können Sie das Magazin aus der Mitte herunterladen!
Transcrição
können Sie das Magazin aus der Mitte herunterladen!
magazin mitte Heft | 8 aus der Gute Seiten aus NordHessen • Sommer 2014 • 3 Euro Hoch hinauf. Tief hinab. Berge, Burgen und Balkone: Nordhessische Höhepunkte Von Aussichtstürmen und Abgründen Versunkene Dörfer: 100 Jahre Edersee » App zum Ticketkauf! Hol dir die NVV-App! Mit der Möglichkeit zum mobilen Ticketkauf via Smartphone. Jetzt auch mit Hessenticket. Und natürlich mit allen wichtigen Informationen, da wo man sie braucht – unterwegs. QR-Code scannen und App downloaden. Falls kein QR-Code-Reader vorhanden, einfach in Ihrem App-Store herunterladen. • magazin aus der mitte Editorial G enau 714 Meter liegen zwischen dem höchsten und dem tiefsten Punkt Nordhessens, zwischen dem Hegekopf bei Willingen und dem Dörfchen Gertenbach an der Werra. Höhenmeter natürlich, nicht Luftlinie: Wer von den Bergeshöhen hinab zur Flusssenke reisen will, muss gut und gerne hundert Kilometer zurücklegen. Oder er blättert in diesem Heft: Bei uns sind es vom Hegekopf (auf Seite 22) bis nach Gertenbach (auf Seite 58) nur ein paar Seitensprünge. Nordhessens Höhen und Tiefen ist diese Ausgabe des Magazins aus der Mitte gewidmet. Denn – bitte verzeihen Sie die Kalenderweisheit – das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Ohne Täler gäbe es bekanntlich keine Berge. Oder auf nordhessisch: Immer nur ruff geht nicht, man muss auch mal runner. Schon allein, weil man sonst jede Menge verpassen würde: Mancher Höhepunkt, das zeigt dieses Heft, verbirgt sich paradoxerweise nämlich sogar unter der Erde. Wir steigen auf den folgenden Seiten also nicht nur hoch hinauf, sondern auch tief hinab. Nicht nur hinauf in den Kasseler Bergpark Wilhelmshöhe, der mit seinen Wasserspielen im vergangenen Jahr zum Weltkulturerbe erklärt wurde (Seite 34). Sondern auch hinab auf den Grund des Edersees, zu den Überresten der Dörfer, die vor genau hundert Jahren beim Bau der Talsperre überflutet wurden (Seite 18). Nicht nur hinauf auf Kirchtürme und Aussichtstürme, sondern ebenso hinab in Bunkerstollen, Bergwerksschächte und – ja, auch da gibt es etwas zu entdecken! – Fußgängerunterführungen. Wir laden Sie ein auf eine Exkursion von A wie Abgrund bis Z wie Zweiburgenblick. Schauen Sie mit uns in den Schlund, in dem vor gar nicht langer Zeit zwei ausgewachsene Rindsviecher spurlos verschwanden (Seite 40). Genießen Sie die Weitsicht von den Lieblingshöhepunkten unserer Autorinnen und Autoren (Seite 22). Klettern Sie mit uns in die Unterwelt und erheben Sie sich über die Wolken. Sie werden staunen, versprochen. Joachim F. Tornau Bismarckturm auf dem Brasselsberg in Kassel Foto: Franz Kröger 3 magazin aus der mitte • 6 Zwischen Himmel und Erde Eine fotografische Erkundung von nordhessischen Höhen und Tiefen 18 Dörfer aus der Tiefe Was vor 100 Jahren beim Bau des Edersees überflutet wurde, taucht alljährlich im Herbst wieder auf Dei 52 22 Burgen, Berge und Balkone Hofgeismar Autorinnen und Autoren des Magazins aus der Mitte beschreiben ihre Lieblingshöhepunkte in der Region Bad Arolsen 28 „Ich mache keine Opfer-Filme“ Ein Interview mit Dokumentarfilmer Klaus Stern über seine Vorliebe für Höhenflüge und Abstürze Habichtswald Diemelsee Willingen Langer Wald Korbach Goldhausen Naumburg Bad Emstal Waldeck 32 Weitsicht ist Trumpf 4 Zierenberg Wolfhagen Vöhl Eine kleine Auswahl aus der Vielfalt nordhessischer Aussichtstürme Edertal Gudensberg Edersee Fritzlar Bad Wildungen Kellerwald 34 Wasserfälle von Weltrang Der Kasseler Bergpark Wilhelmshöhe mit seinen 300 Jahre alten Kaskaden zählt seit einem Jahr zum Weltkulturerbe Frankenberg Haina Bad Zwesten Borken Frielendorf 38 Ein Job mit besten Aussichten Schwalmstadt Als Türmer der Homberger Stadtkirche hat Dennis Willershausen stets den Überblick Willingshausen 40 Wo sich der Boden auftat und Kühe verschluckte Bei einer Wanderung rund um den Hohen Meißner ist viel Überraschendes zu entdecken – über wie unter der Erde 18 44 Verführung in der Unterführung Zwei Fußgängertunnel in Kassel wurden zum „Raum für urbane Experimente“ 38 Neukirchen • magazin aus der mitte 46 Unterirdisch radeln Hessens ältester Eisenbahntunnel, der Carlsbahntunnel an der Diemel, wird für Radfahrer wieder eröffnet 34 Bad Karlshafen 48 Feste, Festspiele, Festivals isel Ein Überblick über die Highlights des großen nordhessischen Kultur- und Festprogramms Trendelburg Sababurg 52 Wenn Stein und Gips lebendig werden Reinhardswald Fuldatal 40 Gertenbach Witzenhausen Kassel Kaufungen Lohfelden Helsa Baunatal Söhrewald Meißner Kaufunger Wald Bad Sooden-Allendorf Großalmerode Hessisch Lichtenau Das Christian Daniel Rauch-Museum in Bad Arolsen zeigt Skulpturen eines der bedeutendsten Bildhauer des Klassizismus 54 Alte und Neue Meister Nordhessen ist reich an bemerkenswerten Kunstmuseen Frankershausen 56 Vergraben für die Ewigkeit Eschwege Das stillgelegte Salzbergwerk in Herfa-Neurode ist die größte Untertagedeponie der Welt Melsungen Felsberg Spangenberg 58 Einkaufen und Nachbarn treffen Homberg Alheim Knüllwald In Gertenbach, dem am tiefsten gelegenen Ort Nordhessens, kämpften die Bewohner erfolgreich für einen neuen Dorfladen Rotenburg a. d. Fulda Bebra Schwarzenborn Seulingswald Bad Hersfeld 60 Das Fenster als Heizung Heringen Das junge Unternehmen Energy Glas aus Wolfhagen steht exemplarisch für den wirtschaftlichen Höhenflug der Region Herfa-Neurode Kirchheim 62 Rätsel & Impressum 56 5 U ngezählte Aussichtspunkte kennt das nordhessische Bergland. Nur ein Bruchteil von ihnen – und dennoch etliche – krönt ein Turm, als Holz oder Stein oder Metall gewordene Aufforderung, Blick und Gedanken in die Weite schweifen zu lassen. Zum Beispiel auf dem Rosskopf bei Bad Sooden-Allendorf. In dem kleinen hölzernen Turm, der hier seit dem Jahr 1950 steht, sind zuerst steile Treppen, dann eine Leiter zu überwinden. Und dann kann genossen werden, wie sich zu Füßen das Land ausbreitet. Wie in der Ferne die Kuppe des Hohen Meißner erscheint. Oder wie die Sonne stimmungsvolle Muster malt auf Wiesen und Wald. Dann verwandelt sich die Hügellandschaft, wie auf unserem Foto, in eine verwunschene Märchenwelt. Foto: Gerhard Schuster Zwischen Himmel und Erde Eine fotografische Erkundung von nordhessischen Höhen und Tiefen K lar, Fallschirme sollen Leben retten. Sollen dafür sorgen, dass, wer notgedrungen sein Flugzeug in hohen Höhen verlassen muss, nicht wie ein Stein zu Boden fällt. Aber das ist längst nicht mehr alles. Fallschirme sind heute auch die Eintrittskarte zu immer neuen Eskapaden zwischen Himmel und Erde. Auf welch vielfältige Weise der Mensch zum Flugsäuger werden kann, lässt sich am Flughafen Kassel-Calden beobachten – oder, wenn der Mut reicht, auch ausprobieren. Vom Tandemsprung zu zweit über das Springen in Formationen bis zum akrobatischen Luftballett. Freestyle oder Freefly nennt sich das dann. Vorstellen, hat jemand mal gesagt, müsse man sich das so ähnlich wie Bodenturnen. Nur eben ohne Boden. Foto: Skydive W as hat das Stollenlabyrinth im Kasseler Weinberg nicht schon erlebt: Vor knapp 200 Jahren zur Lagerung von – ironischerweise – Bier ins Gestein getrieben, diente es im Zweiten Weltkrieg als riesiger Luftschutzbunker. Später wurden hier Champignons gezüchtet und illegale Techno-Partys gefeiert. Und schließlich bekam der Weinbergbunker sogar künstlerische Weihen: Vor zwei Jahren machte ihn die Weltkunstausstellung documenta zu einem ihrer Schauplätze. Zehn Eingänge führen in ein Gewirr von Gängen mit einer Gesamtlänge von rund drei Kilometern. Noch 2011 entdeckte man bis dato unbekannte Hohlräume. Bei regelmäßigen öffentlichen Führungen durch die Feuerwehr kann die Stollenanlage besichtigt werden. Foto: Stefan Wendling E in tief eingeschnittenes Bachbett, tosendes Wasser, Felsbrocken: Nicht ganz zu Unrecht erwartet man eine Klamm vor allem in den Alpen. Doch auch Nordhessen hat eine solch schroffe Schlucht – wenn auch, zugegebenermaßen, nur diese eine. In Jahrtausenden hat sich der Lochbach zwischen Hülsa und Wallenstein in den weichen Buntsandstein gegraben und Wände aus bläulich verfärbtem Gestein entstehen lassen. In Kaskaden mäandert sich der Bach auf einer Strecke von gut einem Kilometer rund 150 Höhenmeter hinab ins Tal – überwölbt von Farnen und dem hohen Dach des Waldes. Auf einem schmalen Pfad, der mit 16 Holzbrücken kreuz und quer über das wilde Wasser führt, lässt sich die Lochbachklamm erwandern. Foto: Michael Grün magazin aus der mitte • 14 E s gibt Skisprungschanzen, es gibt Skisprunggroßschanzen und es gibt die größte Skisprunggroßschanze der Welt: Die Mühlenkopfschanze im nordhessischen Willingen ist fast genauso hoch wie der Kölner Dom. Genau 156 Meter stürzen sich die Sportler, die hier alljährlich im Februar beim Weltcup-Skispringen zu Gast sind, in die Tiefe. Bei einer Sprungweite von 152 Metern liegt der Schanzenrekord. Für den Weg zurück nach oben in den futuristisch gestalteten Anlaufturm stehen Severin Freund & Co. dann eine Standseilbahn und ein Aufzug zur Verfügung. Aber nicht nur ihnen: Die Anlage, die Platz für 35.000 Zuschauer bietet, kann ganzjährig auch von NichtSkispringern besichtigt werden. Foto: Uwe Zucchi D ie Zeiten, als Drachenbauen nur hieß, etwas bunten Stoff auf ein hölzernes Kreuz zu tackern, sind vorbei. Wie sehr sie vorbei sind, zeigt in jedem Herbst aufs Neue das Drachenfest in Bebra-Iba. Ein Wochenende lang steigen am Rand des kleinen Dörfchens in Waldhessen Fluggeräte zum Himmel auf, die mit den Trapezdrachen von einst gerade noch die Schnur gemeinsam haben. Fische, Krokodile, Herbstlaub, Comicfiguren, ja sogar eine riesige Tigerente und ein monströser Radlader wurden von den Drachenfreunden, die aus dem gesamten Bundesgebiet anzureisen pflegen, bereits präsentiert. In diesem Jahr wird es am 11. und 12. Oktober wieder so weit sein. Foto: Bernhard Dingwerth 6S`TW :^HYV]ZRP ,:*(+( 3(*6:;, )LUL[[VU 3H :JHYWH (LQIDFK YLHOI¤OWLJ )LX\LT WHYRLU \UK H\M W\YLU :OVWWPUN.LU\ZZ PU L_RS\ZP]LU .LZJOpM[LU \UK .HZ[YVUVTPLU PT /LYaLU ]VU 2HZZLS MYL\LU 4P[ KLY 2k )65<:*(9+ H\M 7HYRWSp[aLU NYH[PZ WHYRLU \UK ILP QLKLT ,PURH\M ^LY[]VSSL )VU\ZW\UR[L ZHTTLSU ^^^RVLUPNZNHSLYPLKL 3H =PZPVU *H[OLYPUL NLTp NLZVUKLY[LY )LKPUN\UNLU ,PUZLOIHY \U[LY! ^^^RVLUPNZNHSLYPLKL >VSMVYK Dörfer aus der Tiefe 18 Foto: Volker Siesenop magazin aus der mitte • Was vor 100 Jahren beim Bau des Edersees überflutet wurde, taucht jedes Jahr im Herbst wieder auf. Ein kleines Atlantis in Nordhessen. Von Gesa Coordes D as alte Fachwerkhaus von Rita verständlich aufgewachsen: 1914 wur- nach Asel-Süd, wo neben dem Cam- Wilhelmi stand einst auf dem de das idyllische Tal geflutet. 900 pingplatz bis heute nur 16 Menschen Grund des Edersees. Vor 100 Menschen mussten Haus und Hof ver- leben. Hier ist Rita Wilhelmi aufge- Jahren, als die Staumauer errichtet lassen – die Bewohner der Dörfer Asel, wachsen. Jahrelang stiegen die Kinder wurde, nummerierten die damaligen Bringhausen und Berich sowie mehre- jeden Morgen in das kleine Fährboot, Bewohner jeden Balken des Gehöfts rer Gehöfte. Sie wichen den wirt- das sie zur Schule auf der anderen See- und bauten es am Ufer der neu ent- schaftlichen Interessen der Weseran- seite brachte. Dafür kamen die Wald- standenen Talsperre wieder auf. Heute rainer. Gebaut wurde die Talsperre arbeiter aus der Gegenrichtung, um im ist Rita Wilhelmi Gästeführerin für nämlich nicht für die Touristen. Der heutigen das, was hier „Edersee-Atlantis“ ge- See sollte in erster Linie dem Hoch- Holz zu schlagen. Als kleine Entschä- nannt wird. Für die Überreste der ver- wasserschutz und als Wasserreservoir digung für die verlorene Heimat und sunkenen Dörfer. Jeden Herbst, wenn für die Weser dienen. die fruchtbaren Böden durften sie die die Ruinen aus den Fluten wieder auf- Kellerwald-Nationalpark Fähre kostenlos benutzen. Bis heute Versunkene Brücke tauchen, wandert sie mit Trupps von Touristen und Schulklassen zu den fahren die Aseler Bürger gratis, wenngleich sie das Fährboot inzwischen Spuren der Vergangenheit. „Auf mich Da nützten die Proteste der Bürger von fast nur noch für Ausflüge brauchen. wirkt dieses große Tal wie ein Ur- Alt-Asel am oberen Edersee, wo einst Stattdessen setzen Radler und Wande- stromtal, ein Stück Vergangenheit, das rer über – ein Gong lockt den Fähr- das es sonst nicht mehr gäbe“, sagt die stand, wenig. Der größte Teil der Dörf- mann nach Bedarf. 49-Jährige. ler zog ins heutige Asel auf den knapp Im Herbst, wenn der See wegen des Rita Wilhelmi ist mit der Geschichte 300 Meter hoch gelegenen Berg an der sinkenden Pegelstandes im oberen der versunkenen Dörfer ganz selbst- Nordseite des Sees, einige wenige Teil zu einem schmalen Flüsschen Fachwerkhaus der Wilhelmis Fotos: Michael Grün, Uwe Zucchi (2), Edersee Touristic magazin aus der mitte • 20 20 Im Sommer ist kaum zu ahnen, was sich unter der Wasseroberfläche verbirgt. Bei ihren herbstlichen Führungen durch den leeren Edersee berichtet Rita Wilhelmi auch über den Bau der Sperrmauer von 1908 bis 1914. schrumpft, gehen die Menschen zu den weiß blühenden Uferhirsch- Die Dorfstelle Berich ist auch die Fuß ans andere Ufer. Dann taucht die sprung und den gelben Wiesenalant. Hauptattraktion für die Taucher, die vor 100 Jahren untergegangene Brü- Je länger die Trockenphase dauert, dort mit Kompasskursen nach der al- cke über die Eder wieder auf. Die 60 um so grüner wird der Grund des ten Klostermauer suchen: „Das hat Meter lange, vierbogige Ederbrücke Sees, an dessen Rand Seggenried, seinen ganz besonderen Reiz“, sagt steht unter Denkmalschutz und ist Blut- und Gilbweiderich wachsen. Jens Rohland vom örtlichen RONIC- das am besten erhaltene Bauwerk des alten Tals. Trotzdem rät Rita Wilhelmi ihren Gästen zu Tauchshop. Selbst aus dem Ausland Faszinierende Ruinen Gummistiefeln, reisten Taucher an, um Edersee-Atlantis zu entdecken. wenn sie über die von Rissen durch- Im Spätherbst tauchen meist auch die Das Sperrmauermodell an der Beri- zogene Erde stapft. An manchen Ruinen der tiefer gelegenen Dorfstel- cher Hütte – vormals die bedeutend- Ecken sinken die Kinder knietief im len von Bringhausen und Berich auf: ste Eisenhütte des Fürstentums Wal- Schlamm ein. Grundmauern des ehemals reichen deck – dürfen sie allerdings nicht an- „Ich lasse die Besucher immer raten, Nonnenklosters Benediktiner, steuern, weil es außerhalb der Tauch- wie hoch das Wasser normalerweise einst einer der schönsten Bauten go- zone liegt. Nur alle paar Jahre taucht über ihnen steht“, erzählt Wilhelmi. tischen Stils im Waldecker Land. Teile es aus dem See auf. An dem gut erhal- Es sind zehn Meter. Auf den Ruinen- der Klosterruine ragten noch jahre- tenen Modell im Maßstab 1:40 haben Feldern zeigt sie die Grundmauern lang aus dem See, bis sie weitgehend die Konstrukteure der Staumauer der alten Gehöfte, der Schule, der Kir- verschwanden. Zu sehen sind gepfla- einst Vorrichtungen zur Abführung che und die alten Baumstümpfe. Das sterte Wege, Mauern, Gräberfelder, des Wassers an der Sperrmauer aus- Überschwemmungsgebiet aber Futtertröge, Treppenstufen, Keller- probiert. Das Wasser lieferte der auch Lebensraum für seltene Pflan- gewölbe und Brückenpfeiler, Überre- Mühlengraben. zen – etwa für den Schlammling, die ste einer kleinen Burganlage, einer Doch die faszinierenden Ruinen brö- kleinste Blühpflanze Deutschlands, gräflichen Meierei und einer Mühle. ckeln. Weil ihnen der endgültige Ver- ist der Foto: Paul Würthner magazin aus der mitte • • magazin aus der mitte Sieht groß aus, ist aber nur hüfthoch: Das Sperrmauermodell an der Bericher Hütte, das den Ingenieuren vor 100 Jahren für Experimente diente, ist nur bei äußerst niedrigem Wasserstand zu sehen. fall droht, hat sich ein 2012 gegründe- Jahre alte Mistgabeln und Hacken ha- gen Touren auf den Spuren der versun- ter Förderverein den Erhalt der Dorf- ben sie dabei entdeckt. Zum diesjähri- kenen Wiesen und Felder. Und in den stelle Berich auf die Fahnen geschrie- gen Jubiläum des Edersees werden die Herbstferien lädt Rita Wilhelmi zum ben. Inzwischen haben Jugendliche alten Ruinen ein wichtiges Thema Wattwandern durch den leeren See. vom Lehrbauhof damit begonnen, sein: Eine ganze Wanderwoche auf den Doppelsinniges Motto: „Ich will den Grundmauern und Pflaster von Schlick Spuren der untergegangenen Dörfer Grund kennen“. zu befreien und zu restaurieren. 100 ist für Ende September geplant. Es fol- www.100jahre-edersee.de Das Kraftwerk in der Höhle Die Höhle bietet Platz für fast 100 Einfamilien-Bungalows. Lastwagen fahren durch den 900 Meter langen Zufahrtsstollen. In der Tiefe des Berges, 300 Meter unter den Oberbecken auf dem Peterskopf, liegt das Kavernenkraftwerk Waldeck II, eine der größten künstlich geschaffenen Höhlen Europas. Der Energiekonzern Eon produziert hier Strom, wenn der Verbrauch im Netz steigt. Dann genügt ein Knopfdruck und innerhalb von einer Minute stürzt das im Oberbecken gespeicherte Wasser mit einer Geschwindigkeit von sechs Metern pro Sekunde durch die unterirdische Druckleitung in die Turbinen des Kraftwerks. Von dort wird es wieder – meist bei Nacht – in das Oberbecken zurückgepumpt. Nur noch bis Ende 2014 demonstriert das Infozentrum in Hemfurth, wie viel Arbeit es ist, Strom zu produzieren. Besichtigt werden kann das ältere Kraftwerk Bringhausen. Die Standseilbahn öffnet wegen Bauarbeiten allerdings erst 2015 wieder. Mit ihr können Wanderer und Radler dann wieder mühelos die 300 Höhenmeter zu den Oberbecken und zum Nationalpark Kellerwald überwinden. & 05623 948390, www.edersee.com/eon.html 21 magazin aus der mitte • Fotos: Joachim F. Tornau (2) Heidschnucken vor Nordhessens höchstem Gipfel: dem Hegekopf bei Willingen. 22 Burgen, Berge und Balkone Autorinnen und Autoren des Magazins aus der Mitte beschreiben ihre Lieblingshöhepunkte in der Region Nordhessisches Understatement Genau 843,2 Meter misst der Langenberg. Ein Gipfelkreuz krönt seine Kuppe und großsprecherisch verkündet ein metallbetafelter Stein: „Höchster Berg in NRW“. Das stimmt: Gerade eben noch im nordrhein-westfälischen Hochsauerland liegt der Gipfel. Doch beim Abstieg gen Osten landet man schon nach wenigen Schritten in Nordhessen, im Willinger Upland. Läuft man dann noch gut vier Kilometer weiter, kommt man zu Nordhessens höchstem Berg. Vorausgesetzt, man übersieht ihn nicht. Nicht, dass der Hegekopf winzig wäre: Mit exakt 842,9 Metern über dem Meeresspiegel bleibt er um bloß eine Wanderschuhlänge unter dem Langenberg. Aber er macht einfach kein Gewese um sich. Keine markierten Wege führen zu seiner nicht eben markanten Kuppe, kein Wegweiser macht auf ihn aufmerksam. Gipfelkreuze oder stolze Steine? I wo. Der Hegekopf ist nordhessisches Understatement. Wer dennoch zu ihm findet, wird reich belohnt. Weich federt das Gras unter den Füßen, die Sonne malt leuchtende Muster auf den Waldboden, links und rechts des grasgrünen Wegs sprießen Heidelbeeren. Und vor allem: Es ist still. Niemand spricht, niemand lärmt und auch das Handy bleibt stumm – kein Empfang. Ein wunderbarer Ort. Auch ohne spektakuläre Aussicht. Wer die haben will, muss sich dann doch wieder ins Getümmel stürzen. Nur einen vielleicht 20-minütigen Spaziergang entfernt wartet der Ettelsberg mit Seilbahn, Berghütte und Aussichtsturm. Die verglaste Kanzel des Hochheideturms liegt beeindruckende 875 Meter über dem Meer. Höher hinauf geht es in Nordhessen nirgends. Joachim F. Tornau • magazin aus der mitte Romantische Spannung Belauern sie sich? Burg Hanstein und Burg Ludwigstein stehen einander auf zwei Anhöhen des Werratals gegenüber, als trauten sie sich auch nach Jahrhunderten nicht über den Weg. Eine spannungsgeladene und zugleich romantische Ansicht, die ich am liebsten vom Ufer bei Wendershausen aus genieße. Hier, am Aussichtspunkt Zweiburgenblick, bietet eine Ruhebank einen Platz in der ersten Reihe. Foto: Uwe Zucchi Das Panorama inspirierte Künstler seit jeher zu schwelgerischen Bildern und schmückt heute eine 90-Cent-Marke der Deutschen Post. So malerisch-unberührt wie auf der Briefmarke präsentiert sich die reale Landschaft zwar nicht mehr, ein paar Schönheitsfehler wie die nahe Straße muss man ausblenden. Aber dem Erhabenen der Szene tut das keinen Abbruch. Einen Teil ihrer Spannung malige Betrachter am hessischen Ufer gefragt haben. Und bezieht sie aus der Geschichte ihrer beiden Höhepunkte: doch konnte die optische Nähe der Burgen die Teilung fast Als die Herren auf der Burg Hanstein sich im 15. Jahrhundert vergessen machen. aufs Raubrittertum verlegten, setzte Landgraf Ludwig I. Noch heute regt die Ansicht die Fantasie an. Prescht dort von Hessen die Burg Ludwigstein als Bollwerk dagegen. hinten nicht eine Schar Ritter heran? Wer bewohnt den Wie viel die zwei Bauten dies- und jenseits der Werra Turm von Burg Ludwigstein – tatsächlich Gäste der dortigen trennt, zeigte sich auch während der deutschen Teilung, Jugendherberge? Oder doch eine Seelenverwandte Rapun- denn Burg Hanstein steht auf thüringischem Grund. Wie zels? wäre es, nur einen Hügel weiter zu leben?, mögen sich da- Gabriele Sümer Mitten in der Musik 130 Stufen zum Klang. Erst durch die Karlskirche laufen, den Altar seitlich passieren, durch die Tür hinauf und rein in den Turm. Enge Wendeltreppe aus Stein und danach die luftigen Holzstufen. Der Blick runter macht schon schwindelig. Der Glockenspieler läuft schnell, für ihn ist das sein Weg zur Arbeit. Seit 1979 spielt Wilhelm Ritter zweimal wöchentlich das Glockenspiel im Turm der Kasseler Karlskirche. Ehrenamtlich macht er das, heute erklärt er mir seine Passion. Herr Ritter nimmt am Stockspieltisch Platz, haut mit der Unterkante der geschlossenen Hand auf die Stöcke. „Tut das weh?“, frage ich. „Nein“, sagt er. Die Glocken erklingen und der Klang schwebt hinaus aus dem Turm, liegt draußen über der Innenstadt. Trifft auf die Menschen da unten beim Eilen und Hasten, beim Kaufen und Nachhausegehen. Vielleicht schauen sie mal hoch zum Turm. Das Geläut der Glocken im Turm, 47 an der Zahl und mit vier Oktaven, hat dereinst zum Sturm ertönt, zum Krieg. Heute läuten die Glocken zum Feierabend. Eine halbe Stunde spielt Herr Ritter, Foto: HNA-Archiv/Jochen Herzog Geistliches und Weltliches. Von halb sechs bis sechs Uhr. Ich schaue durch die trüb gewordenen Fenster hinunter auf die Stadt, hinüber zum Weinberg, zum Balkenhol-Mann auf der goldenen Kugel im Turm der Elisabeth-Kirche. Herr Ritter spielt „I did it my way“, ich singe mit. Gefällt mir hier oben. So weit weg von allem und mitten in der Musik. „Manchmal schwingt der Turm im Wind“, sagt Herr Ritter, und er fühle sich „hier oben etwas abgehoben von der Langeweile der Welt.“ Wie er das sagt, beneide ich ihn. Juliane Sattler 23 magazin aus der mitte • Foto: HNA-Archiv Das Gefühl, richtig draußen zu sein Es ist eine Mischung aus Weite, Fernsicht und Vorfreude, die die Metzebacher Höhe für mich zum Lieblingsort macht. Am intensivsten ist der Genuss, wenn ich mich mit dem Rad dorthin vorgearbeitet habe. Knapp einen Kilometer nach dem östlichen Ortsausgang von Spangenberg im Schwalm-Eder-Kreis zweigt eine kleine Straße ins Landetal ab. Die Anstiege sind hier sanft, links im Tal fließt der Bach, rechts machen grüne Hügel was her. Um zum Lieblingsort zu gelangen, biege ich in Landefeld nach Metzebach ab. Das Gefühl, richtig draußen zu sein – in der Natur und auf dem Land –, nimmt jetzt noch zu. Hinter Metzebach beginnt dann die kurze Herausforderung: Die Landstraße kurvt hinauf in einen Wald. Ein Schild knapp vor dem Pass (und der Grenze zum Kreis Hersfeld-Rotenburg) behauptet, die Steigung betrage bis zu 12 Prozent. Egal – die Belohnung ist köstlich. Denn oben angelangt, geben das Berglein und der Wald eine kilometerweite Aussicht nach Süden frei. Der wohlgerundete Kegel des Alheimer, mit 549 Metern einer der bergigeren Berge dieser Gegend, ist zu sehen. Und mich lacht eine leckere, lang gestreckte Abfahrt an – das Sausen Richtung Obergude, Niedergude und dann eine sanfte Tour der Fulda entgegen. Doch auch zu Fuß liegt mein Lieblingsort auf schöner Strecke: Der Wanderweg „Wildbahn“ (X3) führt hier entlang und die „Spangenberger Runde“ des „Ars Natura“. Der Kunstwanderweg würdigt das Panorama der Metzebacher Höhe übrigens 24 mit sieben Freiluft-Kino-Stühlen: „Cinema Natura“ heißt das Werk. Katja Schmidt Dem Wüterich trotzend Bären gibt es auf dem Großen Bärenberg nicht, mag sein, dass sich Meister Petz in grauer Vorzeit dort heimisch fühlte. Heute verirrt sich womöglich nur einer der im nahen Kassel zahlreich anzutreffenden Waschbären in diese Gegend. Groß ist die Erhebung allerdings: mit rund 600 Metern sogar die höchste im Kreis Kassel. Der Weg hinauf wird indes nicht etwa durch die stattliche Höhe, sondern durch die Autobahn A 44 erschwert, die – wagt der Wanderer den Aufstieg aus Richtung Zierenberg – als Barriere am Fuße des Berges liegt. Apropos Barriere: Der Bärenberg seinerseits Foto: HNA-Archiv/Antje Thon stand den Urlaubsjets im Weg, die auf dem alten Flugplatz Kassel-Calden starten wollten – und ist so mitverantwortlich für den Neubau an anderer Stelle. Weit lässt es sich vom Gipfel schauen, bei gutem Wetter bis ins Rothaargebirge oder das Lipper Bergland. Der Orkan „Kyrill“ im Jahre 2007 knickte zig Bäume wie Streichhölzer um, seitdem ist, was die Forstleute weniger erfreuen dürfte, die Aussicht in Richtung Zierenberg deutlich besser als zuvor. Wem das nicht genügt, kann den Bärenbergturm erklettern, eine Stahlkonstruktion, die außer einer Aussichtsplattform auch eine wild wuchernde Krone aus diversen Antennen ziert. Das Bauwerk ist derart stabil, dass es dem Wüterich „Kyrill“ trotzen konnte. Anders als sein Vorgänger, den der Rost zum Einsturz zu bringen drohte. Die Zierenberger haben den alten Turm so sehr in ihr Herz geschlossen, dass sie ihn en miniature unten in der Stadt, in der Nähe des Bahnhofes, nachbauten. Ralf Pasch • magazin aus der mitte Aus der Vogelperspektive Mein Lieblingsort in der Region? Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Zum einen wäre da der Platz im Cockpit eines Segelflugzeuges, der mir als Pilot einen atemberaubenden Blick über das wunderschöne nordhessische Bergland bietet. Das unmittelbare Erleben von Natur aus der Vogelperspektive ist mir immer wieder ein unbeschreiblicher Genuss. Auf der anderen Seite sehe ich da den Segelflugplatz „Zierenberg auf dem Dörnberg“ selbst. Einer der ältesten in Foto: Tobias Kill Deutschland, genutzt seit 90 Jahren und faszinierend gelegen in einem erloschenen Vulkan. Nach einem Flugtag von hier aus aufzubrechen zu einem Abendspaziergang über den Hohen Dörnberg oder die Helfensteine verleiht mir ein sehr erhabenes Gefühl. Und es gestattet beeindruckende Aussichten ins Umland. Segelfliegen ist ein sehr emotionaler Sport, trotz seines heutigen hohen Technisierungsgrads. Die persönlichen Eindrücke in der Luft gestalten sich ständig neu, gerade im Verlauf eines längeren Fluges, der mich oft weit über die hessischen Landesgrenzen hinausträgt. Gerade diese Überlandflüge liefern mir dann das schönste aller Gefühle beim Segelflug: nach einem erfolgreichen Flug zum Heimatflugplatz zurückzugleiten – voller neuer Eindrücke und in der Foto: Peter Bräutigam Vorfreude, das Erlebte nach der Landung mit den Fliegerfreunden im Fliegerlager auf dem einzigartigen Dörnberg teilen zu können. Somit fällt mir die Antwort nun leicht: Das Segelfliegen in seiner Gesamtheit ist mein „Lieblingshöhepunkt“. Und das immer wieder aufs Neue. Stefan Krull, Vorsitzender der Flugsportvereinigung Kassel-Zierenberg Draußen vorm Balkon sehbaren Türme der Martinskirche und wandert über das Taxifahrer grinsen manchmal, wenn sie diese Adresse an- Häusermeer bis in die Höhen des Söhrewaldes. Frühstück steuern: „Kenn ich noch vom Bund. Hier habe ich mal ge- mit Morgensonne und Fernblick, das ist köstlich. Aber so dient.“ Eine – ehemalige – Kaserne also. Vom Stadtkern richtig in Form präsentiert sich der Balkon nachts, wenn es Kassel aus Richtung Weltkulturerbe Bergpark mit Herkules klar und kalt ist. Dann glitzern die Lichter der Großstadt und dann auf halber Höhe neben der Druseltalstraße links. (also Kassels ...) in der nahen Ferne und lösen in jedem, der Hier ist meine Wohnung, mein Balkon! Dass es den gibt, hier nachts eine letzte Zigarette raucht oder noch einen daran ist die Öffnung des Eisernen Vorhangs schuld. 1990, Schluck im Freien trinkt, eine nordhessische Art von „New Deutschland vereinte sich mit sich selbst und aus den nicht York, New York“-Feeling aus: King of the Hill. Meist benei- mehr benötigten Soldatenquartieren wurde das Wohn- und de ich mich selbst darum. Allerdings, meine Freundin, eine Geschäftsgebiet Marbachshöhe, die Kasernen verwandelte Kasernenreihe weiter hangaufwärts, hat einen noch präch- man in Wohnungen mit luftigen Balkons. tigeren 1-A-Königin-der-Nacht-Ausblick. Etwa so wie dau- Hoch über der Stadt schaut man von hier ins Kasseler Be- ernd Silvester! Nun denn, meiner, der ist jedenfalls: 1-B. cken; bei klarer Sicht fällt der Blick zuerst auf die unüber- Anne-Kathrin Stöber 25 magazin aus der mitte • Ein wenig außer Atem kommt man schon beim Aufstieg zur Burgruine, hoch oben auf dem Burgberg von Grebenstein. Hat man aber die Stufen im Inneren des gut erhaltenen Palas erklommen, kann man sich gegen die vielleicht schon von der Sonne erwärmte Mauerkrone lehnen und durchatmen. Und staunen: über den beeindruckenden Rundblick ins Umland, der den gerade wiedergewonnenen Atem von Neuem raubt. Über die wohltuende Stille. Der Wind, der viele Windräder am Horizont treibt, macht den Kopf frei und die Gedanken kreisen wie die schwarzen Rabenvögel um die stattlichen Überreste der Burg, die erstmals immerhin schon anno 1272 erwähnt wurde. Was für ein Ort! Warum kann man diesen im wahrsten Sinne „hervorragenden“, verschlafenen Ort nicht beleben? Ihn als traumhafte Kulisse für sommerliches Theater und Konzerte nutzen? Oder gar für mittelalterliche Feste und kulinarische Gelage, begleitet von Musik und Tanz? Nein, nichts davon gibt es. Nur wenige Wanderer oder Spaziergänger steigen über den Philosophen-Pfad hinauf, um die Stille und den Ausblick zu genießen. Und gefeiert wird hier oben selten. Beim Burgbergfest zum Beispiel, wenn es im Schatten der Burg nach Bratwurst duftet und ein kühles Bier die Gäste für den Aufstieg entschädigt. Oder am Silvesterabend, wenn am Berg ein paar Grebensteiner auf das neue Jahr anstoßen und den Blick auf das kleine Feuerwerk unten in der Stadt genießen. Sonst aber geschieht: rein gar nichts. So sehr ich die Ruhe an meinem Lieblingsort schätze: Das ist etwas zu viel des Guten. Burkhard Fincke Fotos: Paavo Blåfield (2) 26 Wohltuende Ruhe www.kasselerbank.de Fotos: Uwe Zucchi (2) magazin aus der mitte • 28 „Ich mache keine Opfer-Filme“ Dokumentarfilmer Klaus Stern über seine Vorliebe für Höhenflüge und Abstürze – und über den Erfolg, den er damit hat Themenschwerpunkt dieser Ausgabe des Magazins aus der Mitte sind „Höhepunkte und Tiefpunkte“. Können Sie sich denken, warum uns dazu gleich Ihr Name eingefallen ist, Herr Stern? Ja, klar. Augenzwinkernd bezeichne Auf den ersten Blick könnte man meinen, ich müsste Schmerzensgeld bekommen, wenn ich über solche Typen Dokumentarfilme mache. Aber das ist Klar, stimmt. Aber Mehmet Göker will falsch. So blöd das klingt: Das sind zunächst einmal dennoch gemocht Menschen, die alles tun, um Anerken- und nung zu bekommen – wie wir alle. dert werden. ich mich ja schließlich gern als Spezialist für Größenwahnsinn. Was fasziniert Sie an Geschichten über Aufstieg und Fall von Menschen, von Gier und Größenwahn, von gigantischen und auch fragwürdigen Projekten? veranstaltet hat, geht ja wohl über das übliche Maß hinaus. bewun- Ein Getriebe- Aber was Mehmet Göker – der ehemalige Chef des pleite gegangenen Kasseler Versicherungsvermittlers MEG, über den Sie Ihren Film „Versicherungsvertreter“ gedreht haben – für Anerkennung, vor allem aber auch zur Finanzierung seiner Ferraris und seiner Partys ner ... ... der seit einiger Zeit nun auch von der Staatsanwaltschaft getrie- • magazin aus der mitte ben wird, weil er den Pfad der Legalität verlassen haben soll. Aber ich mag den, so merkwürdig das neben Helmut Schmidt gesessen. Da das fände ich hat er schon rote Bäckchen bekom- billig: Das sind men. Aber Überschwang ist nicht die einfache Sache des Schwälmers. meter, die man Elf- 120 WELTMARKTFÜHRER D I E G E S C H I C H T E D E S TA N S I E K M A N N 100 80 klingt. Der nutzt meinen Film übrigens zu PR-Zwecken auf seiner Facebook-Seite und hat da rund 3.000 Likes! Er versteht „Versicherungsvertreter“ als SEINEN Film. Ich finde das gut, wenn ein Protagonist sich so identifiziert. Außerdem ist das eine versenken Kritiker werfen Ihnen vor, dass etliche Ihrer Protagonisten erst dann für Sie interessant wurden, als sie im Fahrstuhl schon wieder nach unten fuhren, dass Sie also vor allem an gescheiterten Existenzen und Projekten interessiert sind. irre Geschichte – die fast verrückter ist kann. Nehmen 60 wir das Beispiel des Hofgeis- 40 marer Bürgermeisters Heinrich Sattler und 20 EIN FILM VON KLAUS STERN B u c h & R eg ie K LAUS S T ERN M on ta g e F R I ED ER IK E ANDERS K am era H A R A L D S C H M U C K, F RANK RE IMANN Musik MICHAEL KADELBACH, SOPHIA published by RC 4004songs/La Chunga music Regieassistenz JOSEPHINE SCHMÜCKER R ed aktion C H R I S T I A N C L O O S , Z D F ‘ D as klein e Fern seh sp iel’ w w w.re alfic tionfilme .de · w w w.w e ltmarktfue hre r- de rfilm. de 0 2000 Eine Produktion von 2001 Im Verleih von 2002 seines Plans von einem gigantischen als das, was Martin Scorsese jetzt in Das stimmt nicht! Alle meine Protago- Ferienresort in Beberbeck. Als ich mit seinem Börsendrama „The Wolf of nisten sind kluge und reflektierte dem Filmen zu „Henners Traum“ be- Wall Street“ bringt. Fast könnte man Menschen, die viel geschafft haben. gann, da waren doch alle – auch alle meinen, Scorsese hätte „Versiche- Ich suche doch keine sozial Benachtei- Fraktionen vor Ort – noch euphorisch rungsvertreter“ gesehen und sich in- ligten aus, sondern Leute in bestimm- und haben gehofft, dass der Traum in spirieren lassen. ten Positionen, Entscheider, Macher Erfüllung geht. wie Tan Siekmann ... Das wäre doch ein Kompliment, wenn einer der berühmtesten Regisseure und Filmproduzenten bei Ihnen abkupfert! Wobei Sie inzwischen ja auch zumindest in Deutschland berühmt sind und einen bemerkenswerten Höhenflug absolviert haben: vom Briefträger zum Träger des Deutschen Fernsehpreises und, sogar schon zweifach, des GrimmePreises. Mit Höhenflügen konnten wir schon daheim in der Schwalm nicht viel anfangen. Wir hatten einen 25-HektarBauernhof, meine Eltern Haupterwerbslandwirte und waren immer die Letzten, die die Ernte eingebracht haben. Meine Mutter hat auch nach der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises an mich noch gefragt, ob ich nicht doch lieber in meinem erlernten Beruf als Lehrer arbeiten will. Die Glückssträhne könne ja nicht ewig anhalten. Und was sagt Ihr Vater zu Ihrer Arbeit, zu Ihren Erfolgen? Er ist jetzt 81 Jahre alt, hat sich früher selten weiter als 20 Kilometer von zu Hause entfernt. Zuletzt ist er mitgekommen zu einer Preisverleihung in Hamburg und hat dann zwei Tische ... dessen kometenhaften Aufstieg und tiefen Fall mit dem New-Economy-Unternehmen Biodata Sie in Ihrem Film „Weltmarktführer“ dokumentiert haben. Sie haben Sattler dann sehr lange begleitet, da hat sich offenbar eine intensive, vertrauensvolle Beziehung entwickelt. Ja – und ich mag Herrn Sattler nach wie Ich mache keine Opfer-Filme und hin- vor. Der hat große Qualitäten, ist terlasse auch keine verbrannte Erde, volksnah, unterhaltsam, kann die 29 magazin aus der mitte • Menschen begeistern, hat ehrgeizige Ziele für seine Stadt und glaubt wirklich, dass er das Beste für die Stadt tut. Ob das immer die richtigen Ziele sind, sei dahingestellt. Aber schauen Sie, trotz Scheitern und Insolvenz der Betreibergesellschaft ist er immer noch Bürgermeister der Stadt. Spricht er heute noch mit Ihnen? Seit vier Jahren nicht mehr. Ich habe Foto: Uwe Zucchi ihn 2013 auf einem Konzert der Toten Hosen beim Hessentag in Kassel gesehen, bin auf ihn zugegangen und habe gefragt, ob wir ein Treffen vereinbaren könnten – bei dem er mich auch beschimpfen dürfe. Er lehnte ab und sagte: „Sie wissen gar nicht, was Sie angerichtet haben.“ Für ihn bin ich 30 Klaus Stern Klaus Stern (45), mehrfach mit dem renommierten Grimme-Preis und anderen Auszeichnungen bedachter Dokumentarfilmer, absolvierte nach dem Realschulabschluss eine Ausbildung als Briefträger. Nachdem er ein Fachabitur in der Tasche hatte, studierte er in Kassel Wirtschaftspädagogik und arbeitete zusätzlich von 1994 an als Autor bei der Jugendsendung „Live aus dem Schlachthof“ des Hessischen Rundfunks. Im Jahre 2000 verfilmte er seine Diplomarbeit über die Entführung des Berliner Politikers Peter Lorenz durch die Bewegung 2. Juni („Der Austausch“). Der Film wurde von der ARD ausgestrahlt und gleich für den Grimme-Preis nominiert. Drei Jahre später folgte ein Film über den RAF-Terroristen Andreas Baader („Der Staatsfeind“), für den er den Deutschen Fernsehpreis erhielt. Inzwischen hat Stern neun Dokumentarfilme produziert, der zehnte ist in Vorbereitung. Er lebt und arbeitet in Kassel. derjenige, der Beberbeck hat scheitern Stimmt. Aber ich bin auch nicht ob- lassen. jektiv – versuche allerdings, es zu sein. Sie sehen das offenbar nicht so. Sie sagen, der Göker-Film sei bisher Ihr bester. Mit welchem sind Sie nicht zufrieden? Natürlich nicht. Ich habe doch nur alles dokumentiert, am Ende aber nicht alle Aufnahmen verwendet – auch, um Das ist „Spielerberater“ – ein Film die Akteure zu schützen. Henner Satt- über das Geschäft mit Fußballspielern. ler hat sich übrigens gleich nach der Das ist mein schwächster Film. Wir Premiere seines Films in Duisburg hatten vom ersten Drehtag bis zur persönlich bei mir bedankt und gesagt, Sendung gerade mal fünf Monate Zeit, das sei ein fairer Film. Das kann man das ist sehr wenig. Und: Es gab nicht im Protokoll der Duisburger Filmwo- nur eine Vertrauensbasis mit den Ak- che, das im Netz steht, nachlesen. teuren, sondern es entwickelte sich Nach der Filmvorführung waren wir auch eine freundschaftliche Bezie- dann alle gemeinsam essen. hung. Das erzeugt Beißhemmungen. Auch anderen Protagonisten ist wohl erst nach der Reaktion von Freunden oder Kollegen aufgegangen, dass Klaus Stern keinen Werbefilm über sie gedreht hat – obwohl es ja in Ihren Filmen ausschließlich authentische, unkommentierte Bilder und Statements gibt, Sie also nicht bewerten, nicht urteilen. Wo Sie diese Hemmungen bei der Arbeit nicht hatten: Gab es Versuche, die Ausstrahlung von Filmen oder bestimmter Passagen zu verhindern? Bisher nur einmal: Eine der Versicherungen, die Alte Leipziger Versicherung, die in meinem Film über Göker • magazin aus der mitte eine unrühmliche Rolle spielt, wollte immer mit demselben Kameramann, ren Leute aus dem Flughafen-Ma- per einstweiliger Verfügung verhin- derselben Cutterin. nagement anwesend. Denen ist die dern, dass eine bestimmte Szene ge- Kinnlade runtergefallen ... Sie bleiben also aus Gewohnheit in Nordhessen? Woran arbeiten Sie derzeit tatsächlich? gegeben und ihren Antrag zurückge- Nein, ich lebe gern hier – auch wenn Es wird eine Fortsetzung des Göker- zogen. die Mentalität der Leute etwas ruppig Films geben, bei dem es nicht nur um ist. Aber es gibt schöne Landschaften die jetzigen, ebenfalls bemerkenswer- und eine kulturelle Vielfalt, die es an- ten Aktivitäten Gökers in der Türkei derswo so nicht gibt. Die Region wird und das strafrechtliche Verfahren ge- von vielen unterschätzt. Na ja, das er- gen ihn hier in Deutschland geht, son- zählt ja jeder. Egal. Ich lebe wirklich dern vor allem auch darum, ob oder Nein. Der WDR zum Beispiel hält sich gerne hier. Ich könnte als Werbefigur was die Versicherungen aus dem Fall da raus. Juristische Auseinanderset- für Kassel Marketing auftreten! gelernt haben. Hier in der Region sind Sie inzwischen bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund und es hat den Anschein, als hätten einige Nordhessen Angst, dass sie zu Protagonisten Ihres nächsten Films werden könnten. Ist schon absehbar, wann der Film fertig sein wird? zeigt wird. Nach der Gerichtsverhandlung, also noch vor der Urteilsverkündung, hat die Versicherung klein bei- Werden Sie bei solchen juristischen Konflikten von Ihren Auftraggebern unterstützt? zungen, so es sie denn gibt, muss ich auf eigenes Risiko ausfechten. Ihre Auftraggeber sitzen nicht in Nordhessen. Auch deshalb wundert mich, dass Sie als erfolgreicher Dokumentarfilmer in Kassel und nicht etwa in Berlin, München oder Hamburg leben. Ich würde ihn gern in diesem Jahr machen. Aber ich fürchte, daraus wird nichts, weil ein Termin für den Prozess gegen Göker noch nicht in Sicht ist. Er hat mir übrigens gesagt, dass er dann Ich bin ein beständiger Mensch, lebe einer Veranstaltung im Spaß erzählt, zum Prozess nach Kassel kommt – seit 25 Jahren in Kassel, seit 19 Jahren dass ich über den Flughafen Kassel- wenn er Zeit hat. in ein und derselben Wohnung, arbeite Calden einen Film mache – und es wa- Interview: Anne Riedel Fotos: Uwe Zucchi (2) Das sieht so aus. Neulich habe ich auf 31 magazin aus der mitte • Weitsicht ist Trumpf Modern oder historisch, größer oder kleiner, schöner oder nicht ganz so schön: Keiner der vielen Aussichtstürme in der Region gleicht dem anderen. Doch jeder von ihnen lohnt die Mühe des Aufstiegs. Eine Auswahl. Alheimerturm auf dem Alheimer bei Alheim 32 rm Hochheidetu illingen lsberg bei W auf dem Ette Berghöhe: Turmhöhe: 549 Meter 21 Meter Stufen: 111 Einweihung: 1930 Material: Stein Berghöhe: Turmhöhe: 831 Meter 59 Meter 241 Stufen: 2002 : Einweihung lb Stah eton Material: Georg-Vict or-Turm auf dem Eis enberg bei Korbac h-Goldhause n Fotos: HNA-Archiv (3), Michael Grün (2), Joachim F. Tornau • magazin aus der mitte turm Kellerwald arten üsteg auf dem W n odenhause bei Haina-D Berghöhe: 562 Meter Turmhöhe: 2 2,5 Meter Stufen: 675 Meter 28 Meter Berghöhe: Turmhöhe: 122 Einweihun g: Material: 1905 123 : n 2004 Stufe : g n u Einweih ernholz Lärchen-K l: ia er at M Stein 33 m Ofenberg-Tur lfhagen August-Frank e-Turm berg bei Wo auf dem Knüll köpfchen bei Schwarze nborn auf dem Ofen Berghöhe: Turmhöhe: 373 Meter 20 Meter 101 Stufen: 1964 : Einweihung lb l, Stah eton ckstein, Stah Material: Ba Berghöhe: Turmhöhe: 634 Meter 12 Meter Stufen: 60 Einweihung : 19 Material: 78 Stein Fotos: Andreas Weber (2) magazin aus der mitte • Wasserfälle von Weltrang Vor 300 Jahren wurden die Wasserkünste im Bergpark Wilhelmshöhe eingeweiht. Sie funktionieren noch immer wie zur Zeit der Landgrafen Von Katja Schmidt – und zählen heute zum Weltkulturerbe 34 E rst tröpfelt es. Dann fließen teilung der Museumslandschaft Hes- erst seinem Urenkel Landgraf Wilhelm kleine Rinnsale die ersten Kas- sen-Kassel (MHK). Wie auf einer Wer- IX. (1743–1821) – der sich dann Kur- kaden vor dem Kasseler Herku- be-Tour habe Karl Bilder seines Parks fürst Wilhelm I. nennen konnte. Aus les hinab. Und da ist dieser durch Europa geschickt: „Es ging ihm Uropas Karlsberg machte Wilhelm die seltsame, anschwellende Ton. Bald darum, seine Macht zu demonstrie- Wilhelmshöhe. Mit Aufträgen für gi- strömt das Wasser kräftig – und der ren.“ Denn Karl habe noch Kurfürst gantomanische Ton schallt laut aus zwei Kupferhör- werden wollen. stand er seinem Vorfahren nicht nach. nern am Mund einer Faun- und einer Diesen Aufstieg in die höhere Liga Er war es, der jenen extrahohen Was- Zentauren-Statue: Die Wasserspiele deutscher Fürstenhöfe gelang jedoch serfall errichten ließ, den die UNESCO im Park Wilhelmshöhe, dem größten Bergpark Europas, sind ein weiteres Mal eröffnet. Wie vor 300 Jahren. Das tosende Spektakel gehört zum Weltkulturerbe. Nirgends sonst gäbe es Kaskaden solcher Größe oder künstliche Wasserfälle solcher Höhe, befand das zuständige UNESCO-Komitee im Juni 2013. Die monumentale Architektur für das Schauspiel sei ohne Parallele in der Gartenkunst des Barock und der Romantik. Dem Kasseler Barock-Herrscher Landgraf Karl (1654–1730), dem ersten Bauherrn im Bergpark, wäre dieses Urteil wohl gerade recht gewesen. „Er wollte überwältigen, etwas Superlatives schaffen“, sagt Siegfried Hoß, Leiter der Garten- und Gartenarchitekturab- Wasserarchitektur • magazin aus der mitte erwähnt: Über die Abbruchkante eines Mancher Zuschauer mag das kaum Astronomisch-Physikalischen als Ruine errichteten pseudo-antiken glauben. „Ich werde oft gefragt, wie das netts der MHK, geht davon aus, dass Aquädukts stürzt an Wasserspieltagen Wasser wieder auf den Berg gepumpt Karl sich damals Sorgen machte, ob ein reißender Bach gut 30 Meter in die wird“, erzählt Siegfried Hoß. „Die Ant- das geplante natürliche Wassersam- Tiefe. Dann braust es und die Luft ist wort ist: gar nicht.“ Die 750.000 Liter, melsystem die Wasserkünste ausrei- voller sprühfeiner Tropfen. Kabi- Alles die pro Wasserkunst-Inszenierung flie- chend würde versorgen können. klingt, alles riecht nach Naturgewalt. ßen, fließen aus dem Bergpark ab und Der Wissenschaftshistoriker nimmt Doch nur zehn Minuten lang. Danach schließlich in die Fulda. an, dass die neue Technik Karl noch fällt das Aquädukt wieder trocken. Dass das Wasser im Park zur ge- aus anderem Grunde faszinierte: „Er Industriespionage wünschten Zeit strömt und wieder wollte die höchste Fontäne Europas für seinen Park – höher als die in Ver- versiegt, dafür sorgen pro Inszenie- Dass die Anlage ganz ohne Pumpe aus- sailles.“ Hohe Fontänen und innovati- rung sechs Park-Mitarbeiter live und kommen würde, scheint allerdings ve Vorreiterschaft strebte jedoch auch vor Ort. Schon Stunden bevor die Be- nicht von vornherein klar gewesen zu die Konkurrenz an. Der Kurfürst von sucher kommen, beginnen sie Wasser sein. Noch während der Bauarbeiten, Hannover etwa ließ Gottfried Wilhelm aufzustauen, befüllen Becken, Zwi- um 1704, zeigte Landgraf Karl ver- Leibniz an Wasserkünsten für die Her- schenspeicher und Druckleitungen. schärftes Interesse an neuen Techno- renhäuser Gärten tüfteln. In Kassel ar- Mit überdimensionalen Steckschlüs- logien, die mithilfe einer Dampfpum- beitete der Erfinder Denis Papin an der seln bedienen sie die Mechanik der pe Wasser so hoch wie möglich heben Dampfpumpe. Auffällig oft habe Leib- zahlreichen Schieber, die wie Fall-, sollten. Karsten Gaulke, Leiter des niz sich erkundigt, ob diese Maschine Dreh- oder Schiebetüren in Rohren und Kanälen sitzen, um das Wasser zu stoppen oder freizugeben. Das Riesenkopfbecken etwa, hinter dem der trompetende Zentaur und der Faun ihren Platz haben, muss schon vor dem Start der Wasserspiele gefüllt sein. Sein Inhalt soll sich über die tieferen Kaskaden ergießen. Mitten im Besuchergetümmel setzen dafür zwei Männer die Steckschlüssel an und geben das Wasser frei. Dass der Riesenkopf im Becken kurz zuvor noch eine zwölf Meter hohe Fontäne spuckt, veranlasst ein dritter Kollege im Verborgenen. Sein Einsatzort ist das „Hahnenkämmerchen“ am Rande der Zuschauertreppe. Dort hindurch laufen mehrere Rohre mit Wasser aus versteckten Zwischenspeichern höher am Hang. Im richtigen Moment müssen die Hähne von Hand geöffnet werden. Nichts an der Wasserkunst funktioniert auf Knopfdruck. Sie nutzt allein Wasserdruck und – im Falle der Trompeten – auch Luftdruck. Der Herkules ist Kassels Wahrzeichen. Er blickt hinab auf den Bergpark Wilhelmshöhe mit seinen Kaskaden und künstlichen Wasserfällen – wie den, der unter der Teufelsbrücke (links) hervortost. Foto: Ralf Kröger das Gefälle des Berges, natürlichen magazin aus der mitte mitte •• Soll wie ein Geysir wirken: Die große Fontäne vor Schloss Wilhelmshöhe schießt mehr als 50 Meter in die Höhe. im Bergpark eingesetzt werden solle, hen die Kanäle im unteren Teil des unten am Fontänenteich den Deckel berichtet Gaulke: „Das hatte schon et- Bergparks wie idyllische Bachläufe aus auf dem Fontänenkopf. Er verschließt was von Industriespionage.“ und Reservoirs liegen wie verwun- so das untere Ende eines gusseisernen Doch es kam keine Maschine zum Ein- schene Weiher am Hang. Rohres, das 80 Höhenmeter hinauf satz, als Karls barocke Wasserspiele am zum Fontänenreservoir führt. Am Stundenlange Vorbereitung noch heute werden sie allein mit Re- oberen Ende öffnet der Wassermeister dann einen Schieber und lässt das di- gen, Schnee- und anderem Oberflä- Auch die große Fontäne, die 37 Jahre cke Rohr volllaufen. chenwasser betrieben, das ein Graben- nach Karls Tod erstmals über 50 Meter Kurz vor 15.45 Uhr öffnet dann der system im Hinterland des Herkules in die Höhe schoss und dann tatsäch- Wassermeister die Verschraubung des einsammelt. Das Wasser für die ro- lich die höchste der Welt war, musste Deckels. Einige Meter entfernt nimmt mantischen Wilhelms angepasst er Aufstellung – mit einer langen Kette hingegen aus einem stillgelegten Berg- werden. Er ließ den Fontänenkopf so in der Hand. Ein kräftiger Zug daran baustollen und dem Bächlein Drusel. umgestalten, dass das aufsteigende hebelt den Deckel auf: Der Geysir Wilhelm IX. war es wichtig, dass selbst Wasser wie ein Geysir wirkt. bricht aus dem Teich. Und auch ein funktionale Elemente der Anlage dem Doch das vorgebliche Naturphänomen Ton Natürlichkeits-Ideal Land- bedarf stundenlanger Vorbereitung: Aaaaaaaaaaaaaah! Aber das sind Zu- schaftsgartens genügten. Deshalb se- Zuerst verschraubt ein Wassermeister schauer – keine Fabelwesen. Wasserkünste eines stammt Vorstellungen schwillt wieder an: Die Wasserspiele im Kasseler Bergpark Wilhelmshöhe sind zwischen dem 1. Mai und dem 3. Oktober immer mittwochs, sonn- und feiertags zu erleben. Beginn ist um 14.30 Uhr am Herkules-Monument. Der Eintritt ist frei. Führungen hinter die Kulissen der Wasserkünste gibt es an jedem ersten Sonntag im Monat. Fotos: Andreas Weber (2) 36 1. Juni 1714 eingeweiht wurden. Und & 0561 31680-123, www.museum-kassel.de Gelegentlich werden die Wasserspiele auch bei Dunkelheit in Szene gesetzt: das pseudoantike Aquädukt in effektvoller Beleuchtung. :%.42!, ). $%543#(,!.$ ). +!33%, :5(!53% 7!25- ). $)% &%2.% 3#(7%)&%. .EHMEN 3IE SICH :EIT F¿R SICH ABER NICHT F¿R EINE WEITE !NREISE $AS 3CHLOSSHOTEL "AD 7ILHELMSHHE #ONFERENCE 30! LIEGT EXKLUSIV INMITTEN DES 5.%3#/ 7ELTKULTURERBES "ERGPARK 7ILHELMSHHE IN DIREKTER .ACHBARSCHAFT ZUM 3CHLOSS 7ILHELMSHHE UND DEM (ERKULES -ONUMENT $IE LUXURISE 7ELLNESS UND 30!/ASE MIT 3AUNA LANDSCHAFT 2ASUL (AMAM )NDOORPOOL UND .ATURSCHWIMMTEICH SOWIE DEM HOCHMODERN EINGERICHTETEN &ITNESSBEREICH BIETET DIE PERFEKTE 3YMBIOSE F¿R VOLLKOMMENDE %NTSPANNUNG 'ENIE EN 3IE DEN "LICK AUF +ASSELS 3KYLINE WÇHREND 3IE IN DER 0ANORAMASAUNA RELAXEN UND LASSEN 3IE SICH BEI -ASSAGEN UND "EAUTYANWENDUNGEN MIT HOCH KARÇTIGEN 0RODUKTEN DER ,IGNE 3T "ARTH UND "!"/2 VERWHNEN !B *UNI ERSTRAHLT DAS HOTELEIGENE 2ESTAURANT MIT GROZ¿GIGER 3OMMERTERRASSE IM NEUEN 'LANZ UND EINMALIGEM $ESIGN &REUEN 3IE SICH AUF KULINARISCHE 'ENUSSMOMENTE UND AUSGEWÇHLTE +STLICHKEITEN IN EINEM STILVOLLEN !MBIENTE $AS 4EAM DES 3CHLOSSHOTEL "AD 7ILHELMSHHE #ONFERENCE 30! FREUT SICH AUF )HREN "ESUCHÐ $!9 30! å 3TD INKL "ADEMANTEL UND (ANDT¿CHER $!9 30! å INKL -INUTEN -ASSAGE 7IR BITTEN UM VORHERIGE !NMELDUNG UNTER 3CHLOSSPARK ) +ASSEL ) ) INFO SCHLOSSHOTELKASSELDE ) WWWSCHLOSSHOTELKASSELDE magazin aus der mitte • De F ilip po Ein Job mit besten Aussichten Pa m ela Als Türmer der Homberger Stadtkirche hat Dennis Willershausen den Überblick o: t Fo Von Pamela De Filippo Seit fünf Jahren arbeitet Willershau- tanisch, die Räume winzig. „Man zur kleinen Wohnung im sen in einem nahezu ausgestorbenen kann sich kaum vorstellen, dass einer Kirchturm. Ein steiler Auf- Beruf. Früher hielten Türmer auf den der Türmer elf Kinder gehabt haben stieg über 57 Meter. Doch Kirchtürmen der Städte Wache und soll“, sagt Dennis Willershausen. Dennis Willershausen geht mit flot- warnten vor Gefahren. Heute gibt es Überhaupt hat der 23-Jährige viele tem Tempo voran und ist kein bis- deutschlandweit nur noch wenige unterhaltsame Anekdoten zu erzäh- schen außer Atem. „Alles eine Frage von ihnen – und statt in luftiger Höhe len. Etwa, dass die Tochter eines Tür- des Trainings“, sagt er. Treppenstei- Ausschau nach Feuer und Räubern zu mers ein Leben lang unverheiratet gen gehört für den Türmer der Hom- halten, sind sie inzwischen haupt- blieb, weil niemand freiwillig den berger Stadtkirche St. Marien eben sächlich touristische Attraktionen. mühsamen Aufstieg in Kauf nehmen zum Alltag. wollte. Ein anderer seiner Vorgänger Unterhaltsame Anekdoten sei unter mysteriösen Umständen vom Kirchturm gestürzt. „Man mun- Foto: Uwe Zucchi 38 2 17 Treppenstufen sind es bis Auch der Homberger Türmer schlüpft kelt, seine Frau habe etwas damit zu in erster Linie für auswärtige Besu- tun gehabt.“ Jedenfalls habe man sie cher in sein blau-gelbes Gewand: schon kurze Zeit später mit einem zum Beispiel für spezielle Stadtfüh- anderen Mann gesehen. rungen, die in den Sommermonaten Natürlich hat Willershausen auch in der Hauptstadt des Schwalm-Eder- schon selbst in der Türmerwohnung Kreises angeboten werden. Die Teil- übernachtet. Eine eigenartige, aber nehmer müssen gut zu Fuß sein, be- unvergessliche kommen aber auch Außergewöhnli- sagt. Von hoch oben höre man jedes ches geboten. Sie besuchen unter an- Wort, das auf dem Marktplatz gespro- derem den Läuteboden der vor fast chen werde. Kein Wunder also, dass 700 Jahren erbauten Kirche mit den die Turmwächter in früheren Zeiten fünf Glocken und werden nach ge- stets bestens informiert waren. glücktem Aufstieg mit einem atem- So ungewöhnlich der Beruf des Tür- beraubenden Blick über die Stadt be- mers ist, so naheliegend war er für lohnt. Dennis Willershausen. „Die Liebe zu Ganz oben befindet sich auch die Tür- Kirchen und insbesondere zu Glocken merwohnung, in der die Wächter bis begleitet mich schon mein Leben zum 19. Jahrhundert mit ihren Fami- lang“, sagt der junge Homberger. Sei- lien lebten. Die Einrichtung ist spar- ne Oma habe direkt neben einer Kir- Erfahrung, wie er Foto: Uwe Zucchi • magazin aus der mitte Der im Jahr 1374 errichtete Turm der Stadtkirche St. Marien überragt die Fachwerkaltstadt der Kreisstadt Homberg/Efze. che gewohnt und oft hätten sie ge- Sachen Geläut, Denkmalschutz und meinsam dem Läuten gelauscht. Statik beraten. „Wenn zum Beispiel Schon als Kind besuchte er deshalb im Glockenstuhl baulich etwas verän- gern den damaligen Türmer Fritz dert werden soll, muss viel beachtet Dreytza und bestieg mit ihm den werden“, erklärt er. Zudem könne er Homberger Kirchturm. „Von ihm habe den Zustand der vorhandenen Glo- ich viel über Architekturgeschichte, cken exakt beurteilen. Glockenbau und die Aufgaben eines Seine beiden Jobs ließen sich zum Türmers gelernt.“ Als Dreytza 2008 Glück bestens miteinander vereinba- schwer erkrankte, gab er sein Amt an ren, sagt Dennis Willershausen. Denn Dennis Willershausen ab. Und was als das Amt des Türmers wieder aufzuge- Vertretung geplant war, wurde zur ben käme für den Homberger nie in- Daueraufgabe. frage: „Wer diese Aufgabe einmal übernommen hat, gibt sie auch nicht Zweites Zuhause wieder ab.“ Der Kirchturm ist eben längst sein zweites Zuhause. Natürlich ist der Beruf des Türmers heutzutage nur noch ein Nebenerwerb. Doch auch hauptberuflich dreht Die Homberger Stadtkirche St. Marien sich für den 23-Jährigen alles um Kir- ist eines der bedeutendsten gotischen chenglocken. An der Evangelischen Baudenkmäler in Nordhessen. Turm- Hochschule für Kirchenmusik in Halle führungen werden von April bis Okto- hat er gerade ein Studium zum Glo- ber angeboten. Feste Termine gibt es ckensachverständigen absolviert. „In nicht, die Buchung erfolgt über Knüll- den ich Touristik. Kosten: 30 € für Gruppen schätzungsweise auf 350 Kirchtürmen mit maximal zehn Personen, größere in ganz Deutschland“, erzählt Willers- Gruppen zahlen 40 €. hausen. 05681 939161, vergangenen Nach Jahren einem war zweijährigen Mentorat wird er Kirchenvorstände in www.homberg-efze.de Dem Himmel entgegen Mit dem 75 Meter hohen Turm der Kilianskirche in Korbach kann im Rahmen von Stadtführungen auch einer der höchsten Kirchtürme der Region bestiegen werden (Buchung: Tourist-Info Korbach 05631 53232, www.korbach.de). In Witzenhausen ist der Turm der Liebfrauenkirche (54 Meter hoch) mit voll eingerichteter Türmerstube an Sonn- und Feiertagen um 11.15 Uhr geöffnet; individuelle Führungen können unter 05542 911305 (Wilfried Gerstenberg) gebucht werden. In Bad Hersfeld sind sogar gleich zwei Kirchturmbesteigungen möglich: Führungen auf den Stadtkirchenturm (55 Meter hoch) gibt es an jedem zweiten und vierten Mittwoch im Monat um 15 Uhr; der 26 Meter hohe Katharinenturm der Stiftsruine öffnet immer am ersten Freitag im Monat, ebenfalls um 15 Uhr. Weitere Informationen unter www.badhersfeld-tourismus.de 39 magazin aus der mitte • Wo sich der Boden auftat und Kühe verschluckte Foto: HNA-Archiv Bei einer Wanderung rund um den Hohen Meißner ist viel Überraschendes zu entdecken – über wie unter der Erde Von Joachim F. Tornau I 40 rgendwann sprudeln mir wie von die mir an diesem Morgen die zwei au- selbst die Kalauer ins Hirn. Wenn ßergewöhnlichen Naturschutzgebiete ich morgens hochmotiviert tief in von Frankershausen zeigen möchte: den Wald wandere, so frage ich die Hielöcher und die Kripplöcher. mich, werde ich dann abends hoch- „Das gradig erschöpft sein? Oder doch eher Touch“, sagt sie. Und in der Tat: Vor hat ein bisschen Toskana- tiefenentspannt? Sollte ich mir Ge- uns liegen Hügel, auf denen zwischen danken machen über das heranzie- Felsen schlanke Nadelbäume in den hende Tiefdruckgebiet? Oder besser Himmel ragen, darunter breitet sich über die „höggschde Disziplin“, die Magerrasen aus. Da scheint es wirklich Bundestrainer Jogi Löw einzufordern nicht mehr weit zu sein bis zum schie- pflegt? Hoch, tief. Tief, hoch. So geht fen Turm von Pisa. es immerzu in meinem Kopf. Oh je. Das kommt davon, wenn man sich „Toskana-Touch“ vornimmt, thematisch zu wandern. Und wenn das Motto heißt: Höhen und Doch natürlich täuscht das Italien-Ge- Tiefen. fühl. Es sind keine Säulenzypressen, Ausgesucht habe ich mir dafür den die da wie hineingespießt in der Land- (sic) Hohen Meißner und sein Um- schaft stecken, sondern Wacholder- land. Aber nicht weil es sich in dieser bäume. Und dass die Wiesen nicht in Gegend trefflich bergauf und bergab saftigem Grün stehen, hat nicht die steigen lässt – das ginge ja überall, wo mediterrane Sonne gemacht. Sondern ein Berg herumsteht. Sondern weil eine Schafherde. Deren Vorfahren ha- hier, rund um eine der höchsten Erhe- ben mit ihrem Appetit das besondere bungen Nordhessens, auch im Unter- Landschaftsbild erst entstehen lassen, grund Erstaunlichstes zu entdecken die Nachkommen sorgen nun in staat- ist. lichem Naturschutzauftrag dafür, dass Ich beginne meine Erkundungstour in das auch so bleibt. Frankershausen. In dem Fachwerk- Warum die hübschen Hügel „Löcher“ dörfchen, einem Ortsteil der Gemein- heißen, bleibt aus der Ferne noch ver- de Berkatal, ist die Verwaltung des Na- borgen. Um das zu verstehen, muss turparks Meißner-Kaufunger Wald zu man mitten hinein wandern in die Hause. Und hier lebt Hanna Wall- Karstlandschaft. Und dann tun sich, braun, eine Naturpark-Mitarbeiterin, ganz buchstäblich, wahre Abgründe Das Dreizähnige Knabenkraut ist eine der raren Orchideen, die in der Karstlandschaft bei Frankershausen gedeihen. auf. Nur wenige Hundert Meter bin ich mit meiner Führerin auf dem Lehrpfad durch die Hielöcher gelaufen, da un- Foto: Joachim F. Tornau Foto: Gerhard Schuster • magazin aus der mitte Bizarre Felsen und plötzliche Abgründe: Hanna Wallbraun geleitet Besucher sicher durch das Erdfallgebiet der Hie- und Kripplöcher. terbricht eine kreisrunde Absenkung Dolomit bestehende Gestein im Laufe Gebiet besuchen – und schaudernd in den schmalen Weg. Mehrere Meter der Erdgeschichte vom Wasser ausge- den Schlund blicken, wo sich vor gut misst sie im Durchmesser. Ein recht- waschen wurde, sind nicht nur pitto- einem halben Jahrhundert die Erde schaffenes Elefantenklo. Aber noch vor reske derart auftat, dass sie zwei ausgewach- zwei Jahrzehnten – in geologischen Di- sondern auch Hohlräume unter der sene Kühe verschlang. mensionen betrachtet nicht einmal ein Erdoberfläche. Und die können immer Am 1. Juli 1958, so weiß Hanna Wall- Augenzwinkern – hätte es allenfalls für wieder einbrechen. „Das ist das Ge- braun zu berichten, war der Frankers- den Dachs gereicht, der hier in der fährliche“, sagt meine Führerin und häuser Landwirt Heinrich Schill hier Nähe seine unterirdische Burg angelegt hat sichtlich Spaß daran, mich zu beun- mit seinem Rindergespann zum Grün- hat. „Damals war das Loch so groß wie ruhigen, „dass wir nicht wissen, was futterholen unterwegs. Da brach eines eine Suppenschüssel“, erzählt Hanna unter uns ist.“ An den Kripplöchern der Tiere mit den Füßen ein. Gerade Wallbraun. „Und es wächst immer steht deshalb sogar ein mahnendes noch konnte der Bauer den Wagen aus- noch weiter.“ Schild: „Betreten verboten! Einsturz- spannen, schon versanken die beiden Denn Hielöcher und Kripplöcher sind gefahr!“ Nur in ortskundiger Beglei- Kühe im Boden. Und verschwanden Erdfallgebiete. Weil das aus Gips und tung und im Gänsemarsch darf man das spurlos. Zwei Jahre später spuckte das Felsformationen entstanden, „Kuhloch“, wie es bis heute genannt wird, die Schädelknochen der Tiere wieder aus. Warum auch immer. Eine Geschichte zum Gruseln. Ein Glück, dass Hanna Wallbraun mir zur Entspannung viel freundliche Flora präsentieren Foto: Joachim F. Tornau kann: Golddisteln, Deut- Hier geschah’s: Vor einem halben Jahrhundert verschluckte das„Kuhloch“ zwei ganze Rinder. scher Enzian und Dreizähniges Knabenkraut tüpfeln bunt den Magerrasen, Thymian und Oregano verbreiten Kräuterduft. Und dazwischen flattert gelegentlich ein Schmetterling, den sie 41 als „tagaktiven Nachtfalter“ vorstellt. des Abmarkungsgesetzes v. 3. Juli 1956 Ein dialektisches Wesen offenbar. GVBl. S. 124)“, teilt mir die Tafel mit. Die Dialektik meiner Wanderung treibe Ach so. Dann ist ja alles klar. Oh, hohe ich danach weiter, indem ich Frankers- Kunst der bürgernahen Sprache! hausen mit seinen Tiefen verlasse, um Apropos hoch: Auch wenn ich mich die Höhen des Hohen Meißners zu er- fortan nur mehr bergab bewegen muss, klimmen – und schon nach wenigen wartet noch ein weiterer Höhepunkt Kilometern wieder auf Löcher treffe. auf mich. Genau genommen sogar ein „Teufelslöcher“ heißen sie, sehen aber Höchstpunkt. Schon von Weitem ist zu eher so aus, als habe der Teufel Boccia sehen, wie sich auf dem Meißner-Pla- gespielt und bereits vor langer Zeit das teau vier rot-weiß geringelte Masten in noch lagert Braunkohle unter dem Interesse verloren. Grün bemooste Ba- den Himmel bohren. Es sind Sendean- Meißner. Das kann man zwar nicht se- saltkugeln bedecken den Waldboden lagen des Hessischen Rundfunks, ver- hen, wohl aber: riechen. In der Luft und ziehen sich höher den Hang hin- täut mit mächtigen Drahtseilen. Der liegt ein beißender Geruch. Als hätte es auf, als ich schauen kann. größte der Masten ist 200 Meter hoch. mich aus der grünen Natur heraus und Weiter geht’s. Im weiten Bogen zieht Ein höheres Bauwerk gibt es in ganz hinein in, sagen wir: ein Stahlwerk ver- sich die Route um das Meißner-Massiv Nordhessen nicht. Schade, dass man schlagen. herum, bis eine Abzweigung nach links nicht hinaufsteigen kann. Oder viel- Quell des üblen Odeurs ist ein Ort mit und steil bergauf führt. Mein Schweiß leicht doch nicht so schade: Wer höchst programmatischem Namen: die rinnt, doch nach einer halben Stunde schwindelfrei ist, könnte es dort oben Stinksteinwand. Wo eine steile Fels- habe ich den Gipfel erklommen; ein sicher verlernen. wand nach oben ragt und sich grobes wenig abseits des Weges liegt er, mitten im Wald und ist beeindruckend un- Von 1628 bis 1888 wurde der Carlsstollen in Schwalbenthal für den Kohlebergbau genutzt. Geröll angehäuft hat, brennt unter der Odeur der Unterwelt spektakulär. Ein steinerner Quader, Erde bis zum heutigen Tag ein Kohleflöz. Alle Versuche, den Schwelbrand darauf eine steinerne Säule und jede Auf einem schmalen Pfad neben der zu löschen, scheiterten bislang. Ein Menge Moos: Das ist der Punkt, an dem Landstraße wandere ich von dort wei- Zaun hält mich auf Sicherheitsabstand, ich mich 754 Meter über dem Meer be- ter nach Schwalbenthal, zu einem Aus- denn immer wieder treten hier schwe- finde. sichtspunkt, der weite Blicke ins Meiß- felhaltiger Rauch und giftige Gase aus. Das sonderbare Gipfelgebilde trägt ein- ner-Vorland erlaubt. Und zu den Über- Und im Frühjahr 2001 musste sogar graviert die gerade noch zu entziffern- resten eines einstigen Bergbaudorfes. einmal die Feuerwehr anrücken, weil de Aufschrift „Königl. Preußische Lan- Vor etwas mehr als einem Jahrhundert das Feuer bis zur Oberfläche vorge- des-Triangulation 1880“. Ein kleines fiel es bis auf wenige Häuser einem drungen war. weißes Schild überträgt den kaiserzeit- Erdrutsch zum Opfer. Stolleneingänge Da suche ich lieber das Weite und wan- lichen Bürokratie-Jargon gekonnt in erinnern an den Braunkohleabbau, der dere weiter den Berg hinab, zurück die Gegenwart: Es handele sich um ei- hier rund 300 Jahre lang unter Tage be- nach Frankershausen. Wieder am Aus- nen „Vermessungspunkt (gemäß § 2 trieben worden ist. Und auch heute gangspunkt angekommen, habe ich gute 20 Kilometer in den Beinen. Und wie verhält es sich nun mit höchster Erschöpfung und tiefster Entspannung? Sowohl als auch, beschließe ich. Und fühle mich sehr salomonisch. Der Naturpark Meißner-Kaufunger Wald bietet Führungen zu den Hie- und Kripplöchern sowie viele weitere begleitete Wandertouren an. & 05651 952125, www.naturparkmeisFoto: Uwe Zucchi 42 Foto: Joachim F. Tornau magazin aus der mitte • sner.de/wandertipps Es schwelt und stinkt: Am Hohen Meißner brennt unter der Erde die Braunkohle. Im April 2001 kamen die Flammen sogar ans Tageslicht. t k n e h c s Ge Das neue all-inclusive Urlaubsgefühl. Die Zeiten als das Wünschen noch geholfen hat – wir bringen Sie Ihnen zurück! In der Heimat der Brüder Grimm werden Ihre Urlaubswünsche wahr. Mehr als 100 Hotels und Ferienwohnungen laden Sie zu kostenlosem Freizeitvergnügen ein. Dort erhalten Sie MeineCardPlus - und damit freien Eintritt in über 95 Freizeitattraktionen und kostenlose Fahrten mit den regionalen Bussen und Bahnen. Lassen Sie sich von den vielfältigen Möglichkeiten überraschen, die Ihnen MeineCardPlus täglich bietet: Bergbahnen und Badeparadiese, Tierparks und Besucherbergwerke, Museen und Stadtführungen, Golfvergnügen und Segwaytouren, der Welterbe-Nationalpark Kellerwald-Edersee, die einzigartige Museumslandschaft Kassels, die Willinger Freizeitwelt und vieles mehr. MeineCardPlus – die Vielfalt der GrimmHeimat NordHessen – geschenkt! www.MeineCardPlus.de magazin aus der mitte • Verführung in der Unterführung Zwei Fußgängertunnel wurden zum „Raum für urbane Experimente“ Von Ralf Pasch F roten Tapeten überklebt, an denen Ge- und Stadtplanungsstudenten der Kas- nicht: Über Nacht hatte sich der mälde in Goldrahmen hingen. Am seler Universität erschaffen worden. schmutzig-schwarze Fußboden nächsten Tag aber war die Erscheinung Seit anderthalb Jahren nutzen sie die der Unterführung am Holländi- schon wieder verschwunden. Als sei Fußgängerunterführung am Holländi- schen Platz in Kassel in ein Schach- sie bloß eine Fata Morgana gewesen. schen Platz sowie eine weitere am brettmuster verwandelt. Weiße Säulen Der temporäre Barocksaal, der heute Weinberg als „Raum für urbane Expe- ragten bis unter die Decke, an der far- nur noch auf Fotos zu bewundern ist, rimente“. Das ist nicht immer so ex- benfrohe Fresken prangten. Und die war im Sommer vergangenen Jahres travagant wie bei der Verwandlung der gekachelten Wände waren mit wein- gemeinsam von Design-, Architektur- unterirdischen Passage in einen barocken Saal, zu dem auch eine Festtafel und ein Rockkonzert gehörten. Aber stets überraschend. So ließen die Studierenden am Weinberg etwa ein klassisches Trio des Kasseler Staatsorchesters auftreten. „Orte der Inspiration“ Nachdem Kassel im Zweiten Weltkrieg Fotos: Urbane Experimente e.V. (3) 44 ußgänger trauten ihren Augen zerstört worden war, hatten Stadtplaner ihren Traum von der autogerechten Stadt verwirklicht. Unter vielen der überbreiten Straßen, die die Stadt durchschneiden, wurden Unterfüh- Poetry Slam in der Unterführung am Holländischen Platz in Kassel. Kaum zu glauben: Es ist derselbe Ort wie auf dem Bild oben. • magazin aus der mitte rungen gebaut, die die Fußgänger seum für urbane Kunst“, das inzwi- ab. Offenbar haben die Beamten wie buchstäblich zwingen, in den Unter- schen als Touristenattraktion ver- ihre Kollegen in São Paulo erkannt, grund zu gehen. Das ermöglicht zwar marktet wird. Künstler aus der Millio- dass ein sicheres und schnelleres Passieren nenmetropole kamen nach Kassel, städtische Leben bereichert. Nicht nur einer Kreuzung, doch fragwürdige Ge- unter ihnen der weltweit bekannte die Universität, die etwa den Barock- rüche, diffuses Licht, Schmierereien Zezao, der seine Kunst einst in der Ka- saal als Projekt für die Lehre nutzte, ist und Müll lassen so manchen Passan- nalisation zelebrierte. Seine markan- ein Nutznießer. Auch andere Nach- ten lieber oberirdisch an einer Ampel ten blauen Wassermotive sind heute barn haben etwas davon, etwa wenn ausharren. Vorbei sind die Zeiten, da über den ganzen Erdball verbreitet, Kinder unter Anleitung die Wände in in diesen speziellen Fußgängerzonen Galerien reißen sich um Fotos seiner den Tunneln bemalen oder sich musi- Läden oder gar Cafés betrieben wur- Arbeiten – und Originale zieren nun kalisch austoben dürfen. den. auch die Wände in den beiden Kasseler Der Raum für urbane Experimente ist Die sechs Studierenden, die Ende 2012 Unterführungen. inzwischen ein gemeinnütziger Verein den Raum für urbane Experimente gründeten, haben die ungeliebten Orte die Underground-Kultur das geworden; die damit verbundene Bü- Underground-Kultur wiederentdeckt. Im Kasseler Rathaus rokratie soll freilich die Experimentierfreudigkeit seiner Gründer nicht stießen sie damit auf mehr als offene Medeiros lobt Kassel als „Paradies für trüben. Dieses Jahr sind wieder diver- Ohren: Ihre Idee spornte die Baube- Sprayer“, immerhin gebe es in der se Überraschungen in den Unterfüh- amten regelrecht an. Zunächst näm- Stadt sechs „Halls of Fame“, legale rungen geplant. Künstler verschiede- lich hatten die Studenten nur die Un- Orte, an denen die Straßenkünstler ih- ner Sparten aus der Region sollen ein- terführung am Weinberg für ihr Vor- rer Leidenschaft frönen können. Auch geladen werden. Aber auch sonst kann haben auserkoren. Es war die Stadt- jede Aktion im Raum für urbane Expe- jeder, der sich kreativ betätigen will, verwaltung, die anregte, auch den rimente, egal ob Graffiti oder Hip- ein Experiment im Untergrund wa- Fußgängertunnel am Holländischen Hop-Konzert, ist legal, sagt Medeiros. gen. Platz zu einem solchen Experimen- Alles werde mit den Behörden abge- tierfeld zu machen. Die Studenten- sprochen. Die Gruppe schloss mit der gruppe, die zunächst zweifelte, ob sie Stadt einen Vertrag über die Nutzung sich mit zwei Standorten übernehmen würde, ließ sich überreden. Für die angehende Architektin Tanja Simonovic, die zu den Initiatoren gehört, sind solche ungenutzten Räume „Orte der Inspiration“. Sie und ihre Mitstreiter haben sich vorgenommen, die Unorte in Erlebnisräume zu verwandeln, die Passanten zu einem neuen Blick und zu einer Diskussion über ihre Umgebung zu verführen. Marcel de Medeiros sieht in den Unterführungen eine Art „Museum“ mit ständig wechselnden Exponaten. Der angehende Produktdesigner, der gelegentlich Wände in den Unterführungen mit seinen markanten Graffiti-Grimassen verziert, wurde von einem Projekt in seiner brasilianischen Heimatstadt São Paulo inspiriert. Dort, erzählt Medeiros, waren Künstler bei illegalen Graffiti-Aktionen ertappt und eingesperrt worden. Im Knast entwickelten sie ein Konzept, wie sie legal sprühen könnten. So entstand das „Offene Mu- www.r-u-e.de 45 magazin aus der mitte • Unterirdisch radeln Hessens ältester Eisenbahntunnel, der Carlsbahntunnel an der Diemel, wird für Radfahrer wiedereröffnet Von Joachim F. Tornau E s war wohl eher ein Prestige- Nein, es ging ums Beeindrucken. Um Leben als einer der schönsten Radwe- projekt als Notwendigkeit: Als eine Demonstration des technisch ge in der Region beginnen durfte: Der am 30. März 1848 der erste Ei- Machbaren. Denn damals war die Ei- Carlsbahntunnel verschwand im Un- senbahnzug durch das Kurfür- senbahn das modernste Verkehrsmit- terholz. Wo einst der „Drache“, die tel der Welt. erste Dampflokomotive aus den Kas- stentum Hessen-Kassel rollte, lag auf der Strecke auch ein Tunnel. Mit 202 Metern zwar nicht eben endlos lang, seler Henschel-Werken, gefaucht hat- Fiepende Fledermäuse te, fiepten fortan Fledermäuse. aber doch einer der ersten in DeutschHeute hat sie auf der Carlsbahn aller- der zugänglich. Die mächtigen, reprä- biet des heutigen Hessen. Dabei ist der dings schon lange ausgedient. Am 25. sentativen Sandsteinportale wurden Kesselberg, den der Carlsbahntunnel September 1966 fuhr zwischen Bad saniert. Und in diesem Jahr wird die bei Deisel unterquert, kein unüber- Karlshafen und dem Hofgeismarer Röhre wiedereröffnet – für Radfahrer windbares einmal Stadtteil Hümme der letzte Personen- und Fußgänger. Wer bislang entlang zwölf Meter ragt das Gestein maximal zug. Zwanzig Jahre später legte die der Diemel unterwegs war, musste über die Tunnelröhre hinaus. Und auch Bundesbahn die 16,5 Kilometer lange kurz vor dem Tunnel den ehemaligen einen Bogen um den Hügel herum, so Strecke entlang der Diemel endgültig Bahndamm verlassen und verpasste meinen Experten, hätte man ohne still und baute die Gleise ab. Und auch das spektakulärste Überbleibsel von Weiteres machen können. wenn die Trasse danach ein zweites Nordhessens erster Eisenbahnstrecke. Massiv. Gerade Künftig soll man hier tief in den Berg und die Geschichte eintauchen können. Ganz ohne Umweg wird es jedoch auch dann nicht gehen: Zwar muss nicht mehr der Tunnel umrundet werden. Aber dafür das Naturschutzgebiet, das hinter seinem Südeingang entstanden ist. Wer beim unterirdischen Radeln auf den Geschmack kommt: Neben der ehemaligen Carlsbahn gibt es in der Region noch zwei weitere Bahntrassenradwege, die mit Tunneln aufwarten können. Der Ruhr-Eder-Radweg Foto: Stadtmuseum Kassel 46 Jetzt aber ist das Kulturdenkmal wie- land. Und der allererste auf dem Ge- Wo einst Henschels „Drache“ stampfte, rollen künftig Fahrräder: Der Carlsbahntunnel bei Deisel auf einem Gemälde aus dem Jahr 1935. von Winterberg nach Allendorf passiert bei Bromskirchen den 315 Meter langen Bromskirchener Tunnel. Und der Ederseebahn-Radweg von Korbach nach Edertal-Buhlen führt mit dem Meineringhäuser Tunnel (75 Meter) und dem Sachsenhäuser Tunnel (65 Meter) sogar gleich zwei Mal unter Bergen hindurch. Wahrzeichen der Region. Immer dabei. Fotos: Bad Hersfelder Festspiele (2) Feste Festspiele Festivals Machtspiele in der Stiftsruine M acht und Ohnmacht, Machtmissbrauch und Selbstüberschätzung: Unter dem Motto „Von Menschen und Mächten“ zeigen die Bad Hersfelder Fest- spiele in ihrer 64. Saison Machtspiele der verschiedensten Art. Am 13. Juni beginnt die Spielzeit auf der Freilichtbühne in der, nun ja, mächtigen Stiftsruine mit Schillers „Maria Stuart“. Bis zum 3. August folgen das Musical „Kiss me, Kate“, die „Wanderhure“ nach dem Roman von Iny Lorentz sowie als Familienstück für Kinder ab sechs Jahren „Don Quijote“, die Geschichte des Ritters von der traurigen Gestalt. Auch die Erfolgsinszenierung der vergangenen Spielzeiten, der Klosterkrimi „Der Name der Rose“ nach Umberto Eco, steht noch einmal auf dem Programm. In Schloss Eichhof wird das Songdrama „Sekretärinnen“ von Franz Wittenbrink gezeigt. Als mobile Produktion, die an verschiedenen Orten gezeigt wird, ist „Das Tagebuch der Anne Frank“ zu sehen. An den Wochenenden sind die Vorstellungen besonders schnell ausverkauft. www.bad-hersfelder-festspiele.de Zu Wasser und zu Land D ie Fulda, Nordhessens mächtigster Strom, steht im Mittelpunkt zweier besonderer Volksfeste. Das Heimat- und Strandfest in Rotenburg lockt vom 3. bis 7. Juli ans Flussufer und auf den Festplatz mit Karussells, Flohmarkt, Kinder-Olympiade und Feuerwerk. Dazu gibt es einen Festzug durch die Stadt und einen Bootskorso auf der Fulda. Zu Wasser und zu Lande wird vom 1. bis 4. August auch in Kassel beim „Zissel“ gefeiert. Buden und Fahrgeschäfte werden entlang des Flusses aufgebaut. Wasserskishow, Drachenbootregatta, Fackelschwimmen und ein Festumzug Foto: Uwe Zucchi 48 auf der „Fulle“ mit über 200 geschmückten Booten sind die ZisselHöhepunkte. www.rotenburg.de www.zissel.de Nordhessen feiert. Auf der Teichwiese, in einer alten Ruine, auf einer Flussinsel, in Parks, am Fulda-Ufer, am Fuß einer Burg, in einer Altstadt, im Ballhaus, in der Klosterkirche, im Schlosspark: Viele auffallend schöne Orte in Nordhessen schmücken sich mit Theateraufführungen und Musicals, mit Konzerten von Rock, Pop, Jazz und Klassik, mit Kabarett und Literaturlesungen, mit Jahrmärkten und Volksfesten. Eine kleine Auswahl aus dem großen nordhessischen Kultur- und Festprogramm. • magazin aus der mitte Kultur allerorten S enta Berger, Katja Riemann, Nina Hoger, Dominique Horwitz, Rufus Beck: Viel Film- und Bühnenprominenz beehrt die Region in diesem Sommer – dem Kultursommer Nord- Foto: Uwe Zucchi hessen sei Dank. Traditionell wird das Festival eröffnet mit einem musikalischen Picknick am 9. Juni im Park von Schloss Wilhelmsthal bei Calden. Danach werden bis zum 10. August rund 75 Veranstaltungen an 50 Orten gebo- Perfekte Tage ten: Folk, Jazz und Klassik, Stumm- oodstock liegt einmal im Jahr in Nordhessen: Seit 1968 hält das Burg-Herz- W Nordhessen. Besonderes Highlight: berg-Festival die Hippie-Kultur hoch – mit Auftritten von Rocklegenden Vom 19. bis 21. Juni wird die Blumen- der 70er Jahre, mit Jazz, Blues, Weltmusik und wallenden Gewändern. Unter insel Siebenbergen in der Kasseler dem Motto „Perfect Days“ spielen vom 31. Juli bis 3. August unter anderem Patti Karlsaue zu „Ovids Traum“ – einer be- Smith, Billy Bragg, JJ Grey und die Krautrockband Kraan. gehbaren Traumwelt aus Licht und Eine zwar kürzere, aber trotzdem schon lange Geschichte hat das Open-Flair- Klang, Toncollagen, Tanz und Ge- Festival in Eschwege: Vom 6. bis 10. August geht es zum 30. Mal über die Bühnen schichten auf dem Werdchen, der Werra-Flussinsel am Rande der Fachwerkstadt. Es kom- Ovid. men Madsen, Seeed, La Brass Banda, Die Schröders, Kakkmaddafakka, Feine www.kultursommer-nordhessen.de Sahne Fischfilet und rund 40 weitere Bands. Daneben gibt es noch Kleinkunst in film, Literatur und Theater. Überall in des römischen Dichters 49 einem eigenen Zirkuszelt. www.burgherzberg-festival.de www.open-flair.de Abtauchen in die Unterwelt P latzangst, heißt es, sollte man besser nicht haben. Einmal im Jahr öffnet sich im Schwalmstädter Ortsteil Treysa die Stadt unter der Stadt: Hunderte von mittelalterlichen Kellergewölben, zum Teil sogar mehrgeschossig, liegen unter der Altstadt. Am 24. Mai können einige von ihnen im Rahmen von Führungen des stadtgeschichtlichen Arbeitskreises besichtigt werden. Höhepunkt der Tour in den Untergrund ist ein rund 40 Meter langer Geheimgang unter dem Marktplatz. Anmeldung (unbedingt erforderlich!) und weitere Informationen unter 06691 22504 oder per Mail an [email protected]. Gaumenfreuden H ier isst man Wild- und Möhrenwurst zum frisch gebackenen Brot, genießt braucht anschließend vielleicht einen hausgemachten Obstler: Zum Spezialitätenfestival in Melsungen kommen all jene, die Gaumenfreuden genießen wollen. Und für Kinder gibt es Mitmachaktionen. In diesem Jahr hat das nordhessische Schlemmerparadies am 12. Oktober geöffnet. www.nordhessen-geschmackvoll.com Foto: Kultursommer Wildbret und Fisch aus heimischen Gefilden, kostet Wein von Hessens nörd- lichstem Weinberg, probiert selbst geschöpften Käse von Kuh oder Ziege – und magazin aus der mitte • Das Märchenfest geht weiter D as Grimm-Jahr 2013 ist vorbei, der 200. Geburtstag der von den Brü- dern Grimm gesammelten Kinderund Hausmärchen ist gefeiert. In Nordhessen, der langjährigen Heimat der berühmten Germanisten, aber hat man noch lange nicht genug. Auch in Foto: HNA-Archiv/Lothar Koch diesem Jahr ist dem Schaffen von Jacob und Wilhelm Grimm ein reiches Veranstaltungsprogramm gewidmet. Überall in der Region schlüpfen die Schauspieler Stefan Becker und Carlo Ghirardelli in die Rolle der Märchensammler, plaudern aus dem Leben des Brüderpaars, erzählen Anekdoten – und Märchen natürlich. Das Berliner Konzerte und Kleinkunst unter Zeltplanen W 50 Theater Anu zeigt am Edersee (4. bis 6. September) und im Habichtswald (11. enn andere in den Camping-Urlaub fahren, werden in Nordhessen die Zel- bis 13. September) noch einmal seine te für die Kultur aufgebaut. Seit mittlerweile 28 Jahren steht in Kassel das theatralische Nachtwanderung durch Kulturzelt allsommerlich an der Drahtbrücke und bietet ein prominent besetztes den „Schattenwald“. Und vom 24. Juli Musikprogramm. Diesmal wird vom 11. Juli bis 24. August fast täglich konzer- bis zum 24. August wird der Kasseler tiert; zu Gast sind unter anderem Maceo Parker, Calexico, Judith Holofernes, Al Park Schönfeld zum Schauplatz eines Di Meola und wie immer zum Abschluss die 17 Hippies. Und draußen wartet der Open-Air-Musicals idyllische und größte Biergarten der Stadt unter alten Kastanienbäumen. Grimm’schen Märchen vom Rumpel- In Wolfhagen steigt bereits vom 23. Mai bis 7. Juni das Kulturzelt-Festival auf der stilzchen. Teichwiese. Das Festival wird 20 Jahre alt und feiert sich mit einem üppigen Pro- www.grimm2014.de gramm in gleich zwei Zelten. Mit dabei: die Comedians Rüdiger Hoffmann und www.brueder-grimm-festival.com frei nach dem Carolin Kebekus, der Popsänger Adel Tawil und die Neue-Deutsche-Welle-Ikone im Park (9. bis 27. Juli) zu erleben – von Badesalz über Axel Prahl bis zu Konstantin Wecker. www.kulturzelt-kassel.de www.kulturzelt.de Foto: Uwe Zucchi www.vellmar.de Foto: P. Blåfield Nena. Namhafte Musiker und Kabarettisten sind auch in Vellmar beim Sommer Feiern mit Vergangenheit B eim Lullusfest sagen sich die Bad Hersfelder nicht „Guten Tag!“ Dafür grüßen sie sich mit „Bruder Lolls“. Gemeint ist der Heilige Lullus, der Patron der Stadt, der 769 das Kloster Hersfeld gründete. Ihm ist Deutschlands wohl ältestes Heimatfest gewidmet, bei dem eine Woche lang das Lullus-Feuer auf dem Marktplatz lodert – in diesem Jahr vom 13. bis 20. Oktober. Es ist nicht das einzige nordhessische Fest mit langer Vergangenheit: Auch das Johannisfest in Eschwege (3. bis 7. Juli), den Arolser Kram- und Viehmarkt (7. bis 10. August) oder das nur alle sieben Jahre stattfindende Freischießen in Mengeringhausen (16. bis 21. Juli) gibt es schon seit Jahrhunderten. www.lullusfest.de, www.eschwege.de, www.bad-arolsen.de www.freischiessen-mengeringhausen.de • magazin aus der mitte Zeitreisen ins Mittelalter H istorisch geht es vom 15. bis 17. August in Fritzlar zu: Beim Kaiser- fest erinnern Ritter, Spielleute oder Feuerkünstler an die Bedeutung, die die Domstadt einst als bevorzugter Aufenthaltsort der Könige und Kaiser gehabt hat. An einer Zeitreise ins Mittelalter versucht man sich am 11. und 12. Oktober auch in Korbach: Hessens für ein Wochenende in einen mittelalterlichen Ort. Dann ist hier plötzlich fast jeder im Kostüm, spielt Burgfräulein oder Minnesänger. In der Altstadt: Gaukler, Quacksalber, Kräuterhexen und Marktstände mit Töpfereien und deftigen Speisen. www.kaiserfest-fritzlar.de www.korbacher-hanse.de Alles außer Spielfilmen Foto: HNA-Archiv/Peter Zerhau einzige Hansestadt verwandelt sich Dokumentarfilm- und Videofest, wie mances in der Dokfestlounge aufge- spannend das aktuelle filmerische führt. Mit seinem Fokus auf neue Me- urz- und Langfilme, dokumenta- Schaffen jenseits von Spielfilmen und dien, seiner internationalen Ausrich- risch K künstlerisch-experi- Fernsehserien sein kann. Medienin- tung und der Vielfalt der Formate gilt mentell, von regionalen wie von inter- stallationen werden in der begleiten- das Festival als einzigartig. nationalen Filmemachern: Vom 11. bis den Ausstellung „Monitoring“ prä- 16. November zeigt das 31. Kasseler sentiert und und audiovisuelle Perfor- www.kasselerdokfest.de Viel Wind um Kunst E r ist nie zu sehen, aber immer zu spüren. Er kann völlig still sein, aber auch wild toben. Nüchtern meteorologisch lässt er sich betrachten, aber auch mythologisch deuten. Dem Wind in all seinen Facetten widmet kunstfestivals „Bewegter Wind“: Vom 17. bis 31. August zeigen Künstler an mehreren nordhessischen Orten ihre Auseinandersetzung mit Sturm, steifer Brise und lauen Lüftchen – als Windobjekte, Installationen, Performances und Videos. www.bewegter-wind.de Foto: HNA-Archiv/Maja Yüce sich die siebte Ausgabe des Wind- Einen beeindruckenden Überblick über die Kulturlandschaft in Kassel und Umgebung gibt die Online-Datenbank www.kulturtopografie-kassel.de. Weit über 1500 Künstler aller Sparten, aber auch Initiativen, Veranstaltungsorte, Museen und Festivals sind verzeichnet. 51 magazin aus der mitte • Foto: Uwe Zucchi D as beso n dere museum Wenn Stein und Gips lebendig werden 52 Das Christian Daniel Rauch-Museum in Bad Arolsen zeigt Skulpturen eines der bedeutendsten Bildhauer des Klassizismus Von Verena Joos A ls Christian Daniel Rauch Skulpturen aus der Werkstatt des gro- im Kreise prominenter Zeitgenossen 1777 in Bad Arolsen zur Welt ßen Sohns der Stadt und seiner bild- auf einem Sockel ruht. In Form und kommt, genießt der Marstall hauerischen Weggefährten. Und dar- Präsentation eine idealisierende Dar- gegenüber dem imposanten unter sind auch die Vorarbeiten für das stellung, in der Feinausführung aber Residenzschloss derer von Waldeck monumentale Reiterstandbild Fried- durch und durch realistisch, bis hin zu und Pyrmont fast noch Neubaustatus. richs des Großen, das Rauch, heute als dem müden Lächeln, das die Falten um 1755 ist das elegant geschwungene Ge- einer der bedeutendsten Bildhauer des die Mundwinkel mehr betont denn bäude im Stil des Spätbarock nach Klassizismus gefeiert, für den Berliner mildert. „Man kann sehr damit zufrie- Entwürfen Friedrich Franz Rothweils Prachtboulevard Unter den Linden ge- den seyn“, kommentierte der Dich- vollendet worden. Im Giebelfeld über schaffen hat. terfürst, als er das Porträt 1820 zu Ge- dem Eingang erinnert ein imposantes Original-Gipsmodelle – sie zeigen mi- sicht bekam. Goethe war, wie Daniel Halbrelief mit Pferden daran, dass hier litärische wie geistige Größen der Zeit Christian Rauch, beides: dem antiki- einmal die Wohnstatt der fürstlichen – erzählen von der Detailversessenheit sierenden Schönheitsideal seiner Zeit Equipage war. dieses Bildhauers, vom gnadenlosen verpflichtet. Aber eben auch in hohem Blick auf körperliche Makel, auf Fur- Maße Realist. Doppelkinn und Tränensack chen, die das Leben den Gesichtern eingraviert hat. Tränensäcke – sofern Preußische Prinzessinnen Die Referenz an die Vergangenheit ist es sich um diejenigen der königlichen gleichzeitig eine thematische Überlei- Entourage handelt, nicht um die des Wie das Schaffen des Bildhauers zwi- tung zur neuen Funktion des Gebäu- Königs selbst – werden nicht weggelif- schen diesen beiden Polen oszilliert – des: Das Innere, behutsam den Be- tet. Ein Doppelkinn bleibt ein Doppel- das zeigt das Museum in vielen Facet- dürfnissen moderner Ausstellungsar- kinn, sitze es auf dem Hals eines Feld- ten, Größen und Materialien. Hier chitektur angeschmiegt, beherbergt herrn oder jenem des Dichters Johann tummeln sich anmutige preußische seit 2002 eine reiche Auswahl von Wolfgang von Goethe, dessen Haupt Prinzessinnen aus Bronze oder Gips, • magazin aus der mitte Foto: HNA-Archiv/Dirk Schwarze Foto: Kerstin Göbel finden sich Miniaturen der „Victoria“ Lebzeiten als Lichtgestalt am preußi- schafft einen in dieser Komplexität in blütenweißem Bisquit-Porzellan, schen Hofe verehrt, ist in Rauchs Pla- wohl einmaligen Überblick über die dort blickt der sichtlich den angeneh- stik zur Ikone geworden: eine junge Entwicklung der Skulptur im 19. Jahr- men Dingen des Lebens zugetane In- Frau, mädchenhaft fast noch, die sich hundert. dustrielle der in edler Würde und vollkommener Ge- Selbstzufriedenheit des Selfmademan lassenheit dem Unvermeidlichen er- auf den vergeistigten Gartenkünstler gibt. In der Gewissheit, der Tod sei nur Peter von Lenné. Und immer und ein langer Schlaf, nicht das Ende. In überall glaubt man, durch das tote Ma- diesem Werk ist Rauch, damals ebenso terial den lebendigen Menschen zu alt wie sein verstorbenes Modell, eine spüren. selten August Borsig mit großartige Verbindung von 53 Klassizismus und dem Geist des Chri- Wunder in Gips stentums gelungen. Man verharrt lange vor diesem Wunder in Gips. Es ist Selbst (oder gerade) da, wo dieser der Höhepunkt der Sammlung. Mensch zum Zeitpunkt seiner künst- Bevor man von Luise Abschied nimmt, lerischen Ausgestaltung schon dahin- sollte man sich Zeit für den Film gön- geschieden ist: 1810 erhielt Rauch, der nen, der über den langwierigen bild- nach seiner Ausbildung an der Kasse- hauerischen Prozess zwischen Ent- ler Akademie nach Berlin gezogen und wurf, Modell und Endprodukt infor- dort erst Gehilfe, dann Konkurrent des miert. Und natürlich lohnt der Blick Hof-Bildhauers Gottfried auf Werke berühmter Zeitgenossen Schadow geworden war, den Auftrag, wie Bosio, David d’Angers, Schadow, die Statue der im Alter von 34 Jahren Friedrich Tieck oder Ludwig Wich- gestorbenen Königin Luise für das mann. Das Museum bietet mehr als Mausoleum in Charlottenburg zu ge- eine „Personality Show“: Es ver- Johann stalten. Ihr Gemahl, Friedrich Wilhelm III., hatte genaue Vorstellungen von scheint die Erwartungen des Monar- Christian Daniel Rauch-Museum chen noch übertroffen zu haben; er berichtet, dass diesen beim Anblick der Skulptur „im Nu die Tränen zwangen, davon zu gehen“. Der Original-Gipsabdruck lässt den Schmerz des Hinterbliebenen mühelos nachvollziehen. Luise, schon zu Marstall, Schlossstraße 30, Bad Arolsen Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag 14–17 Uhr, Sonntag 11–17 Uhr und nach Vereinbarung. Eintritt: 3 €, ermäßigt 2 € Informationen und Führungen: & 05691 625734 www.museum-bad-arolsen.de/rauch_museum.php Foto: Uwe Zucchi der zu erzielenden Wirkung. Rauch Foto: Fotolia magazin aus der mitte • Schloss Wilhelmshöhe Alte und neue Meister Nordhessen ist reich an bemerkenswerten Museen, die sich der Kunst widmen – auf verschiedenste Weise 54 Dürer und documenta Die älteste Malerkolonie Als Künstler an der Front Für Kunstfreunde sind die Sammlun- Im Jahre 1830 entstand in dem Dörf- Theodor gen der Museumslandschaft Hessen- chen Willingshausen Europas erste Kriegsberichterstatter schon vor Er- Kassel ein Muss: In Schloss Wilhelms- Künstlerkolonie. Bis ins 20. Jahrhun- findung der Fotografie. Noch im Er- höhe lockt die Gemäldegalerie Alte dert hinein kamen immer wieder Ma- sten Weltkrieg ging er als Maler an die Meister mit Werken unter anderem ler aus den Metropolen, um in der Front, um die Kämpfe auf zumeist von Rubens, Rembrandt, Tizian und ländlichen Schwalm auf Motivsuche zu großformatigen Dürer. Die Neue Galerie, unterge- gehen. An die von Gerhardt von Reu- Gemälden festzuhalten. Das Stadtmu- bracht in einem imposanten Neo-Re- tern und Ludwig Emil Grimm – dem seum Hofgeismar besitzt rund 650 sei- naissancebau oberhalb der Karlsaue, jüngeren Bruder der berühmten Ger- ner Arbeiten. Und wer für Schlachten- zeigt Kunst vom 19. Jahrhundert bis manisten und Märchensammler – be- malerei nicht so viel übrig hat: Ro- heute – darunter auch Werke bedeu- gründete Vereinigung erinnert das choll, Initiator des nordhessischen tender documenta-Künstler wie Jose- Malerstübchen Naturschutzgebiets Urwald Sababurg, ph Beuys, Gerhard Richter und Per angrenzender Kunsthalle. hat auch etliche Pferde- und Land- Kirkeby. & 06697 1418, schaftsbilder geschaffen. & 0561 31680, www.malerkolonie.de & 05671 4791, Willingshausen mit www.museum-kassel.de Rocholl (1854–1933) war impressionistischen www.museum-hofgeismar.de Kirchliche Kunst Der den Dichter malte Bauhaus-Design Sein Gemälde des Dichterfürsten Jo- Die nordhessische Firma Thonet hat Sakrale Kunst vom Mittelalter bis in hann Wolfgang von Goethe in der ita- Designgeschichte geschrieben. Ihre die Gegenwart ist im Museum und lienischen Campagna kennt fast jeder. freischwingenden Domschatz des romanischen St. Petri Dass Johann Heinrich Wilhelm Tisch- wurden unter anderem von den Bau- Doms in Fritzlar zu sehen. Bedeutend- bein aus Nordhessen stammt, ist da- hauskünstlern Mies van der Rohe und stes Stück der Sammlung ist das soge- gegen nicht eben Allgemeingut. Wer Le Corbusier entworfen; Marilyn Mon- nannte König-Heinrich-Kreuz Stahlrohrstühle aus diese Wissenslücke schließen möchte, roe und Pablo Picasso haben auf Tho- dem 11. Jahrhundert: Das mit fast 350 besichtigt am besten das Gebäude, in net-Klassikern aus gebogenem Holz Edelsteinen verzierte dem der Meister des Klassizismus am posiert. Ein Museum am Firmensitz in Kreuz trägt in der Mitte einen Holz- 15. Februar 1751 geboren wurde. Das Frankenberg erzählt die Geschichte span, der einst zum Kreuz Jesu Christi kleine Fachwerkhaus steht an der Au- des Familienunternehmens. gehört haben soll. ßenmauer des ehemaligen Zisterzi- & 06451 508-0, & 05622 9999-0 enserklosters in Haina. www.thonet.de/kontakt/museum.html www.katholische-kirche-fritzlar.de & 06456 929743, www.haina.de und Perlen Mehr Tipps unter www.nordhessen.de/de/museen und www.museen-in-hessen.de 1959 1945 1974 2000 2014 .de Das starke Medienhaus der Region. www.HNA.de magazin aus der mitte • Vergraben für die Ewigkeit Fotos: Uwe Zucchi (3) Die größte Untertagedeponie der Welt: Das stillgelegte Salzbergwerk in Herfa-Neurode schluckt alljährlich 40.000 Tonnen Giftmüll Von Joachim F. Tornau 56 A uf den ersten Blick sieht es so stände des Fortschritts gibt es in Kunststoffsäcke an ihren Lagerort. Vor aus, als hätte jemand einen Deutschland. Doch nirgends auf der 111 Jahren – im Jahr 1903 – begann der Stadtplan Welt liegt mehr Giftmüll begraben als Kali- und Salzbergbau an der Werra. von Mannheim hier. Heute ist das Revier, das sich beider- stiften ausgemalt. Grelles Grün, Oran- „Wir haben Kunden aus ganz Europa“, seits ge oder Gelb füllt das Schachbrettmu- sagt UTD-Chef Schaub. „Aber auch Grenze erstreckt, das größte Kaliab- ster. Doch was sich da in exakten darüber hinaus – Israel ist das weite- baugebiet der Welt. Noch für rund 40 rechten Winkeln auf der Karte aus- ste, was mir spontan einfällt.“ Dann Jahre sollen die Ressourcen reichen. breitet, sind keine Straßen und Häu- steigt er in den Förderkorb, mit dem Aus der Erde geholt werden die Bo- serblöcke, sondern Gänge und Pfeiler im Laufe der Jahre schon mehr als drei denschätze vom Kasseler Unterneh- – rund 700 Meter unter der Erde, im Millionen Tonnen Abfälle den Berg- Kali-Revier an der Werra. Und die Far- werksschacht hinabgereist sind: Fil- ben stehen für Giftmüll. terstäube aus Verbrennungsanlagen, Olaf Schaub ist der Herr dieses Plans. cyanid- und quecksilberhaltige Che- Der 45-Jährige leitet die Untertagede- miealtlasten, mit Dioxin oder PCB be- ponie (UTD) in Herfa-Neurode: Seit lastete Böden. Zum Beispiel. oder Manhattan mit Bunt- der hessisch-thüringischen mehr als 40 Jahren werden hier, in einem stillgelegten Salzbergwerk bei 260 Euro pro Tonne Heringen, hochtoxische Abfälle in der Erde versenkt. Jetzt steht der Berg- Klappernd rast der Aufzug in die Tiefe. bauingenieur vor der bunten Skizze Nach einer Minute zugiger Fahrt ent- seines unterirdischen Reichs und er- lässt er Schaub und seine Begleiter klärt. Das Orange etwa, das Gang um mitten im Salz. Es ist eine andere Welt. Gang bedeckt, bedeutet: Arsen. Allein Grau, schummrig und scheinbar un- davon lagert mittlerweile so viel in den endlich weit entfernt von dem heißen Tiefen unter der grünen nordhessi- Sommertag 700 Meter weiter oben. schen Hügellandschaft, dass sich die Auf den breiten Straßen mit ihren gesamte Menschheit damit ausrotten niedrigen Decken, die der Kali-Abbau ließe. Fünf solcher unterirdischer Auf- hinterlassen hat, flitzen Lastwagen nahmelager für die gefährlichen Rück- hin und her und bringen Fässer und Sieht nicht nur giftig aus: Probenfläschchen mit Dioxin. • magazin aus der mitte men K+S, das auch den giftigen Müll in die Tiefe hinabbringt. Wobei die Untertagedeponie ein vergleichsweise bescheidenes Geschäft ist: Zum Gesamtumsatz des DAX-notierten Konzerns trägt die Entsorgungssparte gerade einmal rund 1,5 Prozent bei. Unter Tage passieren die Tieflader auf ihrer Berg- und Talfahrt durch den Salzflöz immer wieder akkurate Ziegelmauern: Hinter jeder von ihnen verbirgt sich tonnenweise Giftmüll, eingemauert bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Und jedes Jahr kommen bis zu 40.000 Tonnen hinzu, für 260 Euro pro Tonne, die K+S seinen Kunden in Rechnung stellt. Zwei Deponiefelder sind bereits nahezu voll, ein drittes wurde eröffnet. Und auch das wird nicht das letzte sein – der Der Förderturm in Herfa-Neurode bringt keine Rohstoffe mehr nach oben – sondern gefährliche Rückstände unserer Zivilisation in den Untergrund. Stauraum unter Tage reicht noch für Jahrzehnte. Am 16. Juni 1993 kamen sie unter Po- dischen Welt und gefeit vor jeglichen In der Luft liegt ein leichter chemi- lizeischutz in Herfa-Neurode an. Das Wassereinbrüchen. Selbst die Gefahr scher aber, Datum ist auf einer kleinen Glasfla- von Erdbeben oder Meteoritenein- heißt es, sei nicht, was da die Nase sche mit einer Probe des grell rosafar- schlägen sei für den sogenannten kitzelt. „Wir messen nichts.“ Und benen Pulvers exakt vermerkt. Langzeitsicherheitsnachweis geprüft gemessen, geprüft, analysiert wird Von jedem Gift, das die Deponie ge- worden, sagt Schaub. „Wir können nicht eben wenig. Von jeder Liefe- schluckt hat, gibt es solche Proben. In sicher sein, dass die Schutzfunktion rung werden Proben genommen und eigenen Räumen unter Tage füllen sie des Salzgesteins erhalten bleibt – so untersucht. Denn die Regeln für die Regal um Regal: 70.000 Fläschchen wie sie sich seit 250 Millionen Jahren Annahme sind streng: Weder radio- für jedes volle Deponiefeld. Ein Ar- nicht verändert hat.“ Mit der Asse, aktiv noch explosiv, biologisch ab- chiv zum Gruseln, das von vielen jenem skandalumwitterten ehemali- baubar, infektiös oder flüssig, ja nicht Sünden erzählt. Von der Umweltzer- gen Salzbergwerk in Niedersachsen, einmal Geruch. Nachweisbar darf störung in der DDR, im Chemiekom- in dem trotz Undichtigkeit Atommüll sein, was hier unter die Erde kommt. „geruchsbelästigend“ binat Bitterfeld. Oder vom Skandal eingelagert wurde, sei das nicht zu Und niemand soll schummeln kön- um das dioxinverseuchte „Kieselrot“, vergleichen. nen. „Unser Sicherheits- und Kon- das jahrzehntelang als Belag von trollsystem ist so ausgefeilt, Sportplätzen diente. dass noch nie jemand versucht hat, uns Ist Herfa-Neurode der giftigste Ort Für die Öffentlichkeit ist die weltgröß- was unterzuschieben“, sagt Deponie- der Welt? Davon will der Bergbauin- te Untertagedeponie in Herfa-Neuro- leiter Schaub. genieur lieber nicht sprechen. „Man de nicht zugänglich. Dafür kann aber muss froh sein“, findet er, „dass es ganz in der Nähe ein anderer Superla- einen solchen Ort gibt, an dem man tiv bestaunt werden, für den der Kali- die Abfälle, die nun einmal anfallen, bergbau gesorgt hat: Der strahlend Vormals verschobene Abfälle aber einlagern kann – konzentriert, schad- weiße „Monte Kali“ oder „Kaliman- haben in Nordhessen sehr wohl ihre los und sicher.“ Über der 300 Meter dscharo“ bei Heringen ist Deutsch- letzte Ruhestätte gefunden: Pestizide dicken, gasdichten Salzschicht liegen lands größter künstlicher Salzberg. Bei etwa, die illegal von Deutschland hundert Meter wasserdichter Ton. geführten Touren kann die 200 Meter nach Rumänien gebracht worden wa- Zusammen mit künstlichen Barrieren aufragende Halde bestiegen werden. ren und nur dank einer hartnäckigen soll das garantieren, dass der eingela- Greenpeace-Kampagne von der Bun- gerte Müll für alle Zeiten unter sich 06624 5127, desrepublik bleibt. Streng isoliert von der oberir- www.kalimuseum.heringen.de Archiv zum Gruseln zurückgeholt wurden. 57 magazin aus der mitte • Einkaufen und Nachbarn treffen In Gertenbach, dem am tiefsten gelegenen Ort Nordhessens, kämpften die Bewohner erfolgreich für einen neuen Dorfladen Von Gabriele Sümer Foto: Gabriele Sümer Umsatzgründen investieren sie lieber in große Filialen in der Stadt oder auf der grünen Wiese. Gleichzeitig kauft die mobiler gewordene Bevölkerung nicht unbedingt am Wohnort ein und wählt vermehrt nach Preis aus. Die Folge: In ländlichen Kommunen findet Nahversorgung kaum noch statt. Auch die 940 Bewohner Gertenbachs mussten vier Jahre lang ohne auskommen – gerade für die vielen Älteren ein Problem. Soziales Projekt Zu denen, die sich damit nicht abfinden mochten, gehörte Christian Neckel. Der Immobilienmakler war aus Hamburg nach Gertenbach gezogen Tante-Emma-Laden reloaded: Christian Neckel und Francine Beilschmidt haben dazu beigetragen, das geschlossene Lebensmittelgeschäft wiederzubeleben. und fand: Ein Dorf braucht einen Laden. Er und eine Handvoll Mitstreiter gründeten den Verein „Dorfladen für E Gertenbach“ und feilten an einem in Donnerstag um 11 Uhr, drau- schmidt spricht die meisten Kunden Konzept, um das verwaiste Ladenlokal ßen Wetter. mit Namen an, ist mit vielen per Du. In im Ort wieder mit Leben zu füllen. Nicht gerade Haupteinkaufs- den Regalen liegen Lebensmittel und „Wir wollten eine langfristige Lösung, ungemütliches zeit. Doch im Dorfladen in Ger- andere Dinge des täglichen Bedarfs, mit einem professionell und wirt- tenbach steht die Eingangstür nicht regionale sowie, mit einem Sorti- schaftlich geführten Geschäft“, er- still. „Zehn Minuten Ruhe, das kommt mentsanteil von gut einem Drittel, klärt er. so gut wie nie vor“, sagt Filialleiterin ungewöhnlich Bio-Produkte. In der Planungsphase gab es Unter- Francine Beilschmidt. Mit dem von ihr Rund 2.000 Artikel sind es insgesamt, stützung vom Landkreis und eine gemanagten „Lädchen für alles“ hat die auf Wunsch auch nach Hause gelie- 30.000-Euro-Förderung aus dem Mo- Gertenbach, ein Stadtteil von Witzen- fert werden. Und dank einer Koopera- dellvorhaben hausen und mit 130 Metern Meereshö- tion mit der VR-Bank kann sogar Geld kunft“. Anfangs waren manche im Ort he die tiefstgelegene Ortschaft in abgehoben werden. skeptisch. Bürgerversammlungen und Nordhessen, seit Herbst 2010 wieder Andernorts ziehen sich Lebensmittel- eine Haushaltsbefragung jedoch zeig- eine märkte aus der Fläche zurück. Aus ten, dass die Mehrheit hinter der Idee Einkaufsmöglichkeit. Beil- viele „Region schafft Zu- Fotos: Joachim F. Tornau (2) • magazin aus der mitte Der Witzenhäuser Stadtteil Gertenbach liegt 130 Meter über dem Meer. Etwas außerhalb geht es sogar noch einen Meter weiter bergab: Nordhessens tiefster Punkt findet sich nahe der hessischen Landesgrenze am Ufer der Werra. stand. Dann ging alles schnell: Mit noch mehr im Sinn als die Verbesse- Kein Wunder also, dass Nachahmer aus dem Verein Aufwind, der in der Region rung der Nahversorgung. Sie wollten anderen Kommunen sich Tipps beim Hilfsangebote für behinderte und see- einen Ort des Austauschs und der Be- Dorfladenverein holen. Aber auch in lisch erkrankte Menschen unterhält, gegnung schaffen, der im Dorf fehlte. Gertenbach ist die Arbeit nicht vorbei, wurde der perfekte Betreiber gefun- Hierzu wurde an den Laden ein kleiner wie Vorsitzender Neckel betont. Im- den, wie Neckel betont. „So konnten Wintergarten angebaut, in dem wäh- mer wieder wirbt er dafür, das neue wir, quasi als Sahnehaube, den Laden rend der Öffnungszeiten nun Getränke Angebot auch zu nutzen. „Die Leute als soziales Projekt aufziehen.“ Das und Gebäck serviert werden. „Das sind sich sonst schnell zu sicher, dass Lädchen ist ein integrativer Betrieb, Café sollte der soziale Treffpunkt sein. der Laden läuft, und kaufen vielleicht fünf der neun Beschäftigten sind Men- Dann haben wir gemerkt: Der Laden wieder woanders ein.“ schen Aufwind ist der Treffpunkt“, sagt Christian schuf nicht nur Arbeitsplätze, sondern Neckel und erzählt von einer über investierte kräftig in den Ausbau der 80-Jährigen, die jahrelang ihr Haus Räumlichkeiten. Hauptlieferant wurde kaum verließ und nun täglich den La- der Lebensmittelhändler tegut. Das den besucht. Die Stimmung im ganzen Unternehmen startete damals eine Dorf habe sich verbessert, findet er. Offensive, um gemeinsam mit lokalen Filialleiterin Partnern Einkaufsangebote in ländli- „Die Älteren, aber nicht nur die, kom- chen Gemeinden zu schaffen. „Das men zum Schnuddeln vorbei. Manche war ein weiterer wichtiger Baustein, es zweimal am Tag.“ mit Behinderung. Beilschmidt bestätigt: passte einfach“, meint Neckel. Und so bekam Gertenbach eines der ersten Persönliche Atmosphäre „Lädchen für alles“. Inzwischen sind 24 dieser tegut-Kooperationen ent- Es sei der besondere Charakter des standen, neun davon in Nordhessen, Lädchens, der die Menschen anspre- zum Beispiel in Gieselwerder, Körle, che, sagt Neckel. „Den Leuten gefällt Löhlbach und der Bad Hersfelder Eich- die Kleinheit und die persönliche At- hofsiedlung. mosphäre, wie sie früher die Tante- Der Gertenbacher Standort ist mit 94 Emma-Läden hatten.“ Marktbeob- Quadratmetern der kleinste – wenn achter wollen bereits eine Trendwende auch sicher nicht der mit dem gering- erkannt haben. Kleine und wohnort- sten Umsatz: Der Laden brummt. 150 nahe Lebensmittelgeschäfte würden bis 200 Käufer kommen am Tag, auch wieder an Bedeutung gewinnen, heißt aus Die es in einer Studie des Beratungsunter- Schüler der nahen Grundschule zählen nehmens KPMG. Der persönliche Kon- zu den jüngsten Stammkunden. Von takt zwischen Käufer und Verkäufer Anfang an hatten die Initiatoren aber spiele dabei eine entscheidende Rolle. umliegenden Gemeinden. Nordhessische Dorfidylle: der Gertenbacher Maibaum 59 magazin aus der mitte • M ade in N ordhessen Das Fenster als Heizung Das junge Unternehmen Energy Glas aus Wolfhagen punktet mit Innovationen beim Energiesparen – und steht exemplarisch für den wirtschaftlichen Höhenflug der Region Von Ralf Pasch essisch Sibirien? Struktur- mehr nach oben treibt. Sondern nach eintreffen, könnten bis 2020 in der schwach? Das war einmal. unten. Nordhessen ist im Aufwind. Region etwa 20.000 Arbeitsplätze in Nordhessen, das einstige Eine besondere Rolle spielen dabei dieser Branche entstanden sein. Sorgenkind der Wirt- erneuerbare Nirgends Alternativen zu herkömmlichen En- schaftspolitik, hat sich zur Boomregi- sonst ist die Dichte an Unternehmen ergiequellen zu suchen ist das eine. on entwickelt. Staunend blickt man und Forschungsinstituten, die sich Das andere sind Technologien, die im Rhein-Main-Gebiet auf die nord- mit der Realisierung der Energiewen- beim Energiesparen helfen. Das auf- hessische Arbeitslosenquote, die den de beschäftigen, so groß wie hier. strebende Unternehmen Energy Glas Landesdurchschnitt Wenn aus Wolfhagen verbindet in einem längst nicht Energien: optimistische Voraussagen seiner Produkte beides: Ein selbst entwickeltes Fassadenelement besteht aus einem Isolierglasfenster und einem Modul, das Sonnenenergie in Wärme umwandelt. Hessischer Gründerpreis Hans Franke, Senior-Chef von Energy Glas und einer von vier Geschäftsführern, hat sein ganzes bisheriges Berufsleben mit Glas gelebt und das Material in dieser Zeit „lieben gelernt“, wie er schwärmt. Der Kaufmann und Industriefachwirt war fast 30 Jahre lang bei einem Unternehmen der Branche angestellt. Im August Fotos: Uwe Zucchi (3) 60 H Kreative Ideen: Senior-Chef Hans Franke 2007 wurde ihm, seinem Sohn Kai und Elmar Dohmann, einem weiteren Mitarbeiter, gekündigt. Der Grund: Ihre Ideen ließen sich in dem Betrieb nicht verwirklichen. Schon einen Monat später legte Franke mit seinen • magazin aus der mitte beiden Partnern und seinem zweiten Sohn Mirco der Kasseler Sparkasse ein Konzept für ein eigenes Unternehmen vor. Sie wollten Isolierglas herstellen und vertreiben. Und zur Überraschung der Banker konnte Franke verkünden, dass die erste Jahresproduktion bereits verkauft sei: 13 Interessenten hatten schriftlich ihr Wort gegeben, dass sie ihm Glas abkaufen würden. „Heute“, freut er sich, „sind wir der größte Isolierglashersteller in Hessen.“ Das gemeinsame Unternehmen sei „auf der am besten bewachten Baustelle der Welt“ entstanden, erinnert sich Franke. Denn als Standort hatte sich das Quartett die Pommernkaserne im Wolfhager Stadtteil Gasterfeld auserkoren, die die Bundeswehr von 2006 an räumte. Erst ein Jahr nach dem Einzug der jungen Firma zogen die letzten Soldaten ab. Am 1. April 2008 wurde die erste Isolierglasscheibe produziert. Mit 23 Beschäftigten ging es damals 61 los, inzwischen sind es über 90. Und Franke kündigt an, dass es demnächst 110 werden könnten. Vor zwei Jahren die verdoppelte. wird. Sie fängt die UV-Strahlen der bekam das Unternehmen den Hessi- Seitdem können extrem dünne Iso- Produktionsfläche Sonne ein, wandelt sie in Wärme um schen Gründerpreis in der Kategorie lierglasscheiben produziert werden. In und leitet sie in einen Wärmetauscher „Geschaffene Arbeitsplätze“. Nord- der angebauten Halle steht ein spezi- im Haus weiter. So steht auf Abruf hessens Boom, hier ist er mit Händen eller Ofen für Einscheiben-Sicher- warmes Wasser für die Dusche oder die zu greifen. heitsglas, das im Vergleich zu her- Heizung zur Verfügung. „Ein solches Als einige der geräumten Bundeswehr- kömmlichem deutlich Modul ist an der Fassade viel leichter Immobilien in ein Berufsschulzentrum leichter ist. Statt 30 Kilogramm pro zu installieren als auf dem Dach“, ver- verwandelt wurden, bekam Energy Quadratmeter – dem Standard bei spricht Franke. Vier Patente hält das Glas den Auftrag, das geplante Solar- Dreifach-Isolierglas – bringt es nur 20 Unternehmen darauf. dach zu konstruieren und auszustat- Kilo auf die Waage. Mit vielen Ideen Außer auf die eigene Kreativität setzt ten. Die Photovoltaikanlage mit einer aus dem eigenen Hause ist die neue Energy Glas auf die regionale Vernet- Fläche von rund 5.000 Quadratmetern Technologie entwickelt worden. zung. Schon als es um die Frage des Isolierglas war das erste Großprojekt des Unternehmens. Es lieferte und installierte transparente Solarmodule, die Standorts ging, schlugen Franke und Regionale Vernetzung das seine Partner das deutlich günstigere Angebot aus Thüringen und die in Aus- Sonnenlicht nicht nur einfangen, son- Genauso wie das mit einem Solarther- sicht gestellten Zuschüsse aus. Geld dern auch in die Räume fluten lassen. miemodul kombinierte Isolierglasfen- leiht Franke sich statt bei Großbanken Das Konzept für eine kostensparende ster. „Es spart nicht nur Energie, son- lieber bei Instituten der Region. Und Dachkonstruktion kam ebenfalls von dern produziert auch noch selbst wel- Energy Glas ist auch einer der Liefe- Energy Glas. Die Solaranlage gehört che“, freut sich Franke, als er vor ei- ranten für das „Nordhessen-Fenster“, heute zu den größten in Hessen. nem Demonstrationsmodell steht. Auf ein energiesparendes Bauteil, das drei Das Unternehmen entwickelte sich so den ersten Blick wirkt es wie ein ganz Unternehmen aus der Gegend um Kas- gut, dass im vergangenen Jahr eine normales sel gemeinsam herstellen. neue Halle mit 5.000 Quadratmetern Hinschauen entdeckt man eine Me- gebaut werden musste, mit der sich tallplatine, durch die Glykol geführt Fenster, bei genauerem www.energy-glas.com o: Fo t Rätselhaft Joa ch i m F. Tornau Impressum Wie hoch ist dieser Turm? Wenn Sie die Lösung kennen – die aufmerksame Lektüre dieses Hefts könnte dabei helfen –, dann schicken Sie Ihre Antwort per E-Mail an [email protected] oder per Postkarte an die Redaktion Magazin aus der Mitte, FriedrichEbert-Straße 66, 34119 Kassel. Einsendeschluss ist der 15. Oktober 2014. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Ihre Daten werden selbstverständlich weder gespeichert noch an Dritte weitergegeben! Unter den richtigen Einsendungen werden verlost: 62 1. Preis: Dreitägiger Urlaub „à la carte“ in der Erlebnisregion Edersee: Entscheiden Sie sich selbst für eines der komfortablen Hotels an Nordhessens 100-jährigem Stausee – für das Plus-Natur Waldhotel Wiesemann, das BIO Hotel Garni & Suite-Hotel Belvedere oder das Hotel Seeschlösschen. Erkunden Sie den Nationalpark Kellerwald-Edersee mit seinen urigen Wander- und Bikerrouten und seinem zum UNESCOWeltnaturerbe erklärten Buchenurwald. Ihr Gewinn beinhaltet zwei Übernachtungen für zwei Personen im Doppelzimmer, inklusive Frühstück. Dazu gibt es die Gästekarte „MeineCard Plus“ mit freiem Eintritt in Thermalbäder und rund 80 weiteren Freizeiteinrichtungen der Region. www.edersee-urlaub.info 2. bis 4. Preis: Je ein Gutschein „Schöne Stunden zu zweit“ für einen Besuch in der Kurhessentherme in Kassel-Bad Wilhelmshöhe. Der Gutschein gilt für zwei Tageskarten für Sauna- und Badewelt. Außerdem sind zwei Gläser Pro- Herausgeber Regionalmanagement Nordhessen GmbH Ständeplatz 13, 34117 Kassel 0561 9706200 [email protected] www.regionnordhessen.de Redaktion Joachim F. Tornau (Leitung), Anne Riedel, Reinhold Weber Friedrich-Ebert-Straße 66, 34119 Kassel 0561 7034213 [email protected] Autoren und Mitarbeiter dieser Ausgabe Paavo Blåfield, Peter Bräutigam, Bernhard Dingwerth, Pamela De Filippo, Burkhard Fincke, Kerstin Göbel, Michael Grün, Dr. Frank Hermenau, Verena Joos, Tobias Kill, Franz Kröger, Stefan Krull, Ralf Pasch, Juliane Sattler, Katja Schmidt, Gerhard Schuster, Volker Siesenop, Anne-Kathrin Stöber, Gabriele Sümer, Andreas Weber, Stefan Wendling, Paul Würthner, Uwe Zucchi Titelfoto Gerhard Schuster (Schloss Rothestein bei Bad Sooden-Allendorf) Gestaltung Thorsten Messing, Klaus Gehring Anzeigen Verlag Dierichs GmbH & Co. KG Frankfurter Str. 168, 34121 Kassel Andrea Schaller-Öller Ute Fehr 0561 203-1248 [email protected] Druck Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG, Kassel Ausgabe: Sommer 2014 Druckauflage: 30.000 secco oder Orangensaft inklusive. www.kurhessentherme.de 5. Preis: Großer Präsentkorb aus der GrimmHeimat Nordhessen – mit Ahler Wurscht, Apfelschaumwein und vielen anderen Leckereien. www.grimmheimat-shop.de Herausgeber und Redaktion haften nicht für Druck- und Satzfehler, nicht für verspätete Auslieferung durch die Druckerei und nicht für unverlangt eingesandte Bilder und Manuskripte. Termin- und Adressangaben sind ohne Gewähr. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion erlaubt. » Nachhaltigkeit « Unsere Perspektive für eine sichere Zukunft B. Braun versorgt den Gesundheitsmarkt mit Produkten für Anästhesie, Intensivmedizin, Kardiologie, extrakorporale Blutbehandlung und Chirurgie sowie mit Dienstleistungen für Kliniken, niedergelassene Ärzte und den Homecare-Bereich. Unter „Nachhaltigkeit” verstehen wir ökologisches Wirtschaften ebenso wie soziales und kulturelles Engagement. Wir unterstützen Universitäten, Mediziner und Studenten durch Stipendien, engagieren uns für Kunst-, Kultur- und Sportprojekte, sind Partner in Private Public Partnerships. In 60 Ländern der Welt. B. Braun Melsungen AG | www.bbraun.de kulinarische Höhenflüge Einfach QR-Code scannen, einen 2 für1-Gutschein downloaden und nach Herzenlust schlemmen! Planen Sie jetzt Ihre kulinarischen Höhepunkte des Jahres und lassen Sie sich von unserem Schlemmerkalender beflügeln. Ob Sonntags-Buffet mit der Familie, romantisches Candle-Light-Dinner zu Zweit oder das Ausprobieren von regionalen Spezialitäten im Rahmen unserer Themenwochen – lassen Sie sich vom Parkhotel Emstaler Höhe in Bad Emstal nach Herzenslust verwöhnen. Entdecken Sie jetzt himmlische Hotelarrangements, kulinarische Überflieger und einzigartige Events. Wir freuen uns auf Ihren Besuch! Neues aus dem Schlemmerkalender 2014 Juni Regionale Fischgenüsse von unserer Aktions-Karte und zusätzlich jeden Freitagabend & Sonntagmittag frisch gegrillt auf unserer Sonnenterrasse zum Schlemmerbufett. Juli Sommer-Markt: Salatvariationen, Grillgemüse & Co., gesund genießen. Auch jeden Freitagabend & Sonntagmittag frisch gegrillt auf unserer Sonnenterrasse zum Schlemmerbufett. August Potz Pilz – Jede Menge frische Pilze! Wenn die Tage langsam kürzer werden, kreieren wir für Sie köstliche Pilzspeisen mit frischen Zutaten aus dem Habichtswald. September Kasseler Strünkchen – Altes Gemüse neu entdeckt. Kasseler Strünkchen (auch „Schlupperkohl“ genannt) ist eine nordhessische Spezialität. Sie zählte im 19. Jhd. zu den beliebtesten Gemüsesorten. Ihre Familie Frankfurth und Team. Oktober Wilde Wochen – Erleben Sie eine bunte Vielfalt an delikaten und abwechslungsreichen Spezialitäten rund um das einzigartige Habichtswalsdschwein. Direkt aus dem Naturpark Habichtswald, versteht sich! November Zum Märchenhaftes Küchenfest am 22.11.2014 erwartet Sie eine große Spezialitäten-Auswahl, das Bauchladentheater und Prinz Persico. Ab dem Martinstag gibt es frische Freilandgänse, knusprig gebraten. Dezember Silvester Gala – Unser Motto: „Traumschiffreise zwischen Orient und Okzident“. Liveband, Leckereien vom großen kalt-warmen Gala-Büfett und exotischer Eis- & Desserttraum und vieles mehr ... Mehr kulinarische Höhepunkte unter: www.emstaler-hoehe.de www.facebook.com/emstaler-hoehe