„Die Bühne ist bereit für einen Konflikt“ China, Japan und die USA

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„Die Bühne ist bereit für einen Konflikt“ China, Japan und die USA
MERICS China Comment
„Die Bühne ist bereit für einen Konflikt“ China, Japan und die
USA
von Dr. Volker Stanzel, MERICS Senior Policy Fellow for China in International Affairs
(9.12.2013)
Bei dem Ostasienbesuch von US-Vizepräsident Biden vergangene Woche stand ein großes
Thema im Mittelpunkt: Die Gefahr eines Konfliktes zwischen China und Japan. Diese hat sich
nach der Einrichtung einer Luftraumüberwachungszone durch Peking am 23. November über dem
Ostchinesischen Meer drastisch verschärft. „Schlafwandelnd“ heißt es seither gelegentlich,
gingen die Nationen Ostasiens womöglich in eine bewaffnete Auseinandersetzung, ähnlich denen
innerhalb Europas im Jahr 1914. In der Tat, die Gefahr eines ungeplant ausgelösten
Zusammenstoßes ist real, und sie ist groß. Allerdings, von Schlafwandeln kann keine Rede sein:
offenen Auges gehen die Kontrahenten aufeinander zu. Für uns Europäer heißt das: wir müssen
auf einen Konflikt in Ostasien eingerichtet sein, der uns wirtschaftlich in Mitleidenschaft ziehen,
und der uns vor die Notwendigkeit stellen könnte, Partei zu ergreifen.
1.
Die im Mittelpunkt des Konflikts stehenden unbewohnten Senkaku-Inseln – chinesisch Diaoyu –
wurden 1895 ins japanische Territorium inkorporiert und werden seit 1971 von China beansprucht.
Die Fischgründe sind nicht so ergiebig, dass sie bisher zu Konflikten Anlass gegeben hätten, und
über Rohstoff-Ressourcen gibt es wenig genaue Kenntnisse. Hierzu gibt es immerhin eine – nie
umgesetzte – japanisch-chinesische Vereinbarung über gemeinsame Ausbeutung. Von
gelegentlichen Streitfällen abgesehen gab es bislang keine akuten Konflikte. Die gegenwärtige
Auseinandersetzung begann 2010, als ein chinesischer Fischer zwei japanische
Küstenwachboote rammte und inhaftiert wurde. Vehemente chinesische Proteste führten zur
Freilassung von Kapitän und Mannschaft. Aus Sicht japanischer Ultra-Nationalisten eine
knieweiche Reaktion der japanischen Regierung. Der damalige Gouverneur Tokios Ishihara
kündigte daraufhin an, die Inseln kaufen und besiedeln zu wollen, um bei einem weiteren Vorfall
eine härtere Reaktion Japans sicherzustellen. Vorbeugend beschloss die japanische Regierung,
die Inseln selbst anzukaufen, ein Versuch zur Entspannung der Situation, allerdings erfolglos:
China protestierte und beschloss, da die Inseln seinem Territorium zugehörig, diese künftig
regelmäßiger zu „überwachen“, d.h. Küstenwachboote und Flugzeuge patrouillieren zu lassen.
Dies geschah, beiderseits, und mangels ausreichender Möglichkeiten zu Konfliktprävention und management kam es bereits mehrfach zu Zwischenfällen, die sich leicht zu bewaffneten
Begegnungen hätten ausweiten können.
2.
Nun hätte die Einrichtung der chinesischen Luftraumüberwachungszone (Air Defense
Identification Zone; eine international nicht unübliche Pufferzone auch jenseits des eigenen
Luftraums, in dem ausländische Flugzeuge sich identifizieren müssen) ein Mittel zur
Konfliktprävention sein können. Dazu hätte sie vorab mit den Nachbarn abgestimmt und
verabredet sein müssen. So allerdings verband China sie mit der Drohung militärischer
Gegenmaßnahmen. Zudem überlagerte sie die Territorialbereiche nicht nur Japans, sondern auch
Südkoreas und Taiwans. Diese, ebenso wie die USA, protestierten umgehend, ließen
Militärflugzeuge unangemeldet die chinesische Zone durchfliegen, später von chinesischen
Militärmaschinen
„begleitet“.
Die
japanische
Regierung
hielt
die
japanischen
Luftverkehrsgesellschaften an, ihre Flüge nicht anzumelden. Die US-Regierung bekundete, dies
von den amerikanischen Luftverkehrsgesellschaften zu erwarten, um so eine Bedrohung des
zivilen Luftverkehrs auszuschließen. Am 3. Dezember schließlich, kurz vor Bidens Besuch in
Tokio, Peking und Seoul appellierte die US-Regierung an Peking, die Einrichtung der
Luftraumüberwachungszone zurückzunehmen. Dieser Appell wurde umgehend vom Adressaten
abgelehnt.
2
3.
Die seit Beginn der Reform und Öffnungspolitik 1978 konsequent verfolgte chinesische Politik
friedlicher Nachbarschaft macht seit einigen Jahren robusterem Verhalten Platz. In Peking ist
kaum mehr davon die Rede, dass China aus den Misserfolgen der aufsteigenden Mächte
Deutschland und Japan die richtige Lehre gezogen habe und militärische Abenteuer vermeiden
werde. Heute stellt China mit Dynamik und Selbstbewusstsein – und mit seiner entstehenden
Hochseemarine – seinen neuen, ausgreifenden Einfluss zur Schau. Dahinter steht zum einen die
innere
Fragilität
des
Landes,
die
die
Außenpolitik
zum
Instrument
innenpolitischer
Auseinandersetzungen macht, in denen sich niemand „Schwäche“ erlauben kann. Zum anderen
misst sich der Aufstieg Chinas, zumindest in den Augen der Region, an der Rolle der USA als
traditionellem Wahrer von Frieden und Stabilität. Seit Obama 2012 seine neue Strategie des
„rebalancing“
–
nämlich
in
Richtung
Asien
–
verfolgt,
verteilen
die
USA
ihre
Verteidigungsressourcen vermehrt in Ost- und Südostasien. Dies alles ist offenkundig
konfliktträchtig.
Japan spielt hier nur eine Nebenrolle. Eine wichtige jedoch, denn ein Zurückweichen Japans wäre
in den Augen der Beobachter aus der Region ein Signal mangelnder Rückendeckung durch
Amerika, den engsten Verbündeten. Japan – verunsichert durch den rapiden Aufstieg Chinas –
hatte erst, nach über zwei Jahrzehnten, unter Premier Hatoyama 2010 eine Strategie für einen
Interessenausgleich mit China entwickelt. Die Regierung lief damit jedoch ins Leere. So ist Tokio
heute dabei, gemeinsam mit den USA eine neue Sicherheitsstrategie auszuarbeiten und seine
Außenpolitik mit den südasiatischen, südostasiatischen und nördlichen Nachbarn Chinas
abzustimmen.
Eine Achillesferse Japans ist der Umgang mit der Vergangenheit. Wiewohl sich der Tenno ebenso
wie mehrere japanische Premierminister in den letzten zwei Jahrzehnten wiederholt für die
japanischen Untaten im Weltkrieg entschuldigt haben, so gibt es doch immer wieder hochrangige
japanische Politiker, die versuchen, diese Untaten in für die Opfer unerträglicher Weise zu
relativieren. Zugleich ist der Befreiungskampf gegen Japan für die Kommunistische Partei Chinas
eine der beiden Säulen der Legitimation ihrer Herrschaft. Dieser Hintergrund zusammen mit der
aktuellen Zuspitzung der Lage macht deutlich: die Bühne ist bereit für einen Konflikt – und
möglicherweise für eine Tragödie.
3
4.
China hat die Zäune bereits zweifach erfolgreich verrückt: Die Welt spricht heute von einem
Territorialkonflikt um die Inseln, deren Zugehörigkeit zu Japan qua Kraft des Faktischen
international nie umstritten war. Durch die militärische Drohung, die von der Einrichtung der
Luftraumüberwachungszone
ausgeht,
hat
China
den
Konflikt
nunmehr
auch
noch
internationalisiert. Die Last der Konfliktvermeidung liegt seitdem bei seinen Gegenübern.
Im Ergebnis haben sich die Konfliktgefahren vermehrt. Ginge es nur um eine Territorialfrage, dann
wäre der Internationale Gerichtshof die geeignete Institution, sie zu lösen. Dieser Vorschlag
Japans ist von China bislang nicht aufgegriffen worden. Nicht verwunderlich, geht es doch
eigentlich um die Neugestaltung des chinesisch-amerikanischen Verhältnisses in der Region. Um
dem Krisenszenario eine weitere Dimension hinzuzufügen: Ähnliches Verhalten Pekings mag
womöglich auch im Südchinesischen Meer zu gewärtigen sein.
Die Erwartungen, oder besser: die Hoffnungen, die viele an den Besuch Bidens geknüpft hatten,
waren groß. Um diese zu erfüllen, ist die die Gemengelage jedoch zu komplex. Wenn es Biden
gelungen sein sollte, die Gefahr der Lage auch jenen Kräften in Peking deutlich zu machen –
ebenso wie jenen in Japan, die den Ernst noch nicht erkannt haben sollten (weil sie das Spielfeld
der Machtprojektion gegen die USA aus innenpolitischen Rücksichten nicht verlassen mögen) –
dann wäre schon viel erreicht.
Für die Länder der Region und die Staaten Europas liegt auf der Hand: so abhängig sie alle heute
von China sind, so abhängig ist zugleich auch China von ihnen. Ein „Sarajewo“ in Ostasien wäre
nicht nur für die direkt Beteiligten, es wäre auch für Europa fatal.
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