Morphologische Typologie und Wortbildung mittels - Uni

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Morphologische Typologie und Wortbildung mittels - Uni
Morphologie und Syntax (BA)
Morphologie und Syntax (BA)
Morphologische Typologie und Wortbildung mittels Templates
PD Dr. Ralf Vogel
Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft
Universität Bielefeld, SoSe 2007
[email protected]
19.4.2007
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Morphologie und Syntax (BA)
Gliederung
1 Übungsaufgabe 2
2 Wortbildungsoperationen
3 Morphologische Typologie
4 Wortbildung mittels Templates
5 Übungsaufgabe 3
2 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Übungsaufgabe 2
Übungsaufgabe 2
(1)
Neben dem Partizip Perfekt bzw. Passiv (auch Partizip II genannt) wie
bspw. ‘gelaufen’, ‘gelacht’, ‘geklopft’, gibt es im Deutschen noch das
Partizip Präsens (oder Partizip I), wie bspw. ‘laufend’, ‘lachend’,
‘klopfend’. Auch das Partizip I kann adjektivisch flektiert werden wie in
‘der singende Seeelefant’.
a. Bestimmen Sie das Affix für die Bildung des Partizip I.
b. Handelt es sich bei der Bildung des Partizip I um Derivation oder
um Flexion? Begründen Sie Ihre Antwort.
• Das Affix ist -end.
• Genau wie bei der Bildung des Partizip II wird hier aus einem Verb ein
adjektivisch flektiertes Wort gebildet. Morphologisch gesehen wird also
durch -end-Suffigierung ein Wortartenwechsel ausgelöst. Es entsteht
ein neues Lexem: es handelt sich also um Derivation.
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Morphologie und Syntax (BA)
Übungsaufgabe 2
Übungsaufgabe 2
(2)
Welches Problem werfen die Komposita ‘Jahrhundert’, ‘Nimmersatt’
und ‘Dreikäsehoch’ für die Right Hand Head Rule auf? Wie lässt sich
dieses Problem beheben?
• Die RHHR besagt, dass der rechte Teil eines Kompositums seine
Wortart bestimmt.
• Dies sind hier die Adjektive ‘hundert’, ‘satt’ und ‘hoch’.
• Folglich müssten die drei Komposita ebenfalls Adjektive sein, sie sind
aber Nomen.
• Für ‘Nimmersatt’ und ‘Dreikäsehoch’ könnte man eine
Nomen-Ableitungsregel postulieren, die aus einem beliebigen Wort
einen Namen macht.
• Dafür eignet sich bspw. die Annahme eines Null-Affixes:
[ Adj Dreikäsehoch] + [ Nom -Ø] = [ Nom Dreikäsehoch-Ø]
• ‘-Ø’ wäre dann ein phonetisch unsichtbares Namensbildungssuffix.
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Morphologie und Syntax (BA)
Übungsaufgabe 2
Übungsaufgabe 2
• Mit unsichtbaren Elementen muss man sparsam umgehen: da man sie
nicht sehen kann, kann der Linguist ihnen alles zuschreiben, was er will.
Sie sind deshalb sehr gut geeignet, eine falsche Theorie zu ‘retten’.
• ‘Jahrhundert’ hingegen ist eine echte Ausnahme zur RHHR, weil das
Kompositum Kategorie und Genus vom linken Teil bekommt: ‘das Jahr’
— ‘das Jahrhundert’.
• Hier bleibt uns zunächst nichts anderes übrig, als Begriffe wie
‘Jahrhundert, Jahrtausend, Jahrzehnt’ als (möglicherweise historisch zu
erklärende) Ausnahmen zu notieren.
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Morphologie und Syntax (BA)
Übungsaufgabe 2
Übungsaufgabe 2
(3)
Ein sehr produktives Derivationsaffix des Deutschen ist das Suffix
‘-ung’ wie in ‘Übertreibung’. Was ist seine Funktion, mit welchen
Wortarten kann es verbunden werden, und welche weiteren
Einschränkungen gibt es diesbezüglich?
• Das Suffix -ung ist das Derivationssuffix, mit dem aus einem Verb ein
Nomen gebildet wird, das die durch das Verb ausgedrückte Tätigkeit
bezeichnet.
• prüfen — Prüfung ; beleidigen — Beleidigung ; erfinden —
Erfindung
• -ung ist sehr produktiv.
• Es wird vor allem mit Tätigkeits-Verben gebildet, die entweder ein
Akkusativ-Objekt haben oder kein Objekt:
(4)
a.
b.
Karl prüfte/beleidigte/erfand einen Schüler.
Das Flugzeug landete/Peter erblindete/Sie einigten sich —
Die Landung/Erblindung/Einigung
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Morphologie und Syntax (BA)
Übungsaufgabe 2
Übungsaufgabe 2
• -ung-Suffigierung ist nicht möglich unter zwei Bedingungen:
1
2
Es gibt bereits ein Lexem mit der intendierten Bedeutung, Beispiel:
‘leben’ — Leben, *Lebung
Das Verb hat ein Dativ-Objekt und kein Akkusativ-Objekt, Beispiel:
‘danken’ — *Dankung; nur möglich bspw. als Danksagung
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Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildungsoperationen
Wortbildungs-Operationen
• Bislang haben wir zwei Methoden der Wortbildung kennengelernt:
Affigierung LEXEM+Affix(e)
Eine Wurzel wird mit einem oder mehreren Präfixen,
Suffixen und/oder Infixen verbunden.
Komposition LEXEM+LEXEM
Zwei oder mehr Lexeme werden miteinander kombiniert.
• Ein dritter Fall ist die Konversion.
• Hierbei handelt es sich genaugenommen darum, dass dasselbe Morph
für zwei verschiedene Lexeme steht, die sich in ihrer Wortkategorie
unterscheiden.
• Konversion ist typischerweise in Sprachen mit wenig
Derivations-Morphologie wie dem Englischen zu finden:
(5)
a.
b.
The head of the village school has arrived.
“Der Leiter der Dorfschule ist angekommen“
She will head the village school
„Sie wird die Dorfschule leiten“
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Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildungsoperationen
Wortbildung — Konversion
• Ob das Wurzel-Morphem ‘head’ ein Nomen ist oder ein Verb, kann man
ihm nicht ansehen. Es ergibt sich aus dem syntaktischen Kontext.
• Den in Übungsaufgabe 2.2 besprochenen Fall der Namens-Derivation
aus einem Adjektiv wie in „Dreikäsehoch“ kann man ebenfalls als
Konversion beschreiben.
• Wie in der Lösung der Aufgabe angedeutet, lässt sich Konversion auch
als Affigierung mit einem unsichtbaren Derivations-Morphem auffassen.
• Das englische Beispiel zeigt uns aber, dass wir eine ganze Reihe
solcher unsichtbarer Affixe bräuchten:
• walk (Verb) — (take a) walk (Nomen) = walk+ØV walk+ØN
• head (Nomen) — head (a school) (Verb) = head+ØN head+ØV
• fast (men) (Adjektiv) — (run) fast (Adverb) = fast+ØAdj fast+ØAdv
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Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildungsoperationen
Wortbildung — Konversion
• Mit Null-Affixen ist im Grunde wenig gewonnen.
• Sie machen nur Sinn, wenn man annimmt, dass jede Wortableitung eine
Affigierung sein muss. Dafür besteht erst einmal keine Notwendigkeit.
• In Sprachen mit wenig Affigierung finden wir häufig Konversion.
• Stattdessen zu sagen, Sprachen mit wenig Affigierung hätten eben viel
Null-Affigierung, läuft zunächst auf das Gleiche hinaus.
• Es gibt aber die enge Verbindung von Morphologie und Phonologie auf,
und erzeugt eine gewisse Konfusion mit dem Begriff des Morphs:
• -Ø ist ein Affix, also ein Morph.
• ‘head’ ist eine Wurzel, also ein Morph.
• ‘head-ØN ’, ‘head-ØV ’ und ‘head’ sind homophon, aber
morphologisch verschieden.
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Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildungsoperationen
Wortbildung — Konversion
• Bislang haben wir ein Morph als die kleinste Änderung in der
phonetischen Gestalt eines Wortes aufgefasst, die mit einer Änderung
in der Bedeutung oder grammatischen Funktion einhergeht.
• Das können wir jetzt nicht mehr.
• Ein Morph wäre nun die kleinste Änderung in der morphologischen
Gestalt des Wortes.
• Diese morphologische Gestalt ist hier aber abstrakt und, wegen der
Null-Affigierung, nicht beobachtbar.
• Damit ist der Begriff ‘Morph’ nicht mehr empirisch, also durch
Beobachtung bestimmt.
• Wenn wir ein Wort wie ‘head’ vor uns haben, können wir nicht einmal
mehr sagen, ob es eine einfache Wurzel ist, oder ob es morphologisch
komplex ist.
• Da multiple Affigierung möglich ist, müsste sie auch mit Null-Affigierung
möglich sein.
• Wieviele Nullaffixe ein Wort wie ‘head’ hat, sehen wir ihm aber nicht an.
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Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildungsoperationen
Wortbildung — Konversion
• Es gibt hier ein Problem mit der Auffassung, dass eine Grammatik eine
wissenschaftliche Theorie über die Regeln einer Sprache ist.
• Stellen Sie sich vor, zwei Linguisten streiten sich darüber, welche
Wortart für „__“ in folgendem syntaktischen Kontext stehen darf:
(6)
She will __ the village school
• Linguist A: „Für __ darf nur ein Verb stehen, also bspw. auch head-ØV ,
aber nicht head-ØN .“
• Linguist B: „Für __ darf ein Verb stehen, oder Wurzeln mit dem Null-Affix
ØN , also head-ØN oder head-ØV .“
• Auch wenn die Auffassung von Linguist B unplausibel ist, so können wir
seine Formulierung doch nicht anhand von Beobachtungen widerlegen,
da sich Null-Affixe nicht beobachten lassen.
• Die beiden verschiedenen Theorien hätten die gleiche empirische
Gültigkeit.
• Unter solchen Bedingungen ist aber eine Theorie vorzuziehen, in der es
nichts oder weniger Unbeobachtbares gibt.
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Morphologie und Syntax (BA)
Morphologische Typologie
Morphologische Typologie
• Die Sprachen der Welt lassen sich im Hinblick auf ihre
Wortbildungsmuster in fünf verschiedene Typen einteilen:
1
2
3
4
5
analytische (oder auch isolierende) Sprachen,
agglutinierende Sprachen,
flektierende (synthetische oder fusionierende) Sprachen,
polysynthetische (inkorporierende) Sprachen,
templatische Sprachen.
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Morphologie und Syntax (BA)
Morphologische Typologie
Analytische Sprachen
• Analytische Sprachen haben wenige gebundene Morpheme.
(7)
Mandarin Chinesisch:
tā bǎ shū mǎi-le
er OM Buch kaufen-perf.
(OM = Objekt-Markierer; perf.= perfektiver Aspekt)
• Objekt-markierung wird in vielen anderen Sprachen durch Affixe
ausgedrückt.
• Hier haben wir ein freies Morphem, ein Funktionswort.
• In einer analytischen Sprache sind die meisten Wörter einfache
Wurzeln.
• Wie man an dem Perfektiv-Markierer ‘le’ sieht, gibt es in analytischen
Sprachen auch gebundene Morpheme.
• Aber sie sind sehr selten.
• Allerdings sind sehr viele chinesische Wörter Komposita aus
Wurzel-Morphemen.
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Morphologie und Syntax (BA)
Morphologische Typologie
Agglutinierende Sprachen
• In agglutinierenden Sprachen finden wir fast eine 1-zu-1-Entsprechung
von Morphemen und Morphen.
• Ein Morph erfüllt hier meist auch nur genau eine Funktion.
(8)
Türkisch:
el
‘die Hand’
elim ‘meine Hand’
eler ‘die Hände’
(9)
Morphem: ‘Hand’ PLURAL 1.P.-P OSS ‘in’
Morph:
el
ler
im
de
(1.P.-P OSS= erste Person, possessiv, besitzanzeigend)
elimde
ellerim
ellerimde
‘in meinen Händen’
‘meine Hände’
‘in meinen Händen’
• Die Morphe werden eins nach dem anderen zu einem Wort
zusammengesetzt, „agglutiniert“ (wörtlich: verklumpen).
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Morphologie und Syntax (BA)
Morphologische Typologie
Flektierende Sprachen
• Vergleichen wir die Kasusflexion im Lateinischen mit dem Türkischen:
(10)
Latein:
Nominativ:
Genitiv:
Ablativ:
Singular
mēnsa
mēnsæ
mēnsa
Plural
mēnsæ
mēnsārum
mēnsis
‘Tisch/Tische’
‘des Tischs/der Tische’
‘von dem Tisch/den Tischen’
• Die hier dargestellten Suffixe stehen für bestimmte
Merkmalskombinationen aus Kasus und Numerus.
• Es ist unmöglich, bspw. im Suffix -is einen Teil zu bestimmen, der den
Plural repräsentiert.
• Auch fehlt eine 1-zu-1-Entsprechung von Morphen und Morphemen.
Das Suffix -æ bspw. steht zugleich für Genitiv Singular und Nominativ
Plural.
• Latein ist, wie übrigens auch Deutsch, eine flektierende Sprache.
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Morphologie und Syntax (BA)
Morphologische Typologie
Polysynthetische Sprachen
• In polysynthetischen Sprachen stehen Wörter oft für ganze Sätze.
(11)
Grönländisch (Inuktitut): „illuminiippuq“
illu- miniip- puq
haus 3.P.Sg.Poss.Pron. in-sein 3.P.Sg.Ind
‘Er ist in seinem (eigenen) Haus’
(12)
Grönländisch (Inuktitut): „tuttusivuq“
tuttu- sivuq
Karibu begegnen 3.P.Sg.Ind
‘Er begegnete einem Karibu’
(3.P.Sg.Poss.Pron. = 3. Person Singular Possessiv-Pronomen;
3.P.Sg.Ind = 3. Person Singular Indikativ)
• In (12) und (11) sind die grammatischen Objekte in das Verb
inkorporiert.
• Polysynthese bezeichnet Wortbildungsprozesse, bei denen eine grosse
Zahl sehr verschiedener Morpheme, lexikalischer oder grammatischer
Art, zu einem Wort verbunden werden.
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Morphologie und Syntax (BA)
Morphologische Typologie
Morphologische Typologie
• Greenberg (1954) machte den weithin akzeptierten Vorschlag,
Sprachen danach zu klassifizieren, wieviele Morpheme ein Wort im
Durchschnitt hat (ermittelt anhand einer repräsentativen
Zusammenstellung von Sätzen):
• Hat eine Sprache zwischen 1,00 und 1,99 Morpheme pro Wort, ist
sie analytisch (isolierend). — Englisch: 1,68 Morpheme/Wort.
• Hat eine Sprache zwischen 2,00 und 2,99 Morpheme/Wort, ist sie
synthetisch (flektierend), sofern die Realisierung verschiedener
Morpheme mit demselben Morph geschieht (Latein).
• Hat eine Sprache zwischen 2,00 und 2,99 Morpheme/Wort, ist sie
agglutinierend, sofern jedes Morphem durch ein anderes Morph
realisiert wird (Türkisch).
• Eine Sprache ist polysynthetisch, wenn sie im Schnitt mehr als drei
Morpheme per Wort hat.
• Kaum eine Sprache verfolgt eine der Strategien in Reinform. In der
Regel beobachten wir eine Mischung aus alledem.
• Ein Sprachtyp, der hier nicht genannt ist, sind die templatischen
Sprachen. Ihnen wenden wir uns im folgenden zu.
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Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Wortbildungs-Operationen
• Wir haben bislang vier verschiedene Wortbildungs-Operationen
kennengelernt:
1
2
3
4
Affigierung
Komposition
Konversion
Polysynthese
• Ein Phänomen, das nicht so richtig hier hineinpasst, sind die
Vokaländerungen in Wortwurzeln, die wir im Deutschen und anderen
Sprachen häufig vorfinden.
• Wir unterscheiden hierbei Ablaut und Umlaut.
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Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Ablaut
• Unter Ablaut verstehen wir Änderungen im Stammvokal eines Lexems,
wie sie im deutschen besonders bei starken Verben zu finden sind:
(13)
trinken — trank — getrunken
sprechen — sprach — gesprochen
• Ablaut signalisiert hier eine Änderung im grammatischen Wort (bzw. bei
Partizip-Bildung auch eine Änderung in der Wortkategorie).
• Ablaut ist ein Relikt aus dem Althochdeutschen und
Mittelhochdeutschen.
• Im Germanischen gibt es sieben Ablautgruppen, die vorgeben, wie
Stammvokale ablauten.
• Der ursprüngliche Hintergrund war einmal der phonologische Kontext,
der sich aber in der Sprachentwicklung gewandelt hat, so dass er nur
noch bedingt rekonstruierbar ist.
• (Für eine Auflistung der Ablautreihen im Germanischen siehe auch
http://de.wikipedia.org/wiki/Ablaut)
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Wortbildung mittels Templates
Umlaut
• Umlaut ist eigentlich eine spzielle Form der Ablautung.
• Auch dieser Vorgang ist ein Relikt aus früheren Sprachstufen des
Germanischen, aber er ist im Deutschen noch immer produktiv.
• Unter Umlaut verstehen wir die Veränderung eines Vokals zu einem
vorderen Vokal (Aufhellung).
• Ursprünglich handelte es sich dabei um Vokalassimilation:
• Ein
oder
Silbe aus.
löst diese Assimilation in dem Vokal der vorangehenden
• In der Folge verschwanden aber -i/-j in den Suffixen.
• Der Umlaut blieb trotzdem bestehen.
• Im Früh-Germanischen war das Plural-Suffix bei Nomen -i bzw. -ir:
Proto-Germanisch
fōt+i
man+ir
Alt-Englisch
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Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Umlaut
• Einige Kontexte für Umlaut im heutigen Deutsch:
Verbflexion:
Plural:
Verkleinerungsform:
Adjektivierung:
ich gebe — du gibst, er gibt
ich laufe — du läufst, er läuft
Vater — Väter
Mutter — Mütter
Rad — Rädchen
Boot — Bötchen
kaufen — käuflich
Bruch — brüchig
• Ablaut ist ein morphologisch motivierter Vorgang, bei dem eine
Änderung im Stammvokal genutzt wird, um eine grammatische
Änderung anzuzeigen.
• Umlaut ist demgegenüber zumindest historisch als phonologisch
ausgelöster Vorgang zu sehen.
• Im heutigen Deutsch ist Umlaut allerdings ähnlich wie Ablaut eng mit
morphologischer Modifikation verbunden.
26 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Templates
• Variationen im Stammvokal, wie wir sie hier beboachten, finden sich in
noch viel größerem Umfang in den semitischen Sprachen.
• Die wesentlichen Wortbildungs-Operationen finden hier innerhalb der
Wurzel statt.
• Infigierung und Modifzierung der Wurzel sind die Regel.
• Eine Segmentierung eines Wortes in eine lineare Abfolge von
Morphemen ist nicht möglich.
• Betrachten wir die folgenden Beispiele aus dem Arabischen:
27 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Templates
(14)
a.
b.
c.
d.
e.
f.
g.
h.
i.
j.
k.
l.
kataba
kattaba
kaataba
takaatabuu
ktataba
kitaabun
kuttaabun
kitaabatun
maktabun
maktaatibu
kutiba
nkatab
‘er schrieb’
‘er liess schreiben’
‘er korrespondierte (mit)’
‘sie hielten eine Korrespondenz aufrecht’
‘er schrieb, kopierte’
‘Buch’
‘Koranschule’
‘das Schreiben’ (Handlung)
‘Büro’
‘Büros’
‘etwas wurde geschrieben’ (Passiv)
‘abonnieren’
28 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Arabische Binyanim
• Die Wurzeln der arabischen Verben sind zumeist dreikonsonantisch.
• Bei der Wortbildung werden diese mit Vokalen und evtl. weiteren
Konsonanten ergänzt.
• Diese Ergänzung vollzieht sich nach bestimmten Mustern, sogenannten
Binyanim (Einzahl: Binyan).
• In unserem Beispiel ist die Wurzel ‘ktb’.
• Für manche Binyanim kann man annehmen, dass sie aus anderen
abgeleitet sind.
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Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Arabische Binyanim
Erster Binyan
Zweiter Binyan
kaðab
qatala
waqafa
kaððab
qattala
waqqafa
‘lügen’
‘töten’
‘stehen(bleiben)’
‘für einen Lügner halten’
‘massakrieren’
‘jmd. arrestieren/stoppen’
Dritter Binyan
katab
qatala
‘schreiben’
‘töten’
kaatab
qaatala
‘korrespondieren mit (jmd.)’
‘kämpfen mit (jmd.)’
• Der erste Binyan ist die infinitivische Form eines Verbs.
• Der zweite Binyan drückt Kausativität oder Intensivierung aus. Die
Tätigkeit, die das Verb beschreibt, wird als besonders intensiv oder als
verursacht beschrieben.
• Der dritte Binyan drückt Reziprozität aus. Zwei Personen führen die
Tätigkeit, die das Verb beschreibt, wechselseitig aus.
• Es handelt sich also in beiden Fällen um Derivation: eine neue Form
des Verbs mit einer aus ihm abgeleiteten Bedeutung entsteht.
30 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Arabische Binyanim
• Die Beschreibungsmittel der traditionellen Morphologie sind für die
Behandlung der Binyanim nicht hinreichend:
• Bei Affigierung, Flexion und Polysynthese werden Morphe, die
bereits eine interne phonetische Struktur besitzen,
aneinandergereiht.
• Die Wortwurzeln in den semitischen Sprachen, drei Konsonanten,
sind bloss die Skelette, um die herum die phonetische Struktur erst
morphologisch erzeugt werden muss.
• McCarthy (1979/1981) hat vorgeschlagen, eine aus der
autosegmentalen Phonologie bekannte Repräsentation zu verwenden,
wie sie bspw. für die Verteilung von Tönen oder für die Behandlung der
Vokalharmonie verwendet wird.
• Das Wort wird in drei Schichten (engl. ‘tiers’) repräsentiert, einer
Wurzelschicht (‘root tier’), einer Skelettschicht (‘skeletal tier’), und einer
Vokalmelodieschicht (‘Vocalic melody tier’).
31 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Arabische Binyanim
(15)
/kutiba/ — ‘etwas wurde geschrieben’ (Passiv)
Wurzelschicht:
k
Skelettschicht:
C V C V C V
Vokalmelodieschicht:
t
u
b
i
a
• Die Wurzelschicht steht für das, was bspw. im Deutschen die Wurzel
eines Lexems ist.
• Skelettschicht und Vokalmelodieschicht zusammengenommen stehen
für das, was bspw. im Deutschen Derivations- und Flexionsaffixe
machen.
32 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Prosodische Morphologie
Wurzelschicht eine normalerweise dreikonsonantische Sequenz von
Konsonanten, die die Bedeutung des Lexems signalisiert.
Skelettschicht wird auch prosodic template tier genannt — die prosodische
Schablone. Sie bestimmt die charakteristische Gestalt, die
mit einem Binyan verbunden ist, eine Sequenz aus Vokalen
(V) und Konsonanten (C), z.B. :
CVCCVCV = ‘kausativ’.
/kattaba/=‘schreiben lassen’.
Vokalmelodieschicht signalisiert Information, die üblicherweise mit Flexion
ausgedrückt wird, wie etwa Tempus, Numerus, Aspekt beim
Verb, oder derivationelle Affixe:
/kataba/ ‘er schrieb’ ∼ /kitab/ ‘Buch’.
33 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Prosodische Morphologie
• Wenn die eingefügten Vokale identisch sind, wird nur ein Vokal auf der
Vokalmelodieschicht repräsentiert, der sich dann auf die anderen
Vokalpositionen in der Skelettschicht ausbreitet (angedeutet durch die
gestrichelten Linien).
(16)
/kataba/ — ‘er schrieb’
Wurzelschicht:
k
Skelettschicht:
C V C V C V
Vokalmelodieschicht:
t
b
a
34 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Arabische Morphologie
• Einige Wurzeln haben nur zwei Konsonanten:
zr — ‘ziehen’
sm — ‘vergiften’
• zarara — ‘er zog’ ; samama — ‘er vergiftete’
zarrara — ‘er liess (jmd.) ziehen’ ; sammama — ‘er liess (jmd.) vergiften’
einfache Vergangenheit: Template: CVCVCV ; Vokalmelodie: /a/
kausativ: template: CVCCVCV ; Vokalmelodie: /a/
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Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Arabische Morphologie
(17)
/zarara/ — ‘er zog’
Wurzelschicht:
z
Skelettschicht:
C V C V C V
Vokalmelodieschicht:
r
a
• Nicht nur die Vokale der Vokalmelodieschicht, sondern auch die
Konsonanten der Wurzelschicht breiten sich nach rechts auf die noch
freien Plätze in der Skelettschicht aus.
36 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Arabische Morphologie
(18)
/samama/ — ‘er vergiftete’
Wurzelschicht:
s
m
Skelettschicht:
C V
C
Vokalmelodieschicht:
V C V
a
37 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Arabische Morphologie
• Warum nehmen wir nicht an, dass die Wurzeln dreikonsonantisch sind,
also zrr und smm?
• McCarthy (1986): zwei identische Konsonanten hintereinander sind
nicht erlaubt.
Obligatory Contour Principle (OCP) — Prinzip der obligatorischen Kontur
Adjazente identische Elemente sind nicht erlaubt.
• Die ursprüngliche Motivation für dieses Prinzip war es, abzuleiten,
warum es Wörter gibt mit den drei Tönen LHL (‘low high low’ – hoch,
tief, hoch), aber nicht HLL.
• Es wurde durch die Verwendung autosegmentaler Repräsentationen für
die arabische Morphologie mit übernommen.
• Arabisch hat auch vierkonsonantische Wurzeln, bspw. /dhrj/, ‘rollen’.
• Für die kausative Derivation /dahraja/ stellt die Wurzel /dhrj/ genug
Konsonanten für die C-Positionen zur Verfügung, so dass es nicht nötig
ist, einen der Konsonanten zweimal zu verwenden, wie wir das bei
drei-konsonantischen Wurzeln beobachten.
38 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Arabische Morphologie
(19)
/dahraja/ — ‘er liess rollen’
Wurzelschicht:
d
Skelettschicht:
C V C
Vokalmelodieschicht:
h
r
j
C V C V
a
39 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Arabische Morphologie
(20)
Syrisches Arabisch: /ddaxala/ — ‘er schlichtete’ ; /daxala/ — ‘er trat
ein’
Wurzelschicht:
Skelettschicht:
Vokalmelodieschicht:
d
x
l
C C V C V C V
a
• Verknüpfungen zwischen den Positionen der Schichten verlaufen immer
von links nach rechts, also müsste eigentlich *daxalla herauskommen.
• um *daxalla auszuschliessen muss man annehmen, dass /d/ vorab mit
der zweiten C-Position im Skelett fest verknüpft ist, per lexikalischer
Regel.
• Damit erzwingen wir die Ausbreitung nach links, um die erste C-Position
mit einem Konsonanten zu verknüpfen.
• Überkreuzungen sind gar nicht gestattet, was etwa *xdaxala
ausschliesst.
40 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
The Morpheme Tier Hypothesis
• Eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes sieht Wurzeln und
Vokalmelodien als diskontinuierliche Morpheme und repräsentiert dies
mit einem zusätzlichen Knoten für jedes Morphem (= M).
(21)
/kataaba/ — ‘er korrespondierte mit (jmd.)’
M
Vokalmelodieschicht:
a
Skelettschicht:
C
Wurzelschicht:
k
V
V
C
t
V
C
V
b
M
41 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Die Morphemschicht-Hypothese
(22)
/kutiba/ — ‘etwas wurde geschrieben’ (Passiv)
M
Vokalmelodieschicht:
u
Skelettschicht:
C
Wurzelschicht:
k
V
i
C
t
V
a
C
V
b
M
42 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Die Morphemschicht-Hypothese
• Das Reflexiv-Morphem im Syrischen Arabisch ist /t/ als Infix.
(23)
sm — ‘hören’
sami a — ‘etwas hören’
stama a — ‘für sich hören’
• Das Reflexiv-Morphem /t/ bekommt seine eigene Schicht.
• Zuerst wird es mit /sama a/ verbunden, das ergibt:
/tsama a/. Dann findet Metathese der beiden initialen Konsonanten
statt, sie tauschen die Plätze:
/stama a/
• Das lässt sich zusammengefasst wie folgt repräsentieren.
43 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Die Morphemschicht-Hypothese
(24)
/stama a/ — „für sich hören“
M
t-Morphem-Schicht:
M
t
Vokalmelodieschicht:
Skelettschicht:
Wurzelschicht:
a
C
C V
C
s
m
V C V
M
44 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Wortbildung mittels Templates
Die Morphemschicht-Hypothese
• Mittels der Verteilung der Morpheme auf je eigene Schichten im
Rahmen einer autosegmentalen Darstellung lassen sich auch
kompliziertere morphologische Prozesse wie die semitischen Binyanim
oder Morphem-Infigierung darstellen.
• Diese Repräsentation ist natürlich auch für die rein sequentiellen
morphologischen Operationen der Affigierung und Polysynthese
möglich.
45 / 47
Morphologie und Syntax (BA)
Übungsaufgabe 3
Übungsaufgabe 3
(1)
Nom
Gen
Dat
Akk
Betrachten Sie die beiden folgenden deutschen Flexions-Beispiele:
Tag
Sg
Pl
–
es
–
–
e
e
en
e
1.Pers.
2.Pers.
3.Pers.
leg
Sg
Pl
e
st
t
en
t
en
• Welche Hinweise bekommen Sie hier für die Beurteilung, ob das
Deutsche eine analytische, agglutinierende oder flektierende Sprache
ist?
(2)
Auch im Deutschen könnten Morphemschichten hilfreich sein, um
Umlaut und Ablaut zu erfassen.
a. Versuchen Sie, für ‘Boot — Bötchen’ eine Repräsentation zu
entwerfen, die das Verkleinerungsmorphem so repräsentiert,
dass der Umlaut mit erfasst wird!
b. Versuchen Sie das Gleiche für den Ablaut ‘singen — sang’!
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