(PDF, 733KB, Datei ist barrierefrei⁄barrierearm)

Transcrição

(PDF, 733KB, Datei ist barrierefrei⁄barrierearm)
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 9.2011
545
Aktuelle kommunale Verfahren
zur Regelung der Angemessenheitsgrenzen
der Kosten der Unterkunft
1 „Kosten der Unterkunft“ als
kommunale Aufgabe
Seit der 2005 erfolgten Reorganisation der
sozialen Sicherung sind die Kommunen
für die Unterkunftskomponente bei allen
bedarfsorientierten
Grundsicherungsleis­
tungen zuständig. Hierzu zählen die Kosten
für Unterkunft (KdU) und Heizung (KdH)
in der Grundsicherung für Arbeitsuchen­
de (§ 22–22c SGB II) und in der Sozialhilfe
(Grundsicherung im Alter und bei Erwerbs­
minderung sowie Hilfe zum Lebensunter­
halt als Residualkategorie; § 35 SGB XII).1
Nach § 22 SGB (Sozialgesetzbuch) II bzw.
§ 35 SGB XII werden Bedarfe für Unterkunft
und Heizung in Höhe der tatsächlichen
Aufwendungen anerkannt, soweit diese an­
gemessen sind. Der zentrale Begriff der Ge­
setzesformulierung ist die Angemessenheit.
Bis zu welcher Höhe die Aufwendungen als
Bedarf anerkannt werden können, lassen
SGB II und XII offen. Die Zuständigkeit für
die Festlegung der Angemessenheit wur­
de mit der Novellierung des SGB II vom
13.5.2011 auf die Träger der Grundsiche­
rung übertragen. Nach altem Recht besaß
der Bund die Möglichkeit, die Angemes­
senheit über eine Verordnung festzulegen.
Da die Bundesregierung eine Regelung der
Angemessenheit auf Bundesebene ange­
sichts der Unterschiede auf den regionalen
Wohnungsmärkten als nicht sachgerecht
erachtet hat und deshalb keinen Gebrauch
von der Verordnungsermächtigung mach­
te, lag die Zuständigkeit auch bisher schon
bei den Kommunen. Dies sind in den meis­
ten Fällen die Jobcenter als gemeinsame
Einrichtungen von Arbeitsagentur und
kreisfreien Städten bzw. Kreisen. Derzeit
erhöht sich jedoch die Zahl der zugelasse­
nen kommunalen Träger nach § 6a SGB II.
Hier übernimmt die Kommune allein alle
Aufgaben des Leistungsträgers. Bezahlt wer­
den die Leistungen von den Kreisen und
kreisfreien Städten, wobei der Bund die ent­
standenen Kosten im Rechtskreis des SGB II
bezuschusst.2 Kreisangehörige Gemeinden
sind über Kreisumlagen von den Kosten
Christian von Malottki
Joachim Kirchner
betroffen und beziehen teilweise auch eige­
ne Positionen gegenüber den Kreisen. Dies
kann bis zur Aufstellung eines eigenen qua­
lifizierten Mietspiegels gegen den grundsi­
cherungsrelevanten Mietspiegel des Kreises
reichen.
Die Diskussion über die Höhe der Ange­
messenheitsgrenzen der KdU lässt durch­
aus verschiedene Blickwinkel zu. Sozial­
politisch geht es um die Versorgung von
Schichten, die sich nicht ausreichend am
Wohnungsmarkt versorgen können. Dabei
dürfen aber auch andere Niedrigeinkom­
mensbezieher, die auf dasselbe Angebots­
segment am Wohnungsmarkt angewiesen
sind, nicht außer acht gelassen werden.
Fiskalpolitisch geht es mit 15,1 Mrd. € pro
Jahr (2009) um eine hohe Summe an Trans­
ferleistungen. Und stadtentwicklungs­po­li­
tisch ist die Ausgestaltung der Bewilligung
der KdU eine zentrale Stellschraube für die
sozialräumliche Zusammensetzung von
Städten bzw. die Vermietungs- und Investi­
tionsstrategien der Vermieter.
Daraus ergeben sich höchst unterschiedli­
che Meinungen zum Thema. Jacobs et al.3
unterscheiden zwischen Trägern mit sozi­
aler Orientierung, Wohnungsmarkt- bzw.
Sachorientierung und Kostenorientierung.
Durch die Zusammenarbeit von Kommu­
nen und Arbeitsagentur in gemeinsamen
Einrichtungen treffen teilweise unter­
schiedliche Meinungen in einem Kreis bzw.
einer Stadt aufeinander. Die Wohnungs­
wirtschaft positioniert sich so, dass sie ihre
geplanten Investitionen im Wohnungsbe­
stand refinanzieren kann.
Der vorliegende Beitrag soll einerseits das
Spektrum aktueller Ansätze skizzieren und
andererseits methodische Probleme und
Ideen für die Lösung aufzeigen. Da den Aus­
führungen keine Analyse aller deutschen
KdU-Richtlinien zugrunde liegt, kann der
Beitrag nicht für sich in Anspruch nehmen,
eine vollständige Auflistung interessanter
Ansätze darzustellen. Die Auswahl erfolgt
vielmehr selektiv auf Basis der dem Institut
Wohnen und Umwelt aus seiner Tätigkeit
oder der Rechtssprechung bekannten Fälle.
Dr. Christian von Malottki
Dr. Joachim Kirchner
Institut Wohnen und Umwelt
GmbH (IWU)
Rheinstraße 65
64295 Darmstadt
E-Mail: [email protected]
[email protected]
546
Christian von Malottki, Joachim Kirchner: Aktuelle kommunale Verfahren zur Regelung der
Angemessenheitsgrenzen der Kosten der Unterkunft
2 Qualifizierter oder grundsiche­
rungs­relevanter Mietspiegel? Die
Möglichkeiten nach der Recht­
sprechung des Bundessozial­
gerichts
Die Angemessenheit bemisst sich nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) stark am Bedarf des jeweiligen Ein­
zelfalls. Nichtsdestotrotz haben die Träger
bislang abstrakte Richtwerte festgelegt, die
für Standardfälle Gültigkeit haben. Je nach
Ausgestaltung der Satzungslösung in § 22a
SGB II durch die Länder werden die Kom­
munen in Zukunft auch Satzungen aufstel­
len können oder müssen.
Als Quelle für die Aufstellung von abstrak­
ten Richtwerten nennt § 22c SGB II analog
zur bisherigen Rechtsprechung des BSG
Mietspiegel nach § 558c–d BGB, geeignete
eigene statistische Datenerhebungen und
-auswertungen (sog. grundsicherungsre­
levante Mietspiegel) oder den Rückgriff
auf Erhebungen Dritter. Letzteres könnten
z. B. eine Annoncendatenbank oder eine
kommunale Bürgerumfrage sein. Die in
der Praxis häufig verwendeten Werte der
Wohngeldtabelle wurden im neuen SGB II
zum Hilfsmerkmal abgestuft. Auch dies ent­
spricht der Rechtsprechung, die teilweise
die Wohngeldtabelle nur mit Sicherheitszu­
schlag anwendet.4
Aufbauend auf der gesetzlichen Regelung
in § 22 SGB II hat das BSG zur Bestimmung
von Angemessenheitsgrenzen ein im We­
sentlichen aus vier Schritten bestehendes
Verfahren aufgezeigt, wobei die ersten drei
Schritte (abstrakte Angemessenheit) in die
Bildung von Richtwerten münden und der
vierte Schritt (konkrete Verfügbarkeit) auf
der Ebene des Einzelfalls abgehandelt wer­
den soll:
1.Bestimmung der abstrakt angemessenen
Wohnungsgröße
2.Festlegung des räumlichen Vergleichs­
maßstabs
3.Ermittlung einer hypothetischen Refe­
renzmiete
4.Konkrete Angemessenheitsprüfung.
Für die Herleitung der abstrakt angemesse­
nen Miete fordert das BSG ein schlüssiges
Konzept. Schlüssig ist das Konzept, wenn es
bei der Ermittlung der abstrakten Referenz­
miete mindestens die Voraussetzungen der
folgenden Liste mit Qualitätsmaßstäben er­
füllt:5
1.Datenerhebung im gesamten Vergleichs­
raum
2.Definition des Gegenstands der Beobach­
tung, vor allem Art, Standard und Größe
der Wohnungen, Standardisierung der
Berechnung auf Bruttokalt- oder Netto­
kaltmieten6
3.
Angaben über den Beobachtungszeit­
raum
4.
geeignete Erhebung von Primärdaten
bzw. Hinzuziehung von Sekundärdaten
(z. B. Mietspiegel)
5.Repräsentativität des Umfangs der einge­
zogenen Daten
6.Validität der Datenerhebung
7.
Einhaltung anerkannter mathematischstatistischer Grundsätze der Datenaus­
wertung
8.Angaben über die gezogenen Schlüsse.
Im Folgenden sollen nun einerseits die Fäl­
le des (qualifizierten) Mietspiegels nach
§ 558c–d BGB und andererseits die des
grundsicherungsrelevanten
Mietspiegels
betrachtet werden. Die obige Liste der Qua­
litätsmaßstäbe dürfte dabei für beide Fälle
ihre Gültigkeit haben.7 Mit Sonderfällen wie
einfachen, unzureichenden oder teilräumli­
chen Mietspiegeln hat das BSG sich bislang
nicht beschäftigt.
In die erste Kategorie (mit Mietspiegel) fal­
len in der Regel Städte. Einige wenige Kreise
(z. B. Region Hannover, Kreis Wesermarsch)
haben kreisweite qualifizierte Mietspiegel
aufgestellt. Um § 558c (1) BGB zu genü­
gen, werden die Kreismietspiegel teilweise
durch alle kreisangehörigen Gemeinden
anerkannt. Den damit verbundenen hohen
Abstimmungsbedarf empfinden manche
Kreise jedoch als Hemmnis. Der qualifi­
zierte Mietspiegel an sich bearbeitet nur
die Punkte 1 bis 6 aus der obigen Liste der
Qualitätsmaßstäbe. Es verbleibt über das
BGB hinaus die rein grundsicherungsrecht­
liche Aufgabe, aus den Primärdaten des
Mietspiegels oder den Mietspiegeltabellen
die begründete Entscheidung für eine An­
gemessenheitsgrenze zu treffen. Dabei sind
auch „Aussagen zur Häufigkeit“8 der ange­
messenen Wohnungen zu treffen.
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 9.2011
In die zweite Kategorie (ohne Mietspiegel)
fällt die überwiegende Mehrzahl der deut­
schen Landkreise. Letztere müssen dann
eigene – grundsicherungsrelevante – Miet­
spiegel oder Tabellen erstellen.9 Dabei ha­
ben Literatur und Rechtssprechung im Lau­
fe der Zeit verschiedene Festlegungen u.a.
zur Fallzahl bei repräsentativen Erhebun­
gen10 oder zur Notwendigkeit der Verwen­
dung von Angebots- und Bestandsmieten11
getroffen.
In beiden Kategorien sind damit die Punkte
1 bis 6 aus der obigen Liste der Qualitäts­
maßstäbe weitgehend durch die Rechtspre­
chung bearbeitet worden. Wenige bzw. un­
klare Aussagen finden sich zum Thema der
Art der Schlüsse bzw. zur Verwendung der
korrekten statistischen Maßzahl. Dabei hat
genau dieser Punkt starke Auswirkungen
auf die Höhe des Ergebnisses. Plausibel ist
es davon auszugehen, dass bei Mieten, die
an sich das einfache Segment bezeichnen,
ein Spannenoberwert und bei Mieten, die
den gesamten Markt abdecken, ein nied­
rigeres Perzentil der Häufigkeitsverteilung
(Kappungsgrenze) adäquat ist.12
Allerdings gibt es auch zahlreiche Urteile,
insbesondere über die Ableitung von An­
gemessenheitsgrenzen aus qualifizierten
Mietspiegeln, die Durchschnittswerte aus
unterschiedlichen Grundgesamtheiten als
Angemessenheitsgrenze akzeptieren oder
fordern.13 Auf das Spektrum vorzufindender
Lösungen wird im Folgenden eingegangen.
3 Ausgewählte kommunale Lösungs­
ansätze
3.1 Abgrenzung des einfachen Segments
anhand von Wohnwertmerkmalen
des qualifizierten Mietspiegels
Qualifizierte Mietspiegel im Sinne des
§ 558d BGB können – wie auch einfache
Mietspiegel – Grundlage der Bestimmung
einer Referenzmiete sein.14 Städte mit qua­
lifiziertem Mietspiegel gehen diesen Weg
auch üblicherweise. In Berlin hat BSGE B 14
AS 50/10 R die spezifisch grundsicherungs­
relevante „AV Wohnen“ für ungültig erklärt
und stattdessen den parallel existierenden
qualifizierten Mietspiegel herangezogen.
Das Urteil legt nahe, dass die Angemessen­
heitsgrenze nicht einfach aus dem Miet­
spiegel abgelesen werden kann, sondern
547
die Heranziehung des Mietspiegeldatensat­
zes sinnvoll ist.
Die zentralen bei der Verwendung des Miet­
spiegels zu klärenden Fragen sind:
• Welche Wohnungen bzw. Mietspiegel­
zellen und -zu-/-abschläge bilden die
Grundgesamtheit?
• Welche statistische Maßzahl wird zur
Festlegung der Angemessenheitsgrenze
und damit zur Abgrenzung des einfachen
vom gehobenen Segment verwendet?
Eine überschlägige Durchsicht von ver­
schiedenen Städten zeigt, dass bei der Ab­
leitung aus dem Mietspiegel wie z. B. in
Essen oder Darmstadt das arithmetische
Mittel als statistische Maßzahl dominiert.
Da Wohnungsmieten üblicherweise rechts­
schief verteilt sind, liegen somit gut 50 %
der Wohnungen unter dem Durchschnitt
und knapp 50 % darüber.
Akzeptiert man – anders als BSGE B 4 AS
18/09 R mit der Einführung von Spannen­
oberwert und Kappungsgrenze – das arith­
metische Mittel als gängigen Standard, so
kommt der Wahl der Grundgesamtheit die
entscheidende Rolle zu:
• Wählt man als Grundgesamtheit den kom­
pletten mietspiegelrelevanten15 Wohnungs­
bestand, so zählen gut 50 % dieser Wohnun­
gen zum einfachen Segment.
• Schließt man in der Grundgesamtheit
z. B. anhand der Merkmale Ausstattung,
Lage, Art oder Beschaffenheit höherwertige
Wohnungen aus, so wird diese reduzierte
Grundgesamtheit durch die Auswertung
mit dem arithmetischen Mittel nochmals
annähernd halbiert. Die Grundgesamtheit
an sich kann demnach noch nicht das ei­
gentliche einfache Segment sein. BSGE B
14 AS 50/10 R Rd. Nr. 32 wählt für die bes­
sere Hälfte der einfachen Grundgesamtheit
am Beispiel der Wohnlage die Terminologie
„bevorzugt einfach“.
Zahlreiche Städte verfolgen den zweiten
Weg. Die Frage ist, auf welche Wohnwert­
merkmale bei der Festlegung des „einfache­
ren Segments“ zurückgegriffen wird:
• Bzgl. der Art der Wohnung ist laut BSGE B
14 AS 50/10 R Rd. Nr. 29 das sehr einfache
Segment, bestehend aus Ofenheizungen
oder Wohnungen ohne Bad, aus der Grund­
gesamtheit auszuschließen.
548
Christian von Malottki, Joachim Kirchner: Aktuelle kommunale Verfahren zur Regelung der
Angemessenheitsgrenzen der Kosten der Unterkunft
• Die Beschaffenheit der Wohnung wird üb­
licherweise über das Baualter beschrieben.
Hier akzeptiert BSGE B 4 AS 27/09 R im Es­
sener Mietspiegel die Beschränkung auf alle
Baualtersklassen älter als 20 Jahre. In Ber­
lin wiederum lehnt BSGE B14 AS 50 / 10 R
Rd. Nr. 28 die Beschränkung auf bestimm­
te Baualtersklassen ab und begründet dies
mit der Korrelation zwischen Baualter und
regionaler Verteilung der Wohnungen und
damit mit der Vermeidung von Ghettoisie­
rung. Lediglich bei einem Nachweis einer
gleichmäßigen Verteilung der gewählten
Baualtersklassen über das Stadtgebiet sei
die Einschränkung zulässig.
• Die Wohnlage wird in qualifizierten Miet­
spiegeln üblicherweise in Karten dargestellt.
Analog zum Baualter kann davon ausgegan­
gen werden, dass eine Beschränkung auf
einfachere Lagen zulässig ist, soweit diese
über das ganze Stadtgebiet verteilt sind.16
• Da Baualter und Wohnlage unter Umstän­
den aus räumlichen Gründen ausscheiden,
kommt der Ausstattung die zentrale Rolle
zu. Sie ist allerdings schwierig adäquat zu
behandeln, da sie nicht durch eines oder
wenige Merkmale beschrieben werden
kann. Der Differenzierungsgrad von Miet­
spiegeln ist deshalb bezüglich der Ausstat­
tung extrem unterschiedlich. Zahlreiche
Tabellenmietspiegel verfügen dazu über gar
keine Angaben. Tabellenmietspiegel, die
lediglich nach Art, Größe und Baualter der
Wohnung unterscheiden, erlauben deshalb
unter Umständen gar keine Vorabselektion
eines einfacheren Segments. Aus diesem
Grund mag es sinnvoller sein, in diesem
Fällen das arithmetische Mittel zu verlassen
und auf die im grundsicherungsrelevanten
Mietspiegel eingeführte Anwendung von
Spannenoberwerten bzw. anderen Per­
zentilwerten über dem Mittelwert überzu­
schwenken. Die Individualdaten der Miet­
spiegelerhebung bieten auch hierfür eine
gute Datengrundlage.
Entscheidend ist auch die Kombination der
Wohnwertmerkmale: Es ist ein erheblicher
Unterschied, ob bei einem, zwei oder drei
Wohnwertmerkmalen eine Beschränkung
auf ein einfacheres Segment stattfindet.
BSGE B 4 AS 27/09 R beantwortet die Frage
nicht, ob in Essen zusätzlich zur Beschrän­
kung auf Baualtersklassen auch noch eine
Multiplikation mit dem Mietspiegelfaktor
0,83 für eine einfache Ausstattung erfolgen
muss. Bei der Übernahme von Werten ein­
zelner Mietspiegelzellen, ggf. modifiziert
durch Zu- oder Abschläge, werden unter
Umständen relativ kleine Nischensegmente
des Marktes beschrieben. Es ist also nicht
sichergestellt, dass die durch Ausselektion
höherwertigerer Lagen, Ausstattungen und
Baualter verbleibenden Wohnungen, von
denen wiederum knapp die Hälfte über
dem arithmetischen Mittel liegt, von ihrer
Anzahl her so umfangreich sind, dass eine
ausreichende Verfügbarkeit von angemes­
senen Wohnungen gegeben ist. B 14 AS
106/10 R (Terminbericht) stellt deshalb den
Nachweis der Häufigkeit der Wohnungen
als weitere Aufgabe des Grundsicherungs­
trägers heraus. Entscheidend dürften bei
der Selektion der Mietspiegelzellen des­
halb Rückkopplungsschleifen zwischen der
normativen Festlegung des angemessenen
Wohnungsstandards und der Häufigkeitsbzw. Verfügbarkeitsanalyse sein.
3.2 Abgrenzung des einfachen Segments
unter Berücksichtigung der
Verfügbarkeit
In der Mehrzahl der Landkreise und auch
in etlichen Städten liegt kein Mietspiegel
oder nur ein unzureichender, teilräumli­
cher oder einfacher Mietspiegel vor. Die
betroffenen Grundsicherungsträger behel­
fen sich daher mit eigenen Tabellen, sog.
grundsicherungsrelevanten Mietspiegeln.
Das fachliche Niveau der Festlegungen ist
bislang unterschiedlich und ein Grund für
die hohe Zahl an Sozialgerichtsprozessen.
Als Datenquellen werden vielerorts An­
noncen und/oder die bei den Trägern und
teilweise zentral bei der Arbeitsagentur er­
fassten Bestandsdaten der Bedarfsgemein­
schaften verwendet. BSGE B 4 AS 30/08 R
gibt die Verwendung von Angebots- und
Bestandsmieten vor. Eine Voreinschrän­
kung auf das einfache Segment ist dabei zu­
lässig. Allerdings muss insbesondere bei der
Verwendung von Bestandsdaten der Leis­
tungsempfänger sichergestellt werden, dass
kein Zirkelschluss entsteht.
Ähnlich wie bei einfachen Tabellenmiet­
spiegeln sind Details über die Ausstattung
der Wohnungen in der Regel nicht bekannt.
Damit stellt sich die Frage, wie das einfache
vom gehobenen Segment valide abgegrenzt
werden kann.
Im Folgenden wird mit dem grundsiche­
rungsrelevanten Mietspiegel des Kreises
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 9.2011
Offenbach ein möglicher Ansatz vorgestellt,
der das Thema der Verfügbarkeit und damit
die im vorangegangenen Kapitel diskutier­
te Frage nach den Häufigkeiten bearbei­
tet und gleichzeitig die Frage beantwortet,
wie Angebotsdaten von Internetportalen,
Zeitungen bzw. örtlichen Wohnungsunter­
nehmen und Bestandsdaten des Grund­
sicherungsträgers sinnvoll in Beziehung
gesetzt werden können.17 Für den Grund­
sicherungsträger wird damit die Einzelfall­
prüfung erleichtert und es entfallen teure
Primärdatenerhebungen.
Im Kreis Offenbach wird die unter Berück­
sichtigung der Verfügbarkeit ermittelte An­
gemessenheitsgrenze genau so hoch festge­
setzt, dass alle unangemessen Wohnenden
(= Nachfrage) eine angemessene Wohnung
(= Angebot) finden, d.h. die Zahl der über
dem Limit liegenden Bedarfsgemeinschaf­
ten genauso hoch ist wie die Zahl der unter
den Angemessenheitsgrenzen liegenden
Wohnungsangebote (vgl. Abb. 1). Das Woh­
nungsmarktmodell „sucht“ also für jeden
unangemessen Wohnenden ein Wohnungs­
angebot. Mathematisch gesprochen wird
die Angemessenheitsgrenze x aus folgender
Gleichung bestimmt:
mit N als Zahl der Nachfrager in Abhän­
gigkeit von der Miethöhe m und A als Zahl
der Angebote in Abhängigkeit von m. In
Abbildung 1 wird die senkrechte rote Li­
nie (Angemessenheitsgrenze) somit genau
dort platziert, wo die Zahl der roten Fälle
in der oberen Häufigkeitsverteilung der An­
gebotsmieten so hoch ist wie die Zahl der
roten Fälle in der unteren Verteilung der
Bestandsmieten der Transferleistungsemp­
fänger.
Angebot und Nachfrage werden also nicht
nur in Bezug auf die Miethöhe ausgewer­
tet, sondern die Häufigkeitsverteilungen
werden auch quantifiziert. Dabei sind al­
lerdings etliche Umrechnungen notwendig,
die nicht erhebbare Angebotssegmente wie
die Vermietung über Freunde und Bekann­
te hochrechnen, Bestandsdaten in Strom­
größen (Angebot und Nachfrage pro Monat)
umrechnen und die Konkurrenz durch an­
dere Nachfrager nach preisgünstigen Woh­
nungen modellieren. Gleichzeitig wird über
regressionsanalytisch bestimmte Zu- und
549
Abbildung 1
Definition der Angemessenheitsgrenzen unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit
Quelle: IWU
Abschläge das Mietpreisniveau für die 13
Gemeinden des Kreises angepasst.
Das Wohnungsmarktmodell hat den gro­
ßen Vorteil, dass es der Problematik gerecht
wird, dass es in vielen Kreisen überpropor­
tional viele Bedarfsgemeinschaften mit ei­
ner Person gibt, der einfache Wohnungsbe­
stand aber stark aus größeren Wohnungen
besteht.18 Durch konsequente Anwendung
der Produkttheorie werden auch größere
billige Wohnungen für kleine Bedarfsge­
meinschaften einbezogen.
Die Angemessenheit wird damit an die Ver­
fügbarkeit geknüpft. Der Frage, was unter
Verfügbarkeit zu verstehen ist, wurde bis­
her nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt,
obwohl eine Konkretisierung dieses Be­
griffs für die Festlegung der Angemessen­
heitsgrenze von erheblicher Bedeutung ist.
Nachfolgend werden drei unterschiedliche
Definitionen der Verfügbarkeit vorgestellt:
(1) Bei der einfachen Verfügbarkeit be­
schränkt man sich auf den Nachweis, dass
überhaupt angemessene Wohnungen an­
geboten werden, ohne auf deren Anzahl
zu achten. Jeder Leistungsempfänger mit
einer zu hohen Miete (Überschreiter) kann
auf diese Wohnungen verwiesen werden.
Durch BSGE B 14 AS 106/10 R (Terminbe­
richt) dürfte diese Sichtweise überholt sein.
(2) Bei der im Kreis Offenbach verwendeten
mengenbezogenen Verfügbarkeit werden
550
Christian von Malottki, Joachim Kirchner: Aktuelle kommunale Verfahren zur Regelung der
Angemessenheitsgrenzen der Kosten der Unterkunft
die Angemessenheitsgrenzen so festgelegt,
dass alle Überschreiter die Chance haben,
eine angemessene Wohnung zu finden. Da
mit der Höhe der Angemessenheitsgrenze
die Zahl der Überschreiter abnimmt, wäh­
rend die Zahl der verfügbaren angemes­
senen Wohnungen ansteigt, besteht die
Aufgabe darin, eine empirisch fundierte
Grenze zu finden, bei der ein Ausgleich der
beiden Größen zu erwarten ist.
(3) Die modifizierte mengenbezogene Ver­
fügbarkeit als dritte Variante berücksich­
tigt, dass nicht alle Überschreiter eine neue
Wohnung suchen werden. Hier sind z. B.
zwei Gruppen zu nennen: Auf der einen
Seite stehen diejenigen Leistungsberech­
tigten, die bedarfsüberschreitende Aufwen­
dungen aus dem Regelbedarf oder dem ge­
schützten Vermögen finanzieren. Für dieses
Verhalten kommen unterschiedliche Mo­
tive infrage, zu denen auch die Erwartung
einer nur vorübergehenden Transferabhän­
gigkeit zählt. Auf der anderen Seite stehen
die erwerbstätigen Leistungsempfänger, die
ein Einkommen erwirtschaften, das den
Mindestsicherungsbedarf übersteigt, und
die somit in der Lage sind, über der Ange­
messenheit liegende Aufwendungen zu tra­
gen, ohne dass das verbleibende Einkom­
men unter den Regelbedarf rutscht. Ob und
wie sich die modifizierte mengenbezogene
Verfügbarkeit rechtssicher definieren lässt,
muss an dieser Stelle offen bleiben.
Die drei Varianten führen vermutlich zu
unterschiedlichen
Angemessenheitsgren­
zen, wobei die mengenbezogene Verfüg­
barkeit mit den höchsten und die einfache
Verfügbarkeit mit den niedrigsten Werten
verbunden sein dürfte. Abschließend bleibt
noch anzumerken, dass in der vorstehen­
den Diskussion unterstellt wurde, dass den
Überschreitern angemessene Wohnungen
zur Verfügung stehen müssen. Nach § 22
(1) SGB II ist das aber nicht zwingend gebo­
ten. Neben dem Wohnungswechsel ist dort
nämlich auch die (Unter-)Vermietung als
ein Instrument zur Reduktion der Aufwen­
dungen vorgesehen. Die Einbeziehung die­
ser Möglichkeit macht die Festlegung der
Angemessenheitsgrenze allerdings noch
komplizierter.
3.3 Mietpreisdämpfende Effekte durch
Pauschalierung
Nach § 22a SGB II können die Länder ihre
Kreise und kreisfreien Städte ermächtigen,
die Bedarfe für Unterkunft und Heizung
durch eine monatliche Pauschale zu be­
rücksichtigen, wenn auf dem Wohnungs­
markt ausreichend freier Wohnraum ver­
fügbar ist und dies dem Grundsatz der
Wirtschaftlichkeit entspricht. Eine solche
Pauschalierung ist in Form einer kommu­
nalen Satzung vorzunehmen. In der Sat­
zung sind auch Regelungen für den Fall
vorzusehen, dass die Pauschalierung im
Einzelfall zu unzumutbaren Ergebnissen
führt.
Da das Bedarfsdeckungsprinzip durch eine
Pauschalierung nicht außer Kraft gesetzt
wird, ist wie bei der Angemessenheitsgren­
ze ein einfaches Segment zu definieren und
die Verfügbarkeit von Wohnungen zu be­
rücksichtigen. Damit kann eine Pauschale –
um der Rechtssprechung des BSG zu genü­
gen – nicht wesentlich niedriger festgesetzt
werden als eine Angemessenheitsgrenze.
Gegen die Angemessenheitsgrenze – und
damit für die Pauschalierung – sprechen
folgende Punkte:
Solange erstens die Angemessenheitsgren­
ze nicht überschritten wird, bestehen für
die Leistungsbezieher keine Anreize, die
Unterkunfts- und Heizkosten zu redu­
zieren. Der Umzug in eine kleinere und
kostengünstigere Wohnung bietet ihnen
ebenso wenig Vorteile wie die Reduzierung
der Heizkosten. Auch mietrechtlich un­
zulässige Mieterhöhungen, zivilrechtlich
unwirksame Verträge nach § 138 BGB bzw.
ordnungswidrige Verträge nach § 5 WiStG
oder falsche Heizkostenabrechnungen be­
lasten sie nicht, soweit die geforderten Be­
träge nicht unangemessen hoch sind. Da
Wohnung und Heizung im Bereich der An­
gemessenheit kostenlos sind, werden die
Transferempfänger sogar bestrebt sein, den
Wohn- und Heizkonsum soweit wie mög­
lich auszudehnen, auch wenn ihr dadurch
erzielter Grenznutzen deutlich unter den
Grenzkosten des Steuerzahlers liegt. Damit
ist eine Verminderung der gesamtgesell­
schaftlichen Wohlfahrt verbunden.
Zweitens besteht für die Anbieter ein An­
reiz, die Bestandsmiete auf das Niveau der
Angemessenheit anzuheben, auch wenn
dadurch die ortsübliche Vergleichsmiete
überschritten wird. Ein Widerstand oder
gar Auszug der Mieter ist nicht zu befürch­
ten. Da sich die Angemessenheit an der
Verfügbarkeit der Wohnungen orientieren
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 9.2011
muss, dürften, von der ortsüblichen Ver­
gleichsmiete ausgehend, zumindest auf
Wohnungsmärkten mit Preissteigerungen
Mieterhöhungsspielräume vorhanden sein.
Längerfristig ist durch die induzierten
Mietsteigerungen bei der Angemessen­
heitsgrenze zwar damit zu rechnen, dass
der Gewinn teilweise reinvestiert wird und
die Qualität der Wohnungen steigt. Anrei­
ze zur energetischen Sanierung bietet das
Transfersystem dem Anbieter bei einer auf
die Kaltmiete bezogenen Angemessen­
heitsgrenze aber trotzdem nicht. Mieter­
höhungsspielräume werden eher in den
sonstigen Komfort der Wohnung fließen als
in die energetische Modernisierung, weil
die Wettbewerbsfähigkeit der Wohnungen
bei Transferleistungsempfängern, die ihre
Heizkosten erstattet bekommen, dadurch
stärker zunimmt als bei einer energetischen
Sanierung.
551
deutlich geringerer Verwaltungskosten
auch fiskalische Vorteile. Ebenfalls nicht
vergessen werden darf die zunehmende
Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestim­
mung der Leistungsempfänger.
Der Pauschalierung sind zwei grundlegen­
de Kritikpunkte entgegenzuhalten:
Auf der einen Seite wird befürchtet, dass
sie zu einer verstärkten Nachfrage nach
schlechten Wohnungen und zu weiteren
Segregationstendenzen führt. Insbesonde­
re wegen der knappen Bemessung des Re­
gelsatzes ist bei einer Pauschalierung der
Unterkunftskosten in ausreichender Höhe
eine Substitution des Wohnkonsums durch
anderen Konsum zu erwarten.
Beim Alternativmodell der Pauschalierung
der Unterkunfts- und Heizkosten treten die
eben genannten Fehlsteuerungen nicht in
diesem Maße auf. Die Pauschalierung wirkt
wie ein Einkommenstransfer, bei dem ver­
zerrende Substitutionseffekte nicht auftre­
ten. Der Empfänger wird das zusätzliche
Einkommen in seinem Sinne nutzenmaxi­
mierend einsetzen. Von daher wird er nicht
bereit sein, für eine gegebene Wohnung
mehr als erforderlich zu zahlen. Da Wohnen
für ihn mit einem Preis belegt ist, besteht
auch kein Anreiz mehr, den Wohnkonsum
möglichst weit auszudehnen. Da bei der
Pauschalierung auch geringe Heizkosten
im Interesse des Transferbeziehers liegen,
wird auch der energetische Standard zum
Entscheidungskriterium bei der Wohnungs­
wahl.
Das zweite Gegenargument zielt auf die mit
der Pauschalisierung verbundenen Kosten­
steigerungen. Da bei einer Pauschalierung
jeder Haushalt gleichen Typs (Anzahl und
Alter der Mitglieder) die gleichen Zahlun­
gen erhält, wird der kommunale Aufwand
zunehmen, wenn Angemessenheitsgren­
ze und Pauschalierungsbetrag gleich hoch
ausfallen. Dabei hängt der Umfang der
Kostensteigerung davon ab, wie stark die
Mieten zwischen den Transferempfängern
eines bestimmten Haushaltstyps variie­
ren. Unter diesem Aspekt darf die zuvor
geschilderte Tendenz zu einer Angleichung
der Mieten der Transferempfänger, die
sich aus den Mieterhöhungsspielräumen
bei der Kostenerstattung bis zur Angemes­
senheitsgrenze ergibt, nicht vernachlässigt
werden. Sie könnte dazu führen, dass sich
die Mietzahlungen der Transferempfänger
im Zeitablauf annähern und die Zusatz­
aufwendungen verringern, die mit der Pau­
schalierung einhergehen.
Zusammenfassend lässt sich somit zweier­
lei festhalten: Auf der einen Seite dürften
mit der Pauschalisierung geringere Preis­
steigerungen einhergehen als bei der ge­
genwärtig praktizierten Kostenerstattung.
Davon profitieren vor allem die Niedrig­
einkommensbezieher, die keine Transfer­
leistungen erhalten. Zum anderen dürfte
der Nutzen der Leistungsempfänger, der
sich für den gleichen staatlichen Aufwand
ergibt, bei einer ausreichenden, d.h. am
Bedarfsdeckungsprinzip orientierten Pau­
schalierung der Unterkunftskosten deutlich
höher ausfallen als bei der gegenwärtigen
Praxis. Daneben bringt die Pauschalierung
der Unterkunfts- und Heizkosten in Form
Die Stadt Kassel hat ein Pauschalierungs­
modell bereits praktiziert. Allerdings hat
das Sozialgericht Kassel die Festlegung der
Pauschalen für nicht schlüssig erklärt (S 7
AS 608/06, S 12 SO 17/09 ER). Das Kasseler
Modell war jedoch keine reine Pauschalie­
rung, da Bedarfsgemeinschaften mit Mie­
ten, die um mehr als 20 % unter den Pau­
schalen lagen, nur noch die tatsächlichen
Kosten erstattet bekamen. Lediglich Trans­
ferbeziehern mit höheren Mieten wurde
die Pauschale zugestanden. Damit war eine
erhebliche horizontale Ungerechtigkeit ver­
bunden, weil nur Haushalte mit Wohnkos­
ten von 80 % bis 100 % des Pauschalbetrags
von dieser Regelung profitierten. Für diese
552
Christian von Malottki, Joachim Kirchner: Aktuelle kommunale Verfahren zur Regelung der
Angemessenheitsgrenzen der Kosten der Unterkunft
Haushalte ergab sich der Vorteil aus den
zusätzlichen Mitteln, die für den Lebensun­
terhalt zur Verfügung standen. Diese Vortei­
le wuchsen mit abnehmender Miete. Sank
die Miete allerdings unter einen Wert von
80 % des Pauschalbetrags, gingen diese Vor­
teile gänzlich verloren, so dass diese Haus­
halte gegenüber Haushalten mit höheren
Mieten erheblich benachteiligt waren.
3.4 Die modifizierte ortsübliche Vergleichsmiete als Angemessenheitsgrenze
Die eben dargestellten Mieterhöhungsspiel­
räume bis zur Angemessenheitsgrenze füh­
ren zu der unbefriedigenden Situation, dass
Vermieter insbesondere für sehr schlechte
Wohnungen überhöhte Mieten auf Kosten
des Steuerzahlers verlangen können.
Einzelne Grundsicherungsträger wie die
Stadt Offenbach führen deshalb neben der
Angemessenheitsprüfung auch eine zumin­
dest kursorische Prüfung durch, ob die KdU
die ortsübliche Vergleichsmiete substanziell
überschreiten, und verweigern für diesen
Fall die Zustimmung zur Neuanmietung.
Die Träger in Bielefeld und München schal­
ten bei Verdacht auf Mietwucher das städti­
sche Wohnungsamt ein.
Eine Lösung kann grundsätzlich auch darin
bestehen, die Angemessenheitsgrenze stär­
ker an der ortsüblichen Vergleichsmiete aus
dem qualifizierten Mietspiegel auszurich­
ten und damit auch nach Wohnungen bzw.
Wohnwertmerkmalen auszudifferenzieren.
Inwiefern es zulässig ist, dass dann für ver­
schiedene Leistungsempfänger in verschie­
denartigen Wohnungen unterschiedliche
Angemessenheitsgrenzen gelten, muss die
Rechtssprechung für jedes Wohnwertmerk­
mal entscheiden. Die Eignung der Wohn­
wertmerkmale des BGB (Art, Größe, Lage,
Ausstattung und Beschaffenheit – letztere
beinhaltet Baualter und energetische Qua­
lität) für die Differenzierung von Angemes­
senheitsgrenzen ist jedoch unterschiedlich:
Unter die Art der Wohnung fallen v.a. die
Heizungsart und die Grundausstattung
(Küche/WC/Bad). Wohnungen ohne Zent­
ralheizung und Bad sind inzwischen selten
geworden. Bei der Ermittlung von Ange­
messenheitsgrenzen dürfen sie laut BSGE
B 14 AS 50/10 R Rd. Nr. 29 nicht herange­
zogen werden. Gerade in diesen Beständen
mag aber Mietwucher ein Problem sein, das
durch spezifische Angemessenheitsgrenzen
eingedämmt werden könnte.
Eine Differenzierung nach der Größe der
Wohnung, wie sie bspw. in Frankfurt durch­
geführt wird, widerspricht auf den ersten
Blick der Produkttheorie, wonach Leis­
tungsempfänger geringen Flächenkonsum
durch bessere Ausstattung o.ä. kompensie­
ren können. Da eine Komplettkompensati­
on bei sehr kleinen Wohnungen regelmäßig
zu Mietwucher führen dürfte (z. B. 400 €
Angemessenheitsgrenze für eine Person
abgeleitet aus 50 m² * 8 €/m² entspräche 20
m² * 20 €/m²), könnte eine Beschränkung
der Produkttheorie sinnvoll sein. Hierbei
könnten die Perzentilwerte der Mietspiegel­
stichprobe eine Hilfe bei der Einschätzung
geben.
BSGE B14 AS 50/10 R Rd. Nr. 28 sieht im
Baualter, dem Hauptmerkmal der Beschaf­
fenheit, eine Näherungsvariable für die
stadträumliche Lage. Denn viele Stadt­
viertel – insbesondere die großen Stadter­
weiterungen der Nachkriegszeit – weisen
eine homogene Altersstruktur der Gebäu­
de auf. Die Differenzierung nach Baualter
erscheint – wohl wegen der prominenten
Position im qualifizierten Mietspiegel und
der früheren Wohngeldtabelle – am verbrei­
tetsten zu sein, z. B. in Frankfurt, Offenbach
und Hamburg. Ghettobildung lässt sich
über eine stadtbezirksspezifische Differen­
zierung aber sicher besser vermeiden.
Die Qualität der Ausstattung lässt sich nicht
nur schwer erfassen, sie ist auch gänzlich
ungeeignet für eine Differenzierung der An­
gemessenheitsgrenzen, die sich ja explizit
am einfachen Standard orientieren sollen.
Den Autoren ist auch keine KdU-Richtlinie
bekannt, die hier differenziert.
Zahlreiche qualifizierte Mietspiegel diffe­
renzieren die ortsübliche Vergleichsmiete
inzwischen auch nach energetischen Kriterien. Die entsprechende Anpassung an das
Thema KdU wird in Kapitel 3.5 am Beispiel
von Bielefeld und Offenbach separat disku­
tiert.
Eine Differenzierung nach der Lage bzw.
Teilräumen kann der Ghettobildung entge­
genwirken. Hierauf wird in Kapitel 3.6 am
Beispiel von Hamburg gesondert eingegan­
gen.
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 9.2011
3.5 Energetische Differenzierung der
Angemessenheitsgrenze
Auch Heizkosten werden nach § 22 (1)
SGB II nur in angemessener Höhe über­
nommen. In der Praxis werden sie aber
weit häufiger in tatsächlicher Höhe über­
nommen als Unterkunftskosten. Die Kür­
zung fällt schwer, weil der Nachweis über
ein nach konkret-individuellen Maßstäben
unangemessenes Heizverhalten deutlich
schwerer zu erbringen ist als bei der Kalt­
miete.19 Bislang wurde vom BSG insbe­
sondere ein abstrakter Richtwert für Heiz­
kosten abgelehnt und mit methodischen
Problemen bei der Berücksichtigung der
Vielzahl an Einflussfaktoren begründet.20
Individuelle jährliche Heizkosten einer
Wohnung bzw. eines Haushalts hängen
vom Energieverbrauch, dem Energieträ­
ger sowie dem (u.U. örtlich eingeschränkt
wählbaren und im Zeitablauf schwanken­
den) Preisniveau eines Energieanbieters ab.
Der Energieverbrauch wird wiederum de­
terminiert durch
– die Kubatur des Gebäudes,
– die wärmetechnische Qualität der Außen­
hülle und der Anlagentechnik,
– die Lage der Wohnung im Gebäude,
– die mittlere Raumtemperatur der Nach­
barn,
– das Nutzerverhalten (mittlere Raumtem­
peraturen, Lüftungsverhalten, innere
Wärmequellen),
– die Betriebsführung der Anlagentechnik
und
– das Wetter im jeweiligen Jahr.
Der Einfluss des Nutzerverhaltens lässt sich
wiederum aufteilen in bevölkerungsgrup­
penspezifische Besonderheiten (z. B. Älte­
re und Behinderte mit hoher Anwesenheit
zuhause und damit höheren Raumtempe­
raturen), die durchaus in einen abstrakten
Richtwert einfließen können, sowie in per­
sönliche Präferenzen bzw. Verhaltenswei­
sen des Heizenden. Letzteres ist für die Be­
messung von Richtwerten irrelevant.
Mit der Gesetzesänderung 2011 sieht § 22 b
SGB II auch die Bildung einer Gesamtange­
messenheitsgrenze für KdU und Heizkosten
vor. Dies stellt von den generellen Überle­
gungen her eine mehrfache Win-Win-Situa­
tion dar. Kaltmieten und Energiebedarf sind
553
– wie aus der energetischen Differenzierung
von Mietspiegeln nach dem BGB bekannt
ist21 – negativ miteinander korreliert. Die
Gesamtangemessenheitsgrenze ermöglicht
daher die Umschichtung zwischen Unter­
kunfts- und Heizkosten. Zieht eine Bedarfs­
gemeinschaft in eine energetisch bessere
Wohnung oder wird die Wohnung energe­
tisch saniert, so erlauben die eingesparten
Heizkosten höhere Aufwendungen für die
Unterkunft. Damit wird – was umweltpoli­
tisch wünschenswert ist – Eigentümern die
energetische Sanierung ermöglicht, ohne
dass sie befürchten müssen, dass die Kalt­
mieten anschließend unangemessen sind.
Stadtentwicklungs- und sozialpolitisch
wird dadurch die Konzentration ärmerer
Schichten in unsanierten Gebäudebestän­
den vermieden. Fiskalpolitisch wird durch
die Öffnung energetisch hochwertiger Be­
stände für Transferleistungsempfänger das
Kostenrisiko für die öffentliche Hand im
Fall zukünftiger Energiepreissteigerungen
reduziert.
Einige Städte verfolgen derzeit Ansätze, die
eine für den Leistungsempfänger freiwil­
lige Übertragung von Kostenersparnissen
im Bereich der Heizkosten auf die Kaltmie­
te ermöglichen. Vorreiter war hier die Stadt
Bielefeld. In der Richtlinie 2008 wurde bei
Vorlage des Energieausweises mit einem
Verbrauchskennwert unter 160 kWh/(m²a)
ohne Warmwasser ein Zuschlag von 35 Cent
auf die Kaltmiete gewährt. Unter 110 kWh/
(m²a) waren es plus 50 Cent, unter 60 kWh/
(m²a) waren es plus 65 Cent.
Die Stadt Offenbach verfährt prinzipiell
nach dem gleichen Prinzip. Allerdings wird
hier ein Energiebedarfsausweis gefordert
und gleichzeitig eine Berechnung vorge­
legt, wie die Werte ermittelt werden. Dabei
wird – anders als im qualifizierten Mietspie­
gel, der auf Marktmieten setzt – ein kosten­
orientierter Ansatz gewählt. Als normal gilt
ein Gebäude mit einem Bedarf von 200
kWh/(m²a). In der Energieeffizienzklasse
um 150 kWh/(m²a) ergibt sich eine Jahres­
ersparnis von 50 kWh/(m²a) bzw. 4,2 kWh/
m² pro Monat. Dies entspricht bei aktuellen
Energiepreisen ca. 25 Cent/m², die dann als
Bonus bei der Kaltmiete geltend gemacht
werden können. Die weiteren Stufen lauten
plus 50 Cent in der Stufe um 100 kWh/(m²a)
und plus 63 Cent in der Stufe unter 75 kWh/
(m²a). Spiegelbildlich zur Erhöhung des
Richtwerts für die Unterkunft wird in Of­
554
Christian von Malottki, Joachim Kirchner: Aktuelle kommunale Verfahren zur Regelung der
Angemessenheitsgrenzen der Kosten der Unterkunft
fenbach die Angemessenheitsgrenze für die
Heizkosten reduziert, das System ist also
warmmietenneutral.
Entscheidend ist bei Verfahren mit Energie­
ausweis, dass die Übertragung für den Leis­
tungsempfänger freiwillig ist. Außerdem
muss der Vermieter kooperieren, denn nur
er verfügt über den Energieausweis.
3.6 Räumliche Differenzierung der Angemessenheitsgrenze
Das BSG schreibt für die Ermittlung eines
abstrakten Richtwerts die Festlegung eines
räumlichen Vergleichsmaßstabs vor. Dieser
hat streng genommen zwei Zielsetzungen:
Er dient erstens der Abgrenzung homoge­
ner Wohnungsmarktregionen mit gleichem
Preisniveau und stellt zweitens sicher, dass
der Leistungsempfänger in seinem bisheri­
gen Wohnumfeld wohnen bleiben kann.
Beide Ziele sind jedoch nicht zwangswei­
se kongruent. In Ballungsräumen ergeben
Zonen gleicher Mietpreise oft konzentri­
sche Kreise um das Zentrum, während der
zumutbare Bereich sich eher auf Kreisseg­
mente („Tortenstücke“, bspw. entlang von
S-Bahn-Linien) beziehen könnte.
Zielführend dürfte deshalb eine Trennung
der beiden Ziele sein. Der Bereich zumut­
barer Umzüge mag auf der Ebene der Ein­
zelfallprüfung sinnvoller zu beurteilen sein.
Marktnah ist in jedem Fall eine kleinteilige
räumliche Differenzierung bei freier Stand­
ortwahl für alle oder zumindest für die
bisher in teureren Gebieten Wohnenden.
Ein solches Vorgehen wird in Hamburg ge­
wählt. Dort gibt es einen Zuschlag von 10 %
zu den Angemessenheitsgrenzen, wenn der
Leistungsempfänger in einem der (recht
zahlreichen) Stadtteile mit geringem An­
teil an Transferleistungsempfängern lebt.
Hierdurch sollen kostensenkungsbeding­
te Umzüge in Quartiere mit hohen Quoten
an Transferleistungsempfängern und damit
die Zunahme der Segregation vermieden
werden. Denn eine Angemessenheitsgrenze
für eine ganze Stadt wird regelmäßig dazu
führen, dass sich die Wohnungen unterhalb
der Richtwerte in bestimmten Gebieten
ballen. Daran ändern auch die Anforderun­
gen des BSG an die räumliche Gesamtabde­
ckung bei der Datenerhebung nichts.
Gegen die räumliche Detaillierung, insbe­
sondere auf dem Land, wurde vom BSG das
Argument angeführt, es gäbe in kleinen Ge­
meinden keinen Wohnungsmarkt. Das ist
unter dem Aspekt der Verfügbarkeit richtig.
Allerdings steht hier die abstrakte Angemes­
senheit zur Diskussion. Die Erfahrungen
aus der Erstellung von qualifizierten Miet­
spiegeln zeigen, dass mit Hilfe regressions­
analytischer Verfahren und der Einbindung
von lokalen Experten relativ kleinteilig va­
lide Beurteilungen von Lagen möglich sind.
Es spricht somit aus fachlicher Sicht nichts
dagegen, in Zonen (Gemeinden, Stadtvier­
teln) von nur 5 000 bis 10 000 Einwohnern
Preise zu ermitteln. Zahlreiche Landkreise
legen deshalb Werte für einzelne Kommu­
nen fest (in Hessen bspw. die Kreise, Offen­
bach, Darmstadt-Dieburg und SchwalmEder) oder fassen Kommunen zu Gruppen
zusammen (in Hessen bspw. die Kreise
Groß-Gerau und Bergstraße).
3.7 Toleranzkorridore bei der
Überschreitung der Angemessenheitsgrenze
Transferempfänger mit unangemessen ho­
hen Aufwendungen für Unterkunft und
Heizung haben nach Erhalt der Kostensen­
kungsaufforderung und Ablauf der SechsMonats-Frist zwei Optionen: die Reduktion
der Aufwendungen oder die Finanzierung
der bedarfsüberschreitenden Kosten über
andere Quellen.
Die Auswertungen des IWU für verschiede­
ne Grundsicherungsträger22 zeigen, dass es
einen substanziellen Anteil an Leistungs­
empfängern mit überhöhten Wohnkosten
gibt, deren KdU auf die Angemessenheits­
grenze gekürzt wurde, die weiterhin über­
höhte Kosten haben und diese aus Zuver­
diensten, Vermögen, der Grundleistung
oder anderen Quellen begleichen. In den
meisten Fällen handelt es sich um eine re­
lativ geringe Überschreitung. Andernfalls
kann – wie in Essen praktiziert – ein Nach­
weis verlangt werden, wie die Leistungs­
empfänger die Kosten tragen. Dies dürfte
v.a. auf die Verhinderung von Schwarzarbeit
zielen. Die Finanzierung unangemessen
hoher Unterkunftskosten durch den Leis­
tungsberechtigten wird im Gesetz nicht
thematisiert.
Eingegangen wird dagegen auf die Vermin­
derung der Aufwendungen. Dabei geht § 22
(1) SGB II von mehreren Reduzierungsmög­
lichkeiten aus, von denen zwei explizit er­
wähnt werden: der Wohnungswechsel und
die (Unter-)Vermietung. Der Hinweis auf
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 9.2011
die Vermietung ist insoweit von Interesse,
als damit nicht automatisch alle unange­
messen Wohnenden als Nachfrager auf dem
Wohnungsmarkt aktiv werden und verfüg­
baren Wohnraum im einfachen Segment
benötigen (vgl. Kapitel 3.2).
Bei den geringfügigen Überschreitern ist
ein Umzug in der Regel nicht wirtschaft­
lich. Einzelfallbezogene Wirtschaftlich­
keitsprüfungen arbeiten dabei – wie bspw.
in Hamburg – mit maximalen Zeiträumen,
innerhalb derer sich die angefallenen Kos­
ten für Makler, evtl. anfallende Monate
doppelter Miete sowie die Bewirtung von
Umzugshelfern amortisiert haben muss.
Andere Grundsicherungsträger kalkulie­
ren von vornherein einen Toleranzkorridor
bzw. eine Bestandsschutzklausel ein. Die
Werte hierfür liegen oft im prozentualen
Bereich von ca. 10 % (z. B. München) oder
bei absolut 25 € (z. B. Freiburg) bis 50 € (z. B.
Dortmund). Der Vorteil der festen Korri­
dore besteht darin, dass als angemessene
Miete gegenüber den Wohnungsmarktak­
teuren der untere der beiden Werte kom­
muniziert werden kann, dieser auch für
Neuanmietungen gilt und damit ungerecht­
fertigte Mietanpassungen bis ans Limit
eingeschränkt werden dürften. Gleichzei­
tig reduzieren sich die Zahl der Kostensen­
kungsaufforderungen und damit die Zahl
der neu generierten Nachfrager nach ange­
messenen Neuverträgen.
4Ausblick
Anhand von Praxisbeispielen wurden mög­
liche Lösungen für aktuell oder bereits
länger diskutierte Themen aufgezeigt. Der
Schwerpunkt der Diskussionen dürfte sich
in der nächsten Zeit neben der Frage nach
der korrekten Grundgesamtheit und der
dann adäquaten statistischen Maßzahl bei
der Ableitung der Angemessenheitsgrenzen
aus qualifizierten Mietspiegeln (vgl. Kapitel
3.1) vor allem auf die Neuerungen der Ge­
setzgebung beziehen. Dabei verdienen be­
sonders die Satzungsermächtigung und die
Frage nach der angemessenen Wohnfläche
Aufmerksamkeit.
Mit § 22a (1) SGB II haben die Länder nun
das Recht, die Kreise und kreisfreien Städ­
te durch ein Gesetz entweder zu ermäch­
tigen oder zu verpflichten, die angemes­
senen Aufwendungen für Unterkunft und
555
Heizung über eine Satzung zu bestimmen.
Satzung und Begründung sollen veröffent­
licht werden. Damit wird das Verfahren
transparenter und gleichzeitig werden die
Mitwirkungsmöglichkeit der lokalen Politik
gestärkt. In der rechtlichen Konsequenz be­
deutet dies, dass durch § 55a Sozialgerichts­
gesetz (SGG) die Möglichkeit geschaffen
wird, die Satzungen durch Normenkont­
rollverfahren zu überprüfen. Da Ergebnisse
von Normenkontrollverfahren allgemein
verbindlich sind, bieten Satzungen, die in
einem solchen Verfahren für ungültig er­
klärt wurden, keine Rechtsgrundlage mehr
für weitere Bedarfsfestsetzungen. Bereits
erlassene Bewilligungen verlieren ihre Gül­
tigkeit und müssen geändert werden. Für
Leistungsempfänger ergibt sich dadurch
eine größere Verlässlichkeit. Die Zahl der
Klagen dürfte sich zum Vorteil vom Gerich­
ten und Kommunen reduzieren. Allerdings
hat die Aufstellung nicht schlüssiger Kon­
zepte für Kommunen stärkere Konsequen­
zen als bisher.
Zu Bestimmung der angemessenen Wohnfläche griff das BSG bislang mangels besse­
rer Alternative23 auf die landesspezifischen
Wohnraumgrößen gemäß § 10 Wohnraum­
förderungsgesetz (WoFG) zurück. Die
Neuregelung in § 22b SGB II sieht nun im
Rahmen der Satzungserstellung eine Be­
stimmung der angemessenen Flächen vor.
Damit wird eine Anpassung der Regelun­
gen an die üblichen Lebensumstände von
Haushalten mit geringem Einkommen
ermöglicht. Denn diese differieren deut­
lich. Bewohner von Städten nehmen trotz
kleinerer Haushaltsgrößen deutlich gerin­
gere Wohnflächen pro Person in Kauf (und
haben dafür die Vorteile des Stadtlebens).
Dies spiegelt sich auch im Wohnungsbe­
stand wider. Hier existiert eine wichtige
Querbeziehung zur Verfügbarkeit von Woh­
nungen. Während in teuren Großstädten
30m²-Wohnungen ein häufiges und markt­
gängiges Produkt sind, wurden derartige
Wohnungen – bedingt durch Haushalts­
struktur und Bodenpreise – auf dem Land
nur in untergeordneter Menge überhaupt
gebaut.
Wegen der Aktualität der Neuregelungen
liegen zur Satzungslösung und zur Neufest­
legung angemessener Wohnflächen noch
keine Konzepte einzelner Kommunen vor.
Über die genannten Punkte hinaus besteht
auch weiterhin ein erheblicher Bedarf an
556
Christian von Malottki, Joachim Kirchner: Aktuelle kommunale Verfahren zur Regelung der
Angemessenheitsgrenzen der Kosten der Unterkunft
methodischer Konkretisierung des schlüs­
sigen Konzepts. Trotz aller Unsicherheit der
Kommunen besteht in der aktuellen Situa­
tion die Möglichkeit, eigene Gestaltungs­
spielräume zu nutzen und Schwerpunktset­
zungen vorzunehmen. Gerade Satzungen
bieten hierzu die Möglichkeit. Das Bundes­
ministerium für Verkehr, Bau und Stadtent­
wicklung und das Bundesinstitut für Bau-,
Stadt- und Raumforschung werden zudem
mit einer Handreichung für Kommunen zur
weiteren Diskussion beitragen.
Anmerkungen
(1)
Die Unterkunftsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die ebenfalls Bestandteil der Grundsicherung sind, sollen hier
wegen ihrer untergeordneten Bedeutung nicht
näher erörtert werden.
(8)
BSGE B 14 AS 106/10 R (Terminbericht auf
www.bundessozialgericht.de; 18.04.2011)
(2)
Nach § 46 (5) SGB II beträgt der Zuschuss
bis 2013 30,4 %, ab 2014 27,6 %. Für BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz gelten abweichende Regelungen.
(10)
Vgl. BSGE B 14/7b AS 44/06 R
(3)
BMVBS/BBSR (Hrsg.); Jacobs, T. et al. (Bearb.): Kosten der Unterkunft und die Wohnungsmärkte. – Bonn 2009. = Forschungen,
Heft 142, S. 52
(4)
Vgl. BSGE B 4 AS 50/09 R Rd. Nr. 27
(5)
Vgl. BSGE B 4 AS 18/09 R Rd. Nr. 19
(6)
Zur Verbreitung der beiden Ansätze siehe
BMVBS/BBSR (Hrsg.); Jacobs, T. et al. (Bearb.): Kosten der Unterkunft, a.a.O., S. 46.
(7)
Diese Sichtweise stützt die Nennung des
Mietspiegels als eine Erkenntnisquelle in
der Liste sowie die Formulierungen von
Knickrehm: „Liegen keine (grundsicherungsrechtlichen Maßstäben) entsprechende Mietspiegel…“ und „(Der Grundsicherungsträger)
kann auf Daten (…) anderer Einrichtungen zurückgreifen, soweit die oben benannten Anforderungen erfüllt werden“; vgl. Knickrehm, S.:
Aktuelles aus dem Bereich: Kosten von Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II – Stand
November 2009. In: Das SGB II in der Praxis
der Sozialgerichte – Bilanz und Perspektiven.
Hrsg.: Spellbrink, W. – Stuttgart 2010, S. 79110, hier S. 87 u. 89. Anders sieht dies bspw.
das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 1 AS 2852/09). Damit gäbe es also
auch qualifizierte Mietspiegel, die nach dem
BGB korrekt wären, aber nicht den Anforderungen an ein schlüssiges Konzept genügen.
(9)
Vgl. BSGE B 7b AS 18/06 R Rd. Nr. 23
(11)
Vgl. Knickrehm, S.: Aktuelles aus dem Bereich:
Kosten von Unterkunft und Heizung, a.a.O., S.
90
(18)
Siehe dazu eine umfangreiche Auswertung in:
Wohnungsbauförderungsanstalt
NordrheinWestfalen – Anstalt der NRW.Bank: Der Wohnungsmarkt für Hartz-IV-Haushalte. Eine Analyse des Angebots angemessener Wohnungen
i. S. v. SGB II / XII. – Düsseldorf 2009
(19)
Vgl. BSGE B 14 AS 36/08 R
(20)
BSGE B 14 AS 33/08 R
(12)
Vgl. BSGE B 4 AS 18/09 R Rd. Nr. 21 sowie
Knickrehm, S.: Aktuelles aus dem Bereich: Kosten von Unterkunft und Heizung, a.a.O., S. 90
(21)
Vgl. BBSR (Hrsg.); Knissel, J. et al. (Bearb.):
Integration energetischer Differenzierungsmerkmale in Mietspiegel. – Bonn 2010. =
BBSR-Online-Publikation 4/2010
(13)
Z.B. BSGE B 4 AS 30/08 R Rd. Nr. 21 oder
BSGE B 14 AS 50/10 R
(22)
Vgl. auch Jacobs, T. et al.: Kosten der Unterkunft und die Wohnungsmärkte, a.a.O., S. 54
(14)
Vgl. BSGE B 14 AS 50/10 R
(23)
Vgl. Knickrehm, S.; Voelzke, T.: Vortrag Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II. In: Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II. Hrsg.:
Knickrehm, S.; Voelzke, T.; Spellbrink, W. –
Stuttgart u.a. 2009, S. 11–50 (42)
(15)
Der qualifizierte Mietspiegel berücksichtigt nur
frei finanzierte Wohnungen, deren Mieten in den
letzten vier Jahren angepasst wurden. Damit
bleiben Teile des einfachen Segments außen vor.
BSGE B 14 AS 50/10 R hält dies für unkritisch,
da Hilfebedürftige in erster Linie auf den freien
Markt angewiesen seien.
(16)
BSGE B 14 AS 50/10 R Rd. Nr. 24
(17)
Für Details siehe v. Malottki, C.; Berner, B.:
Grundsicherungsrelevante Mietspiegel unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit – am Beispiel
des Kreises Offenbach. Nachrichtendienst des
Deutschen Vereins für öffentliche und private
Fürsorge 08/2010, S. 349–354