Barrierefrei das Magazin

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Barrierefrei das Magazin
in
Barrierefrei
das Magazin
12/2014
Schutzgebühr: 4,50 Euro
das Magazin
Rollschuh
oder Rollstuhl
Kinder mit
Behinderung
Abenteuer Schnee
Wenn Huskys die
Seele berühren
Alessandro Z anardi
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BARRIEREFREI - das Magazin
„Die erste Voraussetzung für Erfolg:
dabei sein und das Beste geben.“
Unabhängig bleiben – mit individuellen Fahrhilfen von Mercedes-Benz.
Eine Marke der Daimler AG
Grenzen hat Ronny Ziesmer noch nie akzeptiert. Der Rennrollstuhlfahrer hat sein Ziel fest im Visier: die Paralympics 2016.
Damit auch andere Ziele für jeden erreichbar bleiben, gibt es individuelle Fahrhilfen bei Mercedes-Benz bereits ab Werk.
Zeitintensive Umrüstungen sind nicht nötig. Mehr Infos unter www.mercedes-benz.de/fahrhilfen
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BARRIEREFREI - das Magazin
Anbieter: Daimler AG, Mercedesstraße 137, 70327 Stuttgart
Editorial
EDITORIAL
Liebe Leser,
das war es schon fast, das Jahr 2014. Es war spannend, aufregend und ich freue mich, dass es einige Konflikte auf dieser Welt gab, die nicht eskalierten. Vielleicht ging es Ihnen
auch so. Aber auch die Sportwelt bewegte reichlich: Michael
Schumachers Kampf ums Leben oder das allgemeine Aufbegehren, als Markus Rehm nach seinem Weltrekord nicht an
der EM der „normalen Sportler“ teilnehmen durfte. Es war
eine Menge los.
Beruhigt hat mich das Interview mit Alessandro Zanardi.
Hier spiegelt sich das wider, was unser Magazin ausmacht:
Mut machen. Sie erinnern sich vielleicht, er hatte in 2001
einen Unfall während eines Formel-1-Rennens, durch den
er beide Beine verlor. Unser Interview mit ihm und einen
umfangreichen Beitrag über den Mann mit dem ewigen Lächeln lesen Sie wenige Seiten weiter. Auf die Frage, wie er die
Folgen seines Unfalls bewältigt hätte, erklärte er, dass nichts,
was etwas bedeutet, einfach wäre. Denn wenn es so einfach
wäre wie eine Flasche Wasser anzuheben, dann hätte es ja auch keinen Reiz mehr, es zu schaffen.
Es gibt immer einen Weg, auch wenn dieser vielleicht ein wenig anders verläuft als normal. Es
lohnt sich zu kämpfen, sagt er.
Großes Thema in dieser Ausgabe sind auch die Jüngsten mit Handicap in unserer Gesellschaft.
Lesen Sie, wo man sich Rat oder Hilfe holen kann und dass es interessante Austauschmöglichkeiten für Eltern behinderter Kinder gibt. Ebenfalls berichten wir mehr über universelles Design in
Puncto Wohnen und Bauen, ein weitaus gewichtigeres Thema, als Sie vielleicht vermuten.
In unserem Beitrag ‚Winter mal (wo)anders‘ nehmen wir Sie mit auf die Reise nach Kroatien, eine
Perle des Balkans. Fantastische Natur, ein Postkarten-Meer und mediterrane Köstlichkeiten. Erfahren Sie, welche Städte man mit dem Rolli gut besuchen kann, wie das Lebensgefühl dort ist und
was die blaue Flagge an den Stränden zu sagen hat.
Liebe Leser, ich hoffe, dass Sie dieses Magazin wieder bereichert, es ist wie immer sehr facettenreich.
Ich möchte mich bei meinem Team und unseren Geschäftskunden für die erfolgreiche Zusammenarbeit in diesem Jahr bedanken und wünsche allen ein entspanntes Weihnachtsfest sowie einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Herzlichst & bis bald, Ihre
Chefredakteurin
BARRIEREFREI - das Magazin
3
INHALT
62
10
18
Editorial
03
Rollschuh oder Rollstuhl
22
Ein Beitrag über Kinder mit Behinderung
Barrierefreie Köpfe
06
Alessandro Zanardi war und ist
Barrierefreies Bauen & Wohnen
er folgreich. Früher Formel 1, heute
Wirtschaftliche Effizienz durch
Iron Man. Er erzählt, was ohne Beine
universales Design
32
alles möglich ist
Zanardi - Unser Potrait
10
Indego
14
Das neue Exoskelett aus den USA ist
Behindertensportler
des Jahres 2014
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Mit dem Rollstuhl
in den Rennsport
42
im nächsten Jahr auch in Deutschland
Neue Sportangebote für
Menschen mit Amputationen
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Wenn Huskys die Seele berühren 18
Wenn das Augenlicht
langsam erlischt
46
Auf einer Farm in Brandenburg werden
„Goldene Regeln“ für Angehörige
zwischen Menschen mit Handicap und
von erblindenen Menschen
erhältlich
Inklusions-Kampagne des DRS
17
Hunden tiefe Freundschaften
geschlossen
Louis Braille
50
Ein Junge, der die Blindenschrift erfand
4
BARRIEREFREI - das Magazin
INHALT
64
22
52
42
Arbeitswelten-Ausstellung
in Dortmund
51
Autismus 66
Kein Anschluss unter diesem Kollegen
Ihr gutes Recht
BMW AG, EbE Berlin, Fraunhofer IPA, Marc Jahn, Michael Müller
Quelle Fotos: Christian Grüner/Presse und Medien DKV, Sabine Kühn,
Kroatien - eine Perle des Balkans
52
Gehörlos den Ostzingst
in MV erleben
69
Weihnachten – Fest der Liebe?
70
58
Mit dem Rollator gut durch die
dunkle Jahreszeit kommen
60
Veranstaltungskalender 72
Was ist los in Deutschland?
Ehrenbrief für Hubert Hüppe
61
Ein Mann des Bundestages kämpft seit
Mediatipps 74
Langem für die Rechte von behinderten
Über gute Filme, Bücher
Menschen
und interessante Links
Karate für Menschen
mit Handicap 62
Vorschau
76
Memo des Herausgebers
Ein Roboter als
Freund und Helfer
78
64
Service -Roboter sollen älteren
Menschen länger das selbstbestimmte Leben ermöglichen
BARRIEREFREI - das Magazin
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Alessandro Zanardi
BARRIEREFREIE KÖPFE:
Alessandro
Zanardi
lingt. Und nun liegt es hinter mir. Natürlich ist
es immer schön, wenn man sagen kann: Die
Mission ist abgeschlossen. Aber in meinem
Falle war es auch ein wenig gegen die sonst
üblichen Wettkampfbedingungen und deren
Bewältigung. Zumindest in den Augen anderer Leute. Denn ich habe ja den gesamten
Wettkampf nur durch die Kraft meiner Arme
bewältigt. Ich habe nie daran gezweifelt, dass
ich es schaffen würde. Keine Beine zu haben,
ist nicht immer ein Nachteil. Vielleicht eher
ein Vorteil, denn ich konnte zum Beispiel die
letzte Distanz des Wettkampfes mit meinem
olympischen Rollstuhl hinter mich bringen,
wohingegen andere gelaufen sind. Glaub mir,
es ist ein großer, großer Unterschied. Aber
egal, ich habe das Wochenende sehr genossen, es war fantastisches Event. Ich würde gern
noch einmal daran teilnehmen.
Man liest viel über deine Erfolge im
Motorsport nach deinem Unfall sowie
auch davor. Wie bist du eigentlich zum
Motorsport gekommen?
Lieber Alessandro, vielen Dank, dass du
dir die Zeit für unser Interview nimmst.
Vor gerade mal ein paar Wochen hast
du deinen ersten Triathlon auf Hawaii
beendet. Wie glücklich bist du mit
deinen Ergebnissen?
Oh, vorher war ich glücklicher. Denn es war
eine große Freude diese Herausforderung anzunehmen und alles dafür zu tun, damit es ge-
6
BARRIEREFREI - das Magazin
Ich habe schon immer eine große Leidenschaft
für Autorennen gehegt. Ich habe alles im Fernsehen mit meinem Dad verfolgt: Grand Prix,
Formel 1, GT. Und eines Tages kam mein Dad
nach Hause und hat mir ein Go-Kart anstelle
eines Motorrads angeboten. Er hatte es von einem Freund gekauft, der ihm dazu überredet
hatte, es mir zu schenken. So kam ich dazu.
Die erste Runde, die ich damit drehte, war
02.08.1980 in Vado/Bologna. Ich kann mich
Alessandro Zanardi
noch genau daran erinnern, wie die Bahnbegrenzung neben mir vorbei zog, ich spürte den
Grip der Reifen. Und die Power des Motors.
Ich spürte das Verlangen, dass dies hier mein
Leben werden sollte. Es klang zu dem Zeitpunkt verrückt, denn ich war der Langsamste
unter den Langsamen (lacht). Und es ist wohl
meinem großem Optimismus und meiner
Neugier zu verdanken, dass ich mein Hobby
und meine Leidenschaft als professioneller
Fahrer ausüben darf.
Ich selbst bin Langstrecken Pokal und die 24
Stunden auf den Nürburgring gefahren. Dort
hatte ich auch einen schweren Unfall. Ich habe
damals überlegt, mit dem Motorsport aufzuhören, habe mich dann aber trotzdem wieder
ins Auto gesetzt und bin weiter Rennen gefahren. Ich wollte es ja irgendwie verarbeiten.
Dein Crash war um ein Vielfaches
schlimmer. Was ging dir da durch den
Kopf?
Ja, was ging in meinem Kopf umher? Es hatte wohl mit meiner Einstellung zu Problemen
und Herausforderungen zu tun, denn sie sind
da, um sie zu meistern, sonst hätten sie einen
anderen Namen. Es ist nie einfach, wenn du so
sehr nach einem Ziel strebst und es wäre das
Größte für dich, es zu erreichen. Aber wenn
etwas so einfach wäre, wie eine Flasche Wasser anzuheben, was hat es dann noch für einen Reiz. Verstehst du? Aber wenn dort Herausforderungen sind und Probleme, du aber
trotzdem die Lösung erkennst, gepaart mit der
Möglichkeit, dass du es trotz der Unwegsamkeiten schaffen kannst, dann ist es sehr spannend, dafür zu arbeiten, damit es klappt. So
war es zumindest bei mir. Ich wusste, dass ich
noch genau derselbe Fahrer war, wie vorher, es
galt nun nur eine Lösung zu finden, meinen
Kopf mit dem Auto zu koppeln. Denn schlussendlich sind es doch nicht unsere Füße oder
Hände, die entscheiden, ob ich etwas aufgebe
oder noch mal versuche. Es hat alles was mit
hier oben zu tun (zeigt mit dem Finger zu
seinem Kopf)! Wir geben den Impuls nur an
Hände und Füße weiter. Ich wusste also, dass
ich nur einen neuen technischen Weg finden
musste, um das Auto zu fahren und nichts
würde sich verändern. Vielleicht würde ich
nicht der Beste der Welt sein, aber es wird reichen, um Rennen zu fahren und das tat ich
bereits in meiner gesamten Karriere. Mir war
klar, dass es schwierig werden würde, aber ich
hatte keine Angst. Ich war eher gespannt, es
auszuprobieren.
BARRIEREFREI - das Magazin
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Alessandro Zanardi
Man liest viel von dir, aber sehr wenig
von deiner Familie. Wie wichtig ist deine
Familie für dich und wie war die Unter stützung nach dem Unfall?
Was glaubst du, was ich nun antworte? Nein,
sie ist überhaupt nicht wichtig … (lacht). Na,
klar und wie wichtig sie ist! Sie waren für jede
Konsequenz des Unfalls wichtig und immer
für mich da. Aber alle Dinge, die ich danach
getan habe, wie ein guter Vater für mein Sohn
und ein guter Ehemann für meine Frau zu
sein, habe ich nicht für sie getan, sondern weil
ich es wollte. Ich tue sowas nicht für andere.
Ich selber bin die Motivation. Auch für meine
Charity-Projekte, wofür man natürlich auch
Dankbarkeit bekommt. Aber um noch mal auf
den Punkt zu kommen: Hätte ich meine Familie nicht gehabt, hätte ich wohl einige Probleme nicht so schnell für mich alleine gelöst, als
ich es für meine Familie getan hab. Natürlich
hätte ich es auch vielleicht nicht so schnell wieder genossen, all die Dinge, die das Leben für
jeden von uns bereit hält. Für meine Familie
wollte ich schnellst möglich wieder der werden, der ich vorher war. Zumindest so gut es
eben ging. Auch meine Rehabilitation habe ich
so angepackt, wie ich es schon eingangs gesagt
habe.
Was würdest du für dich höher bewerten: Den Ironman zu gewinnen oder in
der Königsklasse Formel 1 zu fahren?
(Schweigen) Formel 1 ist aus meinem Kopf,
nicht weil es keine technischen Möglichkeiten
gibt. Eher aufgrund des Teams. Denn die müssen andere Prioritäten setzen, als 2-3 Saisons
zu verschwenden, um einen 48-jährigen Mann
in die (technische) Kondition zu versetzen,
wieder diese Autos fahren zu können. Und
dann steht da ja noch mehr dahinter, wenn du
offizieller Fahrer für ein Team wirst. Das sind
sehr beschäftigte Leute, die z.B. auch gleichzeitig Entertainer oder Botschafter der Spon-
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BARRIEREFREI - das Magazin
soren sind. Ich könnte das nicht mehr, ich bin
immerhin 48 Jahre. In dem Buch meines Lebens gibt es ein Kapitel mit dem Namen „Leidenschaften“, wo ich viel rein schreiben kann,
aber es gibt auch andere Kapitel. Ich habe
dieses nun abgeschlossen. Es fängt nun ein
neues an, welches meiner Familie gewidmet
ist, meinen Freunden, meinen Autos, meinen
Hunden, meinem Boot oder meinem 2. Haus.
So halte ich die Balance in meinem Leben. Ich
habe keinen Zweifel, dass meine Formel-1-Erfahrungen abgeschlossen sind. Aber weißt du,
wenn nun einer kommt und sagt: ‚Mensch
Alex, willst du nicht noch mal dieses Rennen
fahren, in der nächsten Saison‘, das ist was anderes. Da hätten wir alle Zeit der Welt, uns
darauf vorzubereiten. Und ich könnte das immer noch, das weiß ich. Nochmal, ich bin bestimmt nicht der beste Fahrer der Welt, Lewis
Hamilton ist vielleicht ein wenig talentierter
als ich (grinst), nicht weil er in den Mit-Zwanzigern ist, nein, er ist einfach talentierter. Also,
es würde mich reizen und ich würde natürlich
alles geben, was ich kann.
Ach so – und: Der Ironman hat viel Spaß gemacht. Man kann es aber nicht mit Formel 1
vergleichen, denn es ist ein Traum und kein
„Gegenstand“.
Alessandro Zanardi
Quelle: BMW AG
Unser Magazin Barrierefrei soll den
Menschen mit Handicap Mut machen.
Wir haben viele sportbegeisterte Leser,
aber auch Zweifler. Was würdest du
diesen Menschen mit auf den Weg
geben? Hast du eine Lebensweisheit
oder ein Motto?
Es ist nicht mein Recht und auch nicht meine Ansicht, anderen Leuten ungebetene Ratschläge zu geben, aber wenn mich jemand
fragt: Alex, wie kann ich die Dinge besser ausrichten in meinem Leben, mit Hilfe von Sport
oder anderen Dingen, dann sage ich: Als erstes
werde dir klar, wo du hin willst. Nicht wo andere sind, denn du kannst nicht erwarten, dass
du dieselben Erfolge wie sie von Morgens bis
Abends verzeichnen kannst. Denn diese Leute
hat es eine Menge gekostet, dahin zu kommen.
Strebe also nicht nach den Erfolgen anderer
Leute, sondern nach deinen eigenen. Weil du
deine Sache gut machst und vor allem gerne
tust! Okay? Finde heraus, was du willst und tue
den ersten Schritt. Setze dir ein erstes Ziel, es
muss aber erreichbar sein. Runden in einem
Go-Kart zu drehen, ist z. B. ein guter Anfang,
wenn du später Formel 1 fahren willst. Und
das kann man auf alles andere übertragen, wie
Arbeit oder soziales Leben. Mach den ersten
Schritt, denn das kleine Ergebnis, was du bekommst – und du wirst eins bekommen – wird
dich ermutigen den nächsten Tag mehr zu wagen. Und wenn dann viele kleine Ergebnisse
und Erfolge jeden Tag kommen, wirst du sehen, dass du deine Träume in die Realität umsetzen kannst.
Interview: Peter Lange
BARRIEREFREI - das Magazin
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Alessandro Zanardi
A le s s a n dro
Z a n ardi
Mit Handicap auf
der Überholspur
Alessandro Zanardi gehört seit vielen Jahren
zur BMW-Familie. Mit seiner persönlichen
Geschichte wurde der Italiener zum Vorbild
für viele Menschen. Der zweimalige ChampCar-Sieger und frühere Formel-1-Pilot verlor
bei einem schweren Rennunfall im Jahr 2001
beide Beine. Für ihn entwickelte sich dieser
Umstand allerdings nicht zum Ende seiner
sportlichen Ambitionen, sondern zum Beginn einer neuen Karriere.
Schon immer liebten Zanardi und sein Sohn
Niccolo diese viel zu heißen Sommertage, in
denen der Sprung ins Schwimmbecken das
einzig Wahre ist. Sie mussten dafür nicht mal
ins Freibad fahren, sondern konnten im angrenzenden Garten – gemeinsam mit ihren
Nachbarn – im Pool herumtollen.
Einige Jahre nach dem Unfall – die Sonne hatte mal wieder alles aufgeheizt – saß der 47-Jährige mit seinem Rollstuhl auf dem Balkon und
beobachtete die Menschen am Pool.
„Ich war ein bisschen neidisch“, erzählte er.
Niccolo machte mir einen Vorschlag: „Papa,
ich weiß, lass uns zum Pool gehen!“
„Es tat mir in der Seele weh," gab
Z anardi zu. Er verspr ach sich und
seinem Sohn, bald eine Lösung zu
finden.
Weitere heiße Tage folgten. Aber auf dem Balkon stand nur noch Alessandros Ehefrau Daniela, die ihrem Mann und ihrem Sohn beim
Spielen im Wasser zusah. Zanardi hatte zuvor
mit Experten an entsprechenden Prothesen
getüftelt und sich überwunden. Diese kleine
Geschichte illustriert viel von dem, was den
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BARRIEREFREI - das Magazin
ehemaligen Autorennfahrer Alessandro "Alex"
Zanardi ausmacht. So schnell kann ihn niemand mehr stoppen – und sei die Hürde noch
so groß. Auch seine jüngste Herausforderung
meisterte Alessandro Zanardi mit Bravour:
Als BMW-Werksfahrer absolvierte
er am 12. Oktober auf Hawaii erfolgreich seinen ersten internationalen
Langstrecken-Triathlon.
In den vergangenen Monaten bereitete sich er
ALESSANDRO ZANARDI
sich intensiv darauf vor. Neben dem HandbikeTraining arbeitete er an seiner Technik und
und trainierte seine Ausdauer im Schwimmen.
Zudem machte er sich mit einem für ihn völlig
neuen Sportgerät vertraut, dem Rennrollstuhl.
Auf der Schwimmstrecke durfte er einen speziellen Schwimmanzug tragen, der ihm half,
seinen Körper in der richtigen Position zu halten. Die Radstrecke bestritt er mit dem selbst
entwickelten Handbike, mit dem er vorher
seine Medaillen und Titel gewonnen hatte.
Den abschließenden Marathon absolvierte Zanardi mit seinem neuen Rennrollstuhl.
Der jährlich auf Hawaii durchgeführte Triathlon wird aufgrund seiner Anforderungen auch
Ironman genannt. Schon für nichtbehinderte
Athleten ist er extrem hart, denn er setzt sich
zusammen aus einer 3,86 Kilometer langen
Schwimmstrecke im offenen Ozean, einem
Radabschnitt von 180,2 Kilometern und einer
abschließenden Laufstrecke über eine volle
Marathon-Distanz von 42,195 Kilometern.
Für Zanardi war die Aufgabe noch größer: Da
er beide Beine verloren hatte, musste er die
Gesamtdistanz von 226,255 Kilometern allein
mit der Kraft seiner Arme bewältigen.
BARRIEREFREI - das Magazin
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Alessandro Zanardi
Zweifellos hat er sich dabei als einer der besten Par a-Athleten der
Welt behauptet.
Quelle: BMW AG
Er bewältigte die Gesamtdistanz in einer Zeit
von 9:47:14 Stunden. Unter den 2.187 Teilnehmern, die das Ziel erreichten, belegte er den
272. Gesamtrang. In seiner Altersklasse M45-49
(Männer zwischen 45 und 49 Jahren) belegte er
unter 247 Teilnehmern den 19. Platz.
Nach seiner Zielankunft in Kailua-Kona äußerte sich Zanardi: „Es ist fantastisch.
Dieser Tag wird für den Rest meines Lebens
einen besonderen Platz in meinem Herzen
haben. Ich bin sehr stolz auf mein Ergebnis.
Können Sie glauben, dass mein allererster Triathlon gleich der von Kona war? Das ist, als
würde man sagen: „Okay, ich mag Autos, und
ich würde gern ein Rennen fahren. Ich denke
dabei an den Formel-1-Grand-Prix in Monza.“
Das wird so nicht gehen, doch ich bin hier. Ich
habe gerade den berühmtesten Triathlon und
den schwierigsten Ausdauerwettbewerb überhaupt absolviert – und das auch noch recht
gut. Ich bin sehr stolz auf meine Leistung. Die
letzten 300 Meter waren all die Mühen wert,
sie waren es wert, dass ich hierhergekommen
bin. Ich weiß nicht, ob jeder so angefeuert
wurde, aber als ich durch diesen engen Weg
kam – so etwas habe ich noch nie erlebt. Es
war überwältigend, ich hätte beinahe geweint.
Ich bin in solchen Situationen eigentlich nicht
so emotional, aber das war etwas ganz Besonderes.“
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BARRIEREFREI - das Magazin
„Es ist fantastisch.
Dieser Tag wird für
den Rest meines Lebens einen besonderen Platz in meinem
Herzen haben. Ich
bin sehr stolz auf
mein Ergebnis."
INDEGO
Indego
Die Wiederentdeckung der Bewegung
tag hat vor etwa 15 Jahren begonnen, als stationäre Gangtrainer mit einem integrierten
Laufband eingesetzt wurden. Seit einigen Jahren sind nun Exoskelette erhältlich, welche ein
Gangtrainig auf unterschiedlichen Bodengegebenheiten ermöglichen und gehbehinderte
Personen auch im Alltag unterstützen können.
Indego kommt 2015 auf den deutschen Markt
Per Definition ist ein Exoskelett eine Stützstruktur für einen Organismus, das eine stabile äußere Hülle um diesen bildet. Sie wurden
in den letzten Jahrzenten entwickelt, um Bewegungseingeschränkten Menschen das Gehen zu ermöglichen. Kleine Motoren treiben
die Geh-Orthese an. Der Einsatzbereich von
Exoskeletten ist heute sehr vielseitig und reicht
vom Militär über industrielle Fertigungsanlagen bis hin zur Unterstützung von Patienten
im Therapiealltag.
Die Firma General Electric entwickelte 1960
das erste Exoskelett und nannte es Hardiman.
Dieses Gerät war aber äußerst schwer und
sperrig, daher kam es nie wirklich zum Einsatz. Dank einer rasanten technischen Entwicklung in den letzten Jahren sind die Geräte
heute viel kleiner und leichter geworden. Die
Anwendung von Exoskeletten im Therapieall-
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BARRIEREFREI - das Magazin
Das Indego des Unternehmens Parker Hannifin aus den USA wird um die Hüfte und Beine getragen und ermöglicht gehbehinderten
Personen das Stehen und Gehen. Der Name
Indego (Eine Zusammensetzung der Wörter
„Independence = Unabhängigkeit“ und „Go
= Gehen“) unterstreicht den primären Nutzen
des Gerätes, nämlich die verbesserte Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Patienten.
Die Idee, ein solches Exoskelett zu entwickeln,
hatten Wissenschafter an der Vanderbilt University in Nashville (USA). Von Anfang hatten
sie das Ziel, ein Gerät zu entwickeln, dass sowohl in der Therapie eingesetzt wird, um die
Gehfunktion von gehbehinderten Personen zu
verbessern, als auch leicht und schmal genug
ist, um den Patienten zu Hause im Alltag zu
unterstützen. Obwohl diese beiden Anwendungsbereiche unterschiedliche Anforderungen mit sich bringen, gibt es entscheidende
Merkmale, die sowohl in der Rehaklinik als
auch zu Hause identisch sind. „Für uns ist
es ganz entscheidend, dass ein Therapiegerät schnell und problemlos auf den Patienten
eingestellt werden kann“, sagt Clare Hartigan,
eine erfahrene Therapeutin vom Shepherd
INDEGO
Center in Atlanta, welche die Entwicklung von
Indego aus klinischer Sicht mitbegleitet hat.
„Gleichzeitig muss die Anwendung sowohl für
mich als Therapeut, aber auch für den Patienten intuitiv und so einfach wie möglich sein.
Wenn dies der Fall ist, bringt Indego grosse
Vorteile im Therapiealltag und im häuslichen
Gebrauch mit sich“, so Hartigan weiter. Auch
sie sieht das schnelle Anlegen und die einfache Bedienung von Indego als entscheidende Vorteile, verglichen mit anderen, bereits
in Deutschland erhältlichen Exoskeletten.
Michael Gore, aufgrund eines Unfalls komplett querschnittgelähmt, bestätigt dies und
ergänzt: „Indego simuliert das natürlichste
Gangbild aller getesteten Geräte“. Gore, der neben Indego auch zwei weitere Exoskelette getestet hat, schätzt außerdem, dass er Indego
in seinem Rollstuhl anbehalten kann, welches
mit anderen Geräten nicht vereinbar ist.
Aus klinischer Sicht verfügt Indego über alle
Voraussetzungen, um eine moderne Gangtherapie anzubieten und einen neuen Therapie-Standard für gehbehinderte Patienten
zu setzen. Es ermöglicht ein Anwender-initiiertes, intensives und aufgabenorientiertes
Gangtraining. Indego ist batteriebetrieben
und kommt ohne sichtbare Kabel oder Rucksack-Komponenten aus. Zudem kann Indego
auf den verschiedensten Bodengegebenheiten
eingesetzt werden.
Das Gerät imitiert die natürliche und harmonische Gehbewegung und reagiert auf Haltungsveränderungen und Gewichtsverlagerungen. Eine Gewichtsverlagerung nach vorne
leitet das Aufstehen und Gehen ein. Eine Gewichtsverlagerung nach hinten dagegen das
Stehenbleiben und Hinsetzen. So kann der
geschulte Anwender unter Aufsicht von nur
einem Therapeuten die Bewegung kontrollieren und steuern und somit effiziente Therapieeinheiten absolvieren.
Klinische Erprobungen laufeN
Auf Basis wissenschaftlicher Studien und gesetzlichen Zulassungen sollen zukünftige
Indego-Versionen für gehbehinderte Personen mit unterschiedlichen neurologischen
Krankheitsbildern wie zum Beispiel Schlaganfall oder Multiple Sklerose angeboten werden. „Für uns war es sehr wichtig, dass wir von
Anfang an sehr intensiv mit exzellenten klinischen Partnern zusammen arbeiten“, sagt Dr.
Stefan Bircher, Global Market Development
Manager bei Parker Hannifin. „Wir werden
diese wertvollen klinischen Rückmeldungen
auch in der Weiterentwicklung von Indego berücksichtigen, um ein sinnvolles und effizientes
Gerät anbieten zu können.“ Seit drei Monaten
läuft in den USA eine große Multicenterstudie,
um den Einsatz von Indego bei Patienten mit
kompletter oder inkompletter Querschnittslähmung im klinischen Alltag, aber auch in der
Heimanwendung zu testen.
BARRIEREFREI - das Magazin
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INDEGO
Das Unternehmen Parker Hannifin
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BARRIEREFREI - das Magazin
Ein Beitrag von Lydia Saß
Ansprechpartner für Deutschland
Lars Wölfel
Business Development Manager DACH
Parker Hannifin GmbH
Human Motion & Control
Telefon: 0175 - 57 56 612
Email: [email protected]
Herr Wölfel ist gerne bereit, weitere Fragen zur
Verfügbarkeit von Indego und zu den klinischen
Studien in Deutschland zu beantworten.
Quelle Fotos: Parker Hannifin, Redaktion Barrierefrei
Fünf der bekanntesten amerikanischen Rehabilitationskliniken nehmen an dieser umfassenden Studie teil. Erste Resultate werden
Mitte des kommenden Jahres erwartet. Auch
in Deutschland wurden erste Gespräche mit
möglichen klinischen Forschungspartnern
geführt. “Da Indego voraussichtlich erst ab
Sommer 2015 für den breiten Einsatz in Rehabilitationskliniken und den privaten Gebrauch
erhältlich sein wird, möchten wir die Zeit nutzen und auch in Deutschland mit wichtigen
Forschungspartnern zusammenarbeiten”, so
Dr. Bircher, der auch die laufende Multicenterstudie in den USA betreut. So wurde der
BG Unfallklinik Murnau ein Indego Clinical
Kit zur Verfügung gestellt, um Physiotherapeuten in der Indego-Anwendung zu schulen.
„Wir sind sehr interessiert, Indego im Rahmen
der Therapie von Patienten mit einer langjährigen Querschnittlähmung zu erproben und
gespannt auf die Rückmeldungen, die uns die
Betroffenen geben werden“, so Orpheus Mach,
wissenschaftlicher Koordinator des Zentrums
für Rückenmarkverletzte.
Seit September diesen Jahres steht Indego in
Europa und den USA für den wissenschaftlichen Einsatz zur Verfügung. Für Rehabilitationskliniken und Privatpersonen wird Indego
in Europa voraussichtlich Mitte 2015 und in
den USA gegen Ende 2015 erhältlich sein.
Mit einem Jahresumsatz von 13 Milliarden
Dollar im Geschäftsjahr 2014 ist Parker Hannifin der weltweit führende Hersteller in der
Antriebs- und Steuerungstechnologie. Das
Unternehmen, welches in 4 Jahren sein 100jähriges Bestehen feiern wird, entwickelt und
konstruiert Systeme und Präzisionssteuerungen für mobile und industrielle Anwendungen sowie für den Luft- und Raumfahrtsektor.
Parker Hannifin beschäftigt rund 58.000 Mitarbeiter in 49 Ländern. Produkte von Parker
sind bei über 450.000 Kunden in über 1.000
Märkten weltweit im Einsatz. Vom Windrad
bis zur Raumfähre enthält nahezu alles, was
sich bewegt, Technologien von Parker. Indego wird in einer neu gegründeten Geschäftseinheit namens ‚Human Motion und Control‘
entwickelt. In dieser Geschäftseinheit sollen
weitere Medizinprodukte für unterschiedliche
Anwendungsbereiche entwickelt, produziert
und vermarktet werden. Das Indego Exoskelett hat 2013 den POPULAR MECHANICS
Breakthrough Innovator Award gewonnen.
Diese Auszeichnung wird Erfindern zuteil, die
mit ihrer Arbeit die Welt intelligenter, sicherer
und effizienter machen.
Inklusionsk ampagne
Gemeinsam was
ins Rollen bringen
Inklusionskampagne des Deutschen
Rollstuhl-Sportverbandes e. V.
Am 19. September fiel der Startschuss für die
Inklusionskampagne „Gemeinsam was ins Rollen bringen“ des Deutschen Rollstuhl-Sportverbandes (DRS). Am Standort der DRS Bundeszentrale im Berufsgenossenschaftlichen
Unfallkrankenhaus Hamburg (BUKH), wurde
die auf drei Jahre angelegte Initiative erstmals
vorgestellt.
„Wir wollen die breite Öffentlichkeit über die
Möglichkeiten der Inklusion durch Sport informieren und weitere Türen für die Basisarbeit aller Sportvereine öffnen, damit in Zukunft
bundesweit noch mehr inklusive Sportangebote für Menschen mit und ohne Behinderung
entstehen. Dazu wollen wir mit der Kampagne
eine Plattform schaffen, wo neben der digitalen
Vernetzung aller Akteure auch echte Hilfestellungen für die tägliche Vereinsarbeit anboten
wird“, erläutert Ulf Mehrens, Vorsitzender des
Deutschen Rollstuhl-Sportverbandes (DRS).
Die Aktion Mensch ist Hauptförderer der Kampagne, Bundesministerin Andrea Nahles unterstützt die Initiative als Schirmherrin. Zahlreiche Athletinnen und Athleten, stellen sich
als Kampagnengesichter und Multiplikatoren
zur Verfügung. Darunter Paralympics-Stars wie
die Schwimmerin Kirsten Bruhn und die Rollstuhlbasketballerin Annika Zeyen.
Mitmachen erwünscht - Bringen Sie noch heute was ins Rollen!
Weitere Informationen unter:
www.rollstuhlsport.de/ins-rollen-bringen.de.
Unter www.ins-rollen-bringen.de entsteht
demnächst ein digitales Zuhause für die Kampagne. Bei Facebook www.facebook.de/insrollenbringen und Twitter @gwirb kann man sich
bereits jetzt vernetzen und noch heute was ins
Rollen bringen.
BARRIEREFREI - das Magazin
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Huskyfarm
Bewegende
Freundschaft –
Wenn Huskys die
Seele berühren
Die Huskyfarm von Sabine Kühn und Elmar
Fust liegt eine Autostunde nördlich von Berlin in Frankendorf am Rande des Naturparks
Stechlin-Ruppiner Land. Dort leben die beiden auf einem alten Bauernhof mit ihren 24
Siberian Huskys und dem 10-jährigen Akita
Inu Nando.
Aber nicht nur dort sind sie zu finden. Dreimal
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BARRIEREFREI - das Magazin
im Jahr bieten sie auch Touren in Schwedisch
Lappland an. Im Winter führt Elmar Fust
die Gäste mit ihrem Schlittenhundegespann
durch die märchenhafte Winterlandschaft. Zu
Mittsommer und im Herbst in der Ruska-Saison erlebt man das Farbschauspiel der Natur
am besten beim Wandern mit Huskys.
Auf der Huskyfarm im Ruppiner Land sind die
Huskyfarm
Hund deutlich werden, erkennen, oder sich
einfach mitreißen lassen vom Spieltrieb der
Junghunde und der Gelassenheit der Rudelführer und älteren Semester. Meist empfindet
man schon beim Beobachten des Spiels der
Hunde pures Wohlempfinden.
Die Hunde der Rasse Siberian Husky zeichnet
ein entwaffnend freundliches Wesen und eine
große Zutraulichkeit auch fremden Menschen
gegenüber aus. Diese positiven Wesenszüge
prädestinieren die Hunde ebenso für das Aktivprogramm mit den Gästen wie für eine Arbeit im sozialen und/oder pädagogischen Feld.
Das kontaktfreudige und frohe Naturell der Hunde wirkt sich bei den
Gästen auf physischer und psychischer Ebene durchweg positiv aus.
Das Programm für Menschen mit Handicap
wird auf die Bedürfnisse der jeweiligen Gruppe zugeschnitten: es beinhaltet immer das
Kennenlernen und Streicheln der Tiere.
Die Teilnehmer sollen einen entspannten Kontakt zu „Ihrem Husky“
aufbauen.
Dann können verschiedene Aktivitäten folgen:
eine Wanderung mit den Hunden, ein Training auf dem Agilityparcours, auf dem unter
Umständen sogar Rollifahrer mittrainieren
können oder auch eine Fahrt mit dem Huskygespann als Passagier auf dem Wagen eines
erfahrenen Mushers (Schlittenhundeführers).
Angebote vielfältig – sie reichen von Wanderungen über Fahrten mit dem Husky-Gespann
bis hin zu Ferienlagern für Kinder.
Das Besondere an dieser Huskyfarm: Alle 24
Hunde werden in einem großen Rudel gehalten. Auch als Gast kann man die Rudelstrukturen sowie die einzelnen Charakterzüge der
Hunde, die in der Interaktion mit Mensch und
Das Feedback der Gruppen mit Handicap, zu
denen Gäste mit körperlicher und geistiger
Behinderung, psychisch kranke Menschen,
Kinder in psychologischer Betreuung und
Heimkinder zählten, war in all den Jahren
immer positiv. Bei den Begegnungen mit den
Huskys können Menschen, die im Umgang
mit Hunden unerfahren oder unsicher sind,
schnell Vertrauen zu den Tieren aufbauen.
BARRIEREFREI - das Magazin
19
Huskyfarm
ohne Worte, nur durch Blicke und Berührung
und schließlich traute sich der junge Mann,
den Hund zu streicheln – und er lächelte dabei. Die Betreuerin erzählte im Nachhinein,
dass das Lächeln und die Initiative des jungen
Mannes etwas ganz Besonderes gewesen seien.
Normalerweise sei er sehr in sich gekehrt, mit
so einem positiven Effekt oder gar einem lang
anhaltenden Lächeln hätten sie nicht gerechnet. Diese Momente sind immer wieder bewegend – für Gäste ebenso wie für Hundeführer.
Im Juni 2014 kam eine Gruppe Erwachsener
mit Beeinträchtigung mit ihren Betreuern zu
einer Woche „Huskyfarm-Aktivurlaub Lappland“. In dieser Woche bildeten sich gut funktionierende Teams aus Mensch und Hund.
Die Begeisterung und Bindung zu den Siberian Huskys war so groß, dass die Gruppe im
Herbst noch mal zu einer Familienwanderung
auf die Farm nach Frankendorf kam!
Es bleiben nicht nur wunderschöne Erinnerungen und tiefgreifende positive Erfahrungen, sondern
auch tierische Freunde und net te
Begegnungen.
Elmar Fust hilft mit viel Einfühlungsvermögen, die Brücke zwischen Mensch und Hund aufzubauen.
So gab es schon mancherlei Erlebnisse, die
im Gedächtnis bleiben. Anna Heß, ehemalige
Auszubildende auf der Huskyfarm, erinnert
sich an eine Begegnung zwischen einem autistischen jungen Mann und dem Hund Jokki.
Der junge Mann wollte anfangs nur außerhalb
der Freilaufanlage zuschauen. Nach ein paar
Minuten brachte die Betreuerin ihn doch in
die Anlage. Nach weiteren wenigen Minuten
signalisierte er deutlich, er wolle einen Hund
anfassen. Elmar Fust suchte einen ruhigen,
zurückhaltenden Hund, den Hund Jokkmokk,
genannt Jokki aus. Die beiden begrüßten sich
20
BARRIEREFREI - das Magazin
Was bedeutet Wandern mit Siberian Huskys
und wie geht das? Alle Teilnehmer erhalten vor
der Wanderung eine Einweisung in die Wandertechnik und einen speziellen Bauchgurt, an
dem die Leine des Huskys befestigt wird.
Huskyfarm
Je nach Körperbau und Kondition wird für jeden Gast der geeignete Hund ausgesucht. Die
Gäste staunen immer wieder, wie bereitwillig
sich die Hunde auf ihren neuen Wanderpartner einlassen, auf Kommandos warten und
natürlich auch auf Lob und Streicheleinheiten!
Welche Menschen stecken dahinter?
Elmar Fust hat seit 30 Jahren Siberian Huskys.
Schon in seiner Jugend war er vom Skilanglauf
begeistert, irgendwann kamen dazu die passenden Hunde ins Haus: die beiden Siberian
Huskys Scops und Yuma. Das Rudel wuchs
mit den Jahren an und heute leben 24 Huskys
auf der Farm in Frankendorf.
Elmar war es immer wichtig, eng mit den Hunden zusammenzuleben, mit ihnen auf langen
Touren gemeinsam Natur, Weite und Stille zu
erleben und genießen.
von dort aus viele Jahre in der Hotellerie. Seit
mit Elmar dann auch ein Rudel Schlittenhunde in ihr Leben trat, erfüllte sich ihr Traum
vom ländlichen Leben mit vielen Tieren – auf
unerwartete, aber faszinierende Art und Weise.
Ein Beitrag von Sabine Kühn
Freizeit- und Tourismusservice
Neudorf 34, 16818 Storbeck-Frankendorf /
OT Frankendorf, Tel. 03 39 24 - 7 99 46
www.freizeit-mit-huskies.de
Sabine Kühn wurde die Liebe zu Tieren und
zum Landleben schon mit in die Wiege gelegt.
Nach ihrem Landwirtschaftsstudium kehrte
sie auf den großelterlichen Hof im Ruppiner
Land zurück, um dort zu leben. Sie arbeitete
BARRIEREFREI - das Magazin
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Kinder mit Behinderung
Rollschuh oder Rollstuhl?
Die alltäglichen Barrieren mit einem behinderten Kind
Die meisten Frauen erleben ihre Schwangerschaft/en im Allgemeinen als sehr positive Zeit, die sie besonders genießen können.
Mann und Frau rücken oftmals noch näher
zusammen, sind zärtlicher als vorher und
freuen sich gemeinsam auf das Kind.
Leider ist es aber nicht jedem Paar gegönnt,
die Vorfreude auf ein gesundes Kind genießen oder nach der Geburt ein gesundes Baby
im Arm halten zu können. Ein krankes Organ, eine Gewebe-Fehlentwicklung, eine Missbildung oder eine Chromosomen-Anomalie
können die Zeit von einem Tag zum anderen
zur Hölle für die ganze Familie machen. Aber
auch ein Sauerstoffmangel des Kindes bei der
Geburt, schwere Erkrankungen oder Unfälle
können zu körperlichen und geistigen Behinderungen führen und die Eltern vor größte
Herausforderungen stellen, wenn es heißt,
dass das Kind für sein Leben lang geschädigt
bleibt. Solche Diagnosen sind nur schwer zu
verkraften. Probleme über Probleme versperren oft den Weg zu einer glücklichen Familie
und manche Partnerschaft zerbricht an diesen
Aufgaben.
Allein die psychischen Belastungen, die Fra-
gen nach dem Warum und Wie und die alltäglichen Kämpfe um existentielle „Kleinigkeiten“ fordern vor allem den Frauen ein
gehöriges Maß an Kraft, Geduld und Ausdauer ab. Zudem ist es nicht allen (Frauen-)
Ärzten gegeben, den werdenden Müttern die
Wahrheit über die Diagnosen und den sich
daraus ergebenden Konsequenzen feinfühlig
und „psychologisch wertvoll“ zu vermitteln.
Viele Eltern wünschen sich einen Arzt, der sie,
zumindest anfangs, auf diesem Weg begleitet.
So bleibt es oft erstmal bei Gesprächen innerhalb der Familie, unter Freunden und Bekannten, die allerdings vielfach nicht weiterhelfen,
sondern sogar weiter verstörend wirken können.
Wir möchten den Eltern, vor allem aber den
Frauen einige Tipps mitgeben, die ihnen ihre
lebenslange Rolle als persönliche „Heilerziehungspflegerin“ ihrer Kinder ein wenig erleichtern können.
Auf der Seite www.intakt.info/adressen-undanlaufstellen können Sie sich grundsätzlich
über vieles informieren: Intakt ist eine Internetplattform für Eltern von behinderten Kin-
BARRIEREFREI - das Magazin
23
Kinder mit Behinderung
dern, die Themen gehen von Adressen und
Anlaufstellen über Informationen und Recht,
medizinischer Versorgung, Zuzahlungspflichten und einer Adress-Datenbank von rollstuhlgerechten Arztpraxen zu einem Forum
und Kontaktmöglichkeiten zu anderen Eltern
mit ähnlichen Problemen.
Auf der offiziellen Homepage der Behindertenbeauftragten Verena Bentele, www.behindertenbeauftragte.de gibt es Rat zur Früherkennung, Frühförderung, Kinder- und Jugendhilfe, Elternassistenz und auch für Frauen
mit Behinderung.
Www.rehakids.de, das „Forum für besondere
Kinder“ bietet neben umfangreichen Forenbeiträgen zum Einsatz von Hilfsmitteln (u. a.
Erfahrungsberichte und Zuzahlungsbefreiung) , Sternenkindern und verwaisten Eltern,
Intensivpflege, Wohnen, Freizeit und Urlaub
auch die Möglichkeit zum Smalltalk, das Einstellen von Gesuchen, Jobbörsen für Betreuungsdienste und noch vieles mehr, was den
Alltag erleichtern kann.
kehr und zu rollstuhlgerechten öffentlichen
Gebäuden wie auch zu Mindeststandards und
entsprechenden Checklisten für Rollstuhlfahrer, Seh- und Hörgeschädigte sowie Schulungsangebote.
Umfangreiche Informationen zu sozialen und
finanziellen Aspekten des Lebens mit einem
behinderten Kind können Sie sich auf der Seite www.elternimnetz.de/kinder/sorgenkinder/
hilfen.php holen. Es geht nicht nur um Eingliederungshilfen nach dem Bundessozialhilfegesetz, sondern auch um Hilfen bei Blindheit, der Notwendigkeit einer Haushaltshilfe,
Kindergeld über das 18. Lebensjahr hinaus,
Tagesstätten, Heime und Internate für Kinder
mit Behinderungen, Schul- und Studienhilfen
und mehr. Der Online-Ratgeber ist gestaffelt
nach der Altersstufe des Kindes.
Auch die „Suchmaschine für Krankheit und
Soziales“, www.betanet.de gibt Hilfestellung
in Rat und Tat für alle finanziellen Fragen, die
sich bei einem Kind mit Handicap auftun.
Das Kindernetzwerk (www.kindernetzwerk.
de) wartet mit Datenbanken, Suchfunktionen und Krankheitsbeschreibungen sowie
„Erst-Info-Paketen“ auf. Verschiedene Themenportale ergänzen das Angebot sinnvoll.
Www.moses-online.de, das Portal für Pflegekinder und Adoption, berichtet über Lernhilfsmittel für Kinder mit Handicap mit den
Hilfsmittelrichtlinien, außerdem bringt die
Seite Erfahrungsberichte zu verschiedenen
Behinderungen und Traumatisierungen sowie
Therapeuten, Referenten, Freizeitentlastung
und mehr.
Wichtig für Menschen, die für die Planung
öffentlicher Gebäude und Verkehrsstrukturen arbeiten, aber auch für private Personen,
die Fragen haben zur barrierefreien Gestaltung und Mobilität: Schauen Sie doch mal in
die folgende Seite: www.institut-bgm.de. Dort
finden Sie Hinweise zum öffentlichen Nahver-
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BARRIEREFREI - das Magazin
Allgemein bietet das Internet eine Menge hilfreicher Tipps, die sich mit speziellen Erkrankungen und Behinderungen beschäftigen und
Ihnen auf ihre Weise Hilfe geben können. Wir
wünschen Ihnen Stärke, Mut und viele freundliche Helfer.
Kinder mit Behinderung
Hilfe für Eltern von Kindern
mit und ohne Behinderung
Ein Elternverein in Berlin stellt sich vor
Anton hat das Down-Syndrom. Er ist jetzt 8
Jahre alt. Von Anfang an wurden mein Mann
und ich fachlich gut begleitet, wir haben viel
Unterstützung durch Freunde und Therapeuten erfahren. Als dann aber der Wunsch nach
mehr Kindern konkreter wurde, gab es plötzlich in der Fachwelt niemanden mehr, der uns
mit all unseren Sorgen und Fragen wirklich
verstehen konnte.
Wir suchten eine Familie, die es „gewagt“ hatte, nach ihrem Kind mit Behinderung noch
ein weiteres zu bekommen, eine Familie, die
uns Mut machen würde. Über eine Bekannte,
die bei „Eltern beraten Eltern e.V.“ arbeitete,
bekamen wir sehr schnell den Kontakt zu einer Familie, die mit dem Verein vernetzt war
und die für unsere Fragen da war. Anton hat
jetzt zwei Schwestern.
Der Verein ist 1985 aus einer Eltern-Initiative
entstanden. „Eltern beraten Eltern“ ist eine der
wenigen Anlaufstellen von Eltern für Eltern
von Kindern mit verschiedensten Beeinträchtigungen.
BARRIEREFREI - das Magazin
25
Kinder mit Behinderung
Die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, auf die unser Team zurück-
greifen kann, haben alle ein Kind mit Beeinträchtigung in unterschiedlichem Alter. (Sogar die Website und die Computerwartung
werden von Eltern von Kindern mit Beeinträchtigung gemacht).
Durch das sogenannte Peercounceling, also
aus der eigenen Erfahrung heraus diese an
Menschen mit ähnlichen Fragestellungen
und Situationen weiterzugeben und zu beraten, können sehr persönliche Fragen schnell
beantwortet werden. Zum Beispiel kann ein
Kontakt mit einer Familie hergestellt werden,
die gleiche Erfahrungen schon gemacht hat, so
wie es bei uns der Fall war. Dabei reicht die
Themenvielfalt von Beratungen nach der Prä-
26
BARRIEREFREI - das Magazin
nataldiagnostik über Kita- und Schulsuche bis
zu Arbeitsmöglichkeiten und Wohnformen.
Ein weiterer Teil unserer Arbeit ist das Netzwerken, das Kennenlernen und Pflegen von
Kontakten von und zu anderen Vereinen und
das Mitarbeiten in verschiedenen Gremien zu
Themen wie Schule, Pränataldiagnostik oder
Migration.
In den letzten Jahren ist das Medium Internet
immer präsenter geworden, persönliche Beratungsgespräche finden jetzt seltener statt, Anfragen per Telefon oder E-Mail gibt es dagegen
mehrmals täglich. In der Auswertung unserer
Telefonstatistik konnten wir eine eindeutige
Verschiebung der Themen feststellen: Vor einigen Jahren lagen Fragen zur Pflegeversicherung
vorne. Wir reagierten mit zwei Elternabenden
im Jahr zu dem Thema. Inzwischen suchen sich
die Familien diese Informationen im Internet.
In den letzten zwei Jahren rückte das Thema
Freizeit nach vorne. Wir reagierten darauf, in-
Quelle Fotos: Eltern beraten Eltern e.V., pixabay.com
Die eigenen Erfahrungen weitergeben an andere Eltern, das ist, was
die Qualität des Vereins ausmacht.
Kinder mit Behinderung
dem eine Honorarkraft berlinweit nach Angeboten für Menschen mit Beeinträchtigung im
Freizeitbereich recherchierte. Im Mai kam der
FREIZEITFADEN Berlin heraus, der bei „Eltern beraten Eltern“ zu bestellen ist.
Über die Beratungs- und Vernetzungstätigkeit
hinaus finden jede Woche zwei Krabbelgruppen für Kinder von 0 bis 2 Jahren statt, wir
organisieren Themenabende und Informationsveranstaltungen, z. B. die im kommenden
Frühjahr geplanten Themen „Gebärden-unterstützte Kommunikation“, „Leichte Sprache“,
„Schmink- und Stylingberatung für Frauen“,
Karneval, ein Elternabend für ehrenamtliche
rechtliche Betreuer_innen und die jährliche
Fahrt nach Ueckermünde ins ZERUM geplant.
Auf der letzten Fahrt haben die Jugendlichen
und jungen Erwachsenen an einem Fotoworkshop teilgenommen. Hieraus hat sich eine
Fotoausstellung entwickelt, die Sie vom 28.
November 2014 bis 04. Januar 2015 im Nachbarschaftshaus Friedenau (Holsteinsche Str.
30, 12161 Berlin) besuchen können. Die Fotos
auf diesen Seiten wurden der Ausstellung
entnommen. Am 5. Dezember 2014 um 18 Uhr
bieten Teilnehmende des Fotoworkshops einen geführten Rundgang an. Dazu laden wir
Sie herzlich ein.
Über einen glücklichen Zufall bin ich vor zwei
Jahren bei „Eltern beraten Eltern“ „gelandet“.
Seitdem freue ich mich täglich, die Unterstützung, die ich durch Freunde, Verwandte und
den Verein erfahren habe, an Dritte weitergeben zu können. So wie ich sind die meisten
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen über ihre
Kinder zum Verein gekommen.
Unser Verein ist für alle Familien und für alle
Arten von Behinderung/en offen. Das Beratungsangebot ist grundsätzlich kostenlos.
Ein Beitrag von Andrea Häfele
Infobox
Informationen und Kontakt:
Eltern beraten Eltern
von Kindern mit und
ohne Behinderung e.V.
Holsteinische Str. 30
12161 Berlin
Tel.: 030- 821 67 11
oder 030- 897 47 833
E.Mail:
[email protected]
www.eltern-beraten-eltern.de
BARRIEREFREI - das Magazin
27
Kinder mit Behinderung
Die Barrieren in den Köpfen
Auf dem Weg durch Berlin mit einem gehbehinderten Kind
Wenn ich früher (damit meine ich die Zeit
vor meinen Kindern) in Berlin unterwegs
war, ging das ungefähr so: Kurz auf die Uhr
geschaut. Mist! Schon wieder zu spät. Noch
schnell einen Apfel schnappen, Jacke über den
Arm werfen und los, aufs Rad. Über dunkelorangene Ampeln fahren und es in der Toleranzgrenze von fünf Minuten doch noch
rechtzeitig zur Verabredung schaffen. Wenn
ich einen Zug erwischen musste und es gut
lief, stieg ich an der Station Schönleinstraße in
die U8 ein, einmal umsteigen am Alexanderplatz, weiter mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof. Noch schnell einen Kaffee kaufen
28
BARRIEREFREI - das Magazin
und rein in den Zug. Das alles war innerhalb
von 20 bis 25 Minuten gut zu schaffen. Wenn
es schlecht lief, bestellte ich ein Taxi, das ruckzuck da war und genau so schnell am Bahnhof. An guten Tagen ging das innerhalb von
15 Minuten.
Jetzt habe ich zwei Töchter, eine davon ist
mehrfach behindert. Sie ist drei Jahre alt und
kann nicht laufen. In ihrem Schwerbehindertenausweis steht 100 Prozent und die Buchstaben G, aG, H, Gl, RF. Ziemlich viele Buchstaben für so ein kleines Persönchen. Wir, ihre
Eltern, sind auf ein Leben mit ihr im
Kinder mit Behinderung
Rollstuhl eingerichtet. Zur Zeit ist sie noch so
klein, dass sie problemlos in einen Kinderwagen
passt – zum Glück auch in einen Doppelwagen
mit ihrer Schwester. Dieser Doppelwagen hat
übrigens das Format eines Rollstuhls. Von daher ist das Unterwegssein damit schon eine gute
Übung für „später“.
Wenn es jetzt darum geht, einen Zug zu erwischen – gemeinsam mit meinen Töchtern – geht
es spätestens eine Stunde vorher los. Auf das
Taxifahren verzichte ich mittlerweile. Es gibt
zu wenig Taxifahrer in Berlin, die einer Frau
mit Kind(ern) beim Auf- und Abbau eines Kinderwagens helfen. Ich schone also meine Nerven und nutze die BVG. Da die nächstgelegene
U-Bahn-Station nicht barrierefrei ist, schiebe
ich den Kinderwagen zum Kottbusser Tor. Dort
gibt es einen Aufzug. Wir müssen dort warten,
immer. Der Fahrstuhl ist jedes Mal voll besetzt.
Ich würde 100 Euro setzen und wetten, dass dies
der meist frequentierteste Aufzug Berlins ist. Eines Tages habe ich mal die Zeit gestoppt, bis der
Aufzug uns hinunter zur U-Bahn beförderte: 18
Minuten!
Am Kottbusser Tor fahren zwei U-Bahn-Linien,
es ist ein Verkehrsknotenpunkt, viele Menschen
steigen ein und aus. Viele dieser Menschen finden es anscheinend bequem, den Aufzug zu benutzen. Selbst wenn sie ganz gut zu Fuß sind. Ich
werde das nie verstehen. Denke ich an die Zeit,
bevor meine Tochter zur Welt kam, bin ich niemals auf die Idee gekommen, einen Aufzug zu
benutzen. Warum auch? Dauert ja viel länger als
zu Fuß.
Ich wäre nicht ich, wenn ich meinem Ärger nicht
mal ab und an Luft machen würde. Wenn ich die
Menschen, die gesunden Fußes die Fahrstühle
benutzen, darauf anspreche, hagelt es Beschimpfungen. Bisher durfte ich mir schon anhören,
dass ich selbst wohl behindert wäre und es deshalb ganz passend sei, dass ich den Fahrstuhl benutze. Nachdem ich einem Mann erklärte, dass
meine Tochter gehbehindert ist und wir auf den
Fahrstuhl angewiesen, entgegnete er:
„Na herzlichen Glückwunsch zu ihren Behindertenpunkten!“
Bei solchen Reaktionen werde selbst ich
sprachlos. Es ist ja außerdem so, dass die Aufzüge wirklich oft defekt sind, weil sie in Dauerbenutzung sind. Beim Umstieg in Hannover
verriet mir mal ein Bahnmitarbeiter, der mich
mit meiner Tochter von einem Gleis zum anderen begleitete, dass er schon oft beobachtet hätte, dass meistens Reisende die Aufzüge nutzen, die sie gar nicht brauchen und er
teilte meine Theorie, dass sie auch dadurch
so oft nicht funktionieren: Verschleißerscheinungen. Klingt logisch: Was viel benutzt wird,
geht schnell kaputt.
Wenn wir dann am Berliner Hauptbahnhof
angekommen sind (am Alexanderplatz müssen wir zum Umsteigen übrigens zwei unterschiedliche Aufzüge nutzen – verbunden mit
Wartezeiten) und am richtigen Gleis (auch
wieder mit voll besetztem Fahrstuhl, wenn wir
Glück haben), geht`s weiter mit dem nächsten
Problem: dem Ein- und Aussteigen bei öffentlichen Verkehrsmitteln und Zügen der Deutschen Bahn. Ich weiß, dass es bei mir Jammern
auf hohem Niveau ist. Mir ist es bewusst, dass
das für Rollstuhlfahrer_innen noch viel komplizierter ist. Doch schon mit unserem doppelten Kinderwagen bin ich wirklich oft entsetzt,
wie wenig hilfsbereite Menschen es gibt. In
der U-Bahn werde ich regelmäßig nach hinten gedrängelt. Am Berliner Hauptbahnhof
wollte mir ein Bahnmitarbeiter mal nicht in
die 1. Klasse helfen, weil wir „nicht reserviert“
hatten. (Zur Erklärung: Die Behindertenplätze sind meistens an der Grenze zwischen 1.
und 2. Klasse bei der DB – wir müssen also
gar nicht in der 1. Klasse reservieren). Immer
wieder bin ich erschreckt, dass die Menschen
in den Aufzügen, die ihn offensichtlich nur
wegen eines schweren Gepäckstückes gewählt
haben, nicht einmal Rollstuhlfahrer_innen ihren Platz überlassen. Ich bin jedes Mal wieder
empört; es passiert leider viel zu häufig.
BARRIEREFREI - das Magazin
29
Kinder mit Behinderung
Der Muskelprotz geht an mir und
meinen Kindern vorbei, während
die Oma Hilfe herbeiholt.
Zum Glück gibt es zwischen den unfreundlichen Gesichtern und unhöflichen Mitreisenden auch immer wieder kleine Helden, die
uns das Reisen erleichtern: Den Vater von vier
Kindern, der erst all seine Kinder in die Bahn
hievt und dann mit mir zusammen meine.
Das junge Mädchen, das mir beim Tragen des
Kinderwagens in die U-Bahn-Station hilft, obwohl sie so zierlich ist, dass schon ihre Handtasche zu schwer wirkt. Oft sind es genau die
Menschen, die Hilfe anbieten, von denen ich
es nicht unbedingt gedacht hätte.
30
BARRIEREFREI - das Magazin
Infobox
Mareice Kaiser lebt als freie Autorin in Berlin. Sie ist Mutter von zwei
Mädchen, mit und ohne Behinderung. Auf ihrem Blog Kaiserinnenreich.de schreibt sie seit Anfang
2014 über ihr inklusives Familienleben.
Quelle Fotos: privat
Was das Leben mit einem gehbehinderten
Kind wirklich schwer macht sind nicht unbedingt die Barrieren an sich – auch, aber nicht
nur! –, sondern vor allem die Barrieren in den
Köpfen der Menschen. Unterwegs sein mit
zwei Kindern, die nicht laufen können, macht
weder gute Laune noch Hoffnung auf Nächstenliebe oder Menschlichkeit. Es beweist eher,
wie unfreundlich ein Land wie Deutschland
Kindern gegenüber ist. Durch den Blickwinkel
als Eltern mit einem Kinderwagen nimmt man
die Mobilität in der Stadt ganz neu wahr. Als
Mama und Begleitperson eines behinderten
Kindes noch mal ein Stückchen detaillierter.
In Wien, wo ich ein Jahr lang gelebt habe, werden ganz selbstverständlich Plätze in öffentlichen Verkehrsmitteln an gebrechliche, behinderte, alte Menschen und schwangere Frauen
freigegebenen. Ein Aufkleber weist darauf hin
und alle halten sich dran. Auch in Berliner
Verkehrsmitteln kleben Aufkleber, die zeigen,
dass Sitzplätze für Rollstühle und Kinderwagen hochgeklappt werden soll. Bisher ist mir
dort ein einziges Mal ein Platz angeboten worden. Ansonsten muss ich immer danach fragen und wenn ich Glück habe, wird mir ohne
Augenrollen Platz für den Kinderwagen gemacht.
Dennoch: Ich gebe die Hoffnung auf mehr
Menschlichkeit und gegenseitige Hilfe nicht
auf. Denn zwischendurch tauchen sie immer
mal wieder auf, die Heldinnen und Helden
meines Alltags mit besonderen Herausforderungen. Dann erreichen wir auch unseren Zug
pünktlich.
Empowernde Architek tur
Wirtschaftliche Effizienz
durch Universal Design
Eine wertschätzende Haltung bei der Gestaltung von Räumen, Hilfsmit teln und sozialen Dienstleistungen ermöglicht Einsparpotentiale und Inklusion
Menschen im größtmöglichen Umfang genutzt werden können, ohne dass eine Anpassung oder ein spezielles Design erforderlich
ist.“ Genau derselbe Ansatz wurde innerhalb
des Bielefelder Modells (siehe Artikel „Benutzerfreundliche Architektur“ in der Ausgabe
06/2014 und „Universal-Design im Bad“ in
Ausgabe 09/2014) lange vor dem Inkrafttreten
der BRK umgesetzt. Das Ziel lautete seit dem
ersten bereits 1996 gestarteten Wohnprojekt:
Selbst Menschen mit sog. schweren Mehrfachbehinderungen und ältere Mieter mit einem
24-stündigen Assistenzbedarf können selbstbestimmt in eigenen Wohnungen leben. Ein
echt inklusives Wohnen, das bundesweit noch
sehr selten anzutreffen ist. Dabei beschränken
sich die Service-Leistungen nicht wie sonst
üblich nur auf Pflegeleistungen oder nur auf
Eingliederungshilfe. Die Erfahrungen zeigen,
die universell designten Dienstleistungen ermöglichen hinsichtlich der an Bedeutung
zunehmenden demografischen Entwicklung
wichtige Einsparpotentiale.
Das ErgoSystem® eignet sich selbst in Bädern
für junge Menschen und kann je nach Lebensphase flexibel nachgerüstet werden. Der
Brausekopfhalter von FSB kann ganz leicht
mit einer Hand verstellt werden, intergenerative Energieeinsparung und Benutzerfreundlichkeit.
Foto: FSB
Neben der Gestaltung von Gebäuden und Umfeldern fordert die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) auch ein Universal-Design
bei Dienstleistungen. Diese sollen „von allen
32
BARRIEREFREI - das Magazin
Duschsitze können mit dem ErgoSystem® leicht durch
einfaches Einhängen nachgerüstet werden.
Foto: FSB
Empowernde Architek tur
Zahlreiche weitere universell designte Produkt-
eine optimale Voraussetzung für eine sichere
lösungen, die möglichst jeder möglichst einfach
Raumwahrnehmung. PELLINI hat als Hersteller der
benutzen kann, sind leider noch viel zu wenig be-
ersten Stunde integrierte Jalousien weltweit auf
kannt. So gibt es z.B. von PELLINI/ScreenLine® im
dem Markt eingeführt und mittlerweile zahlrei-
Isolierglas integrierte Jalousien wie hier in einem
che weitere spannende Lösungen insbesondere
sozialen Wohnprojekt in Mailand zu sehen ist.
für die Wohnungswirtschaft entwickelt: z. B. leicht
PELLINI hat mit den vollkommen wartungsfreien
nachrüstbare elektrische Bedienmöglichkeiten, im
ScreenLine®-Produkten u. a. Rolllädenkästen als
Bestand sogar auch ohne aufwendigen Anschluss
Wärme- und Kältebrücken sowie schwer zu rei-
an das Hausstromnetz durch Batteriebetrieb und
nigende außen- und/oder innenliegende Lamel-
mögliche Solarzellen. Durch eine anpassbare Be-
len überflüssig gemacht. Die feinen Materialien
dienbarkeit von Jalousien, weniger Reinigungs-
im Glaszwischenraum ermöglichen eine exakte
aufwand und bessere Lichtverhältnisse können
Einstellung des flexibel anpassbaren Sonnen-,
ebenfalls kostenintensive Assistenzbedarfe einge-
Blend- und Hitzeschutzes bei einem maximal
spart und mehr Sicherheit gewährleistet werden.
möglichen Ausblick. Die dadurch mit mehr Tages-
Weitere Infos: www.pelliniscreenline.net und
licht durchfluteten Räume bieten allen Menschen
www.screenline.net
Allerdings ist dies nur möglich, wenn der Fokus auf interdisziplinäre Lösungen gelegt wird,
nicht wie oft üblich, auf disziplin-internes Sparen bei einzelnen mit hohen Assistenzbedarfen. Diese gesellschaftlich gewinnbringenden
Synergieeffekte aufgrund von Universal-Design, Hilfe zur Selbsthilfe und Inklusion, die
sich in den Wohnprojekten des Bielefelder
Modells entwickeln konnten, sind auch auf die
Gestaltung und Finanzierung von Hilfsmitteln
übertragbar. Denn Gegenstände, die „helfen“,
und stärken (empowern), können mit einem
guten Design so gestaltet sein, dass bestimmte kostenintensive Hilfeleistungen überflüssig
werden. Die BRK fordert eine Gestaltung, die
möglichst „ohne ein spezielles Design“, also
ohne diskriminierende Erscheinungsbilder,
von allen nutzbar ist. Diesen fortschrittlichen
Ansatz setzte der Griffhersteller FSB mit seinem ErgoSystem® ebenfalls lange vor Entstehung der BRK bereits im Jahr 2002 um. Der
Produktdesigner von FSB, Hartmut Weise,
hat die ergonomischen Bedürfnisse von Menschen beim Greifen genau untersucht und
ein Design für die Haltegriffe entwickelt, die
dem Nutzer durch ihre Form eine beachtliche Krafteinsparung ermöglicht. Das flexibel
aufrüstbare System erinnert überhaupt nicht
an Krankheit oder Pflege, im Gegenteil, sogar
in Bädern für junge Menschen und Familien
BARRIEREFREI - das Magazin
33
Empowernde Architek tur
gezeigt: Alle Menschen, auch Menschen mit
einem 24-stündigen Assistenzbedarf, können
mit größtmöglicher Selbstbestimmung und
ohne zu vereinsamen in einer eigenen mind.
45 qm großen Wohnung leben. Nur bei Fremdoder Selbstgefährdung kommt die Konzeption
an ihre Grenzen.
DD_10.2014
bietet es eine ganz neue Benutzerfreundlichkeit und Designqualität mit Nachhaltigkeit –
Menschen mit körperlichen Einschränkungen
erhalten Hilfsmittel, die die Selbstständigkeit
fördern und zu Einsparungen bei kostenintensiven Fachleistungen führen.
Lösung für Demografie
und Inklusion - universell designte Dienstleistungen
Wesentliches in der Gestaltung der sozialen
Dienstleistungen
Folgende Vorstellung scheint in der Alten- und
Behindertenhilfe starke Wurzeln zu haben:
„Nur Menschen mit wenig Unterstützungsbedarf können ambulant wohnen, ein hoher
Hilfebedarf kann ausschließlich in stationären Einrichtungen abgedeckt werden.“ Dass es
doch anders geht, hat das Bielefelder Modell
In den inklusiven Wohnprojekten in Bielefeld
gibt es multiprofessionelle Teams (z. B. Altenpfleger, Gesundheits- und Krankenpfleger,
Sozialarbeiter, Heilerziehungspfleger, Erzieher
usw.). Dadurch kann eine Vielzahl an unterschiedlichsten Assistenzleistungen abgedeckt
werden. In einem Wohnprojekt wohnte bei-
Barrierefrei – für
jede Fahrzeugklasse
Die ALUMAT Magnet-Doppeldichtungen
ermöglichen den schwellenlosen
Übergang bei allen Haus-, Balkon- und
Terrassentüren vom Wohnbereich nach
außen.
•
•
•
•
•
34
kein Verschleiß
20 Jahre Garantie
schlagregensicher
erhöhter Wohnkomfort
für Jung und Alt
ALUMAT Frey GmbH
| Im Hart 10 |- D-87600
Kaufbeuren | Tel.: +49 (0) 8341/4725 | www.alumat.de
BARRIEREFREI
das Magazin
Empowernde Architek tur
spielsweise eine Mutter, die an Chorea Huntington erkrankt war. Ihr Sohn konnte durch
den Einsatz der vorhandenen Heilerziehungspfleger bei seiner Mutter wohnen bleiben.
Die Pädagogen unterstützten den Sohn und
die Pflegefachkräfte die Mutter. Im Gegensatz dazu wird bei Einzug eines Elternteils in
eine konventionelle Pflegeeinrichtung ein gemeinsames Wohnen von dem betreffenden
Elternteil mit seinem Kind im Regelfall nicht
umgesetzt. Durch den neuartigen, fachübergreifenden Ansatz konnte eine breitgefächerte
sozialrechtliche Expertise bezüglich sozialgesetzbuchübergreifender Rechtsansprüche
aufgebaut werden (SGB II, V, VII, VIII, IX, XI,
XII). Möglichst alle Mieter sollen von den Angeboten der sozialen Dienste vor Ort im Quartier profitieren.
Überflüssiges vermeiden –
Bedeutender wirtschaftlicher Vorteil
Unterschiedliche Rahmenbedingungen für die Konzeptumsetzung
Das Münchner Wohnungsunternehmen GEWOFAG hat mittlerweile an fünf Standor ten
ihr Wohn- und Versorgungskonzept "Wohnen
Dadurch wurden in der Behinderten- und
Altenhilfe neue Lösungen entwickelt. Die Behindertenhilfe kann sich weiter entwickeln,
denn es entstehen ganz normale und inklusive
Mietwohnungen, von deren Nutzung niemand
durch unnötige Schwellen, zu enge Bewegungsräume oder zu hohe Mieten ausgeschlossen wird. Derartig flexibel vermietbare Wohnungen, die auch Menschen mit sog. schweren
Mehrfachbehinderungen nutzen können, sind
bundesweit bis heute Mangelware. Und in der
Altenhilfe gibt es neben einer bisher noch seltenen, sturzpräventiven Architektur aufgrund
von Schwellenlosigkeit einen immensen wirtschaftlichen Nutzen: Die sonst übliche Betreuungspauschale, die in den konventionellen
Anlagen des betreuten Wohnens im Regelfall
durchschnittlich 100 bis 160 Euro monatlich
beträgt, müssen die Mieter nicht bezahlen. Alle
Bürger im Umkreis von rund 500 bis 1.000 Metern können sich durch die Anwesenheit von
Fachkräften rund um die Uhr sicher fühlen.
im Vier tel" in Anlehnung an das Bielefelder
Modell umgesetzt, 2015 kommen sechs weitere Standor te hinzu. Hier ist der erste Standor t am Innsbrucker Ring mit seiner farbigen
Lärmschutzbebauung zu sehen, der im Dezember 2007 eröffnet wurde. Foto: GEWOFAG
Grundsätzlich bewährt sich die Wohnkonzeption des Bielefelder Modells, denn es gibt bundesweit Folgeprojekte.
Allerdings sind die Rahmenbedingungen je
nach Bundesland und Stadt unterschiedlich.
Im nordrhein-westfälischen Bielefeld können
Bürger mit Anspruch auf Sozialhilfe aufgrund
von entsprechenden Vereinbarungen mit dem
Sozialamt bereits seit Mitte der neunziger Jahre
die Leistungen der sog. „Anderen Verrichtungen“ (SGB XII § 61) von ambulanten Diensten
erhalten. Und auch in München werden innerhalb der Wohnprojekte "Wohnen im Viertel",
angelehnt an das Bielefelder Modell, bereits
BARRIEREFREI - das Magazin
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Empowernde Architek tur
seit 2008 Leistungen im Rahmen der „Anderen
Verrichtungen“ finanziert, wo hingegen z.B. in
Baden-Württemberg laut dem zuständigen Sozialministerium keine Rahmenverträge
zwischen den Leistungsträgern und den ambulanten Diensten über Leistungen für „Andere Verrichtungen“ existieren. Die Entscheidung, ob vor Ort für „Andere Verrichtungen“
Vereinbarungen abgeschlossen werden, läge
im pflichtgemäßen Ermessen des jeweiligen
örtlichen Sozialhilfeträgers. Auch die Leistungen für die Eingliederungshilfe unterscheiden
sich stark. Im Bundesdurchschnitt lagen die
Nettoausgaben für die Eingliederungshilfe
2012 bei 170,7 Euro je Einwohner. Die niedrigsten Pro-Kopf-Netto-Ausgaben hatten Baden-Württemberg (123,10 Euro) und Sachsen
(101,60 Euro).
Das Bielefelder Modell hat gezeigt: Menschen
mit hohem Assistenzbedarf können selbstbestimmt und dezentral in eigenen Mietwohnungen leben. Gewiss sind hier höhere finanzielle
Aufwände in Einzelfällen notwendig, die dann
allerdings, disziplinübergreifend betrachtet,
z.B. in der Altenhilfe bedeutende Einsparungen ermöglichen. Die anstehenden Herausforderungen aufgrund von Demografie und
Inklusion benötigen nach diesen Erfahrungen eine neue wirtschaftliche Effizienz durch
interdisziplinäres Kalkulieren. Ein pauschales
Sparen von nur einer Disziplin oder innerhalb
nur eines „Geldtopfes“ führt nicht immer zur
wirtschaftlichsten Lösung.
Wirtschaftlich effiziente
Hilfsmittel durch
Empowerment
Hilfsmittel sollen laut Sozialgesetzbuch unter
anderem „eine Behinderung ausgleichen“ (§ 33
SGB V), die Pflege erleichtern und eine selbstständigere Lebensführung ermöglichen (§ 40,
SGB XI). Je effektiver Hilfsmittel die Selbstständigkeit fördern, desto geringer werden die
Pflegebedarfe und die Kosten für Assistenz.
Weiterhin können derartige Hilfsmittel Angehörige entlasten, deren Einsatz unter anderem, gesamtgesellschaftlich betrachtet, extrem
wertvoll ist, denn auch sie ersetzen häufig
zahlreiche kostenintensive Fachleistungen. Allerdings erinnern gerade die Erscheinungsbilder von klassischen Hilfsmitteln oft an Krankheit, Pflege und Defizite. Sie weisen entgegen
der BRK häufig ein spezielles Design auf, das
durch negative Assoziationen diskriminierende Wirkungen erzeugt. Innerhalb der Disziplin
„Produktdesign“ lautet das Ziel von Beginn an
anders, nämlich eine ästhetische Qualität mit
einer maximalen Benutzerfreundlichkeit zu
erzeugen. Und genau das hat FSB beim Thema Haltegriffe einzigartig neu umgesetzt. Der
FSB-Designer Hartmut Weise wollte Hilfsmittel schaffen, die zu einer optimalen Krafteinsparung für die Nutzer führen und in der Optik Wertschätzung vermitteln. Er legte dabei
seinen Fokus nicht auf die Defizite, sondern
auf die Ressourcen. Dadurch erreichte er die
Ziele der Sozialgesetzgebung bei Hilfsmitteln
für Haltegriffe mit höchster Effizienz.
Infobox
Zu den „Anderen Verrichtungen“ zählen Leistungen, „die den in § 61 Abs. 5 SGB XII genannten Bereichen der Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftlichen
Versorgung zuzuordnen, dort bei den einzelnen Verrichtungen aber nicht benannt sind.“
„Andere Verrichtungen“ können sein: Ganztägige Betreuung, tagesstrukturierende Maßnahmen, Orientierung im häuslichen und außerhäuslichen Bereich, Schutz vor Selbstund Fremdgefährdung sowie Beaufsichtigung und Anleitung.
(Wilcken, Christine: Pflegebedürftigkeit und Behinderung im Recht der Rehabilitation
und Teilhabe und im Recht der Pflege, LIT Verlag, Berlin: 2011)
36
BARRIEREFREI - das Magazin
Empowernde Architek tur
Einsparung von Assistenzleistungen durch gutes
Design
gungsabläufe im Bad viel einfacher und sicherer ausführen kann. Dadurch werden meine
vorhandenen Fähigkeiten gestärkt und meine
Frau entlastet!“
Noel de Lapor te (Name anonymisier t) hat von
FSB eine individuell angepasste Griffkombination erhalten, die seine Autonomie stärkt. Die
doppelte Anordnung der Haltestangen und
Brausekopfhalter bietet ihm die Möglichkeit,
den Duschvorgang entweder auf der rechten
oder auf der linken Seite durchzuführen.
Fotos: Ulrike Jocham
Noel de Laporte (Name anonymisiert) hatte
vor 6 Jahren einen unverschuldeten Motorradunfall. Seither spürt er die Folgen täglich.
Seine Mobilität erhält er sich, abgesehen von
der Nutzung von Rollstühlen und Gehstützen,
mit einer auf ihn abgestimmten Wohnraumanpassung. Auf einem Campingplatz in der
Schweiz am Morteratschgletscher konnte er
zum ersten Mal die Haltgriffe des ErgoSystems
ausprobieren. Von da an hat er alles daran gesetzt, sein Bad mit diesen einzigartigen ovalen
und geneigten FSB-Griffen auszustatten: „Ich
habe gemerkt, dass ich die üblichen Bewe-
Designer Weise kann den Effekt des Kraft-Einsparens einfach erklären: „Bei dem Gebrauch
einer Axt oder eines Hammers z. B. kommt es
auf sichere und kraftsparende Handhabung an.
Weil der Griff oval statt rund ist, kann dieser
viel leichter gegriffen werden. Die Schnittstelle zwischen Hand und Griff ist formschlüssig
und sichert so gegen Verdrehungen. Genauso
optimal passt unsere Greifform in die Hand
der Nutzer. Die schräge Position des elliptischen Haltegriffs führt zur Bildung eines stabilen Hand-, Arm- Körperachsendreiecks und
stärkt so das Körperpotenzial durch Verringerung der Haltekräfte. Es entsteht ein Gewinn
von Lebensqualität durch körperliche und koordinative Entlastung!“
Laut GKV-Spitzenverband und AOK Baden-Württemberg ist die Aufnahme eines
bestimmten Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis keine Voraussetzung für eine Kostenübernahme durch die GKV/GPV. Es handle
sich hier um keine Positivliste.
BARRIEREFREI - das Magazin
37
Empowernde Architek tur
Vielmehr sei die sozialmedizinische Indikation für die jeweilige Hilfsmittelversorgung ausschlaggebend. Demografie, Inklusion und die
BRK erfordern neue interdisziplinäre Lösungen sowie einen neue wertschätzende Haltung,
die sich im Design von Dienstleistungen und
von Architektur wiederfinden. Wohnkonzeptionen und Hilfsmittel, die dies nicht erfüllen,
können gerade bei den aktuellen demografischen Entwicklungen einen höheren finanziellen Aufwand erzeugen, der in keiner Relation
zu eventuell einmalig höheren Anschaffungskosten oder höheren Kosten in Einzelfällen
stehen. Deshalb ist Mut zu fachübergreifendem Handeln gefragt!
FSB-Haltegriffe zum Ausprobieren
bei Handic ap Construc t
Das Sanitätshaus Saniplus Handicap Construct GmbH in Fritzlar verfügt über ein Ausstellungsbad, das mit Produkten des speziellen
ErgoSystems von FSB und dessen Haltegriffen
mit ovalem und geneigtem Querschnitten verfügt. Alle sind zum Probieren herzlich eingeladen. „Gerne unterstützen wir Kunden, die
durch den ergonomischen Querschnitt der
FSB-Produkte mehr Selbstständigkeit erlangen können, bei den notwendigen Antragsstellungen.“, so der Geschäftsführer Lars Dirksen.
www.saniplus-fritzlar.de
Text: Ulrike Jocham
Weitere Infos: www.bgw.de, www.gewofag.de, www.fsb.de/ergosystem, www.pelliniscreenline.net
Die Autorin
Die Autorin Ulrike Jocham ist Inhaberin der Unternehmensberatung
„inklusiv wohnen/inklusiv leben“ aus Stuttgart. Sie hat die Informationskampagne
“Schwellenfreiheit und Benutzerfreundlichkeit in der Architektur” gestartet, die über interdisziplinäre Aufgabenstellungen und bereits vorhandene Lösungen informiert. Als
Dipl.-Ing. der Architektur und Heilerziehungspflegerin verbindet sie mit ihrer Schnittstellenkompetenz alle am Thema Demografie und Inklusion beteiligten Professionen.
www.inklusiv-leben.de
38
BARRIEREFREI - das Magazin
BARRIEREFREI - das Magazin
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Behinder tenspor tler
Erfolg auf ganzer Linie
Die Wintersportlerin Anna Schaffelhuber
(Ski-Alpin), der Deutsche Meister im Weitsprung, Markus Rehm, und die Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft der Damen sind
die Behindertensportler des Jahres 2014. Bei
einem Festakt mit 400 Gästen im Deutschen
Sport & Olympia Museum in Köln wurden sie
am Samstagabend geehrt.
Nachdem die Vorauswahl von Journalisten getroffen wurde, konnte zwei Wochen lang unter
anderem auf sportschau.de, zdfsport.de, sport1.
de und kicker.de online abgestimmt werden.
Das ARD-Morgenmagazin stellte wahlbegleitend zur DBS-Sportlerwahl die nominierten
Sportlerinnen und Sportler vor.
An der Ehrung nahmen Spitzenpolitiker, Sportler, Vertreter aus Gesellschaft und Wirtschaft,
40
BARRIEREFREI - das Magazin
Partner und Förderer des Deutschen Behindertensportverbands (DBS) sowie die Medien teil.
„Die diesjährigen Preisträger haben weltweite
Topleistungen erbracht und setzten sich zunächst bei der Vorauswahl durch Journalisten
und schließlich bei einer Publikumsentscheidung deutlich durch. Sie stehen damit beispielhaft für die vielen Weltklasse-Athletinnen und
-Athleten im deutschen Sport der Menschen
mit Behinderung“, sagte DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher, der im Rahmen der Veranstaltung nicht nur die Leistungen der Sportlerinnen und Sportler hervorhob, sondern auch
das Engagement der Partner des DBS würdigte.
Im Rahmen der Ehrung der Behindertensportler des Jahres 2014 wurde der Sonderberater
des UN-Generalsekretärs für Sport im Dienste
Quelle Text & Fotos: DBS, Fotograf Ralf Kuckuck
Behindertensportler des Jahres gekürt
Behinder tenspor tler
von Frieden und Entwicklung, Wilfried Lemke,
vom Deutschen Behindertensportverband für
sein Engagement im Behindertensport mit dem
Ehrenpreis ausgezeichnet.
Die Sieger
Anna Schaffelhuber (21, TSV Bayerbach)
Die Regensburgerin Anna Schaffelhuber
nimmt die Auszeichnung zur Behindertensportlerin des Jahres bereits zum dritten
Mal entgegen. Erstmals konnte sich die Monoski-Fahrerin 2011 über den Titel freuen,
nachdem sie bei der Alpin-WM in Sestriere dreimal Gold gewann. Im Jahr 2013 holte
die 20-Jährige bei der Weltmeisterschaft in La
Molina (Spanien) Gold im Slalom sowie zwei
Silber- und zwei Bronzemedaillen. In diesem
Jahr gewann sie bei den Paralympischen Winterspielen in Sotschi in den alpinen Skiwettbewerben gleich fünf Goldmedaillen: im Slalom,
im Riesenslalom, im Super-G, in der Abfahrt
und in der Superkombination.
Markus Rehm (26, TSV Bayer 04 Leverkusen)
Die Wahl zum Behindertensportler des Jahres
ist für Markus Rehm die Krönung eines erfolgreichen Jahres. Der gebürtige Göppinger
sorgte für einen Paukenschlag, in dem er bei
den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften
gegen die nicht behinderten Sportler antrat
und mit einer sensationellen Weite von 8,24
Metern gewann. Damit verbesserte er zudem
seinen eigenen paralympischen Weltrekord
um 29 Zentimeter und sprang als erster paralympischer Athlet über acht Meter. Weil er
vom Deutschen Leichtathletik-Verband aber
nicht für die Europameisterschaften nominiert wurde, löste er eine bis heute andauernde
Diskussion aus und rückte die Inklusion in das
Licht der Öffentlichkeit. Bei den Europameisterschaften des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) in Swansea 2014 siegte
er im Weitsprung und kam über 100 Meter auf
den Bronzerang.
Damennationalmannschaft im Rollstuhlbasketball: Team des Jahres 2014
Zum ganz großen Titel hat es 2014 für die Paralympics-Sieger von London, die Damennationalmannschaft im Rollstuhlbasketball, nicht
gereicht. Aber Platz zwei bei der Weltmeisterschaft in Toronto ist aller Ehren wert. Im Finale unterlag die Mannschaft von Bundestrainer
Holger Glinicki den Gastgeberinnen knapp
mit 50:54. Der Lohn für diese Saison ist die
Wahl zur Mannschaft des Jahres. Diese Auszeichnung nehmen die Rollstuhlbasketballerinnen bereits zum dritten Mal entgegen.
v.l.: 1. Reihe: Simone Kues, Edina Müller, Laura
Fürst, Annika Zeyen, Cheftrainer Holger Glinicki, Anna Schaffelhuber, 2. Reihe: Mareike Miller, Linda Dahle, Gesche Schünemann, Steffi
Nerius ( Trainerin von Markus Rehm), Ole Schröder (Staatsekretär Bundesministerium des Inneren) und Moderator Peter Großmann
BARRIEREFREI - das Magazin
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Andi
K apfinger
Mit dem
Rollstuhl
in den
Rennsport
42
BARRIEREFREI - das Magazin
Motorspor t
Andi Kapfinger, 37 Jahre, hat sich gerade einen lang gehegten Traum erfüllt: Autorennen
fahren. „Zusammenwachsen und dann: Einssein!“ schwärmt Andi.
Als Vizemeister im Alpencup startet der
Ausnahmesportler jetzt seine „richtige“
Rennsport-Karriere im Team RING POLICE.
Dabei will er sich mit „normalen“ Fußgängern
messen.
„Normalerweise“ fährt er Rollstuhl. Ein
schwerer Snowboardunfall vor 18 Jahren veränderte sein jugendlich-verrücktes Leben. Bis
dahin war er ein erfolgreicher Sportler, auch
im Extrem-Riding. Aber statt auf dem Board
landete er rücklings auf der harten Piste. Die
Folge: Künstliches Koma und das Erwachen in
einer anderen Welt. Andis Meinung dazu:
Jeder wird vom Leben irgendwann mal in die Enge getrieben.
Aufgeben? Nein, niemals.
Dieser Ehrgeiz und seine unermüdliche Motivation waren ausschlaggebend dafür, dass er
wieder an die sportlichen Erfolge von früher
anknüpfen konnte. Jetzt halt nur im Sitzen. Im
Winter widmet er sich mit Leidenschaft dem
Mono-Ski-Sport (Slalom).
Im Sommer trainiert er auf dem Asphalt weiter. Er schaffte es sogar mehrmals zu den Paralympics.
Was passt da besser als die GT-Serie im BMW
M235i Racing? Hier messen sich Fahrer in
baugleichen, speziell von BMW Motorsport in
enger Zusammenarbeit mit den Werks-Rennfahrern entwickelten Rennautos.
Gepunktet werden 10 Rennen pro Jahr. Eigene Veränderungen müssen gemeldet und abgenommen werden. Zu seiner notwendigen
Umrüstung kommt noch eine weitere technische Herausforderung: Seine Fahrhilfen am
Boxenstopp so zu konstruieren, dass sie in
Sekundenschnelle entfernbar sind, damit der
nächste Sportler, ein Fußgänger, mit dem gleichen Fahrzeug auf die Bahn kann.
Das macht diesen Wet tbe werb absolut neu und einzigartig.
Andi weiß genau, was er will. Für seine Umrüstung suchte er die Besten und seine Wahl fiel
BARRIEREFREI - das Magazin
43
Motorspor t
zenden Augen dabei. Auch er verbringt seine
Wochenenden auf dem Nürnburgring und
betreut seit über 5 Jahren gleich 2 Autos mit
seiner beruflichen Kompetenz.
Kapfinger fühlte sich hier sofort zuhause:
Fachsimpeln, konstruktive Lösungssuche und
gemeinsam mit ihm die richtige Umrüstung
finden. Anfang August 2014 absolvierte er
die erste Testfahrt im Circuit Zolder, Belgien.
Alles verlief perfekt: Nachbesserungen waren
nicht erforderlich!
Andi Kapfinger hat viele Ziele, die sich auch in
seiner Lebensphilosophie wiederfinden.
auf das Unternehmen Petri + Lehr in Dietzenbach. Diese Firma kann mit der längsten Tradition in der Mobilität für Menschen mit körperlichen Einschränkungen aufwarten.
Das allerdings wusste er noch nicht. Ihm waren das technische Know-how und die Kompetenz im Rennsport wichtig. Der technische
Leiter bei Petri + Lehr ist ebenfalls mit glän-
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BARRIEREFREI - das Magazin
„Ich sehe in meinem Sport nicht nur
die Möglichkeit, meine Zukunft zu
gestalten. Ich möchte vor allem
zeigen, dass sich das Leben mit einer Behinderung zwar ver ändert,
aber trotzdem gleichwertig und
lebenswert bleibt.“
Spor tangebote
Bewegung statt Winterblues
Neue Angebote für sportbegeisterte Amputierte in Walldorf, Hoffenheim und Eutin
Nordic Walking-Gruppe in Walldorf
Endlich mal wieder Tempo aufnehmen. Gerade zum Wiedereinstieg in sportliche Aktivitäten nach Amputationen ist es der ideale Sport.
Die Stöcke verschaffen zusätzliche Sicherheit
und Nordic-Walking kann überall ausgeführt
werden. Das Verbessern der Ausdauer und
auch des Immunsystems ist ganz selbstverständlich. Nordic-Walking steigert das Wohlbefinden und ist eine gute Grundlage für alle
anderen Sportarten. Dabei kann das eigene
Tempo gefunden werden. Ob sportlich oder
weniger sportlich – in jeder Umgebung den
Wechsel der Jahreszeiten beim flotten Gehen
erleben, das tut gut, ist gesund und macht fit.
Ab März 2015|Teilnehmer maximal: 10
|Treffpunkt Anpfiff ins Leben e.V. Schwetzinger Str. 92a, 69190 Walldorf
tierte und Menschen mit Gliedmaßen-Fehlbildungen. Letztere haben den großen Vorteil,
dass sie ohne Prothesen spielen können.
Menschen mit und ohne Handicap spielen im
wahren Wortsinn auf Augenhöhe und gleichberechtigt miteinander. Sie baggern, pritschen
und schmettern gemeinsam um den Sieg. Sie
profitieren und lernen voneinander.
Wann: Dienstag von 19:30 – 21:30 Uhr |Start
ab 30.09.2014 |Treffpunkt Sporthalle Hoffenheim
Anmeldungen und weitere Auskünfte:
E-Mail: [email protected]
Fax: 06227 35816-5502
Sitzvolle yball-Tr aining
Im Rahmen des Projektes „Inklusion – Sport
für und mit Amputierten“ wird beim PSV in
Eutin/SH ebenfalls eine neue Gruppe aufgebaut. Trainingszeiten sind voraussichtlich
Montags von 20.00-22.00 Uhr. Unterstützt
wird die Aktion von der Nationalspielerin Jana
Puschmann aus Kiel.
Sitzvolleyball kann von allen Sportlerinnen und
Sportlern gleichermaßen gespielt werden. Es ist
ein klassischer Mannschaftssport. Besonders
geeignet für Menschen mit Kniebeschwerden,
Beinbehinderungen und ideal für Beinampu-
Anmeldungen und weitere Auskünfte:
Friedel Böhm-Vatterodt
Tel: 04528 - 9135571
E-Mail: [email protected]
BARRIEREFREI - das Magazin
45
Erblindung
Wenn das
Augenlicht
langsam
erlischt
Lässt die Sehfähigkeit nach, hat das weitreichende Folgen. Dem Betroffenen steht meist
eine Zeit der Unsicherheit, Wut und Hilflosigkeit bevor. Aber auch für die Angehörigen
ist das eine schwierige Situation: Sie wollen
helfen, wissen aber oft nicht wie.
Sehbehindert ist ein Mensch, wenn er auf
dem besser sehenden Auge selbst mit Brille
46
BARRIEREFREI - das Magazin
oder Kontaktlinsen nicht mehr als 30 % von
dem sieht, was ein Mensch mit normaler Sehkraft erkennt. Hochgradig sehbehindert ist er
dann, wenn er nicht mehr als 5 % erkennen
kann. Von Blindheit spricht man, wenn dieser
Mensch nicht mehr als 2 % von dem sieht, was
andere mit normaler Sehkraft erkennen.
An dieser Stelle folgt nun oft eine Zahl, wieviele blinde Menschen es in Deutschland gibt.
Aber:
In Deutschland werden blinde und
sehbehinderte Menschen nicht gez ählt.
Unglaublich, da man doch alles mit Zahlen
hinterlegt und begründet? Blindengeld, Kran-
Erblindung
kenkassenzuschüsse, usw.? Es ist wahr. Die
Zahlen können nur geschätzt werden (z. B.
durch Blindengeldempfänger – wer keines beantragt hat, ist auch schon wieder raus). Durch
Hochrechnungen kann man von ca. 1,2 Millionen Menschen ausgehen. Bayern hat zudem
interessante Zahlen im Jahr 2013 veröffentlicht: Ende des Jahres erhielten 14.655 Personen Blindengeld. Annähernd 2/3 davon sind
65 Jahre und älter, 42,1% sind 80 Jahre und
älter. Über die Hälfte der Leistungsempfänger
sind weiblichen Geschlechts.
Augenerkr ankungen sind bei uns
im Land die häufigste Ursache von
Sehbehinderung oder Erblindung.
Darunter fallen zum Beispiel:
• Altersabhängige Makula-Degeneration
(AMD)
• Glaukom (Grüner Star)
• Diabetische Retinopathie
• Uveitis (Entzündung der Uvea)
• Retinitis Pigmentosa (erbliche
Erkrankungen der Netzhaut)
• Netzhautablösung
• Grauer Star (Katarakt)
• Aniridie (Iris nicht oder nur
unvollständig ausgebildet)
Infobox
Wie kann aber nun Betroffenen geholfen werden? Anlässlich der Woche des Sehens, die
jedes Jahr im Oktober stattfindet, haben drei
Selbsthilfeorganisationen blinder und sehbehinderter Menschen die folgenden Tipps zusammengestellt:
Ordnung hat für sehbehinderte
Menschen eine besondere Bedeutung:
• Gegenstände sollten einen festen Platz haben,
denn Suchen fällt den Betroffenen schwer.
• "Wandernde" Gegenstände sind zudem Stol‐
perfallen.
• Flaschen und andere höhere Gefäße (z. B. Va‐
sen) sollten an die Wand geschoben werden.
• Beim Sortieren helfen Körbe, bei denen
Materialien und Formen möglichst unter‐
schiedlich sind.
Erblindung durch Diabetes
Zu den Spätfolgen von Diabetes mellitus gehört die Erkrankung der kleinen Blutgefäße
(Mikroangiopathie). Besonders häufig sind hiervon die Augen, genauer gesagt, die Netzhaut betroffen. Die entstehenden Schäden nennt man diabetische Retinopathie.
In Deutschland ist Diabetes mellitus immer noch die häufigste Ursache für Erblindung.
Typ-1-Diabetiker sind wesentlich häufiger von einer Retinopathie betroffen: Nach 15 Jahren leiden über 90 Prozent an einer Retinopathie. Bei Typ-2-Diabetikern findet man bei
36 Prozent Veränderungen an der Netzhaut, wenn erstmals Diabetes festgestellt wird.
Der weitere Verlauf hängt vom Verlauf der Diabeteserkrankung ab, daher ist eine regelmäßige Kontrolluntersuchung mindestens einmal im Jahr sinnvoll.
BARRIEREFREI - das Magazin
47
Erblindung
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BARRIEREFREI - das Magazin
Starke Kontr aste machen es sehbehinderten Menschen einfacher, etwas zu erkennen. Beispiele:
• Helles Geschirr auf dunklem Tischset (oder
umgekehrt)
• Kaffee-Becher- oder Tassen, die innen hell
sind, so dass man den Kaffee besser sieht
• Dunkle Armaturen im weißen Bad
• Weißer Lichtschalter auf weißer Wand?
Einfach einen dunklen Rahmen drum
herum malen.
Was noch hilft:
• Wichtige Notizen, Telefonnummern und
Termine mit dickem, schwarzem Filzstift so groß schreiben, dass ein Betroffener sie le‐
sen kann (ausprobieren!).
• Eine gute Versorgung mit Sehhilfen durch
spezialisierte Optiker sollte gewährleistet
sein (zum Beispiel eine Handlupe oder auch
Quelle Text & Fotos: www.angehoerige.dbsv.org; DBSV/A.Friese
• Gewürze sollte man in ganz unterschiedli‐
chen Gefäßen aufbewahren, um sie leichter
auseinander zu halten.
• Ein Tablett mit erhöhtem Rand kann auf
dem Tisch als "sicherer Ort" für beispiels‐
weise Kaffeetasse und Kanne genutzt wer‐
den. Dann wird auch ein Verschütten
nicht zur Katastrophe.
• Tisch- und Ablageflächen sollten übersicht‐
lich, Arbeitsflächen sollten frei gehalten
werden.
• Türen nicht halboffen stehen lassen und
Schranktüren immer schließen – Verlet‐
zungsgefahr.
• Keine Taschen, Pakete oder andere Hinder‐
nisse in den Weg stellen, auch nicht für kur‐
ze Zeit – speziell auf Treppen!
Erblindung
ein Bildschirmlesegerät)
• Investition in helle, indirekte und gut
anpassbare Beleuchtung (hierbei können
Reha-Lehrer beraten).
• Viele sehbehinderte Menschen sind blend empfindlich, Jalousien können helfen.
• Einfache Elektrogeräte mit übersichtlichen
Knöpfen sind für Betroffene besser zu be‐
dienen (bei Backofen, Mikrowelle etc. kann
man tastbare Markierungspunkte aufkle‐
ben, die wichtige Schalter-Positionen mar‐
kieren, beispielsweise an der Waschmaschi‐
ne 30, 60 und 90 Grad).
• Hilfreich ist ein Telefon mit großen, kon trastreichen Zahlen. Es sollte schnurlos sein
oder einen festen Platz haben, denn Kabel
sind Stolperquellen.
Zudem gibt es noch die sogenannten „Goldenen Regeln“, die beachtet werden sollten:
Alle MaSSnahmen sollten grundsätzlich vorher mit der sehbehinderten Person besprochen und abgestimmt werden.
Selbstständige Aktivitäten sollten unterstützt
werden, auch wenn manches länger dauert
oder mühsam erscheint. Gut und hilfreich
ist auch der Kontakt zu anderen Betroffenen,
zum Beispiel in Selbsthilfegruppen. So können
manchmal auch psychische Folgen einer Augenkrankheit besser verarbeitet werden.
Beratungsstellen informieren mit wertvollen
Hinweisen über Hilfsmittel, deren Finanzierung und weiteren Rechtsansprüchen.
Fast immer verändert sich das Leben als Angehöriger ebenfalls, sei es durch Anteilnahme
und/oder Betreuung. Auch sie sollten sich Hilfe holen, wenn die Belastung zu groß wird.
BARRIEREFREI - das Magazin
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BRAILLESCHRIFT
Auf den Punkt gebracht:
Louis Braille und sein Schriftsystem
Den meisten Menschen in der Welt ist die
Blindenschrift als solche bekannt. Allerdings
kommen lange nicht alle Blinden und Sehbehinderten mit ihrem Punktsystem so gut zurecht, dass sie sich ohne weitere Hilfsperson
und technische Mittel orientieren können.
Trotzdem ist sie für viele Sehbehinderte eine
sinnvolle und weitreichende Erfindung, die
sie unabhängig von anderen Personen macht.
Erfunden hat diese Schrift der im Alter von
4 Jahren erblindete Louis Braille, der durch
einen Unfall und eine Infektion sein Augenlicht verlor. An seinem Geburtstag, dem 4.
Januar, erinnert heute noch der Welt-BrailleTag an seine Verdienste durch die Entwicklung dieser Punktschrift.
Louis Braille war ein sehr wissbegieriger Junge, der trotz seiner Blindheit unbedingt lesen
lernen wollte. Er lernte in der von ihm besuchten Blindenschule eine geprägte Schrift, die
sehr schwierig zu ertasten und zu „be-greifen“
war. Im Alter von 11 Jahren hörte er von der
„Nachtschrift“, die, militärisch genutzt, ebenfalls sehr schwierig zu erlernen war, und die
50
BARRIEREFREI - das Magazin
Aber es dauerte noch weitere 25 Jahre, ehe sich
die Brailleschrift durchsetzte. Louis Braille war
es leider nicht gegönnt, diesen Siegeszug noch
zu erleben. Er starb 1852 an einer Tuberkulose-Erkrankung. In Deutschland wurde die
Brailleschrift 1879 eingeführt.
Mittlerweile werden jährlich deutschlandweit
mehrere Wochenzeitungen, 500 neue Bücher
im Printformat und die „Tagesnachrichten für
taubblinde Menschen“ herausgegeben. Außerdem gibt es neben der kaum veränderten
Punktschrift von Braille eine Kurzschrift sowie
eigene Schriftsysteme für Musiknoten, mathematische Formeln und Strickmuster. Für den
Computer wurde ebenfalls eine zusätzliche
Zeile eingefügt, bestehend aus acht Punkten.
Die Verbreitung der Brailleschrift wird zwar
weltweit gelehrt, nimmt aber immer mehr ab.
Nur 20% der Blinden in Deutschland hat in
der Schule oder anderen Bildungseinrichtungen gelernt, die Punkte von Braille zu ertasten.
Mit der Entwicklung von Vorleseprogrammen, sogenannten Screenreadern, die Internetseiten akustisch oder über eine Braillezeile
übersetzen, wird die Nutzung der Blindenschrift weiter zurückgedrängt.
Weitere Infos & Kurse beim DBSV:
Telefon-Nr. 01805-66 64 56 (14 ct./Min.)
oder unter www.dbsv.org.
Quelle: VdK-Zeitung, Ausgabe Nord, 68. Jahrgang, Nr. 12/1 (Dez. 2014/Jan. 2015)
aus zwölf Punkten – als Ersatz für ganze Silben – bestand. Louis vereinfachte diese Schrift
und verringerte die Punktzahl auf sechs: drei
in der Höhe und zwei in der Breite. Für jeden
Buchstaben im Alphabet erfand er eine eigene
Kombination dieser Punkte. Im Jahr 1825, als
er 16 Jahre alt war, hatte er es geschafft. Die
Schrift war fertig.
BARRIEREFREIER TOURISMUS
Mit Gebärdensprache die
DASA Arbeitswelten entdecken
Die Wasserwand in der DASA und Blick in die Abteilung "Am Bildschirm".
Quelle Foto: DASA Arbeitswelten
DASA? DASA!
Die DASA ist Deutschlands größte Arbeitswelt - Ausstellung. Früher hieß sie etwas sperrig "Deutsche Arbeitsschutzausstellung".
Speziell für Menschen mit Höreinschränkungen bietet die DASA Arbeitswelt - Ausstellung
in Dortmund alle 2 Monate Führungen in Gebärdensprache an.
Bei einem allgemeinen Rundgang durch die
DASA erklärt ein gehörloser Gästeführer viele Aspekte rund um Arbeitswelten aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dabei
entdecken Teilnehmer zum Beispiel, wie laut,
wie heiß und wie anstrengend die Arbeit in
der Stahlindustrie war. Oder wo Gefahren am
Schreibtisch und im Büro lauern können. Wer
möchte, probiert im Anschluss einige Mitmach-Stationen in der DASA aus. So kann
man zum Beispiel eine Karte auf einer alten
Druck-Presse drucken oder in einem modernen Fahr-Simulator einen LKW steuern.
Für die Führung ist eine vorherige Anmeldung
beim DASA Besucherservice per E-Mail unter
[email protected] erforderlich.
Die Ausstellung ist ebenfalls weitgehend für
Menschen mit Mobilitätseinschränkungen zu
besuchen.
BARRIEREFREI - das Magazin
51
Porec
BARRIEREFREIER TOURISMUS
52
BARRIEREFREI - das Magazin
BARRIEREFREIER TOURISMUS
Kroatien –
Winter mal
(wo)anders
BARRIEREFREI - das Magazin
53
BARRIEREFREIER TOURISMUS
Bei diesem zauberhaften Land handelt es
sich um den fast letzten unverbrauchten und
schönen Teil des Mittelmeerraumes. Seit langem ist es touristisch erschlossen, hat es aber
trotzdem vermochte, seine Authentizität,
seine Umwelt und die urtümliche Lebensweise zu bewahren. Der ausgeprägte Lebensstil
und die Vielfalt von Kultur- und Naturreichtümern lassen einen facettenreichen Urlaub
zu. Auch für Reisende im Rollstuhl ist diese
Perle des Balkans ein attraktives Ziel.
Über 6.000 Kilometer Küste laden zum Verweilen und Baden ein. Kroatien hat 1.244 Inseln zu bieten, von denen 50 bewohnt sind.
Insgesamt hat das Land ca. 4,2 Mio. Einwohner. Zum Jahreswechsel muss man sich relativ warm anziehen, es herrschen Temperaturen von 5 bis 9 °C vor, im Sommer dann 23
bis 26 °C. In Kroatien kommen auch Kulturbegeisterte auf ihre Kosten. So sind 7 Welterbestätten hier zu finden, unter anderem in
Dubrovnik, Split und auf der Insel Hvar.
Die Städte Zadar, Trogir und Zagreb sind für
Rollstuhlfahrer gut besuchbar. Natur pur erlebt man im Nationalpark Plitwitzer Seen. Er
ist für seine kaskadenförmig angeordneten
Seen weltbekannt, von denen an der Oberfläche derzeit 16 sichtbar sind.
54
BARRIEREFREI - das Magazin
Kroatien im Rollstuhl entdecken
Ein Beitrag von Michael Müller
Urlaub mit Behinderung oder im Rollstuhl ist
auch in Kroatien möglich. Man sollte sich nur
im Vorfeld genau informieren, um vor Ort keine bösen Überraschungen zu erleben.
In Kroatien spielt der Ort eine entscheidende
Rolle! Entlang der kroatischen Küste gibt es
sehr viele Ortschaften, die an einem steilen
Hang gebaut sind und durch die schlechten
Straßenverhältnisse zum Strand oder ins Zentrum (z.B. keine Gehwege, viele Stufen usw.)
als Urlaubsort nicht geeignet sind. Leider wird
das in vielen Reisführerin noch nicht beachtet.
Barrierefreie Str ände
Gute Erfahrungen wurden unter anderen in
den Orten Porec, Opatija und Crikvenica gemacht. Dort gibt es einige Strände mit der
"Blauen Flagge" und viele barrierefreie Wege.
Auch die Insel Rab bietet einige Vorzüge!
Natürlich sollte auch der Strand einen barrierefreien Zugang haben und auch die Sanitäranlagen sollten rollstuhlgerecht eingerichtet
sein. In Kroatien fällt daher oft die Wahl auf
die Strände mit der Auszeichnung der "Blauen
BARRIEREFREIER TOURISMUS
Um die Auszeichnung zu erhalten, muss mindestens ein Strand der Gemeinde für Menschen
mit Behinderung zugänglich und barrierefrei
ausgestattet sein! Ebenfalls empfehlenswert
sind Strände mit Stein oder betonierten Liegeflächen, da hier die Fortbewegung etwas leichter fällt - auf Sand oder Feinkies hat man fast
keine Chance!
Sanitäre Anlagen
(öffentliche Toilet ten)
Kroatien hat zwar schon relativ viele Rampen
und gibt sich Mühe bei der Integration, allerdings sind trotzdem viele Sachen noch nicht
Insel Brac
Flagge"!
BARRIEREFREI - das Magazin
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BARRIEREFREIER TOURISMUS
Quellen Text & Fotos:
croatia.hr, wato.de, Michael Müller
Nationalpark Plitwitzer Seen
optimal. Es gibt viele Rolli-Toiletten, bei denen einfach die Türen zu schmal sind. Oder
an den Stränden sind öffentliche WCs einfach
geschlossen.
In diesen Fällen hilft es, einfach mal in den
umliegenden Restaurants, Bars, Cafes oder
Campingplätzen nachzufragen. Dort gibt es
56
BARRIEREFREI - das Magazin
BARRIEREFREIER TOURISMUS
zwar ebenfalls nicht immer Rollstuhltoiletten, aber zumindest sanitäre Anlagen, welche
mit dem Rollstuhl (je nach Breite und Länge
des Rollis) zugänglich sind. Erfahrungsgemäß
ist das Personal hilfsbereit und spricht meist
Deutsch, wenn nicht dann Englisch. Ein guter
Tipp sind auch die umliegenden Hotels - diese
welche abends auf der Straße den Passanten
eine Tour verkaufen wollen, erzählen alles was
man hören will um Gäste zu gewinnen.
Fragen Sie lieber beim jeweiligen Reiseveranstalter nach Empfehlungen oder wenden Sie
sich vor Ort an das offizielle Tourismusbüro,
Dort bekommt man (oft) gute und wertvolle
Tipps. Egal, welche Art von Ausflug Sie machen wollen, eine geübte Begleitperson ist
auch hier immer zu empfehlen!
Insel Rab
Weitere hilfreiche Tipps
haben oft auch rollstuhlgerechte Toiletten und
sind auch entsprechend hygienisch.
Achtung bei Bootstouren & Ausflügen
• Vergessen Sie nicht, breite Reifen für den
Rolli einzupacken! Es gibt in Kroatien, soweit
uns bekannt ist, keine Hotels oder Ferienanlagen, die einen Strandrollstuhl bereit stellen!
• Als Rampe lassen sich gut die Zufahrten
verwenden, die genutzt werden, um Boote ins
Wasser zu lassen. Die breiten Rampen für größere Boote erscheinen meist flacher, sodass
man gut vom Rolli ins Wasser und wieder zurück kann, wenn man ein Stück hineinfährt
und ein Helfer den Rolli hält.
• Der Rolli sollte übrigens vorher salzwasserfest gemacht werden, und wenn man im
Wasser war, abgespült werden, um das verrosten "festbacken" der Teile zu vermeiden.
Wenn man dann von Stadtbesichtigungen und
Stränden genug hat, kann man auch selbst
aktiv werden. Zum Beispiel Paragliding: In
Kroatien gibt es einige Anbieter von Paragliding, die auch teilweise Erfahrung mit mobilitätseingeschränkten Personen haben. Auch
hier sollte man auf einen erfahrenen Anbieter
setzen, damit man sich auf dessen Hilfe, wie
z.B. beim Gurt anlegen, bei der Starthilfe oder
beim Abwiegen der Risiken verlassen kann.
Ausflugsboote sind in Kroatien soweit wir mitbekommen haben oft nicht für Rollis geeignet.
Zu schmale Gänge, keine breiten Türen in den
Toiletten, zu steile Rampen etc.. Die Leute,
BARRIEREFREI - das Magazin
57
RECHT & GESETZ
IHR
GUTES
RECHT
Behindertes Kind hat Anspruch
auf ein behindertengerechtes Auto
Benötigt ein behindertes Kind zur Teilhabe
am Leben in der Gemeinschaft ein behindertengerechtes Fahrzeug, so muss die zuständige Behörde Eingliederungshilfe in Form
der Hilfe zur Beschaffung ge währen. Dies
hat das Sozialgericht München entschieden.
Der damals 10-jährige Kläger wurde mit einer
schweren Fehlbildung der unteren Körperhälfte geboren. Geistig war er jedoch fit. Er lebte
mit seinen Eltern auf einem Bauernhof. Ein
Antrag auf Hilfen zur Beschaffung eines behindertengerechten Fahrzeugs wurde mit der
Begründung abgelehnt, „solche Hilfen würden
nur dann geleistet, wenn sie zur Eingliederung
in das Arbeitsleben erforderlich seien oder
vergleichbare wichtige Gründe vorlägen, welche eine ständige, d. h. tägliche oder fast tägliche Benutzung eines Fahrzeugs erfordern“.
Das Sozialgericht München teilte diese Meinung nicht, sondern entschied zu Gunsten des
Klägers. Aufgrund seiner Behinderung gehöre
er „zu dem nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII
leistungsberechtigen Personenkreis und sei
wegen der Art und Schwere seiner Behinde-
58
BARRIEREFREI - das Magazin
rung auf die Benutzung eines KFZ angewiesen, wie es § 8 Abs. 1 Satz 2 EinglHV fordere“.
Diese Voraussetzung sei schon dann erfüllt,
wenn der behinderte Mensch nur mit Hilfe
seines KFZ den Nahbereich seiner Wohnung
verlassen und sich außerhalb der Wohnung
bewegen könne, wenn die Gründe hierfür gerade der Eingliederungshilfe diene und sich
ausschließlich ein solches Bedürfnis regelmäßig stelle. Beide Gründe waren nach Ansicht
des Gerichtes gegeben.
Außerdem sei es nicht erforderlich, dass das
Fahrzeug ähnlich häufig wie bei der Teilnahme am Arbeitsleben (ca. 22 Tage/Monat) genutzt werden müsse. Sowohl die Teilhabe am
Arbeitsleben als auch die Teilhabe am Leben
in der Gemeinschaft sind als gleichberechtigte
Ziele der Eingliederungshilfe genannt.
Der Verweis auf eine Inanspruchnahme des
Behindertenfahrdienstes konnte dem Kläger
nicht zugemutet werden, da der Fahrdienst
„nicht dazu tauge, die Teilhabe am Leben in
der Gemeinschaft sicherzustellen“. Vor allem
RECHT & GESETZ
sei bei der Nutzung des Fahrdienstes der notwendige, aber eine gewisse Spontanität und
Flexibilität erforderliche Kontakt zu gleichaltrigen Kindern nicht gegeben.
selten in vollem Umfang das Ergebnis einer
freien Wahl wären, sondern von Faktoren wie
Arbeitsplatznähe oder Vorhandensein günstiger Wohnungen abhängig seien.
Auch der selbst gewählte Wohnsitz des Klägers stehe der Gewährung der Eingliederungshilfe nicht entgegen, führte das Gericht weiter
aus, da sich die nach §9 Abs. 1 SGB XII die
Leistungen der Sozialhilfe „nach den Besonderheiten des Einzelfalls und u. a. auch nach
den örtlichen Verhältnissen“ richten. Auch sei
zu berücksichtigen, dass die Wohnverhältnisse
der meisten Menschen, bes. von Familien, nur
Sozialgericht München, Urteil vom 27.03.2012
- S 48 SO 485/10 Quelle: www.kostenlose-urteile.de
Krankenkasse hat 24-stündige Pflege
schwerstkranker Kinder zu leisten
Wird die 24-stündige Behandlungspflege
von einer anderen Pflegekr aft erbr acht als
die Grundpflege, sind die Kosten für die Behandlungspflege in vollem Umfang von der
gesetzlichen Kr ankenk asse zu z ahlen. Dabei
darf sie weder den Zeitaufwand für Grundpflege noch das Pflegegeld in Abzug bringen. Dies entschied das Hessische Landessozialgericht.
In mehreren zu entscheidenden Fällen benötigten die jeweils sehr schwer erkrankten Kinder eine 24-stündige Überwachung ihrer Atmung, die von einer Fachkraft durchzuführen
und von der Krankenkasse im Rahmen der
häuslichen Krankenpflege zu zahlen ist.
Allerdings zog die Krankenkasse den Zeitaufwand für die Grundpflege ab, die die Eltern
erbringen. Dieses seien Leistungen der Pflegeversicherung, deren Leistungsumfang allerdings begrenzt ist.
Damit die Eltern den entsprechenden Anteil
der Pflegekosten nicht selbst tragen mussten,
verklagten sie die Krankenkasse. Nach Ent-
scheidung des Hessischen Landessozialgerichtes müsse die Krankenkasse die gesamten
Kosten für die 24-stündige Behandlungspflege
übernehmen.
Die Richter beider in Anspruch genommenen
Instanzen gaben den Eltern Recht. „Soweit
eine 24-stündige Behandlungspflege von einer
Pflegefachkraft erbracht wird, Grundpflege
und hauswirtschaftliche Versorgung jedoch
von Angehörigen geleistet werden, seien die
gesamten Kosten für die Behandlungspflege
von der Krankenversicherung zu tragen. Eine
Anrechnung der Grundpflege komme nur in
Betracht, wenn Behandlungs- und Grundpflege von derselben Fachkraft erbracht werden.
Auch das Pflegegeld ist von der Krankenkasse
nicht in Abzug zu bringen, häusliche Krankenpflege und Pflegegeld stünden vielmehr
uneingeschränkt nebeneinander.“
Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom
09.12.2010
- L 1 KR 187/10 und L 1 KR 189/10 Quelle: www.kostenlose-urteile.de
BARRIEREFREI - das Magazin
59
Rollator
60
Für Rollatornutzer sind Herbst und Winter
besonders schwierig, denn die frühe Dunkelheit, Nässe und Kälte sowie Schnee und Eis
stellen sie vor eine außerordentliche Herausforderung.
Sichtverhältnissen gut gesehen zu werden.
Da ist helle Kleidung wichtig. Darüber hinaus
sollte der Rollator mit Reflektoren und Licht
ausgestattet werden. Wer es sich einfach machen will, kauft Reflektorbänder, die am Rollator aufgeklebt werden.
Für den sicheren Stand empfehlen die Experten Spikes für die Schuhe, die einfach über
den Schuh gezogen werden und so bei glatten
Wegen für Sicherheit sorgen. Den Rollator
hingegen kann man mit Rädern ausstatten,
die mehr ‚Grip‘, also mehr Bodenhaftung bei
Glätte bieten.
„Auch wenn es jetzt abends schon früh dunkel
wird oder wenn Schnee liegt, können Sie mit
Ihrem Rollator sicher mobil bleiben und Ihre
normalen Gewohnheiten weitgehend beibehalten“, sagt Fabian Haberkorn, Produktmanager bei TOPRO (der Hersteller von hochwertigen Rollatoren und Rollatorenzubehör). Mit
geringem Aufwand und wenigen Handgriffen
können Sie Ihren Rollator und sich selbst so
ausstatten, dass Sie immer gut gesehen werden, der Rollator Ihnen auch auf rutschigem
Untergrund Halt gibt und Sie vor Kälte, Regen
und Schnee geschützt sind.
Besonders wichtig ist es, bei den schlechten
Wenn es regnet oder schneit, schützt ein Rollatorschirm perfekt, denn er ist mit einem speziellen, modernen Multifunktionsarm ausgerüstet und aus überschlagsicherem Fiberglas.
Der Schirm kann rechts oder links am Rollator
angebracht werden, durch eine ausgeklügelte
Mechanik zentral und körpernah über dem
Rollator und seinem Nutzer platziert werden.
BARRIEREFREI - das Magazin
Einkaufen, Spaziergänge, Besuche bei Freunden und Verwandten sowie die Freizeitaktivitäten sind auch im Winter sicher, wenn man
sich entsprechend ausstattet und verhält.
Quelle Text & Fotos: TOPRO GmbH
Mit dem Rollator
sicher durch den
Winter
Ehrenbrief
Hubert Hüppe
erhält den Ehrenbrief
Quelle Text & Foto: DG
Im Rahmen ihrer jährlichen Arbeitstagung und Mitgliederversammlung hat die
Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten
- Selbst­hilfe und Fachverbände e. V. (DG)
Herrn Hubert Hüppe den Ehrenbrief der DG
am 21.11.2014 in Eisenach verliehen. Diese
Auszeichnung bringt den Dank und die Anerkennung für seinen besonderen Einsatz zur
Verbesserung der Situation hörgeschädigter
Menschen zum Ausdruck.
Hubert Hüppe war von Januar 2010 bis Januar 2014 Beauftragter der Bundesregierung für
die Belange behinderter Menschen und hat
sich bereits davor viele Jahre als behindertenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion
im Bundestag für Menschen mit Behinderung
engagiert. Als Beauftragter hat Herr Hüppe
sich mit großem Engagement für die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von
Menschen mit Behinderung in Deutschland
eingesetzt. Es war ihm besonders wichtig, die
Chancen zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu verbessern.
Ulrich Hase, Vorsitzender der Deutschen
Gesellschaft betonte in diesem Zusammenhang: „Ohne den Einsatz von Herrn Hüppe
hätte sich das Thema Inklusion in Deutschland nicht als ein solcher gesellschaftlicher
Prozess entwickelt, wie wir ihn heute erleben
dürfen.“ Ganz konkret hat er Anteil an Erfolgen zur Verbesserung der Hörgeräteversorgung, zur Anerkennung des Berufsbildes von
Schriftdolmetscher/innen sowie zum ersten
Ausbildungsprojekt für Kommunikationshelfer/innen/ Arbeitsassistent/innen in Nordrhein-Westfalen.
Teilhabe bedeutet auch, dass Menschen mit
Behinderung selbstbestimmt in politischen
Zusammenhängen Gehör finden.
Dr. Ulrich Hase (li.) und Huber t Hüppe (re.) bei
der Verleihung.
Hierzu war es Herrn Hüppe wichtig, dass sich
die Deutsche Gesellschaft und die Mitgliedsverbände der DG in unterschiedlichen Gremien mit ihren Positionen zu den Belangen von
hörgeschädigten Menschen einbringen konnte. Dies gilt vor allem für die Zusammenarbeit
im Inklusionsbeirat.
Bereits seit 2003 finden die jährlichen Mitgliedsversammlungen der heute 26 Verbände
der DG in Eisenach statt. Der Ehrenbrief wird
an Menschen verliehen, die sich im besonderen Maße für die Belange hörbehinderter
Menschen einsetzen. Er wurde erst zweimal
verliehen.
BARRIEREFREI - das Magazin
61
K arate
Karate
Mar vin Nöltges
„Mission Gold“
In Bremen fand vom 5.- 9. November die erste Karate-Weltmeisterschaft für Menschen
mit Behinderung statt. Insgesamt stellten sich
45 Starter aus 21 Nationen von 5 Kontinenten
dem Wettbewerb. Auch 7 deutsche Athleten
nahmen teil. Alle wollten „hier zu Hause“ den
ersten Weltmeistertitel holen.
Insgesamt sechs Titel wurden in den folgenden
Kategorien vergeben: Menschen mit Lernbehinderung (männlich & weiblich), Menschen
mit Sehbehinderung (männlich & weiblich)
und Menschen im Rollstuhl (männlich & weiblich). Die Leistung der deutschen Mannschaft
war unglaublich gut:
Am Ende konnten unsere Athleten
2 goldene und je eine silberne und
eine bronzene Medaille ihr Eigen
nennen.
Der Weg zu dieser Meisterschaft war lang und
sehr anstrengend. Marvin Nöltge startete in der
Klasse „Menschen mit Lernbehinderung“, er
hat Trisomie 21. Vor 10 Jahren hat Marvin Ka-
62
BARRIEREFREI - das Magazin
rate für sich entdeckt, seine Mutter unterstützte
dieses Vorhaben und machte sich kundig, wo
es einen geeigneten Verein für ihren Sohn gab.
Die Suche war zunächst sehr schwierig, denn
es gibt keine besonderen Vereine für Menschen mit Handicap. Menschen mit und ohne
Behinderung trainieren zusammen in integrativ arbeitenden Gruppen. Der Anspruch
an den Trainer ist natürlich hoch, doch dafür
setzt der DKV (Deutscher Karate Verband)
viel Zeit in die Ausbildung seiner Trainer.
Marvin machte einen riesigen Schritt in seiner
Entwicklung nach vorne.
In der ersten Tr ainingseinheit saß
er noch alleine auf der Bank, nun
war er der gefeierte Held in der
Gruppe.
Seine ersten Erfolge schaffte er bei der Bavarian Open und den Deutschen Meisterschaften.
Beide Wettbewerbe gewann er in Serie.
Ein steiniger Weg war es, bis im Weltverband
(WKF) Wettbewerbe für Menschen mit Behinderung Berücksichtigung fanden. Wolfgang
Weigert als treibende Kraft, unterstützt von
Stefanie Nagl, ebnete den Weg für den ersten
Demonstrationswettbewerb bei der 21. Senioren-WM 2012 in Paris. Hier hatte Marvin
zusammen mit seinem Teamkollegen und
27 weiteren Athleten die Möglichkeit, sein
K arate
noch die große Eröffnungsfeier an. Gemeinsam marschierten die Athleten mit und ohne
Behinderung in die Halle ein.
Dieses Gefühl, Teil der Nationalmannschaft zu sein, beflügelte die
Athleten für Samstag um ein Vielfaches.
Ein Beitrag von Stefanie Nagl, Beauftragte
für Menschen mit Behinderung (BKB, DKV,
WKF)
Quelle Fotos: Christian Grüner/Presse und Medien DKV
Können vor 18.000 Zuschauer zu präsentieren.
Ein voller Erfolg. Damit war der Startschuss
gegeben für die ERSTE Weltmeisterschaft für
Menschen mit Behinderung 2014 in Bremen.
Nun lagen zwei Jahre Vorbereitungsarbeit vor
Marvin. Anfang November 2014 war es dann
so weit. Mit dem klaren Ziel, dem „Titel“ vor
Augen, machte sich Marvin auf dem Weg. Die
Vorkämpfe am Mittwoch Abend erarbeitete er
sich trotz heftiger Nervosität. So konnte Marvin sich am Ende in seinem Pol durchsetzen.
FINALE. Sein Kontrahent und deutscher
Mannschaftskollege Michael Lesic war ihm
gut bekannt. Nun hieß es bis Samstag konzentriert zu bleiben. Allerdings stand am Freitag
Unter den Augen von 10.000 Zuschauern lief
am Mittwoch, dem 5. November 2014 das
Deutsch-Deutsche Finale ab. Die Halle bebte,
niemand saß mehr auf seinem Stuhl. Mit Standing Ovations feierten Fans und Sportler „ihren“ Marvin Nöltge, den ersten Weltmeister in
der Klasse „Menschen mit Lernbehinderung“.
Überglücklich konnte er wenige Minuten später die Goldmedaille von Friedhelm Julius Beucher (Präsident DBS) entgegennehmen. Die
„Mission Gold“ war Marvin gelungen. Nun
heißt es Titelverteidigung 2016 in Linz.
Der Wettkampf in Bremen wurde für das ganze
Team zu einer unvergesslichen Zeitspanne, die
sicherlich ihr Leben nachhaltig verändert hat:
Ein Teil der Gesellschaft und des Sports zu sein.
BARRIEREFREI - das Magazin
63
Assistenzroboter
Ein Roboter
als Freund
und Helfer
Der am Fraunhofer IPA in Stuttgart entwickelte mobile Assistenzroboter »Care-O-bot®3«
stand im Zentrum des gerade abgeschlossenen
EU-Verbundprojekts »ACCOMPANY« (»Acceptable robotiCs COMPanions for AgeiNg
Year«). Gemeinsam mit Partnern aus England,
Frankreich, den Niederlanden und Italien haben die Stuttgarter Forscher ein System entwickelt, das älteren Menschen erlauben soll, mit
Hilfe eines interagierenden und als Assistent
akzeptierten Serviceroboters in einer intelligenten Umgebung länger selbstbestimmt in
den eigenen vier Wänden leben zu können.
Care-O-bot®3 konnte im Zuge des dreijährigen Projekts signifikant weiterentwickelt und
mit grundlegenden neuen Fähigkeiten verbessert werden.
Der Serviceroboter soll nicht nur Assistent
für einzelne Verrichtungen oder bei der Kommunikation mit externen Bezugspersonen
und Pflegepersonal sein, sondern abhängig
von erkannten Lagen und Verhaltensweisen
die ältere Person motivieren und ermuntern,
bestimmte Dinge selbst oder gemeinsam mit
dem Roboter zu tun, um körperlich und geistig aktiv zu bleiben. Großer Wert wurde darauf
gelegt, dass die Verhaltensweisen des Roboters
64
BARRIEREFREI - das Magazin
Quelle Text & Fotos: Fraunhofer IPA
Mrs. Taylor lebt allein und hat doch einen
Gefährten: Ihr Assistenzroboter animiert die
ältere Dame zu geistiger und körperlicher
Aktivität, unterstützt sie bei Verrichtungen
im Haushalt und nimmt ihr beschwerliche
Tätigkeiten ab.
Assistenzroboter
für den Benutzer sozial und ethisch akzeptabel
sind, zum Beispiel durch Unaufdringlichkeit
und Einhaltung diskreter Abstände.
Ein aktuelles Projektvideo demonstriert, wie
die Testperson „Mrs. Taylor“ mit ihrem Serviceroboter Karaoke-Lieder singt, sie beim
Empfang von Besuchern unterstützt, Handlungsvorschläge macht oder sie an bestimmte Tätigkeiten erinnert. Die Testperson kann
den Roboter intuitiv mit einem Bediengerät
auf Basis eines Tablet-PCs mit druckempfindlicher Hülle dirigieren. Auf dessen Display
sieht sie bei Bedarf auch das Bild seiner Wahrnehmungskamera und kann ihm ihrerseits
beibringen, wie er sich in verschiedenen Situationen verhalten soll. Das gemeinsame und
gegenseitige Lernen unterstützt Mrs. Taylor
dabei, aktiv eigenständig und selbstbestimmt
zu leben. Damit der mobile Roboter Verhaltensweisen und Aktivitäten von Mrs. Taylor
und ihre Position im Raum erkennen, Abweichungen von normalen Verhaltensmustern
registrieren und darauf reagieren kann, ist er
mit verschiedenen Sensoren und stationären
Deckenkameras vernetzt.
Für dieses erweiterte Aufgabenspektrum wur-
de der Serviceroboter am Fraunhofer IPA mit
einer Reihe neuer und verbesserter Fähigkeiten ausgestattet. Zum Beispiel ein Roboterarm zur Handhabung von Gegenständen, der
bei Nichtgebrauch optisch unauffällig an der
Rückseite des Roboters in Ruhestellung geht.
Oder ein Transporttablett, dessen Rückseite zugleich als Display dient. Sie erlauben es,
schwere und schlecht erreichbare Gegenstände zu holen und zu bringen.
Dieses Projekt lässt die Vision vom selbstbestimmten Leben im Alter in einer intelligenten
Umgebung ein Stück weit näher an die Realität
rücken. Ein Serviceroboter, der entsprechend
der Tageszeit, erkannter Gegenstände, Personen und Ereignisse den Benutzer selbsttätig
unterstützt, mit ihm sozial interagieren und
ihn an bestimmte Tätigkeiten wie essen, trinken, Einnahme von Medikamenten und tägliche Routineaufgaben erinnern kann, wäre
ein Lösung. Die im Rahmen des Projekts entwickelten Technologien sind auch auf andere
Konzepte übertragbar und bergen vielversprechendes Potenzial zur Weiterentwicklung und
praxisnahen Erprobung.
BARRIEREFREI - das Magazin
65
Autismus
Kein Anschluss
unter diesem Kollegen
Ein Beitrag von Dr. Peter Schmidt
Kann man als Autist einen regulären Job haben oder gar eine Karriere machen? Ja, man
kann. Aber nur dann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Bei meinem allerersten Job musste ich Geophone im Gelände auslegen, da war ich aus
motorischen Gründen langsam.
Erst als ich zu den Vermessern und Kontrolleuren kam, blühte ich mit meinem Können
auf.
Als ich mir als Student etwas dazuverdienen
wollte und mich nach einem wissenschaftlichen Job an der Uni erkundigte, erhielt ich
eine seltsame Antwort:
66
BARRIEREFREI - das Magazin
„Herr Schmidt, wir wissen nicht so
genau, ob Sie nun die K apa zität oder
der Widerstand im System sind!“
„Das hängt von der Frequenz ab!“, antwortete
ich. Damit drückte ich aus, dass die Rahmenbedingungen darüber entscheiden, ob ich als
Problem oder Lösung im Team gesehen werde.
Wie kann ein Autist in der modernen Arbeitswelt überleben?
Zum einen muss der Arbeitsplatz autistenfreundlich gestaltet sein. Für einen kreativen
Denker wie mich bedeutet das, in einem Einzelbüro arbeiten zu können, das als kreativer
Rückzugsraum dient, in dem ich selber die
Ordnung auf dem Schreibtisch festlegen kann.
Wie die Textmarker liegen. Wie ich mein Obst
für zwischendurch ablege.
Zum anderen müssen die Menschen mit mei-
Autismus
nen Eigenarten und besonderen Bedürfnissen klar kommen, besonders der Chef und
diejenigen, die mit mir zusammen arbeiten.
So brauche ich einerseits eindeutige Anweisungen, klare Strukturen und Zuständigkeiten
und andererseits stets Freiheiten in der Umsetzung.
Unter diesen Voraussetzungen können Autisten ganz allgemein sehr zuverlässige Arbeitnehmer sein. Am besten funktioniert es, wenn
die übertragenen Aufgaben weitestgehend alleine bearbeitet werden können. Denn besonders die ständige Kontaktpflege ist eine große,
Energie zehrende Hürde für einen autistischen
Menschen.
Ich war und bin als Experte für SAP Software
in verschiedensten Funktionen bei meinem
heutigen Arbeitgeber tätig. Bunte Stellenbezeichnungen wie Consultant, Projektleiter,
Key Account Manager und Senior Enterprise
Architect zierten meine Visitenkarten. Doch
fachliche Leistungen sind leider keine hinreichende Bedingung für beruflichen Erfolg.
Denn das, was fachlich zu mir am besten passte, mit der Aussicht, ein weltweit wichtiger
Geophysik-Professor zu werden, das klappte
nicht. Weil ich die Beziehungsebene in der
Kommunikation nicht erkennen kann. Ein
krasses Beispiel:
„Mit dieser Aktion haben Sie uns einen Bärendienst erwiesen!“
Eine solche Aussage meines Chefs wertete ich
jahrelang als großes Lob, als Aufforderung
zum Weiter-So! Bis mir bei einem Mitarbeitergespräch die wahre Bedeutung dieser Satzvokabel klar wurde.
Auch wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, jetzt
sagen sollten, diese Redewendung hätte ich
auch nicht gekannt, dann hätten Sie, sofern
Sie kein Autist sind, dennoch die Bedeutung
insofern richtig erkannt, dass Sie anhand der
Körpersprache, der Mimik des Chefs gesehen
hätten, ob er Sie gerade freudestrahlend lobt
oder wütend tadelt. Damit haben Autisten
grundsätzlich Schwierigkeiten.
Ein anderes Beispiel, in dem soziale Erwartungshaltungen unerfüllt blieben: Natürlich
wollte ich weiterkommen, bewarb mich auf
eine Position mit Personalverantwortung.
Doch weil ich die Kollegen, mit denen ich im
Vorstellungsgespräch saß, später nicht wiedererkannt habe, erhielt ich die Stelle nicht:
„Wenn Sie die Leute, mit denen Sie
gesprochen haben, nicht grüßen,
können wir nicht von einem großen
Interesse an der Position ausgehen!“
Am Ende eines Seminars sollen die Teilnehmer mit einem knackigen Slogan das teamorientierte Verhalten jedes Teilnehmers charakterisieren. Ich werde von den anderen so
beschrieben: „Er findet oft ungewöhnliche
BARRIEREFREI - das Magazin
67
Autismus
und ist meist aus, nur auf Ankündigung oder
Anforderung wird es eingeschaltet. Das rettete
mir das Leben in der Arbeitswelt. Bis heute.
Wichtig ist, dass man aus einem Autisten nicht versucht, einen Menschen zu formen, der er niemals
sein können wird, sondern ihn mit
dem aufblühen lässt, was er aus
seinem Innern her aus anbieten
k ann, denn das ist das einzige, was
gegenseitigen Nutzen verspricht.
Lösungen, die beeindrucken und Angst machen zugleich. Aber irgendwie besteht kein
Anschluss unter diesem Kollegen“. Es besteht
keine wechselseitige Empathie. Kollegen und
der Chef haben keine Ahnung, was in mir vorgeht und umgekehrt.
Erschwerend kommt hinzu, dass es in der modernen Arbeitswelt viele Dinge gibt, die für alle
Menschen mehr oder weniger unangenehm
sind. Aber sie werden hingenommen. Für Autisten sind viele dieser Dinge so schmerzvoll,
dass sie es nicht auf Dauer aushalten können.
Die Folge ist, dass sie sich entweder ganz in
sich zurückziehen oder sich auf ihre Weise dagegen wehren. Dazu gehört vor allem die immer weiter um sich greifende Arbeitsverdichtung, sowohl von den Aufgaben her als auch
von der Raumgröße. Großraumbüros findet
jeder mehr oder weniger unangenehm, für
Autisten sind sie mitunter so schlimm, dass sie
arbeitsunfähig werden.
Ein weiteres Beispiel: das Handy. Eine wundervolle Erfindung, um von überall zu jeder
Zeit jemanden zu erreichen. Zum Beispiel,
um Projekte von Ferne zu managen. Ein katastrophales Ding, wenn im Gegenzug erwartet
wird, dass man überall und jederzeit erreichbar sein soll. Denn jedes Klingeln eines Telefons ist für mich ein schriller, den aktuellen
Arbeitsprozess zerstörender Kontaktalarm.
Schon bald hieß es auch hier: „Kein Anschluss
unter diesem Kollegen“, denn mein Handy war
68
BARRIEREFREI - das Magazin
Inklusion bedeutet, vorhandene Werte und
Normen so zu erweitern, dass darin die Vielfalt Platz findet.
In dem Buch „Kein Anschluss unter diesem
Kollegen. Ein Autist im Job“, das am 26. August 2014 im Patmos-Verlag erschien, erzählt
Dr. Peter Schmidt von seinen Wahrnehmungen der modernen Arbeitswelt, von seinen
Höhen und Tiefen im Berufsleben.
BARRIEREFREIER TOURISMUS
Gehörlos den Ostzingst erleben
Naturbeobachtung für alle
Quelle Text & Fotos: J. Gehrt/ Nationalparkamt Vorpommern
Wie lässt sich die Vorpommersche Boddenlandschaft besser entdecken, als mit dem Rad
und in fachkundiger Begleitung? Das dachten sich auch die Teilnehmer der zweiten
Führung mit Gebärdensprachdolmetscher,
als Sie sich zur Radwanderung in die "Sundische Wiese" trafen.
Mit vielen interessanten Fakten stimmte Ranger Carsten Wagner die Radler auf die Tour
ein. So erfuhr die Gruppe beispielsweise, dass
die flachen Bodden ihren Namen dem niederdeutschen Wort für „Grund“ und „Boden“ verdanken. Aber auch die bewegte militärische
Vergangenheit des Ostzingst, deren Spuren
noch immer vom neuen Seedeich aus zu erkennen sind, kam nicht zu kurz.
An der Seite des Rangers übersetzte die staatlich geprüfte Gebärdensprachdolmetscherin
Daniela Szczuka das Gesagte für die gehörlosen Teilnehmer der Führung in deutsche Gebärdensprache. „Naturbeobachtung für alle“
lautet das diesjährige Motto des Nationalparks.
Auch Menschen, denen vielfältigste Barrieren
den Weg in die Natur des Nationalparks und
zu Informationen darüber versperren, soll ein
grenzenloses Naturerlebnis ermöglicht werden. Stück für Stück arbeitet der Nationalpark
Vorpommersche Boddenlandschaft daran,
möglichst viele Hindernisse abzubauen. Ein
Schritt in diese Richtung war nun die Führung
für gehörlose Gäste. Die zeigten sich sichtlich
beeindruckt vom Küstenschutz- und Renaturierungsvorhaben auf dem Ostzingst, das
Carsten Wagner anschaulich erklärte.
Für Verzücken sorgten Frischlinge am Deichfuß, die unbeeindruckt des regen Radverkehrs
ihren Rüssel, nach Schmackhaftem suchend,
in den Morast versenkten. Begeistern konnte
aber auch die imposante Erscheinung eines
Seeadlers.
Mit zunehmender Wegstrecke machte sich
dichter Seenebel breit. Der sonst sehr weitreichende Blick am Pramort und von der
hohen Düne verlor sich diesmal in einer weißen Wand. Und während die vorbeitreibenden Nebelschwaden der Boddenlandschaft
eine geheimnisvolle Stimmung verliehen, gab
Carsten Wagner der Gruppe Aussichtstipps
für ihren nächsten Besuch am Pramort mit auf
den Weg.
Weitere Infos und Anmeldung
Nationalparkamt Vorpommern
www.nationalpark-vorpommersche-boddenlandschaft.de
E-Mail: [email protected]
Tel.: 038234 5020
BARRIEREFREI - das Magazin
69
Weihnachten
Weihnachtsstress mit der Familie
oder Weihnachten im Zeichen der Liebe
Zu Weihnachten braucht man unbedingt das
richtige Geschenk und eigentlich auch die legendäre fette Weihnachtsgans im Kreise der
Familie. Oder etwa nicht? So oder so ähnlich haben es jedenfalls viele von uns gelernt.
Was, die neue Freundin Ihres Sohnes ist
Vegetarierin? Tja, was nun? Doppelt kochen
oder essen gehen?
Weihnachten ist das Fest zu Ehren der Geburt
Christi, ein Fest der Liebe und der Besinnung.
Tee, Zimtgebäck und Lichterglanz verzaubern
das Gemüt. Und doch schauen viele mit gemischten Gefühlen auf das, „was da ankommt“
(aus dem Lateinischen: Ad-vent-us)
Wer kommt zum Feste? Die Kinder, die Eltern, alle Verwandten ersten und zweiten oder
wievielten Grades? Wie wäre es, selbst den einen oder anderen zu besuchen? Oder einfach
wegfahren und dem ganzen Trubel entrinnen,
Weihnachten unter Palmen ganz untypisch
70
BARRIEREFREI - das Magazin
verbringen?
Diese Fragen stellen sich besonders dann,
wenn die schöne Harmonie schon öfters hinüber war. Die Vorfreude war wie immer groß,
endlich würden alle zusammenkommen und
mal wieder Zeit miteinander verbringen. Und
was passierte? Die Hälfte der Bande sagte
kurzfristig ab und mit Tante Erna gab es den
üblichen Streit. Die Geschenke sind im Keller
gelandet, nachdem noch beteuert wurde, wie
schön sie seien. Die Tochter fand das teure
Smartphone „uncool“ und hat es auf Ebay verhökert. Naja, und die Stimmung war von Anfang an entzwei. Woran liegt das?
Oft sieht man die Familie das ganze Jahr über
nicht. Man wohnt einfach weit entfernt und –
man lebt völlig verschiedene Leben! Einmal
im Jahr, eben zu Weihnachten, werden dann
alle zusammengetrommelt und es soll richtig
schön werden. Der Stress der Adventstage, die
man in überfüllten Geschäften auf der Suche
Weihnachten
nach dem passenden Geschenk zubrachte,
wirkt noch nach.
Ebenso übervoll sind dann die Erwartungen
an das Fest, wodurch es wahrscheinlicher
wird, dass man in die eine oder andere Beziehungsfalle tappt: Man bemüht sich, besonders
liebenswürdig zu sein, alles richtig zu machen
und niemanden zu konfrontieren. Streit oder
Lautwerden des cholerischen Bruders muss
um jeden Preis vermieden werden. Das führt
dann zu dieser „Tote-Hose-Stimmung“, in der
man sich nur wünscht, dass alles möglichst
bald vorbei sei. Oder man fühlt sich bereits im
Voraus schuldig, befürchtet, wieder einmal zu
entgleisen und dabei ungerecht zu werden, etwas zu sagen, das wehtun könnte. Was dann
übrig bleibt, ist dieses: „Warum verstehen sie
mich nicht?“
Wie wir bekommen, was wir wirklich wollen?
Im Zusammentreffen mit der Familie taucht
nicht selten eine frühere Version des eigenen Ich auf, bei Ihnen natürlich nicht, aber
vielleicht bei Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn.
Dieses Ich hält sich entweder zurück und beschwichtigt oder klagt an und beschwert sich.
Es kann eine harmlose Bemerkung sein, die
jemanden auf 180 bringt. Diese Ich-Version
gehört einer Dynamik an, der auch wir angehörten, bevor sich unsere Wege trennten.
Wie kommt man da raus?
Selbstbeobachtung ist der erste
Schrit t.
Indem wir anfangen, unsere Gedanken und
Gefühle bewusst wahrzunehmen, können wir
eine neue Wahl treffen. Entweder der gewohnten alten Ackerfurche folgen, mich wie immer
aufregen und dann mit denselben Gefühlen
dasitzen, nämlich fehlender Nähe und Verbundenheit, oder eine neue Reaktion ausprobieren.
Der- oder diejenige, denen eine gute Beziehung zu Familienangehörigen wirklich wichtig ist, sollte es unbedingt einmal ausprobieren. Nicht dichtmachen, auch nicht verbal
zurückschlagen, sondern erst einmal die eigenen Emotionen bewusst fühlen, sie benennen
und der Tochter, der Schwester oder wem auch
immer mitteilen. Möglichst ruhig und nicht
anklagend, sondern beschreibend, was diese
Gefühle in einem selbst auslösen und wie sie
zwischen uns stehen.
An dieser Stelle ist der faule Zauber durchbrochen. Dieser Moment einer bewussten Wahl
führt zu einer anderen Unterhaltung, in der
mein Gegenüber hört, was ich sage und selbst
mit dem Schmerz dieser Entfremdung in Kontakt kommt. Es ist einfach fabelhaft, zu bemerken, wie sich das Gegenüber dann auch öffnet
und erzählt, was er oder sie eigentlich mit dieser Bemerkung sagen wollte. Auf einmal ist die
Brücke geschlagen und spürbar Liebe da.
Machen Sie sich am besten schon vor dem Fest
ein paar essenzielle Gedanken, um sich auf die
gewünschte Verbindung einzustimmen:
- Welche Erfahrungen möchte ich mit meiner
Familie machen?
- Was ist es, das mich davon abhält, mich auszudrücken?
- Welche Möglichkeiten möchte ich ausprobieren, um diese Erfahrungen zu schaffen?
Ich wünsche Ihnen ein lichtvolles Fest!
Ein Beitrag von Livia Koll
www.soulcreatives.de
BARRIEREFREI - das Magazin
71
VERANSTALTUNGEN BIS April
VERANSTALTUNGEN
72
Januar
31.01- 01.02.2015
Wilhelmshaven
„mobil & fit“
Wilhelmshavener
Gesundheitsmesse
Gesund bleiben und das Leben genießen ist das
Ziel aller Menschen. Einen umfassenden Überblick, was die Gesundheitsszene bereithält, bietet
diese Messe.
www.mobil-und-fit.de
08.-10.01.2015
Marburg a. d. Lahn
Informationen und Austausch für Eltern von Kindern mit Down-Syndrom, die die Grundschule abschlieSSen
Dieses Familienseminar bietet Grundinformationen über Kinder und Heranwachsende mit Down-Syndrom auf dem neuesten Stand von Wissenschaft und Praxis. Im Mittelpunkt stehen Themen, die für
Kinder im Alter ab etwa zehn Jahren wichtig sind, wenn nach Abschluss der Grundschulzeit eine neue
Lebensphase beginnt.
Kostenpflichtig, Anmeldung erforderlich
www.lebenshilfe.de/de/fortbildung/veranstaltungen
FEBRUAR
07.02.2015
Bundeskunsthalle Bonn
Outer Space,
Faszination Weltall
Die Bundeskunsthalle hat gemeinsam mit dem
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt mit
der Ausstellung eine fulminante Reise ins All
kreiert, bei der alle neugierigen Zeitgenossen
willkommen sind.
Ausführlich beschreibende Tastführung für blinde und sehbehinderte Menschen
www.bundeskunsthalle.de
BARRIEREFREI - das Magazin
VERANSTALTUNGEN
07.-08.02.2015
Saarbrücken
Deutsche Hallenmeisterschaften in
Leichtathletik
Behindertensport des TSV Bayer 04 Leverkusen
www.tsvbayer04.de
MÄRZ
06.-08.03.2015
Münster
Diabetes
Diabetiker-Messe in Münster
Quelle Fotos: rehab.de, Gehardt Hierl / Welt-Downsyndrom-Tag, pixabay.com
Die optimale Kombination aus Fachkongress und Patiententag. Eine große Industrieausstellung bietet reichlich Gelegenheiten zu Information und Erfahrungsaustausch Medizinund, für Laien und Fachleute gleichermaßen.
www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de
15.03.2015
Fürth
Welt-Down-Syndrom-Tag – Marathon
Der Laufclub 21 feiert den Welt-Down-Syndrom-Tag, den 21.03. eines jeden Jahres, der seit 2006 ein weltweiter Thementag ist. Rund 1.000 Sportlerinnen und Sportler nehmen seit 2011 an diesem Marathon teil. Durch den gemeinsamen Sport
von Menschen mit und ohne Behinderung sollen Berührungsängste abgebaut werden.
www.welt-down-syndrom-tag-lauf.de/
APRIL
23.-25.04.2015
Karlsruhe
24.-25.04.2015
Hamburg
REHAB
Interdisziplinäre Tagung
Leben pur 2015
Internationale Fachmesse für Rehabilitation, Therapie und Prävention
www.rehab-karlsruhe.com
Aktiv und kreativ im Leben – Chancen und Möglichkeiten für
Menschen mit komplexer Behinderung und ihre Begleiter
www.stiftung-leben-pur.de
BARRIEREFREI - das Magazin
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MEDIATIPPS
BUCH- UND FILMTIPP
»Einfach unvergesslich«
Neuerdings
weiß
Claire nicht mehr,
welcher Schuh zu
welchem Fuß gehört. Oder wie das
orangefarbene Gemüse heißt, das auf
dem Herd köchelt.
Und manchmal geht
sie im Pyjama spazieren. Sie weiß, dass
das nicht normal ist.
Und so schreibt sie, noch bevor die letzte Erinnerung verblasst, all die großen und kleinen Momente der vergangenen Jahre nieder. Wohl wissend, dass diese Gedankenschnipsel schon bald
das Einzige sein werden, was ihrer Familie von
ihr bleibt. Dabei gibt es noch so viel zu erledigen:
Sie muss sich mit ihrer Tochter versöhnen und
ihrem Mann zeigen, wie sie die Lieblingslasagne
ihrer Kinder zubereitet. Sie muss ein letztes Mal
leben, frei sein, sich vielleicht auch neu verlieben.
Denn wenn die Zeit davonrennt, ist jede Minute
kostbar.
Rowan Coleman
Roman|416 Seiten|Klappenbroschur
ISBN: 978-3-492-06001-1|€ 14,99
Man hat als Leser keine Chance, sich Claire und
ihrer Familie zu entziehen.
Ein Buch, das tief berührt, Lachen und Weinen
sind nah beieinander. Ein sensibles Thema, mit
der Erinnerung an eine selbstbewusste Frau.
»Kein Anschluss unter diesem Kollegen«
Dr. Peter Schmidt,
ein technisches Genie, sucht genau
den Job, der auf sein
Können und seine
Bedürfnisse
zugeschnitten ist. Das ist
aber nicht so leicht,
denn was ihm fehlt,
sind Emotions- und
Empathievermögen.
Schon früh spielen
Zahlen, die türkische Sprache, Computertechnik
und Geophysik eine überragende Rolle in seinem
Leben. Seine Eltern, starre Schemen und Rituale geben ihm Halt und Sicherheit. Bei Lärm und
Unruhe gerät er schnell in Panik. Außerdem fällt
er durch eine ihm ganz eigene Ausdrucksweise
auf. Auch bei der Arbeit hält er an festen Ritualen und Regeln fest. Seine Kollegen kommen
nicht mit ihm zurecht, weil er mit der nonverba-
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BARRIEREFREI - das Magazin
len Kommunikation und den Gefühlen anderer
nichts anfangen und nicht adäquat darauf reagieren kann. Trotzdem schafft er es zum IT-Experten und zur Gründung einer Familie.
Erst im Alter von 41 Jahren erfährt er wirklich,
warum er in kein Schema passt: Er ist Autist mit
dem Asperger-Syndrom. Und mit dieser befreienden Diagnose geht es ihm endlich selbst besser.
Er stellt für seine Kollegen Regeln auf, damit sie
mit ihm klarkommen und erklärt in seinem Buch
die Schwierigkeiten, die Autisten und ihre ganze
Umgebung miteinander haben (können).
Peter Schmidt|„Kein Anschluss unter diesem
Kollegen“. Ein Autist im Job.|Patmos Verlag
246 Seiten|ISBN 978-3-8436-0527-5
Gebunden, auch als E-Book erhältlich
Ein keinesfalls „wüstenhaft trockenes“ Buch, sondern eine berührende Performance. So, wie sich
Herr Dr. Schmidt gute Vorträge vorstellt.
MEDIATIPPS
»(K)ein besonderes Bedürfnis«
Enea ist 29 Jahre
alt. Er hat blaue
Augen und liebt
LKW. Es gibt
nur eine Sache,
die Enea noch
mehr liebt, und
das sind Mädchen. Er selbst
bezeichnet sich
als „Super Duper
Sexy Boy“, doch
bisher hat er die Richtige nicht gefunden. Unermüdlich sucht er nach ihr. Eins sollte man über
Enea noch wissen: er ist Autist.
Auf der Suche nach der großen Liebe machen er
und seine zwei besten Freunde Carlo und Alex
sich auf den Weg quer durch Europa und finden
letztlich mehr als sie sich erhofft hatten …
Der Film überrascht als erstes durch seinen
Doku-Stil. Wirklich gelungen zieht er den Zuschauer in den Bann und gibt viel Preis über
ein Tabu-Thema in unserer Gesellschaft: Die
Sehnsucht nach Liebe von Menschen mit Behinderung.
Regie: Carlo Zoratti|Farbfilmverleih
Ab dem 11.12. 2014 im Kino
ONLINE TIPPS
www.handicap-bazar.de
zeit, Technik, Medien, Gesundheit und Soziales,
Sie möchten gern gebrauchte Artikel für Men-
Jugend, Sozialrecht, Veranstaltungen und vieles
schen mit Behinderung kaufen oder verkaufen?
mehr.
Dann schauen Sie sich mal um auf dem Handicap-Bazar um. Dort können Sie kostenlos inse-
www.behinderte-kinder.de
rieren und ggf. ein Foto mit hochladen. In einem
Die Rechte von Kindern mit Behinderung haben
speziellen Blog geht es zudem um barrierefreies
sich Ingo und Yvonne Janssen auf Ihre Fahnen
Bauen und behindertengerechten Autoumbau.
geschrieben. Sie stellen auf ihrer privaten Homepage verschiedene Therapien und selbstgemach-
www.km-bw.de/KULTUSPORTAL-BWL.de
te Spiel- und Hilfsmittel vor, bringen Reportagen
Das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport
betroffener Eltern und Kinder und benennen
Baden-Württemberg informiert auf seiner Home-
Fachbücher zu Rechtsfragen, unterstützter Kom-
page u. a. mit einer umfangreichen Linkliste zur
munikation, Therapien und Hilfsmitteln, aber
Bildung und Schulen für Kinder und Jugendliche
auch Vorlesebücher und Erfahrungsberichte.
mit Behinderungen und/oder sozialpädagogischem Förderbedarf. Auch frühkindliche Förder-
www.mis-ch.ch
möglichkeiten und neue Technologien, z. B. in
Die „Mobility International Schweiz“ stellt ihren
der Kommunikation behinderter Kinder werden
Nutzern weitreichende Datenbanken für ein
vorgestellt.
möglichst barrierefreies Leben mit Behinderung
vor. Es geht vor allem um rollstuhlgerechte Wege
www.schnecke-online.de
und barrierefreie Urlaube. Ob Sie ein Reiseportal
Das Online-Magazin „Schnecke-Online“ infor-
oder Erfahrungsberichte in verschiedenen Län-
miert Menschen mit Hörschädigungen und ihre
dern suchen, ob Sie sich für Tagesausflugsziele
Angehörigen sowie Interessierte zu gut struk-
oder eher für Ferienquartiere interessieren, die
turierten Themen wie Wissenschaft, Beruf, Frei-
Seite bietet Ihnen vielseitige Informationen.
BARRIEREFREI - das Magazin
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VORSCHAU
Vorschau
Ausgabe März 2015
Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer
und die Inklusion
Generation Plus
eine neue Mobilität
Partnerschaft
oder das Glück
zu zweit
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BARRIEREFREI - das Magazin
Quelle Fotos: Axa, pixabay.com
Fit trotz Handic ap
Sport für Rücken & Co
Impressum
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für Menschen mit Behinderung
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Lydia Saß
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Ulrike Jocham
Falk Lohmann
Janine Loftus
Anzeigenleitung
Peter Lange
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Quellennachweise
Cover
© BMW AG
Editorial
©Steffan Kaminski
Rückseite
© Anpfiff ins Leben e.V.
© Michael Müller
© BMW AG
© Sabine Kühn
© Marc Jahn
© EbE e.V.
BARRIEREFREI - das Magazin
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Memo
Memo
des Her ausgebers
ES WEIHNACHTET SEHR
die Frau kümmert sich um Backofen und Herd,
der Mann besorgt wie jedes Jahr den Tannenbaum
-wie jedes Jahrder Baum soll von schönem Bewuchs sein und
nicht schief
seine Zweige müssen gleichmäßig
gewachsen sein
der Stamm gerade und nicht krumm
so wie die Bäume auszusehen haben
niemand mag einen Baum der nicht der Norm entspricht
aber vielleicht ist es das was einen Baum ausmacht
Zweige die nicht gerade wachsen, vielleicht möchten
sie mal den Boden berühren, oder das saftige Gras
unter seinen Nadeln spüren
Äste die mal länger sind, weil sie vielleicht
den Nachbarn streicheln wollen
sein Stamm kann nicht gerade wachsen
weil es ihm wichtig ist
sich zu bücken, wenn er mit den
Blumen und kleineren Bäumen spricht man hat sich ja so viel zu erzählen
ich denke, wir Menschen sind auch nicht
alle gleich
und mir sind die am liebsten
die nicht der Norm entsprechen
sondern sich so entwickeln
wie sie wollen
– wie mein BaumGott liebt bestimmt die schiefen Bäume
mehr, weil man sie nicht so beachtet
ich liebe jeden Baum ohne Unterschied und
Menschen, die nicht der Norm entsprechen
FRÖHLICHE WEIHNACHTEN
Herzlichst, Ihr
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BARRIEREFREI - das Magazin
germany.indego.com
Powering People Forward
Indego ermöglicht gehbehinderten Personen eine
intensive Gangtherapie und eine neue Dimension von
Unabhängigkeit
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•
Schnelles An- und Ablegen
Intelligente Signalverarbeitung
Leicht, schmal, modulares Design
Lange Betriebsdauer
Natürliche Gangbewegung
Dokumentation der Verlaufskontrolle
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darf es bis dahin ausschließlich zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden.
Indego® ist ein eingetragenes Markenzeichen von Parker Hannifin Corporation
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BARRIEREFREI - das Magazin
in
Barrierefrei
das
das Magazin
Es gibt nur zwei Tage in deinem
Leben, an denen du nichts ändern
kannst. Der eine ist gestern und
der andere ist morgen.
Dalai Lama
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