Gegen den diskriminierenden Alltag
Transcrição
Gegen den diskriminierenden Alltag
UNTERBRINGUNG / ASYLBLG / RESIDENZPFLICHT | BIBERACH Gegen den diskriminierenden Alltag Im Landkreis Biberach organisieren sich Flüchtlinge selbst Die Deutschen sind es nicht gewohnt, dass Flüchtlinge Wünsche haben oder gar politische Forderungen stellen. Und doch ist dies in einem demokratischen System das Normalste der Welt. Und wenn die Unterstützung durch die wohlgesonnenen Eingeborenen nur mäßig ist, ist es Verwaltung und Sozialdienst im Landkreis Biberach und auch der immer gut, sich selbst zu helfen. Nahezu alle aktuellen Zustand der Unterkünfte sind vergleichsweise von der vorbildliBewohnerInnen der Gemeinschaftsunterkünfte im Landchen Sorte. Trotzdem wirken die gesetzlichen Rahmenbedingunkreis Biberach haben die unten stehende Erklärung untergen diskriminierend. Bild: Andreas Linder zeichnet. Aus Angst vor Repressalien oder Nachteilen im Asylverfahren haben sie sie aber bisher nicht beim Landratsamt abgegeben, dessen Vertreter einen (wie auch wir bei einem Besuch in Erfahrungen bringen konnten) vergleichsweise hilfsbereiten Umgang mit den Flüchtlingen pflegen. Das Positionspapier ist aus unserer Sicht so gut, dass es hier dokumentiert werden muss, weil es auch einen Vorbildcharakter für andere Orte haben kann (an denen die Verhältnisse sicher nicht besser sind als in Biberach) und weil es dann vielleicht auf diesem Weg bei den Verantwortlichen in Biberach ankommt. (AL) Anliegen der Asylbewerber im Kreis Biberach a.d. Riß ... Wir schreiben im Auftrag aller Asylbewerber im Kreis Biberach. Im Folgenden möchten wir Ihnen darstellen welchen Problemen und Ungerechtigkeiten wir uns täglich ausgesetzt fühlen. Unser Anliegen bezieht sich auf drei zentrale Themen: • Die Lieferung und Bestellung des Essens und der Hygieneartikel • Kleiderverteilung • Residenzpflicht Wir wünschen eine Veränderung der jetzigen Situation und werden im Weiteren Argumente gegen das bisher bestehende System vorbringen: 1. Lieferung und Bestellung von Essen und Hygieneartikeln 22 FLÜCHTLINGSRAT BADEN-WÜRTTEMBERG Rundbrief August 2010 Bisher sind wir verpflichtet, uns vorgegebene Lebensmittel und Hygieneartikel nach einem Listensystem auszusuchen und anzukreuzen. Eine bestimmte Punktzahl muss hierbei eingehalten werden. Die zur Verfügung stehenden Listen und deren Artikel werden nicht verändert. Wir können nicht frei wählen, sondern müssen uns für die vorgegebenen Artikel entscheiden. Dieses bisher bestehende System schränkt unser Recht, frei unter verschiedenen Produkten auswählen zu dürfen, enorm ein. Eine ausgewogene, gesunde und abwechslungsreiche Ernährung ist uns somit nicht ausreichend möglich. Die Qualität der Lebensmittel ist nicht immer gegeben. Oft bekommen wir abgelaufene Nahrungsmittel, dies schadet unserer Gesundheit und gibt uns das Gefühl dass wir nicht respektiert werden. Außerdem sind Dinge, die wir bestellen, oft nicht verfügbar. Im Supermarkt könnte man auf andere, gleichwertige Substitutionsgüter ausweichen, das ist bei dem bisherigen System nicht möglich. Meistens kann man die gelieferten Artikel und Produkte in den Supermärkten im Umkreis nicht finden, es stellt sich uns deshalb die Frage, woher die uns zur Verfügung gestellten Produkte kommen. Wenn der LKW mit der Essenslieferung kommt, sind wir gezwungen, egal bei welcher Witterung, lange in einer Schlange anzustehen und auf die Vergabe der Produkte zu warten. Bei schlechtem Wetter kann man durch Esspaket-Ausgabe in der GU Biberach. Bild: weberberg.de das lange Warten krank werden. Die oft sehr harsche und unfreundliche „Abfertigung“ bei der Essensausgabe bedeuten für uns zusätzlichen Stress und dies ist bei den Problemen, die wir bereits mit in dieses Land gebracht haben, oft unerträglich. Wir empfinden die Art und Weise der Essens ausgabe am LKW als unmenschlich. Außerdem haben wir das Gefühl, dass die tatsächlichen Kosten für Lebensmittel und Hygieneartikel unter dem vom Staat kalkulierten Mindestsatz liegen. Die Transport- und Personalkosten, welche bei der Lebensmittel- und Hygieneartikellieferung anfallen, würden im Falle einer „Barauszahlung“, wegfallen. 2. Kleiderverteilung Auch bezüglich der Kleiderverteilung möchten wir Ihnen kurz einige Argumente, welche gegen das bestehende Sys tem sprechen, aufzeigen und erläutern. Kleider sind zum Teil Ausdruck der Persönlichkeit. Jeder Mensch kleidet sich individuell seinem Geschmack entsprechend an. Ein persönlicher und individueller Kleidungsstil fördert das Wohlbefinden eines jeden Menschen enorm. Wer möchte sich mit und in der Kleidung, die er trägt, nicht wohl fühlen? Durch das Kleiderverteilen ist unsere Entscheidungs- und Wahlfreiheit, die Kleidung zu tragen, in der wir uns „wohl fühlen“, nicht gegeben. Eine große und vielfältige Auswahl haben wir nicht, da das Angebot sehr eingeschränkt ist. Außerdem wird der individuelle Körperbau (Größe, Figur…) beim Angebot der Kleider nicht beachtet und berücksichtigt. Beispielsweise passen sehr große oder übergewichtige, also nicht der Norm entsprechende Menschen, meistens nicht in die von Ihnen zur Verfügung gestellten Kleidungsstücke. Das Taschengeld reicht aber leider nicht aus, um andere, angemessene und passende Kleidung zu kaufen, da Kleidung in Spezialgrößen meist teurer ist als andere. Wie auch schon bei den Lebensmitteln bemerkt, ist die Qualität der Kleider ebenfalls nicht gut und oft von außergewöhnlich niedriger Qualität im Verhältnis zu den zugeteilten Punkten. Die Kleider sehen nach ein paar Mal waschen nicht mehr gut aus. Wo die angebotenen Kleidungsstücke herkommen ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. … Wir sind der Meinung, dass wir durch unseren aktuellen Status als Asylbewerber, bereits genug stigmatisiert und ausgegrenzt sind. Das Aussehen der Kleidung verstärkt dieses Stigma zusätzlich und macht es der Umgebung leicht, uns als Asylbewerber zu identifizieren. Dies erschwert die Integration in die Gesellschaft und grenzt uns bereits durch unser äußeres Erscheinungsbild aus. „Kleider machen Leute“ heißt es, wir würden gerne selbst entscheiden und be- stimmen welche Kleider wir tragen. Wir finden es sinnvoll und erstrebenwert eigenes Geld zu haben und damit Kleidung zu kaufen, außerdem würden die Kleidergeschäfte in Biberach davon profitieren. Es ist uns deshalb ein großes Anliegen, das bisherige System abzuschaffen. 3. Residenzpflicht/Bewegungsfreiheit Biberach ist eine schöne Stadt, in der wir uns eigentlich wohl fühlen. Aber ein Leben, bei dem man darauf beschränkt ist, sich ausschließlich im Kreis Biberach aufzuhalten, versagt den Asylbewerbern eine wichtige Chance zur Integration. Die Möglichkeit einer positiven, multikulturellen Entwicklung in der Stadt Biberach wird dadurch ausgeschlossen. Unserer Erfahrung nach lieben die Deutschen das Abenteuer, auch die Regierung ermutigt ihre Bürger, unterschiedliche Kulturen innerhalb und außerhalb von Europa kennenzulernen. Diese Chance haben wir, als Asylbewerber im Kreis Biberach jedoch nur in minimalem Maße. Die gesetzliche Residenzpflicht macht uns zu potentiellen Kriminellen, in den Augen des Gesetzes, welches nur für uns Flüchtlinge geschaffen wurde. In anderen Landkreisen wird die Erlaubnis zum Verlassen des Landkreises gegen Gebühr oder oft auch kostenlos erteilt, in Biberach wird die Residenzpflicht aber extrem streng gehandhabt. Stellen Sie sich ein Leben ausschließlich im Kreis Biberach vor … Ein sehr eingeschränktes Leben, wenn man beachtet, dass der Landkreis Biberach zu 90 Prozent aus Dörfern besteht, mit welchen wir nichts zu tun haben, da wir diese nicht ohne Hindernisse erreichen und die Integrationsbereitschaft seitens der Dorfbevölkerung im ländlichen Raum zum Teil noch geringer ist. Diese Politik der Isolation und Kontrolle verschwendet Steuergelder. Nicht zuletzt wegen der hohen Kosten für Therapien, die die meisten Flüchtlinge hier bekommen. Sie sind eine Konsequenz der Aufenthaltsbedingungen. Sich nicht frei bewegen zu dürfen ist eine enorme Einschränkung und kann die Psyche eines Menschen auf Dauer stark belasten. Wir fühlen uns in Biberach ungerecht und unmenschlich behandelt, deshalb werden wir aktiv und möchten ein Zeichen setzen. Mehr Infos: http://fluechtlingsbc.wordpress.com/ http://weberberg.de/gespraech/asyl.html Kontakt: [email protected] Gespräch mit Flüchtlingen in der GU Biberach. Unterstützung erhalten die Flüchtlinge auch von Andreas Gratz (Caritas) und Pfarrer Matthias Ströhle, beide auch aktiv im AK Asyl Biberach / Ochsenhausen Bild: Steffen Armbruster FLÜCHTLINGSRAT BADEN-WÜRTTEMBERG Rundbrief August 2010 23