Horizontale Weltraumfahrten
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Horizontale Weltraumfahrten
34 Donnerstag, 29. August 2013 — Berner Woche Veranstaltungen Der kleine Mehr Angaben unter: www.agenda.derbund.ch Von xx. 29. August bis xx. Monat bis 4. September 2013 2013 Sounds The Undertones Der perfekte Song «Teenage Kicks» machte The Undertones unsterblich. Mit ihrem gezärtelten Punk ernteten sie aber die Verachtung der Oi!-Szene. Conrad Lambert alias Merz knallte der Top-of-the-Pops-Welt die Türe vor der Nase zu. Foto: zvg Sounds Les Digitales Horizontale Weltraumfahrten Tüfteln im Grünen: Das wandernde Wiesenfestival Les Digitales gastiert zum dritten Mal im Botanischen Garten und wagt musikalische Experimentalflüge im Halbstundentakt. Gerade haben sich die Sex Pistols mit ihrem Punk-Überwerk «Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols» öffentliche Aufmerksamkeit verschafft. Gleichzeitig gelingt The Clash mit ihrem gleichnamigen Debütalbum der Einzug in die Charts. Zwei musikgeschichtliche Ereignisse, die zur Folge hatten, dass sich die englische Oi!-Szene zusammenrottete – eine Subkultur, die sich aus dem Bestreben heraus formierte, die salonfähig gewordene Punkmusik von ihrer Nähe zu Hitparade und Mittelklasse zu befreien. Eine Entwicklung, an der auch The Undertones aus dem nordirischen Derry mitschuldig sind. 1978 akquiriert die Gruppe mit einem einzigen Song ihren grössten Fan: den einflussreichen RadioModerator John Peel. Er gilt als Entdecker von den Undertones, insbesondere ihres Hits «Teenage Kicks», den er als Erster am Radio spielte und der für ihn das perfekte Lied darstellte. «Ich bin sehr versucht, die erste Liedzeile auf meinen Grabstein eingravieren zu lassen», sagte Peel einst in einem Interview. «A teenage dream’s so hard to beat» lautet diese – sinngemäss übersetzt: Nichts kommt an einen Teenager-Traum heran. Aufgelegter Sing-Along Eingemeisselt hat sich «Teenage Kicks» auch in die Gedächtnisse der Öffentlich- Heute sind sie Vorband der Toten Hosen: The Undertones anno 1978. Foto: zvg keit. Die Liste der Coverversionen ist lang, unter den Neuinterpreten befinden sich Popgruppen wie One Direction oder Franz Ferdinand. Auch das Original ist, trotz punkiger Stromgitarrenlastigkeit, ein betörender Pop-Song. «I’m gonna call her on the telephone» singt Sänger Feargal Sharkey in gezärteltem Tenor wie ein liebeskranker Halbstarker. Von ähnlicher Eingängigkeit sind auch die späteren Stücke der Undertones, etwa «Here Comes the Summer» oder «My Perfect Cousin». Aufgelegte Sing-Along-Refrains bescherten der Band wochenlange Charts-Platzierungen. Vier Alben später, 1983, verlässt Sharkey die Undertones, enttäuscht über den nachlassenden Erfolg der Band. Auch bei der Wiedervereinigung 1999 ist er nicht mehr dabei und wird stattdessen durch Sänger Paul McLoone ersetzt. Heute touren die Undertones mit den Toten Hosen, als Vorband wohlgemerkt. An einen «Teenage-Dream» kommt eben nichts heran. (eye) ISC-Club Sonntag, 1. September, 20.30 Uhr. Bereits zum dritten Mal findet das Festival für elektronische und experimentelle Musik im Botanischen Garten statt. Am Samstag, 31. August, driften ab 15 Uhr neben Merz feat. Julian Sartorius, Somnambulance und Alexandre Navarro sechs weitere Acts für eine halbe Stunde ab. Während Pandour elektronische Klänge mit Bass und Gitarre kombinieren, schickt Yannick Barman seine Trompetenklänge ins digitale Universum. Asic betrachtet Sound als Strassenkarte und Helios & Hess schicken das Publikum auf eine historische Spurensuche. Die Musik von Azabeats lebt von Kontrasten und [sic] aka Jen Morris integriert sogar ein japanisches Koto. Die Klanginstallation von Samuel Gfeller wird von 15 bis 21 Uhr zu sehen sein. des Festivals Les Digitales spannt Merz hier wieder mit dem Rhythmenjäger Julian Sartorius zusammen, dessen Beats den Humus für eine aparte Popmusik bilden. Das Festival für elektronische und experimentelle Musik unternimmt auch dieses Jahr wieder musikalische Weltraumfahrten in der Horizontalen. Liegestühle werden kostenlos zur Verfügung gestellt, um den jeweils halbstündigen Darbietungen zu lauschen. So gleiten die Harmonien des Zürcher Duos Somnambulance durch einen scheinbar luftleeren Raum, umgarnen sich, reissen wieder ab. Dabei haben Valentin Dietrich (Bass) und Silvan Jeger (Gitarre) eigentlich mit wilder Noise-Musik angefangen, im Laufe der Jahre haben die beiden ehemaligen Bestnoten-Studenten der Zürcher Hochschule der Künste jedoch die Lautstärke und das Tempo runtergefahren. Ihr neues Album «Night Wandering» wurde kürzlich auf dem Berner Label Everest Records veröffentlicht. Ein weiterer spannender Vertreter der nebulös ausschweifenden Musik ist Alexandre Navarro. Der Franzose hat sich das Gitarrespielen selber beigebracht und legt seine Spuren zwischen Electronica, Ambient und Post-Rock aus. Auch er bewegt sich gerne von der Erde weg: «Ich mag die Idee, dass wir von den Sternen gekommen sind und dass wir wieder dahin zurückkehren.» Andrea Maria Keller Cinema Paradiso Lukas Hartmann Label Bern Sole Die Lyrik-Hoffnung aus dem Appenzell Filmmusik unter freiem Himmel Emily Ruete alias Salme von Sansibar Bühne für den Bandnachwuchs Occupy-Rap vom Rotschopf Als «hell strahlendes Juwel in der aktuellen Lyrikszene» hat der «Bund»-Rezensent den Gedichtband «Mäanderland» einst bezeichnet. Geschrieben hat diesen die gebürtige Appenzellerin und Lehrerin Andrea Maria Keller. In ihren Texten zeichnet sie zarte Tableaus, etwa wie Liebende voneinander Abschied nehmen oder eine Mutter für ihr Kind mit der Taschenlampe Tierfiguren an die Wand projiziert. (eye) 1997 schrieb Nicola Piovani für seinen Freund Roberto Benigni die Filmmusik zu «La vita è bella». Ein Jahr später erhielt er dafür einen Oscar. Dass Filmmusik auch ohne die Filme funktioniert, beweist auch der italienische Dirigent Gianluca Febo, der sich für das 3. Sommerkonzert neben «La Vita è bella» unter anderem auch «Il Postino» und «Cinema Paradiso» vorgenommen hat. (xen) Wer war Emily Ruete alias Salme von Sansibar? Die arabische Prinzessin verliess 1866 aus Liebe zum Hamburger Kaufmann Heinrich Ruete ihre Heimat im Indischen Ozean. Der Berner Schriftsteller Lukas Hartmann folgt in seinem neuen Roman «Abschied von Sansibar» den Spuren einer Frau, die zerrissen war zwischen Orient und Okzident, Islam und Christentum, deutscher Disziplin und unbändiger Exotik. (lex) Immer am letzten Donnerstag des Monats ist die Bühne im 5ème Etage im Mattequartier fortan für den hiesigen Bandnachwuchs freigegeben: «Label Bern» heisst die neue Veranstaltungsreihe. «Hast du das Gefühl, ihr macht sehr gute Musik?» lautet die rhetorische Einladungsfrage an potentielle Auftretende. Mit dem Pop-Duo Climbing Trees ist die Qualität des Dargebotenen wohl für die erste Ausgabe gesichert. (eye) «Genug mit dieser verdammten Modenschau, das hier ist Rap», schimpft Sole in einem seiner Lieder. Furios spuckt der Sympathisant der Occupy-Bewegung seine politischen Texte ins Mikro und predigt über Antikapitalismus, Umweltschutz und Tierrechte. In einem schwarzen Musikgenre hat sich der weisse Rotschopf weitreichenden Respekt verschafft und das erste Indie-Hip-Hop-Label gegründet. (eye) Zentrum Paul Klee Bern, So, 1. 9., 11 Uhr. 5ème Etage Donnerstag, 29. 8., 19.30 Uhr. Rössli Reitschule Dienstag, 3. 9., ab 20 Uhr. Xymna Engel Er passte einfach nicht zu Sony. Kurz nach seiner ersten Veröffentlichung auf dem Major-Label knallte er der Top-of-thePops-Welt die Türe vor der Nase zu. Und verschwand. Erst sechs Jahre später veröffentlichte Conrad Lambert alias Merz wieder ein Album, diesmal auf Herbert Grönemeyers Label Grönland. Mit Hosentaschen voller Ideen – er sammelt seine musikalischen Skizzen angeblich auf Postit-Zetteln – reist der Engländer heute zwischen seiner Heimat und der Schweiz hin und her. Seit einigen Jahren lebt er in Bern, hier hat er die Songs für sein neustes Album «No Compass Will Find Home» geschrieben, unter anderem in einem ehemaligen Laboratorium von Albert Einstein. «Ich begeistere mich für Musik, die den Anschein erweckt, in naher Zukunft geschrieben worden zu sein. In einer Umgebung wie der Schweiz, wo Moderne und Mittelalter so nahe beieinander lie- Café Kairo Do 29. 8., 20.30 Uhr gen, ergibt das eine spannende Balance», sagte er in einem Interview. Seine Stimme schwingt bereits beim Reden, beim Singen klirrt sie, ohne zu scheppern. Die Kompositionen sind von folkigem Glanz überzogen, darunter rumort zwirbelnde Elektronik. Auf «No Compass Will Find You» hat sogar Matthew Herbert, der Meister der abgefahrenen Elektroschrauberei, seine kreative Note als Produzent eingepflanzt. Der Botanische Garten ist ein guter Nährboden für solche Klänge, im Rahmen Programm Les Digitales Neues Museum Biel Do, 29. 8., 20 Uhr. Zeughausplatz Solothurn Sa, 31.8., 20 Uhr. Sounds Venetian Snares Zerschlitzte Beats vom Bürgerschreck Aaron Funk alias Venetian Snares macht, was er will. Mitunter klingt das wie organisierter Baustellenlärm. Jemand hat die Kreissäge angeworfen und fräst diese nun durch Schwermetall. Daneben donnert der Presslufthammer und kreischt die Schleifmaschine. Was für ungeübte Ohren wie organisierter Baustellenlärm klingt, ist Breakcore vom Feinsten – namentlich von Aaron Funk aus dem kanadischen Winnipeg, der als Venetian Snares Beats zerstückelt und in geschätzten 300 beats per minute als Maschinengewehrsalven durch die Lautsprecher feuert. Man könnte grobschlächtigen Gabber heraushören, Detroit Techno mit Industrial-Verbeulung oder einfach nervöselnden Noise. Fakt ist: Aaron Funk macht, was er will. Über ein halbes Dutzend Alben veröffentlicht er im Durchschnitt pro Jahr. Und wenn sein Plattenlabel ihm einen allzu abenteuerlichen Titel zugunsten der Markttauglichkeit anpasst, greift er einfach zum schwarzen Marker und flickt das herausgestrichene Wort auf dem Albumcover wieder hinein. So will es jedenfalls das Gerücht, laut dem er sein «Chocolate Wheelchair Album» bei einer Vorveröffentlichung dreist wieder in das originale «The Stupid Chocolate Wheelchair Album» umtaufte. Rigoros geht Venetian Snares auch im Studio vor. Er spiesst Klangerzeugnisse brutalistisch auf, zerschlitzt mit messerscharfer Klinge ohnehin schon flatterige Breakbeats in Sound-Fetzen, lässt es rattern, schiessen, explodieren. So kompromiss- und pausenlos, dass man sich schon fast um die Wiedergabe-Hardware sorgen müsste. Und doch würde man sich wohl auch freiwillig den Kopfhörer demolieren lassen vom Berserker-Breakcore dieses erfrischenden Bürgerschrecks. (eye) Bad Bonn Donnerstag, 29. 8., ab 21.30 Uhr.