Aerzte - Waldbühne Berlin
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Aerzte - Waldbühne Berlin
Montag, 20. August 2012 Ärzte in Berlin Wale, Wälder, Welt als Ganzes Von Markus Schneider Forderung Foto: Votos/Roland Owsnitzki Auch Farin Urlaub (links) und Bela B. unterstützen die nach Freilassung von Pussy Riot. © Votos – Roland Owsnitzki Die Ärzte beendeten mit drei ausverkauften Auftritten in der Waldbühne ihre diesjährige Konzertsaison. Ihre Worte zum Urteil über Pussy Riot ist so deutlich wie der Einsatz für Wale, Wälder und Weltganzes. Im Näherkommen hört man schon die Stranglers. „Always the Sun“ schwebt mit seinem weichen, sacht hymnischen Refrain von der Waldbühne herbei. Als ich bald darauf innen drin im Amphitheater die Sitzreihen hinab schauen kann, spielen die Punkrocker der ersten Generation gerade ein höchst undynamisches Kinks-Cover, um schließlich noch „No More Heroes“ anzustimmen, den ironischen Gesang von der Vergänglichkeit historischer Größe aus dem Jahr 1977. Deren Opfer sind sie bekanntlich nach ein paar erfolgreichen Jahren Ende der Siebziger selbst geworden. Sicher hätten sie vor 35 Jahren nicht damit gerechnet, dass sie an diesem Freitag vor gut 20 000 Leuten stehen würden, nur um das Publikum für das Berliner Trio Die Ärzte mit ein paar Oldies ein wenig aufzuwärmen. Dabei spielen die Ärzte ihren Punkrock immerhin auch schon seit 1982, und sie fänden selbst, sagten sie dem Publikum, die Wendung der Geschichte unglaublich. Denn im Gegensatz zu den Stranglers wuchs ihr Ruhm in den letzten knapp zwanzig Jahren nach einer vorübergehenden Trennung ins Unermessliche; und sie sind vielleicht nicht, wie sie selbst munter erklären, die beste Band der Welt, aber doch eine der erfolgreichsten im deutschsprachigen Raum. Als solche hatten sie schon im Juni die Wuhlheide dreimal ausverkauft, und auch an den drei Waldbühnentagen an diesem Wochenende füllten sie den Kessel rest- und randlos. Die Ärzte in der Waldbühne Berlin Punkrock spielen die Ärzte dabei ebenso sehr oder so wenig wie damals die Stranglers, die mit ihrer Doors-Orgel und musikalischen Könnerschaft eher durch Assoziation und Haltung zur Szene gehörten. Die Ärzte wiederum gestalten ihre Musik durchaus vielseitiger, als es der Punkbegriff suggeriert. Dass auch ein gewisser frohsinniger Fünfzigerjahre-Bad-Boy-Pop nach Peter-Kraus-Art in die Musik spielt, sorgt in Verbindung mit etlichem Rock’n’Roll, viel hartem Rock und ein paar Metal-Anklängen inklusiv hocheiligem Gitarrensolo für einen sehr eigenen und effektiven Sound. Den dominiert eine ausdauernd supereingängige und chorreiche Harmonik sowie live eine schon eindrucksvolle Dynamik und Energie. So gesehen stellt sich die Frage „Ist das noch Punkrock?“, mit dem sie ihr aktuelles Album „auch“ und die Konzerte knackig eröffneten, eigentlich weder mit Blick auf die Geschichte noch auf die Gegenwart. Conferencier vorm Publikum Da es mir nicht gelang, in die Nähe der Bühne zu kommen, kann ich vom Bühnengeschehen nicht viel berichten. Unten war es naturgemäß von Beginn an leidenschaftlich überfüllt und daher von Ordnern blockiert; holte man sich ein Getränk, kam man ohne Gezanke auch auf die mittlere Ebene nicht mehr zurück, und so habe ich den Großteil des Konzerts im Format eines Youtube-Thumbnails erlebt, weit oben, wo die textsichere und allerherzlichste Begeisterung der Massen weniger direkt ankam. Farin Urlaub in schwarz mit hellem Haar und Bassist Rodrigo Gonzalez mit heller Jacke und schwarzem Haar standen meist recht stabil auf der Bühne und wechselten nur mal fanfreundlich die Seiten. Bewegt hat sich vor allem Bela B., der nicht nur wie üblich hinter seinen Drums stand, sondern auch immer wieder als Conferencier vors Publikum trat, um übers Alter der Band, die Berliner Identität oder – mit Hitler-Knurren – die Aussicht auf den Glockenturm zu scherzen. Den Humor der Ärzte, der sich altersresistent durch die Werkgeschichte zieht, braucht man nicht zu teilen, um schon den Indizierungsehrgeiz ihres frühen – im Konzert wesentlich ausgelassenen – Funpunks mindestens sympathisch zu finden. Neben allerlei vordergründigen, nach Gemütslage amüsanten Albernheiten und einer erfrischenden Selbstironie geht es in den Texten oft um die implizite und aufgeklärt konsensuelle Forderung, offen und engagiert zu bleiben und sich überhaupt zusammenzureißen. Ihre Worte zum Urteil über Pussy Riot, die auch gleich in einen Songtext eingebaut wurden, waren wiederum so deutlich wie der Einsatz für Wale, Wälder und Weltganzes prima. Mit „Schrei nach Liebe“ haben die Ärzte zudem den poppigsten und trefflichsten Anti-Nazi-Song des Deutschrock in ihrem Repertoire. Am Ende haben sie mit Zugaben 36 Songs gespielt, das Publikum gründlich miteinbezogen und nett umschmeichelt – alles amtlich und unterhaltsam, meistens schön unpeinlich, oft witzig und immer laut. Warum jedoch diese fröhlich-gutgelaunte Musik innerhalb von drei Monaten mal eben an die 120.000 Leute ins Konzert zieht, das muss man, glaube ich, nicht verstehen. © Votos – Roland Owsnitzki Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/kultur/aerzte-in-berlin-wale--waelder--welt-alsganzes,10809150,16919466.html