Barrierefrei das Magazin
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Barrierefrei das Magazin
in Barrierefrei das Magazin 12/2014 Schutzgebühr: 4,50 Euro das Magazin Rollschuh oder Rollstuhl Kinder mit Behinderung Abenteuer Schnee Wenn Huskys die Seele berühren Alessandro Z anardi 1 BARRIEREFREI - das Magazin „Die erste Voraussetzung für Erfolg: dabei sein und das Beste geben.“ Unabhängig bleiben – mit individuellen Fahrhilfen von Mercedes-Benz. Eine Marke der Daimler AG Grenzen hat Ronny Ziesmer noch nie akzeptiert. Der Rennrollstuhlfahrer hat sein Ziel fest im Visier: die Paralympics 2016. Damit auch andere Ziele für jeden erreichbar bleiben, gibt es individuelle Fahrhilfen bei Mercedes-Benz bereits ab Werk. Zeitintensive Umrüstungen sind nicht nötig. Mehr Infos unter www.mercedes-benz.de/fahrhilfen 2 BARRIEREFREI - das Magazin Anbieter: Daimler AG, Mercedesstraße 137, 70327 Stuttgart Editorial EDITORIAL Liebe Leser, das war es schon fast, das Jahr 2014. Es war spannend, aufregend und ich freue mich, dass es einige Konflikte auf dieser Welt gab, die nicht eskalierten. Vielleicht ging es Ihnen auch so. Aber auch die Sportwelt bewegte reichlich: Michael Schumachers Kampf ums Leben oder das allgemeine Aufbegehren, als Markus Rehm nach seinem Weltrekord nicht an der EM der „normalen Sportler“ teilnehmen durfte. Es war eine Menge los. Beruhigt hat mich das Interview mit Alessandro Zanardi. Hier spiegelt sich das wider, was unser Magazin ausmacht: Mut machen. Sie erinnern sich vielleicht, er hatte in 2001 einen Unfall während eines Formel-1-Rennens, durch den er beide Beine verlor. Unser Interview mit ihm und einen umfangreichen Beitrag über den Mann mit dem ewigen Lächeln lesen Sie wenige Seiten weiter. Auf die Frage, wie er die Folgen seines Unfalls bewältigt hätte, erklärte er, dass nichts, was etwas bedeutet, einfach wäre. Denn wenn es so einfach wäre wie eine Flasche Wasser anzuheben, dann hätte es ja auch keinen Reiz mehr, es zu schaffen. Es gibt immer einen Weg, auch wenn dieser vielleicht ein wenig anders verläuft als normal. Es lohnt sich zu kämpfen, sagt er. Großes Thema in dieser Ausgabe sind auch die Jüngsten mit Handicap in unserer Gesellschaft. Lesen Sie, wo man sich Rat oder Hilfe holen kann und dass es interessante Austauschmöglichkeiten für Eltern behinderter Kinder gibt. Ebenfalls berichten wir mehr über universelles Design in Puncto Wohnen und Bauen, ein weitaus gewichtigeres Thema, als Sie vielleicht vermuten. In unserem Beitrag ‚Winter mal (wo)anders‘ nehmen wir Sie mit auf die Reise nach Kroatien, eine Perle des Balkans. Fantastische Natur, ein Postkarten-Meer und mediterrane Köstlichkeiten. Erfahren Sie, welche Städte man mit dem Rolli gut besuchen kann, wie das Lebensgefühl dort ist und was die blaue Flagge an den Stränden zu sagen hat. Liebe Leser, ich hoffe, dass Sie dieses Magazin wieder bereichert, es ist wie immer sehr facettenreich. Ich möchte mich bei meinem Team und unseren Geschäftskunden für die erfolgreiche Zusammenarbeit in diesem Jahr bedanken und wünsche allen ein entspanntes Weihnachtsfest sowie einen guten Rutsch ins neue Jahr! Herzlichst & bis bald, Ihre Chefredakteurin BARRIEREFREI - das Magazin 3 INHALT 62 10 18 Editorial 03 Rollschuh oder Rollstuhl 22 Ein Beitrag über Kinder mit Behinderung Barrierefreie Köpfe 06 Alessandro Zanardi war und ist Barrierefreies Bauen & Wohnen er folgreich. Früher Formel 1, heute Wirtschaftliche Effizienz durch Iron Man. Er erzählt, was ohne Beine universales Design 32 alles möglich ist Zanardi - Unser Potrait 10 Indego 14 Das neue Exoskelett aus den USA ist Behindertensportler des Jahres 2014 40 Mit dem Rollstuhl in den Rennsport 42 im nächsten Jahr auch in Deutschland Neue Sportangebote für Menschen mit Amputationen 45 Wenn Huskys die Seele berühren 18 Wenn das Augenlicht langsam erlischt 46 Auf einer Farm in Brandenburg werden „Goldene Regeln“ für Angehörige zwischen Menschen mit Handicap und von erblindenen Menschen erhältlich Inklusions-Kampagne des DRS 17 Hunden tiefe Freundschaften geschlossen Louis Braille 50 Ein Junge, der die Blindenschrift erfand 4 BARRIEREFREI - das Magazin INHALT 64 22 52 42 Arbeitswelten-Ausstellung in Dortmund 51 Autismus 66 Kein Anschluss unter diesem Kollegen Ihr gutes Recht BMW AG, EbE Berlin, Fraunhofer IPA, Marc Jahn, Michael Müller Quelle Fotos: Christian Grüner/Presse und Medien DKV, Sabine Kühn, Kroatien - eine Perle des Balkans 52 Gehörlos den Ostzingst in MV erleben 69 Weihnachten – Fest der Liebe? 70 58 Mit dem Rollator gut durch die dunkle Jahreszeit kommen 60 Veranstaltungskalender 72 Was ist los in Deutschland? Ehrenbrief für Hubert Hüppe 61 Ein Mann des Bundestages kämpft seit Mediatipps 74 Langem für die Rechte von behinderten Über gute Filme, Bücher Menschen und interessante Links Karate für Menschen mit Handicap 62 Vorschau 76 Memo des Herausgebers Ein Roboter als Freund und Helfer 78 64 Service -Roboter sollen älteren Menschen länger das selbstbestimmte Leben ermöglichen BARRIEREFREI - das Magazin 5 Alessandro Zanardi BARRIEREFREIE KÖPFE: Alessandro Zanardi lingt. Und nun liegt es hinter mir. Natürlich ist es immer schön, wenn man sagen kann: Die Mission ist abgeschlossen. Aber in meinem Falle war es auch ein wenig gegen die sonst üblichen Wettkampfbedingungen und deren Bewältigung. Zumindest in den Augen anderer Leute. Denn ich habe ja den gesamten Wettkampf nur durch die Kraft meiner Arme bewältigt. Ich habe nie daran gezweifelt, dass ich es schaffen würde. Keine Beine zu haben, ist nicht immer ein Nachteil. Vielleicht eher ein Vorteil, denn ich konnte zum Beispiel die letzte Distanz des Wettkampfes mit meinem olympischen Rollstuhl hinter mich bringen, wohingegen andere gelaufen sind. Glaub mir, es ist ein großer, großer Unterschied. Aber egal, ich habe das Wochenende sehr genossen, es war fantastisches Event. Ich würde gern noch einmal daran teilnehmen. Man liest viel über deine Erfolge im Motorsport nach deinem Unfall sowie auch davor. Wie bist du eigentlich zum Motorsport gekommen? Lieber Alessandro, vielen Dank, dass du dir die Zeit für unser Interview nimmst. Vor gerade mal ein paar Wochen hast du deinen ersten Triathlon auf Hawaii beendet. Wie glücklich bist du mit deinen Ergebnissen? Oh, vorher war ich glücklicher. Denn es war eine große Freude diese Herausforderung anzunehmen und alles dafür zu tun, damit es ge- 6 BARRIEREFREI - das Magazin Ich habe schon immer eine große Leidenschaft für Autorennen gehegt. Ich habe alles im Fernsehen mit meinem Dad verfolgt: Grand Prix, Formel 1, GT. Und eines Tages kam mein Dad nach Hause und hat mir ein Go-Kart anstelle eines Motorrads angeboten. Er hatte es von einem Freund gekauft, der ihm dazu überredet hatte, es mir zu schenken. So kam ich dazu. Die erste Runde, die ich damit drehte, war 02.08.1980 in Vado/Bologna. Ich kann mich Alessandro Zanardi noch genau daran erinnern, wie die Bahnbegrenzung neben mir vorbei zog, ich spürte den Grip der Reifen. Und die Power des Motors. Ich spürte das Verlangen, dass dies hier mein Leben werden sollte. Es klang zu dem Zeitpunkt verrückt, denn ich war der Langsamste unter den Langsamen (lacht). Und es ist wohl meinem großem Optimismus und meiner Neugier zu verdanken, dass ich mein Hobby und meine Leidenschaft als professioneller Fahrer ausüben darf. Ich selbst bin Langstrecken Pokal und die 24 Stunden auf den Nürburgring gefahren. Dort hatte ich auch einen schweren Unfall. Ich habe damals überlegt, mit dem Motorsport aufzuhören, habe mich dann aber trotzdem wieder ins Auto gesetzt und bin weiter Rennen gefahren. Ich wollte es ja irgendwie verarbeiten. Dein Crash war um ein Vielfaches schlimmer. Was ging dir da durch den Kopf? Ja, was ging in meinem Kopf umher? Es hatte wohl mit meiner Einstellung zu Problemen und Herausforderungen zu tun, denn sie sind da, um sie zu meistern, sonst hätten sie einen anderen Namen. Es ist nie einfach, wenn du so sehr nach einem Ziel strebst und es wäre das Größte für dich, es zu erreichen. Aber wenn etwas so einfach wäre, wie eine Flasche Wasser anzuheben, was hat es dann noch für einen Reiz. Verstehst du? Aber wenn dort Herausforderungen sind und Probleme, du aber trotzdem die Lösung erkennst, gepaart mit der Möglichkeit, dass du es trotz der Unwegsamkeiten schaffen kannst, dann ist es sehr spannend, dafür zu arbeiten, damit es klappt. So war es zumindest bei mir. Ich wusste, dass ich noch genau derselbe Fahrer war, wie vorher, es galt nun nur eine Lösung zu finden, meinen Kopf mit dem Auto zu koppeln. Denn schlussendlich sind es doch nicht unsere Füße oder Hände, die entscheiden, ob ich etwas aufgebe oder noch mal versuche. Es hat alles was mit hier oben zu tun (zeigt mit dem Finger zu seinem Kopf)! Wir geben den Impuls nur an Hände und Füße weiter. Ich wusste also, dass ich nur einen neuen technischen Weg finden musste, um das Auto zu fahren und nichts würde sich verändern. Vielleicht würde ich nicht der Beste der Welt sein, aber es wird reichen, um Rennen zu fahren und das tat ich bereits in meiner gesamten Karriere. Mir war klar, dass es schwierig werden würde, aber ich hatte keine Angst. Ich war eher gespannt, es auszuprobieren. BARRIEREFREI - das Magazin 7 Alessandro Zanardi Man liest viel von dir, aber sehr wenig von deiner Familie. Wie wichtig ist deine Familie für dich und wie war die Unter stützung nach dem Unfall? Was glaubst du, was ich nun antworte? Nein, sie ist überhaupt nicht wichtig … (lacht). Na, klar und wie wichtig sie ist! Sie waren für jede Konsequenz des Unfalls wichtig und immer für mich da. Aber alle Dinge, die ich danach getan habe, wie ein guter Vater für mein Sohn und ein guter Ehemann für meine Frau zu sein, habe ich nicht für sie getan, sondern weil ich es wollte. Ich tue sowas nicht für andere. Ich selber bin die Motivation. Auch für meine Charity-Projekte, wofür man natürlich auch Dankbarkeit bekommt. Aber um noch mal auf den Punkt zu kommen: Hätte ich meine Familie nicht gehabt, hätte ich wohl einige Probleme nicht so schnell für mich alleine gelöst, als ich es für meine Familie getan hab. Natürlich hätte ich es auch vielleicht nicht so schnell wieder genossen, all die Dinge, die das Leben für jeden von uns bereit hält. Für meine Familie wollte ich schnellst möglich wieder der werden, der ich vorher war. Zumindest so gut es eben ging. Auch meine Rehabilitation habe ich so angepackt, wie ich es schon eingangs gesagt habe. Was würdest du für dich höher bewerten: Den Ironman zu gewinnen oder in der Königsklasse Formel 1 zu fahren? (Schweigen) Formel 1 ist aus meinem Kopf, nicht weil es keine technischen Möglichkeiten gibt. Eher aufgrund des Teams. Denn die müssen andere Prioritäten setzen, als 2-3 Saisons zu verschwenden, um einen 48-jährigen Mann in die (technische) Kondition zu versetzen, wieder diese Autos fahren zu können. Und dann steht da ja noch mehr dahinter, wenn du offizieller Fahrer für ein Team wirst. Das sind sehr beschäftigte Leute, die z.B. auch gleichzeitig Entertainer oder Botschafter der Spon- 8 BARRIEREFREI - das Magazin soren sind. Ich könnte das nicht mehr, ich bin immerhin 48 Jahre. In dem Buch meines Lebens gibt es ein Kapitel mit dem Namen „Leidenschaften“, wo ich viel rein schreiben kann, aber es gibt auch andere Kapitel. Ich habe dieses nun abgeschlossen. Es fängt nun ein neues an, welches meiner Familie gewidmet ist, meinen Freunden, meinen Autos, meinen Hunden, meinem Boot oder meinem 2. Haus. So halte ich die Balance in meinem Leben. Ich habe keinen Zweifel, dass meine Formel-1-Erfahrungen abgeschlossen sind. Aber weißt du, wenn nun einer kommt und sagt: ‚Mensch Alex, willst du nicht noch mal dieses Rennen fahren, in der nächsten Saison‘, das ist was anderes. Da hätten wir alle Zeit der Welt, uns darauf vorzubereiten. Und ich könnte das immer noch, das weiß ich. Nochmal, ich bin bestimmt nicht der beste Fahrer der Welt, Lewis Hamilton ist vielleicht ein wenig talentierter als ich (grinst), nicht weil er in den Mit-Zwanzigern ist, nein, er ist einfach talentierter. Also, es würde mich reizen und ich würde natürlich alles geben, was ich kann. Ach so – und: Der Ironman hat viel Spaß gemacht. Man kann es aber nicht mit Formel 1 vergleichen, denn es ist ein Traum und kein „Gegenstand“. Alessandro Zanardi Quelle: BMW AG Unser Magazin Barrierefrei soll den Menschen mit Handicap Mut machen. Wir haben viele sportbegeisterte Leser, aber auch Zweifler. Was würdest du diesen Menschen mit auf den Weg geben? Hast du eine Lebensweisheit oder ein Motto? Es ist nicht mein Recht und auch nicht meine Ansicht, anderen Leuten ungebetene Ratschläge zu geben, aber wenn mich jemand fragt: Alex, wie kann ich die Dinge besser ausrichten in meinem Leben, mit Hilfe von Sport oder anderen Dingen, dann sage ich: Als erstes werde dir klar, wo du hin willst. Nicht wo andere sind, denn du kannst nicht erwarten, dass du dieselben Erfolge wie sie von Morgens bis Abends verzeichnen kannst. Denn diese Leute hat es eine Menge gekostet, dahin zu kommen. Strebe also nicht nach den Erfolgen anderer Leute, sondern nach deinen eigenen. Weil du deine Sache gut machst und vor allem gerne tust! Okay? Finde heraus, was du willst und tue den ersten Schritt. Setze dir ein erstes Ziel, es muss aber erreichbar sein. Runden in einem Go-Kart zu drehen, ist z. B. ein guter Anfang, wenn du später Formel 1 fahren willst. Und das kann man auf alles andere übertragen, wie Arbeit oder soziales Leben. Mach den ersten Schritt, denn das kleine Ergebnis, was du bekommst – und du wirst eins bekommen – wird dich ermutigen den nächsten Tag mehr zu wagen. Und wenn dann viele kleine Ergebnisse und Erfolge jeden Tag kommen, wirst du sehen, dass du deine Träume in die Realität umsetzen kannst. Interview: Peter Lange BARRIEREFREI - das Magazin 9 Alessandro Zanardi A le s s a n dro Z a n ardi Mit Handicap auf der Überholspur Alessandro Zanardi gehört seit vielen Jahren zur BMW-Familie. Mit seiner persönlichen Geschichte wurde der Italiener zum Vorbild für viele Menschen. Der zweimalige ChampCar-Sieger und frühere Formel-1-Pilot verlor bei einem schweren Rennunfall im Jahr 2001 beide Beine. Für ihn entwickelte sich dieser Umstand allerdings nicht zum Ende seiner sportlichen Ambitionen, sondern zum Beginn einer neuen Karriere. Schon immer liebten Zanardi und sein Sohn Niccolo diese viel zu heißen Sommertage, in denen der Sprung ins Schwimmbecken das einzig Wahre ist. Sie mussten dafür nicht mal ins Freibad fahren, sondern konnten im angrenzenden Garten – gemeinsam mit ihren Nachbarn – im Pool herumtollen. Einige Jahre nach dem Unfall – die Sonne hatte mal wieder alles aufgeheizt – saß der 47-Jährige mit seinem Rollstuhl auf dem Balkon und beobachtete die Menschen am Pool. „Ich war ein bisschen neidisch“, erzählte er. Niccolo machte mir einen Vorschlag: „Papa, ich weiß, lass uns zum Pool gehen!“ „Es tat mir in der Seele weh," gab Z anardi zu. Er verspr ach sich und seinem Sohn, bald eine Lösung zu finden. Weitere heiße Tage folgten. Aber auf dem Balkon stand nur noch Alessandros Ehefrau Daniela, die ihrem Mann und ihrem Sohn beim Spielen im Wasser zusah. Zanardi hatte zuvor mit Experten an entsprechenden Prothesen getüftelt und sich überwunden. Diese kleine Geschichte illustriert viel von dem, was den 10 BARRIEREFREI - das Magazin ehemaligen Autorennfahrer Alessandro "Alex" Zanardi ausmacht. So schnell kann ihn niemand mehr stoppen – und sei die Hürde noch so groß. Auch seine jüngste Herausforderung meisterte Alessandro Zanardi mit Bravour: Als BMW-Werksfahrer absolvierte er am 12. Oktober auf Hawaii erfolgreich seinen ersten internationalen Langstrecken-Triathlon. In den vergangenen Monaten bereitete sich er ALESSANDRO ZANARDI sich intensiv darauf vor. Neben dem HandbikeTraining arbeitete er an seiner Technik und und trainierte seine Ausdauer im Schwimmen. Zudem machte er sich mit einem für ihn völlig neuen Sportgerät vertraut, dem Rennrollstuhl. Auf der Schwimmstrecke durfte er einen speziellen Schwimmanzug tragen, der ihm half, seinen Körper in der richtigen Position zu halten. Die Radstrecke bestritt er mit dem selbst entwickelten Handbike, mit dem er vorher seine Medaillen und Titel gewonnen hatte. Den abschließenden Marathon absolvierte Zanardi mit seinem neuen Rennrollstuhl. Der jährlich auf Hawaii durchgeführte Triathlon wird aufgrund seiner Anforderungen auch Ironman genannt. Schon für nichtbehinderte Athleten ist er extrem hart, denn er setzt sich zusammen aus einer 3,86 Kilometer langen Schwimmstrecke im offenen Ozean, einem Radabschnitt von 180,2 Kilometern und einer abschließenden Laufstrecke über eine volle Marathon-Distanz von 42,195 Kilometern. Für Zanardi war die Aufgabe noch größer: Da er beide Beine verloren hatte, musste er die Gesamtdistanz von 226,255 Kilometern allein mit der Kraft seiner Arme bewältigen. BARRIEREFREI - das Magazin 11 Alessandro Zanardi Zweifellos hat er sich dabei als einer der besten Par a-Athleten der Welt behauptet. Quelle: BMW AG Er bewältigte die Gesamtdistanz in einer Zeit von 9:47:14 Stunden. Unter den 2.187 Teilnehmern, die das Ziel erreichten, belegte er den 272. Gesamtrang. In seiner Altersklasse M45-49 (Männer zwischen 45 und 49 Jahren) belegte er unter 247 Teilnehmern den 19. Platz. Nach seiner Zielankunft in Kailua-Kona äußerte sich Zanardi: „Es ist fantastisch. Dieser Tag wird für den Rest meines Lebens einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Ich bin sehr stolz auf mein Ergebnis. Können Sie glauben, dass mein allererster Triathlon gleich der von Kona war? Das ist, als würde man sagen: „Okay, ich mag Autos, und ich würde gern ein Rennen fahren. Ich denke dabei an den Formel-1-Grand-Prix in Monza.“ Das wird so nicht gehen, doch ich bin hier. Ich habe gerade den berühmtesten Triathlon und den schwierigsten Ausdauerwettbewerb überhaupt absolviert – und das auch noch recht gut. Ich bin sehr stolz auf meine Leistung. Die letzten 300 Meter waren all die Mühen wert, sie waren es wert, dass ich hierhergekommen bin. Ich weiß nicht, ob jeder so angefeuert wurde, aber als ich durch diesen engen Weg kam – so etwas habe ich noch nie erlebt. Es war überwältigend, ich hätte beinahe geweint. Ich bin in solchen Situationen eigentlich nicht so emotional, aber das war etwas ganz Besonderes.“ 12 BARRIEREFREI - das Magazin „Es ist fantastisch. Dieser Tag wird für den Rest meines Lebens einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Ich bin sehr stolz auf mein Ergebnis." INDEGO Indego Die Wiederentdeckung der Bewegung tag hat vor etwa 15 Jahren begonnen, als stationäre Gangtrainer mit einem integrierten Laufband eingesetzt wurden. Seit einigen Jahren sind nun Exoskelette erhältlich, welche ein Gangtrainig auf unterschiedlichen Bodengegebenheiten ermöglichen und gehbehinderte Personen auch im Alltag unterstützen können. Indego kommt 2015 auf den deutschen Markt Per Definition ist ein Exoskelett eine Stützstruktur für einen Organismus, das eine stabile äußere Hülle um diesen bildet. Sie wurden in den letzten Jahrzenten entwickelt, um Bewegungseingeschränkten Menschen das Gehen zu ermöglichen. Kleine Motoren treiben die Geh-Orthese an. Der Einsatzbereich von Exoskeletten ist heute sehr vielseitig und reicht vom Militär über industrielle Fertigungsanlagen bis hin zur Unterstützung von Patienten im Therapiealltag. Die Firma General Electric entwickelte 1960 das erste Exoskelett und nannte es Hardiman. Dieses Gerät war aber äußerst schwer und sperrig, daher kam es nie wirklich zum Einsatz. Dank einer rasanten technischen Entwicklung in den letzten Jahren sind die Geräte heute viel kleiner und leichter geworden. Die Anwendung von Exoskeletten im Therapieall- 14 BARRIEREFREI - das Magazin Das Indego des Unternehmens Parker Hannifin aus den USA wird um die Hüfte und Beine getragen und ermöglicht gehbehinderten Personen das Stehen und Gehen. Der Name Indego (Eine Zusammensetzung der Wörter „Independence = Unabhängigkeit“ und „Go = Gehen“) unterstreicht den primären Nutzen des Gerätes, nämlich die verbesserte Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Patienten. Die Idee, ein solches Exoskelett zu entwickeln, hatten Wissenschafter an der Vanderbilt University in Nashville (USA). Von Anfang hatten sie das Ziel, ein Gerät zu entwickeln, dass sowohl in der Therapie eingesetzt wird, um die Gehfunktion von gehbehinderten Personen zu verbessern, als auch leicht und schmal genug ist, um den Patienten zu Hause im Alltag zu unterstützen. Obwohl diese beiden Anwendungsbereiche unterschiedliche Anforderungen mit sich bringen, gibt es entscheidende Merkmale, die sowohl in der Rehaklinik als auch zu Hause identisch sind. „Für uns ist es ganz entscheidend, dass ein Therapiegerät schnell und problemlos auf den Patienten eingestellt werden kann“, sagt Clare Hartigan, eine erfahrene Therapeutin vom Shepherd INDEGO Center in Atlanta, welche die Entwicklung von Indego aus klinischer Sicht mitbegleitet hat. „Gleichzeitig muss die Anwendung sowohl für mich als Therapeut, aber auch für den Patienten intuitiv und so einfach wie möglich sein. Wenn dies der Fall ist, bringt Indego grosse Vorteile im Therapiealltag und im häuslichen Gebrauch mit sich“, so Hartigan weiter. Auch sie sieht das schnelle Anlegen und die einfache Bedienung von Indego als entscheidende Vorteile, verglichen mit anderen, bereits in Deutschland erhältlichen Exoskeletten. Michael Gore, aufgrund eines Unfalls komplett querschnittgelähmt, bestätigt dies und ergänzt: „Indego simuliert das natürlichste Gangbild aller getesteten Geräte“. Gore, der neben Indego auch zwei weitere Exoskelette getestet hat, schätzt außerdem, dass er Indego in seinem Rollstuhl anbehalten kann, welches mit anderen Geräten nicht vereinbar ist. Aus klinischer Sicht verfügt Indego über alle Voraussetzungen, um eine moderne Gangtherapie anzubieten und einen neuen Therapie-Standard für gehbehinderte Patienten zu setzen. Es ermöglicht ein Anwender-initiiertes, intensives und aufgabenorientiertes Gangtraining. Indego ist batteriebetrieben und kommt ohne sichtbare Kabel oder Rucksack-Komponenten aus. Zudem kann Indego auf den verschiedensten Bodengegebenheiten eingesetzt werden. Das Gerät imitiert die natürliche und harmonische Gehbewegung und reagiert auf Haltungsveränderungen und Gewichtsverlagerungen. Eine Gewichtsverlagerung nach vorne leitet das Aufstehen und Gehen ein. Eine Gewichtsverlagerung nach hinten dagegen das Stehenbleiben und Hinsetzen. So kann der geschulte Anwender unter Aufsicht von nur einem Therapeuten die Bewegung kontrollieren und steuern und somit effiziente Therapieeinheiten absolvieren. Klinische Erprobungen laufeN Auf Basis wissenschaftlicher Studien und gesetzlichen Zulassungen sollen zukünftige Indego-Versionen für gehbehinderte Personen mit unterschiedlichen neurologischen Krankheitsbildern wie zum Beispiel Schlaganfall oder Multiple Sklerose angeboten werden. „Für uns war es sehr wichtig, dass wir von Anfang an sehr intensiv mit exzellenten klinischen Partnern zusammen arbeiten“, sagt Dr. Stefan Bircher, Global Market Development Manager bei Parker Hannifin. „Wir werden diese wertvollen klinischen Rückmeldungen auch in der Weiterentwicklung von Indego berücksichtigen, um ein sinnvolles und effizientes Gerät anbieten zu können.“ Seit drei Monaten läuft in den USA eine große Multicenterstudie, um den Einsatz von Indego bei Patienten mit kompletter oder inkompletter Querschnittslähmung im klinischen Alltag, aber auch in der Heimanwendung zu testen. BARRIEREFREI - das Magazin 15 INDEGO Das Unternehmen Parker Hannifin 16 BARRIEREFREI - das Magazin Ein Beitrag von Lydia Saß Ansprechpartner für Deutschland Lars Wölfel Business Development Manager DACH Parker Hannifin GmbH Human Motion & Control Telefon: 0175 - 57 56 612 Email: [email protected] Herr Wölfel ist gerne bereit, weitere Fragen zur Verfügbarkeit von Indego und zu den klinischen Studien in Deutschland zu beantworten. Quelle Fotos: Parker Hannifin, Redaktion Barrierefrei Fünf der bekanntesten amerikanischen Rehabilitationskliniken nehmen an dieser umfassenden Studie teil. Erste Resultate werden Mitte des kommenden Jahres erwartet. Auch in Deutschland wurden erste Gespräche mit möglichen klinischen Forschungspartnern geführt. “Da Indego voraussichtlich erst ab Sommer 2015 für den breiten Einsatz in Rehabilitationskliniken und den privaten Gebrauch erhältlich sein wird, möchten wir die Zeit nutzen und auch in Deutschland mit wichtigen Forschungspartnern zusammenarbeiten”, so Dr. Bircher, der auch die laufende Multicenterstudie in den USA betreut. So wurde der BG Unfallklinik Murnau ein Indego Clinical Kit zur Verfügung gestellt, um Physiotherapeuten in der Indego-Anwendung zu schulen. „Wir sind sehr interessiert, Indego im Rahmen der Therapie von Patienten mit einer langjährigen Querschnittlähmung zu erproben und gespannt auf die Rückmeldungen, die uns die Betroffenen geben werden“, so Orpheus Mach, wissenschaftlicher Koordinator des Zentrums für Rückenmarkverletzte. Seit September diesen Jahres steht Indego in Europa und den USA für den wissenschaftlichen Einsatz zur Verfügung. Für Rehabilitationskliniken und Privatpersonen wird Indego in Europa voraussichtlich Mitte 2015 und in den USA gegen Ende 2015 erhältlich sein. Mit einem Jahresumsatz von 13 Milliarden Dollar im Geschäftsjahr 2014 ist Parker Hannifin der weltweit führende Hersteller in der Antriebs- und Steuerungstechnologie. Das Unternehmen, welches in 4 Jahren sein 100jähriges Bestehen feiern wird, entwickelt und konstruiert Systeme und Präzisionssteuerungen für mobile und industrielle Anwendungen sowie für den Luft- und Raumfahrtsektor. Parker Hannifin beschäftigt rund 58.000 Mitarbeiter in 49 Ländern. Produkte von Parker sind bei über 450.000 Kunden in über 1.000 Märkten weltweit im Einsatz. Vom Windrad bis zur Raumfähre enthält nahezu alles, was sich bewegt, Technologien von Parker. Indego wird in einer neu gegründeten Geschäftseinheit namens ‚Human Motion und Control‘ entwickelt. In dieser Geschäftseinheit sollen weitere Medizinprodukte für unterschiedliche Anwendungsbereiche entwickelt, produziert und vermarktet werden. Das Indego Exoskelett hat 2013 den POPULAR MECHANICS Breakthrough Innovator Award gewonnen. Diese Auszeichnung wird Erfindern zuteil, die mit ihrer Arbeit die Welt intelligenter, sicherer und effizienter machen. Inklusionsk ampagne Gemeinsam was ins Rollen bringen Inklusionskampagne des Deutschen Rollstuhl-Sportverbandes e. V. Am 19. September fiel der Startschuss für die Inklusionskampagne „Gemeinsam was ins Rollen bringen“ des Deutschen Rollstuhl-Sportverbandes (DRS). Am Standort der DRS Bundeszentrale im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg (BUKH), wurde die auf drei Jahre angelegte Initiative erstmals vorgestellt. „Wir wollen die breite Öffentlichkeit über die Möglichkeiten der Inklusion durch Sport informieren und weitere Türen für die Basisarbeit aller Sportvereine öffnen, damit in Zukunft bundesweit noch mehr inklusive Sportangebote für Menschen mit und ohne Behinderung entstehen. Dazu wollen wir mit der Kampagne eine Plattform schaffen, wo neben der digitalen Vernetzung aller Akteure auch echte Hilfestellungen für die tägliche Vereinsarbeit anboten wird“, erläutert Ulf Mehrens, Vorsitzender des Deutschen Rollstuhl-Sportverbandes (DRS). Die Aktion Mensch ist Hauptförderer der Kampagne, Bundesministerin Andrea Nahles unterstützt die Initiative als Schirmherrin. Zahlreiche Athletinnen und Athleten, stellen sich als Kampagnengesichter und Multiplikatoren zur Verfügung. Darunter Paralympics-Stars wie die Schwimmerin Kirsten Bruhn und die Rollstuhlbasketballerin Annika Zeyen. Mitmachen erwünscht - Bringen Sie noch heute was ins Rollen! Weitere Informationen unter: www.rollstuhlsport.de/ins-rollen-bringen.de. Unter www.ins-rollen-bringen.de entsteht demnächst ein digitales Zuhause für die Kampagne. Bei Facebook www.facebook.de/insrollenbringen und Twitter @gwirb kann man sich bereits jetzt vernetzen und noch heute was ins Rollen bringen. BARRIEREFREI - das Magazin 17 Huskyfarm Bewegende Freundschaft – Wenn Huskys die Seele berühren Die Huskyfarm von Sabine Kühn und Elmar Fust liegt eine Autostunde nördlich von Berlin in Frankendorf am Rande des Naturparks Stechlin-Ruppiner Land. Dort leben die beiden auf einem alten Bauernhof mit ihren 24 Siberian Huskys und dem 10-jährigen Akita Inu Nando. Aber nicht nur dort sind sie zu finden. Dreimal 18 BARRIEREFREI - das Magazin im Jahr bieten sie auch Touren in Schwedisch Lappland an. Im Winter führt Elmar Fust die Gäste mit ihrem Schlittenhundegespann durch die märchenhafte Winterlandschaft. Zu Mittsommer und im Herbst in der Ruska-Saison erlebt man das Farbschauspiel der Natur am besten beim Wandern mit Huskys. Auf der Huskyfarm im Ruppiner Land sind die Huskyfarm Hund deutlich werden, erkennen, oder sich einfach mitreißen lassen vom Spieltrieb der Junghunde und der Gelassenheit der Rudelführer und älteren Semester. Meist empfindet man schon beim Beobachten des Spiels der Hunde pures Wohlempfinden. Die Hunde der Rasse Siberian Husky zeichnet ein entwaffnend freundliches Wesen und eine große Zutraulichkeit auch fremden Menschen gegenüber aus. Diese positiven Wesenszüge prädestinieren die Hunde ebenso für das Aktivprogramm mit den Gästen wie für eine Arbeit im sozialen und/oder pädagogischen Feld. Das kontaktfreudige und frohe Naturell der Hunde wirkt sich bei den Gästen auf physischer und psychischer Ebene durchweg positiv aus. Das Programm für Menschen mit Handicap wird auf die Bedürfnisse der jeweiligen Gruppe zugeschnitten: es beinhaltet immer das Kennenlernen und Streicheln der Tiere. Die Teilnehmer sollen einen entspannten Kontakt zu „Ihrem Husky“ aufbauen. Dann können verschiedene Aktivitäten folgen: eine Wanderung mit den Hunden, ein Training auf dem Agilityparcours, auf dem unter Umständen sogar Rollifahrer mittrainieren können oder auch eine Fahrt mit dem Huskygespann als Passagier auf dem Wagen eines erfahrenen Mushers (Schlittenhundeführers). Angebote vielfältig – sie reichen von Wanderungen über Fahrten mit dem Husky-Gespann bis hin zu Ferienlagern für Kinder. Das Besondere an dieser Huskyfarm: Alle 24 Hunde werden in einem großen Rudel gehalten. Auch als Gast kann man die Rudelstrukturen sowie die einzelnen Charakterzüge der Hunde, die in der Interaktion mit Mensch und Das Feedback der Gruppen mit Handicap, zu denen Gäste mit körperlicher und geistiger Behinderung, psychisch kranke Menschen, Kinder in psychologischer Betreuung und Heimkinder zählten, war in all den Jahren immer positiv. Bei den Begegnungen mit den Huskys können Menschen, die im Umgang mit Hunden unerfahren oder unsicher sind, schnell Vertrauen zu den Tieren aufbauen. BARRIEREFREI - das Magazin 19 Huskyfarm ohne Worte, nur durch Blicke und Berührung und schließlich traute sich der junge Mann, den Hund zu streicheln – und er lächelte dabei. Die Betreuerin erzählte im Nachhinein, dass das Lächeln und die Initiative des jungen Mannes etwas ganz Besonderes gewesen seien. Normalerweise sei er sehr in sich gekehrt, mit so einem positiven Effekt oder gar einem lang anhaltenden Lächeln hätten sie nicht gerechnet. Diese Momente sind immer wieder bewegend – für Gäste ebenso wie für Hundeführer. Im Juni 2014 kam eine Gruppe Erwachsener mit Beeinträchtigung mit ihren Betreuern zu einer Woche „Huskyfarm-Aktivurlaub Lappland“. In dieser Woche bildeten sich gut funktionierende Teams aus Mensch und Hund. Die Begeisterung und Bindung zu den Siberian Huskys war so groß, dass die Gruppe im Herbst noch mal zu einer Familienwanderung auf die Farm nach Frankendorf kam! Es bleiben nicht nur wunderschöne Erinnerungen und tiefgreifende positive Erfahrungen, sondern auch tierische Freunde und net te Begegnungen. Elmar Fust hilft mit viel Einfühlungsvermögen, die Brücke zwischen Mensch und Hund aufzubauen. So gab es schon mancherlei Erlebnisse, die im Gedächtnis bleiben. Anna Heß, ehemalige Auszubildende auf der Huskyfarm, erinnert sich an eine Begegnung zwischen einem autistischen jungen Mann und dem Hund Jokki. Der junge Mann wollte anfangs nur außerhalb der Freilaufanlage zuschauen. Nach ein paar Minuten brachte die Betreuerin ihn doch in die Anlage. Nach weiteren wenigen Minuten signalisierte er deutlich, er wolle einen Hund anfassen. Elmar Fust suchte einen ruhigen, zurückhaltenden Hund, den Hund Jokkmokk, genannt Jokki aus. Die beiden begrüßten sich 20 BARRIEREFREI - das Magazin Was bedeutet Wandern mit Siberian Huskys und wie geht das? Alle Teilnehmer erhalten vor der Wanderung eine Einweisung in die Wandertechnik und einen speziellen Bauchgurt, an dem die Leine des Huskys befestigt wird. Huskyfarm Je nach Körperbau und Kondition wird für jeden Gast der geeignete Hund ausgesucht. Die Gäste staunen immer wieder, wie bereitwillig sich die Hunde auf ihren neuen Wanderpartner einlassen, auf Kommandos warten und natürlich auch auf Lob und Streicheleinheiten! Welche Menschen stecken dahinter? Elmar Fust hat seit 30 Jahren Siberian Huskys. Schon in seiner Jugend war er vom Skilanglauf begeistert, irgendwann kamen dazu die passenden Hunde ins Haus: die beiden Siberian Huskys Scops und Yuma. Das Rudel wuchs mit den Jahren an und heute leben 24 Huskys auf der Farm in Frankendorf. Elmar war es immer wichtig, eng mit den Hunden zusammenzuleben, mit ihnen auf langen Touren gemeinsam Natur, Weite und Stille zu erleben und genießen. von dort aus viele Jahre in der Hotellerie. Seit mit Elmar dann auch ein Rudel Schlittenhunde in ihr Leben trat, erfüllte sich ihr Traum vom ländlichen Leben mit vielen Tieren – auf unerwartete, aber faszinierende Art und Weise. Ein Beitrag von Sabine Kühn Freizeit- und Tourismusservice Neudorf 34, 16818 Storbeck-Frankendorf / OT Frankendorf, Tel. 03 39 24 - 7 99 46 www.freizeit-mit-huskies.de Sabine Kühn wurde die Liebe zu Tieren und zum Landleben schon mit in die Wiege gelegt. Nach ihrem Landwirtschaftsstudium kehrte sie auf den großelterlichen Hof im Ruppiner Land zurück, um dort zu leben. Sie arbeitete BARRIEREFREI - das Magazin 21 Kinder mit Behinderung Rollschuh oder Rollstuhl? Die alltäglichen Barrieren mit einem behinderten Kind Die meisten Frauen erleben ihre Schwangerschaft/en im Allgemeinen als sehr positive Zeit, die sie besonders genießen können. Mann und Frau rücken oftmals noch näher zusammen, sind zärtlicher als vorher und freuen sich gemeinsam auf das Kind. Leider ist es aber nicht jedem Paar gegönnt, die Vorfreude auf ein gesundes Kind genießen oder nach der Geburt ein gesundes Baby im Arm halten zu können. Ein krankes Organ, eine Gewebe-Fehlentwicklung, eine Missbildung oder eine Chromosomen-Anomalie können die Zeit von einem Tag zum anderen zur Hölle für die ganze Familie machen. Aber auch ein Sauerstoffmangel des Kindes bei der Geburt, schwere Erkrankungen oder Unfälle können zu körperlichen und geistigen Behinderungen führen und die Eltern vor größte Herausforderungen stellen, wenn es heißt, dass das Kind für sein Leben lang geschädigt bleibt. Solche Diagnosen sind nur schwer zu verkraften. Probleme über Probleme versperren oft den Weg zu einer glücklichen Familie und manche Partnerschaft zerbricht an diesen Aufgaben. Allein die psychischen Belastungen, die Fra- gen nach dem Warum und Wie und die alltäglichen Kämpfe um existentielle „Kleinigkeiten“ fordern vor allem den Frauen ein gehöriges Maß an Kraft, Geduld und Ausdauer ab. Zudem ist es nicht allen (Frauen-) Ärzten gegeben, den werdenden Müttern die Wahrheit über die Diagnosen und den sich daraus ergebenden Konsequenzen feinfühlig und „psychologisch wertvoll“ zu vermitteln. Viele Eltern wünschen sich einen Arzt, der sie, zumindest anfangs, auf diesem Weg begleitet. So bleibt es oft erstmal bei Gesprächen innerhalb der Familie, unter Freunden und Bekannten, die allerdings vielfach nicht weiterhelfen, sondern sogar weiter verstörend wirken können. Wir möchten den Eltern, vor allem aber den Frauen einige Tipps mitgeben, die ihnen ihre lebenslange Rolle als persönliche „Heilerziehungspflegerin“ ihrer Kinder ein wenig erleichtern können. Auf der Seite www.intakt.info/adressen-undanlaufstellen können Sie sich grundsätzlich über vieles informieren: Intakt ist eine Internetplattform für Eltern von behinderten Kin- BARRIEREFREI - das Magazin 23 Kinder mit Behinderung dern, die Themen gehen von Adressen und Anlaufstellen über Informationen und Recht, medizinischer Versorgung, Zuzahlungspflichten und einer Adress-Datenbank von rollstuhlgerechten Arztpraxen zu einem Forum und Kontaktmöglichkeiten zu anderen Eltern mit ähnlichen Problemen. Auf der offiziellen Homepage der Behindertenbeauftragten Verena Bentele, www.behindertenbeauftragte.de gibt es Rat zur Früherkennung, Frühförderung, Kinder- und Jugendhilfe, Elternassistenz und auch für Frauen mit Behinderung. Www.rehakids.de, das „Forum für besondere Kinder“ bietet neben umfangreichen Forenbeiträgen zum Einsatz von Hilfsmitteln (u. a. Erfahrungsberichte und Zuzahlungsbefreiung) , Sternenkindern und verwaisten Eltern, Intensivpflege, Wohnen, Freizeit und Urlaub auch die Möglichkeit zum Smalltalk, das Einstellen von Gesuchen, Jobbörsen für Betreuungsdienste und noch vieles mehr, was den Alltag erleichtern kann. kehr und zu rollstuhlgerechten öffentlichen Gebäuden wie auch zu Mindeststandards und entsprechenden Checklisten für Rollstuhlfahrer, Seh- und Hörgeschädigte sowie Schulungsangebote. Umfangreiche Informationen zu sozialen und finanziellen Aspekten des Lebens mit einem behinderten Kind können Sie sich auf der Seite www.elternimnetz.de/kinder/sorgenkinder/ hilfen.php holen. Es geht nicht nur um Eingliederungshilfen nach dem Bundessozialhilfegesetz, sondern auch um Hilfen bei Blindheit, der Notwendigkeit einer Haushaltshilfe, Kindergeld über das 18. Lebensjahr hinaus, Tagesstätten, Heime und Internate für Kinder mit Behinderungen, Schul- und Studienhilfen und mehr. Der Online-Ratgeber ist gestaffelt nach der Altersstufe des Kindes. Auch die „Suchmaschine für Krankheit und Soziales“, www.betanet.de gibt Hilfestellung in Rat und Tat für alle finanziellen Fragen, die sich bei einem Kind mit Handicap auftun. Das Kindernetzwerk (www.kindernetzwerk. de) wartet mit Datenbanken, Suchfunktionen und Krankheitsbeschreibungen sowie „Erst-Info-Paketen“ auf. Verschiedene Themenportale ergänzen das Angebot sinnvoll. Www.moses-online.de, das Portal für Pflegekinder und Adoption, berichtet über Lernhilfsmittel für Kinder mit Handicap mit den Hilfsmittelrichtlinien, außerdem bringt die Seite Erfahrungsberichte zu verschiedenen Behinderungen und Traumatisierungen sowie Therapeuten, Referenten, Freizeitentlastung und mehr. Wichtig für Menschen, die für die Planung öffentlicher Gebäude und Verkehrsstrukturen arbeiten, aber auch für private Personen, die Fragen haben zur barrierefreien Gestaltung und Mobilität: Schauen Sie doch mal in die folgende Seite: www.institut-bgm.de. Dort finden Sie Hinweise zum öffentlichen Nahver- 24 BARRIEREFREI - das Magazin Allgemein bietet das Internet eine Menge hilfreicher Tipps, die sich mit speziellen Erkrankungen und Behinderungen beschäftigen und Ihnen auf ihre Weise Hilfe geben können. Wir wünschen Ihnen Stärke, Mut und viele freundliche Helfer. Kinder mit Behinderung Hilfe für Eltern von Kindern mit und ohne Behinderung Ein Elternverein in Berlin stellt sich vor Anton hat das Down-Syndrom. Er ist jetzt 8 Jahre alt. Von Anfang an wurden mein Mann und ich fachlich gut begleitet, wir haben viel Unterstützung durch Freunde und Therapeuten erfahren. Als dann aber der Wunsch nach mehr Kindern konkreter wurde, gab es plötzlich in der Fachwelt niemanden mehr, der uns mit all unseren Sorgen und Fragen wirklich verstehen konnte. Wir suchten eine Familie, die es „gewagt“ hatte, nach ihrem Kind mit Behinderung noch ein weiteres zu bekommen, eine Familie, die uns Mut machen würde. Über eine Bekannte, die bei „Eltern beraten Eltern e.V.“ arbeitete, bekamen wir sehr schnell den Kontakt zu einer Familie, die mit dem Verein vernetzt war und die für unsere Fragen da war. Anton hat jetzt zwei Schwestern. Der Verein ist 1985 aus einer Eltern-Initiative entstanden. „Eltern beraten Eltern“ ist eine der wenigen Anlaufstellen von Eltern für Eltern von Kindern mit verschiedensten Beeinträchtigungen. BARRIEREFREI - das Magazin 25 Kinder mit Behinderung Die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auf die unser Team zurück- greifen kann, haben alle ein Kind mit Beeinträchtigung in unterschiedlichem Alter. (Sogar die Website und die Computerwartung werden von Eltern von Kindern mit Beeinträchtigung gemacht). Durch das sogenannte Peercounceling, also aus der eigenen Erfahrung heraus diese an Menschen mit ähnlichen Fragestellungen und Situationen weiterzugeben und zu beraten, können sehr persönliche Fragen schnell beantwortet werden. Zum Beispiel kann ein Kontakt mit einer Familie hergestellt werden, die gleiche Erfahrungen schon gemacht hat, so wie es bei uns der Fall war. Dabei reicht die Themenvielfalt von Beratungen nach der Prä- 26 BARRIEREFREI - das Magazin nataldiagnostik über Kita- und Schulsuche bis zu Arbeitsmöglichkeiten und Wohnformen. Ein weiterer Teil unserer Arbeit ist das Netzwerken, das Kennenlernen und Pflegen von Kontakten von und zu anderen Vereinen und das Mitarbeiten in verschiedenen Gremien zu Themen wie Schule, Pränataldiagnostik oder Migration. In den letzten Jahren ist das Medium Internet immer präsenter geworden, persönliche Beratungsgespräche finden jetzt seltener statt, Anfragen per Telefon oder E-Mail gibt es dagegen mehrmals täglich. In der Auswertung unserer Telefonstatistik konnten wir eine eindeutige Verschiebung der Themen feststellen: Vor einigen Jahren lagen Fragen zur Pflegeversicherung vorne. Wir reagierten mit zwei Elternabenden im Jahr zu dem Thema. Inzwischen suchen sich die Familien diese Informationen im Internet. In den letzten zwei Jahren rückte das Thema Freizeit nach vorne. Wir reagierten darauf, in- Quelle Fotos: Eltern beraten Eltern e.V., pixabay.com Die eigenen Erfahrungen weitergeben an andere Eltern, das ist, was die Qualität des Vereins ausmacht. Kinder mit Behinderung dem eine Honorarkraft berlinweit nach Angeboten für Menschen mit Beeinträchtigung im Freizeitbereich recherchierte. Im Mai kam der FREIZEITFADEN Berlin heraus, der bei „Eltern beraten Eltern“ zu bestellen ist. Über die Beratungs- und Vernetzungstätigkeit hinaus finden jede Woche zwei Krabbelgruppen für Kinder von 0 bis 2 Jahren statt, wir organisieren Themenabende und Informationsveranstaltungen, z. B. die im kommenden Frühjahr geplanten Themen „Gebärden-unterstützte Kommunikation“, „Leichte Sprache“, „Schmink- und Stylingberatung für Frauen“, Karneval, ein Elternabend für ehrenamtliche rechtliche Betreuer_innen und die jährliche Fahrt nach Ueckermünde ins ZERUM geplant. Auf der letzten Fahrt haben die Jugendlichen und jungen Erwachsenen an einem Fotoworkshop teilgenommen. Hieraus hat sich eine Fotoausstellung entwickelt, die Sie vom 28. November 2014 bis 04. Januar 2015 im Nachbarschaftshaus Friedenau (Holsteinsche Str. 30, 12161 Berlin) besuchen können. Die Fotos auf diesen Seiten wurden der Ausstellung entnommen. Am 5. Dezember 2014 um 18 Uhr bieten Teilnehmende des Fotoworkshops einen geführten Rundgang an. Dazu laden wir Sie herzlich ein. Über einen glücklichen Zufall bin ich vor zwei Jahren bei „Eltern beraten Eltern“ „gelandet“. Seitdem freue ich mich täglich, die Unterstützung, die ich durch Freunde, Verwandte und den Verein erfahren habe, an Dritte weitergeben zu können. So wie ich sind die meisten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen über ihre Kinder zum Verein gekommen. Unser Verein ist für alle Familien und für alle Arten von Behinderung/en offen. Das Beratungsangebot ist grundsätzlich kostenlos. Ein Beitrag von Andrea Häfele Infobox Informationen und Kontakt: Eltern beraten Eltern von Kindern mit und ohne Behinderung e.V. Holsteinische Str. 30 12161 Berlin Tel.: 030- 821 67 11 oder 030- 897 47 833 E.Mail: [email protected] www.eltern-beraten-eltern.de BARRIEREFREI - das Magazin 27 Kinder mit Behinderung Die Barrieren in den Köpfen Auf dem Weg durch Berlin mit einem gehbehinderten Kind Wenn ich früher (damit meine ich die Zeit vor meinen Kindern) in Berlin unterwegs war, ging das ungefähr so: Kurz auf die Uhr geschaut. Mist! Schon wieder zu spät. Noch schnell einen Apfel schnappen, Jacke über den Arm werfen und los, aufs Rad. Über dunkelorangene Ampeln fahren und es in der Toleranzgrenze von fünf Minuten doch noch rechtzeitig zur Verabredung schaffen. Wenn ich einen Zug erwischen musste und es gut lief, stieg ich an der Station Schönleinstraße in die U8 ein, einmal umsteigen am Alexanderplatz, weiter mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof. Noch schnell einen Kaffee kaufen 28 BARRIEREFREI - das Magazin und rein in den Zug. Das alles war innerhalb von 20 bis 25 Minuten gut zu schaffen. Wenn es schlecht lief, bestellte ich ein Taxi, das ruckzuck da war und genau so schnell am Bahnhof. An guten Tagen ging das innerhalb von 15 Minuten. Jetzt habe ich zwei Töchter, eine davon ist mehrfach behindert. Sie ist drei Jahre alt und kann nicht laufen. In ihrem Schwerbehindertenausweis steht 100 Prozent und die Buchstaben G, aG, H, Gl, RF. Ziemlich viele Buchstaben für so ein kleines Persönchen. Wir, ihre Eltern, sind auf ein Leben mit ihr im Kinder mit Behinderung Rollstuhl eingerichtet. Zur Zeit ist sie noch so klein, dass sie problemlos in einen Kinderwagen passt – zum Glück auch in einen Doppelwagen mit ihrer Schwester. Dieser Doppelwagen hat übrigens das Format eines Rollstuhls. Von daher ist das Unterwegssein damit schon eine gute Übung für „später“. Wenn es jetzt darum geht, einen Zug zu erwischen – gemeinsam mit meinen Töchtern – geht es spätestens eine Stunde vorher los. Auf das Taxifahren verzichte ich mittlerweile. Es gibt zu wenig Taxifahrer in Berlin, die einer Frau mit Kind(ern) beim Auf- und Abbau eines Kinderwagens helfen. Ich schone also meine Nerven und nutze die BVG. Da die nächstgelegene U-Bahn-Station nicht barrierefrei ist, schiebe ich den Kinderwagen zum Kottbusser Tor. Dort gibt es einen Aufzug. Wir müssen dort warten, immer. Der Fahrstuhl ist jedes Mal voll besetzt. Ich würde 100 Euro setzen und wetten, dass dies der meist frequentierteste Aufzug Berlins ist. Eines Tages habe ich mal die Zeit gestoppt, bis der Aufzug uns hinunter zur U-Bahn beförderte: 18 Minuten! Am Kottbusser Tor fahren zwei U-Bahn-Linien, es ist ein Verkehrsknotenpunkt, viele Menschen steigen ein und aus. Viele dieser Menschen finden es anscheinend bequem, den Aufzug zu benutzen. Selbst wenn sie ganz gut zu Fuß sind. Ich werde das nie verstehen. Denke ich an die Zeit, bevor meine Tochter zur Welt kam, bin ich niemals auf die Idee gekommen, einen Aufzug zu benutzen. Warum auch? Dauert ja viel länger als zu Fuß. Ich wäre nicht ich, wenn ich meinem Ärger nicht mal ab und an Luft machen würde. Wenn ich die Menschen, die gesunden Fußes die Fahrstühle benutzen, darauf anspreche, hagelt es Beschimpfungen. Bisher durfte ich mir schon anhören, dass ich selbst wohl behindert wäre und es deshalb ganz passend sei, dass ich den Fahrstuhl benutze. Nachdem ich einem Mann erklärte, dass meine Tochter gehbehindert ist und wir auf den Fahrstuhl angewiesen, entgegnete er: „Na herzlichen Glückwunsch zu ihren Behindertenpunkten!“ Bei solchen Reaktionen werde selbst ich sprachlos. Es ist ja außerdem so, dass die Aufzüge wirklich oft defekt sind, weil sie in Dauerbenutzung sind. Beim Umstieg in Hannover verriet mir mal ein Bahnmitarbeiter, der mich mit meiner Tochter von einem Gleis zum anderen begleitete, dass er schon oft beobachtet hätte, dass meistens Reisende die Aufzüge nutzen, die sie gar nicht brauchen und er teilte meine Theorie, dass sie auch dadurch so oft nicht funktionieren: Verschleißerscheinungen. Klingt logisch: Was viel benutzt wird, geht schnell kaputt. Wenn wir dann am Berliner Hauptbahnhof angekommen sind (am Alexanderplatz müssen wir zum Umsteigen übrigens zwei unterschiedliche Aufzüge nutzen – verbunden mit Wartezeiten) und am richtigen Gleis (auch wieder mit voll besetztem Fahrstuhl, wenn wir Glück haben), geht`s weiter mit dem nächsten Problem: dem Ein- und Aussteigen bei öffentlichen Verkehrsmitteln und Zügen der Deutschen Bahn. Ich weiß, dass es bei mir Jammern auf hohem Niveau ist. Mir ist es bewusst, dass das für Rollstuhlfahrer_innen noch viel komplizierter ist. Doch schon mit unserem doppelten Kinderwagen bin ich wirklich oft entsetzt, wie wenig hilfsbereite Menschen es gibt. In der U-Bahn werde ich regelmäßig nach hinten gedrängelt. Am Berliner Hauptbahnhof wollte mir ein Bahnmitarbeiter mal nicht in die 1. Klasse helfen, weil wir „nicht reserviert“ hatten. (Zur Erklärung: Die Behindertenplätze sind meistens an der Grenze zwischen 1. und 2. Klasse bei der DB – wir müssen also gar nicht in der 1. Klasse reservieren). Immer wieder bin ich erschreckt, dass die Menschen in den Aufzügen, die ihn offensichtlich nur wegen eines schweren Gepäckstückes gewählt haben, nicht einmal Rollstuhlfahrer_innen ihren Platz überlassen. Ich bin jedes Mal wieder empört; es passiert leider viel zu häufig. BARRIEREFREI - das Magazin 29 Kinder mit Behinderung Der Muskelprotz geht an mir und meinen Kindern vorbei, während die Oma Hilfe herbeiholt. Zum Glück gibt es zwischen den unfreundlichen Gesichtern und unhöflichen Mitreisenden auch immer wieder kleine Helden, die uns das Reisen erleichtern: Den Vater von vier Kindern, der erst all seine Kinder in die Bahn hievt und dann mit mir zusammen meine. Das junge Mädchen, das mir beim Tragen des Kinderwagens in die U-Bahn-Station hilft, obwohl sie so zierlich ist, dass schon ihre Handtasche zu schwer wirkt. Oft sind es genau die Menschen, die Hilfe anbieten, von denen ich es nicht unbedingt gedacht hätte. 30 BARRIEREFREI - das Magazin Infobox Mareice Kaiser lebt als freie Autorin in Berlin. Sie ist Mutter von zwei Mädchen, mit und ohne Behinderung. Auf ihrem Blog Kaiserinnenreich.de schreibt sie seit Anfang 2014 über ihr inklusives Familienleben. Quelle Fotos: privat Was das Leben mit einem gehbehinderten Kind wirklich schwer macht sind nicht unbedingt die Barrieren an sich – auch, aber nicht nur! –, sondern vor allem die Barrieren in den Köpfen der Menschen. Unterwegs sein mit zwei Kindern, die nicht laufen können, macht weder gute Laune noch Hoffnung auf Nächstenliebe oder Menschlichkeit. Es beweist eher, wie unfreundlich ein Land wie Deutschland Kindern gegenüber ist. Durch den Blickwinkel als Eltern mit einem Kinderwagen nimmt man die Mobilität in der Stadt ganz neu wahr. Als Mama und Begleitperson eines behinderten Kindes noch mal ein Stückchen detaillierter. In Wien, wo ich ein Jahr lang gelebt habe, werden ganz selbstverständlich Plätze in öffentlichen Verkehrsmitteln an gebrechliche, behinderte, alte Menschen und schwangere Frauen freigegebenen. Ein Aufkleber weist darauf hin und alle halten sich dran. Auch in Berliner Verkehrsmitteln kleben Aufkleber, die zeigen, dass Sitzplätze für Rollstühle und Kinderwagen hochgeklappt werden soll. Bisher ist mir dort ein einziges Mal ein Platz angeboten worden. Ansonsten muss ich immer danach fragen und wenn ich Glück habe, wird mir ohne Augenrollen Platz für den Kinderwagen gemacht. Dennoch: Ich gebe die Hoffnung auf mehr Menschlichkeit und gegenseitige Hilfe nicht auf. Denn zwischendurch tauchen sie immer mal wieder auf, die Heldinnen und Helden meines Alltags mit besonderen Herausforderungen. Dann erreichen wir auch unseren Zug pünktlich. Empowernde Architek tur Wirtschaftliche Effizienz durch Universal Design Eine wertschätzende Haltung bei der Gestaltung von Räumen, Hilfsmit teln und sozialen Dienstleistungen ermöglicht Einsparpotentiale und Inklusion Menschen im größtmöglichen Umfang genutzt werden können, ohne dass eine Anpassung oder ein spezielles Design erforderlich ist.“ Genau derselbe Ansatz wurde innerhalb des Bielefelder Modells (siehe Artikel „Benutzerfreundliche Architektur“ in der Ausgabe 06/2014 und „Universal-Design im Bad“ in Ausgabe 09/2014) lange vor dem Inkrafttreten der BRK umgesetzt. Das Ziel lautete seit dem ersten bereits 1996 gestarteten Wohnprojekt: Selbst Menschen mit sog. schweren Mehrfachbehinderungen und ältere Mieter mit einem 24-stündigen Assistenzbedarf können selbstbestimmt in eigenen Wohnungen leben. Ein echt inklusives Wohnen, das bundesweit noch sehr selten anzutreffen ist. Dabei beschränken sich die Service-Leistungen nicht wie sonst üblich nur auf Pflegeleistungen oder nur auf Eingliederungshilfe. Die Erfahrungen zeigen, die universell designten Dienstleistungen ermöglichen hinsichtlich der an Bedeutung zunehmenden demografischen Entwicklung wichtige Einsparpotentiale. Das ErgoSystem® eignet sich selbst in Bädern für junge Menschen und kann je nach Lebensphase flexibel nachgerüstet werden. Der Brausekopfhalter von FSB kann ganz leicht mit einer Hand verstellt werden, intergenerative Energieeinsparung und Benutzerfreundlichkeit. Foto: FSB Neben der Gestaltung von Gebäuden und Umfeldern fordert die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) auch ein Universal-Design bei Dienstleistungen. Diese sollen „von allen 32 BARRIEREFREI - das Magazin Duschsitze können mit dem ErgoSystem® leicht durch einfaches Einhängen nachgerüstet werden. Foto: FSB Empowernde Architek tur Zahlreiche weitere universell designte Produkt- eine optimale Voraussetzung für eine sichere lösungen, die möglichst jeder möglichst einfach Raumwahrnehmung. PELLINI hat als Hersteller der benutzen kann, sind leider noch viel zu wenig be- ersten Stunde integrierte Jalousien weltweit auf kannt. So gibt es z.B. von PELLINI/ScreenLine® im dem Markt eingeführt und mittlerweile zahlrei- Isolierglas integrierte Jalousien wie hier in einem che weitere spannende Lösungen insbesondere sozialen Wohnprojekt in Mailand zu sehen ist. für die Wohnungswirtschaft entwickelt: z. B. leicht PELLINI hat mit den vollkommen wartungsfreien nachrüstbare elektrische Bedienmöglichkeiten, im ScreenLine®-Produkten u. a. Rolllädenkästen als Bestand sogar auch ohne aufwendigen Anschluss Wärme- und Kältebrücken sowie schwer zu rei- an das Hausstromnetz durch Batteriebetrieb und nigende außen- und/oder innenliegende Lamel- mögliche Solarzellen. Durch eine anpassbare Be- len überflüssig gemacht. Die feinen Materialien dienbarkeit von Jalousien, weniger Reinigungs- im Glaszwischenraum ermöglichen eine exakte aufwand und bessere Lichtverhältnisse können Einstellung des flexibel anpassbaren Sonnen-, ebenfalls kostenintensive Assistenzbedarfe einge- Blend- und Hitzeschutzes bei einem maximal spart und mehr Sicherheit gewährleistet werden. möglichen Ausblick. Die dadurch mit mehr Tages- Weitere Infos: www.pelliniscreenline.net und licht durchfluteten Räume bieten allen Menschen www.screenline.net Allerdings ist dies nur möglich, wenn der Fokus auf interdisziplinäre Lösungen gelegt wird, nicht wie oft üblich, auf disziplin-internes Sparen bei einzelnen mit hohen Assistenzbedarfen. Diese gesellschaftlich gewinnbringenden Synergieeffekte aufgrund von Universal-Design, Hilfe zur Selbsthilfe und Inklusion, die sich in den Wohnprojekten des Bielefelder Modells entwickeln konnten, sind auch auf die Gestaltung und Finanzierung von Hilfsmitteln übertragbar. Denn Gegenstände, die „helfen“, und stärken (empowern), können mit einem guten Design so gestaltet sein, dass bestimmte kostenintensive Hilfeleistungen überflüssig werden. Die BRK fordert eine Gestaltung, die möglichst „ohne ein spezielles Design“, also ohne diskriminierende Erscheinungsbilder, von allen nutzbar ist. Diesen fortschrittlichen Ansatz setzte der Griffhersteller FSB mit seinem ErgoSystem® ebenfalls lange vor Entstehung der BRK bereits im Jahr 2002 um. Der Produktdesigner von FSB, Hartmut Weise, hat die ergonomischen Bedürfnisse von Menschen beim Greifen genau untersucht und ein Design für die Haltegriffe entwickelt, die dem Nutzer durch ihre Form eine beachtliche Krafteinsparung ermöglicht. Das flexibel aufrüstbare System erinnert überhaupt nicht an Krankheit oder Pflege, im Gegenteil, sogar in Bädern für junge Menschen und Familien BARRIEREFREI - das Magazin 33 Empowernde Architek tur gezeigt: Alle Menschen, auch Menschen mit einem 24-stündigen Assistenzbedarf, können mit größtmöglicher Selbstbestimmung und ohne zu vereinsamen in einer eigenen mind. 45 qm großen Wohnung leben. Nur bei Fremdoder Selbstgefährdung kommt die Konzeption an ihre Grenzen. DD_10.2014 bietet es eine ganz neue Benutzerfreundlichkeit und Designqualität mit Nachhaltigkeit – Menschen mit körperlichen Einschränkungen erhalten Hilfsmittel, die die Selbstständigkeit fördern und zu Einsparungen bei kostenintensiven Fachleistungen führen. Lösung für Demografie und Inklusion - universell designte Dienstleistungen Wesentliches in der Gestaltung der sozialen Dienstleistungen Folgende Vorstellung scheint in der Alten- und Behindertenhilfe starke Wurzeln zu haben: „Nur Menschen mit wenig Unterstützungsbedarf können ambulant wohnen, ein hoher Hilfebedarf kann ausschließlich in stationären Einrichtungen abgedeckt werden.“ Dass es doch anders geht, hat das Bielefelder Modell In den inklusiven Wohnprojekten in Bielefeld gibt es multiprofessionelle Teams (z. B. Altenpfleger, Gesundheits- und Krankenpfleger, Sozialarbeiter, Heilerziehungspfleger, Erzieher usw.). Dadurch kann eine Vielzahl an unterschiedlichsten Assistenzleistungen abgedeckt werden. In einem Wohnprojekt wohnte bei- Barrierefrei – für jede Fahrzeugklasse Die ALUMAT Magnet-Doppeldichtungen ermöglichen den schwellenlosen Übergang bei allen Haus-, Balkon- und Terrassentüren vom Wohnbereich nach außen. • • • • • 34 kein Verschleiß 20 Jahre Garantie schlagregensicher erhöhter Wohnkomfort für Jung und Alt ALUMAT Frey GmbH | Im Hart 10 |- D-87600 Kaufbeuren | Tel.: +49 (0) 8341/4725 | www.alumat.de BARRIEREFREI das Magazin Empowernde Architek tur spielsweise eine Mutter, die an Chorea Huntington erkrankt war. Ihr Sohn konnte durch den Einsatz der vorhandenen Heilerziehungspfleger bei seiner Mutter wohnen bleiben. Die Pädagogen unterstützten den Sohn und die Pflegefachkräfte die Mutter. Im Gegensatz dazu wird bei Einzug eines Elternteils in eine konventionelle Pflegeeinrichtung ein gemeinsames Wohnen von dem betreffenden Elternteil mit seinem Kind im Regelfall nicht umgesetzt. Durch den neuartigen, fachübergreifenden Ansatz konnte eine breitgefächerte sozialrechtliche Expertise bezüglich sozialgesetzbuchübergreifender Rechtsansprüche aufgebaut werden (SGB II, V, VII, VIII, IX, XI, XII). Möglichst alle Mieter sollen von den Angeboten der sozialen Dienste vor Ort im Quartier profitieren. Überflüssiges vermeiden – Bedeutender wirtschaftlicher Vorteil Unterschiedliche Rahmenbedingungen für die Konzeptumsetzung Das Münchner Wohnungsunternehmen GEWOFAG hat mittlerweile an fünf Standor ten ihr Wohn- und Versorgungskonzept "Wohnen Dadurch wurden in der Behinderten- und Altenhilfe neue Lösungen entwickelt. Die Behindertenhilfe kann sich weiter entwickeln, denn es entstehen ganz normale und inklusive Mietwohnungen, von deren Nutzung niemand durch unnötige Schwellen, zu enge Bewegungsräume oder zu hohe Mieten ausgeschlossen wird. Derartig flexibel vermietbare Wohnungen, die auch Menschen mit sog. schweren Mehrfachbehinderungen nutzen können, sind bundesweit bis heute Mangelware. Und in der Altenhilfe gibt es neben einer bisher noch seltenen, sturzpräventiven Architektur aufgrund von Schwellenlosigkeit einen immensen wirtschaftlichen Nutzen: Die sonst übliche Betreuungspauschale, die in den konventionellen Anlagen des betreuten Wohnens im Regelfall durchschnittlich 100 bis 160 Euro monatlich beträgt, müssen die Mieter nicht bezahlen. Alle Bürger im Umkreis von rund 500 bis 1.000 Metern können sich durch die Anwesenheit von Fachkräften rund um die Uhr sicher fühlen. im Vier tel" in Anlehnung an das Bielefelder Modell umgesetzt, 2015 kommen sechs weitere Standor te hinzu. Hier ist der erste Standor t am Innsbrucker Ring mit seiner farbigen Lärmschutzbebauung zu sehen, der im Dezember 2007 eröffnet wurde. Foto: GEWOFAG Grundsätzlich bewährt sich die Wohnkonzeption des Bielefelder Modells, denn es gibt bundesweit Folgeprojekte. Allerdings sind die Rahmenbedingungen je nach Bundesland und Stadt unterschiedlich. Im nordrhein-westfälischen Bielefeld können Bürger mit Anspruch auf Sozialhilfe aufgrund von entsprechenden Vereinbarungen mit dem Sozialamt bereits seit Mitte der neunziger Jahre die Leistungen der sog. „Anderen Verrichtungen“ (SGB XII § 61) von ambulanten Diensten erhalten. Und auch in München werden innerhalb der Wohnprojekte "Wohnen im Viertel", angelehnt an das Bielefelder Modell, bereits BARRIEREFREI - das Magazin 35 Empowernde Architek tur seit 2008 Leistungen im Rahmen der „Anderen Verrichtungen“ finanziert, wo hingegen z.B. in Baden-Württemberg laut dem zuständigen Sozialministerium keine Rahmenverträge zwischen den Leistungsträgern und den ambulanten Diensten über Leistungen für „Andere Verrichtungen“ existieren. Die Entscheidung, ob vor Ort für „Andere Verrichtungen“ Vereinbarungen abgeschlossen werden, läge im pflichtgemäßen Ermessen des jeweiligen örtlichen Sozialhilfeträgers. Auch die Leistungen für die Eingliederungshilfe unterscheiden sich stark. Im Bundesdurchschnitt lagen die Nettoausgaben für die Eingliederungshilfe 2012 bei 170,7 Euro je Einwohner. Die niedrigsten Pro-Kopf-Netto-Ausgaben hatten Baden-Württemberg (123,10 Euro) und Sachsen (101,60 Euro). Das Bielefelder Modell hat gezeigt: Menschen mit hohem Assistenzbedarf können selbstbestimmt und dezentral in eigenen Mietwohnungen leben. Gewiss sind hier höhere finanzielle Aufwände in Einzelfällen notwendig, die dann allerdings, disziplinübergreifend betrachtet, z.B. in der Altenhilfe bedeutende Einsparungen ermöglichen. Die anstehenden Herausforderungen aufgrund von Demografie und Inklusion benötigen nach diesen Erfahrungen eine neue wirtschaftliche Effizienz durch interdisziplinäres Kalkulieren. Ein pauschales Sparen von nur einer Disziplin oder innerhalb nur eines „Geldtopfes“ führt nicht immer zur wirtschaftlichsten Lösung. Wirtschaftlich effiziente Hilfsmittel durch Empowerment Hilfsmittel sollen laut Sozialgesetzbuch unter anderem „eine Behinderung ausgleichen“ (§ 33 SGB V), die Pflege erleichtern und eine selbstständigere Lebensführung ermöglichen (§ 40, SGB XI). Je effektiver Hilfsmittel die Selbstständigkeit fördern, desto geringer werden die Pflegebedarfe und die Kosten für Assistenz. Weiterhin können derartige Hilfsmittel Angehörige entlasten, deren Einsatz unter anderem, gesamtgesellschaftlich betrachtet, extrem wertvoll ist, denn auch sie ersetzen häufig zahlreiche kostenintensive Fachleistungen. Allerdings erinnern gerade die Erscheinungsbilder von klassischen Hilfsmitteln oft an Krankheit, Pflege und Defizite. Sie weisen entgegen der BRK häufig ein spezielles Design auf, das durch negative Assoziationen diskriminierende Wirkungen erzeugt. Innerhalb der Disziplin „Produktdesign“ lautet das Ziel von Beginn an anders, nämlich eine ästhetische Qualität mit einer maximalen Benutzerfreundlichkeit zu erzeugen. Und genau das hat FSB beim Thema Haltegriffe einzigartig neu umgesetzt. Der FSB-Designer Hartmut Weise wollte Hilfsmittel schaffen, die zu einer optimalen Krafteinsparung für die Nutzer führen und in der Optik Wertschätzung vermitteln. Er legte dabei seinen Fokus nicht auf die Defizite, sondern auf die Ressourcen. Dadurch erreichte er die Ziele der Sozialgesetzgebung bei Hilfsmitteln für Haltegriffe mit höchster Effizienz. Infobox Zu den „Anderen Verrichtungen“ zählen Leistungen, „die den in § 61 Abs. 5 SGB XII genannten Bereichen der Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftlichen Versorgung zuzuordnen, dort bei den einzelnen Verrichtungen aber nicht benannt sind.“ „Andere Verrichtungen“ können sein: Ganztägige Betreuung, tagesstrukturierende Maßnahmen, Orientierung im häuslichen und außerhäuslichen Bereich, Schutz vor Selbstund Fremdgefährdung sowie Beaufsichtigung und Anleitung. (Wilcken, Christine: Pflegebedürftigkeit und Behinderung im Recht der Rehabilitation und Teilhabe und im Recht der Pflege, LIT Verlag, Berlin: 2011) 36 BARRIEREFREI - das Magazin Empowernde Architek tur Einsparung von Assistenzleistungen durch gutes Design gungsabläufe im Bad viel einfacher und sicherer ausführen kann. Dadurch werden meine vorhandenen Fähigkeiten gestärkt und meine Frau entlastet!“ Noel de Lapor te (Name anonymisier t) hat von FSB eine individuell angepasste Griffkombination erhalten, die seine Autonomie stärkt. Die doppelte Anordnung der Haltestangen und Brausekopfhalter bietet ihm die Möglichkeit, den Duschvorgang entweder auf der rechten oder auf der linken Seite durchzuführen. Fotos: Ulrike Jocham Noel de Laporte (Name anonymisiert) hatte vor 6 Jahren einen unverschuldeten Motorradunfall. Seither spürt er die Folgen täglich. Seine Mobilität erhält er sich, abgesehen von der Nutzung von Rollstühlen und Gehstützen, mit einer auf ihn abgestimmten Wohnraumanpassung. Auf einem Campingplatz in der Schweiz am Morteratschgletscher konnte er zum ersten Mal die Haltgriffe des ErgoSystems ausprobieren. Von da an hat er alles daran gesetzt, sein Bad mit diesen einzigartigen ovalen und geneigten FSB-Griffen auszustatten: „Ich habe gemerkt, dass ich die üblichen Bewe- Designer Weise kann den Effekt des Kraft-Einsparens einfach erklären: „Bei dem Gebrauch einer Axt oder eines Hammers z. B. kommt es auf sichere und kraftsparende Handhabung an. Weil der Griff oval statt rund ist, kann dieser viel leichter gegriffen werden. Die Schnittstelle zwischen Hand und Griff ist formschlüssig und sichert so gegen Verdrehungen. Genauso optimal passt unsere Greifform in die Hand der Nutzer. Die schräge Position des elliptischen Haltegriffs führt zur Bildung eines stabilen Hand-, Arm- Körperachsendreiecks und stärkt so das Körperpotenzial durch Verringerung der Haltekräfte. Es entsteht ein Gewinn von Lebensqualität durch körperliche und koordinative Entlastung!“ Laut GKV-Spitzenverband und AOK Baden-Württemberg ist die Aufnahme eines bestimmten Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis keine Voraussetzung für eine Kostenübernahme durch die GKV/GPV. Es handle sich hier um keine Positivliste. BARRIEREFREI - das Magazin 37 Empowernde Architek tur Vielmehr sei die sozialmedizinische Indikation für die jeweilige Hilfsmittelversorgung ausschlaggebend. Demografie, Inklusion und die BRK erfordern neue interdisziplinäre Lösungen sowie einen neue wertschätzende Haltung, die sich im Design von Dienstleistungen und von Architektur wiederfinden. Wohnkonzeptionen und Hilfsmittel, die dies nicht erfüllen, können gerade bei den aktuellen demografischen Entwicklungen einen höheren finanziellen Aufwand erzeugen, der in keiner Relation zu eventuell einmalig höheren Anschaffungskosten oder höheren Kosten in Einzelfällen stehen. Deshalb ist Mut zu fachübergreifendem Handeln gefragt! FSB-Haltegriffe zum Ausprobieren bei Handic ap Construc t Das Sanitätshaus Saniplus Handicap Construct GmbH in Fritzlar verfügt über ein Ausstellungsbad, das mit Produkten des speziellen ErgoSystems von FSB und dessen Haltegriffen mit ovalem und geneigtem Querschnitten verfügt. Alle sind zum Probieren herzlich eingeladen. „Gerne unterstützen wir Kunden, die durch den ergonomischen Querschnitt der FSB-Produkte mehr Selbstständigkeit erlangen können, bei den notwendigen Antragsstellungen.“, so der Geschäftsführer Lars Dirksen. www.saniplus-fritzlar.de Text: Ulrike Jocham Weitere Infos: www.bgw.de, www.gewofag.de, www.fsb.de/ergosystem, www.pelliniscreenline.net Die Autorin Die Autorin Ulrike Jocham ist Inhaberin der Unternehmensberatung „inklusiv wohnen/inklusiv leben“ aus Stuttgart. Sie hat die Informationskampagne “Schwellenfreiheit und Benutzerfreundlichkeit in der Architektur” gestartet, die über interdisziplinäre Aufgabenstellungen und bereits vorhandene Lösungen informiert. Als Dipl.-Ing. der Architektur und Heilerziehungspflegerin verbindet sie mit ihrer Schnittstellenkompetenz alle am Thema Demografie und Inklusion beteiligten Professionen. www.inklusiv-leben.de 38 BARRIEREFREI - das Magazin BARRIEREFREI - das Magazin 39 Behinder tenspor tler Erfolg auf ganzer Linie Die Wintersportlerin Anna Schaffelhuber (Ski-Alpin), der Deutsche Meister im Weitsprung, Markus Rehm, und die Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft der Damen sind die Behindertensportler des Jahres 2014. Bei einem Festakt mit 400 Gästen im Deutschen Sport & Olympia Museum in Köln wurden sie am Samstagabend geehrt. Nachdem die Vorauswahl von Journalisten getroffen wurde, konnte zwei Wochen lang unter anderem auf sportschau.de, zdfsport.de, sport1. de und kicker.de online abgestimmt werden. Das ARD-Morgenmagazin stellte wahlbegleitend zur DBS-Sportlerwahl die nominierten Sportlerinnen und Sportler vor. An der Ehrung nahmen Spitzenpolitiker, Sportler, Vertreter aus Gesellschaft und Wirtschaft, 40 BARRIEREFREI - das Magazin Partner und Förderer des Deutschen Behindertensportverbands (DBS) sowie die Medien teil. „Die diesjährigen Preisträger haben weltweite Topleistungen erbracht und setzten sich zunächst bei der Vorauswahl durch Journalisten und schließlich bei einer Publikumsentscheidung deutlich durch. Sie stehen damit beispielhaft für die vielen Weltklasse-Athletinnen und -Athleten im deutschen Sport der Menschen mit Behinderung“, sagte DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher, der im Rahmen der Veranstaltung nicht nur die Leistungen der Sportlerinnen und Sportler hervorhob, sondern auch das Engagement der Partner des DBS würdigte. Im Rahmen der Ehrung der Behindertensportler des Jahres 2014 wurde der Sonderberater des UN-Generalsekretärs für Sport im Dienste Quelle Text & Fotos: DBS, Fotograf Ralf Kuckuck Behindertensportler des Jahres gekürt Behinder tenspor tler von Frieden und Entwicklung, Wilfried Lemke, vom Deutschen Behindertensportverband für sein Engagement im Behindertensport mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. Die Sieger Anna Schaffelhuber (21, TSV Bayerbach) Die Regensburgerin Anna Schaffelhuber nimmt die Auszeichnung zur Behindertensportlerin des Jahres bereits zum dritten Mal entgegen. Erstmals konnte sich die Monoski-Fahrerin 2011 über den Titel freuen, nachdem sie bei der Alpin-WM in Sestriere dreimal Gold gewann. Im Jahr 2013 holte die 20-Jährige bei der Weltmeisterschaft in La Molina (Spanien) Gold im Slalom sowie zwei Silber- und zwei Bronzemedaillen. In diesem Jahr gewann sie bei den Paralympischen Winterspielen in Sotschi in den alpinen Skiwettbewerben gleich fünf Goldmedaillen: im Slalom, im Riesenslalom, im Super-G, in der Abfahrt und in der Superkombination. Markus Rehm (26, TSV Bayer 04 Leverkusen) Die Wahl zum Behindertensportler des Jahres ist für Markus Rehm die Krönung eines erfolgreichen Jahres. Der gebürtige Göppinger sorgte für einen Paukenschlag, in dem er bei den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften gegen die nicht behinderten Sportler antrat und mit einer sensationellen Weite von 8,24 Metern gewann. Damit verbesserte er zudem seinen eigenen paralympischen Weltrekord um 29 Zentimeter und sprang als erster paralympischer Athlet über acht Meter. Weil er vom Deutschen Leichtathletik-Verband aber nicht für die Europameisterschaften nominiert wurde, löste er eine bis heute andauernde Diskussion aus und rückte die Inklusion in das Licht der Öffentlichkeit. Bei den Europameisterschaften des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) in Swansea 2014 siegte er im Weitsprung und kam über 100 Meter auf den Bronzerang. Damennationalmannschaft im Rollstuhlbasketball: Team des Jahres 2014 Zum ganz großen Titel hat es 2014 für die Paralympics-Sieger von London, die Damennationalmannschaft im Rollstuhlbasketball, nicht gereicht. Aber Platz zwei bei der Weltmeisterschaft in Toronto ist aller Ehren wert. Im Finale unterlag die Mannschaft von Bundestrainer Holger Glinicki den Gastgeberinnen knapp mit 50:54. Der Lohn für diese Saison ist die Wahl zur Mannschaft des Jahres. Diese Auszeichnung nehmen die Rollstuhlbasketballerinnen bereits zum dritten Mal entgegen. v.l.: 1. Reihe: Simone Kues, Edina Müller, Laura Fürst, Annika Zeyen, Cheftrainer Holger Glinicki, Anna Schaffelhuber, 2. Reihe: Mareike Miller, Linda Dahle, Gesche Schünemann, Steffi Nerius ( Trainerin von Markus Rehm), Ole Schröder (Staatsekretär Bundesministerium des Inneren) und Moderator Peter Großmann BARRIEREFREI - das Magazin 41 Andi K apfinger Mit dem Rollstuhl in den Rennsport 42 BARRIEREFREI - das Magazin Motorspor t Andi Kapfinger, 37 Jahre, hat sich gerade einen lang gehegten Traum erfüllt: Autorennen fahren. „Zusammenwachsen und dann: Einssein!“ schwärmt Andi. Als Vizemeister im Alpencup startet der Ausnahmesportler jetzt seine „richtige“ Rennsport-Karriere im Team RING POLICE. Dabei will er sich mit „normalen“ Fußgängern messen. „Normalerweise“ fährt er Rollstuhl. Ein schwerer Snowboardunfall vor 18 Jahren veränderte sein jugendlich-verrücktes Leben. Bis dahin war er ein erfolgreicher Sportler, auch im Extrem-Riding. Aber statt auf dem Board landete er rücklings auf der harten Piste. Die Folge: Künstliches Koma und das Erwachen in einer anderen Welt. Andis Meinung dazu: Jeder wird vom Leben irgendwann mal in die Enge getrieben. Aufgeben? Nein, niemals. Dieser Ehrgeiz und seine unermüdliche Motivation waren ausschlaggebend dafür, dass er wieder an die sportlichen Erfolge von früher anknüpfen konnte. Jetzt halt nur im Sitzen. Im Winter widmet er sich mit Leidenschaft dem Mono-Ski-Sport (Slalom). Im Sommer trainiert er auf dem Asphalt weiter. Er schaffte es sogar mehrmals zu den Paralympics. Was passt da besser als die GT-Serie im BMW M235i Racing? Hier messen sich Fahrer in baugleichen, speziell von BMW Motorsport in enger Zusammenarbeit mit den Werks-Rennfahrern entwickelten Rennautos. Gepunktet werden 10 Rennen pro Jahr. Eigene Veränderungen müssen gemeldet und abgenommen werden. Zu seiner notwendigen Umrüstung kommt noch eine weitere technische Herausforderung: Seine Fahrhilfen am Boxenstopp so zu konstruieren, dass sie in Sekundenschnelle entfernbar sind, damit der nächste Sportler, ein Fußgänger, mit dem gleichen Fahrzeug auf die Bahn kann. Das macht diesen Wet tbe werb absolut neu und einzigartig. Andi weiß genau, was er will. Für seine Umrüstung suchte er die Besten und seine Wahl fiel BARRIEREFREI - das Magazin 43 Motorspor t zenden Augen dabei. Auch er verbringt seine Wochenenden auf dem Nürnburgring und betreut seit über 5 Jahren gleich 2 Autos mit seiner beruflichen Kompetenz. Kapfinger fühlte sich hier sofort zuhause: Fachsimpeln, konstruktive Lösungssuche und gemeinsam mit ihm die richtige Umrüstung finden. Anfang August 2014 absolvierte er die erste Testfahrt im Circuit Zolder, Belgien. Alles verlief perfekt: Nachbesserungen waren nicht erforderlich! Andi Kapfinger hat viele Ziele, die sich auch in seiner Lebensphilosophie wiederfinden. auf das Unternehmen Petri + Lehr in Dietzenbach. Diese Firma kann mit der längsten Tradition in der Mobilität für Menschen mit körperlichen Einschränkungen aufwarten. Das allerdings wusste er noch nicht. Ihm waren das technische Know-how und die Kompetenz im Rennsport wichtig. Der technische Leiter bei Petri + Lehr ist ebenfalls mit glän- 44 BARRIEREFREI - das Magazin „Ich sehe in meinem Sport nicht nur die Möglichkeit, meine Zukunft zu gestalten. Ich möchte vor allem zeigen, dass sich das Leben mit einer Behinderung zwar ver ändert, aber trotzdem gleichwertig und lebenswert bleibt.“ Spor tangebote Bewegung statt Winterblues Neue Angebote für sportbegeisterte Amputierte in Walldorf, Hoffenheim und Eutin Nordic Walking-Gruppe in Walldorf Endlich mal wieder Tempo aufnehmen. Gerade zum Wiedereinstieg in sportliche Aktivitäten nach Amputationen ist es der ideale Sport. Die Stöcke verschaffen zusätzliche Sicherheit und Nordic-Walking kann überall ausgeführt werden. Das Verbessern der Ausdauer und auch des Immunsystems ist ganz selbstverständlich. Nordic-Walking steigert das Wohlbefinden und ist eine gute Grundlage für alle anderen Sportarten. Dabei kann das eigene Tempo gefunden werden. Ob sportlich oder weniger sportlich – in jeder Umgebung den Wechsel der Jahreszeiten beim flotten Gehen erleben, das tut gut, ist gesund und macht fit. Ab März 2015|Teilnehmer maximal: 10 |Treffpunkt Anpfiff ins Leben e.V. Schwetzinger Str. 92a, 69190 Walldorf tierte und Menschen mit Gliedmaßen-Fehlbildungen. Letztere haben den großen Vorteil, dass sie ohne Prothesen spielen können. Menschen mit und ohne Handicap spielen im wahren Wortsinn auf Augenhöhe und gleichberechtigt miteinander. Sie baggern, pritschen und schmettern gemeinsam um den Sieg. Sie profitieren und lernen voneinander. Wann: Dienstag von 19:30 – 21:30 Uhr |Start ab 30.09.2014 |Treffpunkt Sporthalle Hoffenheim Anmeldungen und weitere Auskünfte: E-Mail: [email protected] Fax: 06227 35816-5502 Sitzvolle yball-Tr aining Im Rahmen des Projektes „Inklusion – Sport für und mit Amputierten“ wird beim PSV in Eutin/SH ebenfalls eine neue Gruppe aufgebaut. Trainingszeiten sind voraussichtlich Montags von 20.00-22.00 Uhr. Unterstützt wird die Aktion von der Nationalspielerin Jana Puschmann aus Kiel. Sitzvolleyball kann von allen Sportlerinnen und Sportlern gleichermaßen gespielt werden. Es ist ein klassischer Mannschaftssport. Besonders geeignet für Menschen mit Kniebeschwerden, Beinbehinderungen und ideal für Beinampu- Anmeldungen und weitere Auskünfte: Friedel Böhm-Vatterodt Tel: 04528 - 9135571 E-Mail: [email protected] BARRIEREFREI - das Magazin 45 Erblindung Wenn das Augenlicht langsam erlischt Lässt die Sehfähigkeit nach, hat das weitreichende Folgen. Dem Betroffenen steht meist eine Zeit der Unsicherheit, Wut und Hilflosigkeit bevor. Aber auch für die Angehörigen ist das eine schwierige Situation: Sie wollen helfen, wissen aber oft nicht wie. Sehbehindert ist ein Mensch, wenn er auf dem besser sehenden Auge selbst mit Brille 46 BARRIEREFREI - das Magazin oder Kontaktlinsen nicht mehr als 30 % von dem sieht, was ein Mensch mit normaler Sehkraft erkennt. Hochgradig sehbehindert ist er dann, wenn er nicht mehr als 5 % erkennen kann. Von Blindheit spricht man, wenn dieser Mensch nicht mehr als 2 % von dem sieht, was andere mit normaler Sehkraft erkennen. An dieser Stelle folgt nun oft eine Zahl, wieviele blinde Menschen es in Deutschland gibt. Aber: In Deutschland werden blinde und sehbehinderte Menschen nicht gez ählt. Unglaublich, da man doch alles mit Zahlen hinterlegt und begründet? Blindengeld, Kran- Erblindung kenkassenzuschüsse, usw.? Es ist wahr. Die Zahlen können nur geschätzt werden (z. B. durch Blindengeldempfänger – wer keines beantragt hat, ist auch schon wieder raus). Durch Hochrechnungen kann man von ca. 1,2 Millionen Menschen ausgehen. Bayern hat zudem interessante Zahlen im Jahr 2013 veröffentlicht: Ende des Jahres erhielten 14.655 Personen Blindengeld. Annähernd 2/3 davon sind 65 Jahre und älter, 42,1% sind 80 Jahre und älter. Über die Hälfte der Leistungsempfänger sind weiblichen Geschlechts. Augenerkr ankungen sind bei uns im Land die häufigste Ursache von Sehbehinderung oder Erblindung. Darunter fallen zum Beispiel: • Altersabhängige Makula-Degeneration (AMD) • Glaukom (Grüner Star) • Diabetische Retinopathie • Uveitis (Entzündung der Uvea) • Retinitis Pigmentosa (erbliche Erkrankungen der Netzhaut) • Netzhautablösung • Grauer Star (Katarakt) • Aniridie (Iris nicht oder nur unvollständig ausgebildet) Infobox Wie kann aber nun Betroffenen geholfen werden? Anlässlich der Woche des Sehens, die jedes Jahr im Oktober stattfindet, haben drei Selbsthilfeorganisationen blinder und sehbehinderter Menschen die folgenden Tipps zusammengestellt: Ordnung hat für sehbehinderte Menschen eine besondere Bedeutung: • Gegenstände sollten einen festen Platz haben, denn Suchen fällt den Betroffenen schwer. • "Wandernde" Gegenstände sind zudem Stol‐ perfallen. • Flaschen und andere höhere Gefäße (z. B. Va‐ sen) sollten an die Wand geschoben werden. • Beim Sortieren helfen Körbe, bei denen Materialien und Formen möglichst unter‐ schiedlich sind. Erblindung durch Diabetes Zu den Spätfolgen von Diabetes mellitus gehört die Erkrankung der kleinen Blutgefäße (Mikroangiopathie). Besonders häufig sind hiervon die Augen, genauer gesagt, die Netzhaut betroffen. Die entstehenden Schäden nennt man diabetische Retinopathie. In Deutschland ist Diabetes mellitus immer noch die häufigste Ursache für Erblindung. Typ-1-Diabetiker sind wesentlich häufiger von einer Retinopathie betroffen: Nach 15 Jahren leiden über 90 Prozent an einer Retinopathie. Bei Typ-2-Diabetikern findet man bei 36 Prozent Veränderungen an der Netzhaut, wenn erstmals Diabetes festgestellt wird. Der weitere Verlauf hängt vom Verlauf der Diabeteserkrankung ab, daher ist eine regelmäßige Kontrolluntersuchung mindestens einmal im Jahr sinnvoll. BARRIEREFREI - das Magazin 47 Erblindung 48 BARRIEREFREI - das Magazin Starke Kontr aste machen es sehbehinderten Menschen einfacher, etwas zu erkennen. Beispiele: • Helles Geschirr auf dunklem Tischset (oder umgekehrt) • Kaffee-Becher- oder Tassen, die innen hell sind, so dass man den Kaffee besser sieht • Dunkle Armaturen im weißen Bad • Weißer Lichtschalter auf weißer Wand? Einfach einen dunklen Rahmen drum herum malen. Was noch hilft: • Wichtige Notizen, Telefonnummern und Termine mit dickem, schwarzem Filzstift so groß schreiben, dass ein Betroffener sie le‐ sen kann (ausprobieren!). • Eine gute Versorgung mit Sehhilfen durch spezialisierte Optiker sollte gewährleistet sein (zum Beispiel eine Handlupe oder auch Quelle Text & Fotos: www.angehoerige.dbsv.org; DBSV/A.Friese • Gewürze sollte man in ganz unterschiedli‐ chen Gefäßen aufbewahren, um sie leichter auseinander zu halten. • Ein Tablett mit erhöhtem Rand kann auf dem Tisch als "sicherer Ort" für beispiels‐ weise Kaffeetasse und Kanne genutzt wer‐ den. Dann wird auch ein Verschütten nicht zur Katastrophe. • Tisch- und Ablageflächen sollten übersicht‐ lich, Arbeitsflächen sollten frei gehalten werden. • Türen nicht halboffen stehen lassen und Schranktüren immer schließen – Verlet‐ zungsgefahr. • Keine Taschen, Pakete oder andere Hinder‐ nisse in den Weg stellen, auch nicht für kur‐ ze Zeit – speziell auf Treppen! Erblindung ein Bildschirmlesegerät) • Investition in helle, indirekte und gut anpassbare Beleuchtung (hierbei können Reha-Lehrer beraten). • Viele sehbehinderte Menschen sind blend empfindlich, Jalousien können helfen. • Einfache Elektrogeräte mit übersichtlichen Knöpfen sind für Betroffene besser zu be‐ dienen (bei Backofen, Mikrowelle etc. kann man tastbare Markierungspunkte aufkle‐ ben, die wichtige Schalter-Positionen mar‐ kieren, beispielsweise an der Waschmaschi‐ ne 30, 60 und 90 Grad). • Hilfreich ist ein Telefon mit großen, kon trastreichen Zahlen. Es sollte schnurlos sein oder einen festen Platz haben, denn Kabel sind Stolperquellen. Zudem gibt es noch die sogenannten „Goldenen Regeln“, die beachtet werden sollten: Alle MaSSnahmen sollten grundsätzlich vorher mit der sehbehinderten Person besprochen und abgestimmt werden. Selbstständige Aktivitäten sollten unterstützt werden, auch wenn manches länger dauert oder mühsam erscheint. Gut und hilfreich ist auch der Kontakt zu anderen Betroffenen, zum Beispiel in Selbsthilfegruppen. So können manchmal auch psychische Folgen einer Augenkrankheit besser verarbeitet werden. Beratungsstellen informieren mit wertvollen Hinweisen über Hilfsmittel, deren Finanzierung und weiteren Rechtsansprüchen. Fast immer verändert sich das Leben als Angehöriger ebenfalls, sei es durch Anteilnahme und/oder Betreuung. Auch sie sollten sich Hilfe holen, wenn die Belastung zu groß wird. BARRIEREFREI - das Magazin 49 BRAILLESCHRIFT Auf den Punkt gebracht: Louis Braille und sein Schriftsystem Den meisten Menschen in der Welt ist die Blindenschrift als solche bekannt. Allerdings kommen lange nicht alle Blinden und Sehbehinderten mit ihrem Punktsystem so gut zurecht, dass sie sich ohne weitere Hilfsperson und technische Mittel orientieren können. Trotzdem ist sie für viele Sehbehinderte eine sinnvolle und weitreichende Erfindung, die sie unabhängig von anderen Personen macht. Erfunden hat diese Schrift der im Alter von 4 Jahren erblindete Louis Braille, der durch einen Unfall und eine Infektion sein Augenlicht verlor. An seinem Geburtstag, dem 4. Januar, erinnert heute noch der Welt-BrailleTag an seine Verdienste durch die Entwicklung dieser Punktschrift. Louis Braille war ein sehr wissbegieriger Junge, der trotz seiner Blindheit unbedingt lesen lernen wollte. Er lernte in der von ihm besuchten Blindenschule eine geprägte Schrift, die sehr schwierig zu ertasten und zu „be-greifen“ war. Im Alter von 11 Jahren hörte er von der „Nachtschrift“, die, militärisch genutzt, ebenfalls sehr schwierig zu erlernen war, und die 50 BARRIEREFREI - das Magazin Aber es dauerte noch weitere 25 Jahre, ehe sich die Brailleschrift durchsetzte. Louis Braille war es leider nicht gegönnt, diesen Siegeszug noch zu erleben. Er starb 1852 an einer Tuberkulose-Erkrankung. In Deutschland wurde die Brailleschrift 1879 eingeführt. Mittlerweile werden jährlich deutschlandweit mehrere Wochenzeitungen, 500 neue Bücher im Printformat und die „Tagesnachrichten für taubblinde Menschen“ herausgegeben. Außerdem gibt es neben der kaum veränderten Punktschrift von Braille eine Kurzschrift sowie eigene Schriftsysteme für Musiknoten, mathematische Formeln und Strickmuster. Für den Computer wurde ebenfalls eine zusätzliche Zeile eingefügt, bestehend aus acht Punkten. Die Verbreitung der Brailleschrift wird zwar weltweit gelehrt, nimmt aber immer mehr ab. Nur 20% der Blinden in Deutschland hat in der Schule oder anderen Bildungseinrichtungen gelernt, die Punkte von Braille zu ertasten. Mit der Entwicklung von Vorleseprogrammen, sogenannten Screenreadern, die Internetseiten akustisch oder über eine Braillezeile übersetzen, wird die Nutzung der Blindenschrift weiter zurückgedrängt. Weitere Infos & Kurse beim DBSV: Telefon-Nr. 01805-66 64 56 (14 ct./Min.) oder unter www.dbsv.org. Quelle: VdK-Zeitung, Ausgabe Nord, 68. Jahrgang, Nr. 12/1 (Dez. 2014/Jan. 2015) aus zwölf Punkten – als Ersatz für ganze Silben – bestand. Louis vereinfachte diese Schrift und verringerte die Punktzahl auf sechs: drei in der Höhe und zwei in der Breite. Für jeden Buchstaben im Alphabet erfand er eine eigene Kombination dieser Punkte. Im Jahr 1825, als er 16 Jahre alt war, hatte er es geschafft. Die Schrift war fertig. BARRIEREFREIER TOURISMUS Mit Gebärdensprache die DASA Arbeitswelten entdecken Die Wasserwand in der DASA und Blick in die Abteilung "Am Bildschirm". Quelle Foto: DASA Arbeitswelten DASA? DASA! Die DASA ist Deutschlands größte Arbeitswelt - Ausstellung. Früher hieß sie etwas sperrig "Deutsche Arbeitsschutzausstellung". Speziell für Menschen mit Höreinschränkungen bietet die DASA Arbeitswelt - Ausstellung in Dortmund alle 2 Monate Führungen in Gebärdensprache an. Bei einem allgemeinen Rundgang durch die DASA erklärt ein gehörloser Gästeführer viele Aspekte rund um Arbeitswelten aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dabei entdecken Teilnehmer zum Beispiel, wie laut, wie heiß und wie anstrengend die Arbeit in der Stahlindustrie war. Oder wo Gefahren am Schreibtisch und im Büro lauern können. Wer möchte, probiert im Anschluss einige Mitmach-Stationen in der DASA aus. So kann man zum Beispiel eine Karte auf einer alten Druck-Presse drucken oder in einem modernen Fahr-Simulator einen LKW steuern. Für die Führung ist eine vorherige Anmeldung beim DASA Besucherservice per E-Mail unter [email protected] erforderlich. Die Ausstellung ist ebenfalls weitgehend für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen zu besuchen. BARRIEREFREI - das Magazin 51 Porec BARRIEREFREIER TOURISMUS 52 BARRIEREFREI - das Magazin BARRIEREFREIER TOURISMUS Kroatien – Winter mal (wo)anders BARRIEREFREI - das Magazin 53 BARRIEREFREIER TOURISMUS Bei diesem zauberhaften Land handelt es sich um den fast letzten unverbrauchten und schönen Teil des Mittelmeerraumes. Seit langem ist es touristisch erschlossen, hat es aber trotzdem vermochte, seine Authentizität, seine Umwelt und die urtümliche Lebensweise zu bewahren. Der ausgeprägte Lebensstil und die Vielfalt von Kultur- und Naturreichtümern lassen einen facettenreichen Urlaub zu. Auch für Reisende im Rollstuhl ist diese Perle des Balkans ein attraktives Ziel. Über 6.000 Kilometer Küste laden zum Verweilen und Baden ein. Kroatien hat 1.244 Inseln zu bieten, von denen 50 bewohnt sind. Insgesamt hat das Land ca. 4,2 Mio. Einwohner. Zum Jahreswechsel muss man sich relativ warm anziehen, es herrschen Temperaturen von 5 bis 9 °C vor, im Sommer dann 23 bis 26 °C. In Kroatien kommen auch Kulturbegeisterte auf ihre Kosten. So sind 7 Welterbestätten hier zu finden, unter anderem in Dubrovnik, Split und auf der Insel Hvar. Die Städte Zadar, Trogir und Zagreb sind für Rollstuhlfahrer gut besuchbar. Natur pur erlebt man im Nationalpark Plitwitzer Seen. Er ist für seine kaskadenförmig angeordneten Seen weltbekannt, von denen an der Oberfläche derzeit 16 sichtbar sind. 54 BARRIEREFREI - das Magazin Kroatien im Rollstuhl entdecken Ein Beitrag von Michael Müller Urlaub mit Behinderung oder im Rollstuhl ist auch in Kroatien möglich. Man sollte sich nur im Vorfeld genau informieren, um vor Ort keine bösen Überraschungen zu erleben. In Kroatien spielt der Ort eine entscheidende Rolle! Entlang der kroatischen Küste gibt es sehr viele Ortschaften, die an einem steilen Hang gebaut sind und durch die schlechten Straßenverhältnisse zum Strand oder ins Zentrum (z.B. keine Gehwege, viele Stufen usw.) als Urlaubsort nicht geeignet sind. Leider wird das in vielen Reisführerin noch nicht beachtet. Barrierefreie Str ände Gute Erfahrungen wurden unter anderen in den Orten Porec, Opatija und Crikvenica gemacht. Dort gibt es einige Strände mit der "Blauen Flagge" und viele barrierefreie Wege. Auch die Insel Rab bietet einige Vorzüge! Natürlich sollte auch der Strand einen barrierefreien Zugang haben und auch die Sanitäranlagen sollten rollstuhlgerecht eingerichtet sein. In Kroatien fällt daher oft die Wahl auf die Strände mit der Auszeichnung der "Blauen BARRIEREFREIER TOURISMUS Um die Auszeichnung zu erhalten, muss mindestens ein Strand der Gemeinde für Menschen mit Behinderung zugänglich und barrierefrei ausgestattet sein! Ebenfalls empfehlenswert sind Strände mit Stein oder betonierten Liegeflächen, da hier die Fortbewegung etwas leichter fällt - auf Sand oder Feinkies hat man fast keine Chance! Sanitäre Anlagen (öffentliche Toilet ten) Kroatien hat zwar schon relativ viele Rampen und gibt sich Mühe bei der Integration, allerdings sind trotzdem viele Sachen noch nicht Insel Brac Flagge"! BARRIEREFREI - das Magazin 55 BARRIEREFREIER TOURISMUS Quellen Text & Fotos: croatia.hr, wato.de, Michael Müller Nationalpark Plitwitzer Seen optimal. Es gibt viele Rolli-Toiletten, bei denen einfach die Türen zu schmal sind. Oder an den Stränden sind öffentliche WCs einfach geschlossen. In diesen Fällen hilft es, einfach mal in den umliegenden Restaurants, Bars, Cafes oder Campingplätzen nachzufragen. Dort gibt es 56 BARRIEREFREI - das Magazin BARRIEREFREIER TOURISMUS zwar ebenfalls nicht immer Rollstuhltoiletten, aber zumindest sanitäre Anlagen, welche mit dem Rollstuhl (je nach Breite und Länge des Rollis) zugänglich sind. Erfahrungsgemäß ist das Personal hilfsbereit und spricht meist Deutsch, wenn nicht dann Englisch. Ein guter Tipp sind auch die umliegenden Hotels - diese welche abends auf der Straße den Passanten eine Tour verkaufen wollen, erzählen alles was man hören will um Gäste zu gewinnen. Fragen Sie lieber beim jeweiligen Reiseveranstalter nach Empfehlungen oder wenden Sie sich vor Ort an das offizielle Tourismusbüro, Dort bekommt man (oft) gute und wertvolle Tipps. Egal, welche Art von Ausflug Sie machen wollen, eine geübte Begleitperson ist auch hier immer zu empfehlen! Insel Rab Weitere hilfreiche Tipps haben oft auch rollstuhlgerechte Toiletten und sind auch entsprechend hygienisch. Achtung bei Bootstouren & Ausflügen • Vergessen Sie nicht, breite Reifen für den Rolli einzupacken! Es gibt in Kroatien, soweit uns bekannt ist, keine Hotels oder Ferienanlagen, die einen Strandrollstuhl bereit stellen! • Als Rampe lassen sich gut die Zufahrten verwenden, die genutzt werden, um Boote ins Wasser zu lassen. Die breiten Rampen für größere Boote erscheinen meist flacher, sodass man gut vom Rolli ins Wasser und wieder zurück kann, wenn man ein Stück hineinfährt und ein Helfer den Rolli hält. • Der Rolli sollte übrigens vorher salzwasserfest gemacht werden, und wenn man im Wasser war, abgespült werden, um das verrosten "festbacken" der Teile zu vermeiden. Wenn man dann von Stadtbesichtigungen und Stränden genug hat, kann man auch selbst aktiv werden. Zum Beispiel Paragliding: In Kroatien gibt es einige Anbieter von Paragliding, die auch teilweise Erfahrung mit mobilitätseingeschränkten Personen haben. Auch hier sollte man auf einen erfahrenen Anbieter setzen, damit man sich auf dessen Hilfe, wie z.B. beim Gurt anlegen, bei der Starthilfe oder beim Abwiegen der Risiken verlassen kann. Ausflugsboote sind in Kroatien soweit wir mitbekommen haben oft nicht für Rollis geeignet. Zu schmale Gänge, keine breiten Türen in den Toiletten, zu steile Rampen etc.. Die Leute, BARRIEREFREI - das Magazin 57 RECHT & GESETZ IHR GUTES RECHT Behindertes Kind hat Anspruch auf ein behindertengerechtes Auto Benötigt ein behindertes Kind zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ein behindertengerechtes Fahrzeug, so muss die zuständige Behörde Eingliederungshilfe in Form der Hilfe zur Beschaffung ge währen. Dies hat das Sozialgericht München entschieden. Der damals 10-jährige Kläger wurde mit einer schweren Fehlbildung der unteren Körperhälfte geboren. Geistig war er jedoch fit. Er lebte mit seinen Eltern auf einem Bauernhof. Ein Antrag auf Hilfen zur Beschaffung eines behindertengerechten Fahrzeugs wurde mit der Begründung abgelehnt, „solche Hilfen würden nur dann geleistet, wenn sie zur Eingliederung in das Arbeitsleben erforderlich seien oder vergleichbare wichtige Gründe vorlägen, welche eine ständige, d. h. tägliche oder fast tägliche Benutzung eines Fahrzeugs erfordern“. Das Sozialgericht München teilte diese Meinung nicht, sondern entschied zu Gunsten des Klägers. Aufgrund seiner Behinderung gehöre er „zu dem nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII leistungsberechtigen Personenkreis und sei wegen der Art und Schwere seiner Behinde- 58 BARRIEREFREI - das Magazin rung auf die Benutzung eines KFZ angewiesen, wie es § 8 Abs. 1 Satz 2 EinglHV fordere“. Diese Voraussetzung sei schon dann erfüllt, wenn der behinderte Mensch nur mit Hilfe seines KFZ den Nahbereich seiner Wohnung verlassen und sich außerhalb der Wohnung bewegen könne, wenn die Gründe hierfür gerade der Eingliederungshilfe diene und sich ausschließlich ein solches Bedürfnis regelmäßig stelle. Beide Gründe waren nach Ansicht des Gerichtes gegeben. Außerdem sei es nicht erforderlich, dass das Fahrzeug ähnlich häufig wie bei der Teilnahme am Arbeitsleben (ca. 22 Tage/Monat) genutzt werden müsse. Sowohl die Teilhabe am Arbeitsleben als auch die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind als gleichberechtigte Ziele der Eingliederungshilfe genannt. Der Verweis auf eine Inanspruchnahme des Behindertenfahrdienstes konnte dem Kläger nicht zugemutet werden, da der Fahrdienst „nicht dazu tauge, die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sicherzustellen“. Vor allem RECHT & GESETZ sei bei der Nutzung des Fahrdienstes der notwendige, aber eine gewisse Spontanität und Flexibilität erforderliche Kontakt zu gleichaltrigen Kindern nicht gegeben. selten in vollem Umfang das Ergebnis einer freien Wahl wären, sondern von Faktoren wie Arbeitsplatznähe oder Vorhandensein günstiger Wohnungen abhängig seien. Auch der selbst gewählte Wohnsitz des Klägers stehe der Gewährung der Eingliederungshilfe nicht entgegen, führte das Gericht weiter aus, da sich die nach §9 Abs. 1 SGB XII die Leistungen der Sozialhilfe „nach den Besonderheiten des Einzelfalls und u. a. auch nach den örtlichen Verhältnissen“ richten. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Wohnverhältnisse der meisten Menschen, bes. von Familien, nur Sozialgericht München, Urteil vom 27.03.2012 - S 48 SO 485/10 Quelle: www.kostenlose-urteile.de Krankenkasse hat 24-stündige Pflege schwerstkranker Kinder zu leisten Wird die 24-stündige Behandlungspflege von einer anderen Pflegekr aft erbr acht als die Grundpflege, sind die Kosten für die Behandlungspflege in vollem Umfang von der gesetzlichen Kr ankenk asse zu z ahlen. Dabei darf sie weder den Zeitaufwand für Grundpflege noch das Pflegegeld in Abzug bringen. Dies entschied das Hessische Landessozialgericht. In mehreren zu entscheidenden Fällen benötigten die jeweils sehr schwer erkrankten Kinder eine 24-stündige Überwachung ihrer Atmung, die von einer Fachkraft durchzuführen und von der Krankenkasse im Rahmen der häuslichen Krankenpflege zu zahlen ist. Allerdings zog die Krankenkasse den Zeitaufwand für die Grundpflege ab, die die Eltern erbringen. Dieses seien Leistungen der Pflegeversicherung, deren Leistungsumfang allerdings begrenzt ist. Damit die Eltern den entsprechenden Anteil der Pflegekosten nicht selbst tragen mussten, verklagten sie die Krankenkasse. Nach Ent- scheidung des Hessischen Landessozialgerichtes müsse die Krankenkasse die gesamten Kosten für die 24-stündige Behandlungspflege übernehmen. Die Richter beider in Anspruch genommenen Instanzen gaben den Eltern Recht. „Soweit eine 24-stündige Behandlungspflege von einer Pflegefachkraft erbracht wird, Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung jedoch von Angehörigen geleistet werden, seien die gesamten Kosten für die Behandlungspflege von der Krankenversicherung zu tragen. Eine Anrechnung der Grundpflege komme nur in Betracht, wenn Behandlungs- und Grundpflege von derselben Fachkraft erbracht werden. Auch das Pflegegeld ist von der Krankenkasse nicht in Abzug zu bringen, häusliche Krankenpflege und Pflegegeld stünden vielmehr uneingeschränkt nebeneinander.“ Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 09.12.2010 - L 1 KR 187/10 und L 1 KR 189/10 Quelle: www.kostenlose-urteile.de BARRIEREFREI - das Magazin 59 Rollator 60 Für Rollatornutzer sind Herbst und Winter besonders schwierig, denn die frühe Dunkelheit, Nässe und Kälte sowie Schnee und Eis stellen sie vor eine außerordentliche Herausforderung. Sichtverhältnissen gut gesehen zu werden. Da ist helle Kleidung wichtig. Darüber hinaus sollte der Rollator mit Reflektoren und Licht ausgestattet werden. Wer es sich einfach machen will, kauft Reflektorbänder, die am Rollator aufgeklebt werden. Für den sicheren Stand empfehlen die Experten Spikes für die Schuhe, die einfach über den Schuh gezogen werden und so bei glatten Wegen für Sicherheit sorgen. Den Rollator hingegen kann man mit Rädern ausstatten, die mehr ‚Grip‘, also mehr Bodenhaftung bei Glätte bieten. „Auch wenn es jetzt abends schon früh dunkel wird oder wenn Schnee liegt, können Sie mit Ihrem Rollator sicher mobil bleiben und Ihre normalen Gewohnheiten weitgehend beibehalten“, sagt Fabian Haberkorn, Produktmanager bei TOPRO (der Hersteller von hochwertigen Rollatoren und Rollatorenzubehör). Mit geringem Aufwand und wenigen Handgriffen können Sie Ihren Rollator und sich selbst so ausstatten, dass Sie immer gut gesehen werden, der Rollator Ihnen auch auf rutschigem Untergrund Halt gibt und Sie vor Kälte, Regen und Schnee geschützt sind. Besonders wichtig ist es, bei den schlechten Wenn es regnet oder schneit, schützt ein Rollatorschirm perfekt, denn er ist mit einem speziellen, modernen Multifunktionsarm ausgerüstet und aus überschlagsicherem Fiberglas. Der Schirm kann rechts oder links am Rollator angebracht werden, durch eine ausgeklügelte Mechanik zentral und körpernah über dem Rollator und seinem Nutzer platziert werden. BARRIEREFREI - das Magazin Einkaufen, Spaziergänge, Besuche bei Freunden und Verwandten sowie die Freizeitaktivitäten sind auch im Winter sicher, wenn man sich entsprechend ausstattet und verhält. Quelle Text & Fotos: TOPRO GmbH Mit dem Rollator sicher durch den Winter Ehrenbrief Hubert Hüppe erhält den Ehrenbrief Quelle Text & Foto: DG Im Rahmen ihrer jährlichen Arbeitstagung und Mitgliederversammlung hat die Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten - Selbsthilfe und Fachverbände e. V. (DG) Herrn Hubert Hüppe den Ehrenbrief der DG am 21.11.2014 in Eisenach verliehen. Diese Auszeichnung bringt den Dank und die Anerkennung für seinen besonderen Einsatz zur Verbesserung der Situation hörgeschädigter Menschen zum Ausdruck. Hubert Hüppe war von Januar 2010 bis Januar 2014 Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen und hat sich bereits davor viele Jahre als behindertenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag für Menschen mit Behinderung engagiert. Als Beauftragter hat Herr Hüppe sich mit großem Engagement für die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung in Deutschland eingesetzt. Es war ihm besonders wichtig, die Chancen zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu verbessern. Ulrich Hase, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft betonte in diesem Zusammenhang: „Ohne den Einsatz von Herrn Hüppe hätte sich das Thema Inklusion in Deutschland nicht als ein solcher gesellschaftlicher Prozess entwickelt, wie wir ihn heute erleben dürfen.“ Ganz konkret hat er Anteil an Erfolgen zur Verbesserung der Hörgeräteversorgung, zur Anerkennung des Berufsbildes von Schriftdolmetscher/innen sowie zum ersten Ausbildungsprojekt für Kommunikationshelfer/innen/ Arbeitsassistent/innen in Nordrhein-Westfalen. Teilhabe bedeutet auch, dass Menschen mit Behinderung selbstbestimmt in politischen Zusammenhängen Gehör finden. Dr. Ulrich Hase (li.) und Huber t Hüppe (re.) bei der Verleihung. Hierzu war es Herrn Hüppe wichtig, dass sich die Deutsche Gesellschaft und die Mitgliedsverbände der DG in unterschiedlichen Gremien mit ihren Positionen zu den Belangen von hörgeschädigten Menschen einbringen konnte. Dies gilt vor allem für die Zusammenarbeit im Inklusionsbeirat. Bereits seit 2003 finden die jährlichen Mitgliedsversammlungen der heute 26 Verbände der DG in Eisenach statt. Der Ehrenbrief wird an Menschen verliehen, die sich im besonderen Maße für die Belange hörbehinderter Menschen einsetzen. Er wurde erst zweimal verliehen. BARRIEREFREI - das Magazin 61 K arate Karate Mar vin Nöltges „Mission Gold“ In Bremen fand vom 5.- 9. November die erste Karate-Weltmeisterschaft für Menschen mit Behinderung statt. Insgesamt stellten sich 45 Starter aus 21 Nationen von 5 Kontinenten dem Wettbewerb. Auch 7 deutsche Athleten nahmen teil. Alle wollten „hier zu Hause“ den ersten Weltmeistertitel holen. Insgesamt sechs Titel wurden in den folgenden Kategorien vergeben: Menschen mit Lernbehinderung (männlich & weiblich), Menschen mit Sehbehinderung (männlich & weiblich) und Menschen im Rollstuhl (männlich & weiblich). Die Leistung der deutschen Mannschaft war unglaublich gut: Am Ende konnten unsere Athleten 2 goldene und je eine silberne und eine bronzene Medaille ihr Eigen nennen. Der Weg zu dieser Meisterschaft war lang und sehr anstrengend. Marvin Nöltge startete in der Klasse „Menschen mit Lernbehinderung“, er hat Trisomie 21. Vor 10 Jahren hat Marvin Ka- 62 BARRIEREFREI - das Magazin rate für sich entdeckt, seine Mutter unterstützte dieses Vorhaben und machte sich kundig, wo es einen geeigneten Verein für ihren Sohn gab. Die Suche war zunächst sehr schwierig, denn es gibt keine besonderen Vereine für Menschen mit Handicap. Menschen mit und ohne Behinderung trainieren zusammen in integrativ arbeitenden Gruppen. Der Anspruch an den Trainer ist natürlich hoch, doch dafür setzt der DKV (Deutscher Karate Verband) viel Zeit in die Ausbildung seiner Trainer. Marvin machte einen riesigen Schritt in seiner Entwicklung nach vorne. In der ersten Tr ainingseinheit saß er noch alleine auf der Bank, nun war er der gefeierte Held in der Gruppe. Seine ersten Erfolge schaffte er bei der Bavarian Open und den Deutschen Meisterschaften. Beide Wettbewerbe gewann er in Serie. Ein steiniger Weg war es, bis im Weltverband (WKF) Wettbewerbe für Menschen mit Behinderung Berücksichtigung fanden. Wolfgang Weigert als treibende Kraft, unterstützt von Stefanie Nagl, ebnete den Weg für den ersten Demonstrationswettbewerb bei der 21. Senioren-WM 2012 in Paris. Hier hatte Marvin zusammen mit seinem Teamkollegen und 27 weiteren Athleten die Möglichkeit, sein K arate noch die große Eröffnungsfeier an. Gemeinsam marschierten die Athleten mit und ohne Behinderung in die Halle ein. Dieses Gefühl, Teil der Nationalmannschaft zu sein, beflügelte die Athleten für Samstag um ein Vielfaches. Ein Beitrag von Stefanie Nagl, Beauftragte für Menschen mit Behinderung (BKB, DKV, WKF) Quelle Fotos: Christian Grüner/Presse und Medien DKV Können vor 18.000 Zuschauer zu präsentieren. Ein voller Erfolg. Damit war der Startschuss gegeben für die ERSTE Weltmeisterschaft für Menschen mit Behinderung 2014 in Bremen. Nun lagen zwei Jahre Vorbereitungsarbeit vor Marvin. Anfang November 2014 war es dann so weit. Mit dem klaren Ziel, dem „Titel“ vor Augen, machte sich Marvin auf dem Weg. Die Vorkämpfe am Mittwoch Abend erarbeitete er sich trotz heftiger Nervosität. So konnte Marvin sich am Ende in seinem Pol durchsetzen. FINALE. Sein Kontrahent und deutscher Mannschaftskollege Michael Lesic war ihm gut bekannt. Nun hieß es bis Samstag konzentriert zu bleiben. Allerdings stand am Freitag Unter den Augen von 10.000 Zuschauern lief am Mittwoch, dem 5. November 2014 das Deutsch-Deutsche Finale ab. Die Halle bebte, niemand saß mehr auf seinem Stuhl. Mit Standing Ovations feierten Fans und Sportler „ihren“ Marvin Nöltge, den ersten Weltmeister in der Klasse „Menschen mit Lernbehinderung“. Überglücklich konnte er wenige Minuten später die Goldmedaille von Friedhelm Julius Beucher (Präsident DBS) entgegennehmen. Die „Mission Gold“ war Marvin gelungen. Nun heißt es Titelverteidigung 2016 in Linz. Der Wettkampf in Bremen wurde für das ganze Team zu einer unvergesslichen Zeitspanne, die sicherlich ihr Leben nachhaltig verändert hat: Ein Teil der Gesellschaft und des Sports zu sein. BARRIEREFREI - das Magazin 63 Assistenzroboter Ein Roboter als Freund und Helfer Der am Fraunhofer IPA in Stuttgart entwickelte mobile Assistenzroboter »Care-O-bot®3« stand im Zentrum des gerade abgeschlossenen EU-Verbundprojekts »ACCOMPANY« (»Acceptable robotiCs COMPanions for AgeiNg Year«). Gemeinsam mit Partnern aus England, Frankreich, den Niederlanden und Italien haben die Stuttgarter Forscher ein System entwickelt, das älteren Menschen erlauben soll, mit Hilfe eines interagierenden und als Assistent akzeptierten Serviceroboters in einer intelligenten Umgebung länger selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben zu können. Care-O-bot®3 konnte im Zuge des dreijährigen Projekts signifikant weiterentwickelt und mit grundlegenden neuen Fähigkeiten verbessert werden. Der Serviceroboter soll nicht nur Assistent für einzelne Verrichtungen oder bei der Kommunikation mit externen Bezugspersonen und Pflegepersonal sein, sondern abhängig von erkannten Lagen und Verhaltensweisen die ältere Person motivieren und ermuntern, bestimmte Dinge selbst oder gemeinsam mit dem Roboter zu tun, um körperlich und geistig aktiv zu bleiben. Großer Wert wurde darauf gelegt, dass die Verhaltensweisen des Roboters 64 BARRIEREFREI - das Magazin Quelle Text & Fotos: Fraunhofer IPA Mrs. Taylor lebt allein und hat doch einen Gefährten: Ihr Assistenzroboter animiert die ältere Dame zu geistiger und körperlicher Aktivität, unterstützt sie bei Verrichtungen im Haushalt und nimmt ihr beschwerliche Tätigkeiten ab. Assistenzroboter für den Benutzer sozial und ethisch akzeptabel sind, zum Beispiel durch Unaufdringlichkeit und Einhaltung diskreter Abstände. Ein aktuelles Projektvideo demonstriert, wie die Testperson „Mrs. Taylor“ mit ihrem Serviceroboter Karaoke-Lieder singt, sie beim Empfang von Besuchern unterstützt, Handlungsvorschläge macht oder sie an bestimmte Tätigkeiten erinnert. Die Testperson kann den Roboter intuitiv mit einem Bediengerät auf Basis eines Tablet-PCs mit druckempfindlicher Hülle dirigieren. Auf dessen Display sieht sie bei Bedarf auch das Bild seiner Wahrnehmungskamera und kann ihm ihrerseits beibringen, wie er sich in verschiedenen Situationen verhalten soll. Das gemeinsame und gegenseitige Lernen unterstützt Mrs. Taylor dabei, aktiv eigenständig und selbstbestimmt zu leben. Damit der mobile Roboter Verhaltensweisen und Aktivitäten von Mrs. Taylor und ihre Position im Raum erkennen, Abweichungen von normalen Verhaltensmustern registrieren und darauf reagieren kann, ist er mit verschiedenen Sensoren und stationären Deckenkameras vernetzt. Für dieses erweiterte Aufgabenspektrum wur- de der Serviceroboter am Fraunhofer IPA mit einer Reihe neuer und verbesserter Fähigkeiten ausgestattet. Zum Beispiel ein Roboterarm zur Handhabung von Gegenständen, der bei Nichtgebrauch optisch unauffällig an der Rückseite des Roboters in Ruhestellung geht. Oder ein Transporttablett, dessen Rückseite zugleich als Display dient. Sie erlauben es, schwere und schlecht erreichbare Gegenstände zu holen und zu bringen. Dieses Projekt lässt die Vision vom selbstbestimmten Leben im Alter in einer intelligenten Umgebung ein Stück weit näher an die Realität rücken. Ein Serviceroboter, der entsprechend der Tageszeit, erkannter Gegenstände, Personen und Ereignisse den Benutzer selbsttätig unterstützt, mit ihm sozial interagieren und ihn an bestimmte Tätigkeiten wie essen, trinken, Einnahme von Medikamenten und tägliche Routineaufgaben erinnern kann, wäre ein Lösung. Die im Rahmen des Projekts entwickelten Technologien sind auch auf andere Konzepte übertragbar und bergen vielversprechendes Potenzial zur Weiterentwicklung und praxisnahen Erprobung. BARRIEREFREI - das Magazin 65 Autismus Kein Anschluss unter diesem Kollegen Ein Beitrag von Dr. Peter Schmidt Kann man als Autist einen regulären Job haben oder gar eine Karriere machen? Ja, man kann. Aber nur dann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Bei meinem allerersten Job musste ich Geophone im Gelände auslegen, da war ich aus motorischen Gründen langsam. Erst als ich zu den Vermessern und Kontrolleuren kam, blühte ich mit meinem Können auf. Als ich mir als Student etwas dazuverdienen wollte und mich nach einem wissenschaftlichen Job an der Uni erkundigte, erhielt ich eine seltsame Antwort: 66 BARRIEREFREI - das Magazin „Herr Schmidt, wir wissen nicht so genau, ob Sie nun die K apa zität oder der Widerstand im System sind!“ „Das hängt von der Frequenz ab!“, antwortete ich. Damit drückte ich aus, dass die Rahmenbedingungen darüber entscheiden, ob ich als Problem oder Lösung im Team gesehen werde. Wie kann ein Autist in der modernen Arbeitswelt überleben? Zum einen muss der Arbeitsplatz autistenfreundlich gestaltet sein. Für einen kreativen Denker wie mich bedeutet das, in einem Einzelbüro arbeiten zu können, das als kreativer Rückzugsraum dient, in dem ich selber die Ordnung auf dem Schreibtisch festlegen kann. Wie die Textmarker liegen. Wie ich mein Obst für zwischendurch ablege. Zum anderen müssen die Menschen mit mei- Autismus nen Eigenarten und besonderen Bedürfnissen klar kommen, besonders der Chef und diejenigen, die mit mir zusammen arbeiten. So brauche ich einerseits eindeutige Anweisungen, klare Strukturen und Zuständigkeiten und andererseits stets Freiheiten in der Umsetzung. Unter diesen Voraussetzungen können Autisten ganz allgemein sehr zuverlässige Arbeitnehmer sein. Am besten funktioniert es, wenn die übertragenen Aufgaben weitestgehend alleine bearbeitet werden können. Denn besonders die ständige Kontaktpflege ist eine große, Energie zehrende Hürde für einen autistischen Menschen. Ich war und bin als Experte für SAP Software in verschiedensten Funktionen bei meinem heutigen Arbeitgeber tätig. Bunte Stellenbezeichnungen wie Consultant, Projektleiter, Key Account Manager und Senior Enterprise Architect zierten meine Visitenkarten. Doch fachliche Leistungen sind leider keine hinreichende Bedingung für beruflichen Erfolg. Denn das, was fachlich zu mir am besten passte, mit der Aussicht, ein weltweit wichtiger Geophysik-Professor zu werden, das klappte nicht. Weil ich die Beziehungsebene in der Kommunikation nicht erkennen kann. Ein krasses Beispiel: „Mit dieser Aktion haben Sie uns einen Bärendienst erwiesen!“ Eine solche Aussage meines Chefs wertete ich jahrelang als großes Lob, als Aufforderung zum Weiter-So! Bis mir bei einem Mitarbeitergespräch die wahre Bedeutung dieser Satzvokabel klar wurde. Auch wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, jetzt sagen sollten, diese Redewendung hätte ich auch nicht gekannt, dann hätten Sie, sofern Sie kein Autist sind, dennoch die Bedeutung insofern richtig erkannt, dass Sie anhand der Körpersprache, der Mimik des Chefs gesehen hätten, ob er Sie gerade freudestrahlend lobt oder wütend tadelt. Damit haben Autisten grundsätzlich Schwierigkeiten. Ein anderes Beispiel, in dem soziale Erwartungshaltungen unerfüllt blieben: Natürlich wollte ich weiterkommen, bewarb mich auf eine Position mit Personalverantwortung. Doch weil ich die Kollegen, mit denen ich im Vorstellungsgespräch saß, später nicht wiedererkannt habe, erhielt ich die Stelle nicht: „Wenn Sie die Leute, mit denen Sie gesprochen haben, nicht grüßen, können wir nicht von einem großen Interesse an der Position ausgehen!“ Am Ende eines Seminars sollen die Teilnehmer mit einem knackigen Slogan das teamorientierte Verhalten jedes Teilnehmers charakterisieren. Ich werde von den anderen so beschrieben: „Er findet oft ungewöhnliche BARRIEREFREI - das Magazin 67 Autismus und ist meist aus, nur auf Ankündigung oder Anforderung wird es eingeschaltet. Das rettete mir das Leben in der Arbeitswelt. Bis heute. Wichtig ist, dass man aus einem Autisten nicht versucht, einen Menschen zu formen, der er niemals sein können wird, sondern ihn mit dem aufblühen lässt, was er aus seinem Innern her aus anbieten k ann, denn das ist das einzige, was gegenseitigen Nutzen verspricht. Lösungen, die beeindrucken und Angst machen zugleich. Aber irgendwie besteht kein Anschluss unter diesem Kollegen“. Es besteht keine wechselseitige Empathie. Kollegen und der Chef haben keine Ahnung, was in mir vorgeht und umgekehrt. Erschwerend kommt hinzu, dass es in der modernen Arbeitswelt viele Dinge gibt, die für alle Menschen mehr oder weniger unangenehm sind. Aber sie werden hingenommen. Für Autisten sind viele dieser Dinge so schmerzvoll, dass sie es nicht auf Dauer aushalten können. Die Folge ist, dass sie sich entweder ganz in sich zurückziehen oder sich auf ihre Weise dagegen wehren. Dazu gehört vor allem die immer weiter um sich greifende Arbeitsverdichtung, sowohl von den Aufgaben her als auch von der Raumgröße. Großraumbüros findet jeder mehr oder weniger unangenehm, für Autisten sind sie mitunter so schlimm, dass sie arbeitsunfähig werden. Ein weiteres Beispiel: das Handy. Eine wundervolle Erfindung, um von überall zu jeder Zeit jemanden zu erreichen. Zum Beispiel, um Projekte von Ferne zu managen. Ein katastrophales Ding, wenn im Gegenzug erwartet wird, dass man überall und jederzeit erreichbar sein soll. Denn jedes Klingeln eines Telefons ist für mich ein schriller, den aktuellen Arbeitsprozess zerstörender Kontaktalarm. Schon bald hieß es auch hier: „Kein Anschluss unter diesem Kollegen“, denn mein Handy war 68 BARRIEREFREI - das Magazin Inklusion bedeutet, vorhandene Werte und Normen so zu erweitern, dass darin die Vielfalt Platz findet. In dem Buch „Kein Anschluss unter diesem Kollegen. Ein Autist im Job“, das am 26. August 2014 im Patmos-Verlag erschien, erzählt Dr. Peter Schmidt von seinen Wahrnehmungen der modernen Arbeitswelt, von seinen Höhen und Tiefen im Berufsleben. BARRIEREFREIER TOURISMUS Gehörlos den Ostzingst erleben Naturbeobachtung für alle Quelle Text & Fotos: J. Gehrt/ Nationalparkamt Vorpommern Wie lässt sich die Vorpommersche Boddenlandschaft besser entdecken, als mit dem Rad und in fachkundiger Begleitung? Das dachten sich auch die Teilnehmer der zweiten Führung mit Gebärdensprachdolmetscher, als Sie sich zur Radwanderung in die "Sundische Wiese" trafen. Mit vielen interessanten Fakten stimmte Ranger Carsten Wagner die Radler auf die Tour ein. So erfuhr die Gruppe beispielsweise, dass die flachen Bodden ihren Namen dem niederdeutschen Wort für „Grund“ und „Boden“ verdanken. Aber auch die bewegte militärische Vergangenheit des Ostzingst, deren Spuren noch immer vom neuen Seedeich aus zu erkennen sind, kam nicht zu kurz. An der Seite des Rangers übersetzte die staatlich geprüfte Gebärdensprachdolmetscherin Daniela Szczuka das Gesagte für die gehörlosen Teilnehmer der Führung in deutsche Gebärdensprache. „Naturbeobachtung für alle“ lautet das diesjährige Motto des Nationalparks. Auch Menschen, denen vielfältigste Barrieren den Weg in die Natur des Nationalparks und zu Informationen darüber versperren, soll ein grenzenloses Naturerlebnis ermöglicht werden. Stück für Stück arbeitet der Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft daran, möglichst viele Hindernisse abzubauen. Ein Schritt in diese Richtung war nun die Führung für gehörlose Gäste. Die zeigten sich sichtlich beeindruckt vom Küstenschutz- und Renaturierungsvorhaben auf dem Ostzingst, das Carsten Wagner anschaulich erklärte. Für Verzücken sorgten Frischlinge am Deichfuß, die unbeeindruckt des regen Radverkehrs ihren Rüssel, nach Schmackhaftem suchend, in den Morast versenkten. Begeistern konnte aber auch die imposante Erscheinung eines Seeadlers. Mit zunehmender Wegstrecke machte sich dichter Seenebel breit. Der sonst sehr weitreichende Blick am Pramort und von der hohen Düne verlor sich diesmal in einer weißen Wand. Und während die vorbeitreibenden Nebelschwaden der Boddenlandschaft eine geheimnisvolle Stimmung verliehen, gab Carsten Wagner der Gruppe Aussichtstipps für ihren nächsten Besuch am Pramort mit auf den Weg. Weitere Infos und Anmeldung Nationalparkamt Vorpommern www.nationalpark-vorpommersche-boddenlandschaft.de E-Mail: [email protected] Tel.: 038234 5020 BARRIEREFREI - das Magazin 69 Weihnachten Weihnachtsstress mit der Familie oder Weihnachten im Zeichen der Liebe Zu Weihnachten braucht man unbedingt das richtige Geschenk und eigentlich auch die legendäre fette Weihnachtsgans im Kreise der Familie. Oder etwa nicht? So oder so ähnlich haben es jedenfalls viele von uns gelernt. Was, die neue Freundin Ihres Sohnes ist Vegetarierin? Tja, was nun? Doppelt kochen oder essen gehen? Weihnachten ist das Fest zu Ehren der Geburt Christi, ein Fest der Liebe und der Besinnung. Tee, Zimtgebäck und Lichterglanz verzaubern das Gemüt. Und doch schauen viele mit gemischten Gefühlen auf das, „was da ankommt“ (aus dem Lateinischen: Ad-vent-us) Wer kommt zum Feste? Die Kinder, die Eltern, alle Verwandten ersten und zweiten oder wievielten Grades? Wie wäre es, selbst den einen oder anderen zu besuchen? Oder einfach wegfahren und dem ganzen Trubel entrinnen, Weihnachten unter Palmen ganz untypisch 70 BARRIEREFREI - das Magazin verbringen? Diese Fragen stellen sich besonders dann, wenn die schöne Harmonie schon öfters hinüber war. Die Vorfreude war wie immer groß, endlich würden alle zusammenkommen und mal wieder Zeit miteinander verbringen. Und was passierte? Die Hälfte der Bande sagte kurzfristig ab und mit Tante Erna gab es den üblichen Streit. Die Geschenke sind im Keller gelandet, nachdem noch beteuert wurde, wie schön sie seien. Die Tochter fand das teure Smartphone „uncool“ und hat es auf Ebay verhökert. Naja, und die Stimmung war von Anfang an entzwei. Woran liegt das? Oft sieht man die Familie das ganze Jahr über nicht. Man wohnt einfach weit entfernt und – man lebt völlig verschiedene Leben! Einmal im Jahr, eben zu Weihnachten, werden dann alle zusammengetrommelt und es soll richtig schön werden. Der Stress der Adventstage, die man in überfüllten Geschäften auf der Suche Weihnachten nach dem passenden Geschenk zubrachte, wirkt noch nach. Ebenso übervoll sind dann die Erwartungen an das Fest, wodurch es wahrscheinlicher wird, dass man in die eine oder andere Beziehungsfalle tappt: Man bemüht sich, besonders liebenswürdig zu sein, alles richtig zu machen und niemanden zu konfrontieren. Streit oder Lautwerden des cholerischen Bruders muss um jeden Preis vermieden werden. Das führt dann zu dieser „Tote-Hose-Stimmung“, in der man sich nur wünscht, dass alles möglichst bald vorbei sei. Oder man fühlt sich bereits im Voraus schuldig, befürchtet, wieder einmal zu entgleisen und dabei ungerecht zu werden, etwas zu sagen, das wehtun könnte. Was dann übrig bleibt, ist dieses: „Warum verstehen sie mich nicht?“ Wie wir bekommen, was wir wirklich wollen? Im Zusammentreffen mit der Familie taucht nicht selten eine frühere Version des eigenen Ich auf, bei Ihnen natürlich nicht, aber vielleicht bei Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn. Dieses Ich hält sich entweder zurück und beschwichtigt oder klagt an und beschwert sich. Es kann eine harmlose Bemerkung sein, die jemanden auf 180 bringt. Diese Ich-Version gehört einer Dynamik an, der auch wir angehörten, bevor sich unsere Wege trennten. Wie kommt man da raus? Selbstbeobachtung ist der erste Schrit t. Indem wir anfangen, unsere Gedanken und Gefühle bewusst wahrzunehmen, können wir eine neue Wahl treffen. Entweder der gewohnten alten Ackerfurche folgen, mich wie immer aufregen und dann mit denselben Gefühlen dasitzen, nämlich fehlender Nähe und Verbundenheit, oder eine neue Reaktion ausprobieren. Der- oder diejenige, denen eine gute Beziehung zu Familienangehörigen wirklich wichtig ist, sollte es unbedingt einmal ausprobieren. Nicht dichtmachen, auch nicht verbal zurückschlagen, sondern erst einmal die eigenen Emotionen bewusst fühlen, sie benennen und der Tochter, der Schwester oder wem auch immer mitteilen. Möglichst ruhig und nicht anklagend, sondern beschreibend, was diese Gefühle in einem selbst auslösen und wie sie zwischen uns stehen. An dieser Stelle ist der faule Zauber durchbrochen. Dieser Moment einer bewussten Wahl führt zu einer anderen Unterhaltung, in der mein Gegenüber hört, was ich sage und selbst mit dem Schmerz dieser Entfremdung in Kontakt kommt. Es ist einfach fabelhaft, zu bemerken, wie sich das Gegenüber dann auch öffnet und erzählt, was er oder sie eigentlich mit dieser Bemerkung sagen wollte. Auf einmal ist die Brücke geschlagen und spürbar Liebe da. Machen Sie sich am besten schon vor dem Fest ein paar essenzielle Gedanken, um sich auf die gewünschte Verbindung einzustimmen: - Welche Erfahrungen möchte ich mit meiner Familie machen? - Was ist es, das mich davon abhält, mich auszudrücken? - Welche Möglichkeiten möchte ich ausprobieren, um diese Erfahrungen zu schaffen? Ich wünsche Ihnen ein lichtvolles Fest! Ein Beitrag von Livia Koll www.soulcreatives.de BARRIEREFREI - das Magazin 71 VERANSTALTUNGEN BIS April VERANSTALTUNGEN 72 Januar 31.01- 01.02.2015 Wilhelmshaven „mobil & fit“ Wilhelmshavener Gesundheitsmesse Gesund bleiben und das Leben genießen ist das Ziel aller Menschen. Einen umfassenden Überblick, was die Gesundheitsszene bereithält, bietet diese Messe. www.mobil-und-fit.de 08.-10.01.2015 Marburg a. d. Lahn Informationen und Austausch für Eltern von Kindern mit Down-Syndrom, die die Grundschule abschlieSSen Dieses Familienseminar bietet Grundinformationen über Kinder und Heranwachsende mit Down-Syndrom auf dem neuesten Stand von Wissenschaft und Praxis. Im Mittelpunkt stehen Themen, die für Kinder im Alter ab etwa zehn Jahren wichtig sind, wenn nach Abschluss der Grundschulzeit eine neue Lebensphase beginnt. Kostenpflichtig, Anmeldung erforderlich www.lebenshilfe.de/de/fortbildung/veranstaltungen FEBRUAR 07.02.2015 Bundeskunsthalle Bonn Outer Space, Faszination Weltall Die Bundeskunsthalle hat gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt mit der Ausstellung eine fulminante Reise ins All kreiert, bei der alle neugierigen Zeitgenossen willkommen sind. Ausführlich beschreibende Tastführung für blinde und sehbehinderte Menschen www.bundeskunsthalle.de BARRIEREFREI - das Magazin VERANSTALTUNGEN 07.-08.02.2015 Saarbrücken Deutsche Hallenmeisterschaften in Leichtathletik Behindertensport des TSV Bayer 04 Leverkusen www.tsvbayer04.de MÄRZ 06.-08.03.2015 Münster Diabetes Diabetiker-Messe in Münster Quelle Fotos: rehab.de, Gehardt Hierl / Welt-Downsyndrom-Tag, pixabay.com Die optimale Kombination aus Fachkongress und Patiententag. Eine große Industrieausstellung bietet reichlich Gelegenheiten zu Information und Erfahrungsaustausch Medizinund, für Laien und Fachleute gleichermaßen. www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de 15.03.2015 Fürth Welt-Down-Syndrom-Tag – Marathon Der Laufclub 21 feiert den Welt-Down-Syndrom-Tag, den 21.03. eines jeden Jahres, der seit 2006 ein weltweiter Thementag ist. Rund 1.000 Sportlerinnen und Sportler nehmen seit 2011 an diesem Marathon teil. Durch den gemeinsamen Sport von Menschen mit und ohne Behinderung sollen Berührungsängste abgebaut werden. www.welt-down-syndrom-tag-lauf.de/ APRIL 23.-25.04.2015 Karlsruhe 24.-25.04.2015 Hamburg REHAB Interdisziplinäre Tagung Leben pur 2015 Internationale Fachmesse für Rehabilitation, Therapie und Prävention www.rehab-karlsruhe.com Aktiv und kreativ im Leben – Chancen und Möglichkeiten für Menschen mit komplexer Behinderung und ihre Begleiter www.stiftung-leben-pur.de BARRIEREFREI - das Magazin 73 MEDIATIPPS BUCH- UND FILMTIPP »Einfach unvergesslich« Neuerdings weiß Claire nicht mehr, welcher Schuh zu welchem Fuß gehört. Oder wie das orangefarbene Gemüse heißt, das auf dem Herd köchelt. Und manchmal geht sie im Pyjama spazieren. Sie weiß, dass das nicht normal ist. Und so schreibt sie, noch bevor die letzte Erinnerung verblasst, all die großen und kleinen Momente der vergangenen Jahre nieder. Wohl wissend, dass diese Gedankenschnipsel schon bald das Einzige sein werden, was ihrer Familie von ihr bleibt. Dabei gibt es noch so viel zu erledigen: Sie muss sich mit ihrer Tochter versöhnen und ihrem Mann zeigen, wie sie die Lieblingslasagne ihrer Kinder zubereitet. Sie muss ein letztes Mal leben, frei sein, sich vielleicht auch neu verlieben. Denn wenn die Zeit davonrennt, ist jede Minute kostbar. Rowan Coleman Roman|416 Seiten|Klappenbroschur ISBN: 978-3-492-06001-1|€ 14,99 Man hat als Leser keine Chance, sich Claire und ihrer Familie zu entziehen. Ein Buch, das tief berührt, Lachen und Weinen sind nah beieinander. Ein sensibles Thema, mit der Erinnerung an eine selbstbewusste Frau. »Kein Anschluss unter diesem Kollegen« Dr. Peter Schmidt, ein technisches Genie, sucht genau den Job, der auf sein Können und seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. Das ist aber nicht so leicht, denn was ihm fehlt, sind Emotions- und Empathievermögen. Schon früh spielen Zahlen, die türkische Sprache, Computertechnik und Geophysik eine überragende Rolle in seinem Leben. Seine Eltern, starre Schemen und Rituale geben ihm Halt und Sicherheit. Bei Lärm und Unruhe gerät er schnell in Panik. Außerdem fällt er durch eine ihm ganz eigene Ausdrucksweise auf. Auch bei der Arbeit hält er an festen Ritualen und Regeln fest. Seine Kollegen kommen nicht mit ihm zurecht, weil er mit der nonverba- 74 BARRIEREFREI - das Magazin len Kommunikation und den Gefühlen anderer nichts anfangen und nicht adäquat darauf reagieren kann. Trotzdem schafft er es zum IT-Experten und zur Gründung einer Familie. Erst im Alter von 41 Jahren erfährt er wirklich, warum er in kein Schema passt: Er ist Autist mit dem Asperger-Syndrom. Und mit dieser befreienden Diagnose geht es ihm endlich selbst besser. Er stellt für seine Kollegen Regeln auf, damit sie mit ihm klarkommen und erklärt in seinem Buch die Schwierigkeiten, die Autisten und ihre ganze Umgebung miteinander haben (können). Peter Schmidt|„Kein Anschluss unter diesem Kollegen“. Ein Autist im Job.|Patmos Verlag 246 Seiten|ISBN 978-3-8436-0527-5 Gebunden, auch als E-Book erhältlich Ein keinesfalls „wüstenhaft trockenes“ Buch, sondern eine berührende Performance. So, wie sich Herr Dr. Schmidt gute Vorträge vorstellt. MEDIATIPPS »(K)ein besonderes Bedürfnis« Enea ist 29 Jahre alt. Er hat blaue Augen und liebt LKW. Es gibt nur eine Sache, die Enea noch mehr liebt, und das sind Mädchen. Er selbst bezeichnet sich als „Super Duper Sexy Boy“, doch bisher hat er die Richtige nicht gefunden. Unermüdlich sucht er nach ihr. Eins sollte man über Enea noch wissen: er ist Autist. Auf der Suche nach der großen Liebe machen er und seine zwei besten Freunde Carlo und Alex sich auf den Weg quer durch Europa und finden letztlich mehr als sie sich erhofft hatten … Der Film überrascht als erstes durch seinen Doku-Stil. Wirklich gelungen zieht er den Zuschauer in den Bann und gibt viel Preis über ein Tabu-Thema in unserer Gesellschaft: Die Sehnsucht nach Liebe von Menschen mit Behinderung. Regie: Carlo Zoratti|Farbfilmverleih Ab dem 11.12. 2014 im Kino ONLINE TIPPS www.handicap-bazar.de zeit, Technik, Medien, Gesundheit und Soziales, Sie möchten gern gebrauchte Artikel für Men- Jugend, Sozialrecht, Veranstaltungen und vieles schen mit Behinderung kaufen oder verkaufen? mehr. Dann schauen Sie sich mal um auf dem Handicap-Bazar um. Dort können Sie kostenlos inse- www.behinderte-kinder.de rieren und ggf. ein Foto mit hochladen. In einem Die Rechte von Kindern mit Behinderung haben speziellen Blog geht es zudem um barrierefreies sich Ingo und Yvonne Janssen auf Ihre Fahnen Bauen und behindertengerechten Autoumbau. geschrieben. Sie stellen auf ihrer privaten Homepage verschiedene Therapien und selbstgemach- www.km-bw.de/KULTUSPORTAL-BWL.de te Spiel- und Hilfsmittel vor, bringen Reportagen Das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport betroffener Eltern und Kinder und benennen Baden-Württemberg informiert auf seiner Home- Fachbücher zu Rechtsfragen, unterstützter Kom- page u. a. mit einer umfangreichen Linkliste zur munikation, Therapien und Hilfsmitteln, aber Bildung und Schulen für Kinder und Jugendliche auch Vorlesebücher und Erfahrungsberichte. mit Behinderungen und/oder sozialpädagogischem Förderbedarf. Auch frühkindliche Förder- www.mis-ch.ch möglichkeiten und neue Technologien, z. B. in Die „Mobility International Schweiz“ stellt ihren der Kommunikation behinderter Kinder werden Nutzern weitreichende Datenbanken für ein vorgestellt. möglichst barrierefreies Leben mit Behinderung vor. Es geht vor allem um rollstuhlgerechte Wege www.schnecke-online.de und barrierefreie Urlaube. Ob Sie ein Reiseportal Das Online-Magazin „Schnecke-Online“ infor- oder Erfahrungsberichte in verschiedenen Län- miert Menschen mit Hörschädigungen und ihre dern suchen, ob Sie sich für Tagesausflugsziele Angehörigen sowie Interessierte zu gut struk- oder eher für Ferienquartiere interessieren, die turierten Themen wie Wissenschaft, Beruf, Frei- Seite bietet Ihnen vielseitige Informationen. BARRIEREFREI - das Magazin 75 VORSCHAU Vorschau Ausgabe März 2015 Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer und die Inklusion Generation Plus eine neue Mobilität Partnerschaft oder das Glück zu zweit 76 BARRIEREFREI - das Magazin Quelle Fotos: Axa, pixabay.com Fit trotz Handic ap Sport für Rücken & Co Impressum ABONNEMENT BARRIEREFREI – DAS MAGAZIN Ja, ich möchte Barrierefrei – das Magazin regelmäßig lesen. Senden Sie mir Barrierefrei – das Magazin zum Preis Name von zzt. nur 4,50 €, Jahrespreis 18,00 € (inkl. MwSt. und Versand). Barrierefrei – das Magazin erscheint zzt. 4 x im Jahr. Das Abonnement gilt zunächst für 1 Jahr und verlängert Straße und Hausnummer sich automatisch um 1 weiteres Jahr, wenn ich nicht 6 Wochen vor Bezugsende beim Barrierefrei – das Magazin Abo-Service, Postfach 1109, 24331 Eckernförde, PLZ/Ort kündige. Dieses Angebot gilt nur in Deutschland und nur, solange der Vorrat reicht. Auslandsangebote auf Anfrage. 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BARRIEREFREI - das Magazin 77 Memo Memo des Her ausgebers ES WEIHNACHTET SEHR die Frau kümmert sich um Backofen und Herd, der Mann besorgt wie jedes Jahr den Tannenbaum -wie jedes Jahrder Baum soll von schönem Bewuchs sein und nicht schief seine Zweige müssen gleichmäßig gewachsen sein der Stamm gerade und nicht krumm so wie die Bäume auszusehen haben niemand mag einen Baum der nicht der Norm entspricht aber vielleicht ist es das was einen Baum ausmacht Zweige die nicht gerade wachsen, vielleicht möchten sie mal den Boden berühren, oder das saftige Gras unter seinen Nadeln spüren Äste die mal länger sind, weil sie vielleicht den Nachbarn streicheln wollen sein Stamm kann nicht gerade wachsen weil es ihm wichtig ist sich zu bücken, wenn er mit den Blumen und kleineren Bäumen spricht man hat sich ja so viel zu erzählen ich denke, wir Menschen sind auch nicht alle gleich und mir sind die am liebsten die nicht der Norm entsprechen sondern sich so entwickeln wie sie wollen – wie mein BaumGott liebt bestimmt die schiefen Bäume mehr, weil man sie nicht so beachtet ich liebe jeden Baum ohne Unterschied und Menschen, die nicht der Norm entsprechen FRÖHLICHE WEIHNACHTEN Herzlichst, Ihr 78 BARRIEREFREI - das Magazin germany.indego.com Powering People Forward Indego ermöglicht gehbehinderten Personen eine intensive Gangtherapie und eine neue Dimension von Unabhängigkeit • • • • • • Schnelles An- und Ablegen Intelligente Signalverarbeitung Leicht, schmal, modulares Design Lange Betriebsdauer Natürliche Gangbewegung Dokumentation der Verlaufskontrolle ACHTUNG: Das Gerät besitzt noch nicht die für Europa erforderliche Zulassung. Daher darf es bis dahin ausschließlich zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden. Indego® ist ein eingetragenes Markenzeichen von Parker Hannifin Corporation 79 BARRIEREFREI - das Magazin in Barrierefrei das das Magazin Es gibt nur zwei Tage in deinem Leben, an denen du nichts ändern kannst. Der eine ist gestern und der andere ist morgen. Dalai Lama 80 BARRIEREFREI - das Magazin