Informationsblatt Grosswuchs

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Informationsblatt Grosswuchs
Medizinische Universitäts-Kinderklinik
Prof. Dr. med. Primus E. Mullis
Abteilungsleiter Pädiatrische Endokrinologie /
Diabetologie & Stoffwechsel
CH 3010 Bern
Informationsblatt Grosswuchs
Liebe Eltern
Sie sind wegen eines auffällig starken Längenwachstums Ihres Kindes/Jugendlichen
in die kinderendokrinologische Sprechstunde gekommen. Im Folgenden haben wir
für Sie die wichtigsten Informationen zum Thema Wachstum / Grosswuchs
zusammengefasst.
Normales Wachstum:
Wachstum (Längenzunahme) ist eine der auffälligsten Veränderungen, die ein Kind
auf dem Weg zum Erwachsenen durchläuft. Die Geschwindigkeit des Längenwachstums ist nicht gleichförmig, sondern ändert sich abhängig vom Alter in charakteristischer Weise. In den ersten 2 Jahren nach der Geburt wachsen Kinder sehr schnell,
hauptsächlich gesteuert durch die Ernährung. In den folgenden 8-10 Jahren folgt
eine Phase mit sehr konstantem kontinuierlichem Wachstum, mehrheitlich gesteuert
durch Wachstums- und Schilddrüsenhormon. Schliesslich kommt der grösste
Wachstumsschub während der Pubertät, basierend auf Wachstumshormon einerseits und den geschlechtsspezifischen Sexualhormonen andererseits. Die Endlänge
ist primär abhängig von genetischen, d.h. vererbten Merkmalen; hauptsächlich sind
dies die Grössen der beiden Eltern. Grösse wird aber zusätzlich durch äussere
Einflüsse, wie Ernährung, Erkrankungen etc. beeinflusst. So hat die verbesserte
Versorgung mit Nahrungsmitteln, Hygiene, Schutzimpfungen etc. dazu geführt, dass
das genetische Wachstumspotential in den letzten 50 Jahren besser ausgeschöpft
wurde und die Menschen dadurch tendenziell von Generation zu Generation größer
wurden (sekulärer Trend). Interessant ist auch, dass es bezüglich Grösse ein
sogenanntes Nord-Süd Gefälle gibt, d.h. dass Menschen, die aus dem Norden
stammen allgemein grösser sind als Menschen aus dem Süden.
Definition:
Großwuchs wird definiert als Grösse über der 97. Altersperzentile auf der Wachstumskurve. Liegt ein Grosswuchs vor, empfehlen wir, mittels Knochenalterbestimmung eine Endlängenprognose zu berechnen. Berechnen wir für Mädchen eine
Endlängenprognose über 185 cm und bei Knaben über 205 cm, kann eine sogenannte Bremstherapie diskutiert werden.
Ursachen für einen Großwuchs:
Im Wesentlichen unterscheidet man zwischen einem primären, sogenannt familiär
auftretenden, einfachen Grosswuchs und einem sekundären Grosswuchs als Folge
von spezifischen, seltenen Erkrankungen. Beim familiären Grosswuchs ist die
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Körperlänge nicht im Rahmen einer Erkrankung erhöht, sondern „einfach“ nur als
Folge der genetischen Vorgaben, die die Eltern an ihre Kinder vererben (grosse
Eltern – grosse Kinder!). Der sekundäre Grosswuchs geht meist mit anderen
Symptomen einher, die man suchen und eventuell behandeln muss.
Diagnostik:
Ziel der Untersuchungen ist der Ausschluss von assoziierten, therapiebedürftigen
Erkrankungen einerseits (meist reicht dazu die klinische Untersuchung!) und die
Klärung einer allenfalls sinnvollen Bremstherapie andererseits.
Für die Diagnostik wichtig sind seit Geburt geführte Aufzeichnungen von Gewicht
und Länge (sogenannte Wachstumskurven), aktuelle, genau gemessene Länge von
Kind und beiden Eltern und die Knochenalterbestimmung (aus einem Röntgenbild
der linken Hand). All diese Daten werden dann zur Berechnung der Endlängenprognose herangezogen.
Bremstherapie:
Wachstum findet in den sogenannten Wachstumsfugen der einzelnen Knochen statt.
Hormonell gesteuert wird das Wachstum in den Fugen vor allem durch Wachstumshormon, davon abhängigen Wachstumsfaktoren und den Sexualhormonen (v.a.
Oestrogenen). Die Codierung, Wachstum abzuschliessen indem die Wachstumsfugen verknöchern, wird bei beiden Geschlechtern durch Oestrogene vermittelt.
Entsprechend kann Wachstum gebremst werden, indem die Pubertät vorverlegt wird
und damit die Reifung des Verschlusses der Wachstumsfugen forciert wird. Dies
geschieht beim Mädchen durch die Gabe von hochdosierten weiblichen Hormonen
(Oestrogenen) und beim Knaben durch die Gabe von hochdosierten männlichen
Hormonen (Testosteron), der sogenannten Bremstherapie. Der Erfolg einer Bremstherapie ist nicht vollständig vorhersagbar, im Mittel kann die zu erwartende Endgrösse um ca. 6-7 cm reduziert werden. Wichtig ist, dass die Bremstherapie vor dem
Start der eigenen Pubertät begonnen wird.
Die Hormone liegen für Mädchen in Tablettenform vor und müssen täglich eingenommen werden, die erste Menstruationsblutung erfolgt nach Einnahme des ersten
4-wöchigen Zyklus. Die männlichen Hormone werden als Depotpräparat intramuskulär in 14-täglichen Abständen gespritzt.
Nebenwirkungen der Bremstherapie:
Die Verabreichung von hochdosierten Sexualhormonen macht aus dem hormonell
präpuberalen Kind/Jugendlichen praktisch über Nacht eine/n voll pubertierende/n
Jugendliche/n! Entsprechend sind Verhaltensänderungen und körperliche
Pubertätszeichen immer zu beobachten. Häufigste Nebenwirkung beim Mädchen
sind leichte Übelkeit (häufig nur am Beginn der Behandlung) und Gewichtszunahme;
beim Knaben eine therapiebedürftige Akne. Andere Nebenwirkungen wie Wassereinlagerung durch Testosteron oder Thromboseneigung durch Oestrogentherapie
sind selten (Risiko vergleichbar mit „Antibabypille“). Trotzdem, um eventuelle
Komplikationen zu vermeiden, beziehungsweise rechtzeitig erkennen zu können, ist
vor und während der Therapie das Befolgen bestimmter Vorsichtsmassnahmen,
sowie die Durchführung regelmässiger Kontrolluntersuchungen nötig. Über beides
werden wir Sie im Gespräch informieren.
F. Hennig/PD Dr. C.E. Flück/Prof. P.E. Mullis Juli 2006
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