VISIONÄRE DENKER JB STRAUBEL, DR. LIU THAI KER, HEDWIG
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VISIONÄRE DENKER JB STRAUBEL, DR. LIU THAI KER, HEDWIG
AUSGABE 4 DIE ZUKUNFT GESTALTEN WARUM WIR UNSERE SPUREN IN DER GESELLSCHAFT HINTERLASSEN WOLLEN DR. NGOZI OKONJO-IWEALA KÄMPFERIN FÜR FRAUENR ECHTE, REFORMEN UND GESUNDHEIT SOMMER 2016 VISIONÄRE DENKER JB STRAUBEL, DR. LIU THAI KER, HEDWIG FIJEN UND HANS ROSLING PIONIERE VERÄNDERN DIE WELT. DIE FRAGE IST: WELCHE? >> Entdecken Sie unsere Denkweise auf juliusbaer.com/visionary-thinking Julius Bär ist die führende Private-Banking-Gruppe der Schweiz und weltweit an rund 50 Standorten präsent. Von Dubai, Frankfurt, Genf, Guernsey, Hongkong, London, Lugano, Monaco, Montevideo, Moskau, Mumbai, Nassau, Singapur bis Zürich (Hauptsitz). AN DIE ZUKUNFT DENKEN Welche Art von Zukunft schwebt Ihnen vor, und welche Rolle wollen Sie dabei spielen, sie zu gestalten? Manche von uns denken darüber nach, was ihr heutiges Handeln für die Welt von morgen bedeutet, andere setzen sich auf einer eher unbewussten Ebene für positive Veränderungen ein. Doch was auch immer uns persönlich motiviert: Der Wunsch, dauerhafte Spuren zu hinterlassen, steckt tief in jedem von uns. Beim Denken wie beim Handeln das Morgen im Kopf zu behalten, ist ein entscheidender Faktor für den anhaltenden Erfolg von Julius Bär und Teil unserer DNA. Alle meine Entscheidungen sind motiviert von dem Wunsch, die Nachhaltigkeit unseres Geschäfts zu sichern und dabei die Werte zu berücksichtigen, die wir mit Ihnen als unseren Kunden sowie mit Anlegern, Mitarbeitenden, Regulierungsbehörden, Partnern und den Gemeinschaften, in denen wir tätig sind, teilen. Diese Ausgabe von «Vision» hat den Themenschwerpunkt «Die Zukunft gestalten». Sie beschäftigt sich mit der Motivation für unseren Wunsch, Einfluss auf die Zukunft zu nehmen. Wir stellen mehrere Vordenker vor und erklären, wie sie dauerhafte Beiträge für ihre jeweiligen Gebiete geleistet haben und noch immer leisten. Die Themen dabei reichen vom Finanzwesen bis zu Gesundheit und von Elektromobilität bis zu Kunst, Architektur und Motorsport. All diese Personen sind sehr unterschiedlich, doch eins haben sie gemeinsam: ein tiefes Interesse an Nachhaltigkeit. JB Straubel, der Mann hinter dem beeindruckenden Aufschwung der Elektroautos von Tesla Motors, beschreibt seine Vision für die Zukunft der Stromspeicherung. Der gefeierte Meisterarchitekt Dr. Liu Thai Ker erklärt, wie Singapur zu einer der gelungensten Megacitys der Welt wurde. Die renommierte Ökonomin und frühere Finanzministerin Nigerias, Dr. Ngozi Okonjo- Iweala, spricht über ihre Vision für die Zukunft Afrikas und betont, wie wichtig es ist, in Gesundheit und Bildung von Mädchen zu investieren – zum Vorteil der Weltwirtschaft. Jede dieser Geschichten bietet eine fesselnde Lektüre. Ich hoffe, diese Ausgabe von «Vision» ist eine Inspiration für Sie auf Ihrem eigenen Weg zur Gestaltung einer besseren Zukunft. Mit freundlichen Grüssen Boris F.J. Collardi Chief Executive Officer 3 VORWORT INHALT INTERVIEW 6 UNSERE HEIMMÄRKTE IM FOKUS 24 DIE KRAFT DER ZUKUNFT JB Straubel, der Mann hinter dem Aufschwung von Tesla Motors, erklärt, wie die Gigafactory des Unter nehmens neue Grössenvor teile bringen wird. 28 AUF DEM WEG ZU EINER BESSEREN WELT Professor Hans Rosling über Fortschritte für die Menschheit Ein Gespräch mit Jimmy Lee, Leiter Asien-Pazifik, und Barend Fruithof, Leiter Schweiz und Global Custody, über ihre Pläne für ihre Regionen. DIE ZUKUNFT GESTALTEN 14 DIE ZUKUNFT IM BLICK: Heute handeln, an morgen denken Was motiviert uns zu dem Wunsch, die Zukunft zu gestalten und etwas für zukünftige Generationen zu hinterlassen? Führende Experten erklären diesen menschlichen Drang. 34 SINGAPUR: Die Vision eines Meisterplaners 20 EINE LEIDENSCHAFT FÜR REFORMEN Mit ihrer Leidenschaft für Entwicklung wurde sie Ökonomin bei der Weltbank und Finanzministerin Nigerias. Heute setzt sich Dr. Ngozi Okonjo-Iweala für die Impfung von Kindern ein. INHALT 4 Dr. Liu Thai Ker hat die letzten 50 Jahre damit verbracht, Singapur zu einer «Maschine für das Leben» zu machen, in der Schönheit und Funktion zusammenkommen. SPONSORING 40 SCHNELL UND ERFOLGREICH Simona De Silvestro und ihr Leben für den Rennsport 46 KÜNSTLERISCHE MANIFESTATIONEN Von Dada bis Ökonomie 62 CHRISTINE STREULI In ihrem Atelier in Berlin erzählt die Schweizer Malerin von ihrer künstlerischen Reise. Ihren nomadischen Lebensstil hat sie hinter sich gelassen – denn ihr wurde klar, dass die Inspiration sie finden wird, egal wo sie sich aufhält. JULIUS BÄR STIFTUNG 68 DHARMA LIFE Armutsbekämpfung und die Verbesserung der Lebensumstände im ländlichen Indien durch Unternehmer tum sind die Ziele dieses sozialen Unternehmens. ANLAGETRENDS In diesem Sommer bringt die Gründungsdirektorin Hedwig Fijen von Manifesta, Europas wichtigste Kunst-Biennale nach Zürich. Sie spricht über ihre Ansichten zu Kunst und Wirtschaft. KUNST 52 ZEITGENÖSSISCHE MALEREI Julius Bär Kunstsammlung 70 GEDULDIGE ANLEGER WERDEN BELOHNT Yves Bonzon, Chief Invest ment Officer und Leiter Investment Management bei Julius Bär über Port folios, mit denen Kunden trotz unvermeidlicher Schocks am Markt gut schlafen können. ÜBER UNS 74 Julius Bär auf einen Blick 76Unsere Produkte und Dienstleistungen 78 Rechtliche Hinweise 80Impressum 5 INHALT UNSERE HEIMMÄRKTE IM FOKUS Interview: Michèle Bodmer Jimmy Lee, Leiter Asien-Pazifik, und Barend Fruithof, Leiter Schweiz und Global Custody, stehen den beiden Heimmärkten von Julius Bär vor und sind Mitglied der Geschäftsleitung der Bank Julius Bär. Im Interview sprechen sie darüber, wie sie neue Wachstumschancen in ihren jeweiligen Regionen nutzen möchten. Sie sind beide erst kürzlich zu Julius Bär gestossen. Was hat Sie am meisten am Unternehmen gereizt? FRUITHOF: Wichtig für mich waren das Erbe von Julius Bär und die starke Position als führende unabhängige Privatbank. Die Bank schaut auf eine spannende Geschichte zurück, startete sie doch als Familienunternehmen und ging schliesslich an die Börse. In den letzten acht bis zehn Jahren verzeichnete Julius Bär ein bemerkenswertes Wachstum. Zum Ende des letzten Jahres wuchs das verwaltete Vermögen von 60 Milliarden auf 300 Milliarden Schweizer Franken. Ich führe dies auf die Stärke des Managementteams zurück. Letzteres hat massgeblich zu meinem Interesse am Unternehmen beigetragen. Bei der Leitung der gesamten Gruppe legt unser CEO Boris Collardi Unternehmergeist und Zukunftssinn an den Tag. Seit Gründung der Bank sind diese Qualitäten tief in ihrem Wesen verwurzelt. Dazuzugehören und die Chance zu haben, die Zukunft des Heimmarkts von Julius Bär in der Schweiz zu gestalten – dieser Herausforderung wollte ich mich stellen. LEE: Julius Bär geniesst in der ganzen Finanzwelt und insbesondere in Asien einen ausgezeichneten Ruf. Das Unternehmen ist als «reine» Privatbank bekannt, die sich durch ihren Kundenfokus und Unternehmergeist auszeichnet. Erlauben Sie mir eine Analogie: Für eine Grossbank zu arbeiten, ist komfortabel. Es ist, als sässen Sie in einem Doppeldeckerbus. Der Bus fährt, alles funktioniert, aber Sie können seine Fahrtrichtung nicht ändern. Bei Julius Bär können Sie den Bus zusammen mit Ihrem Team steuern. Und das hat mich angesprochen. Mit diesem Bild vor Augen habe ich erkannt, was ich alles für die Bank in Asien bewegen kann. Meinem Vorgänger Thomas Meier ist in den letzten zehn Jahren Aussergewöhnliches gelungen. Er hat das Asiengeschäft der Bank von Grund auf aufgebaut. Mittlerweile hat er mir die Verantwortung für eine starke Unternehmenseinheit übertragen, die ich nun zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen weiterentwickeln möchte. Sie beide haben den Unternehmergeist der Bank hervor gehoben. Wie drückt sich dieser aus? LEE: Diesen Unternehmergeist spüren Sie überall in der Bank, was sehr motivierend ist. Wir verfügen über einen offenen und schnellen Entscheidungsprozess. Wenn Sie eine gute Idee haben, können Sie diese umsetzen und die Früchte der Teamarbeit fast auf der Stelle sehen. Das macht mich und meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr zufrieden. FRUITHOF: Die Bank ist äusserst teamorientiert. Wenn Sie zum Beispiel bei Julius Bär eine Kreditfazilität anbieten möchten, rufen Sie einfach bei der Kreditabteilung an, die ihre Experten zum Kundenmeeting schickt. In diesem gemeinsamen Vorgehen widerspiegelt sich der Unternehmergeist von Julius Bär. INTERVIEW 8 Die Leute in der Bank sind ausserdem sehr zugänglich. Wenn Sie Unterstützung von jemandem brauchen, erhalten sie innerhalb weniger Minuten eine Rückmeldung. Es fühlt sich an, als arbeite man für ein Start-up-Unternehmen mit sehr positivem Klima. Worin bestanden für Sie nach Ihrem Start bei Julius Bär die grössten Herausforderungen? FRUITHOF: Ich stiess Anfang Oktober 2015 zum Unternehmen. Die grösste Herausforderung bestand für mich darin, die zu dieser Zeit aktuellen und spürbaren Marktturbulenzen zu erklären und sicherzustellen, dass wir auch in einem derart schwierigen Marktumfeld Performance generieren. Unter den gegebenen Umständen war es ein hartes Stück Arbeit, unsere Kunden zufriedenzustellen. Doch man kann in einem solchen Umfeld auch zeigen, was uns wirklich auszeichnet. Man muss sich die Zeit nehmen, die Kunden zu kontaktieren, kreative Finanzlösungen für sie auszuarbeiten und ihnen diese bei einem Treffen zu unterbreiten. Herausfordernd war auch die Aufgabe, die Motivation meiner Angestellten in dieser harten Zeit aufrechtzuerhalten. Meiner Meinung nach hat dieser ziemlich turbulente Start aber dazu beigetragen, uns innerhalb der Teams und mit unseren Kunden zusammenzuschweissen. Und natürlich ist es auch eine Herausforderung, sich in eine neue Organisation und in die Kultur des Unternehmens einzufinden – vor allem, wenn Sie viele neue Ideen einbringen möchten. Doch wie gesagt: Offenheit für Veränderungen ist ein Wesensmerkmal von Julius Bär. LEE: Natürlich geht es erst einmal darum, die Leute im neuen Unternehmen kennenzulernen und ihnen gegenüber Glaubwürdigkeit aufzubauen. Das Humankapital ist für uns entscheidend. Deshalb ist es wichtig, diesbezüglich eine exakte Standortbestimmung vorzunehmen. Ich konzentriere mich darauf, die Stärken meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verstehen und ihre Entwicklungsbedürfnisse und Schwächen zu identifizieren. So gelingt es mir, Leute zu rekrutieren, die das bestehende Team ergänzen können. In Asien ist hohes Wachstum zu erwarten. Deshalb besteht meine Hauptpriorität darin, mehr Fachkräfte für die Betreuung unserer vermögenden Kunden einzustellen. Die Kandidaten hierfür müssen erst einmal identifiziert werden. Ich suche nicht nur im Private-Banking-Sektor, sondern auch im Corporate und Investment Banking, um die perfekten Bewerber für die Bank zu finden. Ausserdem halte ich aktiv Kontakt zu potenziellen Mitarbeitern, um ihr Interesse an einem möglichen künftigen Eintritt bei Julius Bär wachzuhalten. Zweifellos liegen die Chancen des Asiengeschäfts genau hier. Herr Fruithof, worin bestehen Ihrer Meinung nach die grössten Chancen am Schweizer Markt? FRUITHOF: Der Schweizer Private-Banking-Markt wächst jährlich um 2,5 bis 3 Prozent. Wir hoffen, dieses Marktwachstum übertreffen zu können. Mehr als 40 Prozent des Vermö- gens im Schweizer Private-Banking-Sektor ist derzeit bei kleinen Privatbanken und externen Vermögensverwaltern verbucht. Das ist eine grosse Chance für Julius Bär. Dass Julius Bär als reine Privatbank agiert, untermauert unser Leistungsversprechen. Wir fallen nicht unter die «Too Big to Fail»-Regelungen für systemrelevante Banken. Die regulatorischen Veränderungen in diesem Bereich sind für uns eine Chance. Denn unser fokussiertes Geschäftsmodell übt eine grosse Anziehungskraft auf hochqualifizierte Fachleute mit Kundenportfolios aus. Wodurch zeichnet sich die Schweiz als Bankenmarkt be sonders aus? FRUITHOF: Die Schweiz ist und bleibt eines der wichtigsten Finanzzentren der Welt. Der Schweizer Private-Banking-Sektor kontrolliert Vermögen im Wert von rund 3 Billionen Schweizer Franken. Die meisten dieser Vermögenswerte stammen aus dem Ausland. Wenn ich die politischen Diskussionen im Inland verfolge, stimmen mich diese allerdings nachdenklich. Die Öffentlichkeit und die Politik scheinen die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Finanzzentrums Schweiz nicht ausreichend zu erkennen. Der Private-Banking-Sektor bildet eine sehr wichtige Refinanzierungsquelle und ermöglicht die Vergabe günstiger Kredite an grosse multinationale Konzerne und an kleine und mittlere Unternehmen (KMUs). Dank der starken Privatbanken des Landes profitieren Immobilienkäufer von niedrigen Zinsen. Die Schweiz war das einzige Land, in dem es während der Finanzkrise zu keiner Kreditklemme kam. Ist dieses Schweizer Erbe auch für die Bankkunden in Asien wichtig? LEE: Das Schweizer Private Banking spielt eine Vorreiterrolle. Es wird für seine Qualität, Effizienz und sehr hohe Kundenorientierung geschätzt. Die Asiatinnen und Asiaten schwärmen dafür, wie die Schweiz agiert. Sie bewundern die ASIEN In Asien liegen nach wie vor viele Länder, die im weltweiten Vergleich besonders hohe Wachstumsraten beim Finanzvermögen und bei der Zahl der High-NetWorth Individuals (HNWI) verzeichnen. Deren Vermögen wird sich den Erwartungen zufolge verdreifachen. Laut dem «Julius Baer Wealth Report Asia» dürfte die Rangliste in absoluten Zahlen von China und in relativen Zahlen von Indien angeführt werden. Julius Bär betreut diese grosse und vielfältige Region, die den zweiten Heimmarkt der Bank darstellt, von verschiedenen Standorten aus – darunter auch von den zwei Buchungszentren in Singapur und Hongkong. Die Region Asien-Pazifik wird seit dem 1. Januar 2016 von Jimmy Lee Kong Eng geleitet. Er trat die Nachfolge von Dr. Thomas R. Meier an, der in die Schweiz zurückgekehrt ist und nun für die Gruppe als Leiter Corporate Sustainability fungiert. Zur Erzielung organischen Wachstums wurde der Fokus in der Region auf die fünf Schlüsselmärkte Festlandchina, Hongkong, Indonesien, Singapur und In dien gelegt. Spezielle Initiativen sind bereits angelaufen, um die Durchdringung all dieser attraktiven Märkte zu erreichen. Sie zielen darauf ab, die Kundenberaterbasis zu erweitern, die Anlagekapazitäten in Asien zu nutzen und die Zusammenarbeit mit den Partnern in der Region zu intensivieren. Auch andere asiatische Märkte wie Malaysia, die Philippinen und Thailand weisen Wachstumspotenzial auf. Ende September 2015 wurde die Integration von IWM in Indien erfolgreich abgeschlossen. Die Betreuung des indischen Markts erfolgt von fünf Standorten aus. Damit zählt Julius Bär in Indien zu den grössten und am besten etablierten ausländischen Vermögensverwaltern. Jimmy Lee 9 INTERVIEW «Diesen Unternehmergeist spüren Sie überall in der Bank, was sehr motivierend ist. Wir verfügen über einen offenen und schnellen Entscheidungsprozess. Wenn Sie eine gute Idee haben, können Sie diese umsetzen und die Früchte der Teamarbeit fast auf der Stelle sehen.» Jimmy Lee, Leiter Asien-Pazifik Schweizer Perfektion und möchten davon lernen. Schweizer Unternehmen rangieren in ihrem jeweiligen Gebiet regelmässig unter den Top-Playern. Wenn asiatische Kunden eine Privatbank auswählen, ist das Schweizer Erbe für sie ein entscheidendes Argument. Wie würden Sie Ihre Kunden mit Blick auf ihre Risikonei gung und Anlagestrategie beschreiben? Unterscheiden sie sich von Region zu Region? LEE: Ich würde sagen, dass diese Punkte eher von der Lebensphase des jeweiligen Kunden abhängen. Er kann sich in der Phase des Vermögensaufbaus befinden, sein geschaf fenes Vermögen verwalten oder sich bereits mit dessen Übertragung auf die nächste(n) Generation(en) beschäf tigen. Von der Schweiz können wir in Sachen generatio nenübergreifende Vermögenstransfers viel lernen. Hierin hat das Land einfach mehr Erfahrung. Vermögen zu erben, ist in Asien ein relativ neues Phänomen. Grosse Vermögen gehen nun erst auf die zweite Generation über. Vor diesem Hintergrund kommt diesem Serviceangebot in China, Indien, Indonesien oder Hongkong zentrale Bedeutung zu. Für viele asiatische Kunden, die in erster Generation Vermögen gebildet haben, ist die Planung der Vermögensübertragung auf die nächste(n) Generation(en) eminent wichtig. Sie wollen vom Westen lernen, dessen Erfahrung in dieser Frage über mehrere Generationen reicht. Unsere Kunden möchten ausserdem mehr über die Gründung von gemeinnützigen Stiftungen und Family Offices sowie das so genannte Impact Investing erfahren. FRUITHOF: Im Vergleich dazu konzentrieren sich die Kunden in der Schweiz wahrscheinlich mehr auf die Verwaltung ihres Vermögens. Vermutlich investieren sie deshalb vorsichtiger. Die Kreditdurchdringungsraten sind in der Schweiz und in Asien mehr oder weniger gleich. Die Risikoneigung dürfte somit ähnlich sein, wobei die Anlagestile natürlich voneinander abweichen können. INTERVIEW 10 Die Vermögens- und die Steuerplanung stellen indes für uns in der Schweiz und in allen Regionen wichtige Instrumente dar. Laut Jimmy Lee kann Asien beim Vermögenstransfer auf kommende Generationen viel von der Schweiz lernen. Was kann die Schweiz von Asien lernen? FRUITHOF: Viel. Meiner Meinung nach sind die Asiatinnen und Asiaten viel offener für neue Ideen. Wahrscheinlich ist auch das unternehmerische Denken in den Schwellenländern Asiens stärker ausgeprägt als in der Schweiz. Bei der Entwicklung von Anlageideen muss man in Asien wahrscheinlich etwas kreativer sein. In dieser Hinsicht können wir also definitiv von unseren asiatischen Kollegen profitieren. Viele Schweizer Kunden investieren in asiatische Unternehmen. Es ist wichtig, dass jemand mit am Tisch sitzt, der den asiatischen Markt versteht. Dass ich Jimmy Lee kontaktieren und mit ihm die Entwicklung in der asiatischen Politik und an den Märkten in der Region diskutieren kann, versetzt mich in die Lage, diese wichtigen Informationen mit meinen Kunden zu teilen. Mit welchen Herausforderungen ist der Finanzsektor ge nerell konfrontiert? Wie begegnen Sie diesen Herausfor derungen? LEE: Die Vorschriften zum Schutz der Kunden und des gesamten Bankensystems haben auch Herausforderungen mit sich gebracht. Als Reaktion auf die Finanzkrise von 2008 waren sie nötig. Der Sektor muss sie akzeptieren und Strategien entwickeln, um mit dem neuen regulatorischen Umfeld zurechtzukommen. Der Margendruck, das aktuelle, von volatilen Aktienmärkten geprägte Marktumfeld und die Niedrig- bzw. Negativzinsen stellen weitere Herausforderungen für die gesamte Finanzindustrie dar. Und die Herausforderung mit Blick auf die Renditesituation unserer Kunden ist gross. Gleichzeitig bieten sich aber auch zahlreiche Chancen. Denken Sie nur an die zahlreichen Krisen, die Julius Bär seit dem Börsengang im Jahr 1980 erfolgreich überstanden hat. In dieser ganzen Zeit ist unsere Kundenbasis kontinuierlich gewachsen. Das zeigt: Wir verfügen über die richtigen Fähigkeiten und Kompetenzen und stellen die Kunden in den Mittelpunkt all unserer Bemühungen. Wir sind sehr geschickt darin, die Bedürfnisse unserer Kunden mit massgeschneiderten Lösungen zu erfüllen und Krisen in Chancen zu verwandeln. Wie helfen wir unseren Kunden, sich inmitten all dieser regulatorischen Veränderungen zurechtzufinden? FRUITHOF: Es ist Aufgabe der Banken, mit diesen Veränderungen zurechtzukommen. Auf die Kunden sollten sie meiner Meinung nach keine Auswirkungen haben. Und wenn doch, besteht unser Job darin, die Sache für unsere Kunden so einfach wie möglich zu machen. Die Umsetzung der «Know Your Client (KYC)»-Regeln bietet uns beispielsweise die Ge- legenheit, unsere Kunden zu treffen, sie und ihre Bedürfnisse näher kennenzulernen und ihnen Lösungen anzubieten. Problematischer für die Bankenbranche ist der Umstand, dass seit der Finanzkrise scheinbar alle negativ über den Sektor denken. Es ist Aufgabe der Banken, die Öffentlichkeit und die für die Erarbeitung der Vorschriften in der Schweiz verantwortlichen Politiker zu informieren und aufzuklären. Die Banken sollten ihren Dialog mit der Politik intensivieren, um sie auf die eigentlichen Probleme aufmerksam zu machen und sicherzustellen, dass die beschlossenen Vorschriften die Kunden auch tatsächlich schützen. Die Umsetzung neuer Regularien ist teuer. Die entstehenden Kosten werden an die Kunden und damit indirekt an die Gesamtwirtschaft weitergegeben. Die Regulierungsbehörden verstehen in der Regel sehr viel von der Branche, müssen aber die Entscheidungen der Politiker umsetzen. Verständlicherweise hat die Schweizer Politik nach der UBS-Rettung im Jahr 2008 von der Regierung unmissverständlich gefordert, einen vergleichbaren Fall unter allen Umständen zu verhindern. Aber auch heute noch haben viele Politiker den Eindruck, das gesamte Bankensystem sei ausser Kontrolle. Die Banken haben es versäumt, die realisierten Veränderungen ausreichend zu kommunizieren. Unser CEO leistet grossartige Arbeit, indem er im Austausch mit verschiedenen Verbänden in unserem Land offen anspricht, welche Voraussetzungen für die Bewahrung des Finanzplatzes Schweiz erfüllt sein müssen. Das Bankwesen ist für die Schweizer Wirtschaft überlebenswichtig. Und das 11 INTERVIEW Engagement unseres CEO kommt letztlich auch unseren Kunden zugute. Unser Verwaltungsratspräsident ist in dieser Hinsicht ebenfalls sehr aktiv und trifft sich regelmässig mit Schweizer Meinungsführern. Ist die Situation in Asien vergleichbar? LEE: In Hongkong und Singapur beziehen die Regulierungsbehörden Praktiker bei der Planung neuer Vorschriften ein. Sie diskutieren ihre Pläne offen mit den Betroffenen und laden sie zu Gesprächsrunden ein, um sich ihre Meinungen anzuhören. So gelingt es ihnen, mögliche Auswirkungen der geplanten Vorschriften besser zu verstehen. Sie sind sich auch der Notwendigkeit bewusst, die Reputation, Integrität und Zukunftsfähigkeit des Landes als Vermögensverwaltungszentrum zu schützen. Die Regeln, die sie erlassen, tragen diesem Umstand Rechnung. Ausserdem besuchen die asiatischen Regulatoren immer wieder Aufsichtsbehörden in anderen Teilen der Welt, wie etwa die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA, um sich über ihre Erfahrungen zu informieren. In Asien schreiben die Regulierungsbehörden eine Art Zertifizierung für alle Berater vor. Bevor Sie eine Lizenz zur Beratung von Kunden erhalten, müssen Sie durch diese Zertifizierung nachweisen, dass Sie die Produkte und Dienst leistungen sowie die Regeln, Vorschriften und Gesetze der Branche kennen. Jeder von uns muss eine solche Zertifizierungsprüfung ablegen, um Kunden betreuen zu dürfen. Das ist eine sehr gute Praxis, gewährleistet sie doch die Einhaltung von Mindeststandards. SCHWEIZ Unser Heimmarkt Schweiz wird ebenso wie das Global-Custody-Geschäft der Gruppe seit dem 1. Oktober 2015 von Barend Fruithof geleitet. Er ist der Nachfolger von Giovanni M. S. Flury, der per 1. Januar 2016 zum Mitglied der Geschäftsleitung der Gruppe bestellt wurde. Um die Wachstumsdynamik weiter zu erhöhen, werden in diesem Jahr speziell zugeschnittene Angebote für jedes unserer drei Kundensegmente – also UHNWI, HNWI und Custody Clients – lanciert. Das Beratungs- und Dienstleistungsangebot «Julius Bär – Your Wealth», das im Herbst 2015 eingeführt worden ist, wird eine zentrale Rolle bei der Zielerreichung spielen. Der Hauptfokus in der Region liegt aber auch künftig auf den grössten Wirtschaftszentren, die von den Niederlassungen in Zürich, Basel, Genf, Lausanne und im Tessin aus betreut werden. Wenngleich die Schweiz als reifer, von starkem Wettbewerb geprägter Markt gilt, bietet das Land Wachstumspotenzial. Dank unseres umfassenden Niederlassungsnetzes in allen Landesteilen, unserer starken Marke, unseres spezialisierten Angebots und unseres wachsenden Bestands an qualifizierten Kundenberatern haben sich die Nettoneugeldzuflüsse 2015 erfreulich stabil entwickelt. Gleichzeitig ist es uns gelungen, die Rentabilität trotz der marktbedingten Ertragsschwankungen grösstenteils aufrechtzuerhalten. Barend Fruithof INTERVIEW 12 «Eine Priorität besteht in der Umsetzung unseres neuen Beratungsmodells. Es bringt sowohl unseren Kunden als auch der Bank auf dem Schweizer Markt Mehrwert ein. Wir haben es also mit einer Win-win-Situation zu tun. Mit diesem Modell bauen wir auf unserer langjäh rigen Tradition in der Erbringung exzellenter Dienstleis tungen auf. Ausserdem verfolgen wir damit einen ganz heitlichen Vermögensverwaltungsansatz.» Barend Fruithof, Leiter Schweiz und Global Custody Mit welchen Trends rechnen Sie in den nächsten Jahren in der Finanzindustrie? FRUITHOF: Manche Kunden sind an Finanztechnologie interessiert. Mitunter herrscht sogar die Auffassung, der gesamte Finanzsektor werde sich in Richtung Fintech bewegen. Ich bin nicht dieser Meinung. Wahrscheinlich werden die beiden Kanäle nebeneinander koexistieren. Fintech ist eine grosse Chance für die Banken, wenn ihnen die Anpassung an die Entwicklung gelingt. LEE: Fintech hat sicher ihre Berechtigung. Die Kunden suchen aber Finanzinstitute, die eine lange Tradition im Private Banking haben. Warum? Weil sie wissen, dass die Privatbanken niemals Abstriche bei der Integrität machen. Deshalb dürften die Privatbanken zu den grössten Gewinnern der Branche zählen. Die jüngeren Generationen wollen Komfort und Mobilität. Sie möchten im Kontakt mit ihrer Bank ihre bevorzugten Kommunikationsmittel wählen können. Aber letzten Endes kommt es auf den Bankexperten an, wenn Sie zum Beispiel mit der Vermögensplanung beginnen oder beabsichtigen, einen Trust zu bilden. Robo-Advisors und andere technologische Lösungen werden den Menschen in diesen Bereichen niemals ersetzen können. Herr Fruithof, welche langfristigen Prioritäten verfolgen Sie auf dem Schweizer Markt? FRUITHOF: Eine Priorität besteht in der Umsetzung unseres neuen Beratungsmodells. Es bringt sowohl unseren Kunden als auch der Bank auf dem Schweizer Markt Mehrwert ein. Wir haben es also mit einer Win-win-Situation zu tun. Mit diesem Modell bauen wir auf unserer langjährigen Tradition in der Erbringung exzellenter Dienstleistungen auf. Ausserdem verfolgen wir damit einen ganzheitlichen Vermögensverwaltungsansatz. Dieser stellt sicher, dass wir unseren Kunden einen umfassenden, individuellen Service bieten. Eine andere Priorität sehe ich darin, unser Geschäft mit den äusserst vermögenden Privatkunden (Ultra-High-Net-Worth Individuals, UHNWI) anzukurbeln. Unsere Chancen in diesem Segment sind sehr gut. Ich würde mir zudem wünschen, dass Julius Bär das Marketing in der Schweiz intensiviert. Denn dadurch würden sich die Leute bewusst werden, dass die Schweiz unser stärkster Markt ist. Langfristig möchten wir natürlich das derzeitige Wachstum des Schweizer Markts überflügeln. Herr Lee, wie sehen Ihre langfristigen Prioritäten für Asien aus? LEE: Mir geht es darum, die Bedürfnisse unserer Kunden zu erfüllen. Hierzu ist es zunächst wichtig, die richtigen Fachkräfte zur langfristigen Betreuung unserer Kunden zur Verfügung zu haben. Der asiatische Finanzmarkt weist eine Besonderheit auf: Nach wie vor gibt es zahlreiche unbekannte Vermögende. Zwischen einem Drittel und der Hälfte der sehr vermögenden Privatkunden (High-Net-Worth Individuals, HNWI) der Region haben wir nicht auf unserem Radar. Ein typisches Beispiel hierfür ist Hongkong, wo die Immobilienpreise in den letzten 30 Jahren explodiert sind. Einige Leute haben dort mit dem Verkauf von Liegenschaften ein Vermögen gemacht, weil Kapitalgewinne aus diesen Geschäften nicht besteuert werden. Diese Vermögen liegen noch immer bei Retailbanken vor Ort. Einen Zugang zur gesamten Private-Banking-Produktund Dienstleistungspalette erhalten die HNWI dort aber nicht. Die Privatbanken müssen diese Multimillionäre erreichen. Sie brauchen unseren Service. Lassen Sie uns einmal zehn Jahre in die Zukunft schauen. Welche Region wird dann über höhere verwaltete Ver mögen verfügen – die Schweiz oder Asien? Barend Fruithof: Ich würde sagen: Asien. Aufgrund der Wachstumszahlen in Asien kann die Schweiz auf Dauer gar nicht der stärkste Markt von Julius Bär bleiben, selbst wenn wir hier ausgezeichnete Arbeit leisten. In Asien beträgt das Marktwachstum 6 bis 8 Prozent, in der Schweiz 3 Prozent. 13 INTERVIEW DIE ZUKUNFT IM BLICK: HEUTE HANDELN, AN MORGEN DENKEN Menschen wollen ihre Spuren in der Gesellschaft hinterlassen – sie wollen für künftige Generationen etwas schaffen, das die Zukunft prägt. Was ist unsere Motivation dafür, wenn es doch keine direkten Anreize dafür zu geben scheint? Der Überlebensinstinkt. Heute an morgen zu denken, ist entscheidend für das dauerhafte Fortbestehen von Unternehmen, der Umwelt und der Zivilisation. Autorin: Janet Anderson FUTU VALUE RE Dass der schwedische Chemiker, Ingenieur und Industrielle Alfred Nobel in seinem Testament bestimmte, ein Grossteil seines erheblichen Vermögens solle für die Finanzierung einer Reihe von internationalen Preisen verwendet werden, war für seine Familie überraschend. Die Auszeichnungen sollten jeweils an diejenigen Personen gehen, die «der Menschheit im vergangenen Jahr den grössten Nutzen gebracht haben», wie es Nobel selbst formulierte. Mit dieser Entscheidung aus dem Jahr 1895 schuf er ein dauerhaftes Vermächtnis, das profunde Auswirkungen auf künftige Generationen haben sollte. Die Nobelpreise für hervorragende Leistungen auf den Gebieten Kunst, Wissenschaft und Politik gehören heute zu den am höchsten angesehenen Auszeichnungen überhaupt und sind eine Inspiration für Millionen Menschen. Was hat Nobel dazu motiviert? Einige Jahre zuvor war in Frankreich sein Bruder Ludvig gestorben. Eine französische Zeitung verwechselte die beiden und schrieb stattdessen einen Nachruf auf Alfred Nobel, den dieser zufälligerweise DIE ZUKUNFT GESTALTEN 16 las. «Le marchand de la mort est mort» («Der Händler des Todes ist tot»), lautete die Überschrift, und beschrieben wurde Nobel als ein Mann, der reich geworden sei, indem er «Möglichkeiten gefunden habe, mehr Menschen schneller als je zuvor zu töten». Dass Nobel einen Grossteil seines Vermögens mit der Erfindung von Dynamit und anderen Sprengstoffen verdient hatte, stimmte. Doch er war auch bekannt als Pazifist und hoffte, dass seine Erfindungen zum Ende von Krieg führen würden. Manche spekulieren, es sei der Schock über diese negative Darstellung gewesen, der Nobel dazu brachte, die Preise zu stiften. Ob es wirklich so war, ist unbekannt, denn Nobel selbst hat nie über seine Beweggründe gesprochen. Doch seine Entscheidung verweist auf eine bedeutende und auch etwas beunruhigende Frage: Wie kann unser Tun von heute die Zukunft prägen? Der Wunsch, bleibende Spuren in der Gesellschaft zu hinterlassen, ist so alt wie menschliches Streben selbst. Wir wollen über die Gegenwart hinaus präsent sein und dauer- hafte Auswirkungen auf die Zukunft haben, auch dann noch, wenn wir tot sind. Jedoch muss das Bedürfnis, die Zukunft zu gestalten, nicht unbedingt derart weitgehend sein. Solange wir leben, sind wir getrieben von dem Wunsch, etwas an andere weiterzugeben – wir wollen in unserer beruflichen Laufbahn etwas Dauerhaftes schaffen, das von der nächsten Generation aufgegriffen werden kann. Kimberly Wade-Benzoni beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage, wie sich eine Generation gegenüber einer anderen verhält. Als Associate Professor für Management und Dozentin am Center of Leadership and Ethics der Fuqua School of Business an der Duke University in den USA hat Wade-Benzoni unter anderem die psychologische Dynamik von dem untersucht, was sie als «intergenerationale Entscheidungen» bezeichnet. Auf Grundlage ihrer Erkenntnisse über diese Verhaltensweisen entwickelt sie Empfehlungen, wie Unternehmen und Organisationen langfristiges Denken und Nachhaltigkeit fördern können. «Einige der wichtigsten Themen für die heutige Gesellschaft, etwa ökologische Nachhaltigkeit oder globale Erwärmung, bringen intergenerationale Dilemmata mit sich, die eine Abwägung zwischen unseren eigenen Interessen und denen von Menschen in der Zukunft erfordern», erklärt Wade-Benzoni. «Die Interessen heutiger und zukünftiger Generationen stimmen nicht immer überein. Die gegen wärtige Generation kann späteren durch ihren Umgang mit Ressourcen teure Lasten aufbürden.» HANDELN MIT PFLICHTGEFÜHL UND VERANTWORTUNGSBEWUSSTSEIN Nachhaltigkeit und langfristiges Denken sind auch für das Überleben von Unternehmen essenziell. Ein Blick auf Unternehmen, die trotz des intensiven globalen Wettbewerbsdrucks über lange Zeiträume bestehen bleiben und florieren, zeigt: Hochrangige Führungskräfte und Unternehmens lenker müssen weit in die Zukunft planen – für Generationen im Voraus. Glenn Llopis ist ein Management-Vordenker und Berater, der Fortune-500-Unternehmen dabei hilft, ihre Führung und ihr Geschäft weiterzuentwickeln. Seine Eltern sind nach der Castro-Revolution von Kuba in die USA gezogen, um dort ein neues Leben zu beginnen. Die Erfahrung, in einem Kontext der Einwanderung aufzuwachsen, hat Llopis’ Denken über Wirtschaft und Nachhaltigkeit stark geprägt: «Wenn Ihnen die Regierung alles nimmt und Sie ganz von vorne anfangen müssen, denken Sie darüber nach, was Ihnen am wichtigsten ist. Wirtschaft ist eine Reise der beständigen Neuerfindung, und die fällt leichter, wenn man eine starke Grundlage in Form von gemeinsamen Werten und Überzeugungen hat», sagt er. Nach Llopis’ Erfahrung muss das Denken an die Zukunft von Beginn an Teil aller Bemühungen sein – und das Wichtigste dabei ist tief empfundenes Pflichtgefühl und Verantwortungsbewusstsein. «Die Leute glauben, dass ihr Ver- «Ich sehe mich als Bewahrer der Ressourcen und der Werte des Unternehmens, der es darauf vorbereitet, an die nächste Person übergeben zu werden, wann auch immer das sein wird.» Boris F.J. Collardi, CEO Julius Bär mächtnis am Ende entsteht. Dabei ist es von Anfang an die Grundlage für Erfolg», erklärt er. «Es geht um Kultur und gemeinsame Überzeugungen. Es geht um die Auswirkungen, die wir auf die nächste Generation haben. Das macht diese Reise länger als das Leben eines Einzelnen.» Boris F.J. Collardi, CEO von Julius Bär, teilt diese Geistes haltung: «Ich sehe mich als Bewahrer der Ressourcen und der Werte des Unternehmens, der es darauf vorbereitet, an die nächste Person übergeben zu werden, wann auch immer das sein wird. Mein Ziel lässt sich ganz einfach beschreiben: An dem Tag, an dem ich das Unternehmen an meinen Nachfolger übergebe, sollte er oder sie sagen können, dass es eine viel bessere Organisation ist als zu der Zeit, als ich es übernommen habe.» Entscheidend ist, dass Tätigkeiten, die dazu beitragen, die Zukunft zu gestalten, unverwechselbar sein müssen. Ebenso wichtig: Wir mögen bezüglich künftiger Generationen zwar die besten Absichten haben, doch die tatsächlichen Auswirkungen unseres Tuns werden vielleicht erst in vielen Jahren erkennbar. Diesen Umstand müssen Führungskräfte berücksichtigen. Collardi als CEO von Julius Bär erklärt dazu: «Der wichtigste Faktor bei jeder Entscheidung ist, das richtige Timing für ihre Umsetzung zu finden. Entscheidungen von heute erfolgen oft zum langfristigen Vorteil des Unternehmens, und selbst wenn man richtig entscheidet, mag das vielleicht erst in fünf Jahren klar erkennbar sein.» Als Beispiel nennt er die Entscheidung der Familie Bär aus dem Jahr 2005, die Kontrollmehrheit an Julius Bär abzugeben und aus dem Familienunternehmen eine an der Zürcher Börse kotierte Gesellschaft zu machen. «Das war ein mutiger Schritt der Familie», sagt Collardi. «Es war die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit. Trotzdem wurde sie damals von vielen Leuten in Frage gestellt, denn es gab keine Garantie dafür, dass Julius Bär derart erfolgreich sein würde.» ÜBER DIE GEGENWART HINAUSBLICKEN «Die Zukunft ist inhärent unsicher. Wir können nicht wissen, was passieren wird», sagt Wade-Benzoni. Jedoch, so unterstreicht sie, sollten Führungskräfte dies keineswegs als Ausrede dafür benutzen, nicht für die Zukunft zu planen. Ein Beispiel dafür sei Ökologie: «Man könnte versucht sein, davon 17 DIE ZUKUNFT GESTALTEN auszugehen, dass eines Tages irgendein technischer Fortschritt unsere Umweltprobleme lösen wird, und deshalb nichts an unserem heutigen Handeln zu ändern.» Schliesslich sind unsere Gehirne von Natur aus darauf ausgelegt, sich nur auf die Gegenwart zu konzentrieren und egozentrisch zu handeln, wie Wade-Benzoni erklärt. Aber warum versuchen Menschen dann trotzdem, eine bessere Welt für kommende Generationen zu schaffen? In gewissem Mass werden wir von gesellschaftlichen Strukturen dazu gebracht, langfristig zu denken, über unsere Interessen und unser eigenes Leben hinaus. Beispielsweise enthalten die Steuersysteme vieler Länder Anreize, sich über Nachlässe und wohltätige Spenden für andere Menschen und künftige Generationen einzusetzen. Aber gibt es noch weitere Wege, um Menschen zu ermutigen, über die intergenerationalen Auswirkungen ihres Tuns nachzudenken, ob auf die künftigen Generationen einer Gesellschaft oder auf die nächste Generation an der Spitze eines Unternehmens? «Eine Möglichkeit ist, Menschen zum Nachdenken zu bringen, was sie selbst von früheren Generationen geerbt haben. Das motiviert sie, grosszügig gegenüber künftigen Generationen zu sein», erklärt Wade-Benzoni. Dieses Konzept der «intergenerationalen Reziprozität» hat in unterschiedlichen Zusammenhängen und Bevölkerungsgruppen Gültigkeit. «Die Motivation dafür, positive Spuren in der Welt zu hinterlassen, basiert auf dem Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens – dem Wunsch, das Selbst in die Zukunft zu erweitern.» Kimberly Wade-Benzoni, Associate Professor für Management und Dozentin am Center of Leadership and Ethics der Fuqua School of Business an der Duke University Mit einer Reihe von Experimenten haben Wade-Benzoni und ihre Kollegen versucht, die Psychologie dahinter zu begreifen und die wichtigsten Motivationen und Hürden für Handeln im Interesse künftiger Generationen zu identifizieren. Zu den Besonderheiten des Verhältnisses zwischen unterschiedlichen Generationen, die sie mit ihren Experimenten nachbilden, zählt erstens das Machtungleichgewicht: Die aktuelle Generation hat bei Entscheidungen mit Konsequenzen für die Zukunft die alleinige Macht, denn die künftige Generation existiert ja noch nicht einmal. Ein zweiter wichtiger Faktor ist, dass die Entscheidenden selbst von den Konsequenzen weder positiv noch negativ betroffen sein werden. Und drittens gibt es keine Chance auf direkte Gegenleistungen. Was wir tun, um die Zukunft zu gestalten, liegt also voll- DIE ZUKUNFT GESTALTEN 18 kommen in unserer Hand, und wir werden nicht mit den Konsequenzen unseres Tuns leben müssen und auch nicht von ihnen profitieren können. Was motiviert uns angesichts dieser Umstände dazu, überhaupt etwas zugunsten von zukünftigen anderen Menschen zu tun? Ein wichtiges Ergebnis der Experimente war überraschend: Wenn Menschen ein Szenario präsentiert bekommen, in dem ihr heutiges Tun eine natürliche Ressource vollkommen vernichten könnte, sodass für künftige Generationen nichts übrig bliebe, werden sie Entscheidungen treffen, um dies zu verhindern. Mit anderen Worten: Wenn das Ergebnis potenziell katastrophal ist, löst dies verstärkt verantwortungsbewusstes Verhalten gegenüber künftigen Generationen aus. Nobels Angst, als «Händler des Todes» in Erinnerung zu bleiben, hatte wahrscheinlich eine starke Wirkung, die ihn dazu brachte, die Werte, für die man sich an ihn erinnern würde, «neu zu gestalten». Und noch ein weiterer Faktor ist hier im Spiel: ein Gefühl der Macht. Wir neigen zu der Annahme, dass Macht zu stärker egoistischem Verhalten führt. Wie jedoch die Experimente von Wade-Benzoni zeigen, sind Menschen in Wirklichkeit grosszügiger bei der Verteilung ihrer gegenwärtigen Ressourcen an künftige Generationen, wenn sie sich mächtig fühlen. Zu wissen, dass man nicht nur auf die eigenen Umstände Einfluss nehmen kann, sondern auch auf die von kommenden Generationen, erzeugt ein Gefühl der gesellschaftlichen Verantwortung. DEM LEBEN EINEN SINN GEBEN Doch es gibt etwas noch Mächtigeres als Macht: das Bewusstsein für die eigene Sterblichkeit. «Egal wie viel Macht man hat, irgendwann wird die Party vorbei sein – Menschen gehen in den Ruhestand, und Menschen sterben. Um auch dann noch Einfluss zu haben, wenn man nicht mehr da ist, muss man sehr viel Macht haben», sagt Wade-Benzoni. Der Wunsch nach einer Art Unsterblichkeit ist etwas sehr Grundlegendes für die menschliche Existenz.» In einem weiteren Experiment wurden die Probanden zunächst gefragt, wie sie gern in Erinnerung bleiben würden, und dann, ob sie Geld für einen wohltätigen Zweck spenden möchten. Das Ergebnis war beeindruckend. Selbst wenn derselben Gruppe Beispiele von früheren Generationen präsentiert wurden, deren Verhalten auf schlechten Absichten für die Zukunft basierte, änderte sich wenig an ihren Präferenzen: Sie blieb so sehr auf die Vorstellung von ihrem eigenen Vermächtnis «konditioniert», dass sie der nächsten Generation deutlich mehr überlassen wollte als andere Personen, die vorher nicht gefragt wurden, wie man sich an sie erinnern solle. Die Arbeit von Wade-Benzoni gibt uns eine klare Vorstellung davon, was uns zu dem Wunsch motiviert, positive Auswirkungen auf die Zukunft zu haben. Doch wie erreicht man das? «Es geht nicht nur um langfristiges Denken», sagt Llopis. «Der Unterschied liegt darin, dass Denken an die Zukunft tiefer und sinnhafter ist. Man muss andere motivieren, ihr Interesse wecken und ein stärkeres Gefühl für Zusam- FUTU F U UT «Als Führungskraft ist es Ihre Verantwortung, das Vermächtnis und die Traditionen derjenigen zu bewahren, die vor Ihnen da waren. Ebenso muss man sich aber verantwortlich fühlen, auf diesen Traditionen aufzubauen.» RE RE T FU Glenn Llopis, Management-Vordenker und Bestseller-Autor UR E FUTURE menarbeit vorantreiben. Entscheidend sind die Bedingungen, die wir für den Erfolg von anderen hinterlassen.» Laut Llopis sollten wir uns stärker das zu eigen machen, was er in Erinnerung an die Erfahrungen seines Vaters beim Neuanfang in den USA als «Immigranten-Perspektive» bezeichnet, denn dann wären wir besser in der Lage, ein Vermächtnis zu schaffen und an künftige Generationen weiterzugeben. «Möglichkeiten zu ergreifen, um Beziehungen zu entwickeln, den Handel voranzubringen und mehr Mitmenschlichkeit zu erreichen, ist für Immigranten ein angeborener Überlebensmechanismus», erklärt Llopis. «Immigranten haben Corporate Social Responsibility definiert, bevor ein fester Ausdruck daraus wurde. Es geht dabei um Geben und Nehmen – und darum, zum Wohlergehen der Menschen im eigenen Umfeld beizutragen. Das beginnt mit Geben in der eigenen Familie und bezieht später alle Menschen um einen herum ein. Die Bereitschaft von Immigranten, von ihrer Ernte etwas abzugeben, stellt sicher, dass es immer eine Ernte gibt.» Was bedeutet es, die Verantwortung für ein Unternehmen zu übernehmen, das eine lange Geschichte und ein reiches Vermächtnis hat? Laut Llopis muss man bei einer solchen Aufgabe die Zukunft gestalten, indem man neue Talente ins Haus holt und früh genug die nächste Führungsgeneration entwickelt. Doch es bedeutet auch, schwierige Entscheidungen für den Umgang mit diesem Vermächtnis zu treffen. «Als Führungskraft ist es Ihre Verantwortung, das Erbe und die Traditionen derjenigen zu bewahren, die vor Ihnen da waren», sagt Llopis. «Ebenso muss man sich aber verantwortlich fühlen, auf diesen Traditionen aufzubauen, um die Kultur, die menschlichen Ressourcen und die Marke der Organisation, der man dient, weiter zu stärken.» Die langfristige Nachhaltigkeit eines Unternehmens sicherzustellen, erfordert also, Wandel und Weiterentwicklung zuzulassen und zu fördern – aber nicht jeden beliebigen Wandel: «Er muss authentisch und persönlich sein», sagt Llopis. «Man darf dabei nicht nach einer Vorlage arbeiten oder einfach dem nächsten grossen Trend folgen. Man muss mutig sein und an den Kernwerten festhalten.» Die Fakten über das Überleben von Unternehmen sprechen dafür, dass hervorragende Marken genau das beherrschen. «Wenn Vermächtnis das Etablieren von Traditionen ist, die an künftige Generationen weitergegeben werden können, dann sind Familienunternehmen ein gutes Vorbild dafür», sagt Llopis. Wie erreicht man das nötige Gleichgewicht zwischen Denken an die Zukunft und den Erfordernissen des Tagesgeschäfts in einem börsenkotierten Unternehmen? Collardi räumt ein, dass das eine Herausforderung sein kann. «Als kotiertes Unternehmen muss man beständig zeigen, dass man vorankommt. Das ist der Grund, warum es einen Aktienkurs, Anleger und Aktionäre gibt. Aber wenn man beides schafft, und ich glaube, dass uns das gelingt, dann trifft man nicht kurzfristige Entscheidungen für kurzfristige Gewinne, sondern Entscheidungen für den langfristigen Wert und die Vision des Unternehmens», sagt er. 19 DIE ZUKUNFT GESTALTEN EINE LEIDENSCHAFT FÜR REFORMEN Ein Gespräch mit Dr. Ngozi Okonjo-Iweala Dr. Ngozi Okonjo-Iweala ist fest davon überzeugt, dass Afrika voller Potenzial ist. Sie drängt die jungen Menschen dazu, ihren Glauben und ihr Vertrauen in den Kontinent und in ihre Fähigkeit, die Zukunft selbst gestalten zu können, zu teilen. Ihre Leidenschaft für Entwicklung und für ihre Arbeit ist unerschütterlich – ob als nigerianische Finanzministerin, in ihren gut zwei Jahrzehnten als Entwicklungsökonomin bei der Weltbank oder in ihrer aktuellen Aufgabe als Präsidentin der globalen Impfallianz Gavi. Interview: Michèle Bodmer In ihrer Zeit als Finanzministerin trieb Okonjo-Iweala Reformen voran, die dazu beitrugen, dass dem Land USD 18 Milliarden Auslandsschulden erlassen wurden. Ihr Einsatz gegen Korruption und für Struktur- und Wirtschaftsreformen in ihren zwei Amtszeiten als Ministerin brachten ihr viel Bewunderung ein, doch sie geriet auch ins Kreuzfeuer der Kritik. Ihr starker Charakter und ihre Überzeugung von der Notwendigkeit von Reformen halfen ihr, damit zurechtzukommen. 2012, als sie während ihrer zweiten Amtszeit den Kampf gegen Korruption fortsetzte, wurde sogar ihre 83 Jahre alte Mutter entführt; die Täter forderten den Rücktritt von OkonjoIweala und liessen die alte Dame erst nach fünf Tagen wieder frei. Doch trotz allem, was sie und ihre Familie durchmachen mussten, hatte sie den Mut, ihren Kampf fortzusetzen. Die vierfache Mutter ist für viele ein Vorbild, und sie ermuntert andere Länder, in die Gesundheit und Bildung von Frauen zu investieren, weil das letztlich der Weltwirtschaft zugute kommt. Im Jahr 2015 belegte die in Harvard und am MIT ausgebildete Ökonomin in der Forbes-Liste der 100 mächtigsten Frauen der Welt Platz 48. Sie waren der erste weibliche Finanzminister Nigerias. Was hat Sie nach einer Karriere bei der Weltbank dazu gebracht, in die Politik zu wechseln? Ich hatte 21 Jahre lang als Entwicklungsökonomin gearbeitet, und im Jahr 2000 wurde ich gebeten, Präsident Olusegun Obasanjo als Wirtschaftsberaterin zu unterstützen. Er brauchte Hilfe bei den Verhandlungen über eine Re strukturierung der Schulden Nigerias mit dem Pariser Club (eine informelle Gruppe von Gläubigerländern). Ich habe dabei geholfen, ein Amt für Schuldenverwaltung zu etablieren, und war ungefähr neun Monate später wieder bei der Weltbank. Im Jahr 2003 bat mich der Präsident, als Finanzministerin in seine Regierung zu kommen. Also sollte man wohl am besten sagen, dass die Politik mich gefunden hat. Ich war eine Technokratin, die in einem politischen Umfeld arbeitete, und mein Vorgehen hat anderen Politikern nicht immer gut gefallen. Was waren Ihrer Ansicht nach die Gründe dafür? Technokraten haben bestimmte Standards, Prinzipien und Methoden. Es ist sehr schwierig, mit einem prinzipien- treuen technokratischen Anspruch in die Politik zu gehen und dort zu überleben. Man wird kritisiert – vor allem im Kontext eines Entwicklungslandes, in dem es in der Politik immer noch sehr ruppig, manchmal sogar brutal zugeht. Wie sind Sie mit derartiger Kritik umgegangen? Mein Ansatz war, immer an meine Prinzipien zu denken – klare Prinzipien, die ich von meinem Vater gelernt habe: Ehrlichkeit, harte Arbeit und Liebe zu meinem Land – und an ihnen festzuhalten. Ich habe das Amt mit sehr klaren Zielen angetreten. Ich wollte meinem Land dienen, egal was kommt. Dadurch bin ich stets motiviert geblieben. Immer wenn Kritik kam, habe ich an bestimmte Fähigkeiten gedacht, die ich habe und mit denen ich dafür sorgen kann, dass die Dinge besser werden. In meiner ersten Amtszeit habe ich sie genutzt, um meinem Land zu helfen, seine Schulden beim Pariser Club zu begleichen. Es war das zweitgrösste Abkommen, das der Pariser Club je geschlossen hat. Nigeria hat Schulden von USD 30 Milliarden getilgt, wobei USD 18 Milliarden komplett abgeschrieben wurden. In meiner zweiten Amtszeit als Ministerin wollte der Präsident, dass ich mich auf die Finanzen des Landes konzentriere. Ich habe biometrische Systeme eingeführt, um Schein-Arbeiter und Schein-Rentner zu verhindern, die unnötige Kosten verursachen (Schein-Arbeiter und Schein-Rentner sind Mitarbeiter bzw. ehemalige Mitarbeiter, die es entweder gar nicht gibt, oder echte Personen, die ohne ihr Wissen und in betrügerischer Absicht in Abrechnungssysteme aufgenommen werden). Ausserdem haben wir ein integriertes System zum Finanzmanagement aufgebaut, damit Ressourcen innerhalb des Staatshaushalts elektronisch transferiert werden konnten statt über Bargeld, was zu hohen Verlusten führte. Es dauerte lange, all das aufzubauen. Sie können sich vorstellen, dass jeder, der von dem früheren System profitierte, dem neuen sehr kritisch gegenüberstand. Heute freue ich mich, sagen zu können, dass das System genutzt und weiterentwickelt wird, aber es hat wirklich lange gedauert, so weit zu kommen. Angefangen haben wir mit der Einführung des Systems im Jahr 2004. 2006 bin ich zurückgetreten, um als Managing Director zur Weltbank zu gehen. 2011 wurde ich erneut Finanzministerin und musste feststellen, dass das System immer noch nicht vollständig umgesetzt war. 21 DIE ZUKUNFT GESTALTEN Wer sind Ihre Vorbilder? Mich haben viele Menschen inspiriert, darunter meine Eltern und meine Grossmutter. Meine Eltern haben Stipendien bekommen, um in Deutschland zu studieren, und konnten es sich nicht leisten, mich dorthin mitzunehmen. Also habe ich neun Jahre bei meiner Grossmutter gelebt, die grossen Einfluss auf mich hatte. Sie war eine sehr zähe und prinzipientreue Frau, aber auch sehr liebevoll. Damit hat sie mir gezeigt, wie man Liebe mit Prinzipientreue vereinen kann. Meine Eltern haben mich dann ähnlich weitererzogen: ich sollte kritisch sein, analytisch denken und starke Prinzi pien haben. Ein weiteres Vorbild, das mich enorm inspiriert hat, ist Nelson Mandela, ein afrikanischer Held. Er kam aus dem Gefängnis, und schauen Sie, was er erreicht hat: Er hat sein Land auf den richtigen Weg gebracht. Wie kann man leiden und so viel Böses ertragen und trotzdem noch verzeihen und verhindern, dass man bitter wird? Sein Beispiel hat mich den Grossteil meines Arbeitslebens über beeinflusst, ganz besonders aber, als meine Mutter entführt wurde. Eine weitere Inspiration für mich war Martin Luther King. Oft wird er auf seine «Ich habe einen Traum»-Rede reduziert, doch auch seine schriftlichen Werke sind beeindruckend. Sie beschäftigen sich mit Armut, Ungleichheit und Menschenrechten – all den bedeutenden Themen, mit denen die Welt noch heute zu kämpfen hat. Brillante Menschen, die es geschafft haben, enorme Hürden zu überwinden und dabei selbst unter schwierigsten Bedingungen ihren Prinzipien treu bleiben, sind eine echte Inspiration für mich. Haben sie Ihnen auch dabei geholfen, als Finanzministerin nicht aufzugeben? Die Entführung Ihrer Mutter muss eine schreckliche Erfahrung gewesen sein. Ja, es war sehr schwierig. Auch mein Glaube hat mir in dieser sehr harten Zeit geholfen. Wie Sie sagten, war Ihre Grossmutter ein wichtiges Vorbild für Sie. Hat sie Ihnen beigebracht, dass man sich nicht davon abhalten lassen sollte, die eigenen Ziele zu erreichen, nur weil man eine Frau ist? Das habe ich von ihr und meinen Eltern gelernt. Meine Mutter war Professorin an der Enugu State University of Technology und der University of Nigeria in Nsukka. Sie hat Fachbeiträge veröffentlicht, Karriere gemacht und sieben Kinder bekommen. Sie hat mir immer gesagt, dass Frauen weitermachen müssen. Auch mein Vater war eine Unterstützung. Er glaubte daran, dass alle seine Kinder unabhängig vom Geschlecht gleiche Leistungen zeigen sollten. Er hat auf liebevolle Weise viel von uns erwartet. Heute necke ich meinen Vater manchmal, indem ich sage, er habe von seinen Töchtern mehr erwartet. «Du musst das höchste Ziel anstreben – einen Doktor machen, Artikel veröffentlichen und eine gute Ehefrau und Mutter sein», hat er immer gesagt. DIE ZUKUNFT GESTALTEN 22 «Wenn man in die Bildung und Gesundheit von Frauen investiert, zahlt sich das in mehrerlei Hinsicht aus: beim Einkommen, bei der Qualifikation und auch bei esundheit der Kinder.» der G Dr. Ngozi Okonjo-Iweala Ihre persönliche Geschichte zeigt, was möglich ist, wenn man Mädchen nicht einschränkt. Unsere Eltern haben uns gesagt, was wir gut machen, und uns Anleitung gegeben, wenn etwas schieflief. Es ist nicht so, dass bei uns alles nur schön gewesen wäre. Manchmal war ich nicht einverstanden, wenn meine Eltern mir etwas sagten – tatsächlich hatten wir immer sehr intensive Diskussionen. Aber wenn ich zurückblicke, kann ich sagen, dass wir eine gute, fördernde Erziehung hatten. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die an Frauen glaubt. Im Verlauf Ihrer Karriere haben Sie häufig mehr Unterstützung für Frauen gefordert. Warum sind Investitionen in Frauen so wichtig für die Weltwirtschaft? Ich habe Ökonomie studiert und dabei schnell verstanden, dass Nationen ins Hintertreffen geraten, wenn sie nicht in Frauen investieren. Alle Menschen gleich zu behandeln, ist nicht nur eine Frage der Menschenrechte. Frauen haben ein Recht auf Bildung, doch Tatsache ist auch, dass Länder von ihren Beiträgen profitieren. Das ist eine wirtschaftliche Frage. Es geht um die gesamte Gesellschaft. Es geht um diese Überzeugung. Also haben viele von uns viele Jahre lang für dieses Anliegen gekämpft. Heute gibt es eine Vielzahl von Studien mit Argumenten für Investitionen in Frauen, ob den grundlegenden «Gender World Development Report» der Weltbank oder den jüngsten «Gender Parity Report» von McKinsey. Auch Studien von renommierten Ökonomen wie Larry Summers untermauern diesen Punkt. Wenn man in die Bildung und Gesundheit von Frauen investiert, zahlt sich das in meh rerlei Hinsicht aus: beim Einkommen, bei der Qualifikation und auch bei der Gesundheit der Kinder. Wenn man nicht in Frauen investiert, haben es die Haushalte schwerer. Noch klüger aber ist es, schon Mädchen zu fördern. Denn wenn man früher ansetzt, sind die Auswirkungen noch grösser. Könnten Sie uns mehr über Ihre neue Arbeit als Präsidentin von Gavi und deren Bedeutung erzählen? Gavi ist eine internationale Organisation mit dem Ziel, die Kinder dieser Welt zu impfen. Die Renditen von Impfungen sind sehr hoch: Für jeden investierten Dollar bekommt man USD 16 in Form von vermiedenen Krankheitskosten zurück. Wenn man das allgemeinere wirtschaftliche und gesellschaftliche Wohlergehen mit berücksichtigt, ergibt sich so- gar eine Rendite von USD 44 für jeden investierten Dollar. In den bislang 15 Jahren ihrer Existenz hat die Organisation 500 Millionen Kinder geimpft und damit etwa 7 Millionen Leben gerettet. Ihr Ziel ist, bis 2020 weitere 300 Millionen Kinder zu impfen, um noch einmal 5 bis 6 Millionen Leben zu retten. Impfungen sind ein weltweites öffentliches Gut mit klaren Vorteilen nicht nur für die einzelnen Personen, sondern für ganze Länder und die Welt. Leben zu retten, Kosten zu vermeiden, Vorteile zu erreichen und zu verhindern, dass Kinder von Epidemien und Krankheiten betroffen werden, ist ein sehr lohnenswertes Anliegen. Ich fühle mich privilegiert, daran mitwirken zu dürfen. Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Begeisterung ansteckend für Ihr Umfeld ist? Ich bin fast schon zu motiviert, und das macht manchen Angst. Es gibt Leute, die gedacht haben, ich müsse verborgene Motive haben, weil ich mich so leidenschaftlich für so viele Anliegen einsetze und sie vorantreiben möchte. Ich würde sagen, dass ich noch nie in meinem Leben einen «Job» gehabt habe, sondern immer eine Passion. Warum ist die Arbeit von Gavi so wichtig? Gavi kümmert sich um ein grundlegendes Thema: die Gesundheit unserer Kinder. Indem die Organisation Regierungen dabei unterstützt, Millionen von Kindern gegen Krankheiten zu immunisieren, ermöglicht sie eine kostengünstige präventive Gesundheitsversorgung und rettet auf diese Weise Millionen von Leben. Ausserdem arbeitet Gavi mit innovativen Finanzierungsmechanismen, um die Kosten von Impfstoffen für Regierungen zu senken und sie früher verfügbar zu machen. Gavi garantiert Pharmaunternehmen einen Markt und unterstützt die Einlagerung von Impfstoffen, auf die dann beim Ausbruch einer Epidemie zurückgegriffen werden kann. Vor Kurzem gab es zum Beispiel eine Kooperation mit Merck, um die Weiterentwicklung und Einlagerung von 300 000 Dosen Ebola-Impfstoff zu unterstützen; dadurch ist eine schnellere Reaktion möglich, wenn es eine neue Epidemie gibt. Denken Sie, dass der Ebola-Ausbruch nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen hat, weil er sich in Entwicklungsländern abspielte? Es hat gedauert, bis die Welt realisiert hat, dass das Virus jeden treffen und sich über Flugreisen sehr schnell ausbreiten könnte. Nachdem sich einige der selbstlosen Ärzte und Schwestern aus dem Westen infiziert hatten, wurde der Welt schnell klar, dass es um eine globale Bedrohung ging. Konkret zur Ebola-Epidemie kann man sagen: Die Welt hat inzwischen verstanden, dass ein Virus Grenzen unbemerkt überschreiten kann, wenn man nicht schnell reagiert. Nun sind Reaktionsmechanismen etabliert worden. Gavi spielt eine sehr bedeutende Rolle dabei. Als Afrikanerin empfinde ich Stolz darüber, für eine Organisation arbeiten zu dürfen, die das Einlagern von tausenden von Ebola-Impfstoffen unterstützt. Noch einmal zu Afrika: Worin sehen Sie die grössten Herausforderungen und Chancen für den Kontinent? Sich auf die Personen ganz unten auf der Wirtschaftsleiter konzentrieren, Wirtschaftsreformen unterstützen, Korruption bekämpfen, Wachstum stärken und etwas gegen die zunehmende Ungleichheit tun. Arbeitslosigkeit ist die grös ste Herausforderung von allen. Wir müssen dafür sorgen, dass Wachstum gute Jobs für junge Menschen bringt. Gleichzeitig bestehen auch riesige Chancen. Es gibt globale Herausforderungen wie den Klimawandel, bei denen Afrika führend sein kann. Es sind dort noch sehr viele gänzlich neue Infrastrukturen zu errichten. Wir können Infrastrukturen mit geringer CO2-Intensität bauen und der Welt zeigen, wie sich Wachstum ohne hohe Emissionen erreichen lässt. Zugleich haben wir eine Bevölkerungszunahme und einige der jüngsten Bevölkerungen weltweit. Wie machen wir aus dieser jungen Bevölkerung eine produktive, die für Wachstum sorgt? Wenn wir sie nicht mit einbeziehen, be- «Afrika hat so viele Chancen und so viele Ideen, die wir nutzen können, nicht zuletzt seine lebhafte junge Bevölkerung.» Dr. Ngozi Okonjo-Iweala kommen wir einen demografischen Albtraum. Wenn wir es dagegen schaffen, sie zu integrieren, bekommen wir eine demografische Dividende. Ich glaube, dass uns das gelingen kann. Ausserdem gibt es in Afrika eine grösser werdende Schicht von Konsumenten und eine starke Basis für ausländische Investitionen und Industrialisierung. Wir müssen auf dem Kontinent selbst produzieren und damit aufhören, Rohmaterialien zu exportieren. Wir müssen in Afrika Wert schaffen. Ich sehe grosse Chancen für den Kontinent. Wir sollten uns nicht auf vorübergehende Rückschläge konzentrieren, sondern von unserer jetzigen Situation lernen. Sie sind für viele Menschen selbst ein Vorbild. Was würden Sie jungen Afrikanern raten, damit sie Teil der viel versprechenden Zukunft für den Kontinent sein können? Zuallererst: an sich selbst und den Kontinent glauben und Vertrauen haben. Wie jeder andere Kontinent macht auch Afrika Höhen und Tiefen durch. Doch aus jeder Wachstumsphase und aus jedem Abschwung lassen sich Lehren ziehen. Die wichtigste Lehre aus dem vergangenen Jahrzehnt lautet, dass wir Wachstum hatten, aber kein widerstandsfähiges. Wir müssen uns ansehen, welche Arten von gesellschaftlichen, strukturellen und institutionellen Reformen erforderlich sind, um zu einem stetigeren und weniger volatilen Wachstum zu kommen. Afrika hat so viele Chancen und so viele Ideen, die wir nutzen können, nicht zuletzt seine lebhafte junge Bevölkerung. 23 DIE ZUKUNFT GESTALTEN DIE KRAFT DER ZUKUNFT Die Tesla-Heimbatterie Powerwall wird mit Strom aus Solarzellen gespeist. DIE ZUKUNFT GESTALTEN 24 Der Mann hinter dem beeindruckenden Aufschwung der Elektroautos von Tesla Motors ist JB Straubel, Erfinder der Batterietechnologie des Unternehmens. Die Autoindustrie hat Tesla schon revolutioniert, doch das war erst der Anfang: Die dauer haftesten Auswirkungen könnte Straubels Vision für mehr Nachhaltigkeit bei Verkehr und Energienutzung haben – alles auf der Grundlage von einfachen Batterien. Autor: Stuart Spear JB Straubel ist Chief Technology Officer von Tesla Motors, gegründet im Jahr 2003 von Ingenieuren aus dem Silicon Valley, die sich für die Idee begeisterten, Elektroautos aus den Hobbykellern in den Massenmarkt zu bringen. Elon Musk hatte kurz zuvor seinen digitalen Zahlungsdienstleister PayPal an eBay verkauft und wollte gleich das nächste Projekt angehen. Straubel wiederum hatte gerade die Vermögenswerte seines ersten Unternehmens Volacom Inc., das unbemannte elektrische Fluggeräte entwickelte, an Boeing verkauft. Die beiden verabredeten sich in Los Angeles, und eine Bemerkung Straubels gegen Ende des gemeinsamen Mittagessens brachte den Stein für seine heutige Vision ins Rollen: Er arbeite an einem «verrückten Projekt», sagte Straubel – er wolle eine Lithium-Ionen-Batterie (Li-Ion) bauen, mit der ein Auto 1000 Meilen weit kommt. Schnell entspann sich eine Diskussion darüber, wie sich die technologischen Fortschritte bei der Produktion von Li-Ionen-Akkus kommerziell nutzen lassen. Die Reise des Silicon-Valley-Start-ups begann mit dem allgemeinen Grundsatz, «Autos ohne Kompromisse» zu schaffen. Die Ingenieure machten sich daran, einen Sportwagen mit Drehstrom-Asynchronmotor zu entwickeln, der im Jahr 2008 als Tesla Roadster auf den Markt kam. Doch schon bald sollte die Vision des Unternehmens weit über die Produktion von Autos hinausreichen: Die Mitgründer Straubel und Musk begannen darüber nachzudenken, woher der Strom für den Antrieb ihrer Autos kommen solle. Zunächst einmal erkannte Tesla, dass es bei Elektroautos nicht nur Kunden gibt, die ihr Öko-Gewissen beruhigen wollen, sondern potenziell auch solche, die Fahrspass und hohe Leistung wünschen und gern Geld dafür ausgeben. «Beim Vorantreiben von Nachhaltigkeit bei Verkehr und Energienutzung geht es nicht darum, den Leuten vorzuschreiben, wie viel Energie sie verbrauchen dürfen, oder ihnen etwas zu verbieten, das sie eigentlich gern tun würden. Es geht darum, hervorragende Produkte zu bauen, die mehr Spass machen als nicht nachhaltige Alternativen», erklärt Straubel. Ebenfalls fiel den Gründern des Unternehmens auf, dass traditionelle Autohersteller sich eine Chance entgehen lies sen. Sie nahmen zu dieser Zeit normale Autos mit Verbrennungsmotor und rüsteten sie mit Batterien auf. Die TeslaIngenieure fragten hingegen, was passieren würde, wenn man mit einem leeren Blatt Papier anfängt. Ihre Antwort war das Tesla Model S, eine komplett elektrische Luxuslimousine mit Autopilot. «Für uns im Silicon Valley machte es keinen Sinn, dass die meisten Autos voller Regler und Knöpfe aus Plastik waren, von denen jeder eine spezifische Funktion hat, die sich nicht ändern lässt», erklärt Straubel. «Wir beschlossen, stattdessen einen Touchscreen zu entwickeln, mit dem sich alles am Auto steuern lässt, so dass man es mit Software konfigurieren und verändern kann. Für uns war auch vollkommen offensichtlich, dass wir bei der Entwicklung eines Autos Online-Konnektivität über ein Drahtlos-Modem einbauen mussten, so dass wir seine Software wie bei einem Smartphone einfach aktualisieren können.» Durch die eingebaute Internet-Verbindung kann Tesla heute Informationen aus seiner Flotte einholen, Probleme beheben und neue Funktionen einspielen, ohne dass es die Besitzer überhaupt bemerken. Vor Kurzem wurde auf diese Weise ein grosses Software-Update gemacht, das dem Model S unter anderem die Fähigkeit gibt, auf Autobahnen weitestgehend selbstständig zu fahren. DIE ENERGIEREVOLUTION VORANTREIBEN Innovationen in der Automobilindustrie sind nur ein Teil der Mission von Tesla. Das Unternehmen versteht sich nicht als blosser Autohersteller, sondern als «Energieinnovationsunternehmen». Und genau von diesem Teil seiner Vision erwartet Straubel, dass er eine Energierevolution auslösen wird. Es ist zwar gut, Emissionen durch die Verbrennung von Benzin und Diesel zu vermeiden. Doch auch der Strom für Elektroautos wird grossteils mit fossilen Brennstoffen erzeugt. Das Problem bei erneuerbaren Energiequellen ist, dass die Sonne nicht immer scheint und der Wind nicht immer weht. Dadurch müssen Stromversorger zusätzliche, meist fossile Kraftwerke als Reserve beinhalten. Entscheidend für das Freisetzen des Potenzials von erneuerbaren Energien ist deshalb die Speicherung von Strom. Auch aus diesem Grund ist Straubel so sehr am technischen Fortschritt bei Batterien interessiert. Bereits heute produziert Tesla Batterien für die Speicherung von erneuerbarer Energie aus privaten Solaranlagen so- 25 DIE ZUKUNFT GESTALTEN Die Tesla-Gigafactory im US-Bundesstaat Nevada soll 2017 mit der Produktion der Zellen beginnen. wie grössere kommerzielle Batterien für die Industrie. Das Solarstrom-Speichermodul Tesla Powerwall wird in Kalifornien schon von mehr als 1000 Haushalten genutzt. Die nächste Herausforderung ist jetzt, mit den Versorgungsunter nehmen eine netzweite Speicherung von überschüssiger erneuerbarer Energie zu realisieren. Unter anderem untersucht Tesla dazu die Möglichkeit, Speicher in vielen kleinen Hausanlagen zu vernetzen. «In den meisten Städten gibt es ein Netzwerk aus Häusern mit integrierten Speichermöglichkeiten – sie müssen nicht direkt nebeneinander stehen, sondern können über das Viertel oder die ganze Stadt verteilt sein», erklärt Straubel. «Mit Informationstechnologie kann man sie miteinander verbinden und die Zeiten für Ladung und Entladung kontrollieren, so dass man mit dieser verteilten Speicherung einen Teil der Last beim Versorger steuern kann.» Der Vorteil dabei ist, dass vernetzter Speicherung von der Grösse her keine Grenzen gesetzt sind: Eine ganze Stadt könnte Stromressourcen gemeinsam nutzen. Antreiber für diese Ideen ist der Klimawandel. Beim Julius Bär Next Generation Summit 2015 in Singapur warnte Straubel, der Planet habe einen Wendepunkt überschritten, weil die CO2-Konzentration in der Atmosphäre der nördlichen Halbkugel den Schwellenwert von 400 parts per billion erreicht habe. «Die CO2-Folgen von fossilen Brennstoffen werden in meinen Augen die grösste Rolle beim Antreiben des Wandels spielen. Es gibt nichts anderes, das so langfristige und weitreichende Auswirkungen haben wird», sagte er. Irgendwann werde der Klimawandel eine weltweite Kohlendi oxidsteuer erzwingen, die erneuerbare Energien billiger macht als fossile Brennstoffe. DIE ZUKUNFT GESTALTEN 26 MEHR ENERGIE Batterien scheinen schon immer ein Teil von Straubels Leben gewesen zu sein. Im Alter von 14 Jahren baute er aus einem alten Golfwagen sein erstes Elektrofahrzeug, mit Anfang 20 stattete er einen Porsche 944 aus dem Jahr 1984 mit zwei Elektromotoren aus, die von Blei-Säure-Batterien mit Strom versorgt wurden. Inzwischen ist er 40 Jahre alt und plant den Bau der grössten Batteriefabrik der Welt. Erst um das Jahr 2000 herum gab es in der Batterietechnologie einen sprunghaften Fortschritt: Neu auf den Markt kamen Lithium-Ionen-Batterien, die bei gleichem Gewicht fast viermal so viel Energie liefern konnten wie die alten Blei-Säure-Batterien und so im vergangenen Jahrzehnt zu einer Revolution in der Konsumelektronik führten. Tesla war im Jahr 2008 eines der ersten Unternehmen, das auf die Idee kam, Li-Ion-Technik für Elektroautos einzusetzen. «Die meisten Leute haben uns gesagt, wir seien vollkommen verrückt», erinnert sich Straubel. «Es war ungefähr zu der Zeit, als die meisten Nutzer fürchteten, ihre Laptops könnten plötzlich in Flammen aufgehen.» Davon unbeeindruckt setzte Tesla konsequent auf Lithium-Ionen-Technik und baute mit dem Roadster das erste Elektroauto, das die neue Technologie nutzte. «Damit konnten wir eine wirklich andere Art von Elektroauto vorweisen, in einer vollkommen anderen Leistungsklasse, als die Leute erwartet hatten. Möglich war das nur durch die enorme Zunahme der Energiedichte», berichtet Straubel. Seit dem Marktstart des Roadsters hat sich die Batterieleistung um noch einmal etwa 40 Prozent verbessert. Eine Zunahme von weiteren 40 Prozent wird bis zum Jahr 2017 erwartet, für das Tesla sein neuestes Elektroauto angekündigt hat, das Model 3. Mit einem Preis von rund 35 000 Dollar und einer Reichweite von mehr als 300 Kilometern soll es zum ersten Massenprodukt des Unternehmens werden. Nach einer Faustregel verdoppelt sich die Leistung von Batterien alle zehn Jahre. Das würde bedeuten, dass Elektroautos bald in jedem Bereich mit Benzin konkurrieren können. Bis 2020 will Tesla seine Produktion mit dem Model 3 auf 500 000 Autos pro Jahr ausbauen. Für das Unternehmen bringt das eine neue Herausforderung mit sich: Allein für die eigenen Autos bräuchte es bei diesem Volumen mehr als die gesamte weltweite Produktion von Lithium-Ionen-Batterien des Jahres 2013. «Umfang und Ausmass der Produktion werden sich recht schnell verändern müssen, denn schon 2014 hat Tesla als kleinstes Autounternehmen der Welt 10 Prozent des weltweiten Angebots an Lithium-Ionen-Batterien gebraucht», sagt Straubel. «Das hat mehr oder weniger funktioniert, weil es ungenutzte Kapazität gab und wir Zellen von unterschiedlichen Anbietern kaufen konnten. Aber das war für nur 35 000 Autos pro Jahr, und weltweit werden jährlich 100 Millionen neue Autos verkauft, also wird die Produktionskapazität rasch zu einem Problem werden.» EINE KRAFT FÜR DEN WANDEL Um die Kosten der Batterieproduktion zu drücken, wird es laut Straubel Grössenvorteile und neue Produktionsverfahren geben müssen. Die Batterien machen bei Elektroautos ungefähr ein Viertel der Kosten aus, sodass sich der Verkaufspreis von 35 000 Dollar für das Model 3 ohne eine deutliche Senkung der Produktionskosten nicht erreichen lässt. Aus diesem Grund ist Tesla dabei, eine «Gigafactory» zu bauen, die pro Jahr 35 Gigawattstunden – also 35 Milliarden Wattstunden – an Speicherkapazität zur Nutzung in Elektroautos und Stromnetzen produzieren soll. Die fünf Milliarden Dollar teure Riesenfabrik entsteht derzeit in Sparks im US-Bundesstaat Nevada in einem Joint-Venture mit dem japanischen Elektronikhersteller Panasonic. Gebaut in Form eines Diamanten, wird sie mit Solarstrom versorgt und ist genau nach dem geografischen Norden ausgerichtet, was die exakte Platzierung ihrer Anlagen mittels GPS erleichtert. Ab 2020 soll diese Fabrik mehr Lithium-Ionen-Batterien produzieren, als die gesamte Welt heute verbraucht. Das letzte Stück des Elektroauto-Puzzles besteht in der Infrastruktur – der Verfügbarkeit von Ladestationen. Auch hier setzt Tesla auf einen unkonventionellen Ansatz. Beim Aufladen von Elektroautos interessieren die Besitzer vor allem zwei Punkte: Gibt es genügend Ladestationen, damit sie überall dorthin fahren können, wo sie wollen, und wie lange dauert das Aufladen? In beiden Fällen geht das Unternehmen eigene Wege. Statt auf eine Einigung mit anderen Autoherstellern zu warten, baut es ein eigenes Netz aus «Supercharger»-Stationen, an denen Teslas innerhalb von nur 30 Minu- JB Straubel, Erfinder der Batterietechnologie von Tesla Motors. ten aufgeladen werden können. Inzwischen ist es das grösste Schnellladenetz der Welt mit vielen zentral gelegenen Standorten. Ähnliche Netze entstehen in Europa und Asien. Straubel sieht eine Parallele zwischen dem Tesla-Ladenetz und der Konkurrenz von Mobilfunkanbietern um die beste Netzabdeckung. In seinen Augen werden Ladenetze bald der entscheidende Wettbewerbsfaktor bei Elektroautos sein. Die Unternehmen würden Stationen gemeinsam nutzen, um ihre Abdeckung zu verbessern und sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Manchmal sind es die banalsten Objekte, die unser Leben am stärksten verändern. So wie die ersten Spinnmaschinen einst die Weltwirtschaft transformierten, indem sie zum Auftakt der industriellen Revolution wurden, so haben heute Fortschritte in der Batterietechnologie das Potenzial, den Übergang unserer Welt zu einem nachhaltigen Verkehrswesen zu beschleunigen und die Entwicklung von erneuerbarer Energie zu einer echten Alternative für die Stromversorgung der Zukunft zu unterstützen. 27 DIE ZUKUNFT GESTALTEN DIE ZUKUNFT GESTALTEN 28 AUF DEM WEG ZU EINER BESSEREN WELT Professor Hans Rosling über Fortschritte für die Menschheit Hans Rosling hat sein gesamtes Berufs leben dem Thema öffentliche Gesundheit gewidmet. Im vergangenen halben Jahrhundert konnte er hier enorme Verbesserungen rund um die Welt beobachten, was ihn optimistisch macht, dass sich in den kommenden Jahrzehnten noch viel mehr erreichen lässt. Diesen Optimismus möchte er teilen, denn die Geschichte der Entwicklung der Menschheit ist eng verbunden mit Gesundheitswesen, Bevölkerungstrends und Verhaltensmustern. Autorin: Janet Anderson Als Hans Rosling in den 1970er Jahren sein S tudium in Statistik und Medizin an der Universität Uppsala in Schweden begann, schien die Welt noch klar unterteilt in Industriena tionen und Entwicklungsländer. In Bangladesch zum Beispiel, einem der ärmsten Länder, brachte damals jede Frau im Durchschnitt sieben Kinder zur Welt, und jedes vierte davon starb, bevor es fünf Jahre alt war. Seit dieser Zeit hat in dem Land eine dramatische Entwicklung stattgefunden. Die Kindersterblichkeit ist von 24 Prozent auf 6 Prozent gefallen, und die Zahl der Geburten pro Frau liegt bei nur noch 2,3 Prozent. «Was Bangladesch in der Lebenszeit eines Erwachsenen erreicht hat, grenzt an ein Wunder», erklärt Rosling. Dank der deutlich niedrigeren Geburtenrate sowie besserer Gesundheitsversorgung und Bildungsmöglichkeiten kann man allmählich Wirtschaftswachstum beobachten.» In seiner Forschungsarbeit konzentrierte sich Rosling, der unter anderem als Berater für die Weltgesundheitsorganisation und die UNICEF tätig ist, von Anfang an auf die Verbindung zwischen Armut, Gesundheit und wirtschaftlicher Entwicklung. Gleichzeitig merkte er schon früh, dass die im Westen vorherrschende Ansicht einer Teilung der Welt in «wir» und «die» falsch ist. In den 1970er Jahren studierte er Sozialmedizin am St John’s College im indischen Bangalore, wo er von seinen Mitstudierenden lernte, dass der Westen kein Monopol auf Fortschritt hatte. «Ich war sehr beeindruckt von der Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit meiner Kommilitonen», erinnert sich Rosling. «Besonders beeindruckt war ich davon, wie viel mehr sie wussten. Das sagte mir damals schon, dass Asien im Kommen war.» Was sich seit seiner Studienzeit getan hat, ist in der Tat beeindruckend und gibt Anlass zu Optimismus. «Es gibt nicht mehr zwei Arten von Ländern in der Welt», sagt Rosling, heute Professor für internationale Gesundheit am Karolinska-Institut, der medizinischen Universität in Stockholm. «Die alte Unterteilung in Industrie- und Entwicklungsländer wurde abgelöst. Heute befinden sich die 192 Länder auf einem Kontinuum der sozioökonomischen Entwicklung. Viele Länder in Asien kommen heute doppelt so schnell voran, wie es in Europa je der Fall war, und fünf Milliarden Menschen sind auf dem Weg zu einem gesunden Leben mit Bildung, Mobiltelefonen, Elektrizität, Waschmaschinen und Gesundheitswesen.» Tatsächlich hat die Mehrheit der Weltbevölkerung inzwischen ein mittleres Wohlstandsniveau erreicht, und die meisten Länder gelten als entwickelt; nur eine kleine Minderheit ist noch als Entwicklungsländer zu bezeichnen. Eine der wichtigsten und dramatischsten Entwicklungen war der Rückgang bei der durchschnittlichen Zahl der Babys pro Frau – für Rosling hat dies all die anderen Fortschritte erst ermöglicht. Richtig klar wird das Ausmass dieser Veränderung erst, wenn man sie vor den Hintergrund der gesamten Menschheitsgeschichte stellt. Bis 1965 lag die Zahl der pro Frau geborenen Kinder weltweit bei etwa sechs – und sie wurde hauptsächlich von der Natur diktiert. Nach mehreren Jahrtausenden ohne Veränderung begann der globale Durchschnitt damals allmählich zu fallen, dann beschleunigte sich der Rückgang. Im weltweiten Durchschnitt bringt jede Frau jetzt nur noch 2,5 Babys zur Welt. Für Rosling ist dies der bedeutendste positive Trend für die Welt von heute. Der Rückgang der Geburtenrate sei «zwar nicht der wichtigste Fortschrittstreiber und vielleicht nicht einmal das wichtigste Ziel von Fortschritt, aber er ist ein entscheidender Indikator für globale Gesundheit und Wohlstand», erklärt er. Denn dieser Rückgang bedeutet, dass die Menschen selbst entscheiden, wie viele Kinder sie haben wollen, statt der Natur ihren Lauf zu lassen. Familien 29 DIE ZUKUNFT GESTALTEN DIE ZUKUNFT GESTALTEN 30 85 GESUNDHEIT GESUND 70 KRANK 60 Tadschikistan Nepal p Bangladesch s Sao Tome & P. Senegal Ruanda 65 Lebenserwartung 55 Wie war dieser Fortschritt möglich? Auch hier sind wieder tief verwurzelte Irrtümer im Spiel. «Vor allem im Westen ist die Annahme verbreitet, dass Gesundheit erst eine Folge des Wohlstands ist, denn so hat es sich während der industriellen Revolution in Europa abgespielt», erklärt Rosling. In Asien läuft es andersherum. Rosling verweist auf das Beispiel Afrika: «In vielen Ländern geht der Wunsch, zwei Kinder pro Familie zu haben, dem Wirtschaftswachstum voraus», sagt er. «Die Hälfte des Rückgangs bei der Kindersterblichkeit lässt sich auf verbesserte Bildung von Frauen zurückführen. Zu verdanken ist das den professionell ausgebildeten Hebammen und Pflegefachfrauen sowie den Freiwilligen in den Dörfern.» Wenn man hohe Kindersterblichkeit und extreme Armut im Griff hat, kann man sich dem nächsten Problem zuwenden, so Rosling. In Indien zum Beispiel ist die wichtigste Todesursache von jungen Frauen Selbstschädigung; in Ländern mit höherem Einkommen sterben junge Männer am häufigsten durch Verkehrsunfälle und Gewalt, und in den Somalia Timor-Leste Nordkorea H ii Haiti Madagaskar Liberia Äthiopien Eritrea Burundi Niger Guinea Togo Benin Komoren Dschibuti Tansania T n Kiribati Uganda d Malawi Papua Neu-Guinea Sierra Leone Mali Mosambik m Salomonen m Burkina Faso Dem. Republik Kongo Kenia G ambia Simbabwe K Kamerun Tschad T Südsudan Afghanistan a Zentralafrikanische Rep. Guinea-Bissau 50 WOHLSTAND KOMMT NICHT IMMER VOR GESUNDHEIT 75 Hans Rosling können heute in die Ausbildung ihres Nachwuchses investieren und an einer besseren Zukunft bauen. Darüber hinaus ist der Geburtenrückgang wichtig, weil er einen der grössten Irrtümer in unserem Denken über Fortschritt erkennen lässt: dass nämlich die Zahl der Kinder pro Frau von der Religion abhängt. Stattdessen liegen die Ursachen im Fortschritt der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung sowie im Rückgang der Kindersterblichkeit: «Wenn man ein einigermassen geordnetes Leben mit Zugang zu Schulen und Gesundheitswesen führen kann und über ein gewisses Mass an Produktivität verfügt, bekommt man weniger Kinder.» Die globalen Bevölkerungsdaten bestätigen dies. Die hohe Kindersterblichkeit bis zur industriellen Revolution bedeutete, dass die Weltbevölkerung trotz der hohen Zahl an Geburten pro Frau nur sehr langsam zunahm. Als die Kindersterblichkeit sank, wuchs die Weltbevölkerung schnell auf sieben Milliarden Menschen. Jetzt geht die Zahl der Geburten weltweit pro Jahr zurück, und die Zahl der Kinder, die älter als fünf Jahre werden, nimmt zu. Der Gesamteffekt ist, dass sich das weltweite Bevölkerungswachstum verlangsamt. apminder World 2013 80 «Wir können die weltweite Ungleich heit punkto Gesundheit beenden – wir wissen, was dafür zu tun ist. Tatsächlich scheint dieses Ziel im Vergleich zum Kampf gegen Klima wandel und Krieg geradezu leicht erreichbar.» Lesotho $500 $1000 $2000 Japan Italien Israel Zypern Malta China Ch n Vietnam Nicaragua Bosnien & H. Sri Lanka Jamaika k Marokko Palästina Kap Verde Bolivien Honduras Samoa Moldawien Tonga Ecuad dor do Ukkraine Guatemala Philippinen Usbekistan b Bhutan Kirgisistan Myanmar y mar ar Kambodscha odsc Mikronesien n Pakistan Jemen Ghanaa Kolumbien umbie Barb Mexiko M k Brasilien ilil en Bulgarien Irrak Suriname Weiss- Indonesien d russland Fidschi s Mongolei Nigeria Angola Saudi Arabien Vereinigte Arabische Emirate Oman Trinidad & Tobago Russland d GESUNDHEIT & EINKOMMEN DER NATIONEN IN 2013 Diese Grafik zeigt Lebenserwartung und BIP pro Kopf für alle 182 von den UN anerkannten Ländern mit mehr als 100 000 Einwohnern im Vergleich. Botswan na Indien d Elfenbeinküste t Kuwait Seychellen Guyana Kongo Rep. Luxemburg Brunei Bahrein Kasachstan Turkmenistan USA Tschechische c Rep. Malaysia Katar Singapur Deutschland n nd Dänemark Belgien Polen Aserbaidschan Grenada Österreich Niederlande Norwegen Bahamas Mauritius St.Vincent. & G. Schweiz Kanada Irland N. Seel. Finnland Estland Slowakische Rep. Rumänien n Ungarn Ven nezuela n Lettland Lithuania M onten en. en Thailaand GB Slowenien Chile Kroatien Uruguay Panama Peru Ägypten t Laos Mauretanien Vanuatu A lbanien St.. Lucia El Salvador St B elize elizz e Serbien Portugal Türk rkkei Argeentinie n nien eT en Libyen Mazedonien i Alg Algerien i n Dominikanische R. Armenien Paraguay Georgia Syrien S d Sudan Jordan Tuneesien Gi h l d Griechenland IranLibanon Kuba Malediven Frank Fran nkreich eicch h Spanien Südkorea Costa Rica Island AustralienSchweden FARBEN FÜR DIE REGIONEN Namibia Südafrika Gabun ÄquatorialÄ guinea GRÖSSE DER BEVÖLKERUNG Sambia 1 10 100 1000 Millionen Swasiland ARM EINKOMMEN REICH $4000 $8000 $16 000 BIP pro Kopf in internationalen USD www.gapminder.org/world version 8 $32 000 $64 000 $128 000 Diese Abbildung zeigt Lebenserwartung und BIP pro Kopf im Jahr 2013 für 182 Länder im Vergleich. Jeder Kreis steht für ein Land, an der Grösse ist die Bevölkerungszahl zu erkennen, an der Farbe die Region. In Ländern mit höherem Pro-Kopf-BIP leben die Menschen länger. In keinem der Länder mit hohen Einkommen gibt es eine sehr kurze Lebenserwartung und in keinem Land mit niedrigen Einkommen eine sehr hohe. Die Abbildung wurde im November 2014 produziert und im März 2015 von Gapminder überarbeitet. (www.gapminder.org) 31 DIE ZUKUNFT GESTALTEN reichsten Ländern kommen ältere Männer zumeist durch nicht ansteckende Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Lungenkrebs ums Leben. «Mit sozioökonomischen Fortschritten entstehen neue Gefahren. Für manche Länder ist die Gesundheit der Zukunft das, was in anderen Ländern bereits die Gesundheit der Gegenwart ist.» All die Fortschritte werfen noch deutlicher die Frage auf, was mit den rund einer Milliarde Menschen auf Erden geschehen soll, die bislang nicht von diesen Entwicklungen profitieren konnten – mit denjenigen also, die noch immer im Teufelskreis aus extremer Armut und Krankheit stecken. Rosling formuliert es sehr direkt: «In extremer Armut zu leben, bedeutet, auf einem Niveau zu leben, auf dem man nicht überleben wird, wenn der Lebensstandard auch nur ein bisschen sinkt.» Das Überwinden extremer Armut ist der wichtigste Punkt in den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen, die am 1. Januar 2016 in Kraft getreten sind: Innerhalb von 15 Jahren soll es die Welt schaffen, extreme Armut zu stoppen. Rosling ist fest davon überzeugt, dass dies im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt. Der Schlüssel dazu sei die Verbesserung der grundlegenden Gesundheitsversorgung. «Das grösste Gesundheitsproblem für die ärmsten Länder bilden noch immer Infektionskrankheiten wie Lungenentzündung und Durchfall. Dies sind heilbare Krankheiten, die sich mit einer hinreichend hygienischen Umgebung vermeiden lassen», sagt Rosling. «Wir können die weltweite Ungleichheit beenden – wir wissen, was dafür zu tun ist. Tatsächlich scheint dieses Ziel im Vergleich zum Kampf gegen Klimawandel und Krieg geradezu leicht erreichbar.» Laut Rosling ist eine der grössten Hürden unsere eigene Ignoranz über die Entwicklungen der vergangenen 50 Jahre. 2006 fand er heraus, dass Studierende im Fach globale Gesundheit am Karolinska-Institut beim Beantworten von Fragen über die Gesundheitslage in Asien nicht besser waren als Schimpansen. Bei der Aufgabe, anzugeben, welches von zwei Ländern eine doppelt so hohe Sterblichkeitsrate hat wie das andere, kam weniger als die Hälfte auf die richtige Antwort. «Das ist weniger als bei Schimpansen, die ihre Antworten zufällig wählen», sagt Rosling ohne Umschweife. Ähnliche Tests hat er seitdem mit Gruppen in anderen Ländern wie den USA, Grossbritannien, Deutschland, Südafrika und Norwegen gemacht. Zu den Fragen zählen: «Hat sich der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt, halbiert oder nicht verändert?» und «Wie ist die Lebenserwartung der Weltbevölkerung?». Die Ergebnisse waren überall ähnlich – ein erschreckend hoher Anteil der erwachsenen Befragten täuschen sich über den Zustand der Welt, halten die Situation für schlimmer, als sie ist. Die Ursachen dafür sieht Rosling in mehreren Faktoren, einen aber hebt er heraus: Der Blick auf die Welt, den viele von uns haben, sei schlicht veraltet. «Die meisten von uns haben das, was sie über die Welt wissen, in der Schule gelernt, und diese Informationen werden nur über die Nachrichten aktualisiert, die naturgemäss das Aussergewöhnliche DIE ZUKUNFT GESTALTEN 32 «Die meisten von uns haben das, was sie über die Welt wissen, in der Schule gelernt, und diese Informationen werden nur über die Nachrichten aktualisiert, die naturgemäss das Aussergewöhnliche gegenüber dem Normalen betonen und sich auf rasche Veränderungen konzen trieren. Langsamer und stetiger Wandel bei bedeutenden Trends dagegen be kommt nicht viel Aufmerksamkeit.» Hans Rosling gegenüber dem Normalen betonen und sich auf rasche Veränderungen konzentrieren. Langsamer und stetiger Wandel bei bedeutenden Trends dagegen bekommt nicht viel Aufmerksamkeit», erklärt Rosling. Von daher kommt unsere Tendenz, zu glauben, dass die Dinge schlimmer sind, als sie wirklich sind. DIE WAHRHEIT LIEGT IN DEN FAKTEN Rosling hat es zu einem seiner wichtigsten Ziele gemacht, gegen solche falschen Vorstellungen anzugehen. Er möchte den Menschen Fakten über unsere Welt so zeigen, dass sie leicht zu verstehen sind. Dazu hat er 2005 zusammen mit seinem Sohn und seiner Schwiegertochter die Gapminder Foundation gegründet. Eine gemeinnützige Organisation, die sich für nachhaltige globale Entwicklung mit Hilfe eines auf Fakten basierenden Blicks auf die Welt einsetzt. Mit Trendanalyzer, einem selbst entwickelten Softwarewerkzeug, hat das Gapminder-Team eine Möglichkeit gefunden, Daten von verschiedenen Institutionen zusammenzubringen, die bis dahin für die Öffentlichkeit schlecht zugänglich oder nicht auf Anhieb zu verstehen waren. Diese Daten werden durch das Team leicht und verständlich zusammengetragen. Rosling spricht davon, Daten auf eine Weise «zu befreien und zu verbinden», um einen auf Fakten basierenden Blick auf die Welt zu gewinnen. «In Westeuropa und Nordamerika gibt es diesbezüglich eine toxische Kombination aus Arroganz und Ignoranz», sagt er. «Ich habe entschieden, dem entgegenzutreten, indem ich zum Lehrer werde und öffentlich verfügbare Statistiken einsetze. Acht von zehn Menschen weltweit haben heute Zugang zu Elektrizität, acht von zehn Kindern werden gegen Masern geimpft, neun von zehn Mädchen im Grundschul alter gehen in die Schule. Die Leute wissen das nicht. Sie haben eine veraltete Weltsicht, die ungefähr 35 Jahre hinter der Zeit zurückliegt.» Wir müssen verstehen, wie wir die Zukunft gestalten und unseren Blick auf die Welt auf einen neuen Stand bringen können, der zur heutigen Realität passt, betont Rosling. Von den heute sieben Milliarden Menschen weltweit gehört eine Milliarde zur höchsten Einkommensgruppe und eine Milliarde zur untersten. Für die fünf Milliarden Menschen da zwischen passieren die schnellsten Fortschritte im Bereich Gesundheit. «Wenn wir uns auf die schlimmsten Fälle konzentrieren, übersehen wir die enormen Verbesserungen, die es bei der Mehrheit gegeben hat», sagt Rosling. «Die meisten Länder sind gut unterwegs. Eine Ausnahme sind die Länder, in denen Krieg herrscht oder dysfunktionale Regierungen an der Macht sind. Die Schwellenländer nähern sich Europa und Nordamerika jedes Jahr weiter an. Sie bieten grundlegende Gesundheitsdienste für alle Einwohner, Hilfe für jede schwangere Frau und Impfungen für jedes Kind sowie Medikamente gegen Fieber und Durchfall.» Wenn ein Land Infektionskrankheiten unter Kontrolle bekommt, profitiert die gesamte Bevölkerung – direkt, weil sie sich nicht ansteckt, und indirekt, weil die Erwerbstätigen gesünder werden, was der Wirtschaft zugute kommt. Roslings Schlussfolgerung daraus: «Investitionen in die Gesundheit zahlen sich aus. Erstens führen Menschen dadurch ein besseres Leben, zweitens können sie Geld verdienen. Man kann deutlich schneller vorankommen, wenn man erst einmal gesund ist.» zen, dass in Afrika vier Milliarden Menschen leben werden», erklärt Rosling. Damit wird es in Afrika viermal so viele Menschen geben wie in Europa, und der «Alte Westen» – die USA und Europa – wird weniger als zehn Prozent der gesamten Weltbevölkerung ausmachen; in den 1960er Jahren waren es noch 30 Prozent. Mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung werden in Asien und Afrika leben. «Das Zentrum wird nicht mehr der Nordatlantik sein. Der Grossteil des Handels wird sich um den Indischen Ozean herum abspielen», sagt Rosling. «Bereits 2035 wird es im Westen weniger Reiche geben als im Rest der Welt.» «Investitionen in die Gesundheit zahlen sich aus. Erstens führen Menschen da durch ein besseres Leben, zweitens kön nen sie Geld verdienen. Man kann deut lich schneller vorankommen, wenn man erst einmal gesund ist.» Hans Rosling IN DIE GESUNDHEIT INVESTIEREN LOHNT SICH Zum Beleg zeigt Rosling Daten zu einem weiteren wichtigen Fortschrittsindikator: der Lebenserwartung. Im Jahr 1800 lag sie weltweit bei nur 40 Jahren. «Selbst in den wohlhabenderen Ländern wie Grossbritannien waren die Leute reicher, aber nicht gesünder, weil es noch nicht das nötige Wissen über Hygiene gab», erklärt er. Heute zeigt sich beim Vergleich von zwei Ländern wie Schweden und Singapur, dass der Stadtstaat Schweden nicht nur eingeholt, sondern sogar überholt hat. Singapur ist sowohl reicher als auch gesünder. «In Asien machen die Menschen allgemein schnellere Fortschritte», sagt Rosling. «Gesundheit, Zwei-Kind-Familien und Bildung waren zuerst da. Jetzt haben die jungen Menschen in dieser Region einen Universitätsabschluss und zählen zu den besten jungen Talenten weltweit. Anschliessend beginnt das Wirtschaftswachstum.» Der letzte Schritt der Aufholjagd, bei dem Asien das Niveau von Europa und den USA erreicht, dürfte laut Rosling schneller kommen, als viele glauben. Schon Mitte dieses Jahrhunderts könne es so weit sein. Und auch in Afrika hätten ähnliche Entwicklungen bereits begonnen. Was kann man, gerüstet mit den Fakten über die Gegenwart, aus den weltweiten Bevölkerungstrends für die Zukunft ablesen? Von den heute sieben Milliarden Menschen leben eine Milliarde in Nord- und Südamerika, eine Milliarde in Europa, der Türkei und Russland, eine Milliarde in Afrika und vier Milliarden in Asien. Aber all das wird sich aufgrund von unterschiedlichen Geburtenraten in den einzelnen Regionen ändern. «Bis 2050 wird es in Afrika und Asien je eine Milliarde zusätzliche Menschen geben. Für 2100 lässt sich abschät- Fakten und Statistiken sind wichtig, um sich ein korrektes Bild von der Welt zu machen. Jedoch besteht Rosling zugleich darauf, dass auch Erfahrungen aus erster Hand unverzichtbar sind. «Ich habe die Welt nicht durch Daten verstanden, sondern durch die Realität», sagt er. «Ich konnte die Welt nur verstehen, weil ich in ihr gearbeitet habe.» Lange Zeit über war Rosling in Asien, Afrika, Lateinamerika und im Nahen Osten tätig. Vor Kurzem unterstützte er in Liberia den Kampf gegen Ebola. Seine eigenen Erfahrungen zeigen, wie sehr direkter Kontakt zu anderen Ländern dabei hilft, die Welt zu entdecken und sie besser zu verstehen. «Im Kongo habe ich Zeit mit weiblichen Kleinbauern verbracht, die zu den ärmsten Menschen der Welt zählen», berichtet er. «Ich muss zugeben, dass ich überrascht darüber war, wie intelligent sie sind. Menschliche Klugheit hat nichts damit zu tun, ob man studiert hat oder nicht. Um es brutal zu sagen: Wenn man in extremer Armut lebt, muss man sogar intelligent sein, ansonsten stirbt man.» Mit der Gapminder Foundation haben wir versucht, eine Landkarte der modernen Welt zur Verfügung zu stellen», sagt er. Mit dieser Arbeit zeigt Rosling der breiten Öffentlichkeit, welche Auswirkungen die enormen Veränderungen der vergangenen Jahre hatten, welche Entwicklungen in Gang gekommen sind und welche Erfolge in Zukunft noch möglich sind. Und was werden die Auswirkungen unserer Generation sein? «Ich bin weder Optimist noch Pessimist», sagt Rosling zusammenfassend zu den Fortschrittschancen für die Menschheit. «Ich bin Possibilist. Wenn es möglich ist, können wir es schaffen.» 33 DIE ZUKUNFT GESTALTEN Dr. Liu Thai Ker möchte «das Land romantisieren», wenn er eine Stadt plant. SINGAPUR: DIE VISION EINES MEISTERPLANERS DIE ZUKUNFT GESTALTEN 34 Das unglaubliche Tempo der Urbanisierung ist eine enorme Herausforderung für Stadt planer weltweit. Auf der Suche nach Inspiration blicken viele von ihnen nach Singapur und zu Dr. Liu Thai Ker. Er hat die Stadt in den vergangenen 50 Jahren von einer Ansamm lung von Slums zu einer der gelungensten Megacitys der Welt gemacht. Autor: Stuart Spear Wer nach Singapur kommt, ist sofort beeindruckt. Der Flug hafen begrüsst Besucher mit glitzernder Modernität. Ein effizientes Nahverkehrssystem und von Bäumen gesäumte Strassen verbinden sie mit einer modernen Innenstadt mit Weltklassehotels, Bürotürmen und Einkaufszentren. Der Sin gapore River und seine Quais geben der Stadt ihre Seele. Ein Drittel der Insel ist für Naherholungsgebiete und Trinkwas sergewinnung reserviert, was dabei hilft, ihre natürliche Um gebung zu bewahren. Es ist eine saubere, grüne Stadt aus einem Guss, und sie funktioniert. Genau aus diesem Grund stehen Stadtplaner aus aller Welt seit Jahren Schlange bei Dr. Liu Thai Ker, dem Mann, der ab 1969 in verschiedenen Funktionen entschei dend an der Planung von Singapurs urbaner Zukunft betei ligt war – zuletzt als Chief Executive des Housing Deve lopment Board (HDB) sowie als CEO & Chief Planner der Urban Redevelopment Authority (URA). Dass andere Planer von ihm wissen wollen, wie man Fehler vermeiden kann, ist keine Überraschung: Sein Einfluss auf die Gestaltung von Singapur ist unübersehbar, und die Einwohner sind sehr zu frieden damit. In den kommenden 40 Jahren wird die Welt eine Urbani sierung von Ehrfurcht gebietendem Ausmass erleben. Wenn China einen Entwicklungsstand wie die USA erreichen will, wird das Land das Äquivalent von drei Vereinigten Staaten neu bauen müssen – also dreimal so viele Gebäude und Strassen, wie es in den USA schon gibt. Indien wird entspre chend fünf neue USAs bauen müssen, Indonesien eine, hinzu kommen noch Afrika und Südamerika. «Wenn die Länder bei der Planung einen schlechten Job machen, wird das negative Auswirkungen auf die ganze Welt haben», erklärt Dr. Liu. «Und wenn sie gute Arbeit leisten, wird die ganze Welt profi tieren. Das ist der Grund dafür, warum wir mehr als bereit sind, die Erfahrungen von Singapur weiterzugeben.» Als kleiner Junge in Singapur träumte Dr. Liu davon, in die Fussstapfen seines Vaters zu treten und Künstler zu wer den. Stattdessen schickte ihn seine Mutter auf eine Architek turhochschule in Australien, weil sie nicht wollte, dass er in das damals instabile China ging, um dort Kunst zu studieren. Mit dieser Entscheidung veränderte sie sowohl das Schicksal ihres Sohnes als auch das von Singapur. Dr. Liu studierte Architektur an der University of New South Wales in Sydney und dann an der Yale University in den USA. In diesen wichtigen jungen Jahren lernte er die Grundprinzipien seiner Profession, die eines Tages auch Sin gapur prägen sollten. Als Erstes wurde ihm klar, dass kein Gebäude eine Insel ist und es deshalb einen Bezug zu den Bauten und Strassen um sich herum haben muss. Für ihn war das der Anlass, Stadtplanung zu studieren, um so ein besse rer Architekt zu werden. Darüber hinaus war Dr. Liu ein früher Umweltschützer. Als er in Sydney arbeitete, nahm ihn sein Chef, der sich für den Schutz der natürlichen Umgebung einsetzte, mit in den australischen Busch. Diese Erfahrung hatte tiefen Einfluss auf Dr. Lius Denken über die Natur. Von 1992 an war er Di rektor von RSP Architects Planners & Engineers, wo er weiter an bedeutenden Projekten in Singapur und Asien arbeitete. Parallel dazu plante er fast drei Dutzend Städte in China, Taiwan, Nahost und Russland mit Einwohnerzahlen zwischen knapp einer Million und zwölf Millionen. DAS LAND ROMANTISIEREN Wie ein Planer seiner Ansicht nach Bezug zur Natur nehmen sollte, dafür hat sich Dr. Liu eine eingängige Formulierung ausgedacht: «Viele Leute fragen mich, warum es in Singapur so viele gewundene Strassen gibt», erklärt er. «Ich antworte dann immer, weil wir die Hügel nicht durchbohren, sondern dafür sorgen wollten, dass die Strassen sich in die Hügel ein passen. Ich sage den Stadtplanern, dass sie versuchen sollen, das Land zu romantisieren. Sie sollen es nicht als Haufen Erde behandeln, sondern als etwas mit Gefühl, mit Charak ter. Wenn man jemanden romantisiert, zerstört man diese Person nicht, sondern macht sie noch schöner.» Die Geschichte von Singapur ist aussergewöhnlich. Öko nomisch gesehen war es in den 1960er Jahren ein DritteWelt-Land. Seine Wirtschaftsbasis war extrem klein, das Pro-Kopf-Einkommen gering, und die Stadt war zerfallen. Von 1,6 Millionen Einwohnern lebten mehr als 1 Million in illegalen Siedlungen. Die Herausforderungen für die kleine, heterogene postkoloniale Republik ohne natürliche Ressour cen waren nach ihrer Gründung im Jahr 1965 enorm. Bis Mitte der 1980er Jahre aber hatte sich ihre Wirtschaft grundlegend verändert und Wohlstand gebracht. Das Ge heimnis hinter diesem Erfolg war die Entscheidung des da maligen Premierministers Lee Kuan Yew, die Entwicklung der Stadt nach einem Modell der strengen Planung anzugehen. Heute ist Singapur ein Musterbeispiel für eine am Reissbrett entstandene Volkswirtschaft. «Der eigentliche Sinn einer hervorragenden Stadt, auch wenn Ökonomie wichtig ist, liegt in meinen Augen darin, das Selbstwertgefühl jedes ihrer Bürger zu steigern, und ich glau 35 DIE ZUKUNFT GESTALTEN be, dass wir das geschafft haben», sagt Dr. Liu. Sie respek tiert sie, weil die Stadt so gut geplant ist.» Bildung und Infrastruktur sollten die wichtigsten Trieb kräfte für Wandel in einem Land sein, das an Ressourcen nichts hatte ausser seinen Menschen. In den späten 1960er Jahren, als das Fundament für ihre Zukunft gelegt wurde, be gann die Stadt im Rhythmus des Dampfhammers zu vibrie ren. Dr. Liu war von Anfang an dabei. Nach seiner Rückkehr aus den USA stieg der junge Architekt und Planer schnell auf und wurde 1969 Chief Executive des HDB und später Chief Planner von Singapur. «Ich hatte das Gefühl, dass es für die USA keinen grossen Unterschied machen würde, wenn ich weiter in New York gelebt hätte. Mit der Rückkehr nach Sin gapur aber hoffte ich, etwas bewirken zu können, und ich glaube, das war die richtige Entscheidung», sagt er. VON DEN NACHBARN LERNEN Singapur wollte von den Erfahrungen seiner Nachbarn ler nen, insbesondere von Hongkong. Urbanisierung in Asien war damals meist von Profit und Prestige getrieben. Entwick lungsprojekte wurden mit unrealistischen Zeitplänen ange gangen und waren als Zeichen des Fortschritts westlichen Stadtlandschaften nachempfunden. Oft fielen diesem Pro zess historische Bezirke und landschaftlich reizvolle Gebiete zum Opfer. Dies war ein Fehler, den Singapur nicht wieder holen wollte. Eine der ersten Herausforderungen war die Schaffung von Wohnraum. Was heute nur noch eine Reise in die Ver gangenheit für Touristen ist, war damals für viele Singapuria ner Realität – sie lebten in Kampongs oder traditionellen Dörfern, die zum Schutz gegen Hochwasser häufig auf Stel zen standen. Heute sind die Kampongs verschwunden, und allgegenwärtiger öffentlicher Wohnungsbau zeigt einen ho hen Anteil an Immobilienbesitzern in hoch gebauten Vierteln mit hoher Bevölkerungsdichte. Ein Heim für jeden zu schaf fen, war ein enormer Kraftakt. Singapur war eine kleine Insel mit grosser Bevölkerung und dem festen Willen, jedem Ein wohner mit Subventionen zu den eigenen vier Wänden zu verhelfen. Das bedeutete, sich dem damaligen weltweiten Trend des Hochhausbaus zu widersetzen. Die Lösung für Singapur waren hohe, dicht beieinanderliegende Gebäude in zwei Dutzend weitgehend autarken New Towns. Heute kommen mehr als 80 Prozent der Wohngebäude in Singapur vom Staat. Anders als in den meisten anderen Megacitys sind Staus in Singapur kein grosses Problem. Denn statt eines einzelnen Stadtzentrums, in das Arbeitnehmer pendeln müssen, be kam die Stadt mit den New Towns autarke Zellen, deren Be wohner fast alles zu Fuss erreichen können, einschliesslich ihrer Arbeitsplätze. All diese New Towns verfügen über ein effizientes System für Personennahverkehr. Laut Dr. Liu hat sich dieses Konzept anderswo in der Stadtplanung bis heute nicht richtig durchgesetzt. «Wir haben gewusst: Wenn wir Wohneigentum für alle wollen, müssen wir so vorgehen», erklärt er. «Wenn man sei ne Ideen durchdenkt, bekommt man den Mut, dem weltwei ten Trend zu widerstehen. Wir sind ein kleines Land, also Das Marina Bay Cruise Centre Singapore wurde als Teil des Masterplans für die Innenstadt von Singapur entworfen. DIE ZUKUNFT GESTALTEN 36 Die Henderson Bridge ist eine 274 Meter lange Fussgängerbrücke, die im Jahr 2008 fertiggestellt wurde. Mit neun Wellen erweckt die Henderson Bridge den Eindruck, als würde sie sich schlängeln. 37 DIE ZUKUNFT GESTALTEN Die öffentlichen und privaten Wohnungen in Bishen Town wurden vom Housing Development Board entwickelt. mussten wir uns darüber im Klaren sein, was wir wollten und was wir tun mussten. Es ist wichtig, nicht irgendwelchen Trends zu folgen.» Singapur hat anderen Städten in Asien bewiesen, dass eine dichte Bebauung bei guter Planung trotzdem hohe Le bensqualität bedeuten kann. Bis 2012 hatte das HDB 1 Milli on Wohneinheiten, 17 000 Geschäfte und 12 000 Fabrikein heiten gebaut. Die Gewinne aus Läden, Fabriken, Parkhäusern und steigenden Grundstückspreisen wurden zur Quersub ventionierung von Wohnimmobilien verwendet. Weiteres Geld kam aus Singapurs berühmtem Finanzie rungsprogramm, dem Central Provident Fund. «In jeder Stadt werden wir darum beneidet. Die Idee ist so brillant, dass wir zuerst gar nicht bemerkt haben, wie glücklich wir uns schätzen können, sie gehabt zu haben», sagt Dr. Liu. Der Fonds ist ein umfassender Sparplan für alle Arbeitnehmer und dauerhaften Bewohner Singapurs und dient der Finan zierung von Ruhestand, Gesundheit und Wohnraum. Die 1970er und 1980er Jahre waren eine anstrengende Zeit, räumt Dr. Liu ein. Denn ihm wurde schnell klar, dass DIE ZUKUNFT GESTALTEN 38 Millionen Menschen darunter gelitten hätten, wenn er Fehler bei der Planung gemacht hätte. Er und seine Kollegen spra chen deshalb regelmässig mit Einwohnern und Interessen gruppen, um sich in jeder Phase Feedback zu holen. Gleich zeitig wurde ein Dutzend Soziologen beschäftigt, die mit Architekten, Ingenieuren und Immobilienmanagern zusam menarbeiteten, um die Planung und Gestaltung der Wohn gebiete zu verfeinern. Als die Wirtschaft Singapurs wuchs und mehr Geld ver fügbar war, verbesserte sich die Qualität der Gebäude. Ab den 1970er Jahren wurden ältere Wohneinheiten reno viert, in den New Towns entstanden neue private Wohnge bäude und jegliches Stigma, das es um HDB-Immobilien bis dahin gegeben hatte, verschwand. Die Appartements waren standardisiert, doch bei ihrer Gestaltung hatten die Bewohner völlige Freiheit, so dass jedes davon einzigartig werden konnte. Dr. Liu betont, wie wichtig umfassende staatliche Unter stützung ist. «Die Regierung von Singapur hat die Grundla gen dafür geschaffen, dass wir relativ fair Land kaufen und Menschen umsiedeln konnten. Wenn ich durch unterschied liche Teile der Welt reise, fällt mir auf, von welch grosser Be deutung diese Entscheidung war. Ohne diese Unterstützung hätte das HDB nicht erreichen können, was es in den vergan genen 50 Jahren geschaffen hat.» Ausserdem, so warnt Dr. Liu, müsse die Regierung dafür sorgen, dass sie ihre Ankündigungen auch einhält. Wenn sie Obdachlosigkeit in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe bekämpfen will, muss sie ihre Pläne wahr machen, um glaub würdig zu sein und die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen. Ein solches Programm muss für die Gruppe, die am wenigsten Miete bezahlen kann, ebenso funktionieren wie für diejenige mit dem höchsten Einkommen. In den frü hen Tagen half das HDB Arbeitslosen sogar bei der Jobsu che, damit sie ihre Miete finanzieren konnten. Die Grösse der Wohnungen wurde so gewählt, dass sie bezahlbar blieben. Die Umsiedlung wurde von Gemeinschaft zu Gemeinschaft betrieben, um den sozialen Zusammenhalt zu bewahren. STADTPLANUNG ALS WISSENSCHAFT UND KUNST Heute ist Dr. Liu Vorsitzender des Centre for Liveable Cities. Aufgabe des im Jahr 2008 von der Regierung von Singapur eingerichteten Zentrums ist, «Wissen über lebenswerte nachhaltige Städte zu destillieren, zu schaffen und zu ver breiten». Das bedeutet, dass Dr. Liu einen Grossteil seiner Zeit als Berater für Stadtplanung und als Vortragsredner in der ganzen Welt unterwegs ist. Alle zwei Jahre richtet er aus serdem in Singapur den World Cities Summit aus, um seine Planungsprinzipien bekannt zu machen. Einen robusten Master-Plan nennt er eine «Maschine für das Leben» und vergleicht die Verbindung zwischen den Elementen einer Stadt mit der Zusammenstellung von Teilen in einem Motor. «Es gibt keine Schönheit ohne Funktion», erklärt er. «Stadtplanung ist eine Wissenschaft und eine Kunst, und wir müssen die Teile in dieser Maschine für das Leben ken nen. Wir müssen wissen, wie viele Elemente es gibt, wie gross sie sind und wie sie zusammengehören», sagt Dr. Liu. Um das zu erreichen, so warnt er, reicht es nicht aus, sich kopf über in die Zukunft zu stürzen. Um zu sehen, was funktioniert und was nicht, müsse man auch Erfahrungen aus Vergan genheit und Gegenwart berücksichtigen. Dies, so glaubt er, ist das Vermächtnis, das Singapur der Welt zu bieten hat. «Viele Länder und Städte wollen sein wie Singapur», sagt Dr. Liu. «Der wertvollste Teil unserer Erfahrung liegt weniger in dem, was in Singapur heute geschieht, sondern darin, wie wir begonnen haben. Wenn man den Anfang richtig macht, ergibt sich der Rest von selbst.» Alltag in einer Siedlung des Housing Development Board im Distrikt Tanjong Pagar. 39 DIE ZUKUNFT GESTALTEN SCHNELL UND ERFOLGREICH Simona De Silvestro und ihr Leben für den Rennsport Schon als Kind hatte Simona De Silvestro ein grosses Ziel: die erste Liga des ProfiRennsports. Inzwischen hat sich die Schweizer Rennfahrerin einen Namen in der IndyCar-Serie gemacht. Nun nimmt sie die Formel E ins Visier. Als «gebranntes Kind», das nichts scheut, stellt sie sich mutig und entschlossen den Rennen der Zukunft. Autor: Ross Ringham, Redakteur des Magazins Current E Vierzig Sekunden. De Silvestro müssen sie wie eine Ewigkeit vorgekommen sein, als die Vorderräder ihres IndyCar auf dem Texas Motor Speedway Feuer fingen. Noch bevor der Rennwagen bebend zum Stehen kam, hatten sich die Flammen über die gesamte rechte Fahrzeugseite ausgebreitet. Die Rettungskräfte waren sofort zur Stelle, hatten aber Mühe, die Pilotin aus dem Cockpit zu befreien. Ausgerechnet ein Teil der Kopfstütze, die den Fahrer bei einem Unfall schützen soll, war im Weg. Dann klemmte ein Feuerwehrschlauch, sodass wertvolle Zeit verging, bis der Löschschaum die Flammen erstickte. Als De Silvestro schliesslich aus dem Inferno befreit wurde, hatte sie an den Händen trotz feuerfester Kleidung Verbrennungen dritten Grades erlitten. Für die 27-Jährige, die ausser IndyCar-Rennen auch schon Formel-1 und Formel-E-Rennen gefahren ist, war das aber nicht das letzte Spiel mit dem Feuer. Ein Jahr später hatte sie den nächsten IndyCar-Unfall. Diesmal war eine defekte Aufhängung schuld: Der Wagen überschlug sich, fing Feuer und rutschte auf dem Dach liegend über die Rennstrecke. De Silvestro – von ihren Fans bewundernd «Eiserne Jungfrau» genannt, seit sie mit verbrannten Händen dem Rennsport treu blieb – fürchtet überraschenderweise weder Unfälle noch Fahrzeugbrände. Ihr macht etwas ganz anderes viel mehr zu schaffen: das Warten auf das nächste grosse Rennen. Darin ähneln Profi-Rennfahrer den Schauspielern: Sie sind manchmal nur für ein Rennen oder eine Saison Mitglied des Teams – so wie Schauspieler für einen Film oder für eine Spielzeit am Theater engagiert werden. Erfolge münden nicht automatisch in einer Vertragsverlängerung. Auch sind sie – angesichts der wenigen verfügbaren Plätze – keine Garantie, dass schon der nächste Einsatz wartet. EIN «ELEKTRISIERENDER» WECHSEL – PER ZUFALL De Silvestro ist in den höchsten Motorsportklassen, sowohl in Europa als auch in den USA, keine Unbekannte. Nach einigen Jahren in der IndyCar-Serie hatte sie gute Aussichten auf einen Einstieg in die Formel 1, den sie aber hauchdünn verpasste. «Die Formel 1 ist mein grösster Traum. Aber der ist nicht leicht zu verwirklichen», sagt sie. Februar 2016: De Silvestro sitzt auf einer niedrigen Mauer in Puerto Modero, einem aufstrebenden Viertel von Buenos Aires. In zwei Tagen werden sich die Strassen der Metropole in eine Rennstrecke für rein elektrisch angetriebene Formel-E-Rennwagen verwandeln. Drei Rennen ihrer ersten Saison im Andretti-Formel-E-Team hat De Silvestro bereits hinter sich. Ihren Einstieg in die Formel E hat sie nicht geplant; sie war einfach nur vorbereitet und zur richtigen Zeit am richtigen Ort. «Ich bin da einfach so hineingestolpert», sagt sie. «Michael (Andretti) hatte ein Team. Letztes Jahr bin ich für ihn ganz erfolgreich einige (IndyCar-)Rennen gefahren. Danach war ich beim Indy 500 mit dabei. Und dann wusste ich nicht so recht, wie es weitergehen sollte. Schliesslich wollten sie mich für die Formel E in London haben.» Wenn sich eine sol- SPONSORING 42 che Chance bietet, greifen Rennfahrer wie De Silvestro natürlich mit beiden Händen zu. Wenn De Silvestro – sonnengebräunt, das braune Haar zusammengebunden, mit der typischen verspiegelten Sonnenbrille auf der Nase – über ihre Karriere spricht, könnte man meinen, sie erzählt von einem ganz normalen Beruf. Durchhaltevermögen zeigen, sich von Enttäuschungen nicht unterkriegen lassen und offen für neue Chancen sein: Überzeugungen wie diese bestimmen ihr Leben und ihre Karriere – für sie besteht da ohnehin kein Unterschied. «Man gibt schon ziemlich viel auf», sagt sie nachdenklich. «Als Rennfahrer lebst du für deinen Sport. Als ich die Schweiz verliess, war ich 16. Du verlierst ein paar Freunde, weil du nicht wirklich da bist. Aber du erlebst auch so viel Neues! Wenn du etwas wirklich willst und die Chance erhältst, es zu tun, dann denkst du nicht lange nach – du machst es einfach.» Als gebürtige Schweizerin mit italienischen Wurzeln war De Silvestro schon als kleines Kind von schnellen Autos fasziniert: «Als ich vier war, nahm mein Vater mich zu einer Gokart-Show mit. Ich wollte selbst fahren, kam aber nicht an die Pedale. Er nahm mich auf den Schoss und fuhr mit mir herum. Aber ich weinte wie ein Schlosshund, weil ich nicht selbst fahren konnte! Als ich sechs war, bekam ich dann meinen ersten Gokart.» Viele der erfolgreichsten Rennfahrer der Welt haben als Kartfahrer angefangen. Im Gokart lernt man, ein Fahrzeug zu beherrschen. Später, mit wachsender Erfahrung, kommt der Wechsel in die Klasse der «richtigen» Rennwagen. «Ich war 16, als ich den Gokart gegen einen Rennwagen tauschte», sagt De Silvestro. «2005 fuhr ich erstmals in der Formel Renault 2.0 in Italien. Aber ich hatte nicht genug Geld, um in Europa zu bleiben. Dann erhielt ich die Chance, Formelrennen für BMW in den USA zu fahren.» 2006 wurde De Silvestro in der Formel BMW Vierte bei den US-amerikanischen Meisterschaften und bekam ihre nächste, noch grössere Chance: «Ich fuhr dann drei Jahre lang in der Atlantic-Championship-Rennserie», sagt sie. In dieser Zeit erreichte sie vier Mal die Pole-Position, fuhr fünf Siege ein und errang im dritten Jahr den dritten Platz in der Gesamtwertung. Die nächste Station auf De Silvestros «Weg zu höheren Weihen» waren die IndyCar-Rennen, Amerikas wichtigste Open-Wheel-Rennserie. Für die Saison 2010 ergatterte sie einen Platz in einem der kleineren Rennställe, dem HVMTeam. Es war eine schwierige Zeit, obwohl De Silvestro den «Rookie of the Year», den begehrten Nachwuchspreis der Indianapolis 500, erhielt und sich einen Platz in der Renngeschichte sicherte. Ihr Team war von ihren IndyCar-Erfolgen beeindruckt. Ihre harte Arbeit und ihr geschicktes Networking zahlten sich schliesslich aus: 2014 wurde das SauberFormel-1-Team auf sie aufmerksam. «Die Tests verliefen gut», sagt De Silvestro. «Aber leider fehlte etwas ganz Entscheidendes: Sponsoren.» Nach dieser Enttäuschung weiterzumachen, war nicht leicht, wie De Silvestro zugibt. «Nach dem schweren Unfall Seit der Saison 2015/2016 fährt De Silvestro für das Team Andretti Formula E. 43 SPONSORING Oben: Rettungsteams bekämpfen das Feuer an De Silvestros Auto beim IndyCar-Rennen Firestone 550K im Texas Motor Speedway in Fort Worth, Texas. SPONSORING 44 «Du musst hart arbeiten. Dranbleiben. Auch wenn es manchmal nicht so läuft, wie du willst: Behalte dein Ziel im Auge. Hab keine Angst vor deinen Träumen.» Simona De Silvestro 2011, bei dem meine Hände ziemlich schlimm verbrannt waren, wollte ich zuerst keine Rennen mehr fahren. Das war hart. Aber noch härter war es, als ich letztes Jahr, nach der Geschichte mit Sauber, nicht wusste, was und wo ich in Zukunft fahren würde.» Aber dann kam der Anruf von Michael Andretti, und De Silvestro stieg in die Formel E ein. ADRENALIN UND ENERGIEZIELE Rennfahrer können scheinbar keiner Herausforderung widerstehen, und die Formel E ist keine einfache Serie, wie De Silvestro inzwischen weiss. Für das Training haben die Fahrer am Renntag nur 75 Minuten. Das muss reichen, um vor der einzigen Qualifying-Runde die Rennstrecke kennenzulernen und die Fahrzeuge abzustimmen. Nicht viel Zeit also für Experimente und Änderungen am Fahrzeug oder für Neulinge, die sich mit den für diesen Sport so wichtigen Energiesparkniffen noch vertraut machen müssen. «Das Rennen ist vollkommen anders als alles, was ich bisher kannte», sagt De Silvestro. «Im IndyCar fährst du immer auf Tempo. Sicher versuchst du auch, Sprit zu sparen, aber das steht nicht so im Vordergrund wie das Energiesparen in der Formel E. Das musst du einfach beherrschen. Du hast Fahrer hinter dir und vor dir und willst eigentlich überholen, aber dann schaust du auf die Energieanzeige und dein Puls beginnt zu rasen. Das gibt es in anderen Rennserien so nicht.» Zwar können elektrisch angetriebene Formel-E-Rennwagen durch Bremsvorgänge Energie zurückgewinnen, aber die Batterieleistung und die Energieabgabe werden von der FIA strikt geregelt. Im Qualifying beträgt die erlaubte Maximalleistung 200 kW, im Rennen 180 kW. Während die Fahrer sich ihre Positionen erkämpfen, müssen sie gleichzeitig darauf achten, nicht zu viel Energie zu verbrauchen. Ausserdem dürfen nur wenige Telemetriedaten an das Team übermittelt werden, sodass es viel stärker auf das Können, die Intelligenz und die Leistung des Fahrers ankommt als auf die Ingenieure an der Boxenmauer. «Das Verrückte ist: Im Stand fühlt sich der Formel-E-Wagen an wie ein ganz normaler Rennwagen», sagt De Silvestro. «Aber wenn du losfährst, hörst du kein Motorgeräusch. Weil das Auto so leise ist, hörst du dein Herz umso lauter schlagen. Das war das erste, was mir in London auffiel. Ich rollte zum Start und mein Herz schlug wie wild.» In der Rennsaison 2015/16 brauchten De Silvestro und das Andretti-Team erst eine Anlaufphase. Dass das amerikanische Team Probleme mit dem Antriebsstrang hatte, war auch nicht hilfreich. Am Ende entschied es sich, wieder die Technologie der ersten Generation einzusetzen, da diese sich auch mit der neuen Maschine bewährt hatte. Allerdings war den Fahrern und Ingenieuren da schon wertvolle Zeit verloren gegangen, um das Beste aus den Fahrzeugen herauszuholen. Die langen Intervalle in dieser Rennserie sind grösstenteils dem Beschluss geschuldet, beim Transport auf das Flugzeug zu verzichten und das Material möglichst per Seefracht oder Bahn zu den Austragungsorten zu bringen, um den CO2-Fussabdruck der Logistik zu minimieren. «Man hat daher fast zu viel Zeit zum Nachdenken», sagt De Silvestro. «Wenn ein Rennen schlecht gelaufen ist, klingt das noch lange nach. Das gibt es in anderen Serien so nicht: Da sitzt du nach einer Woche wieder im Rennwagen und kannst weitermachen. Wenn du aber zu viel Zeit hast, macht dich das manchmal fast verrückt, weil du einfach nur auf die Piste gehen und etwas ausprobieren willst. Aber man lernt, damit umzugehen, steigt wieder ein und versucht einfach, sein Bestes zu geben.» DEN PREIS IM VISIER De Silvestro freut sich über jede Chance, die sich ihr bietet. Wenn sie über ihre Erfolge spricht, fällt zwar oft das Wort «Glück», aber man muss nur etwas genauer hinschauen, um ihre Entschlossenheit, ihren Mut und ihren Fleiss zu erkennen. Wie jeder Profi-Sportler, Künstler oder Musiker von Weltrang ist De Silvestro bereit, sehr viel Zeit in ihre Karriere zu investieren. Nach ihren Erfolgen in der IndyCar-Serie und dem zum Greifen nahen Einstieg in die Formel 1 glaubt sie, dass es heute nicht mehr so sehr interessiere, dass sie eine Frau sei. «Ich weiss ja nicht, wie die Jungs das sehen», sagt sie – mit einem Anflug von Ärger. «Aber Rennfahren ist heute ein harter Job, weil es inzwischen so viel Konkurrenz gibt. In jeder Serie, die ich bisher gefahren bin, habe ich Rennen gewonnen und bin ganz vorne mitgefahren. Ich habe mir den Respekt der anderen Fahrer verdient. Unter dem Helm bin ich wie alle anderen da draussen auf der Strecke: Ich will einfach einen möglichst guten Job machen.» Im Moment heisst das: den blauen Andretti-FormelE-Flitzer auf Touren bringen. Auf die Frage, was sie jungen Leuten raten würde, die im Rennsport Fuss fassen wollen, sagt De Silvestro nach einigem Nachdenken aus vollem Herzen: «Du musst hart arbeiten. Dranbleiben. Auch wenn es manchmal nicht so läuft, wie du willst: Behalte dein Ziel im Auge. Solange ich denken kann, wollte ich Rennfahrerin werden. Dass ich eine Frau bin, war vielleicht nicht die beste Voraussetzung für diesen Traum. Aber ich wusste immer: Ich will Rennen fahren. Hab also keine Angst vor deinen Träumen.» 45 SPONSORING KÜNSTLERISCHE MANIFESTATIONEN Von Dada bis Ökonomie Zürich ist in diesem Jahr Gastgeberin für eines der wichtigsten Ereignisse im euro päischen Kulturkalender: Manifesta, die europäische Biennale für zeitgenössische Kunst, mit einem Themenspektrum von Dada bis Ökonomie. Gründungsdirektorin Hedwig Fijen spricht über die möglichen Auswirkungen der Wanderausstellung auf die lokale Kunstszene und erklärt ihre Ziele bezüglich Bildung, Transformation und Kunst sowie ihren Auftrag, den vielfältigen Charakter eines veränderlichen Europas zu erkunden. Autorin: Emily Rookwood 47 SPONSORING «Ich glaube, dass sich die Welt der zeit genössischen Kunst rapide verändern wird, insbesondere in Bezug auf ihre wirtschaftliche Basis.» Hedwig Fijen Der Akzent von Hedwig Fijen ist erst einmal schwer einzuord nen. Wenn sie über ihre Gedanken zur Rolle von Kunst in einer veränderlichen Gesellschaft spricht, wird ein niederländischer Einschlag erkennbar, doch insgesamt ist ihr Akzent, genau wie ihr Leben und ihre Arbeit, stark von einer gesamteuropäi schen Perspektive geprägt. Aufgewachsen in den Niederlan den, hat Fijen an der Universität Amsterdam Geschichte, Kunstgeschichte und Architektur studiert. Sie sieht bei sich selbst einen «französischen, deutschen, christlichen und jüdi schen Hintergrund», und der hatte starken Einfluss darauf, wie sie das Leben versteht. Die internationale Prägung war auch der Grund dafür, dass sie über die Bedeutung von Kultur nachdachte. Ihre persönlichen Erfahrungen mit Migration, Kultur und Bildung wurden zur Grundlage ihrer Ansichten über «die Rolle von Kunst in einer Veränderungen unterwor fenen Gesellschaft». Doch erst nach dem Fall der Berliner Mauer nahmen diese Ansichten eine greifbare Form an. «Nach dem Fall der Mauer war halb Europa mit der Tatsa che konfrontiert, dass die andere Hälfte an seinem Dialog nicht teilgenommen hatte. Plötzlich gab es für junge Künstler viel mehr Bewegungsfreiheit, aber auch mehr Dialog, Zusam menarbeit und Synergien», erklärt Fijen. «Wir haben uns überlegt, dass es noch keine zweijährliche oder andere Kunst veranstaltung gab, die auf die neuen Formen der Zusammen arbeit reagierte, auf diese neue Art des Denkens in einer ge samteuropäischen Perspektive.» Und so wurde Manifesta geboren, eine an wechselnden Orten stattfindende Biennale für zeitgenössische Kunst, die jeweils genau 100 Tage dauert. Nach den offiziellen Unterlagen sollte Manifesta eine Antwort auf «die Vielfalt an gesellschaftlichen, politischen und geografischen Umständen im heutigen Europa» sein. Seit der Auflegung besteht das Hauptziel des Festivals darin, zu diesen Themen etwas beizutragen, nicht mit theoretischen Diskussionen, sondern durch künstlerische Angebote, basie rend auf kritischem Denken, Recherchen und Experimenten. DIE IDENTITÄT EUROPAS NEU ERKUNDEN Heute, 25 Jahre nach dem Beginn des ersten Projekts, sieht Fijen «noch dringendere Gründe dafür, dass sich junge Euro SPONSORING 48 päer, Künstler, Denker, Macher und Philosophen zusam mensetzen und die Identität Europas neu erkunden». Der Kontinent ist zunehmend gespalten und von vielen wirt schaftlichen und gesellschaftlichen Unsicherheiten geprägt. Fijens Wunsch, Menschen zu ermutigen, die «grundlegen den humanistischen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüder lichkeit» zu schätzen, ist vor diesem Hintergrund noch stär ker geworden. Für Fijen ist zeitgenössische Kunst ein Medium, durch das Hoffnung und neue Ideen entstehen und der breiten Masse nähergebracht werden können. «Meine Idee ist, dass wir auch mit einem kleinen Projekt mit relativ kleinem Budget Berge versetzen können, was das Denken der Menschen be trifft», erklärt sie. «Selbst ein kleiner, bescheidener Versuch kann manchmal – so wie der erste Stein, der ins Wasser ge worfen wird – enorme Wirkung haben.» Dieses Jahr blicken dafür alle Augen auf Zürich, die Gast geberin für die elfte Auflage von Manifesta. Bislang ist die Stadt eher für ihre Finanzinstitute bekannt als für ihre florie rende Kunst- und Sammlerszene. Mit dem diesjährigen Fes tival hoffen Fijen und das Manifesta-Team, die experimen telle Seite von Zürich zeigen zu können. EIN KONTROVERSES THEMA Dabei scheint der Titel für die Manifesta 11 den Mythos von Zürich als einer Stadt, in der sich alles um die Finanzindustrie dreht, zunächst sogar zu bestätigen. «What People Do For Money: Some Joint Ventures», lautet er – sich mit die sem Thema im internationalen Finanzzentrum Zürich zu be schäftigen, hat Potenzial für Provokation. «Was Menschen für Geld tun, ist in diesem Jahrzehnt der weltweiten wirtschaftlichen Veränderungen eine Frage, die viel mit Identität zu tun hat. Es ist eine sehr bedeutende, dringliche Frage», erklärt Fijen. «Alles hängt davon ab, wie man den Titel verstehen möchte – er ist ironisch, er ist nicht zynisch, er ist humoristisch, aber zugleich ernst. Es ist wie bei einem Diamanten – man kann ihn und das Thema aus vielen unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten.» Für Fijen und die anderen Ausrichter der Manifesta 11 ist wichtig, dass das Thema nicht als negativ wahrgenommen wird, sondern als inspirierend, als Sprungbrett für allgemei nere Diskussionen über den Arbeitsmarkt, über die Auswir kungen von schnellen technologischen Entwicklungen auf unser Arbeitsumfeld und über das Potenzial für die Zusam menarbeit zwischen Künstler- und Geschäftswelt. «Man muss die Menschen ein wenig provozieren, damit sie auf neue Ideen kommen», sagt Fijen. In diesem Fall erfüllt die kleine Provokation ihren Zweck perfekt: Das Thema löst so fort Diskussionen aus und eröffnet Gespräche über Bedeu tung, Interpretationen und Hochrechnungen in Zusammen hang mit Geld. Die Stadt Zürich hat das Festival, das mit ihren Feiern zum 100. Geburtstag von Dada zusammenfällt, intensiv un terstützt. Der wunderbare absurde Geist von Dada bestätigt Der Pavillon der Reflexionen, eine schwimmende Insel mit Freiluftkino und integriertem Swimming-Pool, entsteht zur Manifesta 11 in Zusammenarbeit mit 30 Architekturstudenten von der ETH Zürich. Tagsüber soll der Pavillon der Reflexionen als Treffpunkt und Schwimmgelegenheit im Freien dienen, abends werden dort Filme gezeigt, die den kreativen Prozess hinter den verschiedenen Ausstellungsorten dokumentieren. 49 SPONSORING Fijens Behauptung, Zürich sei schon immer «ein Ort für Ex perimente» gewesen, und die Feierlichkeiten dazu wurden vollständig in das Manifesta-Programm integriert. Aus dem Cabaret Voltaire, Heimat des Dadaismus, wird ein Zunft haus für Künstler – in einer Stadt voller Zunfthäuser für alle Berufe, von Gewürzhändlern bis zu Schneidern und Schmie den, hat eines für Künstler bislang gefehlt. Jetzt kann jeder Mitglied der neuen Zunft werden – man muss dafür nur einen Akt der performativen Kunst beitragen. DIE GEMEINSCHAFT MIT EINBEZIEHEN Sehr wichtig für Fijen ist es, die grössere Gemeinschaft mit einzubeziehen – vor allem solche Menschen, die sich norma lerweise wenig mit zeitgenössischer Kunst beschäftigen wür den. Auf gewisse Weise ist Manifesta gar keine Biennale im traditionellen Sinn: Statt Kunst nur in sauberen weissen Aus stellungsräumen zu zeigen, geht sie hinaus in die Gemein schaft, inspiriert parallele Projekte und «soziale Innovation» und lässt in «künstlerischen Interventionen» lokale Studen ten und Berufstätige mitwirken. Für diesen inklusiven Ansatz der Manifesta in Zürich gibt es zwei besonders erwähnens werte Beispiele: den Pavillon der Reflexionen und «What People Do For Money: Some Joint Ventures». «Meine Idee ist es, dass wir auch mit einem kleinen Projekt mit relativ kleinem Budget Berge versetzen können, was das Denken der Menschen betrifft.» Hedwig Fijen Der Pavillon der Reflexionen ist eine riesige schwimmen de Installation auf dem Zürichsee. Entworfen von Studenten der ETH Zürich, wird er als Kombination aus Kino, Restau rant und Badi (Schweizer Wort für Schwimmbad) dienen. Besucher können hier städtisches Schwimmen in seiner schönsten Form erleben, während die Filme von einigen der teilnehmenden Manifesta-Künstler laufen. Zelebriert wird damit sowohl das Ergebnis der künstlerischen Beschäftigung mit dem Thema des Festivals als auch eine sehr typische Schweizer Tradition. Der Pavillon der Reflexionen ist ein Bei spiel dafür, wie Manifesta Kunst an neue Orte bringt. «Mani festa versucht, sich immer neu zu überlegen, wie eine Aus stellung aussehen könnte und wie Künstler ausserhalb traditioneller Ausstellungsräume arbeiten und Interventio nen für die Gesellschaft schaffen können. So entsteht eine Verbindung zu Menschen, die sich normalerweise keine Kunst ansehen würden», erklärt Fijen. «What People Do For Money: Some Joint Ventures» ist das zweite Beispiel für diese Bewegung hinaus aus traditionel SPONSORING 50 len Räumen in die allgemeine Gemeinschaft hinein. Für die diesjährige Manifesta hat Christian Jankowski, der erste künstlerische Kurator der Biennale, eine Reihe von Kollabo rationen zwischen Künstlern und Vertretern von Berufsgrup pen in Zürich organisiert; beteiligt sind unter anderem ein Kü chenchef, ein Zahnarzt und ein Kundenberater von Julius Bär. «Das Fachwissen von Julius Bär könnte extrem wichtig dafür sein, wie wir unser Leben und dessen wirtschaftliche Organi sation verstehen», sagt Fijen. «Private Vermögensverwaltung hat viel damit zu tun, was Menschen für Geld tun. Ich kann mir vorstellen, dass die künstlerische Intervention zusammen mit der professionellen Erfahrung eines Kundenberaters von Julius Bär sehr interessant sein könnte.» Ausserdem, so be tont sie, soll das Thema nicht nur zum Nachdenken darüber anregen, was Menschen für Geld tun, sondern auch darüber, was sie sowohl mit als auch ohne Geld anfangen. PRIVATISIERUNG SCHÜTTELT DIE KUNSTWELT DURCH Was Menschen mit ihrem Geld machen, kann bedeutende Auswirkungen auf die Welt der zeitgenössischen Kunst ha ben, wie sich bereits zeigt. Auf die Frage nach den wichtigsten Entwicklungen in diesem Bereich kommt Fijen auf das Thema der zunehmenden Privatisierung wichtiger Kunstsammlun gen zu sprechen. Relativ häufig würden diese Sammlungen von wohlhabenden Mäzenen geschaffen, die eine «gesell schaftliche Verantwortung, ihre Sammlungen der Allgemein heit zugänglich zu machen», verspüren. Die Folge davon ist «eine Welle des neuen Denkens und eine neue A tmosphäre» in der Kunstwelt, die laut Fijen dazu führen könnte, dass öffentliche Institutionen ihre Haltung überdenken. «Ich glaube, dass sich die Welt der zeitgenössischen Kunst rapide verändern wird, insbesondere in Bezug auf ihre wirt schaftliche Basis», erklärt sie. «Kunst wird noch stärker als heute zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor werden.» Wie aber sieht es mit Fijens eigener Zukunft aus? Was will sie nach der Entwicklung von Manifesta noch erreichen? Ihre Antwort lautet: Stabilität. Sie will die Organisation stabilisie ren und für sie ein grösseres Netz an Sponsoren und Mäze nen schaffen, die dazu beitragen sollen, die Bildungsreich weite des Festivals zu vergrössern, ein noch grösseres Publikum zu erreichen und noch mehr junge Talente an Pla nung, Produktion und Erfolg künftiger Veranstaltungen zu beteiligen. Das, so sagt sie, habe sie sich für die nächsten Jahre vorgenommen. Anschliessend sei es «möglicherweise Zeit, sich etwas anderem zuzuwenden.» Ob die Besucher aus der Kunstwelt in Zürich irgendetwas anderes als ein Finanzzentrum sehen werden und ob die Welt der zeitgenössischen Kunst in der Stadt ein grösseres Publi kum anziehen kann, wird sich erst in einiger Zeit zeigen. Eines aber ist schon jetzt sicher: Manifesta 11 wird Gelegenheit für eingehendes und interessantes neues Nachdenken bieten – nicht nur über Kunst in Zürich, sondern auch über die Bedeu tung von Geld, Arbeit und Berufen in Europa. UNSERE LEIDENSCHAFT FÜR KUNST FOLGT EINER LANGEN TRADITION. ALS CORPORATE PARTNER DER MANIFESTA 11 TRAGEN WIR DIESE IN DIE ZUKUNFT. >> Entdecken Sie unsere Denkweise auf juliusbaer.com/visionary-thinking Julius Bär ist die führende Private-Banking-Gruppe der Schweiz und weltweit an rund 50 Standorten präsent. Von Dubai, Frankfurt, Genf, Guernsey, Hongkong, London, Lugano, Monaco, Montevideo, Moskau, Mumbai, Nassau, Singapur bis Zürich (Hauptsitz). ZEITGENÖSSISCHE MALEREI Julius Bär Kunstsammlung Die Malerei ist eine der ältesten künstlerischen Ausdrucksformen. Schon immer haben Künstler sich des Mediums Farbe bedient, um von ihrer Zeit zu erzählen: seit den ersten Höhlenmalereien in Spanien vor 40 000 Jahren bis zum heutigen Tag. Zeitgenössische Künstler ermöglichen uns wie ihre Vorgänger, einen Zugang zum jeweiligen Zeitgeist zu finden. Mit ihren Werken regen sie dazu an, über gesellschaftlich relevante Fragen nachzudenken, sich Vorstellungen von der Zukunft zu machen oder Schönes zu schätzen. Reto Boller, *1966 «Klebefolie, Aluminium», 2004, Klebefolie auf Aluminium, 204 x 286 cm Gemälde haben eine zentrale Bedeutung für die Julius Bär Kunstsammlung, die nach 35 Jahren strategischer Sammlungstätigkeit mittlerweile mehr als 5000 Werke umfasst – darunter circa 1125 Gemälde. Seit die Kunstkommission von Julius Bär 1981 ins Leben gerufen wurde, verfolgt sie das Ziel, Werke von Schweizer oder in der Schweiz lebenden Künstlern zu kaufen. Sie konzentriert sich dabei auf Kunstschaffende, die am Beginn ihrer Karriere stehen und deren Werke noch relativ unbekannt sind. Diese Künstler begleitet die Kommission durch ihre Entwicklung und erwirbt von ihnen über die Jahre weitere Kunstwerke. Viele bedeutende Schweizer Künstler der vergangenen Jahrzehnte und alle wichtigen Trends der bildenden Kunst in der Schweiz sind in der Sammlung vertreten. Neben Werken, die der klassischen Vorstellung von einem Gemälde entsprechen, umfasst die Julius Bär Kunstsammlung auch zahlreiche Kunstwerke, die dieses Konzept grosszügiger auslegen. Die klassische Definition eines Gemäldes ist relativ strikt: ein Kunstwerk, das durch den Auftrag von Farbe auf einen Untergrund – etwa Leinwand, Holz oder Papier – entsteht. In der zeitgenössischen Kunst kommen darüber hinaus unterschiedlichste andere Materialien oder gar Objekte zum Einsatz, und auch der Untergrund kann sehr vielfältig sein. Die Künstlerin Christine Streuli (siehe Seite 62) beispielsweise trägt Farben nicht mit dem Pinsel auf, während die Werke aus farbigen Folien, die der in Zürich lebende Künstler Reto Boller auf Aluminiumplatten klebt, zwar wie Gemälde wirken, jedoch streng genommen keine sind. Der Entstehungsprozess von Gemälden wird heute auch durch neue Medien, insbesondere die Fotografie und die Videokunst, enorm beeinflusst. Die kleine Auswahl an Kunstwerken auf den folgenden Seiten gibt Ihnen einen Einblick in die Vielfalt der Julius Bär Kunstsammlung. Barbara Staubli, Kuratorin, Julius Bär Kunstsammlung 53 KUNST Albrecht Schnider, *1958 Ohne Titel, 1998, Öl auf Jute Leinen, 133 x 95 cm John Michael Armleder, *1948 «Pour Painting», 1998, Acryl Lack, Firnis, Spray auf Leinwand, 180 x 100 cm Giacomo Santiago Rogado, *1979 «Horizont», 2007, Acryl und Öl auf Leinwand, 230 x 240 cm Guillaume Pilet, *1984 «Bricks Nr. 7», 2011, Acryl auf Leinwand, 192 x 178 cm Hans Richard, *1974 Ohne Titel, 2003, Öl auf Leinwand, 130 x 130 cm David Renggli, *1974 «I love you (P. V. White)», 2013, Hinterglasmalerei, Tinte und eloxierter Aluminiumrücken, 165 x 130 cm Anna Amadio, *1963 «Von Lebak bis Sesann # 10», 2010, Acryl, Leim, Schrumpffolie, Wabenplatte auf Leinwand, 140 x 120 x 3 cm Ugo Rondinone, *1964 «Clown», 1998, Öl auf Leinwand, 130 x 130 cm 62 CHRISTINE STREULI Here I Am Autorin: Michèle Bodmer Die gebürtige Schweizerin Christine Streuli steht in ihrem Berliner Atelier neben einer Gruppe von leeren, weissen Leinwänden. Gerade eben hat sie ihre Einzelausstellung «hello paranoia!» in der Galerie Mark Müller in Zürich beendet. Die Zeit nach einem solchen Projekt beschreibt sie als eine Phase der Melancholie. Auf die langen pausenlosen Arbeitstage vor der Vernissage folgt die übliche Ruhe nach dem «kreativen Sturm». «Dann», so sagt sie, müsse sie «die Reset-Taste drücken», sich durch das Gefühl der Ruhelosigkeit kämpfen und die für ihr Schaffen so wichtige kreative Routine wiederfinden. Ihr «Regenerationsprogramm» besteht unter anderem darin, dass sie neue Farben kauft und frische Leinwände aufzieht. Dann lässt sie die vergangene Ausstellung Revue passieren und plant die nächste Schau. «Wenn man, wie ich jetzt gerade, wieder vor einer leeren, weissen Leinwand steht, ist das einerseits ein schönes Gefühl, aber auch eine schwierige Situation», sagt Streuli. Die 1975 in Bern (Schweiz) geborene Künstlerin ist bekannt für ihre ornamentalen Bilder, die sich durch den extravaganten Einsatz von Farben, Formen und Mustern auszeichnen. Ihre visuellen Muster bezieht sie aus so unterschiedlichen Quellen wie der Pop Art, modernen Tattoos und Zeitungs fotos. Oft sprengt ihre Kunst den Rahmen und erstreckt sich über die Bilder hinaus auf die Wände der Galerie oder findet ihren Ausdruck in einer Tapete. Neben eher traditionellen Maltechniken setzt die Künstlerin auch handgemachte Schablonen, Stempel, Sprühfarben und Lacke ein. Typisch für ihre Arbeiten sind neben dem kühnen, dramatischen Farbauftrag repetitiv eingesetzte geometrische Formen oder auch Muster, die Streuli in der islamischen Kunst findet. Sie könne sich nicht erinnern, sagt Streuli, dass sie jemals etwas anderes als Kunst machen wollte. Schon früh besuchte sie mit ihrer Familie Kunstgalerien, und bereits im Kindesalter erkannte sie, dass sie einen anderen Bezug zur Malerei hatte als andere Menschen. Sie erlebte die Kunst mit einer ganz besonderen Intensität, die sie auf Details achten liess, die sonst kaum jemanden interessierten. Als Kind, sagt sie, sei sie wohl nicht sehr kommunikativ gewesen. Das habe sie durch ihre visuelle Wahrnehmung kompensiert. «Ich konnte Dinge schon immer gut erfassen und mithilfe von Farben und Gesten wiedergeben», sagt Streuli. «Für mich war diese Art des Ausdrucks ganz natürlich, denn die Kunst schien mich in einen Raum hineinzuziehen, in dem ich mich wohlfühlte.» Als Streuli sich als 16-Jährige an Kunsthochschulen bewarb, wies man sie als zu jung ab. So ging sie weitere drei Jahre zur Schule und nahm dann ihr Studium an der Kunsthochschule in Zürich auf. Das war in den späten 90er-Jahren, als die Studierenden sich auf Video- oder Performancekunst spezialisierten. Streuli dagegen liebte die Malerei. Zwei Jahre später wechselte sie an die Universität der Künste in Berlin, um ein klassisches Kunststudium zu absolvieren. Sie erkannte jedoch bald, dass sie die kreative Vielfalt vermisste, die sie aufgegeben hatte. So kehrte sie zwei Jahre später nach Zürich zurück, um ihr Studium an der dortigen Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGKZ) abzuschliessen. Streuli war eine von vier Kunststudierenden, die ein Stipendium für ein Studium in einem Land ihrer Wahl erhielten. Als Teilnehmerin am International Studio and Curatorial Program 2001 erlebte die Künstlerin eine Zeit intensiver Kreativität in New York. Nachdem Streuli als Kind einige Jahre in Amerika gelebt hatte, hegte sie stets den Wunsch, als Erwachsene dorthin zurückzukehren. «Europa zu verlassen und von einer anderen Kultur inspiriert zu werden, war fantastisch – eine der besten und intensivsten Erfahrungen meines Lebens. Ich hatte ein eigenes Atelier und arbeitete wie verrückt, weil ich so inspiriert und energiegeladen war.» Während dieser Zeit begann Streuli, ihre Arbeiten zu verkaufen: Sie traf 63 KUNST Eine Installation mit Kissen als Teil der Ausstellung «hello paranoia!». Auf jedem der Kissen ist ein Foto eines Bildes, das Streuli in den vergangenen 15 Jahren gemalt hat. T-Shirts in limitierter Auflage. KUNST Kunstwerke in der Entstehung. 64 den Schweizer Galeristen Mark Müller, mit dem sie bis heute zusammenarbeitet. Als das Stipendium auslief, nahm sie Gelegenheitsjobs an, um in New York bleiben zu können. Ende 2002 war Amerika polarisiert. Das noch vom 9/11-Schock traumatisierte Land glaubte an die «Achse des Bösen» und befand sich an der Schwelle zum Irak-Krieg. Streuli fühlte sich hin- und hergerissen. Als Kind hatte sie viele Sommer in Tunesien verbracht, zu Besuch bei ihren Grosseltern. Daher fiel es ihr schwer, ihre neu gewonnene und durch die Dynamik New Yorks beflügelte kreative Energie unter einen Hut zu bringen mit der Dämonisierung der Menschen im Maghreb, die Streuli aus ihrer Kindheit so vertraut waren. DIE KÜNSTLERIN ALS NOMADIN Und wieder war es Zeit, zu neuen Zielen aufzubrechen. Streuli bewarb sich erfolgreich um ein Stipendium der Pro Helvetia Stiftung und bezog als Artist in Residence eine eigene Wohnung mit Atelier in Kairo. «Ich warf all meine Sachen weg, schickte meine Werke per FedEx in die Schweiz und buchte einen Direktflug nach Kairo», sagt Streuli. Was dann kam, beschreibt sie als «die schwierigste Zeit meines Lebens». Während des Irak-Kriegs wurde sie als weis se Europäerin mit Verbindungen nach Amerika rasch zum Ziel anti-westlicher Ressentiments. «Zu Beginn versuchte ich, die Schuldzuweisungen zu ignorieren. Nach drei Monaten war ich aber so frustriert, dass ich mein Apartment einen ganzen Monat lang nur zum Einkaufen verliess. Ich zog mich komplett zurück und las die Romane von Machfus, um Ägypten besser zu verstehen.» Ihre Erfahrungen von 2003 verarbeitete Streuli in einem ihrer, wie sie selbst sagt, interessantesten Kunstwerke: Für die Gemäldeserie mit dem Titel «Anything but the World» verwendete Streuli Fotos aus der New York Times, übermalte diese und ergänzte sie mit Fotos aus der ägyptischen Zeitung Al Ahram. «Dieses Werk bedeutet mir sehr viel. Ich werde es nie verkaufen», erklärt Streuli. «Wenn man eine sehr schwierige Zeit durchlebt, arbeitet man anders, weil man sich an andere Gegebenheiten anpasst. Ob ich mich in einer bestimmten politischen Lage befinde oder in den Bergen ausspanne – beides prägt meine Arbeit und zeigt sich in ihr.» Von Kairo aus erschloss sich Streuli das Land. Sie reiste nach Alexandria und an den Oberlauf des Nils, bevor eine Phase ihres Lebens begann, die sie selbst als «verrückt» beschreibt und die sie zurück in die Schweiz, dann nach San Francisco, Düsseldorf, Berlin, London und schliesslich zurück nach Berlin führte. Während dieser Zeit wurde die Künstlerin vielfach ausgezeichnet und erfuhr internationale Anerkennung für ihr Werk. Drei Jahre in Folge (von 2004 bis 2006) wurde ihr der Eidgenössische Kunstpreis verliehen, 2005 erhielt sie auch den Kiefer Hablitzel Preis. Im gleichen Jahr war sie für ihre Ausstellung im Kunstmuseum Bonn für den Dorothea-von-Stetten-Kunstpreis nominiert und erhielt von der Stadt Zürich ein Stipendium für bildende Kunst und ein Ate- lier in San Francisco. Es folgte ein Stipendium der Landis & Gyr Stiftung, das sie als Artist in Residence nach London führte. Ein besonderes Highlight war für Streuli, dass sie ihre Werke gemeinsam mit Yves Netzhammer im Schweizer Pavillon an der Biennale 2007 in Venedig ausstellen durfte. Ihre Entscheidung, in Berlin sesshaft zu werden, beschreibt Streuli als bahnbrechende Wende. Bis dahin war sie auf der Suche nach Inspiration ständig durch die Welt gereist. «Ich erkannte, dass ich nicht dauernd unterwegs sein musste, um hier oder da neue Anregungen zu finden», sagt sie. «Es war nicht so, dass mir das Reisen oder Entdecken keinen Spass mehr gemacht hätte, aber ich war es leid, mir ständig ein neues Atelier und eine neue Wohnung suchen zu müssen.» Ausserdem wollte sie an einem Ort leben, wo sie ihre Muttersprache sprechen konnte. Ihr Englisch sei zwar gut, sagt sie, aber es sei eben nur eine Fremdsprache, und so habe sie ständig dieses Gefühl gehabt, das auch ihre Kindheit prägte: sich nicht wirklich exakt ausdrücken zu können. Die neue Beständigkeit brachte allerdings Fallstricke mit sich, die sie als jüngere Künstlerin vermieden hatte. «Als ich jung war, sagte ich immer, dass mir das nie passieren würde. Mein Besitz sollte in eine Tasche passen, weil ich flexibel bleiben wollte, um jederzeit überall hinziehen zu können. Natürlich sehe ich heute auch die positiven Seiten meines neuen Lebens.» DER HEIMATSTANDORT Ein festes Atelier zu haben, bedeutete für Streuli, ihre Werke an einem Ort aufbewahren zu können. Sogar ihre riesigen Installationen kann sie hier als Modelle für ihre nächste Ausstellung lagern. Wer Streulis Werk kennt, weiss, dass sie zum Malen meist alles andere als einen Pinsel benutzt: Sie liebt es, die Farbe mit unterschiedlichen Techniken – Spachteln, Rollen, Sprühen – auf riesige Leinwände und andere Untergründe zu bringen. «Mich interessieren die vielen verschiedenen Möglichkeiten, Farbe auf eine Leinwand, auf Aluminiumtafeln oder Wände aufzutragen», erklärt Streuli. «Ein echtes Problem dabei ist, dass meine Formate immer grösser werden. Ich liebe grossformatige Gemälde, weil sie mir das Gefühl geben, dass ich wahrhaftig in die Welt der Farbe und der Malerei eintrete.» Für ihre Ausstellungen bemalt sie daher oft auch die Wände, an denen ihre Bilder hängen, und selbst die Böden. Alles kann als Hintergrund für ihren intensiven Farbauftrag dienen. Unterschiedliche Techniken faszinieren sie. Ende letzten Jahres erforschte sie die indonesische Kunstform des Ba tikens. Durch diese Technik, bei der Farben und Wachs kombiniert werden, fühlte Streuli sich in einen «vorbewussten Zustand» zurückversetzt – in eine Zeit, in der sie noch nicht als ausgebildete Künstlerin malte, sondern ganz intuitiv Kunst machte. Auch das sich Wiederholende inspiriert sie: weniger die Siebdruck-Kopie, sondern vielmehr die Idee, hunderte von identischen Originalen zu kreieren. «Ich wähle das Bild aus 65 KUNST Die gestickten Initialen der Künstlerin, die bei der jüngsten Ausstellung auf Kissen zu sehen waren. VIDEO WWW.JULIUSBAER.COM/VISION Schablonen und Farbe. und versuche dann, eine Serie zu produzieren. Dabei geht es mir um diese gewisse Monotonie, die Vorstellung, dass meine Hände immer und immer wieder das Gleiche hervorbringen: Bilder, die aussehen, als seien sie identisch, während in Wirklichkeit jedes ein Original ist.» Typisch für ihre Werke ist auch der Aufbau aus mehreren Schichten, die sich überlagern. In Streulis Atelier befindet sich ein Werk, das sie gerade für ihre Ausstellung «hello paranoia!» fertiggestellt hat. Das Bild aus Schablonenpapier trägt den Titel «Here I am». Streuli hatte es schon 2010 während ihrer Zeit in London begonnen, aber nicht fertiggestellt. Da sie niemals etwas wegwirft, packte sie die unfertigen Bilder ein und brachte sie mit nach Berlin. «Jahre später erinnerte ich mich auf einmal an diese Papierarbeiten, und als ich sie mir ansah, wusste ich, was ich zu tun hatte. Es geht mir i mmer um das Spiel von Aktion und Reaktion: Ich muss auf meine erste Aktion reagieren können», erklärt Streuli. Bei diesem Werk hörte das Überlagern nicht mit der Leinwand auf. Über die Notwendigkeit eines Identitätsnachweises nachzudenken, war für Streuli angesichts ihrer zahlreichen Reisen naheliegend – vor allem weil in Amerika bei der Einreise die Fingerabdrücke abgenommen werden. «Mit einem Fingerabdruck teilt man etwas sehr Persönliches von sich selbst mit. Man beantwortet zumindest teilweise die Fragen ‹Wer bin ich und was tue ich?›. Ich beschloss, meine Papierarbeit mit einer Glasplatte zu bedecken, die meinen im KUNST 66 Siebdruckverfahren aufgebrachten Fingerabdruck trägt.» Streuli wählte dafür einen zehnfach vergrösserten Abdruck ihres Daumens, der fast ein Drittel des Gemäldes bedeckt. «Ich wollte dem Werk meinen Stempel aufdrücken. Daher die Glasplatte mit dem Fingerabdruck. Bei diesem Werk geht es um verschiedene Schichten: Farbschichten und Zeitschichten. Zusammengehalten wird das Ganze durch das Spiel von Aktion und Reaktion.» Alle Gemälde Streulis tragen einen Titel. «Meinen Studenten sage ich immer, dass Künstler, die ihren Werken keinen Namen geben, faul sind.» Für Streuli erzählt jedes Gemälde zwei Geschichten: die des Werkes selbst und die seines Titels. Dieser sollte nicht beschreibend sein, aber das emotionale Motiv beinhalten, das dem Werk zugrunde liegt. Der Titel sollte eigene Vorstellungen hervorrufen. «Ich möchte den Menschen, mir selbst und dem Kunstwerk etwas mitgeben, das über das Visuelle hinausgeht: die eigenen Erinnerungen. Daher müssen alle meine Werke einen Titel haben.» Was also verbirgt sich hinter dem Werk «Here I am»? «Ich habe zwei oder drei Jahre lang versucht herauszufinden, was ich tue und wie ich Ideen ausdrücke. Wer authentisch sein will, muss sich ständig mit diesen Fragen auseinandersetzen. Also: Hier bin ich. Schau hin oder lass es bleiben. Ich denke, diese Aussage passt genau zu meiner derzeitigen emotionalen Situation. Sie gibt mir die Möglichkeit, in die Vergangenheit zu blicken, aber auch in die Zukunft.» 67 KUNST DHARMA LIFE Stabiles Einkommen, Selbstachtung und Respekt der anderen Das Sozialunternehmen Dharma Life steht für unternehmerisches Engagement, um in ländlichen Regionen Indiens die Armut zu verringern und bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Wie dies funktioniert, erklärt Gründer und CEO Gaurav Mehta. Autorin: Janet Anderson Ein Wettbewerb verdeutlicht die Vorteile des Kochens mit Induktionsherden. Gaurav Mehta ist in seinem Element. In Sandhnidhar im indischen Bundesstaat Gujarat läuft gerade das Halbfinale im Kochwettbewerb Dharma Chef. Die Teilnehmenden wollen im direkten Vergleich beweisen, wer die leckerste Mahlzeit auf den Tisch zaubert. Eine der Anwärterinnen ist Falguni Mishra, Hausfrau und Supervisorin des Mittagstisch-Programms im Dorf. Sie will es mit ihrem Vegetable Jaipuri ins Finale schaffen. Eine spezielle Herausforderung für die Laienköche ist, dass sie an einem neuartigen Herd kochen müssen, einem Induktionsherd. Er ist schick, energiesparend, und im Gegensatz zu den tra- JULIUS BÄR STIFTUNG 68 ditionellen Kochstellen in indischen Dörfern produziert er keinen Rauch. «In Indien ist die Luftverschmutzung in Innenräumen ein grosses Gesundheitsproblem. Am stärksten betroffen sind Frauen, weil das Kochen meist ihre Aufgabe ist und sie oft am offenen Feuer arbeiten», erklärt Mehta. «Wir wollen die Menschen für dieses Problem sensibilisieren und ihnen zeigen, dass es eine erschwingliche sauberere Alternative gibt. Dazu müssen wir sie überzeugen, dass man auf diesen Herden genauso leckere Mahlzeiten zubereiten kann.» Dies ist eines der Hauptziele des Kochwettbewerbs. Vor allem aber hofft Mehta, dass den Leuten der Wettbewerb Spass macht. Er ergänzt: «Wir wollen das Kochen zelebrieren und die Köche ermuntern, ein kulinarisches Gespür zu entwickeln.» Die Teilnehmenden erhalten Anleitungen von einem professionellen Chefkoch. Wer sich darüber hinaus wei terentwickeln und zum Beispiel ein eigenes Restaurant eröffnen will, kann noch weiterführende Hilfe erhalten. Mehta erklärt: «Wir wollen den Menschen auf dem Land helfen, sich eine Lebensgrundlage zu schaffen und ihr Selbstvertrauen zu stärken.» Dies ist das Hauptanliegen von Mehta und seinen Kollegen bei Dharma Life. Das 2009 gegründete Unternehmen will Menschen helfen, ihren Lebensunterhalt nachhaltig zu bestreiten. In Indien haben nur 12,9 Prozent der einen Million ländlicher Haushalte ein regelmässiges Einkommen. Hinzu kommt, dass viele Produkte, die das Leben dieser Menschen verbessern könnten, in entlegenen Dörfern nicht erhältlich sind. Dharma Life wählt Produkte wie den obigen Induktionsherd sorgfältig aus, schafft ein effizientes Distributionssystem für sie und stellt lokale Unternehmer ein, die im Verkauf der Produkte geschult werden. So entsteht ein nachhaltiger Markt, der gleichzeitig einen sozialen Nutzen bietet. Alle sechs Produktsparten von Dharma Life dienen einem wichtigen sozialen Zweck: Gesundheit und Hygiene, Ausbildung, Zugang zu sauberer Energie, Lebensunterhalt und Lebens- stil, Innenraum-Luftverschmutzung sowie Ernährung. Events wie der Kochwettbewerb helfen, die Produkte bekannt zu machen und Interesse für sie zu wecken. So stellt Mishra beispielsweise fest: «Mit dem Induktionsherd geht das Kochen schneller – früher habe ich über eine Stunde gebraucht und jetzt nur noch 20 Minuten. Ausserdem bleibt die Luft damit sauberer.» Mehta zufolge haben sich die Herdverkäufe versechsfacht, weil die Menschen sich selbst von dem Produkt und seinen Vorteilen überzeugen konnten. Für die lokalen Herd-Distributeure von Dharma Life bedeutet dies mehr Einkommen. Genauso wichtig ist aber, dass die Unternehmer Anerkennung aus ihrem lokalen Umfeld erhalten. Die DharmaLife-Distributeure werden in ihrem Dorf respektiert, weil die Nachbarn ihre Produkte nützlich finden und kaufen wollen, und weil sich die Distributeure Gaurav Mehta eine eigene Lebensgrundlage schaffen. Mehta, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, genoss seine erste Ausbildung im Bekleidungsgeschäft seiner Familie. Später wechselte er ins Investment Banking und arbeitete gleichzeitig für die Nichtregierungsorganisation Pratham, die den Analphabetismus unter indischen Kindern bekämpft. Nach gesundheitlichen Problemen beschloss Mehta, sich fortan auf soziale Themen zu konzentrieren. Er kündigte seinen M&A-Job und ab- solvierte ein MBA-Studium an der London Business School. Hier entwickelte er gemeinsam mit Studienkollegen die Idee zu Dharma Life. «Der Begriff Dharma bedeutet so viel wie Verpflichtung oder Verantwortung, Gutes zu tun. Wir empfanden es als unsere Pflicht, etwas zu bewegen», erklärt er. Bei seiner Arbeit für Pratham hatte er gelernt, dass ein grosses Problem für die Menschen seiner Zielgruppe ihre instabile Einkommenssituation ist. Daraus entstand die Idee, eine Lebensgrundlage für arbeitslose und benach teiligte Menschen auf dem Land zu schaffen, indem sie Produkte verkaufen, die einen sozialen Nutzen haben. Das Produktspektrum umfasst Solarlampen, Wasserfilter und Hygieneartikel ebenso wie Nähmaschinen, Mobiltelefone und andere Geräte, die das Leben der Menschen verbessern. «Wir untersuchen in jeder Region zuerst die sozialen und gesundheitlichen Probleme. Dann definieren wir einen Warenkorb, der Abhilfe für diese Probleme schafft, rekrutieren lokale Unternehmer und schulen sie im Verkauf der Produkte», beschreibt er. Alle Produkte werden zu Marktpreisen angeboten. Bevor sie in den Verkauf gehen, führt Dharma Life für jeden einzelnen Artikel eine Bewertung und ein Benchmarking durch. «Wir haben schon eine Menge gelernt. Einige Produkte mussten wir zurückziehen, weil sie nicht funktionierten. Wir wollen unser Bestes geben, um den Kunden zu helfen.» Heute sind bereits in über 4800 Dörfern in neun indischen Bundesstaaten Dharma Life-Unternehmer aktiv, die zusammen 2,5 Millionen Haushalte abdecken. Mehta weiss, dass es äusserst komplexe Probleme sind, die Dharma Life zu lösen versucht. Durch seine Ausbildung betrachtet er sie wie betriebswirtschaftliche Fragestellungen. «Es gibt enorme Parallelen zur Geschäftswelt – die Bereiche Einzelhandelsdistribution, Lieferketten und Finanzdienstleistungen bieten zahlreiche bewährte Lösungen, die sich auch hier eignen. Aus diesem Grund bin ich für einen hybriden Ansatz. Soziale Ziele sind genauso wichtig wie finanzielle Ziele.» Ein Entrepreneur von Dharma Life. Finanziert wird Dharma Life bis dato von strategischen Partnern wie der ShellStiftung, Tata Trusts und der Elea Foundation. Durch Reinvestition von Gewinnen hofft Mehta aber, dass sich Dharma Life bis 2019 selbst tragen kann. Entscheidend für den Erfolg des Geschäftsmodells sind eine günstige Kostenstruktur, professionelle Prozesse und talentierte Köpfe. Mehta erklärt: «Wir haben grosse Ziele. Bis 2020 wollen wir ein Netzwerk von 100 000 Dharma-Life-Unternehmern schaffen, die Hälfte davon Frauen. Sie sollen zusammen 50 Millionen Geringverdiener in ländlichen Regionen bedienen. Auf lange Sicht planen wir, ganz Indien abzudecken.» Darüber hinaus betreibt Mehta auch schon die internationale Expansion von Dharma Life. Gerade wird eine Machbarkeitsstudie in Südafrika durchgeführt, wo die Gruppe mit dem Johnson & Johnson Trust zusammenarbeitet. Nach Mehtas Einschätzung könnte das Geschäftsmodell auch in Südafrika gut funktionieren. Wo Dharma Life auch tätig ist, das Ziel bleibt dasselbe: «Im Zentrum unserer Arbeit stehen die Unternehmer», erklärt Mehta. «Wir verhelfen ihnen zu einem soliden Einkommen und zu Anerkennung aus ihrem Umfeld. Das ist unser Anliegen. Und das ist es, was mich antreibt.» Die Julius Bär Stiftung unterstützt Dharma Life indirekt über Spenden an die Elea Foundation. 69 JULIUS BÄR STIFTUNG GEDULDIGE ANLEGER WERDEN BELOHNT Ziel von Yves Bonzon ist es, Portfolios zusammenzustellen, mit denen unsere Kunden gut schlafen können – unabhängig von den unvermeidlichen Schocks am Markt. Anleger mit einem konstruktiven Blick auf die Welt, die sich in Geduld üben, hätten die besten Erfolgschancen, erklärt Bonzon, Chief Investment Officer und Leiter Investment Management (IM), dem neuen Zentrum für Anlagekompetenz und Port folio-Management bei Julius Bär. Die neue Division IM ergänzt die bestehende Investment Solutions Group (ISG). Interview: Michèle Bodmer ANLAGETRENDS 70 71 ANLAGETRENDS «Eine der wichtigsten Lektionen, die ich gelernt habe, lautet: Es gibt kein festes Rezept, das in allen Finanzzyklen oder Jahrzehnten funktioniert.» Yves Bonzon, Leiter Investment Management und Chief Investment Officer Herr Bonzon, Sie haben nach 26 erfolgreichen Jahren bei Pictet zu Julius Bär gewechselt. Was hat Sie daran besonders gereizt? Die einzigartige Fokussierung auf Vermögensverwaltung – dass diese Bank nur eine Sache macht. Im heutigen Zeit alter der Informationstechnologie ist die Welt sehr konkur renzintensiv geworden, und um gut in dem zu sein, was man tut, muss man sich fokussieren. Diese Konzentration auf nur ein Segment ist einer der wichtigsten Vorteile von Julius Bär gegenüber Wettbewerbern, deren Aufmerksamkeit von ver schiedenen Themen abgelenkt werden kann. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie im Verlauf Ihrer Anlagelaufbahn gewonnen haben? Eine der wichtigsten Lektionen habe ich zum Glück schon früh gelernt: Es gibt kein festes Rezept, das in allen Finanz zyklen oder Jahrzehnten funktioniert. Das Anlageumfeld verändert sich, und die Marktstrukturen entwickeln sich wei ter. Dadurch ist es tendenziell so, dass die marktbestimmen den Faktoren in jedem Zyklus unterschiedlich sind. Man muss seinen Anlageansatz an die veränderten Um stände anpassen. Wichtiger aber ist, dass man in der Lage sein muss, die strukturellen Treiber und Trends auf den Fi nanzmärkten zu erkennen. Und man muss sich regelmässig umfassend über neue Entwicklungen informieren. Wie haben die Lektionen, die Sie gelernt haben, Ihre Anlagephilosophie beeinflusst? Wichtig ist, zu erkennen, dass es zwar tatsächlich viele unbekannte Grössen gibt, dass Anleger aber viel zu viel Zeit damit verbringen, sich auf die nächste Krise vorzubereiten. Lieber sollten sie sich mit der grundlegenden Struktur ihres Portfolios beschäftigen. Unsere Aufgabe als Anlageexperten ist es, die Portfolios von Kunden so zu strukturieren, dass sie widerstandsfähig gegenüber Schocks sind und davon sogar profitieren können. Unser Ziel ist, Portfolios zusammenzu stellen, die unsere Kunden gut schlafen lassen, egal was in der Welt da draussen passiert und egal wie gross die Schocks sind, die sich ereignen. Die Grundlage für Finanzrenditen besteht darin, Risiko prämien zu vereinnahmen. Zusätzlich kann man versuchen, höhere Renditen zu erzielen, indem man Chancen zur Wert ANLAGETRENDS 72 schöpfung nutzt. Wir wissen allerdings, dass so etwas auf sehr konkurrenzintensiven Märkten nur selten vorkommt und schwierig ist, sodass es sehr darauf ankommt, sich die Risiko prämien zu sichern. Ich bin der Meinung, dass es sich aus zahlt, die meiste Zeit überinvestiert zu sein. Anleger sollten also nicht versuchen, die nächste Krise vorauszusehen. Wie sollten sie die Finanzmärkte Ihrer Meinung nach stattdessen betrachten? Mir fällt auf, dass Anleger sich immer noch intensiv mit den Ursachen der Finanzkrise 2008 beschäftigen. Ich beob achte jeden Tag, dass sich die Leute auf das nächste 2008 vorbereiten wollen. Die gute Nachricht dabei ist, dass eine Krise dieses Ausmasses ein seltenes Ereignis ist und nicht je des Jahrzehnt auftritt. Die Kosten für die Absicherung gegen eine potenzielle Krise sind viel höher, als die meisten Anleger glauben. Stattdessen sollten sie lieber einen konstruktiven Blick auf die Welt einnehmen: Die Renditen sind niedrig, denn die Zinsen liegen bei fast null Prozent oder sogar dar unter, aber es gibt immer noch Gelegenheiten da draussen. Geduldige Anleger werden eine Belohnung bekommen. Hat die Krise 2008 Auswirkungen auf Ihren Anlagestil gehabt? Eigentlich nicht, denn in meiner Zeit bei Pictet hatten wir die Schwächen von strukturierten Kreditinstrumenten schon vor 2008 identifiziert. Wir fanden es bemerkenswert, dass die Anbieter dieser strukturierten Produkte so viel davon in ihren eigenen Bilanzen behielten. Dies hatte enorme Auswir kungen auf den gesamten Bankensektor. Eine der Lehren aus dieser Krise ist, dass man sehr auf die Fehlanreize im System achten sollte. Wenn man sie versteht, kann man sich potenziell auch vor ihren unbeabsichtigten Folgen schützen. Können Sie ein Beispiel für einen solchen Fehlanreiz nennen? Ein gutes Beispiel ist das System der Kreditratings, wie es vor der Finanzkrise 2008 existierte. Es gab Finanzinstituten mit AAA-Rating die Möglichkeit, strukturierte Kreditinstru mente fast ohne Eigenkapitalhinterlegung in die Bilanz zu neh men. Das ist etwas, das ich als Fehlanreiz bezeichnen würde. Was sind Ihrer Meinung nach die häufigsten Fehler von Anlegern? Allgemein sind Anleger zu risikoavers. Sie sollten sich ih rer eigenen Verhaltensverzerrungen bewusst sein und sie identifizieren. Jeder Mensch ist anders und reagiert unter schiedlich, doch wir haben einige gemeinsame Eigenschaf ten. Unsere Gehirne wurden vor vielen Jahrtausenden darauf programmiert, in einer Welt ohne Finanzmärkte und Infor mationstechnologie zu leben. Unsere intuitive Intelligenz kann deshalb zu sehr schlechten Anlageentscheidungen füh ren. Von Verhaltensverzerrungen ist niemand frei. Aus die sem Grund sollten sich Anleger stets auf das Denken der zweiten Ebene statt auf das der ersten Ebene konzentrieren. Ich würde Anlegern empfehlen, das Buch «Thinking, Fast and Slow» von Daniel Kahneman zu lesen, der dafür im Jahr 2002 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekom men hat. Es erklärt, wie unser Gehirn funktioniert. Was können Anleger noch tun, um ihre Verhaltensverzerrungen besser zu verstehen? Es gibt einige sehr praktische Möglichkeiten dafür. Bei spielsweise können sie jede Woche ihre wichtigsten Gedan ken über Anlagemöglichkeiten und die Finanzmärkte in ei nem Notizbuch festhalten – ihre Überlegungen über Dollar, Aktien und alles, was ihnen zu den Märkten einfällt. Diese Aufzeichnungen sollten sie sich in regelmässigen Abständen wieder ansehen. Sie werden feststellen, dass sie eine bemer kenswerte Fähigkeit haben, zu vergessen, was sie früher ge dacht haben. Das ist eine typische Verhaltensverzerrung. Wenn sie diese Verzerrungen bei sich identifiziert haben, können sie sich daranmachen, sie in den Griff zu bekommen. Es ist bei Geldanlage also nicht ratsam, der eigenen Intuition zu folgen? Ich würde sehr davon abraten. Geldanlage spielt sich an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft ab. Sie erfordert viel rationale Intelligenz, aber auch etwas emotio nale Intelligenz. In manchen Fällen hat meine Intuition mich tatsächlich dazu gebracht, Geldanlagen zu tätigen, die sich als gelungen herausstellten. Man braucht aber recht viel Erfahrung, bis die eigene Intuition wirklich eine Hilfe sein kann. Das ist eine heikle Balance. Wie können Anleger Fallstricke umgehen? Sie brauchen einen guten Berater, der das bereits gelernt hat. Gute Anlageberater sind in der Lage, ihren Kunden bei zubringen, bessere Entscheidungen zu treffen. Viele Men schen glauben, sie bräuchten keinen Berater, und kaufen stattdessen ein Indexprodukt, um sich die Performance des Marktdurchschnitts zu sichern. In der Theorie funktioniert das gut, aber nicht in der Praxis, denn man wird dabei un weigerlich durch externe Geschehnisse beeinflusst und kauft wahrscheinlich zum falschen Zeitpunkt. Das macht es unwahrscheinlich, auf diese Weise die besten am Markt mög lichen Renditen erzielen zu können. Gute Anlageberater kön nen ihren Kunden helfen, dem Marktdurchschnitt so nah wie möglich zu kommen. Natürlich strebt jeder an, den Markt zu schlagen, doch das gelingt nur sehr wenigen. Was denken Sie über Fintech? Können Technologien dabei helfen, die emotionale Seite der Geldanlage zu umgehen, die Sie beschrieben haben? Technologien und damit auch manche Fintech-Lösungen können wohl dabei helfen, unerwünschte Verhaltensverzer rungen abzumildern. Allerdings werden diese Vorteile wahr scheinlich überschätzt, denn letztlich kommt es immer auf das menschliche Verhalten an. In der Theorie sollten Men schen dem folgen, was ihnen der Robo-Berater empfiehlt, aber ich bin überzeugt, dass sie letztlich doch ihrem Instinkt folgen werden. Menschliche Intelligenz wird schwer zu ersetzen sein. Es gibt keine Regel, die sich systematisch anwenden lässt und die unter allen Umständen funktioniert. Ich glaube nicht, dass Fintech-Lösungen die Spielregeln grundlegend verän dern werden. Eher sind sie ein weiterer Schritt in der Evolu tion der Finanzbranche. YVES HENRI BONZON Yves Bonzon ist Leiter Investment Management (IM) und Mitglied der Geschäftsleitung der Bank Julius Bär und wurde am 10. Mai 2016 zum alleinigen Chief Investment Officer (CIO) er nannt. Seine Tätigkeit für die Bank begann er im Februar 2016 als Leiter Investment Management und Co-CIO. Bonzon zählt zu den führenden Experten für Anlageverwaltung in der Private Banking-Branche. Nach einer Ausbildung in Vermögensverwaltung und Corporate Banking bei UBS begann Bonzon im Jahr 1989 als Junior Private Banker bei Pictet in Genf, wo er Karriere machte und 1998 Chief Investment Officer wurde. Bereits ein Jahr zuvor wurde er Mitglied des Private Banking Executive Committee von Pictet, 2006 Group Managing Director und Partner mit begrenzter Haftung und 2007 Mitglied des Wealth Management Exe cutive Committee. Im Dezember 2015 verliess Bonzon Pictet. Er hat einen Masterabschluss in Betriebswirtschaft der Universität Lausanne (HEC Lausanne). VIDEO WWW.JULIUSBAER.COM/VISION 73 ANLAGETRENDS JULIUS BÄR AUF EINEN BLICK MOSKAU ISTANBUL KAIRO NASSAU MEXIKO-STADT BEIRUT TEL AVIV MANAMA ABU DHABI PANAMA-STADT LIMA BELO HORIZONTE RIO DE JANEIRO SÃO PAULO SANTIAGO DE CHILE MONTEVIDEO Julius Bär: die internationale Referenz im Private Banking Julius Bär Gruppe1/31. Dezember 2015 • Wir leben reines Private Banking – für unsere Kunden vor Ort und weltweit. Total Kundenvermögen (in Mrd. CHF) Verwaltete Vermögen Custody-Vermögen 385.5 299.7 85.8 Personalbestand (auf Vollzeitbasis) Schweiz Ausland 5364 3064 2300 • Wir sind unabhängig – unserem Schweizer Familienerbe verpflichtet. • Wir beraten objektiv und kompetent – auf Basis unserer einzigartigen, offenen Produktplattform. • Wir handeln unternehmerisch und sind innovativ – als Taktgeber der Branche. Wichtige rechtliche Informationen finden Sie auf den Seiten 78–79. UNSER UNTERNEHMEN 74 BIZ Gesamtkapitalquote Moody’s Rating (langfristig) Bank Julius Bär & Co. AG An der SIX Swiss Exchange kotiert (BAER.VX) 1 19,4% Aa2 DUBAI MUMBAI2 KIEL DUBLIN HAMBURG AMSTERDAM LONDON DÜSSELDORF GUERNSEY FRANKFURT LUXEMBURG MANNHEIM WÜRZBURG STUTTGART MÜNCHEN WIEN ZÜRICH MAILAND TURIN MONACO TOKIO SCHANGHAI HONGKONG ROM MADRID SINGAPUR JAKARTA BASEL ST. GALLEN ZÜRICH ZUG LUZERN BERN LAUSANNE GENF Hauptsitz Buchungszentrum Standort GPS, hundertprozentige Tochtergesellschaft NSC Asesores, strategische Minderheitsbeteiligung von 40% ST. MORITZ CRANS-MONTANA SION VERBIER Kairos Julius Baer SIM SpA, strategische Beteiligung von 80% an der Holdinggesellschaft (Börsenkotierung einer Minderheitsbeteiligung für 2016 geplant) Julius Bär ist in Mailand durch Julius Baer Fiduciaria S.r.l. vertreten. 75 LUGANO Julius Bär Wealth Management AG (Hauptsitz Erlenbach/ Zürich, ehemals TFM Asset Management AG) 2 Weitere Advisory-Standorte in Bangalore, Chennai, Kalkutta und Neu-Delhi UNSER UNTERNEHMEN UNSERE PRODUKTE UND DIENSTLEISTUNGEN KERNPRODUKTE – ANLAGELÖSUNGEN WEITERE DIENSTLEISTUNGEN Basierend auf dem bewährten Anlageansatz von Julius Bär sowie unserer offenen Produkt- und Dienstleistungsplattform. Wealth & Tax Planning Auf Basis unserer offenen Produkt- und Dienstleistungsplattform bieten wir unabhängige Beratung zu Vermö gensstrukturierung, Finanz-, Steuer- und Nachfolgeplanung, Wohnsitzwechsel, Pensionierung und Philanthropie. Vermögensverwaltungsmandate Wir bieten Ihnen eine Palette von Mandaten mit verschiedenen Merkmalen. Sie delegieren alle Anlage entscheidungen an uns und werden so von laufenden Entscheidungsfindungen entlastet. Investment-Advisory-Angebote Sie wählen zwischen verschiedenen Dienstleistungsmodellen aus, besprechen Ihre Anlageentscheidungen mit Ihrem Kundenberater und/oder Anlageberater und erhalten von uns eine massgeschneiderte Beratung. Produkt- und Wertschriftenempfehlungen Wir behalten Ihre Anlagen für Sie im Auge und unterbreiten Ihnen auf Ihr Risikoprofil abgestimmte Anlage empfehlungen. Sie treffen alle Entscheidungen selbst. Finanzierungen Wir bieten Ihnen eine breite Palette von Kreditlösungen – von Lombardkrediten über Hypothekardarlehen bis hin zu strukturierten Finanzierungen. Trading/Administration & Safekeeping Wir unterstützen Sie beim Handel mit Devisen, Edelmetallen und Wertpapieren und übernehmen für Sie die Abwicklung, Administration und Verwahrung dieser Werte. Ausserdem sind wir ein Kompetenzzentrum in den Bereichen Derivate, strukturierte Produkte und e-Trading-Lösungen. RESEARCH Bankeigenes Research Unser bankeigenes Research bietet Ihnen Analysen zur Wirtschaftsentwicklung sowie zu Aktien, Anleihen, Währungen und Rohstoffen. Ergänzend dazu widmet sich Julius Bär Next Generation strukturellen Trends, welche die Zukunft verändern werden. Unser Produkt- und Dienstleistungsangebot ist abhängig vom Domizil des Kunden und von der jeweiligen Rechtseinheit von Julius Bär. Wichtige rechtliche Informationen finden Sie auf den Seiten 78–79. 77 UNSER UNTERNEHMEN Wichtige rechtliche Hinweise Diese Publikation stellt Marketingmaterial dar und ist nicht Resultat einer unabhängigen Finanzanalyse. Sie unterliegt daher nicht den rechtlichen Anforderungen bezüglich der Unabhängigkeit der Finanzanalyse. Die in dieser Publikation enthaltenen Informationen und Meinungen wurden von Bank Julius Bär & Co. AG, Zürich, zum Zeitpunkt der Redaktion dieser Publi kation produziert und können sich ohne Ankündigung ändern. Diese Publikation dient ausschliesslich Infor mationszwecken und stellt keine Offerte, Empfeh lung oder Aufforderung von Julius Bär oder in ihrem Auftrag zur Tätigung einer Anlage dar. Die Äusserun gen und Kommentare widerspiegeln die derzeitigen Ansichten der Verfasser, können jedoch von Mei nungsäusserungen anderer Einheiten von Julius Bär oder sonstiger Drittparteien abweichen. Die in dieser Publikation genannten Dienstleistungen und/oder Produkte sind unter Umständen nicht für alle Empfänger geeignet und nicht in allen Ländern ver fügbar. Die Kunden von Julius Bär werden gebeten, sich mit der lokalen Einheit von Julius Bär in Ver bindung zu setzen, wenn sie sich über die angebote nen Dienstleistungen und/oder Produkte im ent sprechenden Land informieren wollen. Diese Publikation ist ohne Rücksicht auf die Ziele, die Finanzlage oder die Bedürfnisse eines bestimmten Anlegers erstellt worden. Bevor ein Anleger ein Ge schäft abschliesst, sollte er prüfen, ob sich das betref fende Geschäft angesichts seiner persönlichen Um stände und Ziele für ihn eignet. Der Kunde sollte nur nach gründlicher Lektüre des relevanten Produkt merkblatts, der Zeichnungsvereinbarung, des Infor mationsprospekts, des Verkaufsprospekts oder anderer Angebotsdokumente im Zusammenhang mit der Wertschriftenemission oder anderen Finanzinstrumen ten Investitions-, Handels- oder sonstige Entschei dungen treffen. Die in dieser Publikation enthaltenen Informationen stellen weder eine Anlage-, Rechts-, Buchführungs- oder Steuerberatung dar noch eine Zusicherung, dass sich eine Anlage oder Anlagestrate gie unter bestimmten persönlichen Umständen eignet oder angemessen ist; sie sind auch keine persönliche Empfehlung für einen bestimmten Anleger. Julius Bär empfiehlt allen Anlegern, unabhängigen professionel len Rat über die jeweiligen finanziellen Risiken sowie die Rechts-, Aufsichts-, Kredit-, Steuer- und Rech nungslegungsfolgen einzuholen. Obwohl die in dieser Publikation enthaltenen Informa tionen und Angaben aus Quellen stammen, die als zuverlässig gelten, wird keine Zusicherung bezüglich ihrer Richtigkeit oder Vollständigkeit abgegeben. Bank Julius Bär & Co. AG, Zürich, ihre Tochtergesellschaf ten und die mit ihr verbundenen Unternehmen lehnen jegliche Haftung für Verluste infolge der Verwendung dieser Publikation ab. Diese Publikation darf nur in Ländern vertrieben werden, in denen der Vertrieb rechtlich erlaubt ist. Diese Publikation ist nicht für Personen aus Rechtsordnungen bestimmt, die solche Publikationen (aufgrund der Staatsangehörigkeit der Person, ihres Wohnsitzes oder anderer Gegebenhei ten) untersagen. Externe Vermögensverwalter/externe Finanz berater: Falls diese Marketingpublikation einem UNSER UNTERNEHMEN 78 e xternen Vermögensverwalter oder externen Finanzberater abgegeben wird, verbietet Julius Bär ausdrücklich, dass externe Vermögensverwalter oder externe Finanzberater diese Publikation weitergeben oder ihren Kunden und/oder Drittparteien zugänglich machen. Die externen Vermögensverwalter oder exter nen Finanzberater bestätigen, soweit zutreffend, dass sie bei Erhalt jeglicher Marketingpublikation ihre eige ne unabhängige Analyse durchführen und unabhängi ge Anlageentscheide fällen. Bahamas: Diese Publikation wird von Julius Baer Bank & Trust (Bahamas) Limited vertrieben, einer Einheit, der von der Zentralbank der Bahamas eine Lizenz er teilt wurde und die zudem der Regulierung durch die Securities Commission of The Bahamas untersteht. Diese Publikation ist kein Emissionsprospekt und keine Mitteilung im Sinne des Securities Industry Act 2011 oder der Securities Industry Regulations 2012. Zudem ist diese Publikation nur für Personen bestimmt, die im Sinne der Bahamian Exchange Control Regulations and Rules als «non-resident» bezeichnet oder betrach tet werden. Chile: Diese Publikation wurde von Bank Julius Bär & Co. AG, Zürich, erstellt und ist nur für den vorgesehe nen Empfänger bestimmt. Deutschland: Bank Julius Bär Europe AG, die der Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs aufsicht (BaFin) untersteht, gibt ihren Kunden diese Publikation ab. Die Publikation wurde von Bank Julius Bär & Co. AG, Zürich (die der Aufsicht der Eidgenös sischen Finanzmarktaufsicht FINMA untersteht), er stellt. Weder die rechtlichen Anforderungen betreffend die Unabhängigkeit der Finanzanalyse noch das Verbot des Handels vor der Ankündigung von Finanzanalysen finden Anwendung. Dubai Internationales Finanzzentrum: Diese Publikation wird von Julius Baer (Middle East) Ltd. vertrieben. Sie ist nicht geeignet für Retailkunden und darf nicht an diese abgegeben werden. Bitte beachten Sie, dass Julius Baer (Middle East) Ltd. Finanzproduk te oder Dienstleistungen nur professionellen Kunden anbietet, die über genügend Finanzerfahrung und Kenntnisse über die Finanzmärkte, Produkte oder Ge schäfte und die damit verbundenen Risiken verfügen. Die erwähnten Produkte oder Dienstleistungen stehen ausschliesslich professionellen Kunden zur Verfügung, die der Definition des «Conduct of Business»-Moduls der Dubai Financial Services Authority (DFSA) nach kommen. Julius Baer (Middle East) Ltd. verfügt über eine rechtmässige Lizenz der DFSA und unterliegt ihrer Aufsicht. Guernsey: Diese Publikation wird von der Bank Julius Baer & Co. Ltd., Niederlassung Guernsey, verteilt, die eine Lizenz von der Guernsey Financial Services Commission zur Erbringung von Bank- und Anlage dienstleistungen in Guernsey besitzt und von dieser reguliert wird. Hongkong: Diese Publikation wird in Hongkong von und im Auftrag von Bank Julius Bär & Co. AG, Nie derlassung Hongkong, vertrieben, die eine volle Ban kenlizenz der Hong Kong Monetary Authority gemäss der Bankenverordnung (Chapter 155 der Gesetze von Hongkong SAR) besitzt, und kann dieser zugerechnet werden. Die Bank ist ebenfalls ein registriertes Institut mit der Central-Entity-Nummer AUR302, das gemäss der Securities and Futures Ordinance (SFO) (Chapter 571 der Gesetze von Hongkong SAR) regulierte Akti vitäten des Typs 1 (Wertpapierhandel), des Typs 4 (Wertpapierberatung) und des Typs 9 (Vermögens verwaltung) anbieten darf. Diese Publikation darf in Hongkong nur an professionelle Anleger (professional investors) im Sinne der SFO abgegeben werden. Der Inhalt dieser Publikation wurde von keiner Aufsichts behörde geprüft. Sollten Sie Fragen zu dieser Publika tion haben, wenden Sie sich bitte an Ihren Kundenbe rater in Hongkong. Bank Julius Bär & Co. AG hat ihren Sitz in der Schweiz mit beschränkter Haftung. Irland: Julius Baer International Limited, Niederlas sung Irland, ist autorisiert und wird reguliert durch die Aufsichts-behörde Financial Conduct Authority im Vereinigten Königreich und wird in Bezug auf die un ternehmerischen Wohlverhaltensregeln durch die Zen tralbank von Irland reguliert. Israel: In Israel wird diese Publikation von Julius Baer Financial Services (Israel) Ltd. (JBFS) vertrieben, die durch die Aufsichtsbehörde Israel Securities Authority für die Bereitstellung von Dienstleistungen in den Bereichen Investment Marketing und Portfolioma nagement zugelassen ist. Nach israelischem Gesetz bedeutet «Investment Marketing» die Beratung von Kunden im Zusammenhang mit den Vorteilen einer Anlage sowie dem Kauf, Verkauf oder Halten von Wertpapieren oder Finanzinstrumenten, sofern der Anbieter dieser Leistungen den Wertpapieren oder Finanzinstrumenten zugehört. Aufgrund der Zugehö rigkeit von JBFS zur Bank Julius Baer & Co. AG, Zürich, gilt JBFS als zugehörig zu bestimmten Wert papieren oder Finanzinstrumenten, die möglicherweise im Zusammenhang stehen mit den Leistungen, die JBFS anbietet, und daher ist jede Verwendung des Begriffs «Anlageberatung» oder Variationen dieses Begriffs in dieser Publikation als «Investment Marke ting» im vorstehend genannten Sinne aufzufassen. Königreich Bahrain: Julius Baer (Bahrain) B.S.C.(c), eine Kapitalanlagegesellschaft, die von der Zentral bank von Bahrain (Central Bank of Bahrain, CBB) lizenziert ist und reguliert wird, vertreibt für ihre fach kundigen und akkreditierten Investoren (expert and accredited investor clients) diese Publikation, die er stellt wurde von Bank Julius Bär & Co. AG, Zürich, die der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA un tersteht. Bitte beachten Sie, dass Julius Baer (Bahrain) B.S.C.(c) Finanzprodukte oder Dienstleistungen nur fachkundigen und akkreditierten Investoren anbietet, in Übereinstimmung mit der Definition des CBB-Re gelwerks, das Regeln, Richtlinien und Vorschriften der CBB gemäss dem CBB-Gesetz enthält. Diese Publika tion darf nicht an Retailkunden abgegeben werden und darf diesen nicht als Entscheidungsgrundlage die nen. Die CBB übernimmt keinerlei Verantwortung für die Richtigkeit der in dieser Publikation enthaltenen Aussagen und Informationen und haftet nicht für Schäden oder Verluste, die Personen durch das Vertrauen auf diese Aussagen und Informationen entstehen. Libanon: Diese Publikation wird von Julius Baer (Le banon) S.A.L. vertrieben, einer ordnungsgemäss lizen zierten Institution für Finanzintermediation, die von der Kapitalmarktaufsicht des Landes (Capital Markets Authority – CMA) überwacht wird. Sie wurde nicht von der CMA oder irgendeiner anderen relevanten Behörde in Libanon geprüft oder zugelassen. Die Publikation ist streng privat und vertraulich, wird nur auf Anfrage an eine begrenzte Zahl von privaten und institutionellen Anlegern herausgegeben und darf weder an Dritte weitergegeben noch von diesen ver wendet werden. Luxemburg: Diese Publikation wurde von Bank Julius Bär & Co. AG, Zürich, erstellt, die der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA untersteht, und wird von Julius Baer Investment Services S.à r.l. vertrieben, ei nem Unternehmen, das von der Commission de Sur veillance du Secteur Financier (CSSF) zugelassen ist und reguliert wird. Diese Publikation wurde nicht von der CSSF zugelassen oder überprüft und es wird nicht beabsichtigt, sie bei der CSSF einzureichen. Monaco: Bank Julius Baer (Monaco) S.A.M., eine vom Staatsminister des Fürstentums Monaco und der fran zösischen Nationalbank autorisierte Institution, gibt ihren Kunden die vorliegende Publikation ab, die von Bank Julius Bär & Co. AG, Zürich (einer schweizeri schen Unternehmung, die der Eidgenössischen Finanz marktaufsicht FINMA untersteht), erstellt wurde. Julius Baer Wealth Management (Monaco) S.A.M., ein in Monaco zugelassener Vermögensverwalter, ver treibt diese Publikation, die von Bank Julius Bär & Co. AG, Zürich – einem in der Schweiz beheimateten und der Aufsicht der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA unterstehenden Institut – erstellt wurde, an seine Kunden. Niederlande: Julius Baer (Netherlands) B.V., die der Aufsicht der Netherlands Authority for the Financial Markets (AFM) unterliegt und ermächtigt ist, (i) von Kunden Aufträge anzunehmen und weiterzuleiten so wie (ii) Anlageberatung zu erteilen, gibt diese Publika tion an ihre Kunden ab. Bank Julius Bär Europe AG unterliegt der Aufsicht der Bundesanstalt für Finanz dienstleistungsaufsicht (BaFin) und ist berechtigt, in den Niederlanden Bankdienstleistungen sowie gewisse Anlagedienstleistungen entsprechend der ihr erteilten Lizenz zu erbringen. Diese Publikation wird von der Bank Julius Bär & Co. AG, Zürich, herausgegeben, die der Aufsicht der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) untersteht, jedoch nicht berechtigt ist, in den Niederlanden regulierte Dienstleistungen zu erbrin gen. Anforderungen betreffend (i) die Unabhängigkeit der Finanzanalyse und (ii) das Verbot des Handels vor der Ankündigung von Finanzanalysen finden keine Anwendung. Österreich: Julius Baer Investment Advisory GesmbH, die von der Österreichischen Finanzmarktaufsicht (FMA) autorisiert und reguliert wird, vertreibt diese Publikation an ihre Kunden. Weder die rechtlichen Anforderungen betreffend die Unabhängigkeit der Finanzanalyse noch das Verbot des Handels vor der Ankündigung von Finanzanalysen finden Anwendung. Panama: Die in dieser Publikation beschriebenen rele vanten Dienstleistungen und/oder Produkte dürfen ausschliesslich von einer zu Julius Bär gehörenden, für die Bereitstellung dieser Dienstleistungen und/oder Produkte in Panama lizenzierten Rechtseinheit bewor ben werden. In dieser Publikation erwähnte Finanzinst rumente sind weder bei der Superintendence of the Securities Market (ehemals National Securities Com mission) registriert noch werden sie von ihr beaufsich tigt. Die Befreiung von der Registrierung stützt sich auf Artikel 129 der geänderten Rechtsverordnung 1 vom 8. Juli 1999, die durch Titel II des Gesetzes 67 von 2011 (das Wertpapiergesetz) in einen einzigen Text überführt wurde. Als Folge davon finden die in Artikel 334 bis 336 des Securities Law enthaltenen Vorschriften zur steuerlichen Behandlung keine An wendung. Diese Publikation ist nur für den vorgesehe nen Empfänger bestimmt. Schweiz: In der Schweiz wird diese Publikation von Bank Julius Bär & Co. AG, Zürich, vertrieben, die der Aufsicht der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA untersteht. Singapur: Diese Publikation wird von Bank Julius Bär & Co. AG, Niederlassung Singapur, vertrieben und steht nur amtlich anerkannten Investoren (accredited investors) zur Verfügung. Da die Niederlassung Singa pur von einer Ausnahmeregelung (unit exemption) gemäss Artikel 100(2) des Financial Advisers Act, Cap. 110 von Singapur (FAA), profitiert, sind viele der Vorschriften des Financial Advisers Act nicht anwend bar. Unter anderem ist die Niederlassung Singapur nicht verpflichtet, Beteiligungen an den in dieser Publi kation erwähnten Wertpapieren oder Finanzinstru menten oder die Absicht zum Kauf oder Verkauf dieser Wertpapiere oder Finanzinstrumente offenzulegen. Auf Wunsch sind weitere Einzelheiten über diese Aus nahmeregelung erhältlich. Diese Publikation wurde nicht bei der Monetary Authority of Singapore (MAS) als Prospekt registriert. Dokumente oder Materialien in Bezug auf den Kauf oder Verkauf oder die Einladung zum Bezug oder zum Kauf von in dieser Publikation aufgeführten Wertpapieren oder Anlagefonds dürfen in Singapur weder verteilt werden noch direkt oder indirekt an andere Personen weitergegeben oder ver breitet oder zum Bezug oder Kauf angeboten werden, ausser (i) an institutionelle Investoren gemäss Artikel 274 bzw. 304 des Securities and Futures Act, Cap. 289 von Singapur (SFA), (ii) an relevante Personen (dazu zählen akkreditierte Investoren) oder an sonstige Per sonen gemäss Artikel 275(1A) oder 305(2) SFA, wobei die Bedingungen des Artikel 275 oder 305 SFA erfüllt sein müssen, oder (iii) auf sonstige Weise, die gemäss und in Übereinstimmung mit den Bedingungen aller sonst anwendbaren Vorschriften des SFA zulässig ist. In Bezug auf Anlagefonds, die nicht von der MAS zu gelassen oder anerkannt sind, dürfen Anteile solcher Fonds keinen Privatanlegern angeboten werden und sämtliche schriftlichen, an vorstehend genannte Perso nen im Zusammenhang mit dem Angebot abgegebe nen Materialien sind kein Verkaufsprospekt im Sinne des SFA. Dementsprechend besteht keine gesetzliche Haftung nach dem SFA in Bezug auf den Inhalt der Prospekte. Für alle Fragen bezüglich der vorliegenden Publikation wenden Sie sich bitte an einen Repräsen tanten der Bank Julius Baer & Co. AG, Niederlassung Singapur. Bank Julius Bär & Co. AG hat ihren Sitz in der Schweiz. Der in dieser Publikation verwendete Begriff «unabhängig» bedeutet nicht, dass die Bank Julius Bär & Co. AG (die Bank) oder irgendein Vermö gensverwalter bzw. irgendein Family Office in Singa pur, mit welchem die Bank möglicherweise verbunden ist, unabhängig (independent) im Sinne von Cap. 110 FAA ist. Spanien: Julius Baer Agencia de Valores, S.A.U., ein durch das Börsenaufsichtsamt Comisión Nacional del Mercado de Valores (CNMV) zugelassenes und regu liertes Unternehmen, vertreibt diese Publikation an seine Kunden. Die in dieser Publikation genannten Dienstleistungen und/oder Produkte dürfen in Spanien nur von einer Einheit von Julius Bär erbracht werden, die in Spanien für die Erbringung dieser Dienstleistun gen und/oder Produkte zugelassen ist. Diese Publikati on wurde erstellt von Bank Julius Bär & Co. AG, Zü rich, die der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA untersteht. Uruguay: Falls diese Publikation als Angebot oder Empfehlung oder Aufforderung zum Kauf oder Ver kauf von Wertpapieren oder anderen Finanzinstru menten angesehen wird, werden diese unter Berufung auf die Befreiung privater Anlagen (oferta privada) gemäss Artikel 2 von Gesetz Nr. 18 627 angeboten und sind und werden nicht bei der Bankenaufsichtsbe hörde der Zentralbank von Uruguay für das öffentliche Angebot in Uruguay registriert. Im Falle geschlossener Fonds oder PrivateEquityFonds handelt es sich bei den betreffenden Wertpapieren nicht um Investment fonds, die durch das uruguayische Gesetz Nr. 16 774 vom 27. September 1996 in der geänderten Fassung reguliert werden. Wenn Sie in Uruguay ansässig sind, bestätigen Sie hiermit, die deutsche Sprache, in der diese Publikation und alle hierin genannten Dokumen te verfasst sind, vollständig zu verstehen und keine weiteren Dokumente in spanischer oder einer anderen Sprache zu benötigen. Vereinigte Arabische Emirate: Diese Publikation wur de von der Bank Julius Bär & Co. AG, Zürich erstellt und nicht von der UAE Central Bank, der Securities and Commodities Authority oder einer anderen zu ständigen Behörde der Vereinigten Arabischen Emira te genehmigt oder lizensiert. Sie ist streng vertraulich und wird nur auf Anfrage an eine festgelegte Anzahl sophistizierter privater und institutioneller Anleger ausgegeben. Sie darf nicht an dritte Personen weiter gegeben oder von diesen verwendet werden. Vereinigtes Königreich: Diese Publikation wurde von Bank Julius Bär & Co. AG, Zürich, erstellt. Bei dieser Publikation handelt es sich um eine sogenannte Finan cial Promotion entsprechend Section 21 des Financial Services and Markets Act 2000 (FSMA). Soweit diese Publikation an Empfänger im Vereinigten Königreich abgegeben wird, wurde sie von Julius Baer Internatio nal Limited (JBINT) genehmigt. JBINT unterliegt der Aufsicht der Financial Conduct Authority (FCA). Per sonen, die mit anderen Mitgliedern der Julius Bär Gruppe Geschäfte tätigen, sind nicht durch die Regeln und Vorschriften gedeckt, die zum Schutz der Anleger im Vereinigten Königreich bestehen; sie geniessen da her nicht die Rechtsansprüche von Retailkunden und anderen Anlegern gemäss dem FSMA und den Vor schriften der FCA. USA: WEDER DIE VORLIEGENDE PUBLIKATION NOCH KOPIEN DAVON DÜRFEN IN DIE USA VERSANDT, DORTHIN MITGENOMMEN ODER VERTRIEBEN ODER AN USPERSONEN ABGEGE BEN WERDEN. © Julius Bär Gruppe, 2016 79 UNSER UNTERNEHMEN Redaktionskommission Dr. Jan A. Bielinski, Chief Communications Officer, Julius Bär Nicole Chandrashekara, Co-Head Marketing, Julius Bär Lenah Crass, Julius Bär Redaktion Melanie Kienzle, Julius Bär Emily Rookwood, Julius Bär Textbeiträge Janet Anderson, Journalistin Ross Ringham, Journalist Stuart Spear, Journalist Redaktionelle Gestaltung Meiré und Meiré, Köln Deutsche Umsetzung medienwerkstatt ag, Sulgen Übersetzung, Lektorat und Korrektorat Syntax Übersetzungen AG, Zürich Illustrationen und Grafiken Seiten 15–19: Jelke Lerche; Seiten 30–31: Gapminder Druck medienwerkstatt ag, Sulgen Weitere Informationen über Julius Bär erhalten Sie unter: www.juliusbaer.com © Julius Bär Gruppe, 2016 Die Titelseite SOMMER 2016 AUSGABE 4 SOMMER 2016 AUSGABE 4 JULIUS BÄR GRUPPE VISION Hauptsitz Bahnhofstrasse 36 Postfach 8010 Zürich Schweiz Telefon +41 (0) 58 888 1111 Telefax +41 (0) 58 888 1122 www.juliusbaer.com 62138_JB_VISION_4_Cover_DE.indd 1-3 JULIUS BÄR Chefredakteurin Michèle Bodmer, Julius Bär Bildnachweis Seiten 3, 6–12: Thomas Eugster; Seiten 24–26: mit freundlicher Genehmigung von Tesla Motors; Seite 27: Getty Images; Seite 28: Tommy Hvitfeldt; Seite 34: Bryan van der Beek; Seiten 36–37: mit freundlicher Genehmigung von RSP, Singapur; Seite 38: iStock; Seite 39: Getty Images; Seiten 41–44: Current E Magazine; Seite 44, oben: Getty Images; Seite 47: Thomas Eugster; Seite 49: mit freundlicher Genehmigung von ETH, Studio Emerson; Seiten 52–61: Thomas Eugster; Seiten 62–67, Benjamin Zibner, Seite 64, oben: Mark Müller Gallery; Seiten 68–69: Vivek Singh; Seiten 71, 76: Thomas Eugster. Publ.-Nr. PU00001DE Verleger Julius Bär Gruppe AG DIE ZUKUNFT GESTALTEN WARUM WIR UNSERE SPUREN IN DER GESELLSCHAFT HINTERLASSEN WOLLEN DR. NGOZI OKONJO-IWEALA KÄMPFERIN FÜR FRAUENRECHTE, REFORMEN UND GESUNDHEIT VISIONÄRE DENKER JB STRAUBEL, DR. LIU THAI KER, HEDWIG FIJEN UND HANS ROSLING 19.05.16 10:27 Die von Pia Bublies entworfene Titelseite symbolisiert unseren Wunsch, die Zukunft zu gestalten, ob durch Architektur, Wissenschaft oder Unternehmergeist, und auf diese Weise bleibende Spuren in der Gesellschaft zu hinterlassen. Rechtschreibung Die Bank Julius Bär wurde in der Schweiz gegründet. Um diese Herkunft zu widerspiegeln, verwenden wir in diesem Magazin die Schweizer Rechtschreibung. Der Forest Stewardship Council (FSC) ist eine unabhängige, gemeinnützige Nichtregierungs organisation, die sich weltweit für eine verantwortungsvolle Bewirtschaftung von Wäldern einsetzt. Julius Bär sorgt sich um die Umwelt. Deshalb wurde dieses Dokument auf FSC-zertifiziertem Papier gedruckt. medienwerkstatt ag ist eine durch FSC und ClimatePartner zertifizierte, klimaneutral arbeitende Druckerei. WWW.JULIUSBAER.COM/VISION NACHHALTIGE ENERGIE IST AUF DER ERFOLGSSPUR. WOMIT LIEGEN SIE AM BESTEN IM RENNEN? >> Entdecken Sie unsere Denkweise auf juliusbaer.com/visionary-thinking Julius Bär ist offizieller Globaler Partner der FIA Formel E Meisterschaft. Julius Bär ist die führende Private-Banking-Gruppe der Schweiz und weltweit an rund 50 Standorten präsent. Von Dubai, Frankfurt, Genf, Guernsey, Hongkong, London, Lugano, Monaco, Montevideo, Moskau, Mumbai, Nassau, Singapur bis Zürich (Hauptsitz). JULIUS BÄR GRUPPE www.juliusbaer.com Publ.-Nr. PU00001DE Hauptsitz Bahnhofstrasse 36 Postfach 8010 Zürich Schweiz Telefon +41 (0) 58 888 1111 Telefax +41 (0) 58 888 1122