Evangelische Akademie zu Berlin: Stettin

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Evangelische Akademie zu Berlin: Stettin
Demokratische Kultur
Exkursion
Stettin - Szczecin
Auf dem Weg zur Metropole Vorpommerns
Tagungsnummer
27/2014
30. August 2014
08:05 - 21:40 Uhr
Stettin - Szczecin
Inhalt:
Leitung
Heinz-Joachim Lohmann / Dr. Claudia
Schäfer
Organisation
Kerstin Koschinski
(030) 203 55 - 507
[email protected]
Die Exkursion ist bereits ausgebucht.
Durch den Beitritt Polens zur EU im Jahr 2004 haben sich die Entwicklungsbedingungen für die Stadt Stettin und ihr
pommersches Umland beiderseits der deutsch-polnischen Grenze entscheidend verbessert. Als Metropolregion hat
Stettin das Potential, die Beziehungen zwischen den beiden Nationen zu stärken und auf Europa auszustrahlen.
Der pommersche Herzog Barnim I verlieh 1243 drei an der Odermündung gelegenen wendischen und deutschen
Siedlungen das Stadtrecht. Die nächsten 750 Jahre verliefen im Wortsinn stürmisch. Bereits 1278 wurde Stettin in den
Städtebund der Hanse aufgenommen. Über 300 Jahre lang (1309 - 1637) war die Stadt Sitz der pommerschen Herzöge.
Sie errichteten gegen den Widerstand der Bürger auf dem westlichen Uferhang der Oder ihr Schloss, das im Laufe der
Jahrhunderte mehrfach erweitert und umgebaut wurde. Nach der Zerstörung im II. Weltkrieg wurde es im RenaissanceStil rekonstruiert und 1980 als Kulturzentrum wiedereröffnet. Das bürgerliche Zentrum der mittelalterlichen Stadt bildete
das ebenfalls rekonstruierte gotische Alte Rathaus zwischen dem Neuen Markt und dem Heumarkt. Der gotische
Loitzenhof unterhalb des Schlosses war Sitz der bedeutendsten Stettiner Patrizierfamilie Loitz, der ’Fugger des
Nordens’. Von den gotischen Kirchen hat die dem Schloss gegenüber liegende Peter-und-Paul-Kirche den II. Weltkrieg
kaum beschädigt überstanden, während die von dem bedeutenden Baumeister der Backstein-Gotik Heinrich Brunsberg
errichtete Jakobikirche schwere Zerstörungen erlitt. Seit der Wiederherstellung 1971 ist sie die Kathedrale des
katholische Erzbischofs.
Das ’goldene Zeitalter’ der pommerschen Herzöge wurde für etwa 80 kriegerische Jahre durch die schwedische
Herrschaft abgelöst, bis der preußische König Friedrich Wilhelm I im Stockholmer Frieden von 1720 die Stadt erwarb und
sie als Festungs- und Garnisonsstadt ausbaute. Aus dieser Zeit sind das Königstor (Brama Królewska) und das Berliner
Tor (Brama Portowa) erhalten. 1815 wurde Stettin Hauptstadt der preußischen Provinz Pommern. Die See- und
Binnenschifffahrt sowie die Eisenbahnstrecke nach Berlin bildeten die tragenden Säulen eines enormen Aufschwungs
von Handel und Industrie. Der Berliner Stadtbaumeister James Hobrecht musste nach Abschluss seines berühmten
Fluchtlinien-Plans seine Tätigkeit in Berlin unterbrechen. Er ging als Stadtbaurat nach Stettin (1862-1869). Doch erst die
Aufhebung der Festung im Jahr 1870 ermöglichte die geplante Ausdehnung der Stadt. Anstelle der Befestigungsanlagen
entstand um die Altstadt ein Halbkreis von begrünten Prachtstraßen, an denen repräsentative Gebäude errichtet wurden.
So wurde an der ’grünen Schanze’ am Rande einer kleinen Parkanlage 1875 die alte Synagoge durch eine neue mit einer
Prachtfassade im maurischen Stil ersetzt. Wenig später entstand gegenüber ein neues ’rotes’ Rathaus im neogotischen
Stil. 1898 wurde im Park ein Brunnen eingeweiht, dessen Figurengruppe von der Sedina, einer Allegorie der Stadt Stettin,
gekrönt wurde. Sedina verschwand bei Kriegsende und wurde durch einen Anker ersetzt. Die Suche der Stettiner nach
ihrer historischen Identität, die ohne das preußische Erbe nicht zu denken ist, ließ nach 1990 die Stimmen für eine
Rekonstruktion der Sedina immer lauter werden, bis der Stadtrat 2012 für die Wiedererrichtung der Figur - in der
historischen oder einer zeitgemäßen Form - stimmte. Noch ist aber der Anker da. Am heute brachliegenden SynagogenStandort erinnert eine von ausländischen Gruppen angebrachte Tafel an die Zerstörung des Gotteshauses durch die
Nationalsozialisten am 09.11.1938.
Bürgermeister Hermann Haken setzte 1882-1910 die gründerzeitliche Stadterweiterung im Nordwesten der Altstadt ins
Werk. Lange Straßenachsen schneiden sich nach Pariser Vorbild in sternförmigen Plätzen. Die viergeschossige
Blockbebauung ähnelt mit der kompakten Anordnung von Vorderhäusern, Seitenflügeln und Quergebäuden um enge
Hinterhöfe entsprechenden Berliner Vierteln. Weiter draußen wird die geschlossene
Bauweise durch eine lockere Villenbebauung abgelöst. Eine dieser Villen stellt die Stadt Stettin heute unter dem Etikett
’Inkubator Kultury’ (Kultur-Brutkasten) im Aufbau befindlichen kulturellen Initiativen zur Verfügung. Kurz vor dem I.
Weltkrieg entstanden am Fuß einer Reihe nördlich des Schlosses errichteten öffentlichen Gebäude die nach
Bürgermeister Haken benannten Jugendstil-Terrassen. Von dort hat man einen großartigen Blick über die Oder auf den
Hafen, dessen historische Speicher, Fabriken und Hallen heute vielfach leergefallen sind und sich im Umbruch zu einer
Hafen-City mit kreativwirtschaftlichem und kulturellem Akzent befinden.
Im Sommer 1944 zerstörten britische Bomber den Hafen und die Altstadt fast vollständig. Ende April 1945 eroberte die
Rote Armee die Stadt. Die sowjetische Besatzungsmacht stellte die Region bald unter polnische Verwaltung. Mit der
Vertreibung der deutschen Bewohner und der Ansiedlung von polnischen und ukrainischen Flüchtlingen fand ab Sommer
1945 innerhalb von nur drei Jahren ein kompletter Austausch der Zivilbevölkerung statt. Es verwundert nicht, dass die
neuen Bewohner eigentlich bis heute ein Identitätsproblem mit sich tragen. Dazu gehört, dass die einst evangelische
Stadt eine überwiegend katholische Stadt wurde. Entscheidend ist jedoch, dass die kommunistische Herrschaft nur die
Nach-kriegsgeschichte als Geschichte akzeptierte. Erst seit 1989 bezieht die Stadtbevölkerung die deutsche Geschichte
der Stadt mit einer gewissen Faszination in ihre Identitätssuche ein.
In Deutschland wenig bekannt ist, dass es in Stettin 1970 zu einem massiven Arbeiter-aufstand kam. Das Gebäude der
kommunistischen Partei wurde gestürmt und angezündet. Bei der Niederschlagung der Erhebung fanden 16
Demonstranten den Tod. 1980 wurde Stettin neben Danzig zur Keimzelle der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc. Die
Gedenk-tafel am Tor der Stettiner Warski-Werft wurde zum zentralen Bezugspunkt der Opposition. Mitte der 1990er
Jahre begann eine breite Diskussion um die Errichtung eines Denkmals für den Aufstand von 1970. Nachdem diverse
Entwürfe verworfen wurden, konnte schließlich 2005 auf dem Platz zwischen dem Königstor und der Peter-und PaulsKirche ein Denkmal in der Form eines Freiheitsengels eingeweiht werden. Seitdem beginnt hier jedes Jahr der
Gedenkmarsch und endet am Tor der 2009 in Konkurs gegangenen Werft. Gegenwärtig wird das Areal um den Engel
großflächig dynamisiert, um Raum für ein halb unterirdisches Dokumentationszentrum zu schaffen. Den Abschluss des
Platzes bildet der riesige, leuchtend weiße Neubau der Philharmonie.
Stettin hat heute mehr als 400.000 Einwohner, die grenzüberschreitende Agglomeration fast die doppelte Zahl. Der
Stettiner Stadtpräsident Piotr Krzystek sagte einmal: ’Wir atmen nur auf einem Lungenflügel’. Er meinte damit, dass
spätestens seit dem Schengen-Beitritt Polens Ende 2007 die Verflechtung des polnischen und des deutschen Teils
Pommerns zu einer europäischen Metropolregion die entscheidende Lebensbedingung für die Stadt Stettin und die
Region ist. Doch auf diesem Weg ist noch ein Strecke zurückzulegen. Zwar sind wie überall in Polen auch im deutschpolnischen Grenzland um Stettin glänzende Beispiele des europäischen Einigungsprozesses zu sehen. Und doch sind
es noch immer die negativen Schlagzeilen, die die Wahrnehmung des Grenzlandes in der deutschen und polnischen
Öffentlichkeit prägen: Grenzübergreifende Kriminalität, Ausländerfeindlichkeit, wirtschaft-licher Niedergang und eine
Sprachbarriere, die einer wirklichen Integration bis heute im Weg steht. Daher stellen wir am Schluss der Exkursion die
Frage: Wie steht es um die Zukunft der Region?
Dr. Claudia Schäfer
Heinz-Joachim Lohmann
Evangelische Akademie zu Berlin
Hans Tödtmann
Arbeitskreis Stadtpolitik
Programm:
Programm Exkursion nach Szczecin / Stettin
Samstag, den 30. August 2014
08.05 Uhr Abfahrt RE ab Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen (Gleis 10)
Treffpunkt im vorderen Zugteil (Zug fährt nach Osten ab)
09.49 Uhr Ankunft an Bahnhof Szczecin Glówny
Gelegenheit zum Geldwechsel in der Bahnhofshalle
10.00 Uhr Stadtrundgang Altstadt und Haken-Terrasse
Dr. Wolfgang Abraham, Gästeführer
13.00 Uhr Mittagspause im Café 22
Rundblick vom PAZIM-Hochhaus Plac Rodla 8
Speisen à la carte (nicht im Teilnehmerbeitrag enthalten)
14.45 Uhr Stadtrundgang gründerzeitliche Stadterweiterung
Dr. Wolfgang Abraham, Gästeführer
16.45 Uhr Inkubator Kultury (’Kultur-Brutkasten’)
Alea Wojsky Polskiego 90
Erläuterungen zum Haus und zur Institution
Martin Hanf, freier Journalist für deutsche und polnische Medien
17.00 Uhr Kaffee & Kuchen (im Teilnehmerbeitrag enthalten - Selbstbedienung)
Konferenzraum
17.15 Uhr Stettin – In der Mitte Europas oder im Niemandsland
zwischen Polen und Deutschland?
Impuls-Vortrag und Diskussion
Martin Hanf, freier Journalist für deutsche und polnische Medien
18.55 Uhr kurzer Fußweg zur Straßenbahn
19.07 Uhr Abfahrt Tram Linie 1 ab Piotra Skargi (Richtung Dworzec)
19.23 Uhr Ankunft Tram Linie 1 an Dworzec
kurzer Fußweg zum Bahnhof
19.52 Uhr Abfahrt RE ab Szczecin Glówny (Peron 2, Tor 1)
Gleis 1 liegt am nicht überdachten Ende von Bahnsteig 2
21.40 Uhr Ankunft an Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen
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