Ein Spiegelbild der Geschichte
Transcrição
Ein Spiegelbild der Geschichte
Stadion-Porträt Fotos: Jörg Pochert / Montage: Stadionwelt Stadion am Quenz Ein Spiegelbild der Geschichte Das Stadion am Quenz in Brandenburg – zwischen Gefangenenlager und Stahlwerk A ls die Brandenburger Mannschaft am 11.12.1996 vom Platz schlich, hatte sie 0:5 gegen Energie Cottbus II verloren. Die wenigen Zuschauer waren damals allerdings Zeuge eines historischen Spiels. Es war das erste und bis dato einzige Punktspiel unter Flutlicht, das im Stadion am Quenz stattfand. Die 2.000-Lux-Anlage gibt es noch heute – und sie ist im Dauerbetrieb. Nicht beim Fußball allerdings, sondern als Sendetürme für Mobilfunkanbieter. Die imposanten Masten sorgen in der unspektakulären Topograe Brandenburgs dafür, dass das Stadion schon aus vielen Kilometern Entfernung zu erkennen ist. Für den Verbandsliga-Fußball heutiger Tage wirken sie so überproportioniert wie das Stadion an sich. Das war allerdings nicht immer so. Fußball gespielt wurde im Brandenburger Ortsteil Quenz seit 1930, dem Gründungsjahr des SC Walzwerk (später Brandenburger SV 21). Als das Vereinsleben während des Krieges ruhte, machte Brandenburg eher durch das berüchtigte Zuchthaus, in dem unter anderem Erich Honecker einsaß, oder das Kriegsgefangenenlager auf sich aufmerksam. In den Nachkriegsjahren wurde das Lager abgerissen und das Stahlwerk wieder aufgebaut. 1950 gönnte es seinen Arbeitern eine Betriebssportgemeinschaft: die BSG Stahl Brandenburg. Da das Stahlwerk am Quenz beheimatet war, sollten natürlich auch die Fußballer hier spielen. Wo anderswo ein Architekt nötig war, planten hier die Ingeneure des Werks ihr Stadion einfach selbst. Nur hatte man noch keinen Standort… bis man sich an das ehemalige Gefangenenlager und den dort zurück gelassenen Bauschutt erinnerte, der sich prächtig zu Wällen für Zuschauer aufschütten ließ. Klaus-Dieter Steib, einer der Ingenieure der ersten Stunde: „Ich erinnere mich noch genau daran, wie wir die Gegentribüne gebaut haben, die damals 2.000 Leuten Platz bot.“ Doch das war nur der Anfang eines Jahrzehnte dauernden sportlichen Aufstiegs. Die BSG gab das Tempo an, das Stadion zog jeweils nach. Bis in die 80er Jahre hinein bot das Rund dabei 10.000 Plätze, durchschnittlich 5.000 Zuschauer kamen. Aus dieser Zeit stammt auch der 1981 von Steib entworfene markante Sprecherturm. „Wir haben den kurze Zeit später noch in Premnitz und Rathenow baugleich errichtet“, erinnert sich der heute 67-Jährige nicht ohne Stolz. Dann 1984 der Aufstieg in die DDROberliga. Im Relegationsspiel gegen Dynamo Schwerin konnte mit 11.000 Zuschauern erstmals eine fünfstellige Zahl begrüßt werden, und Stahl katapultierte sich mit einem Schnitt von 10.850 Fans gleich in die Spitzengruppe der Zuschauertabelle. Da es einige Male ausverkauft war, wurde das Stadion noch während der Saison auf insgesamt 15.000 Plätze ausgebaut. Ein Jahr später kam die neue Haupttribüne hinzu. Diese verdrängte den Fanblock in die Südkurve, ließ aber das Fassungsvermögen auf Der Fanshop: Alles andere als ein Megastore Angerostet: Stahl aus Brandenburg Ungewöhnlich: der Sprecherturm an der Eckfahne 14 Stadionwelt 10/2005 Stadion-Porträt 15.500 steigen. Und noch immer war kein Ende in Sicht, denn Stahl qualizierte sich bereits in seiner zweiten Oberliga-Saison für den UEFA-Cup. Und wieder gab es einen Zuschauerrekord: Ofzielle 18.000 und inofzielle 22.000 waren es, die den späteren Cup-Sieger IFK Göteborg sahen. Eine neue Flutlichtanlage, die für das Stadion in Cottbus vorgesehen war, wurde kurzerhand, ganz im planwirtschaftlichen Sinne, nach Brandenburg „umorganisiert“, eine Anzeigentafel gab es obendrein. Die Pläne für einen Ausbau auf 25.000 allerdings verstaubten in der Schublade. Es folgten die politische Wende und der Niedergang. Als Zweitligist startete der Verein in den gesamtdeutschen Spielbetrieb. St. Pauli und Hannover ließen am Quenz Federn, doch am Ende stand der Abstieg. Die Symbiose mit dem Stahlwerk bröckelte ebenso. Ein Platz in dessen Lehrlingswohnheim, ein weißer Block hinter der Haupttribüne, war früher begehrt, denn das Gratis-Zusehen wurde erst Ende der 80er Jahre durch die gewachsenen Pappeln verwehrt. Sie sind heute abgeholzt, das Wohnheim ist nun ein Vier-Sterne-Hotel. 1993 wurde das „Stahl“ aus dem Vereinsnamen gestrichen und beim Schriftzug auf der alten Tribüne entfernt. Sportlich schien sich der Club zu fangen: Oberliga-Meister 1994. Der Club scheiterte in der Relegation am FSV Zwickau, die 7.800 Zuschauer waren die letzte große Kulisse, die das Stadion bei einem Fußballspiel erlebte. Es kam zum internen Krach, Sponsoren und Spieler sprangen ab. Eine daraufhin zusammengewürfelte Truppe konnte die Klasse nicht halten. Im Stadion tat sich dennoch einiges. Eine neue Laufbahn wurde 1996 gelegt (die Lücke, die für die LKW in die Ränge gerissen wurde, klafft noch heute). Aufgrund dieser ist das Stadion am Quenz, früher oft Spielstätte der DDR-Rugby-Nationalmannschaft, heute zwar LandesStützpunkt für Leichtathletik, doch erwies sich die Maßnahme als Todesstoß für den Verein. Aufgrund eines unwirksamen Vertrages mit der Stadt wurden 1,5 Mio. DM Baukosten nicht zurückerstattet. Obwohl die Stadtoberen von der Nichtigkeit des Vertrages wussten, ließen sie den Verein weiter bauen. Davon erholte sich der BSV nicht mehr, und er musste 1998 Konkurs anmelden. In Folge des sportlichen Niedergang konnte der Verein meist nur noch um die 100 Zuschauer begrüßen. Fünfstellige Kulissen gab es allein bei Konzerten von Grönemeyer, der Kelly Family oder den Puhdys. Das Stadion ging unterdessen in den Besitz der Stadt über und hielt anschließend einen jahrelangen Dornröschenschlaf. Die Anzeigetafel war in dieser Zeit zwar noch funktionstüchtig, doch quittierte bald der Steuerungscomputer den Dienst – und die Ersatzteile russischer Herstellung waren nur schwer zu beschaffen. Heute hat sich die Vereinsführung des Nachfolgeclubs FC Stahl daran gemacht, das Stadion am Quenz wieder zum Leben zu erwecken. Die Neu-Ausrichtung des Flutlichts steht noch aus, doch es ist möglich, dass schon bald eine neue Anzeigetafel in LCD-Qualität montiert wird, so wie bereits die neue Funkuhr am Sprecherturm. Auf den Rängen wird Unkraut gerupft, wenn auch der Gästebereich mangels Andrang meist geschlossen bleibt. Hier erinnert allein ein Podest an die Flammen, die während früherer Spartakiade-Veranstaltungen loderten. Und auf der Tribüne? Dort hat Thomas Hilsenitz die Initiative ergriffen. „Es kann doch nicht sein, dass die Stadt es nicht schafft, die Buchstaben für das fehlende ‚Stahl’ zu erneuern“, sagte er – und ließ sie auf eigene Rechnung anfertigen. Hilsenitz spielt übrigens beim FC Stahl im Mittelfeld. Ingenieur Steib ist auch wieder im Club aktiv, derzeit als 2. Vorsitzender. Man darf gespannt sein, ob er am Quenz in naher Zukunft wieder einen Coup landen wird. ��Jörg Pochert Hinter der Haupttribüne Technikmuseum: die Sprecherkabine Die besten Plätze im Stadion Stadionwelt 10/2005 15