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„Strategy is a mentality“ Innovation im Zentrum der digitalen Transformation Die Zukunft der großen Telekommunikationsunternehmen liegt in der digitalen Transformation. Die Umwandlung „analoger“ in „digitale“, ICT-basierte Geschäftsmodelle ist noch längst nicht am Ende. Das Beispiel Deutsche Telekom zeigt, wie sich ein Unternehmen als Orchestrator eines digitalen Wertschöpfungsnetzes formiert. Eine offene Innovationskultur ist Voraussetzung für die erfolgreiche Positionierung. 4 DMR MARKETS • Telecommunications • Ausgabe 2/2013 nternehmen aller Branchen stehen heute vor der HerausU forderung, ihre linearen Wertschöpfungsketten in agile Wert- schöpfungsnetzwerke zu verwandeln. Statt am Ende einer Kette zu stehen, müssen sie zu Knotenpunkten innerhalb von IT-unterstützten Netzwerken werden, in denen sie ad hoc und flexibel mit Partnern, Zulieferern und Wettbewerbern zusammenarbeiten und sich mit ihren Kunden vernetzen – Smart Business Networks. Zwei Grundprinzipien zeichnen diese Netzwerke aus: • Die Akteure wählen Geschäftsprozesse rasch aus, können diese schnell andocken und ausführen: Pick, Plug and Play. Es ist interessant, die Transformation der „alten“ mit dem Entstehen der „neuen“ Marktplätze zu vergleichen. Für einen erfolgreichen Mall-Anbieter gelten drei Erfolgsrezepte: 1. die beste Lokation und Infrastruktur, 2. die populärsten Marken in der Mall, 3. den Shop-Betreibern und Markenartiklern zusätzlich Waren und Dienste anbieten zu können. Die Erfolgsfaktoren der digitalen Marktplätze konvergieren: • Sie können sich genauso schnell wieder voneinander tren nen: Quick Connect and Disconnect. 1. eine gute Positionierung in den richtigen Wertschöpfungs netzen mit einer wettbewerbsfähigen Infrastruktur, Auf dieser Basis entwickeln die Teilnehmer des Netzwerks ad hoc gemeinsam Produkte, stimmen logistische Prozesse ab oder organisieren ihren Vertrieb. Die Basis für diese Zusammenarbeit bieten digitalisierte, standardisierte Prozesse und modularisierte IT-Systeme mit offenen Schnittstellen sowie einheitliche Datenformate. 2. kaum eigene Endprodukte, ein hoher Anteil von innova tiven Partnerprodukten, die allerdings sehr schnell skaliert werden können, Aufbau von digitalen Wertschöpfungsnetzen im Fokus Das wohl bekannteste Beispiel eines „Orchestrators von digitalen Wertschöpfungsnetzen“ stellt zweifelsohne Amazon da. Die Vielfalt und Lieferqualität dieses ursprünglich für Bücher konzipierten Marktplatzes ist bekannt. Wer heute Buchhändler werden möchte, findet hier eine vollständige Handelsplattform mit Infrastrukturleistungen in Form von Cloud Computing Services für Geschäftsanwendungen vor, die sich nahezu beliebig skalieren lassen, sowie eine Suite von Geschäftsprozessen und Serviceleistungen – „Business as a Service“. Die Prozesse reichen von der Produktsuche über Auswahl, Bestellung, Lieferung und Zahlung bis zur Verwaltung. Und die Kundenbasis liefert amazon.com im Prinzip gleich mit. Diese Entwicklung lässt sich gut an einer klassischen, amerikanischen ‚Mall‘ verdeutlichen. Die Besucher – und potenziellen Kunden – kommen bereits mit Navigationshilfen an und sind mit Shopping Assistance und Preisvergleich-Software ausgestattet. Der Mall Provider kann sein Parkleitsystem mit Navigationsdaten speisen und dem Shop-Betreiber schon relativ präzise voraussagen, wann in den nächsten Stunden ein Besucheransturm zu erwarten ist und mehr Verkaufspersonal benötigt wird. Auch der Blick hinter die Schaufenster der Shops in der Mall zeigt ein ausgeprägtes Bild der Transformation: 40 Prozent der Bekleidung werden von Li & Fung aus Hongkong ‚orchestriert‘. Das 1906 gegründete Handelshaus hat im Laufe der Zeit etwa 15.000 Fabriken zu einem virtuellen Produktionsverbund zusammengesetzt und koordiniert alle Prozesse von Design und Stückliste über die Produktion bis zur Distribution. Gerade weil die Firma niemals eigene Fabriken besessen hat, kann sie sich gut als Vermittler zwischen den amerikanischen Brands und den „low-cost“-Produktionsstandorten dieser Welt positionieren. 3. offene und günstige Vernetzung der digitalen Geschäftspro zesse der Kunden mit eigenen Mehrwertdiensten. Der Erfolg dieser Firma basiert zu einem großen Teil auf der Rastlosigkeit des Firmengründers Jeff Bezos, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Das Produktsortiment wird ständig erweitert, die Randnutzung von Computerleistung und Webhosting verwandelte sich in ein eigenes, florierendes Geschäft, über das seit zwei Jahren auch SAP-Software vertrieben wird. Einer der jüngsten Schritte auf neuem Terrain geht in Richtung „Food“: Mit „AmazonFresh“ wird derzeit die Online-Bestellung und 5 DMR MARKETS • Telecommunications • Ausgabe 2/2013 Freihauslieferung von Lebensmitteln in Seattle und Los Angeles pilotiert. Mit dem Einzug der ICT in den Lebensmittelhandel entsteht ein weiteres Beispiel einer digitalen Transformation, das für diejenigen Unternehmen ein riesiges Potenzial hat, die mit den richtigen Kernkompetenzen und der richtigen Position im Netzwerk der Marktteilnehmer ausgestattet sind. Wachstumschancen durch branchenübergreifende Digitalisierung Die Deutsche Telekom hat dies bereits erkannt und positioniert sich in Bereichen wie Mobilität, Energie, Versicherungen oder Smart Home. Die branchenübergreifende Digitalisierung bietet dem Unternehmen Wachstumschancen auf Basis seiner eigentlichen Kernkompetenz, der Konnektivität – allerdings im übertragenen Sinne, das heißt auf Basis der Verbindung von Marktteilnehmern, von Unternehmen mit Unternehmen und von Unternehmen mit Kunden. Die Deutsche Telekom formiert sich als Orchestrator, der Prozesse unterschiedlicher Wertschöpfungspartner miteinander vernetzt und Unternehmen eine Plattform bietet, auf der sie erfolgreich Geschäfte abwickeln und miteinander konkurrieren. Dabei ist das Potenzial des „Internet der Dinge“ für die M2M- und Big-DataDienstleistungen, insbesondere für und aus dem industriellen Deutschland, sehr vielversprechend. Die deutsche Industrie setzt mit Konzepten wie „Industrie 4.0“ Standards. Zwei wesentliche Aufgaben kommen auf die Deutsche Telekom zu: Zum einen kann sie den Unternehmen eine große Hilfe bei der eigenen Transformation in das digitale Zeitalter sein. Dazu hat sie mit T-Systems einen nicht zu vernachlässigenden Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren heutigen Hauptkonkurrenten. Zum anderen kann sie Plattformen schaffen, auf denen sie diese Industriekunden mit ihren derzeitigen Kunden – zum Beispiel 144 Millionen Mobilfunkkunden! – sowie neuen Kunden verbindet: Das Unternehmen stellt sein Kommunikationsnetz quasi als Distributionsnetz für digitale Güter zur Verfügung. Die Voraussetzungen dazu sind allerdings herausfordernd. Um beim ‚Mall-Beispiel‘ zu bleiben: Die coolsten Brands und Produkte können nicht aus eigener Kraft entwickelt werden, und sie kommen oft nicht von etablierten Unternehmen, sondern von innovationsstarken Startups. Diesen Kunden muss es so einfach wie möglich gemacht werden, die Plattformen und Marktplätze zu nutzen und gegebenenfalls ihre Dienste noch mit Telekom-Diensten zu veredeln. Dazu müssen die Programmierungsstellen für Anwendungen und Geschäftsprozesse geöffnet und die Diensteelemente so modular angeboten werden, dass sie den beiden neuen Paradigmen „Pick, Plug and Play“ sowie „Quick Connect and Disconnect“ gerecht werden. 6 DMR MARKETS • Telecommunications • Ausgabe 2/2013 Eine weitere Herausforderung besteht darin, diese offenen Plattformen über den gesamten Footprint des Konzerns sicher zu stellen, damit die Distribution schnell skalieren kann. Sobald es möglich ist, allen 144 Millionen Kunden beispielsweise innerhalb von fünf Tagen eine Security-Software anzubieten, nutzbar zu machen und abzurechnen, ist die Deutsche Telekom der „Mall-Partner“ der ersten Wahl. Dabei gilt es, die im Laufe der Zeit entstandenen Insellösungen einzelner Ländergesellschaften zu einer gemeinsamen, skalierbaren Plattform zu entwickeln. Mit dieser Herausforderung steht die Deutsche Telekom nicht alleine da. Insbesondere Systemkunden tun sich hierbei schwer. Ein Vorstandsmitglied einer global agierenden Versicherung sagte mir vor kurzem: „Derzeit werden 80 Prozent unserer Geschäftsvorfälle in nationalen Systemen und 20 Prozent global betrieben. Wenn es uns gelingt, diesen Anteil umzudrehen und generische Prozesse wie die Schadensregulierung global zu prozessieren, dann hätten wir einen immensen Wettbewerbsvorteil.“ Es ist selbstredend, dass diese Kunden der T-Systems in der Transformation der IT und Geschäftsprozesse der Deutschen Telekom selbst einen Benchmark sehen müssen, um sich auf eine gemeinsame Reise einlassen. Dazu sind innovative Business-Process-Management-Systeme sowie neue Gover nance-Ansätze wegweisend. Wie wichtig dabei die Vernetzung über Industriegrenzen hinweg ist, wird unter anderem durch die rasanten Innovationen in der Komplexitätsbewältigung von Big Data deutlich. So ging einer der letztjährigen Detecon ICT Awards an den Dresdner Enterprise-Semantic-Search-Anbieter „Transinsight“. Mit dem unbeirrbaren unternehmerischen Weitblick der Gründer, dass sich Erkenntnisse der biologischen Bildanalyse und Wissensnetzwerke im Life-Science-Bereich auch in anderen Industrien nutzen lassen, liefern Bioinformatik und Geophysik neue Bausteine für die digitale Transformation. Innovationskultur bedingt neues Verständnis von Partnerschaft und Unternehmenskultur Die konsequente Öffnung geht mit einem neuen Partnerverständnis einher. Der Grundsatz „Innovation durch Kooperation“ wurde durch René Obermann geprägt und gewinnt jeden Tag an Bedeutung. Obermann hat die Deutsche Telekom darauf ausgerichtet, die Innovationskraft des Silicon Valley zu nutzen. Diese Innovationskultur eröffnet neue Horizonte, wenn es um Fragen des partnerschaftlichen Entwickelns geht: Das Valley stellt selber ein ausgeprägtes „Smart Innovation Network“ dar. Startups, Inkubatoren, Acceleratoren, Venture Capitalisten, Großunternehmen und Universitäten sind hochgradig vernetzt und teilen ihr Wissen miteinander. Die Ergebnisse sind unübertroffen erfolgreich. Diese Kultur der Offenheit und Leistungsbereitschaft in das eigene Unternehmen zu absorbieren, ist nicht trivial. Ein Lösungsszenario wurde im Mai diesen Jahres von Masayoshi Son, charismatischer CEO des japanischen ICT-Unternehmens Softbank, angekündigt: Er wird im Zuge der Übernahme von Sprint in den USA ein Innovationszentrum mit 1100 Mitarbeitern in der Bay gründen. Es könnte eine zweifelhafte Investition werden, da es fragwürdig ist, ob so viele der außerordentlichen Talente im Valley von einer ‚traditionellen Telco‘ rekrutiert werden wollen. Swisscom hat einen anderen Weg eingeschlagen. Christina Taylor, Leiterin der Abteilung Best Experience, war lange Jahre deren Outpost im Silicon Valley. Sie stellte fest, dass sich dort die Unternehmenskultur stark glich: Geprägt durch Offenheit teilt man Erfahrungen innerhalb und außerhalb der Unternehmensgrenzen, stellt den Kunden in den Mittelpunkt jeder Entscheidung, fördert Talente und vor allem: Man lässt Fehler zu. Taylor bezeichnet diese Art des Arbeitens und Denkens als „Human Centered Design“ (HCD). Um diesen kulturellen Wandel in die eidgenössische Zentrale zu importieren, hat sie in einer ehemaligen Postschalterhalle in Bern ein „Treibhaus der Inspiration“, das „BrainGym“, aufgebaut. Wie prägend HCD für Swisscom ist, wurde jüngst wieder in Form des erfolgreichen Relaunch der Shops deutlich. Sicherlich sieht das jeweils optimale Gesamtszenario für jede Unternehmung anders aus. Es sollte derweil unterstrichen werden, dass der „kalifornische Spirit“ auch von deutschen Firmen mit gestaltet wird. So betreibt die Hasso-Plattner-Förderstiftung ein Forschungsprogramm an der Stanford University, bei dem „Design Thinking“ im Vordergrund steht. Der Transfer ins SAP-nahe Institut nach Potsdam scheint gut zu funktionieren. Gleichzeitig wurde das „Globale SAP M2M-Kompetenzzentrum“ nach Palo Alto verlegt, um näher an den globalen Entwicklungen zu sein. Ein gelungenes Beispiel transatlantischer Innovation! Über die HR-Transformation hinaus sollte die Fokussierung der Kernkompetenzen auf vier Schwerpunkte gelegt werden, um sich erfolgreich im Zentrum der digitalen Transformation zu positionieren: 1. Die Fähigkeit, Markttrends und passende Partner frühzeitig zu erkennen und daraus schnell nahtlose Kundenerlebnisse anzubieten. 2. „Be easy to partner“ aus Sicht der Anbieterkunden, auf Basis eines offenen und sehr kostengünstigen Prozess- und API-Layers: One-click-zero-touch! 3. Industriellen Mittelstands- und Systemkunden dabei hel fen, ihre digitale Transformation und Positionierung in Smart Business Networks zu meistern. 4. B2B2C-Geschäftsmodelle durch eigene Netze als Quali täts- und Kostenführer schnell zu skalieren, auch über den eigenen Footprint hinaus. Die Chancen, die die digitale Transformation für die Deutsche Telekom bietet, sind immens. Dabei hilft ein guter Draht zur Innovation im Valley. Nun geht es um die Umsetzung. Timotheus Höttges‘ Erkenntnisse seiner Stanford-Studienreise werden s icherlich ein Ansporn sein. Während seines Besuchs in unserem Büro in San Francisco sagte er: „Strategy is a mentality – Strategie ist die Einstellung der ganzen Organisation, zu wissen, wie man gewinnt.“ Erfolgreiche Positionierung im Zentrum der digitalen Transformation Auch für die Deutsche Telekom sind die Transformation der Unternehmenskultur sowie neue Formen der Zusammenarbeit ein essenzieller Treiber für den Unternehmenserfolg: Das Unternehmen will die Service- und Innovationsorientierung der Beschäftigten systematisch steigern und mehr Wettbewerbsfähigkeit, Agilität und Unternehmertum erzielen. Es gibt bereits eine Reihe von sehr guten Initiativen, unter anderem in der Internationalisierung des Managements. Darüber hinaus verfügt die Deutsche Telekom über eine starke Scouting-, Beratungsund Partnering-Präsenz in der Bay Area. Sogar erste Produkte wie die IP-PBX-Lösung „HBS“ werden dort entwickelt. Lars Theobaldt verantwortet als Managing Partner den Bereich Innovations- und Geschäftsentwicklungsstrategie und berät die Deutsche Telekom in Deutschland und den USA. Er ist durch seine Beiträge über die Zukunft des ICT-Marktes bekannt. 7 DMR MARKETS • Telecommunications • Ausgabe 2/2013