in der Reichsverfassung eine Realisierung des traditionellen Konstitutionalismus, allerdings verändert durch die Erfahrungen Bismarcks im Verfassungskonflikt von 1862-66. Konstitutionalismus meint das Gegenüber von Regierung und Parlament. Das Parlament ist beschränkt auf seine legislative Funktion und hat keinen Einfluss darauf, wie die Regierung personell zusammengesetzt ist. Im Prinzip ist die Regierung darauf angewiesen, dass das Parlament (der Reichstag) die gesetzgeberische Voraussetzung für das Regierungshandeln schafft. Wenn das Parlament die Zustimmung zu Gesetzesinitiativen der Regierung verweigert, entsteht ein Konflikt. Bismarck war bemüht, diese Konfliktzonen zu minimieren. Dazu gehört z.B. die Tatsache, dass wesentliche Teile des Etats, die Ausgaben für das Heer, der jährlichen Bewilligung des Parlaments entzogen war. Durch gegenseitiges Ausspielen der Verfassungsorgane sollte das Übergewicht der monarchisch geleiteten Exekutive erhalten bleiben. 2. Konstitutionalismus mit veränderter sozialer Grundlage Traditioneller Konstitutionalismus basiert auf dem Dualismus von monarchisch-konservativer Exekutive und bürgerlicher liberaler Legislative. Grundlage dieses Systems ist ein Zensus-Wahlrecht für das Legislativ-Organ, dass politische Mitbestimmung an den (steuerlichen) Beitrag der Wähler bindet. Diejenigen, mit geringem bzw. keinem Steueraufkommen waren damit weitgehend von der Einflussnahme auf politische Entscheidungen ausgeklammert, Mit der Veränderung des Wahlrechts vom preußischen Drei-Klassen-Wahlrecht zum allgemeinen wahlrecht wird nicht einfach nur eine Wahlrechtsreform durchgesetzt, sonder auch die politischen Möglichkeiten der Arbeiterschaft erheblich verbessert (bei allen sonstigen Manipulationsmöglichkeiten). Damit ist auch die Vorherrschaft der bürgerlich - liberalen Bewegung gefährdet und kann jederzeit gegen die Interessen der Arbeitnehmerschaft ausgespielt werden. Damit werden die „Spielregeln des Konstitutionalismus nachhaltig verändert, weil nicht mehr nur ein Dualismus, sondern ein machtpolitischer „Trialismus“ entsteht. Damit ist die Verfassung des Kaiserreichs nicht einfach nur eine Variante des Konstitutionalismus, sondern kennzeichnet einen Übergangszustand zum modernen Parlamentarismus. 3. Die Reichsverfassung - Ermöglichung von Bismarcks- Bonapartismus Eine weitere Interpretation sieht die Verfassung eher als eine politische Struktur, die Bismarck auf seine Bedürfnisse und seine spezielle Herrschaftstechniken zugeschnitten hätte. Diese Analyse geht davon aus, dass das politische System dadurch funktionierte, dass die politischen Institutionen (Reichstag - Bundesrat. Parteien) gegeneinander ausgespielt wurden. und dies unter Einbeziehung gewisser Formen plebiszitärer Elemente: Reichstagsauflösung mit Wahlen und massiver Wahlbeeinflussung; Manipulation der öffentlichen Meinung; Pressepolitik etc). Diese Form des Regierens würde Bismarck eine überragende Position im gesamten Verfassungsgefüge garantieren und die Bezeichnung „Bonapartismus“ (= Herrschaftsform) Elemente der Weimarer Verfassung (Dittmar Friedrich) Demokratisch- plebiszitäre Elemente Parlamentarische Elemente Präsidentielle Elemente Art.109ff: Sicherung von Grundrechten Art. 21: freies Abgeordnetenmandat Art. 17: Allgemeines, gleiches freies, unmittelbares, gleiches Wahlrecht Art.22: Wahl des Reichstags Art. 41: Wahl des Reichspräsidenten Art. 73: Volksbegehren, Volksentscheid Art.: 76 Verfassungsänderung Art. 32 Mehrheitsprinzip Art. 53:Einsetzung des Kanzlers und der Minister Art: 46: Einsetzung der Beamten und Offiziere Art. 47: Oberbefehl über die Reichswehr Art. 25: Auflösung des Reichstages Art. 48: Notverordnungsrecht Art. 73:Einleitung Volksentscheid Kombination von Befugnissen der Wähler Art 48: Zustimmung zu Notverordnungen Art. 54: Misstrauensvotum Art. 68: Gesetzesbeschluss Art.43: Beschluss zur Abwahl des Reichspräsidenten Kombination von Befugnissen des Reichstags Art. 41 + Art 73 + Art 76 weitgehende Ausschaltung des parlamentarischen Elements Art. 68+Art 54+Art 43 weitgehende Ausschaltung des Reichspräsidenten 36 Kombination von Befugnissen des Präsidenten Art.53+Art.48+ Art.25+ Art.73 weitgehende Ausschaltung des Parlaments 6. Literatur Autorenkollektiv: Deutsche Geschichte Zwischen 1800 und 1933 – Geschichte der Supermächte, C.C. Buchners Verlag, Bamberg 1998 Autorenkollektiv: Kursbuch Geschichte, Von der Antike bis zur Gegenwart, Cornelsen Verlag / Volk und Wissen Verlag, Berlin 2001 Görtemarker, Manfred: Deutschland im 19. Jahrhundert, Entwicklungslinien, Leske Verlag, Opladen 1983 Hildebrandt Horst (Hrsg.): Die deutschen Verfassungen im 19. und 20. Jahrhundert, Verlag Ferdinand Schönigh, Paderborn 1971, Katz, Alfred: Staatsrecht, Grundkurs im öffentlichen Recht, C.F. Müller Verlag, Heidelberg 1996 Mickel, Wolfgang W.(Hrsg.): Geschichte, Politik und Gesellschaft, Von der Französischen Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Cornelsen Verlag Hirschgraben, Frankfurt/M. 1988 Microsoft: Encarta 1998 Prohasky, Herbert: Das Zeitalter der Industrialisierung, Das deutsche Beispiel 1815 – 1914, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1988 37 38