Mongolei Keine Hightech-Töff, kein GPS, kein Satellitentelefon. Und
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Mongolei Keine Hightech-Töff, kein GPS, kein Satellitentelefon. Und
40 AUF ACHSE Ugi Nuur RUSSLAND Khövsgöl-See Chatgal Olgil Ulaangom Chowd Moron Tsun Nuur Ugi Nuur Tsagaan Nuur Tsetserleg Suchbataar Bulgan Tschoibalsan Ulaan Bator Öndörchan Karakorum Altai Urumqui Baruun-Urt Arwaichor MONGOLEI Mandalgobi Sainschand Dalanzadgad Huehaote CHINA Reise-Organisation Ein erfahrener Schweizer MongoleiReisender (im Geländewagen und zu Pferd) empfahl uns Tour-Organisatorin Bayarmaa Tseden-Ish. Die Mongolin studierte einst in der DDR und spricht darum perfekt Deutsch. Sie besitzt eine Reiseagentur mit vier Angestellten und führt Gruppenreisen durch, die in die entlegensten Winkel der Mongolei führen. Per Mail nahmen wir Kontakt auf und erklärten unsere Pläne. Dass wir kein Begleitfahrzeug wollten, konnte sie nicht begeistern, trotzdem organisierte sie uns die Reise (Route, Reservationen in Jurtencamps, Flughafentransfer, Stadtbesichtigung usw.) und besorgte die Motorräder. Reise pro Person 1500 Euro, pro Töff (Neumaschine) 1500 Euro inkl. Ersatzteilkit und Werkzeugsatz. Benzin, Getränke usw. nicht inbegriffen. Anreise Per Flugzeug mit Air Berlin nach Berlin und mit der mongolischen Airline MIAT nach Ulan Bator, rund Fr. 3500.für zwei Personen. Geografie Die Mongolei ist 1,5 Mio. km2 gross bei 2,6 Mio. Einwohnern und umfasst mehrere Klimazonen von Wüste bis Taiga. Extremes Kontinentalklima mit heissen Sommern (in der Wüste) und extrem kalten Wintern (bis -50 °C). Die Mongolei verfügt über Bodenschätze und exportiert Fleisch. Alles andere, Gemüse, Getreide und sämtliche Industrieprodukte, muss importiert werden. Politik Die Mongolei (auch äussere Mongolei) war von 1921 bis 1989 kommunistisch und in dieser Zeit eng mit Russland verbündet, aber immer ein souveräner Staat. Es gibt noch die sogenannte innere Mongolei, die seit 1636 zum chinesischen Staatsgebiet gehört und heute den Status einer autonomen chinesischen Provinz hat. China erhebt mehr oder minder verblümt Anspruch auf die Mongolei. Heute ist die Mongolei demokratisch organisiert. China hat Russland als wichtigsten Handelspartner abgelöst. Geschichte im 4./5. Jahrhundert fielen wilde Reiterhorden in Osteuropa ein, die Hunnen. Damals schauten sich die Mongolen unter ihrem König Attila erstmals im Westen um, zogen sich dann aber wieder in die Weiten der mongolischen Steppen zurück. Der berühmteste Mongole ist Dschingis Khan. Er einte im 12. Jahrhundert die zerstrittenen mongolischen Nomadenstämme. Mit rasender Geschwindigkeit wurden Länder und halbe Kontinente erobert. Die beweglichen, leicht bewaffneten mongolischen Reiter waren den schwer gepanzerten Rittern oder den langsamen Infanteristen der gegnerischen Armeen überlegen. Unter Dschingis’ Nachfolgern gelangten die Mongolen bis nach Polen und auf den Balkan. Ganz China war erobert, dazu Korea, Tibet, das südliche Sibirien, Russland. Das mongolische Reich ist bis heute das territorial grösste Weltreich aller Zeiten; es zerfiel nach Auflösungserscheinungen Ende des 14. Jahrhunderts endgültig in die Einflussbereiche lokaler Machthaber. Ish Planeta 5: Wir machten diese Reise auf zwei Ish Planeta 5, gekauft in Ulaan Bator. Die russischen Einzylinder-Zweitakter sind in der Mongolei weit verbreitet. Mehr darüber im vorderen Teil des Hefts. Geld: Mongolische Währung: Tugrik, 1 SFr. = 1350 Tugrik Übernachtung: Hotels nur in grösseren Ortschaften, Campingplätze in unserem Sinne gibt es nicht. Wer längere Strecken über Land zurücklegt, muss wild zelten. Gute Übernachtungsmöglichkeiten sind die sogenannten Jurten- oder Gercamps, in Gruppen aufgestellte Jurten mit Verpflegungsmöglichkeit und sanitären Anlagen. Reiseführer: Wisotski, Kappeli, von Waldenfeld, Mongolei, Trescher Verlag, ISBN 978-3-89794-117-5. Karten: Reise Know How, Mongolei 1:600 000. Karten in kyrillischer Schrift lokal erhältlich. Kontakt: Bayarmaa Tseden-Ish, WSW Ltd., [email protected]. BEIJING Mongolei Keine Hightech-Töff, kein GPS, kein Satellitentelefon. Und auch keine organisierte Gruppenreise, kein Begleitfahrzeug mit Fahrer und keine Dolmetscherin. Wir wollten auf eigene Faust die Mongolei entdecken. Mit russischen Lowtech-Motorrädern, wie sie auch die Mongolen fahren. Zeitweise sah es so aus, als sei unsere Idee undurchführbar. REISE-INFO MONGOLEI 21_MSSD_040_Achse 40 Freiheit, d Text und Bilder: Rolf Lüthi und Fränzi Göggel 1 R öfe, das gaht nöd!», ruft Fränzi sichtlich frustriert. Sie steht mit ihrem Töff im schlammigen Randstreifen neben der löchrigen Asphaltfahrbahn, lässt entmutigt die Arme hängen. Wir sind kaum 30 km weit gekommen und schon der erste Kolbenklemmer am neuen Töff. Müssen wir endgültig aufgeben, nach nur drei Tagen? Erster Fehlstart: Bis zum Stadtrand Wir haben turbulente Tage hinter uns. Das Flugzeug katapultierte uns in wenigen Stunden in die Hauptstadt Ulan Bator. Bayarmaa, Deutsch sprechende Mongolin und Inhaberin einer Reiseagentur, hatte uns zwei Motorräder besorgt, eine Reiseroute zusammengestellt – und in einem buddhistischen Kloster eine Zeremonie für uns bestellt, um von den Göttern eine gute Reise zu erbitten: «Von allen Gästen, die ich dieses Jahr betreue, habe ich nur um euch Angst. Ihr wart noch nie in der Mongolei und wollt ohne einheimischen Führer und mit Motorrädern losfahren.» Dann zerrten wir die zwei gebrauchten Ish Planeta 5 aus der halbdunklen Abstellhalle ans Tageslicht. Sie sprangen beide nicht an. Die eine lies sich anschieben, die zweite hatte keinen Zündfunken und einen verschmorten Kabelbaum. Ein aufgebotener Mechaniker verkabelte die 1 Behutsam müssen die Kilometer von der fragilen Mechanik gelutscht werden. Die nach vorne flatternde, hellgrüne Gebetsfahne zeigt Gefahr durch starken Rückenwind und fehlende Kühlung an. 2 Neue Ish: Aus der Kiste auf die Piste. 3 Kaum war der Kommunismus weg, blühte der Buddhismus wieder auf. 4 Natur-Bonsai: Vegetation in der Wüste Gobi. 5 Kamelherde: Das Leben der Nomaden ist ausgerichtet auf das Überleben ihrer Tiere. 08.10.2009 11:41:07 21/2009 MOTO SPORT SCHWEIZ WWW.MOTOSPORT.CH 41 t, die wir meinen Streikende eiligst neu und spendierte neue Zündkerzen. Das reichte für reproduzierbare Probefahrten auf dem Hotelparkplatz. Planmässig ging es los am nächsten Morgen. Wir kamen keine zwei Kilometer bis zum ersten Kolbenklemmer. Der zweite Töff fuhr immerhin, doch mehr als einen halben Zentimeter konnte man den Vergaserschieber nicht anheben, sonst stotterte der Motor unfahrbar. Wir schleppten uns in Zweikilometerintervallen von Klemmer zu Klemmer, nach 20 km verendete das röchelnde Wrack am Stadtrand endgültig. Also zurück in die Hauptstadt, wo wir in einer Fabrik eine neue kauften, in elegantem Schwarz. Zweiter Fehlstart: Im Steppen-Wartsaal Am nächsten Tag der zweite Versuch, wir kamen diesmal 75 km weit, in die struppige Steppe südlich der Hauptstadt. Wir surften durch die Halbwüste, die Sonne schien, der Himmel war blau und weit, und 2 3 der Motor der Gebrauchten lief immer schlechter, hatte kaum mehr die Leistung eines Mofas, bevor er überhitzte und einging. Keine Chance, mit diesem fahrenden Schwächeanfall die Reise zu schaffen, sowieso hatte der Motor keine Kompression mehr, und Handyempfang gab es natürlich auch nicht. Fränzi blieb allein an der staubigen Piste zurück, ich fuhr los, um Hilfe zu organisieren. Am Abend waren wir wieder, wo wir morgens losgefahren waren – in der nicht eben sehenswerten Hauptstadt der Mongolei. Dritter Fehlstart: Offenbar unmöglich Am nächsten Tag kauften wir die zweite Neumaschine, eine rote. Gegen Mittag waren wir auf dem Weg, doch wir kamen nur 10 km über den Stadtrand hinaus, da blockierte schon der Motor der Roten. Das endgültige Aus! Sollten wir mit dem nächsten Flugzeug frustriert heimreisen oder uns einer or- ganisierten Reisegruppe anschliessen? Die Idee der Reise mit den Russentöff war gestorben. Sie läuft doch – bis zur nächsten Panne! Oder doch nicht? Warum klemmt die Rote und die Schwarze nicht? Zufall? An der Schwarzen habe ich das Zweitaktöl abgemessen, der Roten hat der hilfsbereite Tankwart Öl reingeschüttet. Zu wenig? Kompression ist noch da! Wir kippen einen halben Liter Zweitaktöl in den Tank und fahren weiter, ich auf der Roten, Fränzi fährt die Schwarze. Runter vom Asphalt, raus in die Steppe. Als wir die Stelle passieren, an der ich gestern Fränzi zurückliess, sehe ich mich um. Sie fehlt. Warten, doch sie kommt nicht. Ich fahre zurück und finde sie nach fünf Kilometern. Panne! Der Motor ist einfach ausgegangen, der Vergaser überläuft. Das Schwimmergehäuse ist gefüllt mit einer schleimigen Paste, wir reinigen Vergaser und Benzinhahn. Der Motor springt dennoch nicht an, 4 FRÄNZI GÖGGEL (50) UND ROLF LÜTHI (49) Ohne jede Mongolei-Erfahrung und keinerlei Vorkenntnissen zu den verwendeten Motorrädern erdreisteten sich Fränzi und Rolf, im vergangenen Sommer mit russischen Zweitaktern dieses riesige Land zu bereisen. Ohne Fränzis unerschütterlichen Optimismus und Rolfs breiten Erfahrungsschatz aus Tausenden von Kilometern mit frisierten Mofas wären sie wohl nicht mal über die Hauptstadt hinausgekommen. 5 21_MSSD_041_Achse 41 08.10.2009 11:41:19 42 AUF ACHSE ➥ DURCH DIE MONGOLEI AUF ISH PLANETA 5 keine Kontrollleuchte brennt, die Hupe geht nicht. Wir finden ein verschmortes, gebrochenes Massekabel und im Batteriekasten Brandspuren, weil die Batteriepole den Metallkasten berührten. Bei der Roten haben sie als Isolation die Betriebsanleitung dazwischengesteckt. Das machen wir an den Schwarzen ebenso und flicken das Massekabel. Der Motor springt an, es geht weiter, wir passieren Fränzis Steppen-Wartsaal und fahren weiter, bis wir gegen Abend bei starkem Wind das Zelt in einem Rasen von Wermut aufstellen und den erkalteten Mittagslunch verzehren. Die Reise hat begonnen. 1 «Das Personal eilt herbei, erleichtert und überrascht, dass diese eigensinnigen Langnasen, die per Töff reisen und keinen Führer wollen, tatsächlich gekommen sind.» Grosser Bahnhof in Juulchin Gobi 1 für Fränzi und Rolf Wenn Pisten kaum mehr sichtbar sind Das Gercamp Khukh Burd ist das Tagesziel am nächsten Tag. Wir fahren auf der Piste gen Süden. Alles scheint klar, aber als wir nach 200 km in ein staubiges Kaff kommen und tanken, ist es nicht Adaazag, sondern Delgertsogt. Wir haben uns verfranst, und das Kupplungskabel der Roten ist auch gerissen. Der Dorfmech montiert ein neues, während seine Frau uns mit erfrischendem Joghurt bewirtet. Dann geleiten uns die beiden mit ihrem chinesischen Töff (nach unseren Wertmassstäben ein Wrack) auf den rechten Weg. Sie deuten die Richtung zum Horizont, und wir fahren los auf einer Nebenpiste. Unzählige Abzweigungen, mindestens einmal nehmen wir wohl die falsche, doch nach 72 km (statt 56 km) sind wir am Gercamp neben der Tempelruine aus dem 10. 2 Jahrhundert. Gercamp, das ist die mongolische Form eines Hotels: In einer Gruppe aufgestellte Jurten (runde Filzzelte) dienen als Gästezimmer, dazu gibts ein Restaurant mit Einheitsmenü und sanitäre Anlagen. In Khukh Burd gibts weder kaltes noch warmes Bier, aber eine erfrischend kalte Dusche und Eintopf mit Schaffleisch. Mehr brauchts nicht. Unser Orientierungsvermögen ist auch anderntags gefordert. Wir müssen nach Mandalgobi, um dort auf die Hauptpiste einzufädeln. Unsere Gastgeber weisen uns auf eine Nebenpiste. Diese verliert sich zeitweise auf einer steinigen Ebene. Nach mehr als 40 km ein Ger. Wir sind überzeugt, den richtigen Weg längst verloren zu haben, und fahren vom erahnbaren Karrweg ab, um zu fragen. Erstaunt ob der absurden Frage weisen die Nomaden uns unwissende Langnasen zurück auf die Piste, die wir verliessen. Einer schreibt die Zahl «19» in den Sand. Nach 19 km kommen wir über einen Hügelzug und stehen vor der Kantonshauptstadt Mandalgobi. In der Weite der Gobi klingelt das Handy Von hier wollen wir während zweier Tage auf der Hauptpiste nach Süden, 300 km nach Dalanzadgad. Hauptpiste ist relativ, es ist ein Gewirr paralleler Spuren, doch gemäss Reiseführer braucht man nur der Stromleitung zu folgen. Nach 80 km knickt diese aber rechtwinklig weg ins Dorf Khuld. Das Pistengewirr geht geradeaus weiter. Die Vegetation wird spärlicher. Starker Wind bläst, kombiniert mit glühender Hitze. 21_MSSD_042_Achse 42 Stellenweise Schlaglöcher, Weichsand, Wellblech, aber eigentlich gut zu fahren. Als es Zeit wird zum Campieren, taucht in der Ferne ein Ger auf. Wir fahren hin, niemand scheint zu Hause, da kommt aus der Wüste ein Fussgänger, der Besitzer. Mittels aufgeschriebener Sätze in kyrillischer Schrift können wir erfragen, ob wir hier zelten dürfen. Natürlich dürfen wir, und der Nomade schaut interessiert zu, wie wir unser Zelt aufstellen. Nachdem wir zu Abend gegessen haben, nehmen wir die Einladung unseres temporären Nachbarn an und gehen zu Besuch. Sein Ger ist spartanisch eingerichtet, aber ordentlich. Er hat Handy-Empfang und nimmt zwischendurch einen Anruf entgegen. Sein Abendmahl besteht aus Nudelsuppe mit viel Fleisch. Wir essen auch etwas, auch weil es die Höflichkeit so gebietet, und trinken dazu heissen Tee. Später taucht eine Frau aus der Wüste auf, bleibt für einen Schwatz und einen Tee und verschwindet, es dämmert schon, zu Fuss wieder in der Wüste. Den ganzen nächsten Tag brauchen wir noch bis Dalanzadgad, wir surfen durch die karge Weite, das Kupplungskabel an der Roten ist längst wieder gerissen. Maximal 60 km/h können wir den beladenen Ish abverlangen. Ein moderner Töff würde gar nicht laufen mit Benzin mit 80 Oktan, das wir im staubig-verschlafenen Zogt-Owoo tanken. Am frühen Abend kommen wir zum Gercamp Juulchin Gobi 1. Das Personal eilt herbei, erleichtert und irgendwie überrascht, dass diese zwei eigensinnigen 08.10.2009 11:41:26 21/2009 MOTO SPORT SCHWEIZ WWW.MOTOSPORT.CH 43 zwei von unseren drei Karten mehrheitlich gar nicht eingezeichnet sind. Von den dreien ist eine komplett unbrauchbar, eine ist in lateinisch, eine in kyrillischer Schrift. Wenn wir jemanden finden, den wir nach dem Weg fragen können, nehmen wir die kyrillische Karte und zeigen auf die Ortschaft, die wir erreichen wollen. Die Mongolen zeigen die Richtung, und fragen wir nach der Anzahl Kilometer (auf mongolisch «Kilometr»), schreiben sie die Zahl in den Staub. Die Mongolen sind Nomaden und kennen ihr Land; die Kilometerzahl wird präzise stimmen. Wenn niemand da ist, also meistens, navigieren wir mit dem Kompass. Ein GPS würde nicht zu dieser Reise passen. Wir hangeln uns über Bulgan nach Mandal-Owoo, verschlafene, staubige Wüstennester, und weiter zu den roten Felsenklippen von Bajan Zag, wo der amerikanische Paläontologe Chapman-Andrews in den 1920er-Jahren zahlreiche Dinosaurierknochen ausgrub, unter anderen das fast vollständige Skelett des T-Rex, den wir im naturhistorischen Museum in Ulan Bator besichtigten. Wir navigieren uns über eine Karrspur zurück auf die teilweise sandige Nebenpiste Richtung Bajangol. Wie vom Tankwart in Mandal-Owoo in den Sand gezeichnet, verlassen wir diese nach 40 km und biegen links ab in die Berge zum Kloster Ogiin Khiid, wo wir im Gercamp unterkommen. ➥ Dusche, Bier, Service für die Töff und vier Kupplungskabel: Das luxuriöse Gercamp Juulchin Gobi 1. Ein Owoo, ein Naturschrein zu Ehren des örtlichen Berggeistes mit Gebetsfahnen und den ersten Haaren, die Kindern geschnitten wurden. Auch eilige Reisende hupen zumindest, wenn sie vorbeifahren. 3 In der Gobi zu Gast in der Jurte bei einem Nomaden: Archaische, naturnahe Lebensweise mit einer grossen Herde Schafe und Merinoziegen, doch es gibt Handyempfang und eine Solarzelle zum Laden des Handyakkus. 4 In jedem Wüstennest gibt es einen Einkaufsladen, indem fast alles zu haben ist. 1 2 4 3 Langnasen, die in dieser Hitze mit Motorrädern fahren und kein Begleitfahrzeug und keinen Führer wollen, tatsächlich gekommen sind. Eisgekühlte Schlucht in der Gobi Juulchin Gobi 1 bietet allen Luxus: Jurten mit Strom, warme Dusche, kaltes Bier und mitten in der Wüste einen kleinen Salat als Vorspeise. Es kommt noch besser: Bayarmaa hat uns angekündigt, und während wir die Annehmlichkeiten des Gercamps geniessen, waschen zwei Arbeiter unsere Motorräder und reinigen die Ölbad-Luftfilter. Der nächste Tag bringt einen der landschaftlichen Höhepunkte der Reise. Yolyn Am, die Geierschlucht. Auf der Anfahrt reisst das provisorisch reparierte Kupplungskabel schon wieder. In die Schlucht rein kann man nur zu Fuss. Wir wandern los, kommen um eine Biegung und können es kaum fassen: Mitten in der glühend heissen Gobi-Wüste, im Gurvan Saykhan-Gebirge, liegt vom Winter her in der 200 m tief eingeschnittenen, engen Geierschlucht noch meterdick Eis. Wir geniessen den Tag und die kühle Schlucht. Am Abend bringt ein Gercamp-Angestellter aus Dalanzadgad vier Kupplungskabel mit. Die kosten zehn Franken (alle vier) und reichen rechnerisch für die nächsten acht Tage. Stromkabel: Rettungsleine der Zivilisation Gut erholt packen wir anderntags auf. Die nächsten zwei Tage führt unsere Route über Strecken, die auf 21_MSSD_043_Achse 43 08.10.2009 11:41:34 44 AUF ACHSE ➥ 21/2009 MOTO SPORT SCHWEIZ WWW.MOTOSPORT.CH DURCH DIE MONGOLEI AUF ISH PLANETA 5 Wir sind hundemüde. Der heutige Tag war nicht ungefährlich. Über weite Strecken konnten wir zwar der Telefonleitung folgen, doch andere Fahrzeuge hatte es praktisch keine. Zahlreiche verendete Tiere lagen in der Wüste, Geier hockten drauf oder warteten noch daneben auf den Tod. Einmal passierten wir eine Stelle mit fünf toten Tieren unmittelbar neben der Piste, riesige Lämmergeier warteten neben den Kadavern, bis sie nach den Hunden an der Reihe wären. Immerhin riss heute kein Kupplungskabel, doch es ist nur eine Frage der Zeit, die Kupplung knarzt schon wieder. Oder gibt es eine technische Lösung? Ich kürze die Kabelhülle, damit der Hebel am Motor im gleichen Winkel steht wie an der Schwarzen. Die richtige Überlegung: Die Kupplung ist plötzlich butterweich zu ziehen, das Kabel sollte für den ganzen Rest der Reise halten. Ish: Trotz allem die richtige Wahl Am nächsten Tag lassen wir die Wüste hinter uns. Als wir einen weiteren sanften Hügelzug überqueren, geht die Landschaft über in struppige Steppe. Eigentlich waren wir richtig gut im Plan, doch das junge Pärchen, Mann und Frau oder Bruder und Schwester, konnten wir nicht einfach stehen lassen. Es ging schon dem Abend zu, das chinesische Billigst- 2 1 3 Unfassbar: Eis mitten in der Wüste! 2 Selbstportrait im Steppenwartsaal: Wind, Staub, Sonne, kein Handyempfang, und Rolf ist längst am Horizont verschwunden. 3 Es wird Abend, der Wind pfeifft, zum nächsten Ort sind es 20 km: Die zwei können wir nicht stehen lassen. Nach einer halben Stunde fuhr das Chinesen-Chopperchen wieder. 1 Chopperchen stand mit gerissener und verklemmter Kette am Pistenrand. Kein Ahnung, wie lange sie schon dahockten ohne passendes Werkzeug. Mit unserem Kettenknacker liess sich die Kette einkürzen und wieder montieren. Aus der Zeit, da die Mongolei noch kommunistisch war und mit Russland – nicht etwa mit China – verbündet, sind noch Hunderte von Ish in Gebrauch. Doch in den letzten Jahren übernahmen die chinesischen Hersteller diesen Markt. Es gibt eine 21_MSSD_044_Achse 44 Unzahl von Marken, Basis ist aber immer ein ViertaktEinzylinder mit 150 cm3, der an die Honda CG 125 erinnert. Die Frage, ob wir statt der russischen Ish nicht besser zwei von diesen chinesischen Viertakterchen gekauft hätten, ist nach dieser Bastelstunde beantwortet: Nein, nein, nein! Einen freien Menschen gesehen Wir fahren noch ein schönes Stück und campieren in den Bergen neben dem Ger einer Hirtenfamilie, die Milchziegen hält. Die Einladung ins Ger können wir nicht ausschlagen. Wir sitzen um den warmen Ofen, draussen ist ein kalter Wind aufgekommen, und trinken im Kreise der Familie frische Ziegenmilch. Später, wir sind schon im Zelt, schauen zwei Jungs zu Pferd vorbei. So wie wir damals als junge Männer mal kurz ins Tessin fuhren zum Kaffee oder nach Feierabend über die Sattelegg, um einfach nochmals den Wind um die Nase zu spüren. Der jüngere, elf Jahre alt vielleicht, noch kein Härchen im Gesicht, ist klar der Anführer der beiden. Hat wohl zu Hause gebettelt, nochmal kurz ausreiten zu dürfen zu diesen Langnasen, die da campieren bei den Nachbarn, bis die Eltern zustimmten unter der Bedingung, dass der ältere Bruder oder Cousin mitreitet. Als sie genug gesehen haben, schwingen sie sich in den Sattel und reiten los. Zwei, drei Schritte im Trab, und auf einen frohlockenden Zuruf preschen die Pferdchen los im Galopp. In diesem Moment blickt der Junge herausfordernd über die Schulter zurück zu mir. «Ja, mein Junge», denke ich, «geniess deine Freiheit, wenn es geht dein ganzes Leben lang», und mit trommelnden Hufen galoppieren sie jauchzend zum Horizont. ■ ➥ Fortsetzung im nächsten Heft: Fränzi bleibt auf 2500 m im Regensturm mit der defekten Schwarzen zurück. Rolf fährt los, um Hilfe zu holen, doch nach acht Kilometern ist die Rote auch kaputt, und Rolf muss zu Fuss weiter. 08.10.2009 11:41:40