Komplexe Analysis auf der Riemannschen Zahlenkugel
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Komplexe Analysis auf der Riemannschen Zahlenkugel
Komplexe Analysis auf der Riemannschen Zahlenkugel Bakkalaureatsarbeit erstellt von David Löschenbrand Matrikelnr. 0926714 Kleinschönau 7 3533 Friedersbach Betreuer Ao. Univ.-Prof. Dr. W. Herfort Wien, 6. Jänner 2013 Kurzzusammenfassung Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Möbiustransformationen und deren Zusammenhang mit Bewegungen der Riemannschen Zahlenkugel im dreidimensionalen Raum. Einer detaillierten Beschreibung der stereografischen Projektion folgt die Herleitung ihrer wesentlichen geometrischen und topologischen Eigenschaften. Diese Ergebnisse führen zur Darstellung der erweiterten komplexen Ebene als Sphäre im dreidimensionalen Raum. Darauf aufbauend folgt die Definition der Möbiustransformation als Komposition von stereografischer Projektion und Bewegung der Riemannschen Zahlenkugel. Diese Betrachtungsweise erlaubt eine einfache und anschauliche Herleitung der Eigenschaften und Merkmale der Möbiustransformationen. Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit einer Anwendung der Möbiustransformation aus der Signalverarbeitung, der bilinearen Transformation. Es wird ein analoges Filter entworfen und in ein digitales Filter transformiert. Vor- und Nachteile dieser Umwandlung werden diskutiert und veranschaulicht. I Abstract The major objective of this study is to identify the characteristics of Möbius transformations and to investigate their relationship with movements of the Riemann sphere. A detailed description of the stereographic projection and its geometric and topological properties allows representing the extended complex plane by a sphere in threedimensional space. In the third chapter, the Möbius transformation is defined and its close relationship with the stereographic projection and movements of the sphere in three-dimensional space is shown. Thus, major characteristics and properties of this conformal mapping are derived and proved in a very descriptive manner. In the last chapter the bilinear transform is provided as a practical signal processing application of the Möbius transformation. An analog filter is designed and converted into its digital equivalent. Both, advantages and disadvantages, of this procedure are discussed and illustrated. II Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 2 Riemannsche Zahlenkugel 2.1 Stereografische Projektion . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Analytische Darstellung . . . . . . . . . 2.2 Kompaktifizierung der komplexen Zahlenebene 2.2.1 Erweiterte komplexe Ebene Ĉ . . . . . . 2.2.2 Eigenschaften von Ĉ . . . . . . . . . . . Rechenregeln . . . . . . . . . . . . . . . Chordale Metrik . . . . . . . . . . . . . Homöomorphismus von Ĉ und S2 . . . . Winkel- und Kreistreue . . . . . . . . . 2.2.3 Zulässige Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2 2 3 5 5 6 6 7 8 9 11 . . . . . . 13 13 14 14 16 17 20 4 Bilineare Transformation 4.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Filterentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 21 23 24 3 Möbius-Transformation 3.1 Definition . . . . . . . . . . . . 3.2 Eigenschaften . . . . . . . . . . 3.2.1 Möbiustransformationen 3.2.2 Möbiustransformationen 3.2.3 Fixpunkte . . . . . . . . 3.2.4 Doppelverhältnisse . . . . . . . als als . . . . III . . . . . . . . . . . . Matrizen Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . der Einheitssphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Einleitung Die hier vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Theorie der Möbiustransformationen als einerseits sehr anschaulich erklärbares und andererseits technisch hochinteressantes und viel verwendetes Teilgebiet der komplexen Analysis. Benannt wurde die Transformation nach dem deutschen Mathematiker und Astronom August Ferdinand Möbius (1790 - 1868), der sich u. a. mit analytischer Geometrie und Topologie beschäftigte. Praktische Anwendungsgebiete finden sich, um nur einige wenige zu nennen, in der Signalverarbeitung, der Elektrodynamik und sogar in der Relativitätstheorie. Auch der Zusammenhang zwischen Möbiustransformationen und der Bewegung der Riemannschen Zahlenkugel im R3 wird genauer untersucht. Nicht zuletzt deshalb, weil er einen intuitiven und leicht zugänglichen Einblick in die Welt der Möbiustransformationen darstellt. Diese Arbeit wurde im Zuge der Bakkalaureatsvertiefung Mathematik für Elektrotechnik verfasst. Sie stellt eine Erweiterung der in der Vorlesung gebrachten Inhalte dar und orientiert sich daher, bezüglich Notation und Definitionen, am Vorlesungsskriptum. Dennoch stellt sie eine eigenständige, in sich schlüssige und konsistente Arbeit dar. Deshalb müssen, bevor die Möbiustransformationen thematisiert werden, einige vorbereitende Schritte getroffen werden. 1 2 Riemannsche Zahlenkugel 2.1 Stereografische Projektion Die stereografische Projektion wird im Folgenden nur im R3 behandelt, sie ließe sich jedoch durch geringfügige Änderung auch auf den Rn verallgemeinern. Sie bezeichnet im R3 allgemein eine Vorschrift zur Abbildung einer Kugelfläche K auf eine Ebene ǫ. Diese Art der Abbildung wurde schon sehr früh entwickelt, so wurden schon in der Antike erste Sternenkarten mittels stereografischer Projektion gefertigt. Weitere Anwendung findet sie beim Zeichnen von Landkarten und, worauf später noch genau eingegangen wird, in der komplexen Analysis. N P K g P’ ǫ Abbildung 2.1: Stereografische Projektion 2.1.1 Definition Definiert wird die Abbildung wie folgt (siehe Abbildung 2.1). Man bildet eine Gerade g durch das Projektionszentrum N ∈ K der Kugel und durch den zu projizierenden Punkt P ∈ K. Der Schnittpunkt der Geraden mit der Projektionsebene wird dann als P ′ := ǫ ∩ g bezeichnet und ist die stereografische Projektion des Punktes P bezüglich 2 2 Riemannsche Zahlenkugel 2.1 Stereografische Projektion N . Die Wahl des Projektionszentrums und der Projektionsebene ist grundsätzlich beliebig (solange N ∈ / ǫ gilt), sinnvoll ist aber die Wahl der Projektionsebene parallel zur Tangentialebene der Kugel im Projektionszentrum. Unter dieser Voraussetzung kann nämlich die gesamte Kugeloberfläche (vorläufig noch ohne das Projektionszentrum N ) auf die Projektionsebene abgebildet werden und umgekehrt. Wählt man nun speziell als Kugelfläche die Einheitssphäre (es gilt x ∈ R3 , x = (x1 , x2 , x3 )), n o K := S2 = x ∈ R3 | x21 + x22 + x23 = 1 , als Projektionszentrum den Nordpol der Einheitskugel, N := (0, 0, 1) ∈ S2 , und als Projektionsebene die (x1 , x2 )-Ebene, n o ǫ := R2 = x ∈ R3 | x3 = 0 , so erhält man die in der komplexen Analysis gebräuchliche stereografische Projektion ψ(x) : S2 → C der Einheitssphäre auf die Projektionsebene R2 ∼ = C. 2.1.2 Analytische Darstellung Die analytische Darstellung ergibt sich mit z ∈ C zu (vgl. [5], Satz 9.10) ψ: S2 \N → C, ψ −1 : C → S2 \N, x2 x1 +i , 1 − x3 1 − x3 ! z + z̄ z − z̄ z z̄ − 1 z 7→ , , . 1 + z z̄ i(1 + z z̄) 1 + z z̄ x 7→ (2.1) (2.2) Dazu identifiziert man die Koordinaten xP ′ ,1 bzw. xP ′ ,2 des Punktes P ′ ∈ C als Re(z) bzw. Im(z). Man erkennt aus Abbildung 2.2, dass cos(α) = 1 − ξ, xi,P ′ = tan(β) = xi,P xi,P = , 1 − cos(α) 1 − x3,P gilt, woraus schließlich Gleichung (2.1) folgt. 3 i = 1, 2 2 Riemannsche Zahlenkugel 2.1 Stereografische Projektion x3 x3 N N ξ P β P α Im(z) P’ Re(z) P’ Re(z) Abbildung 2.2: Berechnung der expliziten Darstellung von ψ Für die Umkehrabbildung ergibt sich aus der Parameterdarstellung der Gerade g durch die Punkte N und P ′ der Gleichungssatz x1,P = −x1,P ′ · t x2,P = −x2,P ′ · t x3,P = 1 + t x21,P + x22,P + x23,P = 1. Daraus errechnet sich t ∈ R zu t=− x21,P ′ 2 . + x22,P ′ + 1 Eingesetzt in die Darstellung g : x = (0, 0, 1) + t · (−x1,P ′ , −x2,P ′ , 1) erhält man die Rücktransformation ψ −1 aus Gleichung (2.2). Wie bereits erwähnt ist die stereografische Projektion nicht definiert, wenn P ≡ N ist, d.h. wenn das Projektionszentrum selbst projiziert wird. Wandert man mit dem Punkt P immer näher zum Projektionszentrum (dem Nordpol der Einheitskugel), so entfernt sich der projizierte Punkt P ′ = ψ(P ) immer mehr vom Ursprung. Dieses Gedankenexperiment führt zum Begriff der "Kompaktifizierung", dem wir uns jetzt zuwenden. 4 2 Riemannsche Zahlenkugel 2.2 Kompaktifizierung der komplexen Zahlenebene 2.2 Kompaktifizierung der komplexen Zahlenebene 2.2.1 Erweiterte komplexe Ebene Ĉ Um die gesamte Kugeloberfläche inklusive Projektionszentrum bijektiv abbilden zu können, definiert man Ĉ := C ∪ {∞} (2.3) als disjunkte Vereinigung der komplexen Ebene mit dem unendlich fernen Punkt ∞ und nennt Ĉ erweiterte komplexe Ebene. Bildet man in Gleichung (2.1) den Grenzübergang x3 → 1, ′ lim |P | = lim x3 →1 x3 →1 s x1 1 − x3 2 + x2 1 − x3 2 → ∞, (2.4) so erkennt man folgenden Zusammenhang: P → N =⇒ |P ′ | → ∞. (2.5) Es liegt nun nahe, die stereographische Projektion ψ̂ auf der erweiterten komplexen Ebene Ĉ so zu definieren, dass das Projektionszentrum auf den unendlich fernen Punkt projiziert wird, d.h. ψ̂(N ) = ∞. Mit dieser Überlegung und mit den Gleichungen (2.1) und (2.2) erhält man schlussendlich die stereographische Projektion der Einheitssphäre auf die erweiterte komplexe Ebene: ψ̂ : S2 → Ĉ, ψ̂ −1 : Ĉ → S2 , x 7→ x1 x2 +i 1 − x3 1 − x3 ∞ x 6= (0, 0, 1), x = (0, 0, 1) ! z + z̄ z − z̄ z z̄ − 1 , , 1 + z z̄ i(1 + z z̄) 1 + z z̄ z→ 7 (0, 0, 1) (2.6) z 6= ∞, (2.7) z=∞ Im Folgenden ist, wenn von der stereographischen Projektion die Rede ist, immer diese spezielle Abbildung gemeint. 5 2 Riemannsche Zahlenkugel 2.2 Kompaktifizierung der komplexen Zahlenebene 2.2.2 Eigenschaften von Ĉ Rechenregeln Für die erweiterte komplexe Ebene existieren, zusätzlich zu den Rechenregeln für gewöhnliche komplexe Zahlen, eine Reihe neuer und nützlicher Rechenregeln. Zur Herleitung eben dieser ist die Verwendung von Kugelkoordinaten sinnvoll (siehe Abbildung 2.3). Dazu schreiben wir die Projektion aus den Gleichungen (2.6),(2.7) folgendermaßen an: π−θ ,φ , 2 (r, φ) 7→ (φ, π − 2 arctan(r)) . ψ̂ : S2 → Ĉ, (φ, θ) 7→ tan ψ̂ −1 : Ĉ → S2 , (2.8) (2.9) x3 P θ Im(z) φ Re(z) Abbildung 2.3: Kugelkoordinaten im R3 Kennt man zwei Punkte auf der Einheitssphäre, P1 = (φ1 , θ1 ) und P2 = (φ2 , θ2 ), so kann man sie auf Ĉ projizieren, eine arithmetische Operation durchführen und das Ergebnis wieder zurück projizieren. 6 2 Riemannsche Zahlenkugel 2.2 Kompaktifizierung der komplexen Zahlenebene Multiplikation P = ψ̂ −1 ψ̂ ((φ1 , θ1 )) · ψ̂ ((φ2 , θ2 )) " ! π − θ1 tan 2 = φ1 + φ2 , π − 2 arctan tan π − θ2 2 !#! Division P = ψ̂ −1 ψ̂ ((φ1 , θ1 )) · ψ̂ ((φ2 , θ2 )) = φ1 + φ2 , π − 2 arctan tan ((π − θ1 )/2) tan [(π − θ2 )/2] Addition, Subtraktion Die Darstellung der Addition bzw. Subtraktion zweier komplexer Zahlen in Exponentialdarstellung in analoger Form ist zwar möglich, jedoch ist sie umständlich durchzuführen und bringt keine neuen Erkenntnisse. Es sei nur gesagt, dass die folgende Herleitung analog auch für Addition bzw. Subtraktion gilt. Betrachtet man in obiger Darstellung nun den Grenzfall P2 → N = (φ, 0), so erkennt man, dass der Polabstandwinkel θ gegen 0 (bzw. bei der Division auch gegen π) geht. Dies motiviert zur Definition folgenden Satzes an neuen Rechenregeln für Ĉ: z ± ∞ = ∞ ± z := ∞ z · ∞ = ∞ · z := ∞ z := 0 ∞ ∞ := ∞ z z∈C (2.10) z ∈ C\{0} (2.11) z∈C (2.12) z ∈ C\{0}. (2.13) Ausdrücke der Art 0 · ∞, ∞ ± ∞, ∞/0, ∞/∞ usw. bleiben jedoch weiter undefiniert. Bemerkenswert ist, dass es keine Rolle spielt, in welche Richtung man sich vom Ursprung entfernt. Man landet schlussendlich immer beim gleichen Punkt ∞. Chordale Metrik Um eine Metrik auf Ĉ zu definieren, kann man wie folgt vorgehen (vgl. [8], S. 10f). Auf der Riemannschen Zahlenkugel, welche ja Teilmenge des R3 ist, gilt die gewöhnliche euklidische Metrik, dargestellt durch dR3 (x, y). Man kann nun eine neue Metrik auf der 7 2 Riemannsche Zahlenkugel 2.2 Kompaktifizierung der komplexen Zahlenebene erweiterten komplexen Ebene definieren als Abstand der stereografischen Projektionen zweier Punkte, (2.14) dĈ (z, w) := dR3 (ψ̂ −1 (x), ψ̂ −1 (y)). Die explizite Darstellung erhält man durch einfache Berechnung der Definitionsgleichung und lautet für z, w ∈ C 2|z − w| , (1 + |z|2 )(1 + |w|2 ) 2 dĈ (z, ∞) = p , 1 + |z|2 dĈ (∞, ∞) = 0. dĈ (z, w) = p (2.15) (2.16) (2.17) Man kann sich leicht überzeugen, dass dĈ (z, w) neben Definitheit, Symmetrie und der Dreiecksungleichung auch die in Kapitel 2.2.2 eingeführten Rechenregeln berücksichtigt und es sich daher wirklich um eine Metrik auf Ĉ handelt. Homöomorphismus von Ĉ und S2 Aus Gleichung (2.6) und aus der zugrunde liegenden geometrischen Herleitung ist trivial ersichtlich, dass die stereographische Projektion bijektiv und stetig ist. Selbiges gilt auch für die Umkehrabbildung (2.7). Daher spricht man bei der Abbildung ψ̂ : S2 → Ĉ von einem Homöomorphismus, die topologischen Räume S2 und Ĉ sind homöomorph. Die Einheitssphäre heißt in diesem Zusammenhang auch Riemannsche Zahlenkugel. Im Weiteren werden die Begriffe Riemannsche Zahlenkugel, Einheitssphäre und erweiterte komplexe Ebene daher synonym verwendet. Die Riemannsche Zahlenkugel wird oft auch als Kompaktifizierung der komplexen Ebene bezeichnet. Allgemein bezeichnet man in der Topologie eine Kompaktifizierung des Raumes X als ein Paar (Y, f ), bestehend aus dem topologischen Raum Y und der Abbildung f . Dabei gelten folgende Voraussetzungen. (a) Y ist kompakt, (b) f ist injektiv, stetig und relativ offen. Konkret für die komplexe Ebene ist eine mögliche Kompaktifizierung das Paar (S2 , ψ̂), denn es gilt (a) S2 ist per Definition kompakt, 8 2 Riemannsche Zahlenkugel 2.2 Kompaktifizierung der komplexen Zahlenebene (b) ψ̂ ist ein Homöomorphismus von C auf das Bild ψ̂(C), womit die obigen Voraussetzungen erfüllt sind. Winkel- und Kreistreue In Kapitel 1 wurde bereits darauf hingewiesen, dass die stereografische Projektion früher zum Erstellen von Land- und Sternenkarten benutzt wurde. Grund dafür war die besondere Eigenschaft der Winkel- und Kreistreue. Dies soll nun genauer untersucht werden (vgl. [9], Teil 4 Die stereografische Projektion bzw. [10], S. 26ff). x3 N P Im(z) A F B P’ Re(z) Abbildung 2.4: Winkeltreue Winkeltreue Als Winkel zwischen zwei Kurven auf der Sphäre wird der Winkel der Tangenten im Schnittpunkt definiert. Weiters betrachtet man Abbildung 2.4. Bei dem Dreieck ON P handelt es sich um ein gleichschenkeliges Dreieck, daher sind die Winkel ON P und OP N gleich. Bei dem Winkel F P P ′ handelt es sich um den komplementären Winkel zu OP N (die Geraden P B,P F und P A sind grün dargestellt und befinden sich in der Tangentialebene im Punkt P ). Auch der Winkel OP ′ P ist komplementär zu OP N , woraus folgt, dass F P P ′ ein gleichschenkeliges Dreieck ist. Das 9 2 Riemannsche Zahlenkugel 2.2 Kompaktifizierung der komplexen Zahlenebene heißt nun aber, dass die Dreiecke ABP und ABP ′ die gleiche Höhe auf die gemeinsame Grundlinie haben und somit kongruent sind. Daher stimmen die Winkel AP B und AP ′ B überein, die Winkeltreue ist bewiesen. Kreistreue Zur Veranschaulichung der Kreistreue stellt man sich einen Kreis k auf der Einheitssphäre S2 vor und identifiziert ihn mit der Grundfläche eines Kreiszylinders. Vorerst setzt man voraus, dass dieser Kreis nicht durch den Nordpol der Einheitssphäre geht. Die Spitze S des Kreiszylinders wird so platziert, dass die Mantelfläche die Einheitssphäre nur berührt und nicht schneidet. Man fasst jetzt die Mantelfläche als Schar von Geraden auf, welche einen Punkt am Kreis sowie die Spitze des Zylinders beinhalten. Alle diese Geraden stehen im rechten Winkel auf den Kreis k. Aus der Stetigkeit der stereographischen Projektion folgt, dass auch die Projektion k ′ = ψ̂(k) eine geschlossene Kurve ist. Bildet man nun alle Geraden der Mantelfläche auf die Ebene ab, so folgt aus der Winkeltreue, dass jede Gerade im rechten Winkel zum projizierten Kreis steht. Da alle Geraden zusätzlich durch die projizierte Spitze S ′ = ψ̂(S) verlaufen, handelt es sich bei k ′ tatsächlich um einen Kreis. Der explizite Beweis im R3 sieht nun folgendermaßen aus. S2 ∈ R3 : n ǫ ∈ R3 : ax1 + bx2 + cx3 + d = 0 P ∈ S2 : P = (x1 , x2 , x3 ) ′ o S2 = x ∈ R3 | x21 + x22 + x23 = 1 P ∈C: P ′ = (α, β, 0) N ∈ R3 : N = (0, 0, 1) Q∈R: Q = α2 + β 2 Aus der Parameterdarstellung der Geraden durch N , P und P ′ ergibt sich folgender Gleichungssatz: x1 = tα x2 = tβ x3 = 1 − t. Einsetzen in obige Gleichung liefert x3 = Q−1 . Q+1 10 2 Riemannsche Zahlenkugel 2.2 Kompaktifizierung der komplexen Zahlenebene Schneidet man nun die Einheitssphäre mit der Ebene ǫ, so erhält man einen Kreis k := S2 ∩ ǫ. Unterzieht man alle diese Punkte der stereografischen Projektion, so erhält man für k ′ := ψ̂(k) den Ausdruck k′ : atα + btβ + c(1 − t) + d = 0. Setzt man nun die bisherigen Ergebnisse in diesen Ausdruck ein, erhält man nach Umformung k ′ : (c + d)(α2 + β 2 ) + 2aα + 2bβ + d − c = 0, was einer Kreisgleichung entspricht. Damit ist die Kreistreue für Kreise bewiesen, die nicht durch den Nordpol der Einheitssphäre verlaufen. Kreise, welche durch das Projektionszentrum verlaufen, können analog den bisherigen Überlegungen als Schnitt der Einheitssphäre mit einer Ebene interpretiert werden, wobei die Ebene den Nordpol beinhaltet. Wie leicht einsichtig ist, verlaufen nun alle Projektionsstrahlen in dieser Ebene. Daraus folgt, dass die Projektion eines Kreises durch den Nordpol der Schnittgeraden der entsprechenden Ebene mit der komplexen Ebene entspricht. Man spricht dann auch von einem Kreis mit unendlichem Radius oder einem Kreis durch den Punkt ∞. Zusammenfassend lässt sich also sagen: • Die stereografische Projektion ist winkeltreu. • Die stereografische Projektion ist kreistreu in dem Sinne, dass sie verallgemeinerte Kreise auf verallgemeinerte Kreise abbildet. Dabei bezeichnen verallgemeinerte Kreise sowohl Kreise im herkömmlichen Sinn sowie Kreise durch den Punkt ∞. 2.2.3 Zulässige Sphäre Wie bereits in Abschnitt 2.1 angedeutet, ist die Wahl der Kugeloberfläche und damit auch alle bisher gebildeten Begriffe nicht auf die Einheitssphäre beschränkt. Daher wird nun der Begriff der zulässigen Sphäre definiert (vgl. [1]). Als zulässige Sphäre wird jede Kugeloberfläche K̂r (a) := {x, a ∈ R3 , |(x1 − a1 )2 + (x2 − a2 )2 + (x3 − a3 )2 = r2 } bezeichnet, für die gilt: 11 (2.18) 2 Riemannsche Zahlenkugel 2.2 Kompaktifizierung der komplexen Zahlenebene (a) r ∈ R, 0 < r < ∞, (b) a3 + r > 0. Es sind also genau jene Kugeloberflächen zulässig, die endlichen Radius größer Null haben und deren Nordpol in der oberen Halbebene des R3 liegt. Für diese Sphären ließen sich alle obigen Herleitungen analog durchführen, sie sind ebenfalls homöomorph zu Ĉ. 12 3 Möbius-Transformation Nach ausführlicher Beschreibung der Grundlagen folgt nun der Kern dieser Arbeit, die Einführung der Möbiustransformation als Abbildung der Riemannschen Zahlenkugel auf sich selbst. Weiters sollen in diesem Kapitel der Zusammenhang der Transformation mit der Bewegung der Einheitssphäre im R3 und daraus resultierende Eigenschaften näher beleuchtet werden. 3.1 Definition Allgemein bezeichnet man als Möbiustransformation eine rationale Funktion der Form µ̂ : Ĉ → Ĉ, z 7→ az + b cz + d (3.1) der erweiterten komplexen Ebene auf sich selbst, wobei a, b, c, d ∈ C, ad − bc 6= 0 gilt. Eine Möbiustransformation mit ad − bc = 0 wird singulär genannt, sie bildet jeden Punkt auf a/c ab. Beachtet man die in Kapitel 2.2.2 eingeführten Rechenregeln, so ergibt sich µ̂ −d c ! =∞ a c µ̂(∞) = ∞ µ̂(∞) = c 6= 0 (3.2) c 6= 0 (3.3) c = 0. (3.4) Durch Auflösen der Definitionsgleichung nach z erhält man unmittelbar die inverse Möbiustransformation µ̂−1 : Ĉ → Ĉ, z 7→ dz − b . −cz + a (3.5) Zum leichteren Verständnis lässt sich jede Möbiustransformation in einfachere Transformationen zerlegen, welche man unmittelbar geometrisch interpretieren kann (vgl. 13 3 Möbius-Transformation 3.2 Eigenschaften [7], S. 143). Die Komposition dieser Elementartransformationen ergibt wieder die gewohnte Form aus Gleichung (3.1). µ̂1 (z) = z + µ̂2 (z) = d c 1 z (ad − bc)z c2 a µ̂4 (z) = z + c az + b (µ̂4 ◦ µ̂3 ◦ µ̂2 ◦ µ̂1 )(z) = cz + d µ̂3 (z) = − Translation (3.6) Inversion (3.7) Drehstreckung (3.8) Translation (3.9) Komposition (3.10) 3.2 Eigenschaften 3.2.1 Möbiustransformationen als Matrizen Jeder Möbiustransformation lässt sich eine 2 × 2 -Matrix zuordnen. az + b µ̂(z) = cz + d ←→ M= a b c d ! (3.11) Die Komposition zweier Möbiustransformationen, µ̂1 ◦ µ̂2 , lässt sich damit auf eine Multiplikation der zugehörigen Matrizen, M1 · M2 , zurückführen, was eine elegante Berechnung erlaubt. ! a2 z + b2 + b1 c2 z + d 2 a1 µ̂1 ◦ µ̂2 = ! a2 z + b2 + d1 c2 z + d 2 c1 a1 b1 c1 d 1 ↔ ! · = (a1 a2 + b1 c2 )z + (a1 b2 + b1 d2 ) (c1 a2 + d1 c2 )z + (c1 b2 + d1 d2 ) a2 b2 c2 d 2 ! = M1 · M2 (3.12) (3.13) Auch die Inverse einer Möbiustransformation lässt sich über die Inverse der zugehörigen Matrix berechnen. −1 µ̂ dz − b (z) = −cz + a ←→ 14 M −1 = d −b −c a ! (3.14) 3 Möbius-Transformation 3.2 Eigenschaften Dabei wurde der Vorfaktor (ad − bc)−1 vernachlässigt, da er die Transformation selbst nicht beeinflusst. Reguläre 2 × 2 -Matrizen bilden bezüglich der Multiplikation eine Gruppe, denn (a) es ergibt sich bei der Multiplikation wieder eine 2 × 2 -Matrix, (b) die Multiplikation ist assoziativ, (c) es existiert ein neutrales Element (die Einheitsmatrix) und (d) zu jeder Matrix kann die Inverse gebildet werden, da nur reguläre Matrizen betrachtet werden. Daraus folgt, dass auch die Möbiustransformationen bezüglich der Hintereinanderausführung eine Gruppe bilden, denn (a) wie aus Gleichung (3.13) ersichtlich ist, ergibt die Komposition wieder eine Möbiustransformation, (b) die Komposition ist assoziativ, (c) es existiert ein neutrales Element (µ̂(z) ≡ z) und (d) zu jeder Möbiustransformation kann durch Gleichung (3.5) die Inverse berechnet werden. Da jede meromorphe Funktion auf Ĉ rational ist und jede bijektive rationale Funktion genau eine Nullstelle und genau einen Pol hat (vgl. [4], Lösung zur Aufgabe 7 aus dem Anhang III.4), folgt, dass die Gruppe der Möbiustransformationen der Gruppe der Automorphismen der Riemannschen Zahlenkugel entspricht. Daher wird die Gruppe der Möbiustransformationen auch als Aut(Ĉ) bezeichnet. Die mit Gleichung (3.11) eingeführte Abbildung, die jeder Möbiustransformation aus Aut(Ĉ) eine Matrix aus GL(2, C) zuordnet, ist ein Gruppenhomomorphismus. 15 3 Möbius-Transformation 3.2 Eigenschaften 3.2.2 Möbiustransformationen als Bewegung der Einheitssphäre Die Tatsache, dass sich jede Möbiustransformation aus inverser stereographischer Projektion, Bewegung der Projektionskugel und stereographischer Projektion zusammensetzen lässt, taucht in der Literatur oft auf, wird aber so gut wie nie bewiesen. Dies motivierte Douglas N. Arnold and Jonathan Rogness in ihrem Artikel Möbius Transformations Revealed ([1]) zu einer sauberen Herleitung, die im Folgenden nachvollzogen werden soll. Sei S ∈ R3 eine zulässige Sphäre lauf Definition (2.18) und ψ̂S die stereographische Projektion von S auf Ĉ mit Projektionszentrum N ∈ S. Weiters sei T eine Bewegung auf R3 , welche die Sphäre S auf die zulässige Sphäre S ′ := T S abbildet. Die Hintereinanderausführung ψ̂S ′ ◦T ◦ ψ̂S−1 ist eine Abbildung von Ĉ auf sich selbst und konform und daher (siehe voriges Kapitel) eine Möbiustransformation. Zu beweisen ist nun, dass für jede Möbiustransformation µ̂ eine zulässige Sphäre S und eine Bewegung T existiert, sodass gilt: (a) S ′ := T S ist eine zulässige Sphäre und (b) µ̂ = ψ̂S ′ ◦ T ◦ ψ̂S−1 . Dazu bedient man sich der elementaren Möbiustransformationen aus Gleichung (3.6) - (3.9) und schreibt sie entsprechend ihrer geometrischen Bedeutung um. z 7→ z + α, α ∈ C Translation (3.15) z 7→ zeiθ , θ ∈ R Rotation (3.16) z 7→ ρz, ρ > 0 Streckung (3.17) Inversion (3.18) z 7→ 1 z Damit lässt sich jede Möbiustransformation als µ̂(z) = ρeiθ +β z+α (3.19) darstellen. Der Vorteil dieser Schreibweise gegenüber der anfangs eingeführten ist, dass man hier Drehung und Streckung getrennt betrachten kann. Man wählt nun als Sphäre die Einheitssphäre, S := S2 . Damit ergibt sich für die Bewegung T im R3 Folgendes: 16 3 Möbius-Transformation 3.2 Eigenschaften (a) Die Translation um α erhält man durch Translation der Sphäre um α. (b) Die Rotation um θ erhält man durch Rotation der Sphäre um die x3 -Achse um θ. (c) Die Streckung um ρ erhält man durch Translation der Sphäre entlang der x3 Achse um ρ − 1. (d) Die Inversion erhält man durch Rotation der Sphäre um die Realteil-Achse um π. Damit ist sowohl eine Sphäre als auch eine Bewegung gefunden, mit denen jede beliebige Möbiustransformation darstellbar ist. Die Wahl der Sphäre und der Bewegung ist dabei aber keineswegs eindeutig. Da sowohl die stereographische Projektion als auch die oben beschriebenen Bewegungen winkel- und kreistreu sind, folgt die Winkel- und Kreistreue für die Möbiustransformation. 3.2.3 Fixpunkte Die Fixpunkte einer Möbiustransformation lassen sich sehr leicht aus der Gleichung µ̂(z) = az + b =z cz + d (3.20) berechnen. Für die weiteren Betrachtungen werden nur normalisierte Transformationen untersucht, da hier die Eigenschaften leichter erkennbar sind. Eine normalisierte Möbiustransformation erfüllt die Bedingung ad − bc = 1. Dies lässt sich immer erreichen durch geeignete Wahl eines Vorfaktors. Für die normalisierte Abbildung lautet die explizite Formel zur Berechnung der Fixpunkte ξ± = (a − d) ± p (a + d)2 − 4 . 2c (3.21) Hieraus erkennt man bereits, dass höchstens zwei Fixpunkte existieren. Anders ausgedrückt heißt das: Hat eine Möbiustransformation mehr als zwei Fixpunkte, so handelt es sich um die Identität. Nun betrachtet man zwei Möbiustransformationen, µ̂1 und µ̂2 , welche drei gegebene Punkte (z1 , z2 , z3 ) auf drei gegebene Bildpunkte abbilden. Die Abbildung µ̂−1 2 ◦ µ̂1 ist eine Möbiustransformation mit den Fixpunkten (z1 , z2 , z3 ) 17 3 Möbius-Transformation 3.2 Eigenschaften und daher die Identität. Daraus folgt µ̂1 = µ̂2 , d.h. es existiert nur eine Möbiustransformation, die drei gegebene Punkte in drei gegebene Bildpunkte überführt, die Transformation ist einzig. Liegt mindestens ein Fixpunkt im Unendlichen, so muss c = 0 gelten und die Möbiustransformation µ̂(z) nimmt die Form µ̂(z) = az b + = ρeiθ z + β d d (3.22) an. Sie lässt sich also analog zu Gleichung (3.19) als Verknüpfung einer Drehung, Streckung und Translation darstellen. Veranschaulicht man diese elementaren Abbildungen an der Einheitssphäre, so kann man vier Typen von Transformationen ableiten, die zur Klassifizierung dienen (siehe Abbildung 3.1). Abbildung 3.1a zeigt eine Drehung der Sphäre um die vertikale Achse durch den Nordpol. Dabei werden die Breitenkreise der Sphäre bzw. Kreise mit Mittelpunkt im Ursprung der komplexen Ebene auf sich selbst abgebildet. Dies ist die einfachste Form einer elliptischen Möbiustransformation, ihre Fixpunkte liegen bei 0 und ∞. Abbildung 3.1b zeigt eine Verschiebung der Sphäre entlang der vertikalen Achse durch den Nordpol. Dabei werden die Längskreise der Sphäre bzw. Geraden durch den Ursprung der komplexen Ebene auf sich selbst abgebildet. Dies ist die einfachste Form einer hyperbolischen Möbiustransformation, ihre Fixpunkte liegen wiederum bei 0 und ∞. Abbildung 3.1c zeigt die Kombination der beiden oben genannten Abbildungen. Sie wird als loxodromische Möbiustransformation bezeichnet, elliptische und hyperbolische Abbildungen gehen aus ihr als Sonderfall hervor. Auch ihre Fixpunkte liegen bei 0 und ∞. Abbildung 3.1d zeigt eine Translation der Sphäre entlang einer Achse der komplexen Ebene. Dabei werden Kreise auf der Sphäre, deren Tangenten im Nordpol parallel zur Verschiebungsachse sind, bzw. Geraden parallel zur Verschiebungsachse auf sich selbst abgebildet. Dies ist die einfachste Form einer parabolischen Möbiustransformation. Sie hat nur einen Fixpunkt bei ∞. Es lässt sich zeigen, dass sich jede Möbiustransformation mit beliebigen Fixpunkten in eine dieser vier Kategorien einteilen lässt. Dazu wird sie mit einer geeignet gewählten Möbiustransformation kombiniert, um eine Abbildung mit Fixpunkten bei 0 und ∞ zu erhalten, für welche ja die Klassifizierung oben schon beschrieben wurde. Die detaillierte Herleitung findet sich in [7], S. 190ff und soll hier nicht näher erläutert werden. Das grundlegende Ergebnis erlaubt jedoch eine einfache Einteilung aller normierten Möbiustransformationen nur anhand der Spur a + d der Matrix-Schreibweise und soll deshalb hier angeführt werden: 18 3 Möbius-Transformation 3.2 Eigenschaften (a) Elliptisch (b) Hyperbolisch (c) Loxodromisch (d) Parabolisch Abbildung 3.1: Kategorisierung der Möbiustransformationen 19 3 Möbius-Transformation Die normierte Möbiustransformation elliptisch, parabolisch, hyperbolisch, loxodromisch, falls falls falls falls 3.2 Eigenschaften az + b ist cz + d (a + d) reell ist und |a + d| < 2; (a + d) ± 2; (a + d) reell ist und |a + d| > 2; (a + d) komplex ist. 3.2.4 Doppelverhältnisse Wie bereits in Kapitel 3.2.3 gezeigt wurde, ist die Möbiustransformation einzig, das bedeutet, es existiert nur eine Abbildung, die drei gegebene Punkte (z1 , z2 , z3 ) auf drei gegebene Bildpunkte (w1 , w2 , w3 ) abbildet. Bisher wurde aber noch nicht gezeigt, dass sie immer existiert. Dies lässt sich mit Hilfe des Doppelverhältnisses (vgl. [2], S. 14) zeigen, das wie folgt definiert ist. Für z1 , z2 , z3 , z4 ∈ C heißt D(z1 , z2 , z3 , z4 ) := z4 − z1 z2 − z3 · z4 − z3 z2 − z1 (3.23) das Doppelverhältnis von z1 , z2 , z3 und z4 . Mit µ̂1 (z) = D(z1 , z2 , z3 , z) ist eine Möbiustransformation gegeben, welche folgende Gleichungen erfüllt: µ̂1 (z1 ) = 0, µ̂1 (z2 ) = 1, µ̂1 (z3 ) = ∞. Analog wird die Transformation µ̂2 (w) = D(w1 , w2 , w3 , w) definiert. Die Abbildung µ̂−1 2 ◦ µ̂1 ist eine Möbiustransformation und bildet (z1 , z2 , z3 ) auf (w1 , w2 , w3 ) ab. Allgemein lässt sich diese Transformation also mit Hilfe des Ausdrucks D(w1 , w2 , w3 , µ̂(z)) = D(z1 , z2 , z3 , z) (3.24) finden. Durch explizites Nachrechnen kann man außerdem zeigen, dass das Doppelverhältnis invariant unter Möbiustransformationen ist, d.h. D(µ̂(z1 ), µ̂(z2 ), µ̂(z3 ), µ̂(z4 )) = D(z1 , z2 , z3 , z4 ). (3.25) Ist das Doppelverhältnis von vier komplexen Zahlen reell, so liegen sie auf einem verallgemeinerten Kreis. Das folgt aus der Tatsache, dass µ̂(z) = D(z1 , z2 , z3 , z) die Punkte (z1 , z2 , z3 ) auf die Punkte (0, 1, ∞) abbildet, welche ja gerade auf der reellen Achse liegen. 20 4 Bilineare Transformation Neben umfassenden Einsatzmöglichkeiten der im vorigen Kapitel beschriebenen Möbiustransformationen in der Mathematik existieren auch zahlreiche Bereiche der technischen Ingenieurswissenschaften, in denen diese speziellen Abbildungen verwendet werden. Die Zurückführung komplexer elektromagnetischer Felder auf einfacher berechenbare oder die Lorentz-Transformation der Raum-Zeit sind nur einige wenige davon. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der bilinearen Transformation, einer Anwendung der Möbiustransformationen in der Signalverarbeitungs- und Systemtheorie. Aufgrund der langen historischen Entwicklung der analogen Signalverarbeitungen existieren hier viele bewährte Methoden und Ergebnisse, welche man auch in der digitalen Signalverarbeitung nutzen möchte. Die bilineare Transformation bietet nun die Möglichkeit einer einfachen Umwandlung von zeitkontinuierlichen Systemdarstellungen in zeitdiskrete und umgekehrt. So kann man zum Beispiel Entwurfsmethoden für analoge Filter auf Digitalfilter anwenden (siehe [3], S. 143ff.) oder zeitdiskrete Regelstrecken mit den Entwurfs- und Darstellungswerkzeugen zeitkontinuierlicher Systeme analysieren (siehe [6], S. 167ff.). Im Folgenden sollen nach der Definition die ingenieurswissenschaftlichen Aspekte und Eigenschaften der bilinearen Transformation besprochen werden. Als abschließendes Beispiel dient der Entwurf eines Digitalfilters durch Transformation eines Analogfilters. 4.1 Definition Die Eigenschaften von LTI-Systemen (linearen zeitinvarianten Systemen), welche zur Beschreibung der bilinearen Transformation notwendig sind, wurden ausführlich in Grundlagenvorlesungen behandelt und sollen daher an dieser Stelle nur kurz zusammengefasst werden. Detaillierte Herleitungen und Definitionen finden sich unter anderem in [6] und [3]. LTI-Systeme lassen sich allgemein durch ihre Übertragungsfunktion charakterisieren. Die Analyse im Zeitkontinuierlichen erfolgt durch die Laplace-Transformation, ihr 21 4 Bilineare Transformation 4.1 Definition Analogon im Zeitdiskreten ist die Z-Transformation. Daraus resultiert die folgende Schreibweise: Ha (s) . . . analoge Übertragungsfunktion eines zeitkontinuierlichen Systems, Hd (z) . . . digitale Übertragungsfunktion eines zeitdiskreten Systems. Ein LTI-System ist genau dann BIBO-stabil, wenn für alle Pole sj = σj + iωj der analogen bzw. für alle Pole zj = αj + iβj der digitalen Übertragungsfunktion gilt Re(sj ) = σj < 0, |zj | = q αj2 + βj2 < 1. (4.1) (4.2) Geometrisch gesehen ist also ein analoges System BIBO-stabil, wenn alle seine Pole in der linken komplexen Halbebene liegen. Ein digitales System ist BIBO-stabil, wenn alle seine Pole innerhalb des Einheitskreises liegen. Eine Umwandlung eines analogen in ein digitales System sollte die Stabilität erhalten. Die Stabilitätsgebiete sollten daher aufeinander abgebildet werden. Die gesuchte Transformation muss also die linke komplexe Halbebene des s-Bereichs auf den Einheitskreis im z-Bereich abbilden und umgekehrt. Mit den Ergebnissen der vorigen Kapitel ist es einfach, die Transformation zu bestimmen. Der Einheitskreis der z-Ebene entspricht dem Äquator der Riemannschen Zahlenkugel, alle Punkte im Einheitskreis werden also durch die untere Halbkugel der Sphäre repräsentiert. Führt man nun eine Drehung der Sphäre (also eine Möbiustransformation) um die Imaginärteil-Achse um π/2 aus, so wird die vormalige untere Halbkugel auf die linke komplexe Ebene abgebildet und wir haben die gesuchte Transformation gefunden. Die Fixpunkte dieser Drehung sind die Schnittpunkte der Riemannschen Zahlenkugel mit der Drehachse, also ±i. Damit sind schon zwei der drei Punkte gefunden, die für die Darstellung der bilinearen Transformation benötigt werden. Außerdem ist leicht ersichtlich, dass der Punkt 1 der z-Ebene auf den Punkt 0 der s-Ebene abgebildet wird. Mit Gleichung (3.24) lässt sich die Darstellung der bilinearen Transformation leicht finden, denn es ist D(s1 , s2 , s3 , µ̂(z)) = D(z1 , z2 , z3 , z), D(i, −i, 0, µ̂(z)) = D(i, −i, 1, z), µ̂(z) − i − i z−i −i−1 · = · , µ̂(z) −2i z − 1 −2i z−1 µ̂(z) = . z+1 Üblicherweise wird das Ergebnis noch mit einem von der Abtastzeit Ta abhängigen Vorfaktor multipliziert, woraus sich schließlich die bilineare Transformation zu s= 2 z−1 Ta z + 1 22 (4.3) 4 Bilineare Transformation 4.2 Eigenschaften ergibt. Ihr Inverses berechnet sich durch Umformen zu z= 1+ 1− Ta 2 s . Ta 2 s (4.4) Im(s) Im(z) i s= 2 z−1 Ta z+1 2i Ta 1 Re(z) 2 Ta z= Re(s) 1+ T2a s 1− T2a s Abbildung 4.1: Bilineare Transformation Abbildung 4.1 veranschaulicht die bilineare Transformation. Der Einheitskreis des zBereichs wird auf die imaginäre Achse des s-Bereichs abgebildet (grün), das Innere des Einheitskreises auf die linke komplexe Ebene (grau hinterlegt) und die reelle Achse im Intervall [−1, 1] auf die reelle Achse im Intervall [∞, 0] (gelb). Auch die Erhaltung verallgemeinerter Kreise wird hier nochmals deutlich. 4.2 Eigenschaften Neben der Erhaltung der BIBO-Stabilität weist die bilineare Transformation einige andere Merkmale auf, welche teils von Vorteil, teils von Nachteil in der Anwendung sind. Aus der Erhaltung der BIBO-Stabilität folgt unmittelbar die Erhaltung der Minimalphaseneigenschaft. Ein Minimalphasensystem liegt vor, wenn alle Nullstellen der Übertragungsfunktion in der linken komplexen s-Halbebene (analog) bzw. im zEinheitskreis (digital) liegen. Als erster Nachteil fällt die nichtlineare Verzerrung der Frequenzachse auf, welche sich 23 4 Bilineare Transformation 4.3 Filterentwurf aus Gleichung (4.3) mit s = iω und z = eiθ zu 2 tan ω= Ta ! θ 2 (4.5) ergibt. Daher muss vor einem Filterentwurf mittels der bilinearen Transformation die Frequenzachse vorverzerrt werden. Besitzt die ursprüngliche Übertragungsfunktion nur einen charakteristischen Frequenzpunkt, wie zum Beispiel ein Hoch- oder Tiefpass, so kann der Vorfaktor T2a abgeändert und somit die Frequenzachse implizit verzerrt werden. Dadurch gelingt eine sehr einfache Transformation. Außer der Frequenzverzerrung bleibt die Filtercharakteristik erhalten, denn sowohl Verstärkung als auch Überschwingen bleiben unbeeinflusst. Aus Gleichung (4.5) folgt das Fehlen von Aliasing-Effekten und aus der Bijektivität folgt, dass die Ordnung des transformierten Systems mit der Ordnung des Ausgangssystems übereinstimmt. Diese Eigenschaften gelten als wesentliche Vorteile der bilinearen Transformation. 4.3 Filterentwurf Abschließend soll ein digitaler Filter durch bilineare Transformation aus einem analogen Filter entworfen werden. Als analoger Filter wird ein frequenznormalisierter Tschebyscheff I Tiefpass der Ordnung N verwendet, dessen Betragsfrequenzgang sich zu 1 (4.6) |Ha (iω)|2 = 1 + (ǫTN (ω))2 ergibt,wobei ǫ den Ripple-Faktor und TN2 (x) die Tschebyscheff-Polynome T0 (x) = 1, T1 (x) = x, T2 (x) = 2x2 − 1, TN +1 (x) = 2xTN (x) − TN −1 , bezeichnet. Die Polstellen der Übertragungsfunktion erhält man durch Nullsetzen des Nenners aus Gleichung (4.6). Sie lauten sm = sinh(ζ) cos(ξm ) + i cosh(ζ) sin(ξm ), 24 m = 1, 2, . . . , 2N, (4.7) 4 Bilineare Transformation 4.3 Filterentwurf mit 1 1 arsinh , N ǫ 2m + N − 1 = π. 2N ζ= ξm Mit einem von der Filterordnung abhängigen Korrekturfaktor K lautet die Übertragungsfunktion des Tschebyscheff I Filters Ha,N (s) = Ks1 s2 . . . sN . (s − s1 )(s − s2 ) . . . (s − sN ) (4.8) Für ein Filter dritter Ordnung und ǫ = 1 ergibt sich die frequenznormierte Übertragungsfunktion explizit zu Ha,3 (s) = 0.25 . (s + 0.15 − 0.90i)(s + 0.15 + 0.90i)(s + 0.30) (4.9) Um daraus ein digitales Filter zu generieren, wird Gleichung (4.3) auf die Grenzfrequenz des analogen Filters normiert und diese dann mit Gleichung (4.5) vorverzerrt. Daraus ergibt sich s= z−1 z−1 2 1 2 z−1 = = . fc z + 1 ωc Ta z + 1 2 Ta ω z + 1 Ta Ta tan 2 tan π fs (4.10) Dieser Ausdruck wird auch manchmal als normierte Form der bilinearen Transformation bezeichnet. Setzt man nun Gleichung (4.10) in Gleichung (4.9) ein, so ergibt die frequenznormalisierte Form des digitalen Filters zu Hd,3 (z) = −0.25z 3 − 0.75z 2 − 0.75z − 0.25 . 73.09z 3 − 185z 2 + 168.2z − 54.31 (4.11) Abbildung 4.2 zeigt den Betragsfrequenzgang des analogen und digitalen Filters sowie den nichtlinearen Zusammenhang der Frequenzen ω und θ. Dieses Beispiel wurde so gewählt, dass die normierte Frequenz ω = 1 auf die normierte Frequenz θ = 1 abgebildet wird, was aber keinesfalls notwendig ist. Abbildung 4.3 zeigt schlussendlich die Erhaltung der Stabilität bei der bilinearen Transformation. Die Pole in der linken komplexen Halbebene im linken Teilbild (welche im Übrigen auf einer ursprungszentrierten Ellipse liegen) werden in den Einheitskreis im rechten Teilbild abgebildet. Die Stabilitätsgrenzen in den Abbildungen sind durch durchgezogene schwarze Linien gekennzeichnet. 25 4 Bilineare Transformation 4.3 Filterentwurf 101 101 100 ω ω ω= 10−1 20 0 −20 |Ha,3 (iω)| (dB) tan π ffc s 100 10−1 −40 tan( θ2 ) 0 0.5 1 θ 1.5 2 0 0.5 1 θ 1.5 2 |Hd,3 (eiθ )| (dB) 20 0 −20 −40 Abbildung 4.2: Bilineare Transformation eines analogen Tiefpasses in ein digitales Filter - Darstellung der Frequenzverzerrung Hd,3 (z) 1 1 0.5 0.5 Im(Hd,3 (z)) Im(Ha,3 (s)) Ha,3 (s) 0 −0.5 −1 0 3 −0.5 −1 −1 −0.5 0 0.5 Re(Ha,3 (s)) 1 −1 −0.5 0 0.5 Im(Hd,3 (z)) 1 Abbildung 4.3: Nullstellen (◦) und Pole (×) der Übertragungsfunktionen 26 Literaturverzeichnis [1] D. Arnold und J. Rogness, Möbius Transformations Revealed. Notices of the American Mathematical Society, 2008, (letzter Zugriff 12.11.2012). [Online]. Available: http://www.ima.umn.edu/~arnold/papers/moebius.pdf [2] W. Balser, Vorlesungsmanuskript zur Analysis IV - Funktionentheorie. Universität Ulm, 2007, (letzter Zugriff 20.11.2012). 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