Am Anfang und am Ende war das Zinn
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Am Anfang und am Ende war das Zinn
Regionale Route der Europäischen Route der Industriekultur · Industriekultur 1.13 Am Anfang und am Ende war das Zinn Die Regionale Route Cornwall in Großbritannien Cornwall: Ewiger Frühling und Fischerdörfer mit bunten Blumen, alte Adelssitze, umgeben von herrlichen Gärten, wütende Wellen und sanfte Sandstrände, schroffe Klippen und harmonische Felder, Liebe und Leidenschaft vor wildromantischer Kulisse – unser Bild vom äußersten Südwesten Englands ist „verpilchert“. Die verfilmten Trivialromane der kornischen Kultautorin Rosamunde Pilcher haben ein Klischee geschaffen, das die Region so schnell nicht wieder los wird. Schade eigentlich, denn auf jener in den Atlantischen Ozean ragenden Halbinsel ist noch weit mehr zu entdecken als eine scheinbar heile Welt. Cornwall blickt auf eine reiche industrielle Vergangenheit zurück. Heute ist es die ärmste Region der britischen Insel. Die Einkommen liegen etwa ein Viertel unter dem britischen Durchschnitt. Von der einst bedeutenden Bergbauindustrie existieren nur noch Überreste. Doch die sind ebenso zahlreich wie bemerkenswert. Die Schornsteine der verlassenen Zinnminen – die letzte Mine schloss im Jahr 1998 – wurden zu Landmarken einer einmaligen Industriegeschichte, der die Regionale Route Cornwall nachspürt. Ausgewählte Landschaften in Cornwall und West Devon wurden 2006 als Unesco Welterbe anerkannt, wodurch Cornwalls Bergbauerbe auf eine Stufe gestellt wurde mit internationalen Kulturschätzen wie dem Taj Mahal und der Chinesischen Mauer. Der kornische Erzbergbau ist Jahrtausende alt. Schon in der Bronzezeit war Cornwall die Hauptquelle für Zinn. Kornisches Zinn führte zu den Forschungsreisen des Pytheas, eines Zeitgenossen Alexanders des Großen, und zu Handelsreisen der Karthager. Das seltene Metall war heiß begehrt. Zur Bronzeherstellung wurde es in der Antike in den gesamten Mittelmeerraum verschifft. Und an dieser Vormachtstellung änderte sich lange nichts. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts deckte Cornwall mehr als die Hälfte des Weltbedarfs an Zinn. Die Kupferindustrie kam indes erst durch die Industrielle Revolution in Schwung. Der Einsatz von Dampfmaschinen und ihre Weiterentwicklung durch kornische Ingenieure ermöglichten den Abbau in größeren Tiefen und führten zu einer enormen Steigerung der Produktivität. Die Entwicklung war rasant: Um 1800 kamen 85 Prozent der britischen Kupferproduktion aus Cornwall, der Rest vom walisischen Konkurrenten in Anglesey. Vor allem die gestiegene Nachfrage nach Messing kurbelte die Kupferindustrie an. Großbritannien wurde nicht nur zum größten Messingproduzenten weltweit, sondern auch zum Marktführer für Zinn und Kupfer. Letzteres benötigte man unter anderem in Blechform, um Schiffsrümpfe zu schützen. Zinn ermöglichte es, korrosionsresistente Konservendosen herzustellen. Ruinen zwischen kargen Weiden zeugen vom Niedergang Von Lands’s End bis an die Ufer des Tamar, der Cornwall von Devon trennt, zogen sich die Bergbaureviere, den Erzadern folgend, die sich über eine Länge von 160 Kilometern erstreckten. Neben Zinn und Kupfer wurden Blei, Silber, Wolfram, Zink und Arsen gewonnen und – in geringen Mengen – Eisen und Uran. Kaolin und Schiefer werden bis heute abgebaut. In der Mitte des 19. Jahrhunderts arbeiten etwa 40 000 Menschen über und unter Tage: Männer und – mehr als anderswo – Frauen und Kinder. Der Kapitalismus hatte sich etabliert und mit ihm periodisch wiederkehrende Krisen und viel Elend. Ende des 19. Jahrhunderts war der Boom vorbei, die Mehrheit der Bergwerke musste schließen. Als letztes die Zinnbergwerke. Mit Zinn hatte alles begonnen, mit Zinn endete eine Ära. Ruinen von Hallen, Hütten, Maschinenhäusern zwischen den kargen Weiden der Nordküste Cornwalls zeugen vom Niedergang der einst so bedeutenden Zinnindustrie. Die Zinnmine Geevor bei Pendeen tanzt allerdings aus der Reihe. Sie überlebte bis 1991 als letzte produzierende Zinnmine dieser Region. Sie war eine der größten von ganz Cornwall und setzte Hunderte in Lohn und Brot. Das Werk geht auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück und ist damit eine der jüngsten Zinngruben im Küstengebiet nordwestlich von Penzance. Ein Steinwurf nur trennt den Förderturm von den Klippen der Atlantikküste. Die Umgebung gleicht einem Schweizer Käse, so durchlöchert ist sie von alten Fördergängen und Schächten. Bereits um das Jahr 1700 trieb man die ersten Stollen in den Fels. 1815, knapp ein Jahrhundert, bevor die Elektrizität Einzug hielt, arbeitete die erste dampfgetriebene Pumpe in einer der umliegenden Zechen. Unter welch harten Bedingungen die Bergleute damals schufteten, können heutige Besucher in den engen und niedrigen Gängen der Grube Mexico in unmittelbarer Nachbarschaft der Zinnmine Geevor nachempfinden. Das Bergwerk stammt aus der Zeit um 1800. Damals mussten schon Achtjährige unter Tage arbeiten. Alle Beschäftigten, auch die Frauen und Mädchen, die an der Oberfläche Erzbrocken zerschlugen und sortierten, arbeiteten zehn Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Das Bergwerk beherrschte das Leben noch über die Arbeit hinaus. So lebten die Minenarbeiter und ihre Familien in kleinen Häusern, die meist von der Minengesellschaft gemietet waren; ihre Werkzeuge, Kerzen, nach 1867 auch das Dynamit, mussten sie selbst kaufen – in Läden, die der Minengesellschaft gehörten. Für ihren Broterwerb zahlten die Bergleute mit ihrer Gesundheit, wenn nicht mit ihrem Leben. Die staubige Luft in den Stollen zerstörte Lunge und Atemwege. Mit nicht einmal 40 Jahren waren die meisten Knappen arbeitsunfähig, viele starben frühzeitig an Schwindsucht. Weltmarktpreis für Zinn fiel über Nacht um ein Drittel Unmittelbar gefährlich war der Arbeitsplatz allemal. Damals schon beuteten die ersten Bergbaubetriebe Lagerstätten unterhalb des Meeresbodens aus. Diesen Weg ging mehr als 100 Jahre später auch Geevor. Als in den 1950er Jahren die zinnführenden Schichten immer dünner wurden, teufte man den Hauptschacht 31 32 Industriekultur 1.13 · Regionale Route der Europäischen Route der Industriekultur bis zur siebten Sohle in einer Tiefe von rund 460 Metern ab, um neue Vorkommen unter dem Atlantik zu erschließen. Zuletzt reichten die unterirdischen Anlagen weit über die Küste hinaus. Ein schwarzer Tag im Herbst 1985 machte alle Bemühungen zunichte: Praktisch über Nacht fiel der Weltmarktpreis für Zinn auf etwa ein Drittel seines ursprünglichen Wertes. Staatliche Hilfen blieben aus, es kam zu Massenentlassungen. Zwar erholte sich der Zinnpreis zwischenzeitlich, doch 1991 wurde die Mine endgültig geschlossen. Mit dem Abschalten der Pumpen drang Meerwasser in die Stollen. Der Arbeitsplatz der letzten MinenarbeiterGeneration versank in den Fluten des Atlantiks. Einer Gruppe ehemaliger Bergleute ist es zu verdanken, dass nicht zugleich eine jahrhundertealte Bergbautradition in Vergessenheit versank. Kurz nach Schließung der Zinnmine Geevor tat sie sich zusammen, entschlossen, die noch vorhandenen Anlagen „ihres“ Bergwerks vor Abriss und Verfall zu bewahren. Mit Erfolg: Bereits 1993 öffnete die Grube wieder ihre Pforten – als Industriemuseum. Bergleute von einst führen heute die Besucher durch die oberirdischen Anlagen und einen Teil der Stollen der benachbarten Mine. Die Zinnmine Geevor gilt heute als größter erhaltener Minenkomplex Großbritanniens. Die ehemaligen Büros der Zeche dienen nunmehr als Museum für Werkzeug und Zinnprodukte und für eine Sammlung von Kristallen, die aus der Tiefe geborgen wurden – ein funkelndes Nebenprodukt der Arbeit in der Finsternis. Zwei Maschinenhallen mit original erhaltener Ausstattung zeigen eindrucksvoll die technologische Entwicklung der Bergwerksindustrie, insbesondere der unterseeischen, die Höhe- und Endpunkt des kornischen Bergbaus darstellt. Die Zinnmine Geevor ist einer von drei ERIH-Ankerpunkten der CornwallRoute, die zurzeit acht Standorte umfasst. Die Besichtigung der Untertageanlagen der Zeche Poldark gilt als eine der stimmungsvollsten Bergwerkstouren in ganz Europa. Poldark liegt in drei Kilometer Entfernung von Helston und ist eine vielseitige Besucherattraktion. Den Namen entlehnt der Ort einer Fernsehserie, die in Teilen hier gedreht wurde. Die Entwicklung von Poldark zur Sehenswürdigkeit begann im Jahr 1972, als ein gewisser Peter Young in Wendron eine Schmiede erwarb und für Touristen herrichtete, indem er dort unter anderem seine Fahrzeugsammlung ausstellte. Nachdem er die Nachbargrundstücke dazugekauft hatte, stieß er bei Erdarbeiten auf den Eingang zu einem Bergwerk des 18. Jahrhunderts, das sich als die Mine Wheal Roots entpuppte. Einige Zeit später öffnete sich das Bergwerk für Besucher. 1999 ging das Unternehmen in Konkurs, wurde jedoch im folgenden Jahr von Transcroft Ltd. übernommen, einem Zusammenschluss von Enthusiasten historischer Bergbauanlagen. Auf einer Klippe über dem Atlantik thront das Maschinenhaus Die einstündige Untertagetour in 90 Metern Tiefe macht einige der wichtigsten Erzadern zugänglich, die in Cornwall ausgebeutet wurden. Die Mine selbst war offenbar nicht länger als bis etwa 1780 in Betrieb, doch nutzte das nahe gelegene Bergwerk Wendron offenbar noch bis 1856 das Pochwerk und die Aufbereitungsanlage. Wesentliche Teile der Anlage sind erhalten, darunter ein Wasserrad, das bis 1970 der auf dem Gelände angesiedelten Molkerei Trenear als Antriebsquelle diente. Das Zechenmuseum von Poldark umfasst die Sammlung der bekannten kornischen Ma- schinenbaufirma Holmans aus Camborne und zeigt unter anderem den ersten in der Grafschaft verwendeten Presslufthammer. Geradezu waghalsig thront das Maschinenhaus der Grube Levant auf einer Klippe über dem Atlantik. Es beherbergt die älteste Schwinghebelmaschine Cornwalls. Die Dampffördermaschine mit einem Zylinderdurchmesser von 61 Zentimetern, entworfen von Francis Mitchell, stammt aus der Fabrik von Harveys of Hayle und nahm 1840 ihren Dienst auf. An stürmischen Tagen konnten die Bergleute die Wellen über ihren Köpfen lärmen hören, denn das Bergwerk erstreckte sich über eine Meile unter dem Meeresboden und erreichte eine Tiefe von 640 Metern. Im Laufe der Jahrzehnte förderte es rund 130 000 Tonnen Kupfererz, 24 000 Tonnen Zinnerz und beträchtliche Mengen an Arsen. Um den Bergleuten den Weg zu den entfernten Stollenanlagen zu erleichtern, erhielt die Mine 1857 ein Ein-Mann-Aufzugsystem, das jedoch 1919 zusammenbrach und 31 Menschen in den Tod riss. 1930 stellte das Bergwerk den Betrieb ein. Nur fünf Jahre später kaufte eine Gruppe von Privatleuten, die später den Kern der Trevithick-Gesellschaft bilden sollte, die historische Fördermaschine auf, um sie an Ort und Stelle zu erhalten. Einige Stollen wurden von der nahe gelegenen Geevor-Mine in den 1960er Jahren erneut aufgeschlossen und bis zu deren Schließung im Jahr 1991 genutzt. Heute befindet sich die Levant-Dampfmaschine im Besitz des National Trust und wird während der Sommersaison zwischen März und Oktober täglich unter Dampf gesetzt. Maschinenhäuser wie das der Grube Levant beziehungsweise deren Überreste sind typisch für Cornwall. Diese meist relativ kleinen Gebäude überziehen das ganze Land, wenn auch nirgends so spektakulär wie im Revier St. Just, zu dem auch der Komplex der Botallack Mine gehört. Zwei Stollen reichten bis unter die Meeresoberfläche, was in diesem Teil des Reviers nicht ungewöhnlich ist. Die einzigartige Geografie und Mineralogie dieser Gegend bildeten die Voraussetzung dafür, dass hier die weltweit größte Dichte unterseeischer Bergwerke im 18. und 19. Jahrhundert zu verzeichnen war. Solche technischen Meisterleistungen wären undenkbar gewesen ohne den Erfindergeist der Ingenieure. Der berühmteste unter ihnen ist Richard Trevithick (1771 – 1833), der die ersten funktionsfähigen Dampflokomotiven baute. Die hier zum Einsatz kommende Hochdruck-Dampfmaschine spielte auch im Bergbau eine große Rolle. Balancierbalken der Dampfmaschine wiegt mehr als 50 Tonnen Die beiden Dampfmaschinen von East Pool an der Hauptstraße zwischen Camborne und Redruth gehören zu den beeindruckendsten Zeugnissen der Bergwerksgeschichte Cornwalls. Das Bergwerk East Pool war vom frühen 18. Jahrhundert bis 1784 als Kupferlieferant aktiv und erlebte 1834 eine Wiedergeburt als Zinnmine. Zwischenzeitlich förderte sie auch Arsen, Wolfram und Uran aus mehr als 550 Metern Tiefe. 1897 verschmolz sie mit dem nahe gelegenen Bergwerk Wheal Agar. Der Einbruch eines Stollens führte 1921 zur Abteufung des neuen Schachts Taylor, um so Zugang zu Stollenanlagen jenseits der Unglücksstelle zu schaffen. Deren Drainage übernahm eine Maschine, die von der Zeche Carn Brea hierher verlegt wurde. Diese Dampfmaschine eines Typs, wie ihn Richard Trevithick erstmals gebaut hatte, versah ihren Dienst seit 1892. Sie stammte aus dem Werk der Regionale Route der Europäischen Route der Industriekultur · Industriekultur 1.13 bekannten Maschinenbaufirma Harveys of Hayle. Ihr Dampfzylinder misst 2,28 Meter im Durchmesser, der Balancierbalken wiegt mehr als 50 Tonnen. Die Grube East Pool schloss 1945 seine Pforten, doch blieb die Dampfmaschine bis 1954 in Betrieb, um Drainagewasser aus der benachbarten South-Crofty-Mine zu pumpen. Danach erwarb der amerikanische Historiker Grenville Bathe die Maschine und übergab sie später der Trevithik-Gesellschaft, die sie 1967 dem National Trust überantwortete. Der National Trust ist auch Eigentümer der Dampfmaschine Michell’s Whim, eine Fördermaschine anno 1887, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt und ebenfalls zu besichtigen ist. Das angrenzende Industrie-Erlebnis-Zentrum mit seiner fesselnden audio-visuellen Präsentation bietet einen Überblick über das industrielle Erbe Cornwalls. Es gibt nur wenige Plätze, die die Bedeutung der Dampfkraft für den Bergbau besser illustrieren als East Pools Industriedenkmale. Die Übertagegebäude des Bergwerks König Edward in Camborne sind von allen Zinnminen in Cornwall die am besten erhaltenen. Sie umfassen einen Röstofen, eine Waschbühne, ein Fördermaschinenhaus mit angeschlossenem Kesselhaus, ein Pochwerk mit so genannten kornischen Stampfern sowie eine horizontale, heute mit Pressluft betriebene Zwillingsförderwelle der ortsansässigen Firma Holmans. Die Anlage war früher Teil der Mine South Condurrow, die 1890 geschlossen, später jedoch als Ausbildungsbergwerk der Camborne School of Mines wiedereröffnet wurde und bis in die Mitte der 1970er Jahre in Betrieb war. 1987 schloss sich eine Gruppe von Ehrenamtlichen zusammen, um die Gebäude zu restaurieren und sie für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Heute steht die Zeche unter der Leitung einer Vereinigung, zu der Repräsentanten verschiedener lokaler Industriekulturgruppen gehören. Im ehemaligen Kalzinierofen residiert das „Erlebniszentrum Erzeisenbahn“ (Mineral Railways Discovery Centre). Rascher Aufstieg zu einer der reichsten Bergbaustädte Großbritanniens Ursprünglich war das fünf Kilometer entfernte Redruth eine unbedeutende Marktstadt, bis im 18. Jahrhundert eine stark gesteigerte Nachfrage nach Kupfererz einsetzte. Das in den kornischen Zinnminen gewonnene Kupfererz war bis dahin meist ungenutzt geblieben. Mit der einsetzenden Industriellen Revolution änderte sich das, Kupfer wurde als Ausgangsmaterial für Messing ein gefragter Rohstoff. Redruth war von KupfererzLagerstätten umgeben und stieg schnell zu einer der größten und reichsten Bergbaustädte Großbritanniens auf, die Einwohnerzahl wuchs rasch an. Die meisten Bergarbeiterfamilien profitierten allerdings nicht vom neuen Reichtum, sie blieben arm. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wandelte sich Redruth von einer Marktund Bergbaustadt in eine Wohn- und Handelsstadt. Großbritannien importierte mittlerweile den Großteil seines Kupfers aus dem Ausland, der Niedergang des kornischen Bergbaus setzte ein. Viele der Bergarbeiter wanderten in die neuen Bergbaugebiete Amerikas, Asiens, Australiens und Südafrikas aus. Der Bergbaubezirk von Camborne und Redruth erreichte wegen der hier gemachten wegweisenden technologischen Fortschritte internationale Bedeutung. Dazu gehören die Dampfmaschinen von Richard Trevithick, William Bickfords Erfindung der Sicherheitszündschnur, die das Leben unzähliger Bergleute rettete, und das Haus von William Murdoch, das 1792 weltweit als erstes mit Gas beleuchtet wurde. In einem ehemaligen Geschäftshaus in Redruht ist heute die Bibliothek für kornische Studien beheimatet, an der niemand vorüber gehen kann, der sich mit der Geschichte Cornwalls befasst. Mehr als 30 000 Bücher und Broschüren zur Geschichte, Geografie, Industrie und Handel stehen dem Nutzer unter fachkundiger Anleitung professioneller Bibliothekare zur Verfügung, mehr als tausend Zeitschriften, Newsletter und Jahresberichte von kornischen Unternehmen, mehr als 160 000 Fotografien und Postkarten von Cornwall aus der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, eine große Sammlung von familiengeschichtlichen Quellen und Daten einer Volkszählung, dazu umfangreiches Kartenmaterial. Ehemaliges Bergwerksgelände wird zu beliebtem Naherholungsgebiet Als die Unesco 2006 dem Bergbaugebiet von Cornwall und West Devon den Status eines Welterbes verlieh, nahm in Redruth der lange gehegte Wunsch Gestalt an, die Industriebrache rund um die Zeche Robinson zu rekultivieren. Mithilfe von britischen und EU-Fördergeldern entstand in sechs Jahren ein 19 Hektar großer Landschaftspark, Heartlands genannt, dem ein modernes Museums- und Erlebniskonzept zugrunde liegt. Die multimedial aufbereitete Industriegeschichte zum Anfassen, auf die Besucher an diesem ERIH-Ankerpunkt treffen, ist Teil einer Anlage, die Erholung und Naturgenuss bietet, wo ehemals Halden, Schlote und Maschinen den Horizont bestimmten. Monumentale Zeugnisse der frühen Industrialisierung, darunter eine Cornwall'sche Balancierdampfmaschine und gewaltige Dampfkessel, erzählen die Geschichte der regionalen Erzförderung. Per 270-Grad-Filmleinwand reist der Besucher in eine Zeit, in der Cornwall nicht nur das kostbare Zinn, sondern auch Technologie und hochqualifizierte Bergleute in alle Welt exportierte. In Form von Klanginstallationen schildern ehemalige Bergleute die Schwerstarbeit im Stollen. Dabei geht es auch um Standesrituale, die jeder Neukumpel über sich ergehen lassen musste – eine Art Äquatortaufe untertage. Die interaktive Erlebniswelt ist in großzügige Außenanlagen eingebettet, die das ehemalige Bergwerksgelände zu einem beliebten Naherholungsgebiet machen. Besonders originell ist die Idee, die Emigration kornischer Bergleute durch einen Botanischen Garten mit Pflanzen aus Übersee zu veranschaulichen. Beim Thema Emigration ist nicht nur an Massenauswanderungen zu denken, die ein Phänomen des 19. Jahrhunderts waren. Auswanderung gab es schon seit dem 18. Jahrhundert und nicht nur in Zeiten der Not, denn Bergleute aus Cornwall waren bei der Erkundung und Ausbeutung neuer Lagerstätten weltweit gefragt. Einem geflügelten Wort zufolge („A Cornishman could be found at the bottom of any man-made hole anywhere in the world“) waren kornische Bergleute auf dem Grund jeder von Menschenhand geschaffenen Grube weltweit anzutreffen. Sie nahmen ihre Erfahrung, ihre Technologie und ihre Lebensweise mit in ihre neue Heimat. So finden sich heute kornische Maschinenhäuser in vielen Ländern der Erde, in Neuseeland ebenso wie in Mexiko, Australien und Südafrika. Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Kupferund Zinnminen in Cornwall weitgehend erschöpft. Bergwerke in anderen Ländern konnten billiger produzieren. Einige Zinnminen wurden angesichts des steigenden industriellen Bedarfs an Arsen – häufig ein 33 34 Industriekultur 1.13 · Regionale Route der Europäischen Route der Industriekultur Begleitmineral des Zinn – auf Arsengewinnung umgestellt. Besonders die Abraumhalden der Zinngewinnung wurden aufgearbeitet. Mit katastrophalen Folgen: Durch die Arsenstäube wurden weite Teile des Landes um die Bergwerke vergiftet und zur Wüste. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts begann man mit der Rekultivierung des Landes. Doch Cornwalls Boden birgt noch einen weiteren Schatz, der ihm seit bereits 250 Jahren entrissen wird. Die Rede ist vom Kaolinabbau. Kaolin, auch Porzellanerde oder weiße Tonerde genannt, blieb lange Zeit ein Monopol chinesischer Porzellanhersteller. Erst im frühen 18. Jahrhundert gelang es, den begehrten Rohstoff auch in Europa und Amerika ausfindig zu machen. 1746 entdeckte der Apotheker und Töpfer William Cookworthy bei St. Austell Lagerstätten, die an Qualität alle anderen europäischen Fundplätze bei Weitem übertrafen und die englische Keramikproduktion revolutionierten. 150 Jahre später überschwemmten Dutzende von regionalen Herstellern den Markt mit ihren Porzellanerzeugnissen. Überproduktion und fehlende Qualitätsstandards waren mitverantwortlich für die schlechten Arbeitsbedingungen und die geringen Löhne, die in der englischen Porzellanbranche gezahlt wurden. Größter Abnehmer für Kaolin war zu diesem Zeitpunkt bereits die Papierindustrie – sie verwendet weiße Tonerde bis heute als Füllstoff und Aufheller. Derzeit gehen lediglich rund 12 Prozent der in Cornwall geförderten Porzellanerde in die Keramikherstellung. Den Löwenanteil von 80 Prozent verbraucht die Papierindustrie, der Rest findet sich in Farben, Kosmetika, Plastik und pharmazeutischen Erzeugnissen wieder. Für Cornwall ist der vielseitig verwendbare Rohstoff noch vor Zinn und Kupfer der lukrativste Bodenschatz überhaupt. Interaktives Besucherzentrum lässt Arbeitsalltag lebendig werden Generationen von Familien haben in St. Austell seit der Mitte des 18. Jahrhunderts unter meist harten Bedingungen weiße Tonerde gefördert. Wie das vor sich ging, macht der rund zehn Hektar große Landschaftsund Themenpark von Wheal Martyn anschaulich. Besucher des ERIH-Ankerpunktes erleben dort Cornwalls größtes noch betriebenes Wasserrad, stoßen auf eine historische Pumpanlage zur Entwässerung der in der Gegend verbreiteten Moore und staunen über eine vollständig erhaltene viktorianische Porzellanfabrik samt Maschinen, Ofenanlagen und Dampflokomotive. Ein interaktives Besucherzentrum lässt den harten Arbeitsalltag von Männern, Frauen und Kindern lebendig werden und führt die vielen Produkte auf, in denen weiße Tonerde enthalten ist. Die für die Region so typischen Abraumkegel sind heute überwuchert oder renaturiert. Ihr erstaunlicher Artenreichtum steht in krassem Gegensatz zu der Mondlandschaft des unmittelbar benachbarten modernen Tagebaus. Beide Welten verbindet ein rund zwei Kilometer langer Spazierweg. Der Blick von der Besucherplattform in den mehr als 100 Meter tiefen Tagebau zeigt moderne Maschinen bei einer Arbeit, die einmal fast ausschließlich von Menschen verrichtet wurde. Das nahegelegene Charlestown, dessen malerischer Hafen schon in vielen Filmen als Kulisse diente, ist zwischen 1792 und 1801 erbaut worden und gilt als die weltweit am besten erhaltene Hafenanlage aus georgianischer Zeit. Ursprünglich dazu gedacht, Kupfer zu exportieren und Kohle zu importieren, wurde der Hafen schon bald für den Export von Porzellanerde ge- braucht. Nicht das einzige industrielle Relikt in dieser Gegend: Im und rund um das Luxulyan Tal haben sich verschiedene Anlagen erhalten, darunter ein drei Meilen langer, künstlich angelegter Mühlbach, der die vielen Wasserräder und Wasserdruckmotoren der Fowey Consols Mine antrieb und die Dampfmaschinen und Erzaufbereitung mit Wasser versorgte. Das beeindruckendste Bauwerk innerhalb des Tales ist zweifellos der Treffry Viadukt, eine imposante Granitstruktur, die sowohl einen Mühlbach als auch eine Erzbahntrasse hoch über den Talboden führt. Abwesenheit Jahrhunderte langer Arbeit ist überall greifbar Ganz im Osten des kornischen Welterbegebietes, an der Grenze zu West Devon, sollte man einen Abstecher zum Kit Hill unbedingt einplanen. Zwischen Dartmoor und Bodmin Moor gelegen, ist dieser wilde und schroffe Granithügel berühmt für seine schöne Aussicht und seine bemerkenswerte Flora und Fauna. Weithin sichtbar ist ein einzelner, im Jahre 1858 erbauter Schornstein, der für die Bergbauvergangenheit dieser Gegend steht. Heute ist das 152 Hektar große Areal ein Landschaftspark, der Natur und industrielles Erbe in sich vereint. Der Hügel ist mit 334 Metern über dem Meeresspiegel der höchste Punkt des Tamartals und bietet grandiose Ausblicke über Cornwall von Küste zu Küste. Kit Hill ist seit 5 000 Jahren von menschlichen Aktivitäten geprägt. Zeugen Grabhügel aus der Bronzezeit von der kultischen Bedeutung des Ortes, so dominierte vom frühen 17. bis zum frühen 20. Jahrhundert die Ausbeutung der reichen Mineralvorkommen, namentlich von Zinn, Silber, Kupfer und Wolfram. Dabei stellte die Geologie des Hügels die Bergleute vor große Probleme. Denn es gibt keine Quellen und Bäche an der Oberfläche mit Ausnahme der Entwässerungskanäle der Minen. Das Wasser bahnte sich seinen Weg unterirdisch. Kaum ein Quadratmeter des Hügels, der nicht von Bergleuten und Steinbrechern, die den Granit abbauten, umgedreht wurde. Nur wenige Strukturen sind erhalten, einige dafür mehr als 200 Jahre nahezu unverändert, darunter frühe Bahnanlagen und Granitblöcke, die aus dem Fels geschnitten, aber nie abtransportiert wurden. Sie stehen geradezu sinnbildlich für jenen Zipfel Englands, in der die Abwesenheit Jahrhunderte langer Arbeit überall greifbar ist. Die Suche nach Spuren industrieller Vergangenheit: In Cornwall ist sie besonders beeindruckend und seltsam berührend. n Cornish Mining World Heritage Site Office The Percuil Building Cornwall Council, Old County Hall Truro, TR1 3AY , Cornwall, England, GB Tel. 00 44 / 18 72 / 32 25 86, www.cornish-mining.org.uk Seite 31: 1–3 Pendeen. Geevor Tin Mine 4 Helston. Poldark Mine 5 Pendeen. Botallack Mine Seite 32: 1–3 Pendeen. Levant Mine 4 Pool. East Pool Mine, Schacht Michell 5 Pool. East Pool Mine, Schacht Taylor Seite 33: 1, 2 Camborne. King Edward Mine 3 Redruth. Cornish Studies Library 4, 5 Redruth. Heartlands Seite 34: 1–3 St. Austell. Wheal Martyn 4 Kaolinabbau bei St. Austell 5 Callington. Kit Hill Country Park Fotos: 31.1, 31.2, 32.1–4, 34.1, 34,4 Rainer Klenner, Kaarst; 31.3 Jens Klein, Leipzig; 31.5, 32.5 National Trust; 34.5 Cornwall County; alle anderen Standorte Text: Frieder Bluhm, Lorenz Töpperwien, Cornish Mining World Heritage Site Office