Dossier Uranwaffen Zeit

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Dossier Uranwaffen
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Zeit-Fragen 2007
Zeit-Fragen 2007
Nr.7, 21. Februar 2007, Seite 7
Kriegsverbrechen und die Notwendigkeit, gegen die
Lieferungen von weiteren Lenkwaffen an Israel
Einspruch zu erheben
zf. Neben den unermüdlichen Bemühungen der Gremien des IKRK und der
Ländergesellschaften des Roten Kreuzes, das Leiden in den Kriegsgebieten zu
lindern, sind auch einzelne Persönlichkeiten und Netzwerke unermüdlich daran,
das Monster Krieg einzugrenzen.
Der letzte Satz an Streumunition liegt im Süden des Libanon in Massen im
Gelände: nicht grösser als ein Militärtaschenmesser, staubbedeckt und grau in
grau mit Sand, Erde, Steinen, Blättern und totem Gras. Markierungsteams
suchen Meter um Meter ab und markieren sie mit rotem Spray. So ähnlich,
aber alles in Nano-Ausgabe – so klein, dass man es von Auge nicht sieht – muss
man sich die Überreste von Uranmunition vorstellen. In mühseliger Kleinarbeit
wird versucht, die Art und das Ausmass solcher Überbleibsel zu klären. Es wird
ein mühseliger Weg der Forschung werden. Die Hersteller- und Angriffsländer,
allen voran die USA und Israel, wissen aber sehr genau, was sie verwendet
haben und könnten von heute auf morgen den Sachverhalt aufdecken.
Eine dieser Persönlichkeiten, die dieser Frage im Team mit Fachleuten
beharrlich nachgeht, ist der Brite Dai Williams. Er hatte seine Regierung
während des Libanon-Krieges in einer fundierten Stellungnahme aufgefordert,
gegen dieses exzessive Vorgehen Israels aktiv zu werden. Da er bereits im Juli
den Konflikt als Zwischenstufe zu einem möglichen Angriff auf den Iran
weiterdenkt, rufen wir seine Überlegungen in Erinnerung.
An den
Premierminister Tony Blair
10 Downing Street
London SW1A2AA
23. Juli 2006
Sehr geehrter Herr Premierminister
Ich bin tief bestürzt angesichts der Untätigkeit der britischen Regierung:
– Sie versäumt, die fortgesetzte Aggression israelischer Streitkräfte und Siedler
gegen das palästinensische Volk – sowohl in Gaza wie auch in den besetzten
Gebieten der West Bank – anzufechten.
– Sie versäumt, die überaus exzessiven Vergeltungsmassnahmen Israels und
die Zerstörung von Gemeinden und der Infrastruktur in Libanon ausdrücklich zu
verurteilen.
– Sie versäumt, zu einem sofortigen Waffenstillstand zwischen Israel und der
Hizbollah aufzurufen.
Lang währende Provozierung der Angriffe seitens der Hizbollah
Wie lang, Herr Premierminister, haben Sie von palästinensischen Flüchtlingen
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und ihren Angehörigen in der Hizbollah erwartet, dabei zuzusehen, wie die
Gemeinden in Gaza und in der West Bank geschunden, zerdrückt, verkrüppelt
und verhaftet werden, Jahr für Jahr, ohne Intervention durch die
Weltgemeinschaft, ohne dass sie schliesslich selbst zur Tat schreiten, wie
wirksam diese Aktionen auch immer sein mögen?
Können Sie in Erwägung ziehen, dass ihre Angriffe auf Israel aus ihrer Sicht
nicht weniger moralische Rechtfertigung geniessen, wie Sie für sich eine solche
Rechtfertigung für Ihre Unterstützung der militärischen Aktionen seitens der
Präsidenten Clinton und Bush beansprucht haben?
Israels unterschiedslos wirkende Waffen – hüten Sie sich vor der
Unterstützung von Kriegsverbrechen
Kennen Sie die Waffensysteme, die von den israelischen Streitkräften in Gaza
und in Libanon eingesetzt werden? Ich ersuche Sie, Ihre besondere
Aufmerksamkeit auf die Art der Verletzungen bei den Opfern auf allen Seiten
(und im Irak und in Afghanistan) zu richten. Während der letzten Jahre haben
die israelischen Streitkräfte Streubomben eingesetzt, bei denen die
eingesetzten Anti-Personen-Submunitionen mit Stahlnadelgeschossen bestückt
sind oder aus Brandbomben bestehen. Ich empfehle, dass Sie sowohl
medizinische wie auch militärische Beurteilungen der täglichen Operationen
der israelischen Streitkräfte und der Hizbollah anfordern – und sie miteinander
vergleichen.
Israel ist immer schnell, die Details der zivilen Opfer zu berichten. Bitte fragen
Sie nach persönlichen Berichten über die Opfer, die von medizinischem
Personal der NGOs stammen, die in Gaza und in Libanon tätig sind. Schauen
Sie sich zum Beispiel die extremen Verbrennungen von Opfern in der Nähe der
von den israelischen Streitkräften angegriffenen Bomben- und Raketenziele an,
die vom libanesischen Roten Kreuz aus Beirut und Sidon in dieser Woche
bezeugt wurden. Bilder finden Sie im Archiv der Zeitung «As-Safir»,
www.assafir.com. [Internet-Fundstelle der Bilder: www.uruknet.info/?p=24885]
«Hier untersucht ein Sanitäter verbrannte Körper von libanesischen Zivilisten,
die attackiert wurden, als sie eine angegriffene Brücke im Norden der Stadt
Sidon, im Süden Libanons, passierten.» (reuters, 19. Juli 2006)
Ich schlage vor, dass Sie wissenschaftliche Untersuchungen im Hinblick auf die
Waffensysteme anfordern, die diese Verletzungen verursacht haben.
Anschliessend sollten Sie die Ergebnisse in Beziehung setzen zu den Artikeln
35 und 55 des 1. Zusatzprotokolls der Genfer Konvention. Ich gehe davon aus,
dass Ihre Untersuchungen ergeben werden, dass diese Verletzungen von
Gefechtsköpfen stammen, die bei sehr hohen Temperaturen (5000 ºC)
Verbrennungen hervorrufen.
Weiträumiger Einsatz von vermuteten Uran-Gefechtsköpfen durch die
israelischen Streitkräfte
In meinem Brief und meinem Bericht, den ich Ihnen am 13. Oktober 2002
zusandte, warnte ich Sie vor der neuen Generation bekannter und vermuteter
Uranwaffen, die vor allem von der amerikanischen Waffenindustrie hergestellt
werden. Dieser Brief und der Bericht sind auf meiner Internet-Website unter
www.eoslifework.co.uk/pdfs/u25.pdf zu finden.
Die detaillierte Konstruktion dieser neuen Generation von Lenkwaffen gegen
harte Ziele (bunkerbrechende Gefechtsköpfe – «bunker busters») unterliegt der
Geheimhaltung. Aber US-Patenteinträge dokumentieren, dass sie 200 bis 500
kg Ballast aus Metall mit hoher Dichte – Wolfram oder abgereichertes (oder
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nicht abgereichertes) Uran oder beides – enthalten. Lesen Sie dazu zum
Beispiel in meinem oben genannten Bericht die Wiedergabe des US-Patents 6
389 977 der Firma Lockheed Martin über die Abwandlung der Bombe vom Typ
BLU 116 zu der Variante BLU 109/B als einer 2000 Pfund schweren,
lasergesteuerten Bombe. Dort heisst es unter Punkt 5, dass «der penetrierende
Körper aus abgereichertem Uran besteht». Uran-Gefechtsköpfe brennen bei
5000 ºC (zum Vergleich: Napalm brennt bei 1300 ºC).
Sie haben eventuell einige dieser gegen harte Ziele gerichteten Waffen – mit
vermuteten Uran-Gefechtsköpfen –, wie zum Beispiel die von Raytheon und
Lockheed Martin produzierten GBU 24 lenkbaren Bomben, bei Ihrem letzten
Besuch in Farnborough am 21. Juli gesehen.
Israelische Kampfbomber vom Typ F 15 und F 16 sind in der Lage, zwei bis vier
dieser Waffen pro Einsatz abzuwerfen. Nach Angaben der israelischen
Streitkräfte gab es bereits bis jetzt mehr als 3000 Bombeneinsätze. Abhängig
von den Vorräten (geschätzt 500 BLU-109-Gefechtsköpfe) ist es möglich, dass
die israelischen Streitkräfte bereits bis zu 250 Tonnen an Uranmunition im
Süden Libanons während der letzten sieben Tage eingesetzt haben.
Experten für die Messung von Radioaktivität des britischen Militärs oder der
Institution Atomic Weapons Establishments (AWE) könnten bereits
systematische Uranstaub- und Radioaktivitätsmessungen in Libanon und den in
Windrichtung gelegenen Regionen durchführen. Spezialisten der Unep in
Jordanien sollten das gleiche tun.
Angehörige des Verteidigungsministeriums können verifizieren, wie viele der
24 vermuteten Lenkwaffensysteme tatsächlich UranGefechtsköpfe benutzen.
Sie sollten sie daran erinnern, dass Janes Defence auf ihrer Website bereits seit
2001 die Existenz dieser Waffensysteme bestätigt: «Es ist wahr, dass einige
Lenkwaffen abgereichteres Uran benutzen, um den Penetrationseffekt zu
steigern.» Sehen Sie dazu meinen ersten Bericht, Seite 15, unter
www.eoslifework.co.uk/pdfs/DU012v12.pdf.
AWE Aldermarston überwacht kontinuierlich den in der Luft befindlichen
Uranstaub. Die Messgeräte werden wahrscheinlich in den nächsten zwei bis
drei Wochen, abhängig von den globalen Windströmungen, einen Anstieg des
in der Luft befindlichen Urans messen, so wie sie es während der «Shock &
Awe»-Kampagne gegen den Irak 2003 bereits taten (dazu Dr. Busbys Analyse,
die im Februar 2006 veröffentlicht wurde). Die aktuellen Resultate sollten,
sobald sie verfügbar sind, veröffentlicht werden (alle zwei Wochen), und
entsprechende Uranmessungen sollten in ganz Grossbritannien durchgeführt
werden.
Die dringende Notwendigkeit, gegen die Lieferungen von weiteren
Lenkwaffen an Israel Einspruch zu erheben
Am 22. September 2004 berichtete der «Daily Telegraph» aus London, «Israel
bestätigte gestern, dass es 500 ‹bunker buster›-Bomben kaufen werde, die
gegen Irans Nuklearanlagen eingesetzt werden können, nachdem Teheran
seine ballistischen Raketen als Warnung gegen einen Angriff vorgeführt hat.
Die BLU-109-Bomben, die mehr als zwei Meter dicken verstärkten Beton
durchdringen können, gehören zu den ‹Smart›-Waffen, die an Israel im Rahmen
des amerikanischen Militärhilfeprogramms verkauft werden.» (Quelle:
www.worldpress.org/Mideast/2270.cfm)
Gestern berichtete die «New York Times», dass die USA «überstürzt
Präzisionslenkwaffen nach Israel liefern», inklusive die grösseren 5000 Pfund
schweren EGBU-28-Bunker-Buster, die vermutlich mehr als 1500 kg an
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Uranballast enthalten – eine Ausweitung des amerikanischen
Militärhilfeprogramms.
Es ist wahrscheinlich, dass Israel gegenwärtig die meisten der 500
Gefechtsköpfe aus der Bestellung von 2004 eingesetzt hat. Wenn sie weitere
Lieferungen erhalten, könnten sie ausreichend für ähnliche Angriffe gegen
Syrien und den Iran sein.
Es ist essentiell, dass gegen weitere Lieferungen dieser vermuteten
Uranmunitionen an Israel mit sofortiger Wirkung Einspruch erhoben wird.
Die Gefahr der weiteren Eskalation zur Rechtfertigung von israelischen oder
amerikanischen Angriffen gegen den Iran
Es ist unglücklich, dass der Libanon-Konflikt sich gerade jetzt auszuweiten
beginnt, wo die Parlamente Grossbritanniens und anderer Länder sich in die
Sommerpause verabschieden. Die Situation im gesamten Nahen Osten ist so
instabil, dass der Konflikt weiter eskalieren und sich sehr schnell auf andere
Regionen ausweiten kann. Mein Bericht «Fear and violence in stressed
populations» untersuchte einen solchen schnellen Übersprung zu Gewalt in
Bevölkerungen, die unter starker Anspannung stehen (dazu:
www.eoslifework.co.uk/gturmap.htm).
Der gegenwärtige, extrem einseitige Konflikt zwischen Israel und Libanon wird
wahrscheinlich bereits jetzt erneut Hunderttausende von muslimischen
Bürgern überall auf der Welt empören. Die Mehrzahl der Muslime, die ich in
den vergangenen 25 Jahren kennengelernt habe, ist verständig und
friedliebend. Aber diese jüngste Eskalation kann weitere terroristische Angriffe
ausserhalb des Nahen Ostens provozieren – am wahrscheinlichsten in
Grossbritannien und/oder den USA. Und natürlich wird die Angst in den
israelischen Gemeinden, die unter dem Beschuss der viel kleineren, aber
dennoch tödlichen Katjuscha- und Fajr-Raketen der Hizbollah stehen,
wahrscheinlich weiter zunehmende aggressive Militäraktionen durch die
israelische Regierung hervorrufen.
Sofortige Entscheidungen der britischen Regierung und des
Parlaments
1. Das Parlament muss den Einsatz von Lenkwaffen und Raketen durch Israel
und den vermuteten Einsatz vieler grosser Uran-Gefechtsköpfe erörtern. Es
muss einen sofortigen Bann des weiteren Gebrauchs dieser Waffen durch Israel
geben. Und es muss ein Veto in Richtung der USA oder jeglichen Landes
inklusive Grossbritanniens gegen die Lieferung weiterer Lenkwaffen an Israel
geben.
2. Ich bitte Sie inständig, die Sommerpause des britischen Parlaments für
wenigstens zwei Wochen hinauszuschieben. Alle Parteien müssen einbezogen
werden, um die verfügbaren Ressourcen der britischen poli tischen und
diplomatischen Quellen für friedensschaffende Initiativen einzusetzen – mit den
Gemeinden in Israel, Palästina und Libanon und innerhalb Grossbritanniens.
3. Wenn Sie nicht willens oder in der Lage sind, eine Vermittlungsrolle in diesen
Konflikten einzunehmen, dann empfehle ich Ihnen, den Abzug aller britischen
Streitkräfte von allen Operationen im Nahen Osten und in Südasien,
insbesondere im Irak und in Afghanistan, vorzubereiten.
Wenn der gegenwärtige Konflikt weiter eskaliert, gehe ich davon aus, dass die
israelischen und/oder amerikanischen Streitkräfte bald einen Anlass dafür
finden werden, Nukleareinrichtungen im Iran zu bombardieren – wahrscheinlich
innerhalb von zwei Monaten, vor der nächsten Parlamentsperiode. Gleichgültig,
ob die israelischen oder amerikanischen Streitkräfte konventionelle (mit
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Uranmantel bestückte) Bunker-Busters oder kleine Nuklearsprengköpfe
einsetzen, dann werden die brennenden Uranlagerbestände im Iran (zum
Beispiel in Natanz) zu einer radioaktiven Verseuchung in der ganzen Region
innerhalb von zwei bis drei Tagen und weltweit innerhalb von drei bis vier
Wochen führen.
Sollten britische Truppen noch in der Region (im Irak und in Afghanistan) sein,
wenn die Nuklearanlagen im Iran angegriffen werden, dann sind
schwerwiegende kurz- und langfristige Schädigungen durch die Radioaktivität
für sie und ihre Nachkommen zu erwarten.
Das nebenstehende Bild zeigt eine Computersimulation der NOAA über die
anzunehmende Verbreitung der radioaktiven Verseuchung innerhalb von 48
Stunden nach einem Angriff auf Natanz, basierend auf Wetterbedingungen, wie
sie zum Beispiel im April 2005 bestanden.
Wahrscheinlich Ihre letzte Möglichkeit, eine weiträumige radioaktive
Verseuchung im Nahen Osten und in Asien zu verhindern
Ich habe während der letzten drei Jahre versucht, meine Enttäuschung über
Ihre Unterstützung der US-Politik im Irak und Ihre offensichtliche Aphatie in
bezug auf Palästina zurückzuhalten. Aber ich kann nicht länger schweigen.
Dennoch nehme ich an, dass Ihnen wahrscheinlich mein früheres Schreiben an
Sie nicht vorgelegt worden ist und dass Sie möglicherweise noch immer nicht
Kenntnis haben von der Entwicklung und des vermuteten weitreichenden
Einsatzes von Uranwaffen durch die amerikanischen Streitkräfte auf dem
Balkan, in Afghanistan und im Irak.
Die Beschäftigung der britischen Medien mit diesen Gefahren ist seit 2000 sehr
zurückgegangen, als die Nato erstmalig mit mysteriösen Todesfällen von
spanischen und italienischen Soldaten nach ihrem Einsatz in der Nähe
amerikanischer Bombenziele auf dem Balkan konfrontiert worden ist. Eine
Ausnahme war der Bericht der Sunday Times über die Uranverseuchung in
Grossbritannien während März/April 2003 (19. Februar 2006, verfügbar unter
www.timesonline.co.uk/article/0,,2087-2047373,00.html).
Jetzt wo die israelischen Streitkräfte die gleichen Lenkwaffen in Libanon
einsetzen, sieht die Öffentlichkeit zum ersten Mal deren schreckliche
Auswirkungen für die Zivilbevölkerung. In Afghanistan und im Irak gab es kaum
Aufmerksamkeit für die zivilen Opfer der neuen Generation amerikanischer
Lenkwaffen.
Trotz der anstehenden Sommerpause bleibt Ihnen noch eine letzte Chance, die
israelische und die amerikanische Regierung zu warnen, dass weitere
Aggression und weiterer Einsatz von mit Uran-Gefechtsköpfen bestückten
Lenkwaffen nicht länger durch die britische Regierung toleriert werden. Diese
Systeme erhöhen das Niveau der globalen Radioaktivität durch eigene
Kontamination. Die Lage wird sich um ein Vielfaches verschlimmern, wenn sie
gegen nukleare Anlagen eingesetzt werden. Deshalb ist es aus strategischer
und ökologischer Sicht essentiell, dass Sie sich gegen jegliche militärische
Schläge gegen die iranischen Nukleareinrichtungen wenden.
Wenn Sie eine persönliche Unterrichtung über die vermuteten
Uranwaffensysteme, deren Einsatz und deren Effekte in den vergangenen und
gegenwärtigen Konflikten wünschen, würde ich eine solche Gelegenheit, diese
Aspekte mit Ihnen zu erörtern, sehr begrüssen.
In Sorge um die Zivilisten und die Soldaten in allen Konfliktregionen,
Ihr Dai Williams,
www.eoslifework.co.uk/Comindx.htm
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Nr.7, 21. Februar 2007, Seite 8 bis 10
Untersuchung der im Libanon-Krieg 2006
eingesetzten Waffen
Ein Zwischenbericht
von Dai Williams, unabhängiger Forscher, Eos, Grossbritannien
zf. Der Bericht von Dai Williams vom Oktober 2006 ist für Leser aller Fakultäten
verstehbar und kann jedem zur Lektüre nur empfohlen werden. Der Leser wird
in seinem ganzen Denken und Fühlen auf den Boden der Realität in der
heutigen Welt geholt und verdrängt die Bilder, die Fragen und Probleme nach
dieser Lektüre nicht mehr. Wir drucken daraus das Kapitel 18 (zuhanden des
Menschenrechtsrates der Uno) ab.
Vorläufige Schlussfolgerungen zuhanden von
Untersuchungsinspektoren des Menschenrechtsrates der Vereinten
Nationen
Die Untersuchungskommission verfügt über ein Unterstützungsteam, dem ein
Militärexperte angehört. Die Mitglieder dieses Teams sind möglicherweise
bereits voll aufgeklärt über das Spektrum an Waffen, das von den israelischen
Streitkräften eingesetzt worden ist, inklusive jener Waffen, die von den USA
oder anderen Staaten geliefert worden sind. Sie haben möglicherweise
ebenfalls Kenntnis von den geheimgehaltenen Metallen, die in den 25 Typen
von Lenkwaffen benutzt worden sind, die ich im Verdacht habe, dass sie mit
Uransprengköpfen ausgestattet werden können. Wenn das der Fall ist, ist es
ihnen eventuell nicht erlaubt, diese Informationen zu veröffentlichen. Dennoch
können die in diesem Bericht dargebotenen Informationen zusammen mit
laufenden Ermittlungen anderer Organisationen der Untersuchungskommission
des Menschenrechtsrates die Gelegenheit verschaffen, verschiedene neue
Sprengkopftechnologien in die öffentliche Diskussion für internationale
Inspektionen einzuführen.
Verschiedene Einzelpersonen oder Gruppen, unter ihnen die IAEA und Personen
aus der Schweiz, den Niederlanden, den USA, Deutschland und Italien, haben
nach Beweisen für Radioaktivität oder Uranwaffen in Libanon gesucht. Wie
genau ihr Wissen über bekannte und vermutete illegale Waffen ist, kann
wichtig dafür sein, ob sie Beweise für giftige, radioaktive oder andere illegale
Waffen finden. Insofern die getroffenen Ziele geräumt werden, wird es schnell
immer schwieriger, materielle Beweise zu finden.
Der Einsatz thermobarischer Waffen durch die israelischen Streitkräfte
erscheint durch Augenzeugenberichte bestätigt. Die Untersuchung des
Menschenrechtsrates wird möglicherweise ähnliche Aussagen sammeln.
Dennoch sind weitere detaillierte Untersuchungen von Opfern über das
Ausmass einer Verseuchung und fortwährend über den Gesundheitsstatus der
Bewohner in den Zielgebieten erforderlich. Thermobarische Waffen sind
möglicherweise bereits Waffen mit nicht-diskriminierendem Effekt, unabhängig
von der Frage, aus welchen Materialien sie bestehen. Aber wenn sie Uran
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verwenden – entweder in den Sprengkopfummantelungen oder in reaktiven
Metallsprengstoffen –, sind sie unzweifelhaft «schmutzige Bomben» mit
irreversiblen Konsequenzen für die Gesundheit und die Umwelt. Diese Waffen
sind wahrscheinlich ein bedeutender Teil der Untersuchung des UNMenschenrechtsrates.
Nach meinem Verständnis ist der Einsatz von Brandbomben durch
Bestimmungen der CCW-Konvention begrenzt [CCW-Konvention = Convention
on prohibitions or restrictions on the use of certain conventional weapons
which may be deemed to be excessively injurious or to have indiscriminate
effects, Kurzname: Convention on Certain Conventional Weapons; über die
Ächtung der Brandbomben: «Protocol III on prohibitions or restrictions on the
use of incendiary weapons»; Information: disarmament.un.org/index.html]. Ob Uran
oder andere reaktive Metalle in den neuen amerikanischen und israelischen
Waffensystemen eingesetzt worden sind, erfordert umfassende Aufkl‰rung.
Schlüssige Beweise über den vermuteten Einsatz von Uranwaffen im Rahmen
der Untersuchung des UN-Menschenrechtsrates mögen den Einsatz von
speziellen Luftmessgeräten im Süden Libanons erforderlich machen, mit denen
grosse Luftmengen untersucht werden können. Die Unep und die IAEA haben
Zugang zu derartigen Geräten und zu Spezialisten, die in der Lage sind, solche
Messungen vorzunehmen – vorbehaltlich der Ressourcen und des Konsenses
der Vereinten Nationen. Diese Messungen müssen wenigstens 12 Monate
dauern, um durch die Jahreszeiten bedingte Fluktuationen einer möglichen
Uranstaubkontamination feststellen zu können.
Wissenschafter in verschiedenen Ländern verfolgen diese Untersuchungen mit
Interesse. Untersuchungen über die Radioaktivität in der Luft werden
regelmässig in vielen Ländern durchgeführt. Die IAEA sollte weltweite Daten für
die letzten acht Jahre haben. Diese sollten von den Vereinten Nationen
angefordert und veröffentlicht werden.
Andere Aspekte für die weitere Untersuchung
Mein erstes Interesse gilt den Gesundheits- und Sicherheitskonsequenzen, die
aus dem Einsatz von vermuteten Uranwaffen für die Zivilbevölkerung und die
Angehörigen des Militärs entstehen. Die Entwicklung dieser Waffen wurde für
über 15 bis 20 Jahre geheimgehalten, ist jedoch heute dokumentiert. Der
Kampfeinsatz dieser Uranwaffen ist noch nicht bewiesen, er wird jedoch durch
Daten britischer Luftmessungen seit 1998 sehr deutlich angezeigt.
Es bestehen mögliche Gesundheitsgefährdungen für das Personal der Uno und
anderer Organisationen, die die Waffenziele untersuchen – sowohl von nicht
explodierter Munition als auch durch die mögliche toxische und radioaktive
Verseuchung. Höhere Risiken haben jene Menschen, die während des Konflikts
in den Kampfregionen waren, dort immer noch leben oder arbeiten, und
Bauarbeiter, die mit Aufräumen und Transport des Schutts von den
möglicherweise verseuchten Zielen beschäftigt sind. Ihr Gesundheitszustand
sollte regelmässig kontrolliert werden.
Die Unep und der UN-Menschenrechtsrat werden sich darüber im klaren sein,
dass hinter vielen der vermuteten Waffensysteme grosse kommerzielle
Investitionen der USA, von Israel und bis zu 20 weiteren Ländern stehen. Sie
werden möglicherweise einem Druck ausgesetzt sein, der die Überwachung
des Gesundheitszustandes und der Umwelt zu minimieren oder die Publikation
entgegenstehender Ergebnisse zu zensieren versucht. Wenn in Libanon eine
Verseuchung festgestellt wird, so kann eine Gegenpropaganda-Operation
erwartet werden, die die Gesundheitsgefährdungen durch Uranwaffen
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herunterspielt – wie dies durch die Nato 2001 geschah, um die Aufmerksamkeit
von den mysteriösen Todesfällen bei den auf dem Balkan eingesetzten Truppen
abzuziehen.
Offene und regelmässige Berichterstattung der Untersuchungsergebnisse ist
eine von mehreren Strategien, um es der Unep und dem UNMenschenrechtsrat zu ermöglichen, angemessen objektive Studien und
Begutachtungen für Libanon durchzuführen.
Ich hoffe, dass den Teams sowohl der Unep als auch der
Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates gründliche
Untersuchungen erlaubt werden. Ich bin all jenen dankbar, die mich bei meinen
Untersuchungen unterstützt haben, inklusive mit Photos, die die neuen,
unkonventionellen Waffen illustrieren, die von den israelischen Streitkräften
eingesetzt wurden. Viele dieser unkonventionellen Waffen wurden durch die
USA geliefert und sind dieselben wie jene, die im Irak eingesetzt worden sind.
So könnten die Untersuchungen der Vereinten Nationen Ergebnisse enthalten,
die für weitere Studien in anderen gegenwärtigen Krisengebieten Anlass
geben.
Dieser Zwischenbericht hat sich vor allem auf die Beschreibung von Zielen
konzentriert, um die Identifizierung der eingesetzten Waffen zu ermöglichen.
Mein erster Bericht vom 30. August 2006 enthielt zusätzlich eine Reihe von
Vorschlägen im Hinblick auf Gesundheits- und Sicherheitsaspekte und für den
Schutz der Menschen und der Organisationen, die mit den Untersuchungen
befasst sind. Er ist über das Internet verfügbar unter:
www.eoslifework.co.uk/pdfs/u26leb806.pdf •
Quelle: www.eoslifework.co.uk/pdfs/u26leb19oct.pdf vom 18. Oktober 2006,
Auszüge
Nr.7, 21. Februar 2007, Seite 9, 10
Die Grenzen des Völkerrechtes einfordern
Tagung des Forums «Humanitäre Schweiz»
AB. Das Forum «Humanitäre Schweiz» unter der Leitung von Prof. Dr. Franz
Blankart und Prof. Dr. Albert A. Stahel ermöglicht es in halbjährlichen
Tagungen, schwierige zur Beurteilung anstehende Themen in einem Kreis von
interessierten Persönlichkeiten sachkundig dazulegen und offen zu diskutieren.
Die Bereiche betreffen sowohl die Bevölkerung der Schweiz als auch die
Entwicklungshilfe, das Rote Kreuz, die völkerrechtliche Beurteilung wie auch
das Wirken der verschiedenen Gremien der Uno und die Stimme der Schweiz
darin. An Aufgaben fehlt es in der heutigen Welt wahrlich nicht. Die rollende
Planung des Kriegskartells sorgt weltweit laufend für Nachschub an Problemen.
Die diesjährige Wintertagung des Forums Humanitäre Schweiz war dem Thema
«Diskriminierende Munitionen: Ächtung oder Zulassung» gewidmet. Zur
Debatte standen Streubomben, DU-Munition und Kleinkaliberwaffen. Die drei
Bereiche sollten unter dem Gesichtspunkt des Völkerrechts und der
humanitären Konventionen beurteilt werden. Dass die Genfer Konventionen zur
Grundlage gehören, ist heute allgemein bekannt; weniger bewusst ist den
meisten Bürgern, dass auch die Haager Landkriegsordnung (Anhang zum II.
Haager Abkommen von 1899 und zum VI. Haager Abkommen von 1907) und
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(innerhalb oder separat) das Abkommens über das Verbot oder die
Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen (CCW) von
1980 bzw. das Protokoll II zu diesem Übereinkommen von 1996 gehört (vgl.
Kasten).
Israels Abwurf von Cluster-Bomben in Libanon ist «präzedenzlos»
Der Völkerrechtler Prof. Dr. Daniel Thürer führte aus langjähriger Erfahrung und
mit wohltuender Reife in die heutigen Aufgaben ein. Er legte insbesondere
auch die ethisch-politischen Überlegungen des IKRK dar. Anschliessend
referierte Paul Vermeulen als Präsident von Handicap International über die
Geschichte der Cluster-Munition (siehe Artikel dazu S. 4 und 5). Er machte ein
Update über diese Bombenarten bis und mit dem Libanon-Krieg. Was Israel
dort in den letzten Tagen an Cluster-Bomben abgeworfen hatte, bezeichnete
Prof. Thürer als «präzedenzlos». Den finsteren Anfang aber – Probelauf und
Testphase – nahmen die Streubomben bereits in Laos und Kambodscha in der
zehnjährigen Verlängerungsphase des Vietnam-Krieges. Ein Zurückdenken an
jenen geschichtlichen Zeitpunkt ist heute auch deshalb fällig, weil es für alle
Beteiligten klar war, dass der Vietnamkrieg abgebrochen werden musste –
genau wie heute im Irak. Dennoch haben die USA ihn um 10 Jahre verlängert
und auf Laos und Kambodscha ausgeweitet und so Millionen von weiteren
Toten und Verletzten verursacht. Soll dieses «Rezept» auch jetzt mit einer
Ausweitung des Krieges auf den Iran angewandt werden?
Paul Vermeulens Rückgriff bis auf die Anfänge der Cluster-Bomben machten
schlagartig bewusst, welche Flut an Kriegsgeschehen seither über den Globus
schwappt und dass ein für jede Friedensbemühung gefährlicher
Gewöhnungsprozess das Ganze unterlegt. Man spricht nicht vom nächsten
Weltkrieg, aber er wird geführt, und das amerikanische Kriegskartell scheint
auch jetzt noch nicht willig zu sein, ihn zu beenden. Mit Schrecken entnahm
man einem Video von Handicap International, was für einen Einsatz es
brauchte, um im Süden des Libanon nur einen Streifen von 10 bis 20 Metern
links und rechts der wichtigsten Strassen nach nicht explodierter Submunition
abzusuchen. Sie liegt – manche so klein wie ein Militärtaschenmesser –
staubbedeckt zwischen Steinen, in sandiger Erde, unter Blättern oder Gras
versteckt. Sie wird auf Jahre hinaus Tiere und Menschen, Kinder und
Erwachsene in Fetzen reissen, sobald einer darauf tritt. Israel hat im
Sommerkrieg 2006 2,6 bis 4 Millionen Stück solcher Submunition – jedes eine
Mine für sich – über dem Libanon heruntergelassen. Zu den 34
Herstellerländern gehören Deutschland, Grossbritannien, Russ land, China,
Indien, Pakistan, und vor allem die USA. Bis zu 40% der Submunition liegen
nach einem Einsatz als UXO (unexploded ordnance) in der Landschaft: eine
finstere Hinterlassenschaft. Dass Cluster-Munition als flächendeckende
Munition wahllos die Zivilbevölkerung trifft, liegt auf der Hand und ist vom
Kriegskartell wohl auch so gewollt. Zur Kriegsstrategie von Bush-Amerika
gehört ja, die überlebende Bevölkerung in den betroffenen Ländern auf
Jahrzehnte hinaus durch Pflege und Fürsorge für Invalide und Kranke zu
erschöpfen und politisch darniederzuhalten. Dass Cluster-Munition unter den
Paragraphen des Humanitären Völkerrechts verboten gehört, ist
selbstverständlich.
Labor Spiez – Instrument der Nato?
Kam man schon bei diesem Referat selbst als sich relativ robust wähnender
Zeitgenosse gewissermassen «auf die Welt», so noch viel mehr – aber auf ganz
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andere Art – beim folgenden Referat von Dr. Emmanuel Egger vom Labor
Spiez. Er wickelt das Thema «Gefährdung der Zivilbevölkerung durch DUMunition: Propaganda oder Wirklichkeit» ab und erklärte gleich eingangs, dass
er sich auf die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung beschränke. Er wolle, so
legte er mit einem süffisant-mokanten Unterton dar, den Warnungen
begegnen, die in letzter Zeit in den Medien bezüglich Uranmunition
aufgetaucht seien. Dann legte er ein «08/15»-Referat hin, wie es aus Natoliierten Think-Tanks sattsam bekannt ist: Alles kein Problem, gemessene Werte
entsprächen den Grenzwerten des natürlichen Urans, niemand werde krank
davon – man gewann den Eindruck, wer gestorben ist, war selber schuld –, und
auch eine «Dirty Bomb» mit atomaren Anteilen in einer unserer Städte ist nur
eine Sache von drei bis vier Wochen Aufräumen. Die Bürger sollen solche
Fragen dem Labor Spiez überlassen, und der Krieg kann mit Pauken und
Trompeten weitergehen. Diese «Kurzfassung» ist ein Zurückspiegeln des
Vorgehens des Referenten.
Haager Landkriegsordnung
Artikel 22
Die Kriegführenden haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel
zur Schädigung des Feindes.
Artikel 23
Abgesehen von den durch Sonderverträge aufgestellten Verboten, ist
namentlich untersagt:
[…]
e) der Gebrauch von Waffen, Geschossen oder Stoffen, die geeignet sind,
unnötig Leiden zu verursachen, […]
Kleinkalibermunition: «Unnötiges Leiden verhindern»
Bevor zur Diskussion übergegangen werden konnte, war noch das Thema
«Internationale Konventionen und die Problematik von Kleinkaliberwaffen» an
der Reihe. Die Munition, die früher in Kleinkaliberwaffen verwendet wurde,
hatte eine relativ lange Einschusslinie und entfaltete erst nach ungefähr 20 cm
ihre «aufpilzende» und damit schwere Zerreissverletzungen verursachende
Wirkung. Heutige Untersuchungen zeigen, dass 21% den Kopfbereich
betreffen, 13% den Brust-, 10% den Bauchbereich und sage und schreibe
zusammen 56% Hände, Arme und Beine. Dieser letztere Teil der Verletzungen
kommt zumeist noch rechtzeitig in die Hände von Ärzten und Chirurgen, und
gerade hier ist ein vitaler Unterschied, ob nur ein Durchschussloch zu heilen ist
oder wegen einer grausamen Zerreisswunde ein Arm oder Bein amputiert
werden muss. Neue Prüfverfahren ermöglichen, im Labor die Länge des
Durchschusses und den Beginn der «Aufpilzung» genau auszumessen. Als ob
der Kriegsauswirkungen nicht genug wäre, musste die Waffen-Industrie in den
letzten Jahren Kleinkalibermunition mit verkürzter Einschusslinie (nur 2–3 cm)
entwickeln. Dr. sc. Forens Beat Kneubuehl plädierte dafür, dass diese Munition
in einem Zulassungsverfahren auf ihre Wirkung (und nicht ihre Form, die den
geltenden Verboten entspricht) geprüft und unter dem Aspekt, unnötiges
Leiden zu vermeiden, bei verkürzter Einschusslinie verboten wird. Sein Referat
war so einleuchtend und unbestritten wie dasjenige von Paul Vermeulen.
Arbeitet das Labor Spiez unseriös?
Anders das Referat von Spiez. Als erster Diskussionsteilnehmer meldete sich
ein gestandener Vertreter aus einer unabhängigen linken Antikriegsgruppe. Er
Dossier Uranwaffen
11
Zeit-Fragen 2007
habe sich eingelesen, was Ärzte der US-Armee an ihren Veteranen des ersten
Golf-Krieges festgestellt haben und weiterhin feststellen, auch an
Zurückkehrenden aus dem zweiten Golf-Krieg. Der Sprecher kannte offenbar
die Literatur von Doug Rokke. Was Dr. Egger darlegte, könne ganz einfach
nicht stimmen. Dann meldete sich ein Sachverständiger zu Wort, der sich mit
dem jüngsten Bericht von Unep, dem Uno-Entwicklungsdepartement, über den
möglichen Einsatz von Uranwaffen in Libanon beschäftigt hatte. Er hatte dabei
festgestellt, dass Unep sich unter anderem auf einen «Bericht» aus dem Labor
Spiez abstützte, dessen Inhalt hinsichtlich Analysenart und Analysenumfang für
einen Nachweis von Uran nicht zum Ziel führen kann. Der Sachverständige
meinte, er hätte sich nie getraut, so etwas zu machen wie das Labor Spiez:
Eine Bodenprobe holen, diese zermalen und homogenisieren und erst dann
Mess proben zu nehmen, ohne vorher mit dem Mikroskop hineingeschaut zu
haben, um eine allfällige Inhomogenität zu eruieren. Wenn dann noch
behauptet werde, U238 liege im Gleichgewicht mit den Zerfallsprodukten, und
man nur U234 untersucht, die anderen Zerfallselemente aber weglässt,
empfehle er der Schweiz dringend, diesen «Bericht» des Labors Spiez bei der
Uno zurückzuziehen.
Spezialisiertes Labor der britischen Uranindustrie «widerspricht»
Labor Spiez
Schliesslich meldete sich auch der unabhängige Uranwaffenexperte Dai
Williams aus England zu Wort, der ursprünglich als Referent für den Teil zur
DU-Munition vorgesehen war. Die «kleine Programmänderung» kam
offensichtlich aus dem VBS-Hintergrund. Dai Williams schloss sich der Kritik am
Vorgehen des Labors Spiez an: Er war selber in Libanon – einmal unabhängig
und einmal gemeinsam mit einem Team des Unep, dem auch ein Mitarbeiter
des Labors Spiez angehörte. Gemeinsam hätten sie einem Bombenkrater
Proben entnommen. Während die Messungen des Labors Spiez keine
Anzeichen nicht-natürlichen Urans in den Proben ergaben, wies die Analyse
durch das Harwell Laboratory – das hochspezialisierte Labor der britischen
Uranindustrie, bei dem auch die britische Armee ihre Analysen machen lässt –
eindeutig und in mehreren Untersuchungen das Vorhandensein von Uran nichtnatürlichen Ursprungs nach, und zwar nicht nur Depleted Uranium sondern
auch Enriched – angereichertes – Uranium. Dai Williams liess offen, wie diese
Diskrepanz zu erklären sei. Er verwies allerdings auf den interessanten
Umstand, dass das Labor Spiez Proben aus dem Kosovo untersucht hatte, die
10 Stellen entnommen worden waren, die alle zuvor von der Nato
dekontaminiert worden waren. Dieser Umstand wirft nicht nur Fragen in bezug
auf die Grundlagen des Referates von Dr. Egger auf, sondern auch bezüglich
der Schlussfolgerungen des Unep-Berichtes.
Die befremdlichen «Darlegungen» von Dr. Egger veranlassten dazu, den «Film»
der Auseinandersetzung um die Folgen radioaktiver Strahlung kurz innerlich
zurückzudrehen. Im Vorfeld der Gedenkkongresse zu 20 Jahren seit
Tschernobyl war diese ganze Beschwichtigungsladung bereits überall
aufgetaucht. Es lebten ja weiter Menschen dort in der Region, so wurde gesagt,
und sie ässen fleissig Äpfel und Weisskohl. Wenn dort und inzwischen auch in
Bosnien und Serbien eine steigende Krebs- und Leukämierate festzustellen ist,
dann würden sie krank vor lauter neurotischer Angst vor Strahlung. Dass dieser
Dreh nicht aus der russischen Küche kam, war schon zu diesem Zeitpunkt für
jeden klar, der die Geschichte der Psychologie als Wissenschaft kennt.
Dossier Uranwaffen
12
Zeit-Fragen 2007
Nato-Kampagne soll Wahrheit vertuschen
Einige Zeit davor, in der zweiten Jahreshälfte 2000 bis Januar 2001, hatte in
den Nato-Ländern, vor allem Italien, Spanien und einigen anderen eine lebhafte
Debatte über die mysteriösen Krankheiten stattgefunden, an denen ihre aus
dem Kosovo-Krieg zurückkehrenden Soldaten erkrankten und relativ rasch
starben. Der Vater eines der verstorbenen Soldaten in Deutschland wollte
seinen Sohn exhumieren und gerichtsmedizinisch untersuchen lassen: Das
wurde ihm verboten. Die Debatte in der Öffentlichkeit setzte dann auffallend
aus. Unter dem Druck der Öffentlichkeit begann die Nato im Januar 2001 eine
professionelle PR-Kampagne, die von dem damaligen Nato-Generalsekretär
Lord Robertson angeführt wurde. Am 10. Januar 2001 präsentierte er an einer
Pressekonferenz amerikanische Wissenschaftler im Offiziersrang, die 20 Jahre
zuvor an der Einführung von Uranmunition beteiligt gewesen waren und nun
über deren Ungefährlichkeit zu berichten wussten. Binnen Tagen wurde
generalstabsmässig ein «full scale action-plan» angeschoben, der neben der
steten Wiederholung dieser «Wahrheiten» für die breite Öffentlichkeit auch die
Vereinnahmung von zuvor kritischen Nichtregierungsorganisationen, die
«Koordination» der weiteren wissenschaftlichen Forschung und die Einrichtung
einer neuerlichen Untersuchungskommission umfasste. Schon im Februar 2001
konnte der ehemalige britische General Hughes Beach, der Anfang der 80erJahre die Uranmunition für die britische Panzerflotte eingeführt hatte, in
demselben süffisant-mokanten Ton wie Dr. Egger schreiben: «… der Rest ist
eine typische bürokratische Antwort. Wenn man im Zweifel ist, richte man eine
neue Kommission ein. Aber sie könnte dazu dienen, das gegenwärtige
Gemurmel in der Öffentlichkeit zu zerstreuen und die Forderungen an
Deutschland, Italien, Griechenland und Norwegen abzulenken, die sich auf den
Verzicht des Einsatzes von Uranmunition richten.»
Seither herrscht feige Ruhe im Mainstream-Europa. Labor Spiez offenbar
inklusive. Unser ABC-Labor hatte bis anhin das Vertrauen der Welt. Es war eine
Hoffnung für kriegsgeplagte Drittweltländer: dass die neutrale und den
humanitären Konventionen verpflichtete Schweiz die Belange der Menschen –
ihr Leben – schützen und vorausschauend und verantwortungsbewusst auf die
Kriegsmächte Einfluss nehmen würde. Diese Hoffnung stirbt zurzeit – ausser
der Kurs wird korrigiert. Dazu braucht es den politischen Willen, genauso wie
bei der Bereinigung der CIA-Gefängnisflüge – mehr ist nicht nötig. Das Handeln
ergibt sich daraus.
Den vom Labor Spiez bei der Unep eingereichten Bericht zu den Schäden von
Uranmunition in Libanon zurückzuziehen ist ein einfacher Schritt. Mit unseren
Steuergeldern sachliche Mitarbeiter in Spiez anzusiedeln oder wieder
einzusetzen, ebenfalls. Als Schweizer Bürger möchte man die Empfehlung
beifügen, dass das VBS nie mehr einen solchen Referenten zum Thema
«Gefahren für die Zivilbevölkerung durch Uranwaffen» auf Vortrags-Tournee
schickt. Ob es Inkompetenz oder Sog aus der Nato ist, oder ob das VBS und das
Labor Spiez allmählich die Rolle einer pro-amerikanischen fünften Kolonne in
der Schweiz spielen, muss durch zuständige Kommissionen des Parlamentes
untersucht werden. •
Unnötiges Leiden verhindern!
Revidiertes Protokoll II zum Übereinkommen über konventionelle
Waffen von 1980 (CCW, Convention on Certain Conventional Weapons)
Art. 3 Allgemeine Beschränkungen des Einsatzes von Minen, Sprengfallen und
Dossier Uranwaffen
13
Zeit-Fragen 2007
anderen Vorrichtungen
1. Dieser Artikel findet Anwendung auf
a) Minen,
b) Sprengfallen und
c) andere Vorrichtungen.
2. Jede Hohe Vertragspartei oder jede an einem Konflikt beteiligte Partei ist in
Übereinstimmung mit diesem Protokoll für alle von ihr verwendeten Minen,
Sprengfallen und anderen Vorrichtungen verantwortlich und verpflichtet sich,
diese entsprechend den Ausführungen in Artikel 10 zu räumen, zu beseitigen,
zu zerstören oder zu unterhalten.
3. Es ist unter allen Umständen verboten, Minen, Sprengfallen oder andere
Vorrichtungen einzusetzen, die dazu bestimmt oder geeignet sind, überflüssige
Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen. […]
8. Der unterschiedslose Einsatz der Waffen, auf die dieser Artikel Anwendung
findet, ist verboten. Als unterschiedsloser Einsatz gilt jede Anbringung
derartiger Waffen,
a) die nicht an einem militärischen Ziel erfolgt oder nicht gegen ein solches
Ziel gerichtet ist. Im Zweifelsfall wird vermutet, dass ein in der Regel für zivile
Zwecke bestimmtes Objekt, wie beispielsweise eine Kultstätte, ein Haus, eine
sonstige Wohnstätte oder eine Schule, nicht dazu verwendet wird, wirksam zu
militärischen Handlungen beizutragen,
b) bei der Verlegemethoden oder -mittel verwendet werden, die nicht gegen
ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden können, oder
c) bei der damit zu rechnen ist, dass sie auch Verluste unter der
Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler
Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen verursacht, die in keinem
Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil
stehen.
Nr.7, 21. Februar 2007, Seite 10
Wie der Uranstaub den Körper schädigt
Die promovierte Biologin und Krebsexpertin Rosalie Bertell erläutert in ihrem
Aufsatz ausführlich, wie die Nanopartikel aus Uran im Stoffwechselgeschehen
der Körperzellen und auf die Erbinformation der DNA in den Zellen Einfluss
nehmen. Sie macht deutlich, dass auf der Ebene des biologischen
Zellgeschehens immer eine Vielfalt von Faktoren in Wechselwirkung
zueinander stehen. Nur die Berücksichtigung dieser Komplexität bringt die
volle schädigende Wirkung des Uranstaubs als radioaktives Schwermetall
zusammen mit anderen Faktoren zum Vorschein. Die eindimensionalen
mathematischen Schadensberechnungen der Strahlungskommissionen im
Dienste des militärisch-industriellen Komplexes können – und wollen – die
Schädigungen durch den Uranstaub nicht zur Kenntnis nehmen.
Zusammenfassend stellt sie fest:
Die Probleme «sind viel zu komplex, als dass sie mittels einer
reduktionistischen Methode, die den toxischen Effekt einer einzelnen
Komponente herausfiltert – selbst wenn es sich um DU handelt –, beurteilt
werden könnten. Eine Erhöhung der freien Radikale, Schwermetallvergiftungen,
Dossier Uranwaffen
14
Zeit-Fragen 2007
die Komplexität und Sensitivität gestörter Zellreaktionen, geschädigte
Organellen, dysfunktionale Enzyme und Hormone und das Eindringen von
Mykoplasmen – alles Vorgänge, die gleichzeitig innerhalb lebenswichtiger
Organe stattfinden – verursachen enorme Probleme für das Leben und
Überleben. Die von Physikern verwendete mathematische Methodik eignet sich
nicht für unlösliche Nanopartikel wie das keramische DU, das zusammen mit
dieser toxischen Suppe innerlich eingelagert ist.
Die mathematische Standardberechnung des strahlungsbedingten
Krebstodrisikos ist auf Grund der zahlreichen anderen karzinogenen
Mechanismen, der Fehlfunktionen bei der Zellreparatur und komplexen
biochemischen Reaktionen, die nicht in die Berechnungen einbezogen sind,
voraussichtlich irreführend. Bei den Veteranen, deren Krankheiten durch
innerliche radioaktive Verseuchung und durch die verschiedenen
Fehlfunktionen der Zellen verursacht wurden, und die trotzdem versuchen, ein
normales Leben zu führen und ihre Familien zu ernähren, ist die
strahlenphysikalische Vorhersage über das durch Niedrigstrahlung verursachte
Krebs todrisiko wahrscheinlich sowohl falsch als auch irrelevant. Die Behörden
werden aber diese unzutreffenden Modellrechnungen sehr ernst nehmen, wenn
es um die Vergabe von Schadenersatz geht.
Die Kriegsveteranen und auch das medizinische Personal, das ihnen hilft,
müssen verstehen, was in diesem Krieg geschah und was getan werden kann,
um die Situation der Veteranen zu verbessern. Sie brauchen medizinische,
finanzielle und politische Hilfe.» •
Quelle: International Journal of Health Services, Volume 36, Number 3, Pages
503-520, 2006 © 2006, Baywood Publishing Co., Inc., Seite 516
(Übersetzung Zeit-Fragen)
Grauenvolle Folgen für das werdende Kind
«Lösliches Uranoxid und alle Nanopartikel können in die Plazenta eindringen,
und sie sind besonders giftig für den sich schnell entwickelnden Embryo oder
Fötus. In niedrigen Dosen schädigen sie das fötale Gehirn und bewirken so
Verhaltensprobleme wie Aggressivität und Hyperaktivität oder geistige
Behinderung. Weitere teratogene Effekte sind angeborene Missbildungen und
Krankheiten. Die noch nicht vollständig entwickelten Immun- und
Hormonsysteme des Fötus sind stärker gefährdet als die eines
ausgewachsenen Menschen.
Eine offizielle epidemiologische Studie* beschäftigte sich mit der Gesundheit
der Kinder von Golf-Kriegs-Veteranen. Es war eine Studie über Veteranen im
allgemeinen und beschränkte sich nicht auf diejenigen, die am Golf-KriegsSyndrom litten oder von denen man wusste, dass sie DU ausgesetzt gewesen
waren. Diese von Han Kang vom US-Department of Veterans’ Affairs
durchgeführte Studie über Geburtsfehler bei Kindern von Kriegsveteranen in
den Vereinigten Staaten konzentrierte sich auf die erste Schwangerschaft nach
der Heimkehr aus dem Golf-Krieg. Knapp unter 21 000 Veteranen aus allen vier
Abteilungen der Streitkräfte, teils noch im Aktivdienst, teils pensioniert, wurden
in der Studie berücksichtigt (das sind etwa 70% der Personen, die Fragebögen
erhalten haben). Bei männlichen Golf-Kriegs-Veteranen fand man eine um das
Doppelte und bei weibliche Veteranen eine um das Dreifache erhöhte
Wahrscheinlichkeit, Kinder mit Geburtsschäden zu bekommen, als bei
Dossier Uranwaffen
15
Zeit-Fragen 2007
Veteranen, die nicht im ersten Golf-Krieg gedient hatten. Zu den
Geburtsdefekten gehörten zusammengewachsene Finger und Zehen,
Herzgeräusche, Anomalien der Chromosomen und Gehirntumore. Die Forscher
schlossen Fälle von Entwicklungsstörungen, vorgeburtlichen Komplikationen
und Kinderkrankheiten aus der Studie aus.» •
Quelle: Bertell, Rosalie, a.a.O., Seite 514
*Epidemiologie ist das Studium der Verbreitung und der Ursachen von
gesundheitsbezogenen Zuständen und Ereignissen in Populationen.
Uranmunition – der effiziente Killer
Einladung zur Informationsveranstaltung
Munition aus abgereichertem Uran wurde und wird auch heute in
Kriegsgebieten eingesetzt, was aber geleugnet und verschleiert wird.
Gravierende Gesundheitsschäden werden nicht nur bei Soldaten, sondern
auch bei der Zivilbevölkerung festgestellt und die Umwelt wird mit Uran
verseucht.
Diese Informationsveranstaltung will Sensibilisierungsarbeit leisten und durch
die Einbeziehung des EU-Parlaments und des nationalen Parlaments die
Ächtung dieser Waffen vorantreiben.
Tagungsort
Datum
Bozen, Schloss Maretsch
Freitag, 30. März 2007, 17 – 19.30 Uhr
Programm
17.00 Uhr Begrüssung
17.10 Uhr Film «Der Arzt und die verstrahlten Kinder von Basra»
Frieder Wagner, Filmemacher, Köln
18.10 Uhr Vortrag: «Urano, il nemico invisibile»
Stefania Divertito (Journalistin und Buchautorin, Neapel/Rom)
18.40 Uhr Vortrag: «Uran-Kolonialismus»
Claus Biegert (Journalist, GfbV, München)
anschliessend Diskussion
Veranstalter
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Organisation für eine solidarische
Welt (OEW),
unterstützt von Sepp Kusstatscher, MEP (Fraktion der Grünen im EU-Parlament)
Informationen: Tel. +43 471 312 280
Nr.8, 27. Februar 2007, Seite 1, 2, 3
Iran muss sich darauf vorbereiten, einen nuklearen
Angriff abzuwehren
von General Leonid Ivashov, Russland
Dossier Uranwaffen
16
Zeit-Fragen 2007
In dem gesamten Informationsfluss, der vom Nahen Osten kommt, sind immer
häufiger Berichte, die darauf hinweisen, dass die USA innerhalb der nächsten
Monate Nuklear schläge gegen Iran ausführen werden.
Zum Beispiel schrieb gemäss gutinformierten, aber nicht mit Namen
genannten Kreisen, die kuwaitische «Arab Times», dass die USA planen, noch
vor Ende April 2007 auf iranisches Territorium eine Raketen- und
Bombenattacke auszuführen. Der Angriff wird vom Meer her erfolgen und vom
Patriot-Raketenabwehrsystem unterstützt werden, damit eine Bodenoffensive
vermieden werden kann und die Wirksamkeit eines Gegenangriffs «irgendeines
Staates des Persischen Golfes» vermindert wird.
«Irgendein Staat» bezieht sich meistens auf den Iran. Die Quelle, welche die
Information der kuwaitischen Zeitung lieferte, glaubt, dass die US-Streitkräfte
im Irak und in anderen Ländern der Region durch die grenznahen PatriotRaketen gegen alle möglichen iranischen Raketenangriffe verteidigt werden
können.
Somit haben die Vorbereitungen für eine neue US-Aggression die
Abschlussphase erreicht. Die Exekutionen von Hussein und seinen engsten
Verbündeten waren ein Teil dieser Vorbereitungen. Sie dienten den
Bestrebungen der US-Strategen als «Tarnoperation», um die Situation sowohl
um Iran herum als auch im ganzen Nahen Osten absichtlich eskalieren zu
lassen.
Analysiert man die Folgen dieser Tat, sieht man zunächst, dass die USA
befohlen haben, den früheren irakischen Führer und seine Verbündeten zu
hängen. Dies zeigt, dass die USA einen unumkehrbaren Plan der Teilung des
Irak in drei kriegführende Pseudostaaten – einen schiitischen, einen
sunnitischen und einen kurdischen – beschlossen haben. Washington kalkuliert,
dass die Situation eines kontrollierten Chaos dabei helfen wird, die Versorgung
mit Erdöl aus dem Persischen Golf und andere strategisch wichtige
Transportrouten für das Öl zu beherrschen.
Schaffung einer Zone mit endlos blutigem Konflikt und
Destabilisierung der Region
Der wichtigste Aspekt in dieser Sache ist, dass im Herzen des Nahen Ostens
eine Zone mit einem endlosen blutigen Konflikt geschaffen wird und dass die
Nachbarländer des Irak – Iran, Syrien, Türkei (Kurdistan) – zwangsläufig mit
hineingezogen werden. Dies wird die Aufgabe der völligen Destabilisierung der
Region lösen; eine Aufgabe von allergrösster Wichtigkeit für die USA und
besonders für Israel. Der Krieg im Irak war nur ein Element einer ganzen
Abfolge von Schritten in dem Prozess der Destabilisierung der Region. Es war
nur eine Phase im Prozess, dem Ziel näherzukommen, mit Iran und anderen
Ländern, die die USA zu Schurkenstaaten erklärt haben oder erklären werden,
fertigzuwerden.
Dennoch ist es nicht einfach für die USA, jetzt in eine weitere militärische
Kampagne verwickelt zu werden, während der Irak und Afghanistan nicht
«befriedet» sind. (Den USA fehlen die nötigen Ressourcen für eine solche
Operation.)
Ausserdem verstärken sich auf der ganzen Welt die Proteste gegen die Politik
der Washing toner Neocons. Auf Grund des bisher Gesagten werden die USA
Atomwaffen gegen den Iran einsetzen. Dies wird nach dem US-Angriff auf Japan
1945 der zweite Fall einer Anwendung von Atomwaffen in einem militärischen
Konflikt sein.
Seit Oktober 2006 haben das israelische Militär und politische Kreise offen über
Dossier Uranwaffen
17
Zeit-Fragen 2007
die Möglichkeit eines atomaren Schlages und Raketenangriffes gegen Iran
gesprochen, und die Idee wurde von G. Bush sofort unterstützt. Zurzeit wird
diese Idee als «Notwendigkeit» eines atomaren Schlages verkauft. Der
Öffentlichkeit wird beigebracht zu glauben, dass solch eine «Möglichkeit»
nichts Absurdes ist und dass doch solch ein Atomschlag durchaus machbar sei.
Es gebe keinen anderen Weg, Iran zu «stoppen».
Wie werden die anderen Atommächte reagieren? Im Falle von Russland wird es
im besten Fall darauf hinauslaufen, dass es sich darauf beschränkt, die
Atomschläge zu verurteilen, und im schlimmsten Fall – wie im Falle der
Aggression gegen Jugoslawien – wird die Antwort so etwas sein wie «obwohl die
USA einen Fehler gemacht haben, hat das Opfer diesen Angriff selbst
provoziert».
Europa wird im Prinzip genauso reagieren. Möglicherweise wird die
Negativreaktion von China und verschiedenen anderen Staaten auf die
atomare Aggression stärker sein. In jedem Fall wird es keinen atomaren
Vergeltungsschlag auf die US-Streitkräfte geben (da sind sich die USA absolut
sicher).
Die Uno hat in diesem Zusammenhang keinerlei Bedeutung. Nachdem der UnoSicherheitsrat versagt hatte, die Aggression gegen Jugoslawien zu verurteilen,
war er praktisch mitverantwortlich dafür. Diese Institution ist nur in der Lage,
Resolutionen zu verabschieden, welche die russische und auch die französische
Diplomatie als ein Verbot des Einsatzes von Gewalt verstehen, die
amerikanischen und britischen Diplomaten dies aber im genau
entgegengesetzten Sinn interpretieren, nämlich als Billigung ihrer Aggression.
Was Israel betrifft, ist sicher, dass es von iranischen Raketenangriffen betroffen
sein wird. Möglicherweise wird der Widerstand der Hizbollah und der
Palästinenser stärker werden. Sich als Opfer verhaltend werden die Israeli
provozieren, um ihre Aggression zu rechtfertigen, und einige ertragbare
Schäden erleiden. Danach werden die empörten USA Iran endgültig
destabilisieren und so hinstellen, als sei dies noch eine noble
Vergeltungsmission.
Die Welt muss dringend die Einhaltung des Völkerrechts einfordern,
sonst nimmt der Wahnsinn seinen weiteren Lauf
Einige Leute tendieren dazu, zu glauben, dass Bedenken auf Grund weltweiter
Proteste die USA stoppen können. Ich glaube dies nicht. Die Wichtigkeit dieses
Faktors sollte nicht überschätzt werden. In der Vergangenheit habe ich in
stundenlangen Gesprächen versucht, Milosevic davon zu überzeugen, dass die
Nato dabei sei, einen Angriff auf Jugoslawien vorzubereiten. Für eine lange Zeit
konnte er dies nicht glauben. Er blieb dabei, mir zu erklären: «Lies doch nur die
UN- Charta. Welche Gründe werden sie haben, dies zu tun?»
Aber sie taten es. Sie ignorierten das Internationale Recht schändlichst und
taten es. Was haben wir heute? Ja, es war ein Schock. Man war empört. Aber
das Ergebnis war genau das, was die Aggressoren haben wollten – Milosevic ist
tot, Jugoslawien ist aufgeteilt, und Serbien ist eine Kolonie – Nato- Offiziere
haben im Verteidigungsministerium des Landes ihr Hauptquartier eingerichtet.
Gleiches passierte mit dem Irak. Es gab einen Schock, und man war empört.
Aber was die USA heute beschäftigt, ist nicht die Frage, wie gross der Schock
ist, sondern wie gross die Einkünfte ihres militärisch-industriellen Komplexes
sind.
Die Information, dass ein zweiter US- Flugzeugträger im Persischen Golf bis
Ende Januar ankommen wird, erlaubt es, die mögliche Entwicklung der
Dossier Uranwaffen
18
Zeit-Fragen 2007
Kriegssituation zu analysieren. Beim Angriff auf Iran werden die USA atomare
Waffen vor allem aus der Luft einsetzen. Cruise Missiles (mit denen sowohl
Flugzeugträger als auch Schiffe und U-Boote bestückt sind) und
möglicherweise ballistische Raketen werden eingesetzt werden. Vielleicht
werden den atomaren Schlägen Luftangriffe, die von den Flugzeugträgern aus
geflogen werden, und andere Angriffe folgen.
Das US-Kommando versucht, eine Bodenoperation auszuschliessen: Iran hat
eine starke Armee, und die US-Streitkräfte würden wahrscheinlich massive
Verluste erleiden. Dies ist für Bush, der sich sowieso schon in einer schwierigen
Situation befindet, nicht akzeptabel. Es sind auch keine Bodentruppen nötig,
um die Infrastruktur Irans zu zerstören, die Entwicklung des Landes
zurückzudrehen, eine Panik zu erzeugen und ein politisches, ökonomisches und
militärisches Chaos zu erzeugen. Dies kann in der Weise erreicht werden,
indem zuerst nukleare und anschliessend konventionelle Mittel der
Kriegsführung eingesetzt werden. Dies ist der Zweck der Verlegung des
Flugzeugträgerverbands in die Nähe der iranischen Küste.
Welche Mittel der Selbstverteidigung hat Iran? Sie sind beachtlich, aber
verglichen mit den US-Streitkräften sind sie viel schwächer. Iran hat 29
russische Tor-Systeme, die ganz bestimmt eine wichtige Verstärkung der
iranischen Luftabwehr sind. Jedoch zurzeit hat Iran keinen gesicherten Schutz
vor Luftangriffen.
Die Taktik der USA wird die gleiche sein wie üblich: Als erstes werden die
Luftabwehr und die Radaranlagen ausgeschaltet. Danach werden, ohne ein
Risiko einzugehen, die Flugzeuge in der Luft und auf dem Boden, die
Kontrollinstallationen und die Infrastruktur angegriffen.
Von jetzt [24.1.07] ab werden wir in den nächsten Wochen sehen, dass die
Informationskriegsmaschinerie mit ihrer Arbeit beginnen wird. Es wird eine
wachsende anti iranische militaristische Hysterie, neue Informationslecks,
Desinformation usw. geben.
Zur gleichen Zeit wird alles, was bisher ausgeführt wurde, für die prowestliche
Opposition und für einen Teil von Mahmoud Ahmadinejads Elite ein Signal sein,
sich für die kommenden Entwicklungen bereitzumachen. Die USA hoffen, dass
ein Angriff auf Iran unvermeidlich im Land zum Chaos führen wird und dass es
möglich sein wird, einige iranische Generäle zu bestechen, um so im Land ein
fünfte Kolonne zu schaffen.
Natürlich ist Iran ganz anders als der Irak. Aber, falls der Aggressor zwischen
den zwei Gruppierungen des iranischen Militärs – den islamischen
Revolutionsgarden und der Armee – mit Erfolg einen Konflikt erzeugt, wird sich
das Land in einer kritischen Situation wiederfinden, insbesondere, wenn es die
USA am Anfang ihres Feldzugs schaffen sollten, die iranische Führerschaft
auszuschalten und einen atomaren Angriff oder einen massiven Schlag
konventioneller Art gegen das zentrale Kommando des Landes auszuführen.
Ein neuer 9/11-Vorwand im Sinne des damaligen
«Reichstagsbrandes»?
Heute ist die Wahrscheinlichkeit eines US-Angriffs gegen Iran extrem hoch. Es
bleibt indessen unklar, ob der US-Kongress den Krieg genehmigen wird. Es
bedarf vielleicht einer Provokation, um dieses Hindernis aus dem Weg zu
räumen (zum Beispiel einen Angriff auf Israel oder Ziele in den USA,
einschliesslich der Militärbasen). Das Ausmass dieser Provokation könnte mit
dem des Angriffs vom 11.9. in New York vergleichbar sein. Dann wird der
Kongress dem Präsidenten sicherlich zustimmen und ja sagen. •
Dossier Uranwaffen
19
Zeit-Fragen 2007
Quelle: www.globalresearch.ca, Strategic Cultural Foundation (Russland), vom
24.1.2007.
(Übersetzung aus dem Englischen: Zeit-Fragen)
General Leonid Ivashov ist Vize-Präsident der Akademie für geopolitische
Angelegenheiten. Er war Chef der Abteilung für Allgemeine Angelegenheiten im
Verteidigungsministerium der Sowjetunion, Sekretär des Rates der
Verteidigungsminister der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), Chef
des Departements für militärische Zusammenarbeit beim
Verteidigungsministerium der Russischen Föderation und Generalstabschef der
russischen Armeen.
Nr.9, 5. März 2007, Seite 8, 9
Nachdenken über den Jugoslawien-Krieg und seine
Folgen
Der Nato-Einsatz von Uranwaffen und die Desinformationskampagne
zur Vertuschung ihrer Folgen
ws. Dezember 2000 war die Bevölkerung in allen Ländern Europas beunruhigt:
In jedem Land, das nach dem Kosovo-Krieg 1999 für die von der Uno
einberufene Kfor-Truppe eigene Soldaten gestellt hatte, drangen alarmierende
Berichte an die Öffentlichkeit: Viele der eingesetzten Soldaten kehrten nach
ihrem Einsatz schwer erkrankt in ihre Heimatländer zurück. Im Vergleich zu
ihrer Altersgruppe starben zigfach mehr Soldaten an einer besonders
aggressiven Form von Leukämie, litten an seltenen Atemwegserkrankungen
oder klagten über Krankheitssymptome, die bald als «Balkan-Syndrom»
deklariert wurden. Die deutliche Parallele zum «Golfkriegs-Syndrom»
amerikanischer Kriegsveteranen und zum Leiden und Sterben der irakischen
Zivilbevölkerung wurde überdeutlich. Immer mehr unabhängige Forscher –
insbesondere Ärzte und Epidemiologen – erkannten bereits in den 90er Jahren
den Zusammenhang der Probleme durch eine radioaktiv-chemische Vergiftung
der Menschen infolge der Aufnahme von Uranstaub über die Atemluft oder die
Nahrung. Wer Zugang zur Fachliteratur hatte, wusste zu diesem Zeitpunkt
bereits über diese verheerenden Kriegsfolgen der heutigen «modernen» Kriege
Bescheid. Doch wie konnte es kommen, dass dieses Thema in den letzten
Jahren so vollständig aus den Medien herausgehalten wurde und dass das
Wissen über die tödliche Wirkung der Uranwaffen erst jetzt wieder allmählich in
der breiten Öffentlichkeit Fuss zu fassen beginnt, wie in der CNN-Special
Investigation-Sendung vom 5./6. Februar 2007?
Der Kenntnisstand zu den Wirkungen der Uranwaffen
Durch die medizinische Praxis und durch zahlreiche wissenschaftliche Studien
ist mittlerweile ein grosses Wissen zur Entstehung und zu den Wirkungen des
Uranstaubs im menschlichen Körper verfügbar.* Der Kenntnisstand ist knapp
zusammengefasst folgender:
Die Nato-Kampfverbände haben in den von ihnen geführten Kriegen aus Uran
bestehende Waffen (Panzergeschosse und bunkerbrechende Bomben)
eingesetzt. Uran hat durch seine aussergewöhnliche Dichte – es ist fast doppelt
so schwer wie Blei – eine extreme Durchschlagskraft, wenn es mit hoher
Dossier Uranwaffen
20
Zeit-Fragen 2007
Geschwindigkeit als Geschoss auf ein Ziel trifft. Bei dem Aufschlag und
Durchdringen eines harten Zieles verbrennen die Urangeschosse
explosionsartig zu Uranstaub, bis zu 70% der Masse (bei bunkerbrechenden
Bomben noch mehr). Dieser Uranstaub besteht zum grössten Teil aus Partikeln,
die kleiner als 2 Mikron (Millionstelmeter) sind und beim Einatmen die BlutLuftschranke der Lunge überwinden und in den Körper eindringen können.
Etwa die Hälfte dieser Uranpartikel ist löslich, das heisst, sie werden über das
Blut und die Niere nach Tagen zu einem grossen Teil ausgeschwemmt. Ein Teil
der Krankheitsbilder ist durch diesen körpereigenen Transportweg des Urans
bedingt: Nierenschmerzen, Stoffwechselerkrankungen, Nierenerkrankungen.
Die andere Hälfte der vom Körper aufgenommenen Uranpartikel liegt in einer
keramischen Uranoxid-Form vor, die nicht oder nur über Jahre hinweg langsam
ausgeschwemmt werden kann. Diese Partikel können sich nach Eindringen in
den Körper über das Blut und über das lymphatische System im gesamten
Organismus ausbreiten und sich an irgend einer Stelle festsetzen. Durch die
dann vor Ort einsetzende Schädigung des umliegenden Gewebes durch die
chemische (Schwermetall) und radioaktive (Alphastrahlen, durch die
Zerfallsprodukte von Uran auch Beta- und Gammastrahlen) Giftigkeit entstehen
je nach Wirkungspunkt die unterschiedlichsten Erkrankungen:
Stoffwechselerkrankungen, Immunschwächekrankheiten, Blutungen,
Krebserkrankungen, besonders auffallend Leukämie und Lymphome. Auf die
Verteilung des Uranstaubs im Körper weisen insbesondere die gleichzeitig an
verschiedenen Organen auftauchenden Erkrankungen hin. Eine sonst sehr
seltene Häufung von mehreren gleichzeitig und unabhängig im Körper
entstehenden Krebsherden weist auf diesen Verlauf hin, genauso wie die in
bestimmten geographischen Regionen bzw. Familien gehäuft auftretenden
Krebserkrankungen, die vorher in der Region bzw. bei den betroffenen Familien
nicht existierten. Die radioaktive Schädigung wirkt insbesondere auf das
werdende Kind im Mutterleib ein. Die radioaktive Strahlung schädigt das Erbgut
einzelner Körperzellen, so dass im Zuge der weiteren Zellteilungen und
Organentwicklungen im Fötus extremste Missbildungen entstehen. Neben
monströsen Deformationen (ausserhalb des Körpers liegende Organe,
ausserhalb des Schädels liegendes Gehirn, fehlender Kopf, Fischhaut und
-augen und viele andere Anomalien) kommen gehäuft Kinder ohne Augen und
mit missgebildeten Gliedmassen zur Welt.
Das sind die Tatsachen. Tatsachen, die 1991 durch den deutschen Arzt
Professor Dr. med. Siegwart-Horst Günther für die irakische Zivilbevölkerung
erstmalig beschrieben wurden; Tatsachen, die 1992 durch den amerikanischen
Strahlenmediziner und ehemaligen US-Militärarzt Prof. Dr. med. Asaf Durakovic
für amerikanische Golf-Kriegs-Veteranen nachgewiesen wurden und auf die
Forscher wie die Epidemiologin Rosalie Bertell immer wieder mit Dringlichkeit
verwiesen; Tatsachen, die der Friedensbewegung in Europa ab Ende der 90er
Jahre und dann auch einer breiteren europäischen Öffentlichkeit im Dezember
2000 und Anfang Januar 2001 durch viele Medienberichte bewusst wurden. Im
Januar 2001 waren die europäischen Zeitungen gefüllt mit Berichten über die
Situation.
Gerade angesichts dieser Tatsachen und auch des Kenntnisstandes der
europäischen Friedensbewegungen drängt sich als Frage unabweislich auf:
Warum sind wir Menschen angesichts dieser Lage nicht seit spätestens Januar
2001 bis in jede Faser unseres Herzens und unseres Fühlens alarmiert? Warum
lassen uns die Bilder der erkrankten Kinder und Neugeborenen nicht
aufschrecken, nachdenken und handeln?
Dossier Uranwaffen
21
Zeit-Fragen 2007
Der «full scale action-plan» der Nato
Die Bevölkerung wurde von der US-geführten Nato seit spätestens Mitte der
90er Jahre in den USA und seit spätestens Frühjahr 2001 in Europa abgelenkt
und in die Irre geführt. Diese Desinformationskampagne ist – neben dem
Einsatz der Uranwaffen selbst – ein weiteres Verbrechen, das die US-Regierung
und die Nato-Führung seit 2001 begangen haben. Mira Beham und Jörg Becker
beschreiben in ihrer Studie Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod,
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2006, ISBN 3-8329-1900-7, wie
solche politischen Manipulationsaufträge aussehen.
Der Januar 2001, genauer der 10. Januar 2001, an dem die Nato unter
Moderation des damaligen Generalsekretärs Lord Robertson eine
Pressekonferenz und ein Briefing für ausgewählte Journalisten mit
Wissenschaftern im Dienste des Militärs veranstaltete, ist ein wichtiges Datum,
das den Scheidepunkt markiert. Bis zu diesem Datum wurden täglich
alarmierende Berichte über das Problem der Uranwaffen in den «Leitmedien»
vieler europäischen Länder veröffentlicht, und Politiker und Parteien –
interessanterweise immer aus den jeweiligen Oppostionslagern – meldeten sich
zu Wort. Ihre Überlegungen wurden über die Leitmedien zu Beiträgen einer
öffentlichen Debatte. Nach dem 10. Januar 2001 verstummte die Diskussion.
Der Spiegel beendete erst am 22. Januar 2001 – noch mit einem sehr
lesenswerten Artikel – die Behandlung des Themas. Andere hatten schon
vorher «abgestellt», ab Februar wurden in diesen Medien – wie auf Kommando
– keine weiteren Berichte mehr zu dem Thema veröffentlicht. Statt dessen
wurden – um es allen klarzumachen – einige speziell vorbereitete, das Thema
«abschliessende» Veranstaltungen durchgeführt, an denen Wissenschafter, im
Sold abhängiger Institutionen stehend, zur Entwarnung bliesen und anwesende
Militärs und Politiker den Beschluss «Ende der Debatte» umsetzten.
Seitdem herrschte in der politischen öffentlichen Debatte und in den
Massenmedien Grabesstille. Hie und da gab es ein aufflackerndes Aufbegehren
von menschlich berührten und engagierten Bürgern und Politikern, so
geschehen zum Beispiel auch in der Schweiz und in Deutschland. Doch wurde
dieses Aufbegehren aus unklarem Hintergrund immer wieder zum Erliegen
gebracht. Da sich die grossen Medien nicht mehr der Sache annahmen oder
annehmen durften, blieb der für eine demokratische Gesellschaft vorgesehene
Prozess des Aufmerksammachens und Aufmerksamwerdens aus. Dass die
vorgebrachten «Befunde» schon bei oberflächlicherem Hinsehen in
gesteuerten Laboren und Organisationen fabriziert wurden, während aufrechte
Wissenschafter durch Repressalien gebrochen werden sollten, wurde vom
Durchschnittsbürger schon nicht mehr zur Kenntnis genommen.
Seitdem ist eine lange Zeit vergangen, in der in den betroffenen
Kriegsregionen das Sterben auf den Krebsstationen oder schlicht in den
Wohnungen der Menschen unvermindert seinen Fortgang nimmt. Seitdem wird
in weiteren Kriegen in Afghanistan und im Irak weiteres Sterben gewollt und
gemacht.
Menschen, die sich nicht abbringen liessen
Nicht wenige Persönlichkeiten blieben über die Jahre bei der Sache. Im
Mitgefühl für die Zivilbevölkerung und für die verheizten Soldaten arbeiteten
sie unermüdlich weiter und trugen Fakt um Fakt zusammen. Wichtige Beispiele
und Vorbilder seien genannt.
Im Herbst 2003 wurde von Marion Küpker und anderen in Hamburg die «World
Dossier Uranwaffen
22
Zeit-Fragen 2007
Uranium Weapons Conference», die «Welturanwaffenkonferenz»
(www.uranwaffenkonferenz.de), durchgeführt. Diese Konferenz trug über drei
Tage hinweg Erfahrungen und Wissen von Betroffenen und Forschern aus der
ganzen Welt zusammen. Die Menschheit kann den Organisatoren und
Teilnehmern ohne Übertreibung ewig dankbar sein für diese Konferenz – denn
ewig werden wir mit den Auswirkungen der Uranwaffen zu leben haben. Jeder
einzelne Kongressbeitrag – über das Internet zu bestellen oder online
herunterzuladen – ist ein Dokument für sich.
Dai Williams ist seit 1999 als unabhängiger Forscher daran, Licht in das
furchterregende Waffenarsenal der kriegführenden Mächte zu bringen. Als
mitfühlender Mensch und politisch handelnder Bürger hat er zusammen mit
anderen akribisch genaue Untersuchungen vorgenommen, Berichte und
Stellungnahmen verfasst, die es wert sind, sehr genau von den politisch
verantwortlichen Gremien und Institutionen zur Kenntnis genommen zu
werden. (zum Beispiel zum jüngsten Libanon-Krieg:
www.eoslifework.co.uk/pdfs/u26leb19oct.pdf)
In Amerika haben sich Golf-Kriegs-Veteranen zusammengetan und sich
entschlossen, es nicht hinzunehmen, von der Veterans Administration zum
Sterben in isolierte Krankenhäuser abgeschoben zu werden. Ähnliche
Organisationen gibt es in Grossbritannien und auch in Frankreich.
(Informationen zum Beispiel unter:
www.traprockpeace.org/depleted_uranium.html und www.poisondust.org)
Felicity Arbuthnot beschreibt in ihrem Artikel aus der Februar-Ausgabe 2007
des The Ecologist unter dem Titel «They’ve sent Helbig after me. A dark tale of
how the powers-that-be try to discredit those who oppose their world view» wie
Wissenschafter von einer kleinen Pentagon-Arbeitsgruppe eingeschüchtert und
bedroht wurden.
Irakische Wissenschafter haben sich trotz der Bedingungen des Embargos an
die mühevolle Arbeit der Sammlung und Auswertung geologischer und
epidemiologischer Messdaten gemacht. Einen sorgfältigen Überblick über
eigene Arbeiten und diejenigen ihrer Kollegen bietet Frau Professor Souad N.
Al-Azzawi in ihrer Veröffentlichung «Depleted Uranium Radioactive
Contamination in Iraq: An Overview» (www.globalresearch.ca/index.php?
context=viewArticle&code=AL-20060831&articleId=3116). Frau Prof. Al-Azzawi
wurde für ihre Arbeit mit dem von Claus Biegert und Franz Moll initiierten
Nuclear Free Future Resistance Award geehrt. (www.nuclear-free.com/deutsch/
souad.htm)
Verschiedene Filmemacher, vom Leid der Menschen berührt, haben sich mit
grossem persönlichen Engagement eingearbeitet und Werke geschaffen, die es
uns Bürgern erlauben, uns mit ernster Entschlossenheit dem Thema der mit
radioaktiven Waffen geführten Kriege und der geschundenen Zivilbevölkerung
wieder zuzuwenden. Der deutsche Filmemacher Frieder Wagner hat seinen
2004 erstellten Dokumentarfilm «Der Arzt und die verstrahlten Kinder von
Basra» zu einer Kinoversion ausgearbeitet, die gegenwärtig unter dem Namen
«Deadly Dust» auf verschiedenen Kinofestivals vorgestellt wird und bald in den
Kinos gezeigt werden kann.
Der japanische Fotojournalist und Filmemacher Naomi Toyoda war mehrfach
und auch während des zweiten Golf-Krieges im Irak. Auch sein Film «Unknown
Terror of DU – Iraqi Children now» erschüttert zutiefst und fordert unser
Handeln. (Kontaktadresse für die Bestellung des Films: [email protected])
Dossier Uranwaffen
23
Zeit-Fragen 2007
Die Zeit ist gekommen
Die Zeit ist gekommen, den Folgen ins Auge zu schauen. Die Berichte über die
Kranken, Sterbenden und bereits Verstorbenen lassen sich nicht mehr
unterdrücken. CNN hat das Thema in einer Morgensendung an zwei
aufeinanderfolgenden Tagen wieder aufgegriffen (5. und 6. Februar, CNN
American Morning’s Special Investigation, Do U.S. troops know about the
dangers of depleted uranium? von Greg Hunter).
Michel Chossudovsky hat in ebendiesem denkwürdigen Januar 2001 den
nachstehenden Überblick «Low Intensity Nuclear War» verfasst: ein Alptraum,
der einen nicht mehr loslässt.
Er dokumentiert den Kenntnisstand über die Auswirkungen des Einsatzes von
Uranwaffen, und er beschreibt andererseits, wie der militärisch-industrielle
Komplex schon vor 2001 jede wissenschaftliche Untersuchung zu diesem
Problem abwürgen wollte und wie die Uno-Organisationen UNEP und WHO
unter ihrem Druck nicht arbeiten konnten. Er zeigt auch auf, wie innerhalb
dieser Organisationen willfährige Funktionäre und Wissenschafter mit der
Durchführung der manipulierten Untersuchungen beauftragt wurden, während
andere «geschasst» wurden, damit amtliche Ergebnisse in entsprechender
Färbung hinausgehen konnten.
Chossudovsky hat seinen Bericht vom Januar 2001 im November 2006 auf
seiner Homepage www.globalresearch.ca wieder zugänglich gemacht. Im
Lichte der seitherigen Entwicklung in den Kriegsgebieten liest er sich nochmals
ganz anders. Unsere Generation muss sich der Aufgabe stellen und die
humanitäre Zukunftsaufgabe in Angriff nehmen. •
*Neben den im Artikel von Michel Chossudovsky genannten Quellen kann für einen
Einstieg in die Fachliteratur dienen: Asaf Durakovic, Undiagnosed Illnesses and
Radioactive Warfare, Croatian Medical Journal, 44(5, 2003):520-532,
www.cmj.hr/2003/44/5/14515407.pdf, und Rosalie Bertell, Occupational Hazards of
War. Depleted Uranium: All the Questions About DU and Gulf War Syndrome Are not
yet Answered, International Journal of Health Services, Vol. 36 (2006), Nr. 3, Pages
503-520, www.iicph.org/docs/occupational-hazards-of-war-du.pdf
Nr.9, 5. März 2007, Seite 9, 10
Low Intensity Nuclear War
Die Auswirkungen von abgereichertem Uran auf die Zivilbevölkerung
des Balkans
Michel Chossudovsky, geschrieben 15. Januar 2001, erneut veröffentlicht am 5.
November 2006
Die UN-Umweltorganisation (United Nations Environment Program, UNEPa) und
die Weltgesundheitsorganisation (WHOb) verbreiten die Illusion, dass
(entgegen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen) mit dem Gesundheitsrisiko
von abgereichertem Uran (Depleted Uranium, DU) leicht umzugehen sei, indem
die «betroffenen Zielgebiete» der A-10-Flugzeuge der US-Air Force [welche
panzerbrechende DU-Munition verschiessen, die Red.] abgesperrt und
«gesäubert» würden. Übergangen wird dabei die Tatsache, dass der
radioaktive Staub sich bereits weit über den Bereich der 72 «identifizierten
Dossier Uranwaffen
24
Zeit-Fragen 2007
Zielstellen» in Kosovo hinaus verbreitet hat. Die meisten Dörfer und Städte,
einschliesslich Pristina, Prizren und Pec, liegen innerhalb eines Radius von 20
km um die Einschlagorte, was bedeutet, dass die gesamte Provinz kontaminiert
ist und nicht nur sogenannte «Friedenstruppen», sondern auch die gesamte
Zivilbevölkerung gefährdet ist.
Der Leukämietod von acht italienischen Soldaten, die in Bosnien und in Kosovo
stationiert waren, führte zu Tumulten im italienischen Parlament, nachdem der
Zeitung «La Republicca» geheime militärische Dokumente zugespielt worden
waren. Das portugiesische Verteidigungsministerium beteiligte sich an der
Vertuschung der Todesursache eines portugiesischen «Friedenssoldaten»,
Coporal Hugo Paulino. Als Todesursache wurde eine Herpes infektion
angegeben und der Familie die Genehmigung zur Exhumierung und
Untersuchung der Todesursache verweigert.1
Der portugiesische Verteidigungsminister Julio Castro Caldas sah sich im
November auf Grund des steigenden politischen Drucks genötigt, dem NatoHauptquartier mitzuteilen, dass er seine Truppenteile aus Kosovo zurückziehe:
«Sie sind nicht da, um Uran-Futter zu werden», sagte er.2
Durch das Bekanntwerden von immer mehr Krebserkrankungen unter den
«Friedenstruppen» auf dem Balkan begann die Nato-Vertuschungsstrategie zu
scheitern. Verschiedene europäische Regierungen sahen sich gezwungen, die
Öffentlichkeit über «mögliche Gesundheitsrisiken» durch die von der USamerikanischen Luftwaffe in den 78 Tagen Nato-Krieg gegen Jugoslawien
verwendete DU-Munition zu informieren.
Die westliche Presse verweist jetzt auf eine offensichtliche «Spaltung»
innerhalb der Militärallianz. In Wahrheit gab es zwischen Washington und
seinen europäischen Partnern keine Unstimmigkeiten oder gar Streitigkeiten,
bis der Skandal ans Licht kam.
Italien, Portugal, Frankreich und Belgien waren sich vollständig darüber im
Klaren, dass DU-Munition benutzt wurde. Den europäischen Regierungen waren
die Gesundheitsrisiken bekannt, einschliesslich jeder Menge diesbezüglicher
wissenschaftlicher Untersuchungen. An der Planung der A-10- PanzerabwehrEinsätze mit DU-Munition von den Luftwaffenbasen Aviano und Gioia del Colle
war Italien direkt beteiligt, beide Stützpunkte standen unter direkter Kontrolle
des italienischen Verteidigungsministerium.
Washingtons europäische Nato-Partner Grossbritannien, Frankreich, Türkei und
Griechenland haben selber DU-Munition in ihren Arsenalen, Kanada ist einer
der Hauptlieferanten für abgereichertes Uran. Die Nato-Staaten tragen die
Verantwortung für die Verwendung von Waffen, die durch die Genfer und
Haager Konvention sowie das Nürnberger Abkommen über Kriegsverbrechen
von 1945 geächtet sind, uneingeschränkt mit.3
Mit der schweigenden Billigung seiner Nato-Partner vertuschte Washington seit
dem Irak-Krieg die gesundheitlichen Folgen der Verwendung von DU-Munition
(«Golf-Kriegs-Syndrom»). Während die Nato bis vor kurzem die Verwendung
von DU-Munition im Jugoslawien-Krieg dementierte, wird nun zwar zugegeben,
DU-Munition verwendet zu haben, aber nun sollen die Geschosse nur eine
«vernachlässigbare Radioaktivität aufweisen […], und alle Rückstände, die eine
mögliche Gefährdung darstellen, lösen sich kurz nach dem Einschlag auf».4
Obwohl jeder Zusammenhang zwischen Todesfällen und abgereichertem Uran
bestritten wird, gibt das Pentagon zu, dass «die Hauptgefährdung durch
abgereichertes Uran besteht, wenn es eingeatmet wird».5 Ein eindeutig
zweideutiges Statement. Und wer atmet den radioaktiven Staub ein, wenn er
sich über das Land verteilt hat?
Dossier Uranwaffen
25
Zeit-Fragen 2007
Die nebulösen Stellungnahmen europäischer Regierungen verbreiten die
beunruhigende Illusion, dass ausschliesslich Militär- und ausländisches
Zivilpersonal durch das Einatmen von radioaktiven Partikeln gefährdet sein
könnte, als ob sonst niemand auf dem Balkan betroffen wäre. Die
Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung werden nicht erwähnt.
Ein neuer Konsens der Mainstream-Medien übt sich, ohne weiteres
Hinterfragen, ob denn nur «Friedensschützer» atmen, in sanfter Mittäterschaft.
Was ist aber mit allen anderen?6 Etwa 2 Millionen Zivilisten (Männer, Frauen,
Kinder) wurden allein in Kosovo seit Beginn der Bombardierung im März 1999
dem radioaktiven Fallout ausgesetzt. Über 20 Millionen Menschen im Balkan
sind möglicherweise gefährdet.
«Das Risiko in Kosovo und auf dem ganzen Balkan wird erhöht durch die
Ungewiss heit, wo und in welcher Form DU eingebracht worden ist und wie es
sich mit dem Wind und dem Oberflächenwasser weiter verteilt. Feldarbeiten,
Spazierengehen, einfach nur dort sein, Dinge berühren, atmen, Wasser trinken
– alles ist gefährlich. Britische Experten sagen voraus, dass auf dem Balkan
Tausende von Menschen an den Auswirkungen von DU erkranken werden. Die
radioaktiven und giftigen DU-Oxide zerfallen nicht. Sie sind permanent.»7
Zu beachten ist, dass die schwer bewaffneten «Friedenstruppen» zusammen
mit Uno-Personal und Zivilpersonal der «humanitären» Organisationen erst im
Juni 1999 Kosovo betreten haben. Die Ausbreitung des radioaktiven Staubs
begann aber schon am «Tag Eins» des 78tägigen Bombardements
Jugoslawiens. Mit Ausnahme der Nato-Spezialeinheiten, die die KosovoBefreiungsarmee KLA am Boden unterstützten, war kein Nato-Personal auf dem
Schlachtfeld. Mit anderen Worten: Während der «heissen» Phase des
Luftkrieges wurden keine Nato-Truppen radioaktivem Material ausgesetzt.
Daher ist die jugoslawische Zivilbevölkerung in einem viel stärkeren Masse
gefährdet, weil sie schon während des Bombardements dem radioaktiven
Fallout ausgesetzt war, nicht nur nach dem Krieg. Bisher wird in offiziellen
Stellungnahmen jedoch davon ausgegangen, dass nur Kfor-Truppen und
ausländisches Personal «möglicherweise gefährdet» sein könnten, was
impliziert, dass die lokale Zivilbevölkerung unwichtig ist. Nur die eigenen
Soldaten und ausländisches Personal wurden bisher auf mögliche radioaktive
Kontaminierung getestet.
Krebserkrankungen von Kindern
Erste Anzeichen einer Verstrahlung von Kindern – unter anderem Herpes im
Mundbereich, Ausschlag im Rücken- und Beinbereich – wurden in Kosovo
beobachtet.8 Im Norden Kosovos, der am wenigsten von DU-Geschossen
betroffen war, werden bereits 160 Personen mit Krebserkrankungen behandelt.
Seit den Nato-Luftangriffen ist dort die Leukämierate um 200% angestiegen,
Kinder kamen mit Missbildungen auf die Welt.9
Diese Informationen bezüglich ziviler Opfer, deren Veröffentlichung von der
United Nations Mission in Kosovo (Unmik) sorgfältig vermieden wurde,
widerlegen die zentrale «Annahme» der Nato, dass der radioaktive Staub sich
nicht über die eigentlichen Zielgebiete, die zum grössten Teil im südwestlichen
oder südlichen Teil des Landes an der mazedonischen und albanischen Grenze
liegen, verbreiten würde.
Diese Befunde decken sich mit denen aus dem Irak, wo die Verwendung von
DU-Munition zu einem «Anstieg von Krebs und Leukämie bei Kindern,
Lymphdrüsenkrebs und Geschwüren, Missbildungen an Föten und
Neugeborenen, körperlichen Missbildungen und genetischen Abweichungen»
Dossier Uranwaffen
26
Zeit-Fragen 2007
geführt hat.10 Untersuchungen an irakischen Kindern bestätigen, dass
«Leukämieerkrankungen bei Kindern in den Gebieten [des Irak], wo DUMunition benutzt wurde, um 600% angestiegen [sind]. Todgeburten, Geburten
oder Abgänge von Föten mit monströsen Abnormitäten und verschiedene
Krebsarten bei Kindern sind seit [dem Golf-Krieg von] 1991 gefunden
worden.»11
Vertuschung
UNEP und WHO haben sich stillschweigend die Ansichten von Nato und
Pentagon zu den gesundheitlichen Risiken von abgereichertem Uran zu eigen
gemacht. Für die erste von der UNEP geleiteten Untersuchung über DUStrahlenbelastungen verweigerte die Nato die Herausgabe von Kartenmaterial,
in dem die «betroffenen Gebiete» (wo DU-Munition eingeschlagen ist)
eingezeichnet waren.
Mit der Ausrede, es gäbe nur ungenügendes Material für zuverlässige
Untersuchungen der Auswirkung von DU-Munition, produzierte die UNEP eine
wenig überzeugende und unverbindliche Theoriestudie, die dem 1999er
Balkans Task Force-Report (BTF) über die Auswirkungen des Krieges auf die
Umwelt beigefügt wurde.12 Die Studie verwies auf die «mögliche Verwendung
von DU», womit unterstellt wurde, es sei nicht geklärt, ob überhaupt DUMunition verwendet worden sei.
Dieses Ausweichen der UNEP – mit dem Verweis auf ungenügendes
Datenmaterial – trug dazu bei, die bei Beginn der Bombardierung entstandene
öffentliche Besorgnis zu zerstreuen. Oder allgemeiner ausgedrückt: Der UNEP/
UNCHS-Balkans Task Force-Report spielte die Ernsthaftigkeit der von der Nato
verursachten Umweltkatastrophe herunter, obwohl überreichlich dokumentiert
ist, dass diese Katastrophe das Resultat sorgfältiger militärischer Planung
war.13
Für eine Studie von UNEP und WHO über die gesundheitlichen Auswirkungen
von abgereichertem Uran wären gar keine Nato-Karten mit eingetragenen
Zielgebieten notwendig gewesen. Eine solche Untersuchung, die
notwendigerweise eine Zusammenarbeit von medizinischem Fachpersonal
(Pädiatrie und Krebsforschung) mit Spezialisten für Strahlenkrankheiten
erfordert hätte, wurde nie durchgeführt. In Wahrheit verbreitete die UNEP
«wissenschaftliche» Behauptungen, um sich der Aufgabe einer tatsächlichen
Untersuchung zu entziehen.
Nach Angaben der UNEP «sind die Effekte von DU weitgehend an die Orte
gebunden, an denen DU eingesetzt wurde, und die betroffenen Gebiete sind
wahrscheinlich klein.»14
Diese These (ohne wissenschaftliche Beweise) wird auch von der UNEPSchwesterorganisation WHO geteilt:
«Sie müssten schon sehr nahe an einem zerstörten Panzer sein und das
innerhalb von Sekunden nachdem er getroffen wurde […] Es ist sehr
unwahrscheinlich, dass diese Soldaten Strahlung ausgesetzt waren.»15
Diese Stellungnahmen von UN-Körperschaften (die von Nato und dem
Pentagon zur Rechtfertigung des Einsatzes von DU-Waffen zitiert werden) sind
Teile und Bausteine der Tarnung. Sie befördern die Illusion, dass die
Gesundheitsgefahren für Soldaten und Zivilbevölkerung durch Absperren und
«Säubern» der «Zielgebiete» leicht zu beherrschen sind.
In diesem Zusammenhang warnte die WHO, dass Kinder, die in diesen
Gebieten spielen, durch abgereichertes Urans gefährdet sein könnten, «weil
Kinder […] dazu tendieren, Dreck in die Hand zu nehmen oder ihre Spielzeuge
Dossier Uranwaffen
27
Zeit-Fragen 2007
in den Mund zu stecken».16 Die WHO verschwieg jedoch, dass der radioaktive
Staub bereits über die Zielgebiete hinaus verbreitet worden war, was bedeutet,
dass alle Kinder in ganz Kosovo gefährdet sind.
Diese stillschweigende Komplizenschaft von UN-Unterorganisationen ist ein
weiteres Zeichen für den Verfall des UN-Systems, das sich unter der Hand an
der Vertuschung von Nato-Kriegsverbrechen beteiligt. Seit dem Golf-Krieg ist
die WHO ein Instrument zur Verhinderung von aussagekräftigen
Untersuchungen über die gesundheitlichen Auswirkungen von abgereichertem
Uran auf irakische Kinder, mit der Begründung «es fehle das Datenmaterial, um
eine eingehendere Untersuchung durchzuführen».17
UNEP und Nato ziehen am selben Strang
Während die öffentliche Empörung und die Beweise für Krebserkrankungen von
Balkan-Militärpersonal zunahmen, führte die UNEP im November 2000 eine
zweite Untersuchung durch, die laut Presseerklärung auch Vor-Ort-Messungen
von Beta- und Gammastrahlung in sogenannten «betroffenen Gebieten»
Kosovos einschloss.
Entgegen ihrer früheren Ablehnung einer Zusammenarbeit ziehen Nato und
UNEP gegenwärtig an einem Strang. Die Zusammensetzung dieser Mission
wurde in Abstimmung mit der Nato festgelegt, der Vertreter von Greenpeace
(der an der Studie von 1999 beteiligt war), wurde ausgeschlossen. Nato-Karten
waren problemlos verfügbar und die Untersuchung konzentrierte sich sehr
eingeschränkt auf die Entnahme von Wasser- und Bodenproben an 11 von
etwa 72 ausgewählten Standorten in Kosovo.
Die Betrachtung von weiterreichenden Gesundheitsaspekten war nicht
Bestandteil dieser Untersuchung. Die zwei von der WHO im Jahre 1999 (als Teil
der Theoriestudie) entsandten Medizinforscher wurden durch Experten des US
Army Center for Health Promotion and Preventive Medicinec und des AC
Laboratoriums Spiez (ACLSd), einer Fachstelle der Gruppe Rüstung im
Eidgenössischen Department für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport.
Das Schweizer ACLS hatte aktiv an den Chemiewaffen-Inspektionen im Irak
mitgearbeitet. Unter dem Deckmantel der Schweizer Neutralität betätigte sich
das ACLS als informelles Sprachrohr der Nato. Finanziert von der Schweizer
Regierung als deren Beitrag für die Nato Initiative Partnership for Peace war
das ACLS also gleichzeitig bei der Nato unter Vertrag.
Obgleich die November-Mission immer noch unter der Schirmherrschaft der
UNEP stattfand, übernahm die Schweizer Regierung die Finanzierung für den
grössten Teil der Felduntersuchungen durch die ACLS und spielte damit eine
zentrale Rolle. Diese Mission, die sich aus mit dem militärischen Establishment
verbundenen Vertretern zusammensetzte, arbeitete mit der Grundannahme
(ausführlich dargelegt auf der ACLS-Webseite), dass radioaktiver DU-Staub sich
nicht (unter gar keinen Umständen) über den Ort der Freisetzung hinaus
verbreitet.
Die Ergebnisse der Untersuchung, die im März 2001 veröffentlicht werden
sollen, stehen schon von vorneherein fest. Sie konzentrieren sich auf die
Strahlenbelastung in der unmittelbaren Nähe der Zielpunkte. Dem «back to
office report» vom Januar 2001 zufolge heisst es: «[Bereits] zu diesem
Zeitpunkt kann das Team feststellen, dass das Strahlungsniveau bei einigen
DU-Fundorten an vereinzelten Punkten geringfügig höher als normal ist. Es
wäre daher ein unnötiges Risiko für die Bevölkerung, mit Resten von DUMunition oder den Stellen, wo sie gefunden wurden, in direkten Kontakt zu
kommen.»18
Dossier Uranwaffen
28
Zeit-Fragen 2007
Zweierlei Mass
Wenn sich die Radioaktivität auf so «vereinzelte Punkte» beschränkt, warum
wurden dann die Kfor-Truppen von ihren Regierungen angewiesen, «keine
lokalen Produkte zu essen […] das Trinkwasser einfliegen zu lassen […] und
dass die Kleidung beim Verlassen des Landes zerstört und die Fahrzeuge
dekontaminiert werden müssen».19
Dem Direktor des National Gulf War Resource Center, Paul Sullivan, zufolge
kann das abgereicherte Uran in Jugoslawien sich schädlich auf
«landwirtschaftlich genutzte Gebiete auswirken, wo Vieh grast und
Ackerfrüchte wachsen, wodurch das Schreckgespenst einer möglichen
Verseuchung der Nahrungskette hervorgerufen werden kann». (Im November
2000 erhoben Golf-Kriegs-Veteranen, die unter den Auswirkungen von DU
leiden, eine Gemeinschaftsklage gegen die US-Regierung.)
Grossflächige Verseuchung
Laut Nato-Quellen wurden etwa 112 Ziele in Jugoslawien (von denen 72 in
Kosovo liegen) im Krieg mit DU-Panzerabwehrgeschossen angegriffen.
Zwischen 30 000 und 50 000 Schuss DU-Munition wurden abgefeuert.
Eine mehr als hinreichende Anzahl von wissenschaftlichen Ergebnissen
belegen, dass radioaktive DU-Aerosole sich vom «Punkt der Freisetzung» aus
über eine grosse Fläche ausbreiten, was bedeutet, dass grosse Teile der
Provinz Kosovo verseucht sind.
«Radioaktive Derivate können sich für Monate in der Luft halten […]. Ein
einziger Partikel in der Lunge reicht aus […], ein einzelner Partikel kann bis zu
den Lymphknoten wandern, wo die Radioaktivität die Abwehrkräfte gegen
Lymphomase und Leukämie herabsetzen kann.»20
Laut den Aussagen der weltweit anerkannten Radiologin Dr. Rosalie Bertell
«fängt abgereichertes Uran (DU) bei der Verwendung als Geschoss Feuer und
setzt ein tödliches radioaktives Uran-Aerosol frei, das mit nichts Bekanntem
vergleichbar ist. Es kann alle im Panzer umbringen. Dieses keramische Aerolsol
ist leichter als Uranstaub. Es kann sich in der Luft mehrere zehn Kilometer über
den Ort der Freisetzung hinaus ausbreiten oder sich mit Staub vermischen und
durch Wind oder menschliche Bewegungen wieder aufgewirbelt werden. Die
Partikel sind sehr klein und können von jedem eingeatmet werden: von Babys,
schwangeren Frauen, älteren Menschen und Kranken. Die radioaktiven
Keramikteilchen können jahrelang in der Lunge bleiben, das Gewebe mit
energiereichen Alphastrahlen in einem Umkreis von 30 Mikron verstrahlen, was
Emphyseme und/oder Fibrose hervorrufen kann. Die Keramik kann auch
verschluckt werden und Schädigungen des Verdauungstrakts und der inneren
Organe hervorrufen. Mit der Zeit durchdringt es das Lungengewebe und gerät
in den Blutkreislauf […]. Es kann Krebs auslösen oder Krebs fördern, der von
anderen karzinogenen Substanzen verursacht wurde.»21
Obwohl sich die Zielgebiete in Kosovo auf die südwestliche Grenze
konzentrieren, sind sie über die gesamte Provinz verteilt. Die meisten Städte
und Dörfer, einschliesslich Pristina, Prizren und Pec, liegen innerhalb eines
Radius von weniger als 20 km um die 72 DU-Zielgebiete, was bestätigt, dass
die gesamte Provinz verseucht ist.
Kriegsverbrechen der Nato
Die Bombardierung Jugoslawiens lässt sich am treffendsten als «Atomkrieg
niedriger Intensität» unter Benutzung von giftigen und radioaktiven
Geschossen und Waffen beschreiben. Es ist mehr als hinreichend
Dossier Uranwaffen
29
Zeit-Fragen 2007
dokumentiert, dass der radioaktive Fallout vermutlich Millionen Menschen auf
dem gesamten Balkan gesundheitlichen Risiken aussetzt.
Im März 1999 hatte die Nato die Luftangriffe mit dem Verweis auf
übergreifende humanitäre Prinzipien und Ideale gestartet. Die Nato kam
angeblich zur «Rettung» der Kosovoalbaner auf Grund der Behauptung, diese
würden von serbischen Truppen massakriert. Die forensischen Untersuchungen
von FBI und Europol bestätigen, dass diese Massaker nicht stattgefunden
haben. In grausamer Ironie sind nun die kosovoalbanischen Zivilisten unter den
Haupt-Opfergruppen von DU-Strahlung.
Um die Vertuschung insgesamt aufrechtzuerhalten, ist die Nato jetzt bereit,
einen Bruchteil der Wahrheit zu enthüllen. Das Militärbündnis – in
Zusammenarbeit mit den Regierungen der Nato-Staaten – will um jeden Preis
die «Friedenstruppen» im Zentrum der Aufmerksamkeit halten und die lokale
Zivilbevölkerung ausserhalb des Bildes lassen, denn wenn die ganze Wahrheit
ans Licht käme, könnten in der Öffentlichkeit Fragen aufgeworfen werden in
der Art: «Wieso sind die Kosovoalbaner, die wir doch angeblich retten wollten,
nun die Opfer des Krieges?» Die UN hat sowohl in Kosovo als auch in Bosnien
sorgfältig vermieden, Krebserkrankungen in der Zivilbevölkerung zu
dokumentieren. Der eingeengte Blick auf die «Friedenstruppen» ist Teil der
Vertuschungsstrategie, da er die Öffentlichkeit von dem grösseren Thema der
zivilen Opfer ablenkt.
Die Hauptopfer der DU-Waffen sind Kinder, wodurch ihr Einsatz zu einem
«Kriegsverbrechen gegen Kinder» wird. Der Einsatz von abgereichertem Uran
ist jedoch nur eines von mehreren Kriegsverbrechen der Nato im Irak und auf
dem Balkan.
Nach offiziellen Berichten leiden etwa 1800 Angehörige von Friedenstruppen
aus den Balkanstaaten (Bosnien, Kroatien und Kosovo) unter gesundheitlichen
Problemen infolge von DU-Strahlung. 22 Wenn derselbe Risikofaktor
(prozentual zur Bevölkerung) zugrundegelegt wird, muss davon ausgegangen
werden, dass die Zahl der Zivilisten im ehemaligen Jugoslawien, die an DUFolgeerkrankungen leiden werden, in die Zehntausende gehen wird. Der
britische Wissenschafter Roger Coghill geht diesbezüglich davon aus, dass «es
in der gesamten Balkan-Region 10 150 zusätzliche Todesfälle durch Krebs
infolge des Einsatzes von DU geben wird. Das schliesst die lokale Bevölkerung,
Kfor-Personal, Hilfsorganisationen und alle anderen ein.»23
Darüber hinaus werden sich nach einem während des Krieges in Athen
veröffentlichten Bericht die Auswirkungen des abgereicherten Urans sehr
wahrscheinlich über den Balkan, Albanien und Mazedonien hinaus ausbreiten.
Auch Griechenland, Italien, Österreich und Ungarn sehen sich einer möglichen
Bedrohung der menschlichen Gesundheit durch den Einsatz von radioaktivem
abgereichertem Uran im 1999er Krieg gegenüber.
Obwohl keine umfassenden Daten über Todesfälle unter Zivilisten erhoben
worden sind, beweisen bereits Teilerhebungen, dass seit dem Bosnien-Krieg
schon eine grosse Zahl von Zivilisten an den Folgen des DU-Einsatzes
gestorben ist:
«DU-Strahlung und der offensichtliche Einsatz von Entlaubungsmitteln durch
die US/Nato-Truppen gegen das serbisches Land und die Bevölkerung (in
Bosnien) haben zahlreiche Geburtsfehler bei Babys hervorgerufen, die nach
dem US/Nato-Bombardement und der Besetzung geboren wurden; das
Ausmass des Problems hat serbische Mediziner sprachlos gemacht und Panik in
der Bevölkerung ausgelöst.»24
Ein aktueller Bericht verweist auf Hunderte von Todesfällen unter der
Dossier Uranwaffen
30
Zeit-Fragen 2007
Zivilbevölkerung in einem einzigen Dorf:
«Das Dorf ist leer, der Friedhof voll. Bald wird es keinen Platz mehr für die
Toten geben. Unter den Flüchtlingsfamilien, die von Hadzici (in den
Aussenbezirken von Sarajewo) nach Bratunac gekommen sind, gibt es kaum
einen Haushalt, in dem nicht Trauer getragen wird […]. Auf ihnen sind frische
Kränze, deren Blumen noch nicht verwelkt sind. Auf den Kreuzen sind die
Todesjahre 1998, 1999 und 2000 zu lesen, und die zwanzigjährige Frau am
Ende der Reihe ist erst vor ein paar Tagen gestorben […]. Niemand hat sich je
vorgestellt, dass der zivile Teil des Friedhofes in nur ein oder zwei Jahren
überfüllt sein würde […]. Es passiert oft, dass Leute aus Hadzici sterben. Oder
sie reisen nach Belgrad zu einem Arzt, und wenn sie zurückkommen, erzählen
uns die Verwandten, dass sie an Krebs sterben. Die Chefärztin Slavica
Jovanovic […] hat eine Untersuchung durchgeführt und bewiesen, dass 1998
die Sterblichkeitsrate die Geburtenrate weit übertroffen hat. Sie erklärte uns,
dass das keine Frage des Schicksals sei, sondern etwas sehr viel Ernsteres […]
Zoran Stankovic, ein renommierter Pathologe von der Medizinischen
Militärakademie VMA ist sicher, dass mehr als 200 seiner Patienten aus diesem
Gebiet an Krebs gestorben sind, der sehr wahrscheinlich eine Folge des
Abwurfs von abgereichertem Uran in Bomben ist, die die Nato dort vor fünf
Jahren abgeworfen hat. Aber irgend jemand hat die Öffentlichkeit schnell zum
Schweigen gebracht, und alles wurde vertuscht. Sehen Sie, unser Friedhof ist
voll mit frischen Gräbern, während die Leute von Vinca (einem
Kernforschungsinstitut) uns sagen, Uran sei nicht gefährlich. Was für einen
Beweis brauchen Sie noch, wenn die Leute sterben? […] Die Flüchtlinge aus
Hadzici waren sehr viele, als sie in Bratunac ankamen. Es waren fast 5000.
Allein in den Sammelstellen wurden 1000 gezählt. Jetzt sagt Zelenovic, dass
nur noch 600 von ihnen übrig sind. Und sie hatten nichts anderes, wo sie
hätten hingehen können […]. Jeden dritten Tag stirbt irgend jemand an Krebs,
es gibt keinen Platz mehr auf den Friedhöfen.» 25 Fotos von irakischen
Kindern, die durch DU-Munition geschädigt wurden, finden sich im Internet.
(Bitte beachten Sie: Die Fotos sind sehr erschütternd, aber zur selben Zeit
geben sie Aufschluss über die US-Kriegsverbrechen in Irak, auf dem Balkan und
in Afghanistan, wo Uranmuniton eingesetzt wurde.) Einige der Fotografien sind
von dem bekannten Wissenschafter und Experten für DU-Strahlung Dr.
Siegwart-Horst Günther. •
Michel Chossudovsky ist Professor für Ökonomie an der Universität Ottawa und
Autor des Buches
«The Globalization of Poverty», Common Courage Press, 2001.
1 The Independent, London, 4.01.2001
2 s. Felicity Arbuthnot, It Turns out that Depleted Uranium ist Bad for Nato Troopsf,
Emperors Clothes vom 26.10.2000; vgl. auch das dortige Interview
3 Es ist von insgesamt 17 Ländern bekannt, dass sie DU-Munition in ihren Arsenalen
haben, darunter Russland, Israel, Saudi-Arabien und Südkorea. Vgl. Zajik, Vladimir:
Review of Radioactivity, Military Use and Health Effekts of Depleted Uranium, 1999
unter vzajic.tripod.com. Siehe auch John Catalinotto/Sara Flounders, Is the Israeli
Military Using Depleted Uranium Weapons against the Palestinians? International
Action Centerg, New York 2000
4 Agence France Presse, 4.01.2001
5 United Press International, 5.01.2001
6 vgl. F. Arbuthnot, a.a.O.
7 Piotr Bein, More on Depleted Uranium, Emperors Clothes, Oktober 2000, ebd.f
Dossier Uranwaffen
31
Zeit-Fragen 2007
8 Nach Dr. Siegwart-Horst Günther, Urangeschosse: Schwergeschädigte Soldaten,
missgebildete Neugeborene, sterbende Kinderh. Freibung 2000; vgl. auch
International Action Center, Metal of Dishonor. How the Pentagon Radiates Soldiers
and Civilians with DU-Weapons, New York 2000
9 Beta Nachrichten-Agentur, Belgrad, 10.01.2001, in einer BBC-Zusammenfassung von
Nachrichten der Welt vom 12.01.2001
10 Vgl. Rick McDowell, Ökonomische Sanktionen im Irak, Zeitschrift Z, November 1997
11 Carlo Pona, The Criminal Use of Depleted Uranium. Internationales Tribunal wegen
US/Nato-Kriegsverbrechen in Jugoslawien, International Action Center, New York,
10.06.2000. Metal of Dishonor, a.a.O.
12 Vgl. den Schlussreporti von UNEP/UNCHS: The Kosovo Conflict – Consequences for
the Environment & Human Settlements; siehe auch die «Theoriestudie»j über The
Potential Effects on Human Health and the Environment of the Possible Use of
Depleted Uranium (DU); ausserdem: UN considers New Data on Depleted Uranium in
Kosovo, UNEP, Genf, 20.9.2000
13 siehe Michel Chossudovsky, Nato Willingful Triggered an Environmental Disaster,
unter www.emperors-clothes.com
14 «Theoriestudie»j über The Potential Effects on Human Health and the Environment
of the Possible Use of Depleted Uranium (DU)
15 Nach Aussagen eines Toxikologen der International Agency for Research on
Cancer, einer Abteilung der WHO, Associated Press, 5.01.2001
16 Nach den Aussagen eines WHO-Spezialisten,
zitiert im Boston Globe vom 10.01.2002
17 Boston Globe vom 27.06.2000, Erklärung von Mark Parkin, Experte der
International Agency for Research on Cancer
18 s. UNEP-Presseerklärung, a.a.O.; s.a. UNEP, Advisory Note on Current Works on DU
by UNEP, 11.01.2001
19 s. Felicity Arbuthnot, It Turns out that Depleted Uranium ist Bad for Nato Troopsf,
Emperors Clothes vom 26.10.2000
20 Nach dem britischen Radiologen Rodger William Coghill, zitiert nach Associated
Press vom 5.01.2000
21 Rosalie Bertell, E-Mail an den Verfasser vom Mai 1999
22 Belgisch-Französische Radio-und Fernsehstation (RTBF), 9.1.2001
23 Calgary Herald vom 4.01.2001
24 Tika Jankovitch, Chemische und atomare Kriegsführung in Bosnien: Augenzeugen
der Hölle (21). Kommentar von Jared Israel vom 9.01.2001
25 Dubravka Vujanovic, Jeden dritten Tag stirbt jemand an Krebs; es gibt keinen Platz
mehr auf den Friedhöfen. Neldeni Telegraf, Belgrad, vom 10.01.2001; s.a. Robert Fisk,
I see 300 Graves that could bear the Headstone: «Died of Depleted Uranium», The
Independent, London, vom 13.01.2001
Internetverweise:
a www.unep.ch/
b www.who.org/
c chppm-www.apgea.army.mil
d www.labor-spiez.ch
e www.xs4al.nl/~stgvisie/VISIE/extremedeformities.html
f emperors-clothes.com/articles/arbuth/port.htm
g www.iacenter.org
h www.ahriman.com/buecher/guenther.htm
i postconflict.unep.ch/publications/finalreport.pdf
j postconflict.unep.ch/publications/du_final_report.pdf [sic!]
Quelle: Michel Chossudovsky, «Low Intensity Nuclear War», erste
Veröffentlichung 15. Januar 2001, erstmalig auf deutsch von Telepolis
Dossier Uranwaffen
32
Zeit-Fragen 2007
unter www.heise.de/bin/tp/issue/r4/dl-artikel2.cgi, 31. Januar 2001;
erneut veröffentlicht von Michel Chossudovsky, 5. November 2006 unter
www.globalresearch.ca/index.php?
context=viewArticle&code=CHO20061105&articleId=3716]
CNN-Special Investigation zu Uranmunition
Amerikanische Golfkriegsveteranen fordern Wahrheit und
Gerechtigkeit
An zwei aufeinanderfolgenden Tagen nahm sich CNN des Themas der
Uranmunition und deren Auswirkungen an. Obwohl die Schädlichkeit
der Uranmunition bekannt war, wurden selbst die eigenen Soldaten
nicht über die Gefahren informiert. Hundertausende der seit 1991
eingesetzten Soldaten klagen über Beschwerden, die als «GolfkriegsSyndrom» beschrieben werden. Das Pentagon hat jedoch bis heute jede
Gefährdung verneint und jede Verantwortung abgelehnt.
«[Moderator Greg Hunter] Die Veteranen sagen, dasss sie niemals vor
der Uranmunition gewarnt wurden. Nun verklagen sie die Armee, weil
sie vorsätzlich die Soldaten dem Uranstaub ausgesetzt hat und weil sie
versagt, die Soldaten angemessen zu behandeln.
[Ein Irakkriegsveteran]: Sie haben uns keine Information über
Uranmunition mitgegeben.
[Hunter]: Gar keine?
Gar keine.
Macht sie das wütend?
Absolut.
Warum?
Weil wir jetzt krank sind. Wir wissen nicht warum. Die Armee weiss nicht
warum, und sie nennen uns einfach Lügner.»
Die Soldaten klagen nun gegen die Armee, und ein Richter hat der
Klage auf Fehlverhalten der Armee stattgegeben. Ein weiterer
Moderator zieht die Parallele zu dem in Vietnam eingesetzten Gift Agent
Orange, bei dem betroffene Soldaten erst nach Jahrzehnten ihre Klagen
gegen das Militär durchsetzen konnten.
Quelle: 5. und 6. Februar 2007, CNN «American Morning’s Special
Investigation: Do U.S. troops know about the dangers of depleted
uranium?» transcripts.cn.com/TRANSCRIPTS/0702/05/ltm.02.html
Nr.11, 19. März 2007, Seite 7,8
Protokoll der CNN-Fernsehsendung «Good Morning,
America»
Dossier Uranwaffen
33
Zeit-Fragen 2007
«Das Einatmen von abgereichertem Uran hat ihn krank gemacht»
Moderator CNN: Es geht um eine äusserst wirksame und ebenso umstrittene
Waffe aus dem US-Militärarsenal. Sie besteht aus «abgereichertem Uran»
(Depleted Uranium) kurz DU. Wegen der erlittenen Gesundheitsschäden durch
dieses DU gehen nun einige Veteranen gerichtlich gegen die
Armeeverantwortlichen vor. Greg Hunter wird heute morgen bei uns sein. Er
macht eine spezielle «American Morning»-Untersuchung. Guten Morgen, Greg.
Greg Hunter, CNN-Korrespondent: Guten Morgen. Abgereichertes Uran, das ist
genau das Gebiet, über dessen mögliches Gesundheitsrisiko amerikanische
Soldaten Bescheid wissen wollen oder eventuell auch nicht.
DU-Munition ist die wirksamste Waffe der Amerikaner gegen Panzer.
Abgereichertes Uran oder DU verbrennt im Moment des Aufpralls und geht
durch eine Panzerung wie ein heisses Messer durch Butter. Gleichzeitig
entsteht eine Wolke von radioaktivem Staub. Während seines fünfmonatigen
Irak-Einsatzes im Jahre 2003 räumte der Spezialist Gerard Matthews in solchen
Fahrzeugen auf, die von DU-Geschossen getroffen worden waren. Er sagt, dass
ihn das Einatmen von abgereichertem Uran krank gemacht hat.
Gerard Matthew, irakischer Kriegsveteran: Ich kam mit chronischer Migräne,
Schwellungen im Gesicht und Sehstörungen zurück.
Matthews sagt auch, dass die Geburtsschäden seiner 21⁄2jährigen Tochter eine
direkte Folge seiner DU-Belastungen seien. Er und sieben weitere Veteranen
gehen nun wegen dieser DU-Schädigungen gerichtlich gegen die Armee vor.
Die Untersuchungen der Armee ergaben jedoch, dass es keinen direkten
Zusammenhang zwischen DU und den Krankheiten bzw. Geburtsschäden gibt.
Col. Mark Melanson, Walter Reed Army Medical Center: Die Radioaktivität von
abgereichertem Uran ist örtlich begrenzt auf die Geschosseinschlagsstelle und
stellt keine direkten signifikanten Gefahren für die Gesundheit dar.
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Medizinische Institut
(Institute of Medicine) sind mit dieser Aussage einverstanden. Sie fanden
keinen direkten Beweis für einen Zusammenhang zwischen DU und
Geburtsschäden oder Krebs bei Menschen. Aber eine vom Pentagon bezahlte
Studie vom Armed Forces Radio Biology Institute zeigte, dass die kombinierte
Wirkung von DU als Schwermetall und seine gleichzeitige Radioaktivität die
DNA schädigen und genetische Schäden und Tumore in tierischen und
menschlichen Stammzellen bewirken kann. Selbst die Militärführung warnte in
einem 1995 für das US-Militär produzierten Instruktionsvideo vor den
möglichen Gefahren, die beim Einatmen von DU-kontaminiertem Staub
auftreten können.
Sprecher Instruktionsvideo: Es kann eine Schwermetallvergiftung auftreten, die
Schäden in den inneren Organen und dem Gewebe hervorrufen kann.
Das gleiche Video spricht von radioaktiven Teilchen, die sich in der Lunge
festsetzen und über mögliche Wasser- und Bodenkontaminationen. Der
führende Armee-Experte für die Schulung dieses Gefahrenbewusstseins
bezüglich DU (Hazard Awareness Training) räumt ein, dass diese Schädigungen
alle möglich sind. Aber die US-Truppen, die in den Irak gehen, haben dieses
Dossier Uranwaffen
34
Zeit-Fragen 2007
Video nie gesehen.
Melanson: Es waren viele Irrtümer und widersprüchliche Aussagen in diesem
Schulungsvideo, so dass es nie fertiggestellt und bei der Truppe verteilt worden
ist.
Hunter: Statt dessen beschreibt das offizielle Armeeausbildungsvideo, das seit
dem Jahr 2000 gebraucht wird, die Kontaminierung mit DU auf folgende Art:
Sprecher Instruktionsvideo: Diese Emissionen sind deutlich unterhalb des USSicherheitsstandards und stellen keine Gefahr für Soldaten dar, die mit oder in
der Nähe von DU-Munition arbeiten.
Das neue Video sagt den Soldaten, sie sollen Handschuhe und Masken tragen,
vor allem innerhalb von DU-zerstörten Fahrzeugen oder im Umkreis von 50
Metern von Bränden, die DU-Staub enthalten könnten. Das Problem ist, dass
einige Soldaten wie Gerard Matthew sagen, dass sie es [dieses Video] nie
gesehen haben. Dr. Asaf Durakovic studierte für das US-Militär die
Auswirkungen von DU auf die Veteranen des ersten Golf-Krieges. Die
Ergebnisse haben ihn alarmiert. Heute forscht er privat [in seinem eigenen
Institut] weiter und untersuchte auch Veteranen des jetzigen Golf-Krieges.
Unter anderem auch Gerard Matthews, von dem Durakovic sagt, dass er einen
gefährlich hohen DU-Spiegel in seinem Körper hat.
Dr. Asaf Durakovic, Uranium Medical Research Center: Das Einatmen von
Uranstaub ist schädlich.
Sogar in kleinen Mengen?
Durakovic: Sogar in der Menge von einem Atom.
Durakovic sagt, dass diese kleinen Atome für den Rest eines Soldatenlebens
radioaktiv strahlen. Kann dies einem Soldaten auf Dauer schaden?
Dr. Michael Kirkpatrick, Health Affairs des US-Verteidigungsministeriums: Es
würde zur Menge der totalen Dosis im Körper dazukommen, obwohl diese
Partikel sehr, sehr klein sind.
Matthews Frau wünscht, ihr Mann hätte mehr über die möglichen Gefahren von
DU gewusst.
Frau Matthew: Er wurde nicht darüber informiert, dass es das Zeug dort gibt. Er
hat meine Tochter dem ausgesetzt, aber das ist nicht sein Fehler. Er wollte ja
nur unserem Land helfen.
Beamte des Verteidigungsministeriums sagen, dass das US-Militär während
des ersten Golf-Krieges 320 Tonnen abgereichertes Uran eingesetzt habe, aber
sie waren nicht in der Lage, uns zu sagen, wieviel DU sie während des letzten
Golf-Krieges verwendet haben, trotz unserer wiederholten Eingaben um
entsprechende Informationen. Veröffentlichte Berichte vermuten, dass das
Militär zwischen 1100 und 2200 Tonnen eingesetzt habe. Das macht eine bis
zu 6mal grössere Menge während der Operation «Iraqi Freedom» als im ersten
Golf-Krieg.
S. O’Brien: Also testen sie alle diese Soldaten, um zu sehen, ob sie
Radioaktivität aufgenommen haben?
Dossier Uranwaffen
35
Zeit-Fragen 2007
Die Regierung macht das, das Pentagon macht es, aber es gibt einige
Bundesstaaten, die eigene Gesetze verabschiedet haben, um ihre National
Guard-Truppen zu testen, weil sie sagen, dass der Test der Regierung nicht
empfindlich genug ist.
Samarra, Irak, Frühling 2003, im Irak, der Ort einer erbitterten Offensive der
Koalitionstruppen. Soldaten im Einsatz, beim Essen und Schlafen in Gebieten,
die durch abgereichertes Uran betroffen worden waren.
Für einige Soldaten markierte dieser Einsatz den Anfang einer anderen Art von
Kampf: Fünf Veteranen der Nationalgarde sagen aus, dass sie auf Grund ihres
Einsatzes dort vor Ort krank geworden sind.
Raymond Ramos, Irak-Kriegs-Veteran: Ich kam zu einem Punkt, an dem ich
manchmal nicht mehr stehen konnte. Die Kopfschmerzen waren unerträglich,
und ich bekam immer wieder Schwindelattacken.
Andere berichten über ähnliche Leiden: schmerzvolles Urinieren,
Kopfschmerzen und Gelenkschmerzen. Sie sagen, dass Militärärzte ihre
Symptome auf posttraumatischen Stress schieben.
Diesen Soldaten zeigten wir das Video, das die Armee 1995 gemacht hatte,
das aber nie verteilt worden war. Es warnte vor möglichen DU-Gefahren. Der
Armeeexperte für DU-Schulung räumt ein, dass gewisse Informationen aus
diesem Video stimmen. Zum Beispiel kann das Einatmen von radioaktiven
Partikeln schädlich sein.
Sprecher Instruktionsvideo: Alpha-Strahlung ist sehr kurz, ist aber die
gefährlichste, wenn sie in den Körper gelangt.
[Schnitt. Greg Hunter im Interview mit einem Offizier]
Würden Sie sagen, das Video ist korrekt, gibt aber zuviel Informationen?
Amerikanischer Offizier: Es vermittelt den Soldaten keine wirklich nützlichen
Informationen.
Die betroffenen Veteranen sagen, dass sie nie vor DU gewarnt worden sind. Sie
gehen nun gerichtlich gegen die Armee vor, weil diese sie wissentlich DUStaub ausgesetzt hätte und weil sie nie richtig medizinisch behandeln wurden.
Anthony Yonnone, Irak-Krieg-Veteran: Sie versahen uns mit keiner dieser
Informationen.
Mit gar keiner?
Yonnone: Mit keiner.
Macht Sie das zornig?
Yonnone: Absolut.
Warum?
Yonnone: Weil wir jetzt krank sind. Wir wissen nicht warum. Die Armee weiss
auch nicht warum, und sie bezeichnen uns einfach als Lügner.
Die Klage der Veteranen gegen die Regierung könnte durch ein Gesetz
zurückgewiesen werden, das das Militär vor Prozessen durch Soldaten schützt.
Aber ein Richter liess die Klage der Soldaten wegen falscher ärztlicher
Behandlung zu.
Dr. Asaf Durakovic, Uranium Medical Research Center: Ich persönlich nenne es
Dossier Uranwaffen
36
Zeit-Fragen 2007
«nicht so abgereichertes Uran».
In den 90er Jahren untersuchte Dr. Asaf Durakovic für das US-Militär die DUAuswirkungen auf die Gesundheit der Soldaten. Als privater Forscher sagt
Durakovic heute, dass seine Tests abnorm hohe DU-Werte im Urin dieser
Soldaten zeigten und dass diese Werte eine ernstzunehmende Gefahr für die
Gesundheit seien.
Durakovic: Bei den Menschen der Region, bei denen durch Tests
abgereichertes Uran nachgewiesen wurde, findet man genetische Schäden in
den Chromosomen.
Der oberste Gesundheitsexperte des Militärs sagt, dass das Testen von
Tausenden von Veteranen aus beiden Golf-Kriegen nur wenige positive
Befunde mit abgereichertem Uran gezeigt hätten.
Dr. Michael Kirkpatrick, zuständig für Gesundheitsangelegenheiten des USVerteidigungsministeriums: Wir fanden es nicht bei den 74 Personen, die
äusserst stark exponiert waren, und das, so denke ich, ist wirklich der goldene
Standard. Wenn sie Menschen nehmen, die dem stark ausgesetzt waren, es
aufgenommen (internalisiert) haben – haben einige das abgereicherte Uran
immer noch in ihrem Körper, scheiden sehr hohe Mengen mit ihrem Urin aus –
und ihre Gesundheit scheint bis zu diesem Punkt normal zu sein.
Einige Wissenschafter und Politiker behaupten, dass die Untersuchungen der
Armee nicht genug differenziert seien. Der Vertreter des Staates Connecticut,
Pat Dillon, half mit, ein Gesetz durchzubringen, das seinem Staat die eigene
Untersuchung ihrer Nationalgardisten erlaubt.
Pat Dillon, Vertreter des Staates Connecticut: Es ist ein Schwermetall. Es wird
in den Knochen eingelagert. Deshalb finde ich, dass der Test, den sie
anwenden, nicht empfindlich genug ist, um herauszufinden, ob jemand
kontaminiert ist oder nicht.
Die Armee sagt gegenüber CNN, ihre Politik sei es, jeden Soldaten bezüglich
abgereichertem Uran und dem Schutz davor auszubilden. Und die Armee hat
ein aktualisiertes Instruktionsvideo, das im Jahre 2000 gemacht worden war
Wir haben gefragt, warum diese Soldaten aussagten, dass sie nicht nur das
Video nicht gesehen haben, sondern dass sie auch nichts über DU wussten, als
sie in den Irak gehen mussten.
Col. Melanson: Ich kann Ihnen keine Sta tistik darüber geben, wer oder wer
nicht trainiert wurde. Ich kann mit Ihnen nur über das Training reden, das zur
Verfügung gestellt wurde, und was die Richtlinie ist.
Dr. Durakovic sagt, eines sei sicher: Ein Grossteil des Iraks ist kontaminiert,
speziell im Süden, wo die schweren Panzerschlachten stattgefunden haben. Er
wählt den Begriff, ich zitiere: «eine radioaktiv verschmutzte Gosse». Die Armee
verneint das natürlich.
Moderator CNN, O’Brien: Wenn Sie zurückdenken und sich einen anderen
giftigen Verursacher, in diesem Fall Agent Orange in Vietnam vornehmen, so
hatten die Veteranen dort ähnliche Klagen. Sie waren krank, weil die mit
diesem Agent Orange in Kontakt gekommen waren. Haben sie schliesslich vom
Militär Schadenersatz erhalten, und ist es wahrscheinlich, dass das hier
Dossier Uranwaffen
37
Zeit-Fragen 2007
passieren wird?
Bei einigen war dies der Fall, aber es dauerte Jahrzehnte. Und ich will
Folgendes sagen: Agent Orange ist zahm im Vergleich zum radioaktiven Staub,
den du in deine Lunge einatmest, der für immer im Körper bleibt und der eine
Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahre hat. Dieses Zeug bleibt für immer. So ist
es – es ist die wirklich unbequemste Wahrheit.
Moderator CNN, O’Brien: Halte uns auf dem laufenden Greg Hunter, vielen
Dank.
Gleich wird Sanjay Gupta bei uns sein, und er wird ein bisschen mehr über die
medizinischen Folgen des Kontaktes mit abgereichertem Uranstaub erklären. –
Alina Cho.
Alina Cho: Soeben haben wir Greg Hunters Untersuchung über abgereichertes
Uran und dessen mögliche Gefahren für die US-Truppen im Irak gehört. Der
medizinische Chefkorrespondent Dr. Sanjay Gupta ist uns aus Atlanta
zugeschaltet und gibt uns mehr Informationen über die medizinische Seite
dieses Rätsels.
Sanjay, guten Morgen. Das Wichtigste zuerst: Was sind die Symptome einer
DU-Vergiftung?
Dr. Sanjay Gupta, CNN-Korrespondent: Es gibt eine Art Kurzzeitsymptome und
eine Art Langzeitsymptome und, wie Sie wissen, ist dies eine schwierige
Angelegenheit. Unter vielen Forschern ist die Beurteilung darüber noch unklar,
was unter welchen Umständen und zu welcher Zeit was bewirkt.
Aber wenn man auf gewisse frühe Anzeichen schaut, dann sieht man Dinge wie
Übelkeit und Erbrechen, so reagiert ein Teil der GIs auf abgereichertes Uran.
Ebenso sind Nierenprobleme möglich und Hautverletzungen.
Es gibt auch einige Berichte, dass es möglicherweise Reizbarkeit und
Verhaltensänderungen hervorrufen kann, aber das ist noch nicht wirklich
bewiesen.
Die Langzeitsymptome können ein bisschen komplizierter sein. Sie könnten
Dinge entwickeln wie Schäden am Immunsystem. So könnten tatsächlich ihre
weissen Blutzellen abnehmen – jene Zellen, die ein Infektion bekämpfen.
Möglicherweise auch Lungenkrebs, obwohl auch hier die Studien wiederum
kontrovers sind. Und ebenso möglich sind Missbildungen bei Neugeborenen
von Personen, die abgereichertem Uran ausgesetzt gewesen sind.
Alina, ich sollte sagen – Greg hat es ebenfalls ausgeführt – das abgereicherte
Uran und seine mögliche Verbindung zum Golf-Kriegs-Syndrom ist eines der
umstrittensten Dinge, die in der Medizin existieren. Viele Menschen sind
gewissermassen darauf fokussiert. Möglicherweise sind bis jetzt noch nicht
genug Studien vorhanden.
Gut. Was kann man über die Behandlung sagen? Gibt es irgendeine
Behandlung dafür?
Nun, nicht wirklich. Ich meine, zuerst einmal ist es sehr schwierig zu wissen, ob
jemand dem tatsächlich ausgesetzt gewesen ist. Man kann es im Blut
feststellen. Man kann tatsächlich Blutproben nehmen, die zeigen, ob man
höhere Blutspiegelwerte eines bestimmten Isotopes im Zusammenhang mit
abgereichertem Uran hat, aber in den meisten Fällen muss man die Dinge
gewissermassen ihren Lauf nehmen lassen.
Es kann Zellen schädigen, und wenn sich diese Zellen zum Beispiel in
Dossier Uranwaffen
38
Zeit-Fragen 2007
Tumorzellen verändern, dann muss man einleuchtenderweise den Krebs
behandeln oder den Tumor entfernen, aber es ist schwer, die Symptome einer
allgemeinen Vergiftung mit abgereichertem Uran zu behandeln.
Hm, also. Dr. Sanjay Gupta, live für uns in Atlanta. Sanjay, vielen Dank.
Ich danke ebenfalls.
Quelle: CNN am 5. und 6. 2. 2006
transcripts.cnn.com/TRANSCRIPTS/0702/05/ltm.02.html
transcripts.cnn.com/TRANSCRIPTS/0702/06/ltm.02.html
(Übersetzung Zeit-Fragen)
Nr.11, 19. März 2007, Seite 8
Die Schweiz sollte ihre Bemühungen für ein
völkerrechtliches Verbot der Uranwaffen wieder
aufnehmen
ws. In Belgien wurde am 7. März 2007 durch ein Votum der
Verteidigungskommission ein Gesetzesvorschlag angenommen, der bei seiner
Annahme durch das Parlament zu einer weitgehenden Ächtung von
Uranmunition führen würde.
Die belgische Politik hat damit ein weiteres Mal ein deutliches Zeichen gesetzt,
dass Belgien sich nicht an der Fortführung und Fortentwicklung von Waffen
beteiligen will, deren Einsatz unweigerlich die Zivilbevölkerung grossflächig
und über unabsehbare Zeit in Mitleidenschaft zieht.
Schon bei der Ächtung der Clustermunition, die an der internationalen OsloKonferenz Ende Februar diesen Jahres einen grossen Schritt vorangekommen
ist, hatte Belgien eine Vorreiterrolle eingenommen, als es bereits im Februar
2006 Produktion, Lagerung, Einsatz und Handel von Clusterbomben verbot.
Auch die Schweiz könnte sich nun als neutraler Staat mit ihrer langen
humanitären Tradition wieder voll in diese friedensfördernden Bestrebungen
einbringen. Bereits im Januar 2001, als die schädlichen Wirkungen der
Uranmunition auch hierzulande breit diskutiert wurden, hatte Bundespräsident
Leuenberger eine schweizerische Initiative zur Ächtung der Uranwaffen
angekündigt. Am 18. Januar stellte er in Genf in Aussicht, dass eine Schweizer
Delegation im Rahmen der Uno-Konvention über bestimmte konventionelle
Waffen, die unnötige und inhumane Wirkungen haben (die sogenannte Certain
Conventional Weapons Convention), einen entsprechenden Antrag stellen
werde.
Bundespräsident Leuenberger verlieh dabei dem Vorsichtsprinzip besonderes
Gewicht, als er trotz der in der Debatte vorgebrachten Behauptungen über
mangelnde wissenschaftliche Nachweise zur Schädlichkeit der Uranmunition
deren Verbot voranbringen wollte. «Solange die Möglichkeit negativer
Auswirkungen bestehe, dränge sich ein entsprechender Schritt aus ethischen
Gründen auf.» («Neue Zürcher Zeitung», 19.1.2001)
Damals nahm der Bundesrat im Juni 2001 von diesem Vorhaben wieder
Abstand, eben mit dem Verweis auf die mangelnden Nachweise über die
Dossier Uranwaffen
39
Zeit-Fragen 2007
Schädlichkeit. Mittlerweile sind die politischen Hintergründe des Jahres 2001 –
insbesondere der Druck seitens der Nato und der USA – ein gutes Stück
aufgehellt, die ein wenig vermuten lassen, wie es wirklich zu diesem Rückzug
kam. Heute sind zudem die wissenschaftlichen Beweise über die Schädigungen
durch Uranmunition und die Berichte aus den betroffenen Regionen immer
weiter zusammengetragen und geben ein erschütterndes Zeugnis. Auch gibt es
bereits sorgfältig ausgearbeitete völkerrechtliche Vertragsentwürfe, die auf
eine eigene Konvention für ein Verbot der Uranwaffen abzielen.
Mit dem entsprechenden politischen Willen könnte die Schweiz mit ihren
erprobten politischen und diplomatischen Mitteln das Anliegen der
International Coalition to Ban Uranium Weapons (ICBUW) unterstützen. Es wäre
ein Segen für die Menschheit.
Belgien verbietet Uranwaffen und -panzerungen
Sie waren die ersten mit Landminen – sie waren die ersten mit Streubomben
und jetzt wird Belgien das erste Land der Welt sein, das Uranwaffen verbietet!
Die Internationale Koalition zur Ächtung von Uranwaffen (ICBUW) lobt die
intensive Arbeit und das Engagement der «Belgian Coalition ‹Stop Uranium
Weapons!›»
10. März – Willem Van den Panhuysen
Am 7. März stimmte die nationale Verteidigungskommission des belgischen
Parlaments einstimmig dafür, den Einsatz von Munition und Panzerplatten aus
abgereichertem Uran auf belgischem Territorium zu verbieten.
In Anerkennung des Prinzips der Vorsorge vereinbarten die Delegierten, dass
die Herstellung, der Einsatz, die Lagerung, der Verkauf, die Anschaffung, die
Lieferung und der Transit dieser konventionellen Waffensysteme verboten
werden sollte. […]
Bald wird der Kommissionsbeschluss im ganzen Parlament und im Senat
diskutiert werden. Dies wird nur eine Frage der Formalität sein. Es ist
offensichtlich, das Belgien das erste Land der Welt ist, das Munition und Waffen
verbietet, die abgereichertes Uran oder irgendein anderes industriell
hergestelltes Uran enthalten. Da behauptet wurde, die Regierung brauche Zeit,
ein derartiges Verbot ausserhalb Belgiens zu unterstützen, und da die
holländisch sprechende liberal-demokratische Partei wissen wollte, ob andere
Länder bereit wären, dem belgischen Beispiel zu folgen, wurde jetzt im
gebilligten Wortlaut vereinbart, dass das Gesetz zwei Jahre nach der
Veröffentlichung im belgischen Gesetzbuch in Kraft treten wird.
Die belgische Koalition «Stop Uranium Weapons!» ist eine Zusammenarbeit der
folgenden NGOs:
Association Médicale pour la Prévention de la Guerre Nucléaire – Groupe
Liégeois pour l’Economie Distributive – CSOTAN – Pax Christi Leuven – Bond
Beter Leefmilieu – Vakbondsmensen In Verzet Tegen Oorlog – OxfamSolidariteit – Artsen voor Vrede – Netwerk-Vlaanderen – Mouvement Chrétien
pour la Paix – International Action for Liberation – Stop United States of
Aggression – Jeugdbond voor Natuur en Milieu – Links Ecologisch Forum –
Forum voor Vredesactie –
Dossier Uranwaffen
40
Zeit-Fragen 2007
ACV-Brussel – Friends of the Earth Vlaanderen en Brussel – Greenpeace –
Vlaams Overleg Duurzame Ontwikkeling – Pax Christi Vlaanderen –
Coördination Nationale d’Action pour la Paix et la Démocratie – Vrede – SOS
Irak – Verbond VOS – Mouvement Ouvrir Chrétien Liège-Huy-Waremme
Belgian Coalition: «Stop Uranium Weapons!»
Presseverbindung:
Willem Van den Panhuysen
[email protected]
gsm: +32-473 71 75 18
Tel.: +32-9 256 01 45
Belgian Coalition: «Stop Uranium Weapons!» www.motherearth.org/du
International Coalition to ban Uranium Weapons (ICBUW)
www.bandepleteduranium.org
Quelle:
www.bandepleteduranium.org/en/a118.html
Ärzte und Wissenschafter fordern Verbot von Uranwaffen
In Berlin schloss am 19.6.2004 eine Stellungnahme von Sachverständigen,
Ärzten und Wissenschaftern, über die Folgen des Einsatzes von Uranmunition
mit folgendem Fazit:
«Es ist aus ärztlicher Sicht zu kritisieren, dass wissenschaftliche
Untersuchungsmethoden zu DU nicht in den regierungsamtlichen Forschungen
angewandt werden. So entsteht der Eindruck, dass die von der USamerikanischen und der britischen Regierung durchgeführten Studien nicht der
Aufklärung, sondern der Verschleierung der Ursachen dienen.
Auch die Verweigerung des Sicherheitsrates auf Druck der US-Regierung, im
Jahre 2001 systematische und breit angelegte Studien der WHO zur
Ursachenaufklärung der Kinderkrebserkrankungen, insbesondere Leukämien im
Irak durchführen zu lassen, erhärtet den schweren und nicht von der Hand zu
weisenden Verdacht, dass hier Ursachenverschleierung statt
Ursachenaufklärung betrieben wird.
Trotz aller noch existierenden offenen Fragen hat die neuere und insbesondere
unabhängige Forschung hinreichend Beweise erbracht, dass Menschen, die DU
in ihren Körper aufgenommen haben, seien es Soldaten oder Zivilbevölkerung,
aber vor allem Kinder und Jugendliche, einer schweren Gefährdung ihrer
Gesundheit und ihres Lebens ausgesetzt sind.
Das alleine reicht aus, um von den Regierungen der Welt, also in der UN und
im UN-Sicherheitsrat, ein Verbot des Einsatzes von DU-Waffen zu fordern.
Keine Macht dieser Welt hat das Recht, auf ihren selbstgewählten
Kriegsschauplätzen die Menschen noch lange nach Beendigung der
Kriegshandlungen zu vergiften und zu töten.»
Quelle: Sachverständigenstellungnahme, Irak-Tribunal, Berlin 19.6.2004,
Dr. med. Angelika Claussen, Vorsitzende der IPPNW Deutschland,
iraktribunal.de/hearing190604/claussen.htm
Dossier Uranwaffen
41
Zeit-Fragen 2007
Die erschreckenden Konsequenzen von Uranwaffen
In Militärkreisen spricht man seit Jahren von Depleted Uranium, kurz DU
genannt. Darunter versteht man bei uns «abgereichertes Uran».
Gemeint sind durch den Krieg hinterlassene abgereicherte UranMunitionsreste, die eine «ewig» dauernde radioaktive Verseuchung
verursachen. Im Irak, in Afghanistan und auf dem Balkan wurde und
wird weiter tonnenweise dieses «DU» eingesetzt. Die erschreckenden
Konsequenzen: massiver Anstieg der Karzinomrate, Häufung von
Doppel- und Dreifachkarzinomen bei ein und demselben Patienten,
gehäufte Karzinomfälle innerhalb derselben Familie, Auftreten von
schrecklichen, teils grotesken und vorher kaum gesehenen
Missbildungen.
Abgereichertes Uran wird in der amerikanischen Waffenindustrie
verwendet, um die Projektile effizienter zu machen; sie durchschlagen
herkömmliche Panzerwände wie Butter. Es ist ein Abfallprodukt, das bei
der Herstellung der Brennstäbe entsteht, die in Kernkraftwerken
verwendet werden, und ist ein sogenannter Alpha-Strahler. Beim
Abfeuern solcher Projektile entstehen feinste keramische radioaktive
Partikel von Mikrometergrösse. Diese gelangen über die oberen und
unteren Atemwege sowie die Haut in den Kreislauf und strahlen.
Das radioaktive Uran liess sich bei Untersuchungen von Soldaten, die im
ersten Golf-Krieg eingesetzt wurden, im Urin nachweisen; insbesondere
bei solchen Veteranen, die am sogenannten «Golf-Kriegs-Syndrom» litten
oder noch immer leiden; ebenso konnte DU in diversen Bodenproben im
Irak nachgewiesen werden. In die Nähe solcher Bodenproben gebrachte
Geigerzähler schlagen in den nicht mehr messbaren Bereich aus.
Messungen zeigten das Hundert- bis Tausendfache der normalen
Umweltstrahlung. Diese verseuchten Böden sind aber nicht markiert oder
ausgesondert; die radioaktive Strahlung sieht, hört und riecht man nicht.
Heute werden hier wieder Häuser gebaut, Strassen gezogen,
landwirtschaftliche Produkte angebaut […] •
Quelle: Vertraulicher Schweizer Brief, Nr. 1135 vom 7.3.2007
Nr.11, 19. März 2007, Seite 9, 10
Informationen zu Uranwaffen
ICBUW – Internationale Koalition für ein Verbot von Uranwaffen
www.icbuw.org
Was ist abgereichertes Uran und wie wird es in Waffen verwendet?
Dossier Uranwaffen
42
Zeit-Fragen 2007
Abgereichertes Uran (depleted uranium, DU) ist Atommüll. Uran tritt
naturgemäss in Form von drei verschiedenen Isotopen auf, U 234, U 235 und U
238. Isotope sind Atome desselben Elements, die dieselbe Anzahl an Protonen
haben, aber sich in der Anzahl Neutronen unterscheiden. Das bedeutet, sie
reagieren chemisch gesehen gleich, aber unterschiedliche Isotope setzen
unterschiedliche Mengen und Arten von Strahlung frei.
Die radioaktiven Eigenschaften von DU, das hauptsächlich aus Uran 238
besteht, unterscheiden sich von denen des Uran 235. Anders als Uran 238 ist
Uran 235 spaltbar. Das heisst, es ist so instabil, dass man durch Beschuss von
Uran 235 mit Neutronen eine sich selbst erhaltende Serie von atomaren
Reaktionen erzeugen kann, die enorme Mengen an Energie freisetzen. Das ist
die Grundlage der Atombomben und der Nutzung der Atomkraft. Vor seiner
Verwendung muss U 235 aber angereichert werden, da es nur einen kleinen
Anteil des natürlich vorkommenden Urans – um die 0,7% – ausmacht. U 238
macht mehr als 99% des natürlichen Urans aus und ist weniger radioaktiv.
Nachdem dem natürlichen Uran der grösste Teil des U 235 entzogen wurde,
nennt man es «abgereichertes Uran», das heisst Uran, welches an dem Isotop
U 235 abgereichert ist. Jedes Kilogramm an angereichertem Uran, das in einem
Atomreaktor eingesetzt werden kann, hinterlässt 11 Kilogramm DU.
Abgereichertes Uran selbst ist ein chemisch giftiges und radioaktives Material,
welches auf Grund seiner hohen Dichte in panzerbrechender Munition
eingesetzt wird. Es ist 1,7mal dichter als Blei, was den Urangeschossen eine
erhöhte Reichweite und Durchschlagskraft gibt. Sie gehören zu einer Kategorie
von Waffen mit dem Namen Wuchtgeschosse (kinetic energy penetrators). Den
Teil der Waffe, der aus Uran besteht, nennt man den Penetrator: Das ist ein
langer Pfeil, der in den gröss ten Ausführungen mehr als vier Kilogramm wiegt.
Es ist also weder nur eine Spitze noch nur eine Aussenhülle. Das Geschoss ist
gewöhnlich eine Legierung aus Uran und einer kleinen Menge eines anderen
Metalls wie Titan oder Molybdän. Diese verleihen ihm zusätzliche Festigkeit
und Widerstandsfähigkeit gegen Korrosion.
Zwei US-Unternehmen stellen grosskalibrige Panzergeschosse aus
abgereichertem Uran her: Alliant Techsystems (120 mm-Granaten) und die
früheren Primex Technologies, jetzt General Dynamics Ordnance and Tactical
Systems (105 mm- und 120 mm-Granaten). Drei weitere Unternehmen – in
Frankreich, der ehemaligen Sowjetunion und Pakistan – stellen ebenfalls
grosskalibrige Panzergeschosse her. Alliant Techsystems, der gröss te
Hersteller von Munition in den USA, produziert auch kleinkalibrige Geschosse
(25 mm, 30 mm) für Geschütze in amerikanischen Flugzeugen und
Kampffahrzeugen. Die Firma BAE Systems mit Sitz in Grossbritannien fertigte
bis 2003 120 mm-Panzergranaten für die britischen Streitkräfte an. Sie stellten
die Produktion aus «Umweltgründen» ein.1 Es besteht der Verdacht, dass die
israelische Militärindustrie Uran-Panzergranaten für die israelische Armee
produziert haben könnte, aber es ist unklar, ob diese im Kampf eingesetzt
wurden.
Neben der Verwendung für panzerbrechende Geschosse wird abgereichertes
Uran auch als Panzerung in amerikanischen M1A1- und M1A2-Kampfpanzern
eingesetzt und in geringen Mengen auch in einigen Arten von Landminen (M86
PDM und ADAM); beide Arten enthalten 0,101 Gramm abgereichertes Uran.
432 ADAM-Antipersonenlandminen wurden auf den kuwaitischen
Schlachtfeldern während des Golf-Krieges 1991 eingesetzt. Sowohl die
M86PDM als auch die ADAM-Minen sind in US-amerikanischen Lagern
vorhanden.
Dossier Uranwaffen
43
Zeit-Fragen 2007
Wo wurde Uranmunition eingesetzt und wer setzt sie ein?
Angesichts von Befürchtungen um die Gesundheit der Bevölkerung haben
Regierungen anfangs oft den Einsatz von Uranmunition abgestritten. Es ist
heute klar, dass Uranmunition von den USA und Grossbritannien in grossem
Umfang im Golf-Krieg 1991 eingesetzt wurde, dann in Bosnien, Serbien und
Kosovo, und erneut durch die Amerikaner und die Briten im Irak-Krieg 2003. Es
besteht der Verdacht, dass die USA Uranmunition 2001 auch in Afghanistan
eingesetzt haben, obgleich sowohl die Regierungen der USA als auch
Grossbritanniens den Einsatz von Uranmunition dort bestritten haben.
Transportdokumente, die durchgesickert sind, legen allerdings nahe, dass die
US-Streitkräfte in Afghanistan Uranwaffen hatten, aber es ist unklar, ob diese
zum Einsatz kamen.2
Es sind mindestens 18 Länder, von denen angenommen wird, dass sie in ihren
Arsenalen Waffensysteme mit Uran haben. Dazu zählen: Grossbritannien, die
USA, Frankreich, Russland, Griechenland, Türkei, Israel, Saudi-Arabien, Bahrain,
Ägypten, Kuwait, Pakistan, Thailand, China, Indien und Taiwan. Vielen von
ihnen wurde die Uranmunition von den USA verkauft, während man von
anderen (dazu zählen Frankreich, Russ land, Pakistan und Indien) annimmt,
dass sie sie unabhängig entwickelt haben.
Warum ist es ein Problem?
Zu dem Uranoxidstaub, der entsteht, wenn die Uranmunition verbrennt,
existiert nichts Vergleichbares in der Natur oder in der Geschichte. Dieser
toxische und radioaktive Staub besteht aus zwei Oxiden: Das eine ist unlöslich,
das andere schwerlöslich. Die Streuung der Partikelgrössen beinhaltet Partikel
im Submikronbereich, die leicht eingeatmet und in den Lungen zurückbehalten
werden. Über die Lungen werden die Uranverbindungen aufgenommen und in
den Lymphknoten, den Knochen, dem Gehirn und den Hoden abgelagert. Feste
Ziele, die von Urangeschossen getroffen wurden, sind von diesem Staub
umgeben und Untersuchungen legen nahe, dass er viele Kilometer
weitergetragen kann, wenn er wieder aufgewirbelt wird, was in einem
trockenen Klima wahrscheinlich ist. Der Staub kann dann gleichermassen von
Zivilpersonen und Militär eingeatmet oder über die Nahrung aufgenommen
werden. Man geht davon aus, dass die Uranmunition die Ursache für einen
massiven Anstieg der Anzahl an Neuerkrankungen mit Karzinomen – wie
Brustkrebs oder Lymphomen – in Gebieten des Irak nach 1991 und 2003 ist.
Die Uranbelastung wurde auch in Verbindung gebracht mit einem Anstieg an
Geburtsfehlern in Gegenden, die an die grössten Schlachtfelder des Golf-Kriegs
angrenzen.
Bei Aufschlägen auf weichem Untergrund – typisch für Luftangriffe, bei denen
die meisten Geschosse ihre Ziele verfehlen – bleiben die Geschosse teilweise
intakt. Auf dem Balkan wurden mehr als 31 000 30 mm- Geschosse abgefeuert;
die UNEP berichtete, dass diese rostenden Geschosse voraussichtlich das
Grundwasser und die Trinkwasservorräte kontaminieren werden und beseitigt
werden sollten.3
Während wir einigermassen eine Vorstellung davon haben, wieviel
Uranmunition auf dem Balkan (14 Tonnen) und im Golf-Krieg 1991 (etwa 320
Tonnen) eingesetzt wurde, verfügen wir über wenige Daten, was das Ausmass
ihres Einsatzes in der Folge der Invasion des Iraks in 2003 betrifft. Klar ist, dass
weitaus mehr in städtischen Gebieten eingesetzt wurde, als Resultat einer
vermehrt asymmetrischen Kriegsführung und einer zunehmend ungehemmten
Dossier Uranwaffen
44
Zeit-Fragen 2007
Einstellung in bezug auf den Einsatz von Uranwaffen. Die USA haben die
Herausgabe von Daten über die Einsatzorte ihrer Uranwaffen an die UNEP
durchweg verweigert, und die instabile Lage nach dem offiziellen Kriegsende
hat eine Beurteilung des wahren Ausmasses der Kontamination nahezu
unmöglich gemacht.
Die gesundheitlichen Auswirkungen von Uran: 1. Die Radioaktivität
Die wichtigste Strahlengefährdung durch Uran 238 ist seine Alpha-Strahlung.
Wenn strahlende Partikel eingeatmet oder mit der Nahrung aufgenommen
werden, ist die Alpha-Strahlung die schädlichste Form ionisierender Strahlung,
die es überhaupt gibt. Da Uran 238 aber in Thorium und Protactinium zerfällt,
und bei deren Zerfall sowohl Beta- als auch Gamma-Strahlung freigesetzt
werden, wird die Strahlenbelastung durch diese weiter erhöht. Darum müssen
die Uranpartikel als eine dynamische Mischung radioaktiver Isotope betrachtet
werden.
Innerhalb des menschlichen Körpers ist die Alpha-Strahlung unglaublich
zerstörerisch. Man schätzt, dass die Chromosomenschäden durch AlphaStrahlen 100mal grösser sind, als diejenigen, welche von der entsprechenden
Menge anderer Strahlungsarten verursacht werden. Die schweren, stark
geladenen Partikel können Löcher in die DNA reissen und einen Strom freier
Radikaler nach sich ziehen, die die fein aufeinander abgestimmten zellulären
Prozesse massiv stören oder unterbrechen. An einem einzigen Tag setzt ein
Mikrogramm (ein Millionstel eines Gramms!) abgereichertes Uran nahezu 1000
Alpha-Partikel frei. Jedes Partikel hat eine Energie von mehr als 4 Millionen
Elektronenvolt. Diese wirken direkt auf das Organ oder Gewebe, in dem sich
das Uranteilchen eingelagert hat. Es braucht nur 6 bis 10 Elektronenvolt, um
einen DNA-Strang in einer Zelle zu zerbrechen, und der Wirkungsbereich einer
Strahlungsquelle hat einen Radius von 7 bis 20 Zellen.4
Neue Erkenntnisse über Wirkungen von internen Strahlungsquellen
verdeutlichen die Gesundheitsrisiken, wenn ein Organismus innerer AlphaStrahlung ausgesetzt wird.5 Dazu gehört der «Bystander»-Effekt, das heisst,
dass auch Zellen, die an diejenigen angrenzen, die von den Alpha-Partikeln
getroffen wurden, Zeichen von Strahlenschäden aufweisen. Auch wird eine
erhöhte Instabilität des Erbguts sichtbar, insofern die Zellnachkommen von
strahlengeschädigten Zellen – nicht nur bei hohen Strahlendosen, sondern bei
jedem Dosisniveau – ihrerseits grössere Mutationsraten aufweisen: ein Vorbote
für späteres Krebswachstum. Ionisierende Strahlung ist beim Menschen ein
krebsauslösender Faktor unabhängig von der Höhe der Dosis. Es gibt keine
Schwellenwertdosis, und jedes einzelne Alpha-Teilchen kann einen irreparablen
genetischen Schaden hervorrufen.
Die gesundheitlichen Auswirkungen von Uran: 2. Die chemische
Giftigkeit
Im Jahre 1940 begann die Erforschung der chemischen Toxizität von Uran.
Seither hat sich herausgestellt, dass – ebenso wie bei vielen anderen
Schwermetallen, z. B. Blei, Chrom, Nickel und Quecksilber – gerade auch durch
den Kontakt mit Uran Gesundheitsschäden hervorgerufen werden können.
Während viele Studien zunächst nur die Möglichkeit von Nierenschäden
untersucht haben, haben seit 1991 – ausgelöst durch die Sorgen wegen der
Uranmunition – Dutzende von Beiträgen andere weit beunruhigendere
Gesundheitsschäden aufgezeigt, die durch die Toxizität der Uranmunition
verursacht werden können. Wiederholte Studien an Zellen und Tieren haben
Dossier Uranwaffen
45
Zeit-Fragen 2007
den Nachweis erbracht, dass Uran ein Nierengift, ein Nervengift und ein
Immungift ist sowie Mutationen, Krebs und Missbildungen beim werdenden
Kind hervorrufen kann. Wenn man den Uranstaub, der aus der
explosionsartigen Verbrennung der Munition entsteht, mit dem Uran vergleicht,
wie es in der Natur vorkommt, dann ist der Uranstaub eine konzentrierte Form
von Uran, die sehr viel leichter vom Organismus aufgenommen wird als
natürlich vorkommendes Uran. Bei jüngsten Studien mit Hamstern konnte
gezeigt werden, dass sich Uran an die DNA-Stränge bindet, wo es durch die
Erzeugung freier Radikale oxidative Schäden verursacht,6 und bei Studien mit
Ratten konnte gezeigt werden, dass es die weissen Blutkörperchen irreparabel
schädigt und die Gen expression (Proteinsynthese) verändert.7
Solche und weitere Befunde legen nahe, dass das nach dem Einsatz von
Uranwaffen zurückbleibende Uran nicht nur hochgiftig ist, sondern dass
darüber hinaus seine Giftigkeit und seine Radioaktivität zusammenwirken und
synergetische Effekte8 erzeugen können, das heisst, dass sich die Wirkungen
gegenseitig verstärken und auf diese Weise die Schäden in den Zellstrukturen
und bei den Zellmechanismen vergrössern können – was schliesslich in
Tumoren oder einer ganzen Reihe anderer, den ganzen Körper betreffende
Krankheitssymptome zum Ausdruck kommt.
Die Internationale Kommission für Strahlenschutz (ICRP)
Die ICRP ist ein undemokratisches, sich selbst erhaltendes Gremium, das an
Regierungen und supranationale Institutionen Empfehlungen zum
Strahlenschutz herausgibt. Sie entscheidet politisch zwischen der Höhe der
vom Körper aufgenommenen Strahlung und dem, was für die Gesellschaft von
Nutzen ist; ein Job, den – so sollte man meinen – sie besser den Politikern
überlassen würde. Während die Mitglieder dieser Organisation zwar auf dem
Gebiet der Strahlenphysik kompetent erscheinen, wurde jedoch Kritik laut, dass
sie auf dem Gebiet der Strahlenbiologie bedeutend weniger gut sind. Die ICRP
verwendet Daten der Atomexplosionen von Hiroshima und Nagasaki, um
Strahlendosen und Strahlenexpositionen abzuschätzen. Die japanischen
Bombenopfer waren einer plötzlichen Explosion mit von aussen einwirkender
Gamma- und Beta-Strahlung ausgesetzt. Wie aufgezeigt wurde, führt eine
langanhaltende Kontamination der Umwelt durch DU, respektive Uranwaffen zu
einer chronischen körperinneren Strahlenbelastung durch Alpha-Strahlen, und
dieser Sachverhalt macht die auf den ganzen Körper und ganze Organe
bezogenen Strahlendosisraten der ICRP ziemlich irrelevant. Darüber hinaus
sind diese Dosisschätzungen auf den «durchschnittlichen Menschen» bezogen
und lassen die Tatsache ausser acht, dass kleine Kinder und schwangere
Frauen einem viel grösseren Risiko durch ionisierende Stahlung ausgesetzt
sind.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO)
2001 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation einen Bericht, in dem
behauptet wurde, dass die Belastung durch die Uranmunition ausser unter
ganz besonderen Umständen keinerlei Anlass zur Sorge um die öffentliche
Gesundheit böte.9 In der Folge wurde bekannt, dass wichtige Papiere des USVerteidigungsministeriums über die genetische Toxizität der Uranmunition aus
dem Bericht herausgenommen worden waren. Dr. Keith Baverstock, der in der
Strahlenschutzabteilung der WHO arbeitete, glaubt, dass Druck von höchster
Ebene ausgeübt wurde, um diese Forschungsergebnisse zu übergehen.10 Es ist
offensichtlich, dass die WHO nur so stark ist, wie die Mitgliedstaaten, die sie
Dossier Uranwaffen
46
Zeit-Fragen 2007
finanzieren, es ihr erlauben. Die Quelle weiterer Verwirrung ist ihre Beziehung
zu den Schwester organisationen wie zur Internationalen Atomenergieagentur
(IAEA), deren Ziel es ist, den Einsatz atomarer Energie zu fördern. Der Bericht
der WHO verwendete dieselben ICRP-Modelle, die nachweislich nicht in der
Lage sind, die Effekte interner radioaktiver Strahlungsquellen richtig
darzustellen.
Das Radiobiologische Institut der US-Streitkräfte (AFFRI)
Zwischen 2000 und 2003 stand Dr. Alexandra Miller an der Spitze der von der
US-Regierung finanzierten Forschung zur chemischen Toxizität und
Radioaktivität von Uran. Nachdem sie mehrere von Fachkollegen überprüfte
Berichte herausgegeben hatte, in denen sie besorgniserregende Beziehungen
zwischen Uran und gesundheitlichen Problemen festgestellt hatte, wurde die
Finanzierung ihrer Forschung gestoppt. Sie und ihre Kollegen hatten zum
ersten Mal nachgewiesen, dass in den Körper aufgenommene Uranoxide «eine
beträchtliche Erhöhung von DNA-Veränderungen bei Zellen im Bereich der
Harnwege zur Folge haben können», dass sie menschliche Zellen in Zellen
umwandeln können, die bei Mäusen mit unterdrückter Immunreaktion
Krebstumore hervorrufen können, und dass abgereichertes Uran in der Lage
ist, DNA-Schäden zu verursachen, obwohl keine bedeutenden radioaktiven
Zerfallsprozesse stattfinden, das heisst allein schon durch seine chemische
Giftigkeit. Dass ihre Forschung unterdrückt wurde, ist typisch für die
Geheimhaltung, die in der Debatte um die Uranwaffen vorherrscht.
Zum rechtlichen Status der Uranwaffen
Obwohl bisher kein spezielles Abkommen in Kraft ist, das die Verwendung von
Uranwaffen ausdrücklich verbietet, ist es klar, dass der Einsatz von Uranwaffen
den grundlegenden Regelungen und Prinzipien zuwiderläuft, die im verfassten
und gewohnheitsrechtlichen Humanitären Völkerrecht niedergelegt sind. Diese
beziehen sich auf:
den allgemeinen Grundsatz, die Zivilbevölkerung vor den Folgen von
Feindseligkeiten zu schützen; den Grundsatz, dass die Kriegsparteien kein
unbeschränktes Recht haben, ihre Methoden und Mittel der Kriegsführung frei
zu wählen; das Prinzip, dass die Anwendung von Waffen, Geschossen sowie
Kriegsmaterial und Arten der Kriegsführung in bewaffneten Konflikten, die dazu
geeignet sind, vermeidbare Verletzungen oder unnötiges Leiden zu
verursachen, verboten ist; das gemäss Artikel 23, Paragraph 1 der Haager
Landkriegsordnung und den Bestimmungen des Genfer Giftgasprotokolls
bestehende Verbot, Giftwaffen anzuwenden; das Verbot, der natürlichen
Umwelt ausgedehnte Schäden zuzufügen sowie sinnlose Zerstörung zu
verursachen, gemäss den Haager Konventionen und dem ersten
Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen; das Prinzip der «humanitären
Verhältnismässigkeit», das in der St. Petersburger Erklärung enthalten ist.
Zusätzlich basieren das Humanitäre Recht und das Umweltrecht auf den
Grundprinzipien der Vorsicht und der Verhältnismässigkeit, denen die Staaten
allermindestens folgen sollten. Zwei Beschlüsse der Subkommission der UNMenschenrechtskommission (1996/16 und 1997/36) setzen fest, dass die
Verwendung von Uranmunition nicht mit dem bestehenden Völkerrecht und
den Menschenrechten vereinbar ist.11
Weltweit wächst die Unterstützung für ein Abkommen zur Ächtung von
Uranwaffen. Im Jahr 2006 hat das Europäische Parlament seine drei früheren
Aufrufe für ein Moratorium dadurch bekräftigt, dass es zur Einführung eines
Dossier Uranwaffen
47
Zeit-Fragen 2007
totalen Verbots aufrief, in dem Uranwaffen zusammen mit weissem Phosphor
als inhuman eingestuft wurden.12 In der Zwischenzeit arbeiten einzelne
Staaten wie Belgien an ihrem eigenen nationalen Recht, um Uranwaffen zu
verbieten.13 In den Vereinigten Staaten hat die zunehmende Sorge um die
gesundheitlichen Folgen von Uranmunition einzelne Bundesstaaten dazu
veranlasst, Testverfahren für heimkehrende Soldaten einzuführen.14
ICBUW – Die Internationale Koalition für ein Verbot von Uranwaffen
Mit über 80 Mitgliedorganisationen weltweit bietet die ICBUW die bisher beste
Möglichkeit, um ein globales Anwendungsverbot von allen Arten von
Uranwaffen zu erreichen. Obwohl die Verwendung von Waffen, die Uran
enthalten, bereits gemäss dem Humanitären Völkerrecht, den
Menschenrechten und den Umweltschutzabkommen verboten sind, hat sich,
wie man bei den chemischen und biologischen Waffen und bei den Landminen
gesehen hat, ein explizites Abkommen als die beste Lösung erwiesen, um ihre
Illegalität zu bekräftigen. Ein solches Abkommen würde nicht nur die
Verwendung von Uranwaffen ächten, sondern auch das Verbot ihrer
Herstellung, die Vernichtung der Lagerbestände, die Dekontaminierung der
Schlachtfelder sowie Bestimmungen für die Entschädigung der Opfer
einschliessen.
Die ICBUW hat einen Vertragsentwurf für eine solche Konvention vorbereitet.15
Unser Konventionsentwurf enthält ein generelles und umfassendes Verbot von
Entwicklung, Herstellung, Transport, Lagerung, Besitz, Übertragung und Einsatz
von Uranmunition, Uranpanzerungen und jeglicher weiteren militärischen
Nutzung von Uran. Die Konvention formuliert auch Verpflichtungen, die die
Abschaffung von Uranwaffen und den Abbau der Einrichtungen zur
Uranwaffenherstellung betreffen. Zusätzlich werden die Staaten verpflichtet,
eine rasche Dekontaminierung von radioaktiven Schlachtfeldern und
Testgeländen sicherzustellen, unter besonderer Berücksichtigung des Schutzes
und der Unterstützung für die Zivilbevölkerung, die in diesen Gebieten lebt.
Schliess lich verpflichtet die Konvention die Staaten, die Opfer zu
entschädigen.
Mit der Verbreitung eines Konventionsentwurfs für eine Ächtung von
Uranwaffen folgt die ICBUW dem erfolgreichen Beispiel der internationalen
Kampagne zur Ächtung von Landminen. Die Mitgliedsorganisationen der ICBUW
betreiben Lobbyarbeit auf nationaler Ebene, während die ICBUW selbst mit den
überstaatlichen Institutionen wie dem Europäischen Parlament und den
Vereinten Nationen zusammenarbeitet. Unsere Arbeit wird von Euromil, der
Europäischen Organisation der Militärverbände, unterstützt.16
Wo Aggressorstaaten es ablehnen, die Auswirkungen von Uranmunition auf die
Zivilbevölkerung zu untersuchen, und sie die Verantwortung auf die schwachen
und anderweitig belasteten Nachkriegsregierungen abschieben, unterstützt die
ICBUW unabhängige Forschungsvorhaben über die Auswirkungen der
Uranmunition.
Zwei solche Projekte sind die Basra- Epidemiologiestudie und das Projekt zur
Untersuchung von Milchzähnen irakischer Kinder.17 Das erste Projekt versucht
zum ersten Mal, das Ausmass der Krebsepidemie in der Region Basra im
Südirak unter sorgfältiger Durchsicht der Meldungen zu Krebsfällen vor und
nach 1991 klar zu bestimmen. Zu lang haben die Regierungen der USA und
Grossbritanniens versucht, die Berichte über ansteigende Krebsraten als
«Propaganda der Baath-Partei» abzutun. Zur gleichen Zeit zielt das irakische
Milchzahn-Projekt darauf ab, Milchzähne von Kindern auf Uran-Isotope hin zu
Dossier Uranwaffen
48
Zeit-Fragen 2007
analysieren, um so das geographische und zeitliche Ausmass der
Uranverschmutzung im Irak zu bestimmen. Sie können für beide Projekte
spenden, Informationen dazu finden Sie im Internet unter: www.icbuw.org.
Es besteht ein wachsender Konsens unter zivilen Vereinigungen,
Wissenschaftern und verschiedenen Militärorganisationen, dass die
Gesundheitsrisiken durch Uranmunition schwerwiegend unterschätzt wurden.
Die etablierten wissenschaftlichen Institutionen haben nur langsam auf den
reichen Fundus neuer Forschungen über Uranmunition reagiert, und die
politisch Verantwortlichen haben sich damit begnügt, die Forderungen von
Wissenschaftern und engagierten Bürgern zu ignorieren. Absichtliche
Vernebelung seitens der Minen-, Nuklear- und Waffenindustrie hat darüber
hinaus die Bestrebungen erschwert, das Problem zu erkennen und ein Verbot
zu erreichen. Ein Prozess für ein eigenständiges Abkommen neben der
Konvention über gewisse konventionelle Waffen (CCW-Konvention) ist der
beste Weg, um den weiteren Einsatz und die weitere Verbreitung dieser
unterschiedslos wirkenden Waffen zu verhindern. Wie in den Genfer
Konventionen verankert, sind die Methoden und Mittel der Kriegsführung nicht
unbeschränkt. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein kurzfristiger militärischer
Vorteil, wie er durch Uran waffen behauptet wird, unsere Verantwortung für
das langfristige Wohl der Menschen und unseren Planeten ausser Kraft setzt.
Ideen für Aktionen
• Schreiben Sie Ihrem Abgeordneten oder Verteidigungsminister über Ihre
Besorgnis.
• Nehmen Sie Kontakt mit der ICBUW auf, um weitere Informationen zu
erhalten.
• Organisieren Sie eine Veranstaltung, um Spenden für die Unterstützung der
ICBUW zu sammeln.
• Unterstützen Sie die unabhängige Forschung zu den Auswirkungen der
Uranmunition, Internet: www.icbuw.org
• Unterzeichnen Sie im Internet die Petition für eine internationale Ächtung der
Uranmunition: www.icbuw.org
• Werden Sie Mitglied der ICBUW.
Verweise
1. BAE CSR statement:
www.baesystems.om/corporateresponsibility/2003/stakeholders/index1.htm
2. Leaked US Army transport letter: www.bandepleteduranium.org/en/a/113.html
3. United Nations Environment Programme Recommends Precautionary Action
Regarding Depleted Uranium In Kosovo UNEP press release, March 2001.
tinyurl.com/26pfck
4. Bertell, Dr R: Depleted Uranium: All the Questions About DU and Gulf War Syndrome
Are Not Yet Answered. International Journal of Health Services, Volume 36, Number 3 /
2006.
5. Committee Examining Radiation Risks of International Emitters (CERRIE), Final
Report, www.cerrie.org, sponsored by the UK Dept. of Health and DEFRA.
6. Uranyl acetate induces hprt mutations and uranium-DNA adducts in Chinese
hamster ovaries. Stearns et al. Mutagenis 2005; 20: 417-423
7. Short-term effects of depleted uranium on immune status in rat intestine. Dublineau
I et al, Journal of Toxicology and Environmental Health. 2006 Sep; 69(17): 1613-28
8. Presentation of European Parliament by Dr Keith Baverstock, formerly of the WHO,
Full text: www.bandepleteduranium.org/en/a/24.html
9. WHO Guidance on Exposure to Depleted Uranium For Medical Officers and
Dossier Uranwaffen
49
Zeit-Fragen 2007
Programme Administrators. tinyurl.com/aegbx
10. Interview, BBC Radio 4 Today Program, Nov 2006. tinyurl.com/2do8yw
11. UNHCHR resolutions: 1996: tinyurl.com/yqn5qv, 1997:http://tinyurl.com/ypjn75
12. European Parliament Makes Fourth Call for DU Ban:
www.bandepleteduranium.org/en/a/89.html
13. Report on the Hearing in the Belgian Parliament organised by the Commission on
Defense of the Chamber of Representatives 20 November 2006.
www.bandepleteduranium.org/en/a/88.html
14. US Bill Requiring DU Health Studies Passed by House of Representatives June
2006, www.bandepleteduranium.org/en/a/51.html
15. Draft Convention on the prohibition of development, production, stockpiling,
transfer and use of uranium weapons and on their destruction.
www.bandepleteduranium.org/en/a/2.html
16. EUROMIL – The European Military Union Call For Global DU Ban,
www.bandepleteduranium.org/en/a/110.html
17. Basra Epidemiological Study and Iraqi Children’s Tooth Project,
www.bandepleteduranium.org/en/i/42.html
Kontakt: ICBUW (internationales Büro),
Bridge 5 Mill, 22a Beswick Street, Ancoats,
Manchester, United Kingdom, M4 7HR
Tel: +44 (0)161 273 8293/8283
Fax: +44 (0) 161 273 8293
E-Mail: [email protected]
Web: www.bandepleteduranium.org
Hergestellt und verteilt durch die ICBUW, Illustrationen von James Mayall,
www.drjimble.co.uk
Übersetzung Zeit-Fragen.
Internationale Petition für ein Verbot von
Uranwaffen
Uranwaffen, oft auch als «Depleted Uranium» (DU)-Waffen bezeichnet,
werden aus radioaktiven Abfallmaterialien hergestellt, die während des
Kernbrennstoff-Kreislaufes und bei der Herstellung von Nuklearwaffen
anfallen. Sie verursachen eine weitreichende und lang anhaltende radioaktive
Verseuchung der Umwelt. Diese Waffensysteme sind auf Grund ihrer
radioaktiven und chemischen Eigenschaften giftig.
Viele Menschen – unschuldige Zivilisten, besonders Kinder, Kriegsveteranen
und Industriearbeiter – haben Krankheiten und Gesundheitsprobleme, die auf
die Belastung durch abgereichertes Uran (DU) zurückgeführt werden können.
Aus Gebieten, wie zum Beispiel aus dem Süden des Irak, wo die USA und
Grossbritannien Uranmunition eingesetzt haben, kommen Berichte über
Zunahmen von Krebserkrankungen, Leukämie und Geburtsschäden.
Mindestens 18 Länder besitzen diese Waffen, deren Einsatz mit dem
bestehenden Humanitärem Völkerrecht nicht vereinbar ist.
Wir müssen unsere Regierungen und die Vereinten Nationen wissen lassen,
dass diese Waffen keinen Platz in einer humanen und sozialen Welt haben.
Wir rufen Sie auf, diese Forderungen zu unterstützen:
1. Einen sofortigen Stopp des Einsatzes von Uranwaffen
Dossier Uranwaffen
50
Zeit-Fragen 2007
2. Offenlegung aller Orte, an denen Uranwaffen eingesetzt wurden, und
sofortige Beseitigung der Überreste und der kontaminierten Materialien aus
diesen Gebieten unter strikter Kontrolle
3. Gesundheitserhebungen bei den Opfern von Uranwaffen und
Umweltuntersuchungen in den betroffenen Gebieten
4. Medizinische Behandlung und Entschädigung der Opfer von Uranwaffen
5. Eine Beendigung von Entwicklung, Produktion, Lagerung, Tests und Handel
mit Uranwaffen
6. Eine Konvention für ein totales Verbot von Uranwaffen
Sie können die Petition im Internet online unterzeichnen unter:
www.bandepleteduranium.org, «Sign the petition»
oder sie einsenden an: ICBUW, Bridge 5 Mill, 22a Beswick Street,
Ancoats, Manchester, United Kingdom, M4 7HR
Name Stadt/Land
Unterschrift Datum
Den Entwurf für eine Konvention* finden Sie in englischer Sprache auf der
ICBUW-Website: www.bandepleteduranium.org/en/i/13.html
*Zeit-Fragen wird den Entwurf zu einer Konvention für ein totales Verbot von
Uranwaffen demnächst in deutscher Sprache zugänglich machen.
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Zeit-Fragen 2007
Nr.15, 17. April 2007, Seite 1,2
Iran – Die Gefahr eines Atomkriegs
von Leonid Iwaschow*
zf. Der Aufruf des ehemaligen Vize-General stabschefs der russischen Armeen
ist ein eindringlicher Appell an die Vernunft – ein Appell an den Willen, uns und
unseren Kindern und den Völkern dieser Erde eine lebenswerte Welt erhalten
zu wollen. Die darin dargelegten geopolitischen Analysen sind nicht
überraschend, sie sind in den Hauptstädten der Welt bekannt. Aber wo bleibt
die Stimme Europas, wo bleiben die Stimmen der sogenannten europäischen
Intellektuellen? Der politisch Verantwortlichen? Warum geben sie den
Menschen und ihrem Wunsch nach Frieden keine Stimme?
Es ist beschämend und alarmierend zugleich, dass heute nicht Dichter und
Denker, Staatsmänner oder -frauen, sondern Generäle diese Aufgabe
übernehmen müssen.
Die Analyse der derzeitigen Situation im Konflikt mit Iran zeigt, dass die Welt
mit der Möglichkeit des Ausbruchs eines neuen Kriegs […] konfrontiert ist.
Die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Alliierten haben mit der
psychologischen Vorbereitung der Weltöffentlichkeit auf die Möglichkeit des
Einsatzes taktischer nuklearer Waffen zur Lösung des «Problems Iran»
begonnen. Die Propagandamaschine der Vereinigten Staaten von Amerika
leistet Schwerarbeit, um den Eindruck zu erwecken, dass ein «chirurgisch
präziser» Gebrauch der Nuklearwaffe mit nur begrenzten Folgen möglich sei.
Seit den Atombombenangriffen der Vereinigten Staaten von Amerika gegen
Hiroshima und Nagasaki ist allerdings bekannt, dass das nicht stimmt.
Nach dem ersten Atomschlag wird es völlig unmöglich sein, den Einsatz von
Massenvernichtungswaffen jeglicher Art zu verhindern. Wenn die massenhafte
Vernichtung ihrer Nationen auf dem Spiel steht, werden die am Konflikt
beteiligten Parteien ohne Einschränkung alles einsetzen, was ihnen zur
Verfügung steht. Deshalb werden nicht nur die nuklearen Arsenale
verschiedener Länder einschliesslich derer, die offiziell keine haben, ins Spiel
kommen. Ohne Zweifel werden chemische und biologische Waffen (und
generell giftige Substanzen jeder Art) benutzt werden, die unter minimalen
industriellen und wirtschaftlichen Voraussetzungen produziert werden können.
Man kann davon ausgehen, dass zurzeit Frieden und Menschheit in grosser
Gefahr schweben.
Bedenken Sie den militärisch-technischen Aspekt der Situation. Die von den
Vereinigten Staaten von Amerika dargelegten operativen Ziele – die Zerstörung
von rund 1500 Zielen auf iranischem Territorium – können von den schon
bereitstehenden Kräften nicht bewältigt werden. Das Ziel kann nur erreicht
werden, wenn taktische Atomwaffen zum Einsatz kommen.
Drei Atombomben Israels gegen Iran
Eine Überprüfung des militärisch-politischen Aspekts der Angelegenheit bringt
noch mehr bedeutsame Tatsachen ans Licht. Die Pläne für den Angriff auf Iran
sehen keine Bodenoffensive vor. Schläge gegen ausgewählte militärische und
industrielle Einrichtungen können dem iranischen Verteidigungs potential und
Dossier Uranwaffen
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Zeit-Fragen 2007
der Wirtschaft schweren Schaden zufügen. Die Zahl der Todesopfer wird
wahrscheinlich beträchtlich sein, aber vom militärischen Standpunkt betrachtet
nicht katastrophal. Gleichzeitig ist es unmöglich, ein Land von der Grösse Irans
ohne Bodenoperation unter Kontrolle zu bekommen. Die geplante Offensive
wird nicht nur die Konsolidierung der Kräfte in Iran zur Folge haben, sondern
auch in anderen islamischen Ländern und in der Öffentlichkeit auf der ganzen
Welt. Die Unterstützung für das von der Aggression der Vereinigten Staaten
von Amerika und Israels getroffene Land wird rapid ansteigen. Sicher ist sich
Washington dessen bewusst, dass das Ergebnis nicht die Stärkung, sondern die
Schwächung der Positionen der Vereinigten Staaten von Amerika in der Welt
sein wird. Infolgedessen muss das Ziel des Angriffs der Vereinigten Staaten von
Amerika gegen Iran in einem anderen Licht gesehen werden. Der nukleare
Angriff muss die Wirksamkeit nuklearer Erpressung in der Weltpolitik der
Vereinigten Staaten von Amerika verstärken und die Weltordnung von Grund
auf wandeln.
Weitere Beweise für die Radikalisierung der Absichten der Vereinigten Staaten
von Amerika und ihrer Alliierten liegen vor. Die Anfang 2007 durchgesickerten
Meldungen über israelische Pläne für den Einsatz von drei Atomwaffen gegen
den Iran waren sehr gefährlich für ein Land in einer feindlichen Umgebung,
sind aber offensichtlich mit Absicht verbreitet worden. Sie bedeuteten, dass die
Entscheidung über den Charakter der Aktivitäten Israels bereits gefällt worden
war und dass es nur mehr darum ging, die öffentliche Meinung entsprechend
zu beeinflussen.
Der Vorwand für den Überfall auf Iran erscheint keineswegs seriös. Vom
technischen wie vom politischen Standpunkt aus beurteilt ist es unmöglich,
dass dieses Land in nächster Zukunft Nuklearwaffen entwickelt. Man muss sich
in Erinnerung rufen, dass Behauptungen, dass der Irak
Massenvernichtungswaffen besitze, von den Vereinigten Staaten von Amerika
als Vorwand für den Krieg gegen dieses Land benutzt worden sind. In der Folge
wurde der Irak verwüstet, und die Todesrate bei den Zivilisten stieg in die
Hunderttausende, aber kein Beweis für diese Behauptungen wurde je entdeckt.
Die wirklich wichtige Frage ist nicht, ob Iran Atomwaffen herstellen kann. Die
einzige Funktion eines kleinen Bestandes von nuklearen Waffen, die nicht
durch verschiedene Formen von Unterstützungssystemen getragen werden, ist
die Abschreckung. Die Drohung eines Vergeltungsschlages kann jeden
Aggressor stoppen. Um andere Länder anzugreifen oder gar einen Atomkrieg
gegen eine Koalition grösserer Mächte zu gewinnen, bräuchte man ein
Potential, das Iran weder hat noch in absehbarer Zukunft haben wird. Die
Behauptungen, Iran könne zum nuklearen Aggressor werden, sind absurd.
Jeder, der auch nur die leiseste Ahnung von militärischen Angelegenheiten hat,
muss das verstehen.
Krieg, um Dollarzusammenbruch abzuwenden
Was ist der wirkliche Grund für die Vereinigten Staaten von Amerika, diesen
militäri-schen Konflikt zu entfesseln?
Handlungen mit Auswirkungen in globalem Ausmass können nur auf die Lösung
eines globalen Problems abzielen. Dieses Problem ist keineswegs ein
Geheimnis – es handelt sich um die Möglichkeit eines Zusammenbruchs des
globalen Finanzsystems auf der Grundlage des US-Dollars. Zurzeit übersteigt
die Geldmenge der US-Währung den totalen Wert der US-Vermögenswerte um
mehr als das Zehnfache. Alles in den Vereinigten Staaten von Amerika –
Industrie, Ge-bäude, Hightechanlagen usw. – ist weltweit um über das
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Zeit-Fragen 2007
Zehnfache hypothekarisch belastet. Eine Schuldenlast in diesem Ausmass wird
niemals zurückbezahlt – sie kann nur nachgelassen werden.
Die Dollarbeträge auf den Konten von Einzelpersonen, Organisationen und
Staatsfinanzen sind eine virtuelle Realität. Diese Guthaben sind nicht
abgedeckt durch Produkte, Werte oder irgend etwas, das real existiert. Die
Abschreibung dieser Verschuldung der Vereinigten Staaten von Amerika an
den Rest der Welt würde die Mehrheit ihrer Bevölkerung in betrogene Anleger
verwandeln. Das wäre das Ende der wohletablierten Herrschaft des Goldenen
Kalbs. Die Bedeutung der kommenden Ereignisse ist wahrlich episch. Aus
diesem Grund ignoriert der Aggressor die weltweit katastrophalen Folgen
seiner Offensive. Die bankrotten «globalen Banker» brauchen einen Gewaltakt
globalen Ausmasses, um aus dieser Situation herauszukommen.
Die Lösung ist bereits in den Plänen zu finden. Die Vereinigten Staaten von
Amerika haben dem Rest der Welt nichts anzubieten, um den sinkenden Dollar
zu retten, als militärische Operationen wie die im ehemaligen Jugoslawien,
Afghanistan und im Irak. Aber diese lokalen Konflikte erzielen nur kurzfristige
Wirkung. Etwas viel Grösseres wird gebraucht, und der Bedarf ist dringend. Der
Augenblick kommt näher, in dem die Finanzkrise der Welt klar machen wird,
dass alle Vermögenswerte der Vereinigten Staaten von Amerika, alle
industriellen, technologischen und anderen Potentiale diesem Land nicht
rechtmässig gehören. Dann muss das alles beschlagnahmt werden, um die
Opfer zu entschädigen, und die Besitzrechte von allem, was auf der ganzen
Welt für Dollars gekauft worden ist – alles aus dem Eigentum verschiedener
Nationen entnommen –, müssen revidiert werden.
Wohnraum für israelische Bürger in Russland?
Was könnte den Gewaltakt im erforderlichen Ausmass verursachen? Alles
scheint darauf hinzudeuten, dass Israel geopfert werden wird. Seine
Beteiligung an einem Krieg mit Iran – insbesondere an einem Atomkrieg – muss
unweigerlich eine globale Katastrophe auslösen. Beide Staaten – Israel und Iran
– stehen auf der Grundlage der jeweiligen offiziellen Religion. Ein militärischer
Konflikt zwischen Israel und Iran wird sich sofort zu einem religiösen
entwickeln, einen Konflikt zwischen Judentum und Islam. Die Anwesenheit
zahlreicher jüdischer und islamischer Bevölkerungsgruppen in den entwickelten
Ländern würde unweigerlich zu einem weltweiten Blutbad führen. Alle aktiven
Kräfte in den meisten Ländern würden sich gegenseitig bekämpfen, für
Neutralität bliebe kaum noch Raum. Nach zunehmend massiven Beschaffungen
von Wohnraum für israelische Bürger besonders in Russland und der Ukraine
haben bereits viele Menschen bestimmte Vorstellungen von dem, was kommen
wird. Es ist jedenfalls schwer, sich einen sicheren Platz vorzustellen, an dem
man sich vor dem kommenden Verhängnis verstecken könnte. Prognosen über
territoriale Verteilung der Kämpfe, Ausmass und Effizienz der verwendeten
Waffen, tieferliegenden Charakter der dem Konflikt zugrundeliegenden Wurzeln
und Härte der religiös motivierten Kämpfe lassen keinen Zweifel daran
aufkommen, dass dieser Konflikt in jeder Beziehung ein schlimmerer Alptraum
sein wird als der Zweite Weltkrieg.
Bis jetzt geben die Reaktionen der bedeutenderen politischen Führer auf diese
Entwicklungen keinerlei Anlass zu Optimismus. Die inkonsequenten UnoResolutionen betreffend Iran, die Versuche, den Aggressor, der seine Absichten
nicht länger verheimlicht, zu besänftigen, erinnern an das Münchner
Abkommen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Die rege Reisediplomatie,
die sich um alle möglichen internationalen Probleme dreht – ausgenommen das
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Zeit-Fragen 2007
oben beschriebene Hauptproblem –, weist ebenfalls auf den Ernst der Lage hin.
Es ist eine übliche Gepflogenheit vor dem Ausbruch eines Krieges, sich um
Allianzen mit nicht beteiligten Ländern zu kümmern oder sich deren neutraler
Haltung zu versichern. Diese Politik versucht, die Erstschläge zu vermeiden
oder abzumildern, die am unverhofftesten kommen und die grösste
Zerstörungen zur Folge haben.
USA und Israel isolieren
Ist es möglich, das Blutbad zu vermeiden?
Das einzige wirksame Argument, das die Aggressoren stoppen könnte, ist die
Dro-hung mit ihrer totalen weltweiten Isolation für ihre Entfesselung eines
Atomkriegs. Die Durchführung des oben geschilderten Szenarios kann
unmöglich gemacht werden durch das völlige Fehlen von Verbündeten des
Tandems Vereinigte Staaten von Amerika – Israel in Verbindung mit deutlichen
öffentlichen Protesten in den Ländern. Aus diesem Grund wäre in diesen Tagen
eine eindeutige und kompromisslose Haltung von führenden Politikern,
Regierungen, öffentlichen Vertretern, religiösen Führern, Wissenschaftern und
Künstlern in Hinblick auf den vorbereiteten nuklearen Angriff ein Dienst an der
Menschheit von unschätzbarem Wert.
Die koordinierten öffentlichen Aktivitäten müssen entsprechend dem Stand der
Kriegsvorbereitungen unverzüglich organisiert werden. Die aggressiven Kräfte
sind bereits aufmarschiert und stehen in voller Kampfbereitschaft in ihren
Startpositionen. Das Militär der Vereinigten Staaten von Amerika macht kein
Geheimnis daraus, dass es sich um eine Angelegenheit von Wochen oder gar
Tagen handeln kann. Es gibt indirekte Hinweise, dass die Vereinigten Staaten
von Amerika bereits im April 2007 einen nuklearen Angriff gegen Iran
entfesseln werden. Nach der ersten atomaren Explosion wird die Menschheit
sich in einer gänzlich neuen Welt finden, in einer absolut inhumanen. Alle
Chancen, das zu verhindern, müssen vollständig genützt werden! •
Originalartikel unter: en.fondsk.ru/article.php
Übersetzung: Nick Mader, 4.4.2007
*General Leonid Ivashov ist Vize-Präsident der Akademie für geopolitische Probleme.
Er war Chef der Abteilung für Allgemeine Angelegenheiten im
Verteidigungsministerium der Sowjet union, Sekretär des Rates der
Verteidigungsminister der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), Chef des
Departements für militärische Zusammenarbeit beim Verteidigungsministerium der
Russischen Föderation und Vize-General stabschef der russischen Armeen.
Nr. 17, 30. April 2007, Seite 5,6
Serbien – 8 Jahre nach dem Krieg der Nato
von Barbara Hug
Eindrücke zu sammeln in einem kleinen Land auf dem Balkan, das einige Jahre
nach dem kalten Krieg schamlos von denen vernichtet wurde, die den Osten
stets als Feind darstellten und ihm aggressive Angriffspläne unterstellten – das
war das Bestreben unserer Reise. Wir sprachen mit Menschen in Belgrad, in Nis
und auf dem Land. Wie war das eigentlich mit dem Krieg? Wie geht es heute?
Dossier Uranwaffen
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Zeit-Fragen 2007
Warum der Krieg damals? Warum die Tonnen abgereicherten Urans? Warum
die Kassettenbomben (Cluster-Bomben)?
Noch heute stehen die zerbombten Hochhäuser als Ruinen im Zentrum von
Belgrad, zum Beispiel das Verteidigungsministerium, eine Ruine, gegenüber
dem Aussenministerium, das wieder instand gesetzt wurde.
Noch stehen die zerbombten Wohnhäuser in Nis inmitten der Stadt. Noch
immer findet man die nicht explodierten Kassettenbomben auf einem
Schulhausdach. Noch heute stirbt der Bauer an den Bomben in seinem Feld.
Die Krankenhäuser sind voll von Menschen, die einige Jahre nach dem Krieg an
Krebs erkrankt sind. Die Statistik zeigt einen steilen Anstieg an, wie die
Epidemiologin Natascha Lukic vom onkologischen Zentrum in Nis erklärt (vgl.
Artikel auf Seite 8). In Kosovo sei die Krebsrate noch höher. Darüber werde
geschwiegen. Ob die Nahrungskette von der Uranmunition tangiert sei?
Natürlich wurde diese Frage akut. Drei Versuche, ein Gremium zu schaffen, das
diese untersuchen sollte, scheiterten. In wessen Interesse muss ten diese
Gremien scheitern?
Nato-Waffenexperimente
Die Nato bombardierte zielgenau – Infrastruktur, Fernsehstationen, Fabriken,
Elektrizitätswerke, Brücken, die Eisenbahn und die Flüchtlingskolonnen.
Aufgeführt sind die exakten Daten der Bombardierung und ihre Ziele im
«Yugoslav Daily Survey» vom 8. Juni 1999. Zudem habe ein eigentlicher Ökozid
stattgefunden, so bei Vojin Joksimovich nachzulesen. (Nato Commits Ecocide in
Serbia, Vortrag am Serbian Unity Congress, Sept. 1999, Cleveland/Ohio)
Die Umwelt in Serbien ist kontaminiert, darüber sind sich alle unsere
Gesprächspartner im klaren. Einig ist man sich auch, dass die Amerikaner hier
Experimente mit neuen Waffen durchführten. So findet sich zum Beispiel keine
schlüssige Erklärung für die Wahl eines zentralen Bombardierungsziels mit
Uranmunition: im Süden, an der Wasserscheide von zwei Flüssen – warum
dieses Ziel? Keine militärische Einrichtung, keine Stadt, keine Fabrik, nichts,
was auf den ersten Blick von militärisch-strategischem Interesse gewesen sein
könnte. Schätzungen zufolge wurden 15 Tonnen abgereichertes Uran in der
Umgebung von Urosevac abgeworfen. Von hier aus fliessen die Flüsse ins
Schwarze Meer und in die Ägäis. Wollte man diese Meere mit Uran verseuchen?
Oder mit Plutonium? Niemand kann das Rätsel auflösen. Die Antwort kann nur
von den Nato-«Partnern» gegeben werden. Tatsache ist, dass in Kosovo die
jungen Männer sterben. In den Todesanzeigen wird jeweils die Wendung «nach
kurzer schwerer Erkrankung» verwendet. Das heisst «an Krebs» gestorben.
Zerstörung der Lebensgrundlagen
Das nukleare Forschungszentrum Vinca hat einige Örtlichkeiten – rund um
einige Bombenkrater – dekontaminiert, an denen die Verseuchung durch
abgereichertes Uran sehr stark war. Die Erde wurde abgetragen und in Fässern
nach Vinca gebracht, wo sie nun auf weitere Entsorgung wartet. Bis 2001
weidete das Vieh auf dem Gelände. Erst 2001 wurde ein Zaun gebaut. Aber die
landwirtschaftlich genutzten Flächen von Serbien, die Wiesen für die Ziegen,
Schafe und Kühe – deren Verseuchung ist nicht zu beseitigen. Das
Umweltministerium scheint nicht gerne darüber zu informieren. Es gebe keine
genauen Daten, jedenfalls keine offiziellen.
«So findet sich zum Beispiel keine schlüssige Erklärung für die Wahl eines
zentralen Bombardierungsziels mit Uranmunition: im Süden, an der
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Zeit-Fragen 2007
Wasserscheide von zwei Flüssen – warum dieses Ziel? Keine militärische
Einrichtung, keine Stadt, keine Fabrik, nichts, was auf den ersten Blick von
militärisch-strategischem Interesse gewesen sein könnte. Schätzungen zufolge
wurden 15 Tonnen abgereichertes Uran in der Umgebung von Urosevac
abgeworfen. Von hier aus fliessen die Flüsse ins Schwarze Meer und in die
Ägäis. Wollte man diese Meere mit Uran verseuchen? Oder mit Plutonium?»
Verständlich, wenn man bedenkt, dass das arme Serbien Einkünfte von der
Ausfuhr seiner landwirtschaftlichen Produkte hat. Aus Bujanovac werden Kühe
mit körperlichen Anomalien gemeldet, es scheint jedoch keine Zunahme an
missgebildeten Kindern in Südserbien zu geben. Die medizinischen Zentren
verfügen zwar über die handfesten Missbildungs-, Krebs- und andere
Gesundheitsdaten. Diesen Daten und ihrer Aussagekraft Gewicht zu verleihen,
dazu müsste die Initiative von der Regierung kommen.
Erhöhung der Krebsraten – schon nach dem Bosnien-Krieg
Damals waren die Menschen wegen der Luftangriffe auf Hadzici, einem Vorort
von Sarajevo, nach Bratunac, in Ostbosnien geflüchtet. Die Ärzte fanden bei
diesen Flüchtlingen einen enormen Anstieg der Krebsrate, nicht aber unter den
Einwohnern in Bratunac. Die Ärztin Dr. Slavica Jovanovic, Direktorin des
Krankenhauses in Bratunac, meinte vor einigen Jahren, dass die
Krebserkrankungen der Flüchtlinge drei Jahre nach dem Bosnien-Krieg in einem
Kausalzusammenhang zur Bombardierung zu betrachten seien. Dr. Stojan
Radic aus Nis, Direktor der Onko logischen Klinik, findet eine erhöhte
Unfruchtbarkeitsrate bei Frauen nach dem Krieg gegen Serbien. Ob das eine
«normale» Folge des Tschernobyl-Fallouts sei, könne er nicht eindeutig
beurteilen, auch der Uranstaub könne eine Ursache sein.
Radomir Kovacevic, Direktor des Radiologischen Instituts in Belgrad, habe sich
über die Gefährlichkeit der Inhalierung von Uranstaub geäussert. Der UNEPBericht aus dem Jahr 2000 habe sogar Plutonium gefunden. Ein Pathologe, Dr.
Zoran Stankovic, habe als erster auf die krebsauslösende Wirkung der
Uranmunition aufmerksam gemacht. Er war Arzt am Medizinischen Zentrum
des Militärs in Belgrad. Bis vor kurzem war er Verteidigungsminister. Manche
Ärzte sprachen offen, sie haben einen guten Ruf, sie haben die Daten.
Beeinflussung der NGOs
Die Nato versuche, so unsere Gesprächspartner, ein gezieltes weiches
Lobbying unter den Nichtregierungsorganisationen in Serbien zu dem Zweck zu
betreiben, dass sich keine Umwelt-NGO mit der Problematik des
abgereicherten Urans befasse. Die Einflussnahme geschieht über verschiedene
Kanäle. Einer davon ist das Geld. Nur für «richtige» Projekte erhalten die NGOs
Geld, meist aus dem Ausland, von Frankreich, Schweden, Deutschland oder
England. Ein Projekt mit Wasser oder Vogelschutz würde sehr gut passen, ist
die Meinung, und so «bestellt» eine westliche Regierung und bezahlt an die
serbischen NGOs. Eine andere Kanalisierung im politischen Sinn ist die
Vereinnahmung kleiner NGOs durch grössere, zum Beispiel durch das Regional
Environmental Center for Central and Eastern Europe, mit Sitz in Szentendre,
Ungarn. Woher fliesst das Geld für diesen Dachverband, der die kleinen NGOs
an sich zu binden versucht? Eine kleine NGO in Serbien hat kaum eine
Möglichkeit, ohne Beitritt zu diesem «Dach» Unterstützung zu erhalten.
Ethnische Spannungen – künstlich erzeugt
Es sei ein Märchen, eine Lüge, so unser serbischer Freund, dass die
Dossier Uranwaffen
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Zeit-Fragen 2007
Flüchtlingsströme aus Kosovo durch die Serben ausgelöst worden seien. Die
Flüchtlingsströme seien durch die Bombardierungen der Amerikaner ausgelöst
worden. Unter Tito habe es kein Problem der verschiedenen Ethnien und keine
Spannungen zwischen den Ethnien gegeben. Es sei künstlich geschaffen
worden.
Wirtschaftlich sei es recht gut gegangen bis Anfang der 90er Jahre. Die letzten
15 Jahre seien wirtschaftlich eine Katastrophe. Die Menschen sind ärmlich
gekleidet, die Preise vergleichsweise hoch, die Arbeitslosigkeit enorm, die
soziale Sicherheit gleich null. Um Milosevic abzusetzen, hätte es keinen Krieg
gebraucht, so sind sich unsere Gesprächspartner einig. Milosevic sei ein Mann
der CIA gewesen. Er habe die Korruption und die Kriminalisierung der Polizei
zugelassen. Heute herrsche eine korrupte Oberschicht in Serbien. Warum der
Krieg gegen Jugoslawien? Das sei nur der erste Schritt auf dem Weg zu den
enormen Naturreichtümern Russlands – so die Meinung.
Abgereichertes Uran und andere Bomben …
Ein Treffen an der Fakultät für Arbeitssicherheit in Nis gibt uns Gelegenheit, mit
Prof. Nedeljkovic ins Gespräch zu kommen (vgl. Artikel auf Seite 6). Zusammen
mit dem Media Center in Nis war im Oktober letzten Jahres – von der NGO
Ekolend – eine Tagung zu DU (Depleted Uranium) veranstaltet worden. Dr.
Radic und Prof. Nedeljkovic hatten über die Schäden der Gesundheit als Folge
der Uranmunition informiert. Nicht nur DU, auch andere Bomben seien in der
Nähe der bulgarischen Grenze gefallen, die die Nacht zum Tag gemacht hätten
– auch hier wieder müssen die Nato-«Partner» Auskunft geben, wird uns
berichtet.
Ob die Amerikaner denn keine Sorge hätten, dass ihre Soldaten in Camp
Bondsteel, die im schwer kontaminierten Gebiet im Süden Serbiens
untergebracht seien, krank würden? Es seien in der Mehrzahl amerikanische
Soldaten mit Latino-Herkunft, und die gesamte Nahrung würde vom Ausland
hereingeschafft …
Im Jahre 1999 habe in Serbien noch niemand über die Probleme mit DU
geredet. Schliesslich wurde es durch erkrankte italienische, deutsche und
portugiesische Soldaten ans Tageslicht gebracht. In Serbien selbst sprach
Zoran Stankovic von der Militärakademie als erster darüber. Er hatte die
Leichen von Soldaten aus dem Bosnien-Krieg untersucht. 1996 sei Sarajevo
bombardiert worden. Stankovic habe ein medizinisches Follow-up (also eine
Nachuntersuchung) der Soldaten gefordert. Für Soldaten wurde dies
durchgeführt, jedoch nichts davon veröffentlicht.
Die kluge Einschätzung der Kriegsgründe unserer serbischen Gesprächspartner
beeindrucken. Der Krieg kam zu ihnen – sie waren gezwungen, die Vorgänge zu
verstehen. Man wolle den Krieg in Europa führen, so die Ansicht unserer
Gesprächspartner. Der Krieg gegen Iran sei davon zu unterscheiden – Europa
als Wirtschaftsmacht könne sich wirtschaftlich im Laufe von 20 Jahren wieder
rekonstruieren – Iran, der Irak oder Afghanistan könnten sich auch 20 Jahre
nach dem Krieg noch nicht erholen. Diese wirtschaftliche Seite der Motive der
Kriegstreiber stellt jedes Gefasel von «ethnischen Spannungen» als auslösende
Ursache in den Schatten. Die wahren Kriegsgründe sind den Menschen
wohlbekannt. Wirtschaftlich ausbluten, vernichten, dann wieder Geschäfte
machen. Der US-amerikanische Sender Fox News wurde damals überall in
Jugoslawien ausgestrahlt. Die Stadt Nis hat heute mehr als 10 private
Fernsehsender, konnte aber keine nationale Frequenz bekommen, alle
nationalen Frequenzen seien in Belgrad.
Dossier Uranwaffen
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Zeit-Fragen 2007
Kassettenbomben auf dem Dach einer Schule
Wenige Tage vor unserem Besuch war auf dem Dach einer Schule eine nicht
explodierte Kassettenbombe gefunden worden. Spezialisten aus Belgrad
brachten sie zur Explosion. Niemand war zu Schaden gekommen. Die
besondere Bewandtnis dieser Munition ist, dass sie erst explodiert, wenn ein
Mensch damit in Berührung kommt. Kassetten oder Clusterbomben töten, auch
Jahre nach dem Krieg. Internationale Bemühungen laufen, ihre Verwendung zu
verbieten.
Die Fragen bleiben: Wer hilft der serbischen Bevölkerung? Wer gibt finanzielle
Hilfe für die überfüllten Krankenhäuser? Wie kann die Landwirtschaft gedeihen,
von der viele Familien abhängig sind? Gibt es irgendeine Technologie, den DUStaub zu vermeiden?
Wir sind von unserer Reise sehr bedrückt zurückgekehrt. Das menschliche
Gewissen verbietet ein Wegschauen.
•
Wie PR-Firmen den Westen in den Krieg gegen Serbien logen
Die PR-Firmen, die in den Balkan-Kriegen tätig waren, sind, wie gezeigt, ganz
überwiegend mächtige, gesellschaftlich (zumindest in der US-Gesellschaft)
anerkannte und vertrauenswürdige Kommunikationsspezialisten. Sie gelten
als glaubwürdige Quellen und Akteure, insbesondere wenn man ihr
personelles Profil berücksichtigt. Sie erfüllen alle Voraussetzungen eines
»unabhängigen Botschafters« («independent messenger»), wie er für die
Public diplomacy gefordert wird (Peterson 2002).
Somit haben wir in den Balkan-Kriegen die Konstellation, dass
Kriegsregierungen ihre Propaganda durch den Filter von PR-Agenturen und
deren zahlreiche Kommunikationskanäle in glaubwürdige Botschaften
verwandeln konnten. Daraus resultiert eine starke Homogenisierung der
öffentlichen Meinung in den USA (und in den westlichen Gesellschaften
überhaupt): die US-Regierung, amnesty international, Human Rights Watch,
Freedom House, das United States Institute of Peace, die Soros Foundation,
liberale Intellektuelle und weite Kreise der Konservativen, die Vereinten
Nationen, Journalisten, aber auch die Regierung in Zagreb, die Regierung in
Sarajevo, die Führung der Kosovo-Albaner, die UÇK – sie alle haben, mit
geringfügigen Nuancen, eine praktisch identische Lesart der Balkan-Kriege.
In einer etwas überspitzten Kurzfassung sieht diese so aus: Die Serben
verfielen in einen nationalistischen Wahn und wollten ein Grossserbien
errichten, Slobodan Milosevic, ein unverbesserlicher Kommunist, schwang sich
zu ihrem Führer auf und griff mit der Jugoslawischen Volksarmee die
nichtserbischen Republiken und Völker an und liess sie dabei
Massenvergewaltigungen, ethnische Säuberungen und Völkermord begehen;
die anderen exjugoslawischen Nationen – Slowenen, Kroaten, Bosnier, Albaner,
Mazedonier – waren friedliebende, demokratische Völker (die Montenegriner
hatten ein geteiltes Image – solange sie mit Belgrad solidarisch waren, galten
sie als ebenso aggressiv, als sie mit Belgrad brachen, verwandelten sie sich in
ein friedliebendes Volk).
Das ist das Bild der Balkan-Kriege, das die PR-Agenturen 1:1 verbreitet haben.
Und es ist deckungsgleich mit der Propaganda der exjugoslawischen,
nichtserbischen Kriegsparteien.
Quelle: Becker, Jörg, Beham, Mira: Operation Balkan: Werbung für Krieg und
Dossier Uranwaffen
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Zeit-Fragen 2007
Tod,
ISBN 3-8329-1900-7, S. 35
US-Propaganda sprach von 500 000 Toten in Kosovo – eine blanke
Lüge
Untermauert wurde diese «ausser Rand und Band geratene Kriegsrhetorik»
(Baier 1999) mit laufend lancierten, jedoch unbewiesenen und im Augenblick
ihrer Meldung auch unbeweisbaren Horror- und Greuelgeschichten, die ein
ungeahntes Ausmass serbischer Verbrechen suggerierten. Der USamerikanische Verteidigungsminister Cohen trat am 16. Mai vor die Presse
und sprach von «bis zu 100 000 Toten», einer Zahl, die vom Sprecher des
State Department, James Rubin, bereits am 19. April in Umlauf gebracht
worden war, wobei das US-amerikanische Aussenministerium nicht
ausschloss, dass sogar bis zu 500 000 vermisste Kosovo-Albaner getötet
worden sein könnten (vgl. Halimi/Vidal 2000).
Die Vereinten Nationen bezifferten die Toten erst auf 44 000, dann auf 22 000, um sich
schliesslich nach Beendigung des Kosovo-Krieges auf die Zahl von 11 000
festzulegen (vgl. Odraz 1999).*
Rudolf Scharping legte am 8. April 1999 den «Hufeisenplan» vor, über den er in seinem
Kriegstagebuch notierte: «Endlich haben wir den Beweis dafür, dass schon im Dezember 1998 eine
systematische Säuberung und die Vertreibung der Kosovo-Albaner geplant worden waren»
(Scharping 1999, 107). Später entlarvte u.a. der deutsche Brigadegeneral Heinz Loquai Scharpings
Hufeisenplan als eine Fälschung (vgl. Loquai 2000).
Quelle: Becker, Jörg, Beham, Mira: Operation Balkan: Werbung für Krieg und
Tod,
ISBN 3-8329-1900-7, S. 35
*Sechs Jahre nach Ende des Krieges der Nato gegen Jugoslawien hat das
Kriegsverbrechertribunal in Den Haag insgesamt 4392 Tote exhumiert, grossenteils
ohne die nationale Zugehörigheit oder die Todesursachen zu spezifizieren, davon
sind 2099 (58%) identifiziert; das jugoslawische Komitee zur Dokumentation von
Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat für den Zeitraum von Januar 1998 bis
November 2001 die Zahl von 1835 Toten (davon 297 albanische Zivilisten) und
1441 Vermissten festgehalten; das Komitee des Internationalen Roten Kreuzes hat in
der dritten Ausgabe seines Buches der Vermissten (2004) die Namen von
3272 Personen dokumentiert, die spurlos verschwunden sind, davon etwa
300 Serben; nach Informationen des Serbischen Roten Kreuzes wurden im Zeitraum
von Juni 1999 bis Ende 2003 1192 Serben und 593 Angehörige anderer
Nationalitäten in Kosovo getötet; die serbische NGO der Angehörigen vermisster
Personen in Kosovo suchte im Jahre 2005 immer noch nach 1128 spurlos
verschwundenen Angehörigen.
Nr. 17, 30. April 2007, Seite 7, 8
Dossier Uranwaffen
60
Zeit-Fragen 2007
Rasante Verbreitung bösartiger Tumore
von Dr. Natasa Lukic, Fachärztin der Epidemiologie, Krankenhauskrebsregister,
Onkologische Klinik KC Nis
Bösartige Tumore stellen die wichtigste Ursache der Krankheiten dar, die zur
Invalidität und frühzeitigem Sterben in unserer Umgebung führen, gestützt
auch von der Angabe, dass in Serbien jedes Jahr 32 000 Personen von Krebs
befallen werden und 19 000 davon gestorben sind.
Auf Grund der Daten aus dem Krebsregister sind im Jahre 2002 in
Zentralserbien 23 898 Personen an bösartigen Tumoren erkrankt, davon 12
449 Männer und 11 449 Frauen.
Die Männer erkrankten meistens an Lungen- oder Bronchienkrebs (23,9%),
Darmkrebs (Kolon und Rektum) (12,8%), Prostatakrebs (7,9%), Blasenkrebs
(7,7%) und Magenkrebs (5,7%).
Bei den Frauen war der bösartige Tumor meistens als Brustkrebs (25,4%),
Gebärmuttermundkrebs (9,5%), Darmkrebs (Kolon und Rektum) (9,2%),
Lungen- und Bronchienkrebs (7,8%) und Gebärmutterkrebs (5,1%) lokalisiert.
Der Krebs stellt die zweitwichtigste Ursache für die Sterblichkeit in unserer
Umgebung – nach Herz- und Herzgefässkrankheiten – dar. Die Zunahme der
Sterblichkeit beider Geschlechter in unserer Umgebung im Zeitraum von 1990
bis 2002 ist um etwa 28% gestiegen.
In Zentralserbien sind im Jahre 2002 13 067 Personen an Krebs, das heisst
7496 Männer und 5571 Frauen, gestorben. Die Männer starben meistens
wegen Lungen- und Bronchienkrebs (29,2%), Darmkrebs (Kolon und Rektum)
(11,7%), Magenkrebs (7,7%) und Prostatakrebs (6,8%).
Auf Grund der gleichen Quellen waren die Frauen bei uns meistens die Opfer
von Krebs lokalisiert an der Brust (17,6%), Lungen- und Bronchien (11,2%),
Darm und Enddarm (Kolon und Rektum) (10,8%) und Gebärmuttermund
(6,6%).
In 5 Jahren 23 Millionen bösartige Tumore entdeckt
Auf der ganzen Welt erkranken jedes Jahr über 10 Millionen Personen an Krebs.
Man schätzt, dass zurzeit auf der ganzen Welt in den letzten 5 Jahren bei etwa
23 Millionen Personen bösartige Tumore entdeckt worden sind, die die Heilung
beendet haben oder bei denen die Heilung noch im Gange ist.
Die grösste Zuwachsrate wird in Industrie-ländern registriert.
Laut Schätzungen der Internationalen Gemeinschaft im Kampf gegen den
Krebs in Europa werden sich als Folge der Häufigkeit der Risikofaktoren und
des Altwerdens der Bevölkerung in den nächsten 2 Jahrzehnten (bis 2025) in
den osteuropäischen Ländern die Neuerkrankungen verdoppeln.
Ein Drittel aller bösartigen Tumore kann man vorbeugen. Die Prävention richtet
sich auf die Reduktion der Risikofaktoren und auf die frühzeitige Erkennung der
Krankheit. Mehr als 40% der Todesfälle sind mit dem Rauchen, schlechter
Ernährung und Infektionen in Verbindung zu bringen.
Die bösartigen Krankheiten sind nur geringfügig (etwa 10%) das Resultat der
Wirkung genetischer Faktoren. Man nimmt an, dass die meisten Krankheitsfälle
unter dem Einfluss unseres Verhaltens und der Umwelt zustande kommen. Der
zeitgemässe Lebensstil erfordert die Änderung der Lebensgewohnheiten, der
Ernährungsart und der körperlichen Aktivität. Man ist auch immer mehr dem
Dossier Uranwaffen
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Zeit-Fragen 2007
schädlichen Einfluss der Umwelt ausgesetzt, was auch einen grösseren Einfluss
auf das Risiko von bösartigen Tumoren darstellt.
Die beste Art, die bösartigen Tumore zu bekämpfen, ist die primäre Prävention
– Krankheitsvorbeugung durch die Beseitigung der schädlichen Einflüsse oder
durch Einführen des positiven Verhaltens. Die Wissenschafter schätzen, dass
man durch Prävention zwei Drittel der Erkrankungen vermeiden kann.
Jedoch ist die Prävention der Krebserkrankungen nicht immer möglich: Noch
immer sind nicht alle Ursachen bekannt, oder wir sind nicht in der Lage, die
Ursachen zu vermeiden. Deswegen hat auch die sogenannte sekundäre
Prävention grosse Bedeutung, das heisst, die Früherkennung der Krankheit.
Wenn die Krankheit auftritt, dann hängt der Heilungserfolg von der Verbreitung
der Krankheit im Augenblick der Diagnosefeststellung ab.
Wenn wir die Bedeutung und die Wichtigkeit der Prävention der bösartigen
Erkrankungen ins Auge fassen, haben die meisten hochentwickelten Länder am
Ende des 20. Jahrhunderts massive Präventionsprogramme begonnen.
Die bedeutendsten davon sind Kampf gegen das Rauchen, Änderung der
Lebensgewohnheiten (Nahrung, körperliche Aktivität), regelmässige
Untersuchungen (Screening-Programme). Diese Aktivitäten haben die
Zunahme der Erkrankungen gestoppt, und in manchen Fällen kommt es zu
einer Verringerung der Erkrankungen und der Todesfälle.
Die Frauen in Serbien haben heute das grösste Krebsrisiko
Auf Grund der bestehenden Beweise für die Effektivität und Rentabilität der zur
Verfügung stehenden Methoden für die Früherkennung werden heute
allgemein anerkannt und von internationalen Institutionen vorgeschlagen:
Programme für Screening des Gebärmuttermundkrebses, Brustkrebses und
Dickdarmkrebses. Wenn es sich um andere Lokalisationen der bösartigen
Krebse handelt (z. B. Prostata), unterstützen die Beweise noch nicht die
Durchführung von Screening in der allgemeinen Population.
In unserem Land ist von der Onkologie-Fachkommission der Republik neben
dem Screening des Gebärmuttermundkrebses im Jahre 2007 auch Screening
von Dickdarmkrebs geplant. Es wurde auch die Entscheidung für Screening des
Brustkrebses getroffen, aber weil es sehr umfangreiche und mit grossen
Mitteln verbundene Arbeiten erfordert, ist die Einführung nicht terminiert. Wir
hoffen aber, dass in absehbarer Zeit auch in Serbien mit diesem Screening
begonnen wird.
Mit dem Standardwert der Erkrankungen (Inzidenz) von 27,2 von 10 000 sind
die Frauen in Serbien heute mit dem höchsten Risiko in Europa an
Gebämuttermundkrebs zu erkranken, konfrontiert, das vergleichsweise dreimal
so hoch ist wie in der EU. Wenn es sich um Sterben handelt, ist eine grössere
Mortalität als in Serbien nur in Rumänien registriert.
Die französische Regierung hat im Rahmen der Hilfe dem Gesundheitssystem
in Serbien im Jahre 2004 das Büro der SZO in Belgrad kontaktiert, mit der
Forderung zur Implementation des Screening-Programms des
Gebärmuttermundkrebses in Zentral serbien. Die Phasen der
Programmentwicklung, der Identifikation und der Formulierung dauerten bis
April 2004. Dann begann die Implementation des Programms. Die Mittel der
französischen Regierung wurden bereitgestellt, und der offizielle Beginn des
Programms war Anfang 2005.
Die Ziele des obengenannten Projekts waren die Verringerung der Sterblichkeit
wegen des Gebärmuttermundkrebses im Landkreis Branicevo (wo die höchste
Rate existiert), durch die Screeningmodellierung und durch Verbesserung der
Dossier Uranwaffen
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Zeit-Fragen 2007
Qualität der Dienste der Gynäkologen im primären Gesundheitsschutz, auch bis
zum nationalen Niveau.
Anstieg der Krebsrate um 53% in der Klinik von Nis
Ein Jahr nach der Realisation betrug die durchschnittliche Rate der
gynäkologischen Untersuchungen 44,2%. In der Strategiekreation, die von der
Einzelperson in Richtung Gemeinschaft läuft und von Krankheit in Richtung
Genesung, wurde ein effektives System der Einladungen für Frauen
untersuchungen, die Mitteilung der PAP-Tests und der Organisation der
weiteren diagnostischen Prozeduren und Therapien hergestellt.
Als Beitrag für das Einführen des Screening-Programms dienen auch die Daten
des Krankenhauskrebsregisters der Onkologischen Klinik in Nis, wonach in den
letzten Jahren (1996–2005) die Anzahl der von irgendeiner Art der bösartigen
Krebskrankheiten erkrankten Personen um 53% gewachsen ist. Die grösste
Zunahme wurde bei den urologischen Tumoren verzeichnet (178%),
Digestivtumoren (96%), gynäkologischen Tumoren (51%), Brustkrebs (23%).
•
Serbien, Januar 2007
«Drei Millionen Kinder wurden direkt gefährdet durch die wahllosen
Bombardierungen der Nato-Aggressoren. Seit Anfang der Aggression wurden
viele Kinder getötet und verwundet. Fast 250 000 Flüchtlingskinder aus den
früheren Jugoslawischen Republiken Kroatien und Bosnien-Herzegowina, die
einen sicheren Hafen in der Bundesrepublik Jugoslawien gefunden haben,
wurden noch einmal den Schrecken des Krieges ausgesetzt. Seit Anfang der
Aggression sind Kinder nicht in der Lage die Schule zu besuchen, und es wird
geschätzt, dass im Herbst fast 100 000 Kinder die Schule nicht werden
anfangen können, weil viele Vorschulinstitutionen und Grundschulen durch
Nato-Bomben zerstört wurden.»
Quelle: Yugoslav Daily Survey, No. 2402, Special Issue, 8. Juni 1999
Nr. 17, 30. April 2007, Seite 10
Nuklearmaterial für israelische Atomwaffen
Israel will auf dem Gebiet der Atomkraftwerke weiter ausbauen. Eine
Sprecherin der israelischen Atomkommission bestätigt den beabsichtigten Bau
eines Kernkraftwerkes. «Angesichts des Energiebedarfs in Israel ist es nur
natürlich, dass wir Interesse zeigen», bestätigte die Sprecherin Nili Lischiz. «Im
Moment sind wir allerdings erst in der Planungsphase.» Westliche Fachleute
sind allerdings der Meinung, dass die Planungsphase schon lange
abgeschlossen ist. Israel betreibt nämlich schon seit vielen Jahren zwei
Atomreaktoren «zu Forschungszwecken». Dabei gilt es als sicher, dass
zumindest in der grösseren der beiden Anlagen Nuklearmaterial für israelische
Atomwaffen hergestellt wurde und weiter hergestellt wird.
Ein Drittel der israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland sind nach
Schätzungen der israelischen Friedensorganisation Shalom Ahshav (Frieden
jetzt) auf Privatland von Palästinensern gebaut worden. Der Anteil liege bei
Dossier Uranwaffen
63
Zeit-Fragen 2007
32,5 Prozent, hiess es in einem veröffentlichten Bericht der Organisation, der
auf neuen Daten der israelischen Verwaltung basiert. Diese Zahlen stehen aber
im Widerspruch zu den Angaben der israelischen Regierung, wonach die
Siedlungen ausschliesslich auf nicht privatem Land bzw. auf Grundparzellen
ohne ausgewiesene Eigentümer errichtet worden seien. Derzeit leben rund 2,4
Millionen Palästinenser und 268 000 israelische Siedler im Westjordanland, das
Israel seit 1967 besetzt hält. Nach früheren Angaben von Shalom Ahshav ist die
Zahl der Siedlungen 2006 gleichgeblieben, ihre Bevölkerungszahl hat sich
indessen aber um fünf Prozent erhöht. Nach Bestimmungen der Vierten Genfer
Konvention ist die Übersiedlung der eigenen Bevölkerung auf besetztes
Territorium grundsätzlich nicht zulässig. Israel umgeht diese Bestimmung mit
der Begründung, dass es sich nicht um «besetztes», sondern um
«umstrittenes» Land handelt. Diese Rechtsauffassung wird allerdings von der
internationalen Staatengemeinschaft und auch von den USA nicht geteilt – was
aber keinerlei Konsequenz für Israel hat. •
Quelle: interinfo, Folge 341, April 2007
Nr. 19, 14. Mai 2007, Seite 4 bis 9, „Streifen“ untere Seitenhälfte
Gegen den Uranmissbrauch
Information zur Arbeit des World Depleted Uranium Centres (WODUC)
e. V.
von Prof. Dr. Albrecht Schott, Vorsitzender des WODUC e.V.
Das Böse
Ein Mensch – was noch ganz ungefährlich
Erklärt die Quanten (schwer erklärlich!).
Ein zweiter, der das All durchspäht,
Erforscht die Relativität.
Ein dritter nimmt, noch harmlos, an,
Geheimnis stecke im Uran.
Ein vierter ist nicht fernzuhalten
Von dem Gedanken, kernzuspalten.
Ein fünfter – reine Wissenschaft –
Entfesselt der Atome Kraft.
Ein sechster, auch noch bonafidlich,
Will die verwerten, doch nur friedlich.
Unschuldig wirken sie zusammen:
Wen dürften, einzeln wir verdammen?
Ist‘s nicht der siebte erst und achte,
Der Bomben dachte und dann machte?
Ist‘s nicht der Böseste der Bösen,
Der‘s dann gewagt, sie auszulösen?
Den Teufel wird man nie erwischen:
Er steckt von Anfang an dazwischen.
Dossier Uranwaffen
64
Zeit-Fragen 2007
Eugen Roth, Schriftsteller (1895–1976)
Übersicht
Zehntausende Kriegsveteranen und unzählige Menschen in den Kriegsgebieten
des Irak, Afghanistans, Bosniens und in Kosovo wurden infolge der
Kriegshandlungen radioaktiv verseucht!
Obwohl keine «klassischen» Atomwaffen eingesetzt wurden, kam es zu einer
radioaktiven Verseuchung von Soldaten und Bevölkerung: Moderne panzerund bunkerbrechende Waffen werden aus abgereichertem Uran hergestellt;
englisch Depleted Uranium (DU). Der Grund hierfür ist das hohe spezifische
Gewicht von Uran, das DU-Projektilen eine extrem hohe Durchschlagskraft
verleiht, verglichen mit Projektilen aus anderen Materialien. Daher ist DUMunition bei den Militärs sehr beliebt. Auch die Atomindustrie profitiert davon,
denn abgereichertes Uran fällt in grossen Mengen als Abfall an, wenn
Kernbrennstoffe für Kraftwerke oder waffenfähiges Uran hergestellt werden.
Allerdings: Wird abgereichertes Uran z.B. in Form von Stäuben von Menschen
aufgenommen, entfaltet es seine hochgradig zerstörerische Wirkung:
• Uran ist wasserlöslich,
• ist chemisch sehr giftig
• und radioaktiv.
Radioaktivität und chemische Giftigkeit schädigen Zellen und Erbmaterial!
Während der Kriegshandlungen im Irak, in Afghanistan, Bosnien und in Kosovo
wurden Tausende von Tonnen DU-Munition verschossen und das darin
enthaltene Uran dabei freigesetzt. Mensch, Tier und Pflanze werden immer
noch und auf unabsehbare Zeit verseucht:
• DU-Munition setzt bei Treffern feinste giftige, radioaktive Stäube frei, die
sich auch nach den Kampfhandlungen weiterverteilen.
• Auch wenn DU-Munition «nur herumliegt», zersetzt sie sich langsam und
entlässt die giftige Fracht in die Böden und ins Grundwasser
(Wasserlöslichkeit).
Die dramatischen Folgen sowohl für die Kriegsveteranen als auch die
Zivilbevölkerung in den Kriegsgebieten:
• Strahlenschäden, die zu einer Vielzahl von schweren Erkrankungen führen.
• Zunehmende Missbildungen bei Neugeborenen und Erbgutschäden, die sich
auf die nachfolgenden Generationen übertragen.
Aber nicht nur die Kriegsveteranen und Bewohner der Kriegsgebiete sind
betroffen, vielmehr muss inzwischen von einer globalen Verseuchung
gesprochen werden:
Nachweisbar verteilen sich die radioaktiven und giftigen DU-Stäube in der
Erdatmosphäre und erreichen daher auch uns fernab der Kriegsgebiete.
Darüber hinaus existieren in vielen Ländern der Erde (u. a. auch in
Deutschland) eine Reihe militärischer Gelände, welche durch die Verwendung
von DU-Munition radioaktiv verseucht wurden.
Um die weitere Verseuchung unseres Planeten abzuwenden, setzt sich das
World Depleted Uranium Centre (WODUC) e. V. unter der Leitung von Prof. Dr.
Albrecht Schott gegen den weiteren zivilen und militärischen Gebrauch von
abgereichertem Uran ein. Das WODUC ist eine wissenschaftliche und
regierungsunabhängige Organisation.
Wir sind auf Spenden von Menschen und Organisationen angewiesen, die uns
die Weiterarbeit in diesem Sinne ermöglichen wollen! Forderungen durch
Regierung und Industrie, welche die Unabhängigkeit einschränken, sind jedoch
Dossier Uranwaffen
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Zeit-Fragen 2007
grundsätzlich ausgeschlossen.
Wissensgrundlagen zu Uran und abgereichertem Uran (DU)
Uran ist ein Schwermetall. Mit seiner relativen Atommasse von vorwiegend 238
ist es das schwerste chemische Element, das natürlich vorkommt. Natururan ist
eine Mischung verschiedener Isotope1: 99,3% Uran 238, 0,7% Uran 235 und
0,006% Uran 234. Als Bombenstoff oder als Brennstoff im Kernkraftwerk ist nur
das Isotop Uran 235 zu gebrauchen. Um ein Kraftwerk zu betreiben oder eine
Atombombe zu zünden, muss das Uran 235 allerdings in höheren
Konzentrationen vorliegen als natürlich gegeben.
Die Konzentration von Uran 235 nennt man Anreicherung. Bei der
Anreicherung entsteht Abfall in Form von abgereichertem Uran (Depleted
Uranium; DU), das dann nahezu ausschliesslich aus Uran 238 besteht. Aus 8
Kilogramm Natururan wird entsprechend 1 Kilogramm
Kernkraftwerksbrennstoff gewonnen, wobei gleichzeitig 7 Kilogramm
abgereichertes Uran (DU) als Abfall entstehen. Zum Bau einer Atombombe
benötigt man hochangereichertes Uran; hier fallen für 1 Kilogramm
Bombenstoff etwa 100 Kilogramm DU an, etwa 3 Millionen Tonnen weltweit.
Abgereichertes Uran (DU) hat 6 wichtige Eigenschaften:
Eigenschaft 1: DU ist extrem schwer; die Dichte betragt 19,2 g/cm3, wodurch
DU 1,7-mal schwerer als Blei ist. Deshalb ist es als Geschossmaterial für
panzerbrechende Waffen hervorragend geeignet. Daneben gibt es etwa 700
zivile Anwendungen, u. a. als Ausgleichsgewicht in Flugzeugen.
Eigenschaft 2: DU ist wasserlöslich. Daher werden auch herumliegende
Munitionsreste aus DU durch Wasser angegriffen, wodurch abgereichertes Uran
aufgelöst in das Erdreich und das Grundwasser eindringt und damit letztlich in
die Nahrungskette gelangt.
Mit 3900 Schuss pro Minute werden beispielsweise grosse Mengen von DU
durch das A-10-Kampfflugzeug «Warzenschwein» in der Umwelt verteilt. 99%
der Geschosse verfehlen das Ziel und gehen in die Erde. Ein UNEP-Bericht stellt
fest, dass in Bosnien die DU-Geschosse inzwischen 25% ihres Gewichts
verloren haben. Diese 25% sind unterwegs zu unseren Tellern (ökologischer
Kreislauf). UNEP fordert die Kontrolle des Trinkwassers!
Eigenschaft 3: DU ist pyrophor. Beim Eindringen eines DU-Projektils in eine
Panzerung entstehen enorm hohe Drucke und Temperaturen. Dadurch
entzündet sich das Uran und verbrennt bei 3000 °C. Dabei entstehen zum
einen extrem kleine Uranoxid-Staubpartikel mit einem Durchmesser von 0,001
bis 0,1 µm (das sind 0,001 bis 0,1 Millionstel Meter), zum anderen entsteht
durch die hohen Temperaturen zusätzlich ein ganzer Cocktail hochgiftiger und
krebserregender Substanzen, die sich bei der Verbrennung des «Innenlebens»
eines getroffenen Panzerfahrzeugs bilden. Dieser Chemiecocktail schlägt sich
auf den Uranoxid-Staubpartikeln nieder.
Partikel dieser Grösse verhalten sich wie Gase. Das bedeutet, dass diese
Uranoxid-Staubpartikel nicht nur am Entstehungsort mit der Luft oder der
Nahrung in unseren Körper gelangen können, sondern sie treten auch in die
Atmosphäre ein und wandern mit den atmosphärischen Luftströmen um den
Planeten. Beispielsweise fand die UNEP in Bosnien DU an Stellen, an denen
weder eine Schlacht stattgefunden hatte noch auf sonstige Weise eine DUKontamination während der Kampfhandlungen zustande kam.
Etwa 40% des Uranoxid-Staubs sind wasserlöslich. Bei dem Rest handelt es
sich um das wasserunlösliche «Ceramic DU». Ceramic DU wird in unserem
Körper gespeichert und gibt fortwährend DU ab, das in den Stoffwechsel
Dossier Uranwaffen
66
Zeit-Fragen 2007
gelangt.
Eigenschaft 4 und 5: DU ist chemo- und radiotoxisch. Uran ist ein chemisches
Element, aber es hat zwei «Gesichter», zwei «Fähigkeiten»: Einerseits die
chemische Giftwirkung, welche von der Hülle des Uran-Atoms ausgeht, und
andererseits seine Radioaktivität, welche vom Atomkern ausgeht (dargestellt
als kleine Kugel in der Mitte).
Die chemische Giftwirkung umfasst z. B. die Schädigung der weissen
Blutkörperchen (Leukozyten) und die nachfolgende Entwicklung einer
Leukämie, die Schädigung der roten Blutkörperchen durch Ersetzen des
Eisenmoleküls im Hämoglobin, die Schädigung von Nervenzellen (ein hoher
Prozentsatz der Veteranen hat Wortfindungsstörungen und
Gedächtnisprobleme), die Schädigung von Föten, die Entwicklung eines
Wasserkopfs bei Erwachsenen (Hydrozephalus) usw. Das Golf-Kriegs-Syndrom
umfasst mehrere dutzend Krankheitsbilder! Dabei darf nicht vergessen werden,
dass abgereichertes Uran in seiner Gesamtwirkung die Kreativität und
Innovationsfahigkeit des Menschen beeinträchtigt oder lahmlegt bzw. zum
Erliegen bringt.
Hinzu kommt noch die radiotoxische Wirkung von DU, also die Giftwirkung, die
durch den Zerfall der Atomkerne und die Aussendung von Alpha-Teilchen
entsteht (Radioaktivität). Die Alpha-Teilchen wirken wie kleinste Geschosse und
können dadurch lebenswichtige Moleküle im Körper zerstören. Besonders
dramatisch können sich die Strahlen auswirken, wenn sie auf die Erbsubstanz
treffen:
Ein Chromosomenbruch kann entstehen, und weil auch eine Zelle manchmal
einen Fehler bei der Reparatur macht, werden dann zwei «verkehrte» Teile
eines Chromosoms neu verbunden.
Eigenschaft 6: DU hat eine Halbwertszeit von etwa 4,5 Milliarden Jahren. Wie
bereits erwähnt, sendet DU radioaktive (Alpha-Teilchen-)Strahlung aus. Dabei
zerfallen die Uran-Atomkerne. Zwar löst sich damit das Problem quasi von
alleine – aber erst nach zig Milliarden von Jahren! Denn eine Halbwertszeit von
4,5 Milliarden Jahren bedeutet, dass nach dieser Zeit erst die Hälfte aller
Uranatome zerfallen ist. Die andere Hälfte strahlt weiter, bis nach 4,5
Milliarden Jahren davon wieder die Hälfte zerfallen ist, usw.
In schwer kontaminierten Arealen rottet DU jedes Leben dauerhaft aus!
Vertiefende Informationen
Die gesundheitlichen Folgen des Gebrauchs von abgereichertem Uran
(DU)
Sobald DU über die Atmung, die Nahrung oder über Wunden in den
menschlichen Körper gelangt, kann es seine chemische und radiotoxische
Giftwirkung entfalten. Beispielsweise lagern sich eingeatmete DU-Staubpartikel
an Blutzellen an und können sogar in diese eindringen. Gemäss einer
Buchveröffentlichung der US-Armee (!) kann DU sogar das Eisen im
Hämoglobinmolekül der roten Blutkörperchen ersetzen, das für den
Sauerstofftransport so wichtig ist.
Weil definitiv alle Teile unseres Körpers von unserem Blut versorgt werden,
erreicht das DU «als blinder Passagier die letzte Ecke» und kann dadurch auf
vielfältige Weise Schaden anrichten. Beispiele:
• DU kann durch seine radioaktive Strahlung das Erbgut schädigen. Die
nebenstehende Abbildung zeigt diesen Vorgang schematisch.
Im oberen Teil der Abbildung sieht man die Schädigung eines Chromosoms
durch Strahleneinwirkung und dessen anschliessende Reparatur. Lebewesen
Dossier Uranwaffen
67
Zeit-Fragen 2007
besitzen solche Reparaturmechanismen, welche Schäden am Erbgut wieder
korrigieren. Meistens funktioniert dieser Mechanismus korrekt.
Allerdings kommt es manchmal zu Fehlern bei der Reparatur. Das bedeutet:
Je häufiger das Erbgut durch die Strahlenwirkung von DU im Körper geschädigt
wird bzw. je mehr DU im Körper verteilt ist, desto häufiger kommt es zu
Schäden. Der untere Teil der Abbildung zeigt einen solchen Vorgang, wobei
hier der am häufigsten auftretende Defekt der Bildung eines «dizentrischen
Chromosoms» gezeigt ist.
Wird durch diesen Mechanismus das Erbgut geschädigt, kommt es zu
sogenannten kongenitalen Schäden, d. h. angeborenen Schäden an
Neugeborenen. Hierzu gehören: Offener Schädel, Wasserkopf, ein drittes
Zyklopenauge, Erblindung (also keine Augen), kein Gehirn (Anenzephalie),
offene Wirbelsäule (Spina bifida), Leukämie. Im Kampfgebiet ist der
Prozentsatz an Krebserkrankungen in der Grössenordnung von 350%
gestiegen. Weiter sind Fehlbildungen der Gliedmassen (Dysmelie) zu nennen:
Arm oder Fuss setzen näher am Rumpf an, manchmal wird anstatt eines Fusses
eine Hand ausgebildet.2
• DU kann die Blut-Plazenta-Schranke passieren. So wird ein Baby schon
während der Schwangerschaft mit DU vergiftet.
• DU gelangt auch über die Blut-Hirn-Schranke in die Nervenzellen des
Gehirns und führt dort zu dramatischen Veränderungen: Beispielsweise hat ein
hoher Prozentsatz der Golf-Kriegs-Veteranen Wortfindungsstörungen und
Gedächtnisprobleme; die Durchblutung einzelner Gehirnareale ist verringert.
• DU gelangt in das Knochenmark. Hier werden die weissen Blutkörperchen
gebildet (Leukozyten). Diese werden bereits kurz nach der DU-Kontamination
belastet und geschädigt. Auf diese Weise kann innerhalb kurzer Zeit eine
Leukämie entwickelt werden.
• Wasserkopf (Hydrozephalus) des Erwachsenen tritt auf. Prof. Schott, Leiter
des World Depleted Uranium Centre e. V., kennt einen der betroffenen
Veteranen persönlich.
Veteranen weisen oft mehr als dreissig Krankheitssymptome gleichzeitig auf.
Dabei ist zusätzlich auch die schädigende Wirkung der geballten Impfungen mit
in Betracht zu ziehen, die als Schutzmassnahme den Soldaten vor Eintritt in die
Kampfhandlungen verabreicht werden. Zusätzlich zu den bereits genannten
Erkrankungen liegen daher häufig vor:
• Nierenerkrankung,
• Herzkreislauferkrankung,
• Lebererkrankung,
• Osteoporose,
• Glutensensitivität,
• Schmerzattacken,
• chronische Müdigkeit,
• Fibromyalgie (eine auf den ganzen Körper ausgebreitete, schmerzhafte
rheumatische Erkrankung),
• Schlafstörungen.
Der Zusammenhang zwischen DU-Verwendung und dem Auftreten von
Erkrankungen ist durch Beobachtungen und Untersuchungen bestätigt:
• Han Kang et al.3 untersuchten Geburtsschäden im Rahmen einer
sorgfältigen und differenzierten Studie an 30 000 US-Kriegsveteranen. Danach
wurden in Familien mit männlichen Golf-Kriegsveteranen – verglichen mit ihren
nicht im Golf-Krieg eingesetzten Kameraden – signifikant höhere Raten von
Dossier Uranwaffen
68
Zeit-Fragen 2007
Fehlgeburten festgestellt. Auch Golf-Kriegsveteraninnen berichteten über eine
höhere Rate von Fehlgeburten. Totgeburten, Frühgeburten und
Säuglingssterblichkeit zeigen ansteigende Tendenzen.
• Eine unter 15 628 Zivilisten in einem Krankenhaus in Barein nach dem GolfKrieg von 1991 durchgeführte Studie zeigte eine erhöhte Zahl von
Spontanaborten.
• Dr. Eva-Maria Hobiger, eine österreichische Onkologin, die intensiv im
Südirak gearbeitet hat, teilt mit:4
«Im Al Mansour-Hospital in Bagdad sagt Dr. Mazin AI-Jadiry, Kinderonkologe:
‹In unserem Krankenhaus wurden im Jahr 1990 150 Fälle mit akuter
lymphoplastischer Leukämie diagnostiziert, im Jahr 2000 waren es bereits 254
Fälle. Die Abteilungen werden zu klein fur die vielen Patienten.›»
Frau Professor Dr. Janan Ghalib Hassan vom Maternity-Hospital for Women
and Children in Basra berichtet:
«Die Inzidenz [das Aufkommen] an kindlichen Leukämien hat sich zwischen
1994 und 1998 verdoppelt, zwischen 1998 und 2000 stieg die Rate auf das
Fünffache!»
In Bagdad und Basra sind sich die Ärzte einig, dass es eine hohe Dunkelziffer
gibt, denn die Beduinen bringen ihre Kinder nicht in die Spitäler. Die
Medikamenten-Situation ist katastrophal: Kein einziger Chemotherapie-Zyklus
kann vollständig gegeben werden, da die Zytostatika fehlen. 80% der Kinder
sterben während des ersten Therapiezyklus an Blutungen und Infektionen.
• In Basra haben Frauen Angst davor, schwanger zu werden: Bis 1990 wurde bei einer
Geburtenzahl von etwa 12 000 im Jahr etwa alle 14 Tage ein Kind mit Missbildungen geboren.
Heute sind es bei gleichbleibender Geburtenzahl 1 bis 2 missgebildete Kinder pro Tag! Die Fälle
sind gut dokumentiert: Schwerste Missbildungen treten auf, wie z. B. fehlendes Gehirn
(Anenzephalie), nur ein Auge in Stirnmitte (Zyklopie), Gliedmassenfehlbildungen beider Hände
oder Füsse, die unmittelbar an den Schultern beziehungsweise Hüften ansetzen (Phokomelien),
«Kinder ohne Kopf oder Extremitäten», ohne Haut, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, angeborene
Fehlbildungen des Herzens (Vitien) usw. Eine Bilddokumentation dieser schrecklichen
Missbildungen finden Sie z. B. unter: http://www.firethistime.org/extremedeformities.htm
Völkerrecht und abgereichertes Uran (DU)
Dieses Kapitel widmet sich der Gegenüberstellung von Kriegs- und
Humanitärem Völkerrecht einerseits und den Folgen der Anwendung von DU
andererseits, die aus den bereits beschriebenen Eigenschaften des DU
resultieren.
In einzelnen Kapiteln werden zunächst Auszüge der verschiedenen
Gesetzestexte zitiert und im Anschluss daran im Hinblick auf die militärische
DU-Anwendung kommentiert.
Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes
vom 9.12.1948
Artikel 2
«ln dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen,
die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder
religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören:
a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe;
b) Verursachung von starken körperlichen oder seelischen Schäden an
Mitgliedern der Gruppe;
c) Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre
körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen;
d) Verhängung von Massnahmen, die auf die Geburtenentwicklung innerhalb
Dossier Uranwaffen
69
Zeit-Fragen 2007
der Gruppe gerichtet sind.»
Kommentare
Zu a): In den Golf-Kriegen von 1991 wurde zumindest im Südirak ein Teil der
Zivilbevölkerung durch DU getötet. Das gleiche gilt für den Krieg in Bosnien
und Kosovo sowie für Afghanistan.
Zu b): DU führt bis zum heutigen Tag unter anderem bei der irakischen,
bosnischen, serbischen und afghanischen Zivilbevölkerung sowohl zu schweren
körperlichen als auch zu seelischen Schäden. Es kommt zu dramatisch
erhöhten Raten von Krebs-Erkrankungen und dadurch bedingten Todesfällen.5
Gleichzeitig sind – bedingt durch die mit DU-Munition geführten Angriffe und
deren genannte Folgen – schwere traumatische Schäden eingetreten. Dies ist
einmal durch Medienberichte weltweit bekannt geworden, zum anderen liegen
hierzu Berichte unabhängiger Wissenschaftler und von Kommissionen der UN
vor.
Zu c): Die massive DU-Belastung landwirtschaftlicher Flächen, insbesondere
des Südirak durch den Krieg von 1991 (und wahrscheinlich von 2003) haben
die Grundlagen der Ernährung der Bevölkerung teilweise zerstört. Ein Teil der
Gebiete ist gesperrt. Die Evakuierung von Teilen des Südirak wurde erwogen.
Die Schädigung der Wasserversorgung führt in den Anwendungsgebieten des
DU zu starker Einschränkung oder sogar zum Verlust der Wasserversorgung
und zu stark gesundheitsschädigenden Eigenschaften des von der
Zivilbevölkerung verwendeten Trinkwassers.
Langfristig schwerwiegender ist die durch die bekannte Wasserlöslichkeit des
Urans bedingte Verseuchung des Grundwassers und dadurch bedingt die
massive Schädigung der ökologischen Kreisläufe. Hieraus folgt die Eigenschaft
der Uran-Munition, gegebenenfalls eine Ausrottungswaffe zu sein.
Zu d): Der Alpha-Strahler Uran führt zu einer signifikant erhöhten Zahl von
Chromosomenbrüchen. In den Kriegsgebieten hat die Rate massiv in ihrem
Erbgut (kongenital) geschädigter Neugeborener signifikant zugenommen. Auch
die Angehörigen der alliierten Truppen des Golf-Kriegs von 1991 bringen
seither bedeutend erhöhte Raten kongenital geschädigter Kinder hervor.
Übereinkommen über das Verbot der militärischen oder einer
sonstigen feindseligen Nutzung umweltverändernder Techniken
(ENMOD) vom 18. Mai 19776
Artikel 1
(1) «Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, umweltverändernde Techniken, die
weiträumige, langandauernde und schwerwiegende Auswirkungen haben, nicht
zu militärischen Zwecken oder in sonstiger feindseliger Absicht als Mittel zur
Zerstörung, Schädigung oder Verletzung eines anderen Vertragsstaates zu
nutzen;
(2) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, einen Staat, eine Gruppe von Staaten
oder eine internationale Organisation weder zu unterstützen noch zu
ermutigen, noch zu veranlassen, Handlungen vorzunehmen, die gegen Abs. 1
verstossen.»
Kommentare
Zu (1): DU wurde u. a. in den Golf-Kriegen von 1991 und 2003, in ExJugoslawien (Bosnien und Kosovo) und in Afghanistan weiträumig ausgebracht.
Die Auswirkungen dieser Verseuchung sind global und durchaus nicht auf die
Einsatzorte begrenzt, weil sich DU-Staub infolge der Partikelgrösse von 0,001
bis 0,1 µm wie ein Gas verhält und so in die Atmosphäre gelangt. Das führt zu
Dossier Uranwaffen
70
Zeit-Fragen 2007
weltweiter Verteilung.
Die Halbwertszeit von etwa 4,5 Milliarden Jahren bedeutet eine
langandauernde Auswirkung, ein Vielfaches länger als die Lebenserwartung
des Menschengeschlechts auf der Erde. DU verursacht schwerwiegende
gesundheitliche Auswirkungen: Erbgutschäden, Chromosomenbrüche und
Nierenschäden sind nachgewiesen und in wissenschaftlichen Zeitschriften
publiziert.
Das Golf-Kriegssyndrom (z. T. auch das Kosovo-Syndrom), das mutmasslich in
engem Zusammenhang mit der DU-Thematik steht, beinhaltet eine
beträchtliche Zahl weiterer Erkrankungen wie Leukämie, Osteoporose,
Glutensensitivität, Impotenz, Gedächtnisstörungen, Wortfindungsstörungen,
Inkontinenz sowie generell Schäden des zentralen Nervensystems, Schädigung
des Organs Blut, des Immunsystems, des Skelettmuskels, der Atemwege
(Respirationstrakt), der Haut, der Leber, der Hormondrüsen
(innersekretorisches System) und der Gene.
Zu (2): Die Staaten, die z. B. den Golf-Krieg von 1991 durch Entsendung von
Truppen unterstützt haben (etwa 30 Staaten), haben gegen Artikel 1 (2)
verstossen.
Artikel 2
«Im Sinne des Artikel 1 bezieht sich der Begriff ‹umweltverändernde
Techniken› auf jede Technik zur Änderung der Dynamik, der
Zusammensetzung oder der Struktur – einschliess lich der Flora und Fauna, der
Litosphäre, der Hydrosphäre und der Atmosphäre – sowie des Weltraums durch
bewusste Manipulation natürlicher Abläufe.»
Kommentar
Die Verwendung von DU-Munition bewirkt eine Änderung der
Zusammensetzung und Struktur der kontaminierten Gebiete. Da für
Produktionsstätten, Testgelände, Truppenübungsplätze und Unfallstellen das
gleiche gilt, erfolgt die Wirkung weltweit. Hiervon sind Flora, Fauna und
Menschen betroffen. Unter anderen geben die drei Unep-Berichte über ExJugoslawien Aufschluss. Durch die Wirkungsweise der DU-enthaltenden
«Bunker Buster Bombs», durch die Wasserlöslichkeit des Urans und durch die
Verbrennung des DU zu Feinstaub, der sich wie Gas verhält (s. o.), sind die
Erdkruste (Litosphäre), die Wasserhülle der Erde (Hydrosphäre) und
Atmosphäre betroffen.
In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, dass der Verdacht geäussert
wurde, Erdbeben könnten durch Bunker Buster Bombs und Explosivwaffen
dieser Dimension ausgelöst worden sein.
Das Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949
über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte vom
8. Juni 1977
Teil III, Abschnitt I – Artikel 35: Grundregeln
(1) «ln einem bewaffneten Konflikt haben die am Konflikt beteiligten Parteien
kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Methoden und Mittel der
Kriegführung.
(2) Es ist verboten, Waffen, Geschosse und Material sowie Methoden der
Kriegführung zu verwenden, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder
unnötige Leiden zu verursachen.
(3) Es ist verboten, Methoden oder Mittel der Kriegführung zu verwenden, die
dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie
ausgedehnte, langanhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt
Dossier Uranwaffen
71
Zeit-Fragen 2007
verursachen.»
Kommentar
Zu(1): Die UN-Resolutionen 1996/16 (E/CN.4/1997/2) und 1997/36
(E/CN.4/1998/2) raten dringend von der Verwendung von DU-Munition ab. Vor
dem Beginn des Golf-Kriegs von 1991 war dem US-Militär die Gefährlichkeit von
DU bekannt (wissenschaftlicher Bericht). Die Entscheidung, DU und nicht
Wolfram als Mittel der Kriegsführung einzusetzen, bedeutet die Anmassung
eines unbeschränkten Rechts der Wahl der Mittel der Kriegsführung.
Zu (2): Die Verwendung von DU-Munition und die Verwendung von DU zur
Panzerung von Kriegsfahrzeugen führen zu unnötigen Verletzungen, die
deshalb überflüssig sind, weil sie z. B. durch Verwendung von Wolframmunition
bzw. durch grundsätzlichen Verzicht auf DU-Munition zu vermeiden wären.
Wolfram ist nicht radioaktiv und hat nicht die chemische Giftigkeit von Uran.
DU führt bedingt durch seine Radioaktivitat, Giftigkeit und hohe Halbwertszeit
zu den unnötigen Leiden, die bei Verwendung von Wolfram oder bei
grundsätzlichem Verzicht auf DU vermieden würden.
Zu (3): Vor Einsatz von DU zur Kriegsführung war der US-Armee durch den
Bericht einer wissenschaftlichen Einrichtung bekannt, dass DU ausgedehnte,
langanhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursacht.
Teil III, Abschnitt I – Artikel 36: Neue Waffen
«Jede hohe Vertragspartei ist verpflichtet, bei der Prüfung, Entwicklung,
Beschaffung oder Einführung neuer Waffen oder neuer Mittel und Methoden
der Kriegführung festzustellen, ob ihre Verwendung stets oder unter
bestimmten Umständen durch dieses Protokoll oder durch eine andere auf die
hohe Vertragspartei anwendbare Regel des Völkerrechts verboten wäre.»
Kommentar
Die Prüfung der Auswirkungen der Anwendung von DU-Munition sowie ein
direkter Vergleich der Eigenschaften von DU- und Wolfram-Munition erfolgte in
den USA und wurde, zumindest teilweise, publiziert. Trotz des zweifelsfreien
Verstosses gegen dieses Protokoll und weitere Regeln des Völkerrechts wurde
DU in Munition und anderem Kriegsgerät verwendet.
Teil IV, Abschnitt I, Kapitel II – Artikel 51: Schutz der Zivilbevölkerung
(a): […]
(b): «Ein Angriff, bei dem damit zu rechnen ist, dass er auch Verluste an
Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen,
die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen
verursacht, die in keinem Verhältnis zum zu erwartenden konkreten und
unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.»
Kommentar zu (b)
Auf Grund folgender Tatsachen steht die Verwendung von DU in keinem
Verhältnis zum zu erwartenden konkreten und unmittelbaren militärischen
Vorteil:
• Uran 238 – mit 99,8% Hauptbestandteil von DU – hat eine extrem lange
Halbwertszeit von etwa 4,5 Milliarden Jahren.
• DU ist chemisch sehr giftig, was durch wissenschaftliche Publikationen
gesichert ist.
• DU verursacht eine signifikant erhöhte Rate in ihrem Erbgut (kongenital)
geschädigter Neugeborener,
• führt zu hohen Raten von Aborten und Totgeburten
• und verursacht signifikant erhöhte Raten von Chromosomenbrüchen,
Dossier Uranwaffen
72
Zeit-Fragen 2007
festgestellt an weissen Blutkörperchen (Lymphozyten).
• DU ist wasserlöslich und führt daher bei Ausbringung in die Umwelt über die
ökologischen Kreisläufe zur Vernichtung oder existenziellen Beeinträchtigung
der natürlichen Lebensgrundlagen der Zivilbevölkerung.
Teil IV, Abschnitt I, Kapitel II – Artikel 54: Schutz der für die
Zivilbevölkerung lebensnotwendigen Objekte
(1) […]
(2) «Es ist verboten, für die Zivilbevölkerung lebensnotwendige Objekte wie
Nahrungsmittel, zur Erzeugung von Nahrungsmitteln genutzte
landwirtschaftliche Gebiete, Ernte- und Viehbestände,
Trinkwasserversorgungsanlagen und -vorräte sowie Bewässerungsanlagen
anzugreifen, zu zerstören, zu entfernen oder unbrauchbar zu machen, um sie
wegen ihrer Bedeutung für den Lebensunterhalt der Zivilbevölkerung oder der
gegnerischen Partei vorzuenthalten …»
Kommentar zu (2)
Unter anderem. während der Golf-Kriege von 1991 und 2003 sowie der Kriege
in Ex-Jugoslawien (Bosnien und Kosovo) wurden
Trinkwasserversorgungsanlagen zerstört oder unbrauchbar gemacht. Siehe:
Kommentar zu Teil IV, Abschnitt I, Kapitel II – Artikel 51: Schutz der
Zivilbevölkerung (b).
Teil IV, Abschnitt I, Kapitel II – Artikel 55: Schutz der natürlichen Welt
(1) «Bei der Kriegführung ist darauf zu achten, dass die natürliche Umwelt vor
ausgedehnten, lang anhaltenden und schweren Schäden geschützt wird. Dieser
Schutz schliesst das Verbot der Anwendung von Methoden oder Mitteln der
Kriegsführung ein, die dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden
kann, dass sie derartige Schäden in der natürlichen Umwelt verursachen und
dadurch Gesundheit und Überleben der Bevölkerung gefährden;
(2) Angriffe gegen die natürliche Umwelt als Repressalie sind verboten.»
Kommentare
Zu (1): DU erweist sich als Waffe, die langfristig alles Leben auslöscht. Siehe
dazu:
Kommentar zu Teil IV, Abschnitt I, Kapitel II – Artikel 51: Schutz der
Zivilbevölkerung (b).
Zu (2): Die Entscheidung der USA für DU-Verwendung und gegen Wolfram
beinhaltet angesichts der zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits bekannten
Eigenschaften von DU einen profunden Verstoss gegen Artikel 55 (2). Es
wurden u. a. in Ex-Jugoslawien Chemiekombinate angegriffen und in Brand
gesetzt, obwohl dies militärstrategisch nicht nachvollziehbar war und obwohl
das ungeheure, dadurch freigesetzte Giftpotential bekannt war.
Ergänzende Bemerkungen
Ergänzend zu den obigen Aussagen zu DU im Hinblick auf alle genannten
Artikel des Völkerrechts ist festzustellen, dass in einem Teil der verwendeten
DU-Munition Uran 236 und Plutonium nachgewiesen wurde, was die
Verwendung von DU aus Kernbrennstoffabbrand, sogenanntem «schmutzigen»
DU (Sekundär-DU) beweist8. Uran 236 und Plutonium sind Marker für die
Anwesenheit einer grossen Zahl weiterer im Kernreaktor entstehender und in
abgebrannten Brennstäben enthaltener hochradioaktiver und hochgradig radiound chemotoxischer Elemente. Der Gedanke, dass hier eine nicht «saubere»
radiologische Waffe absichtlich und gezielt eingesetzt wird, ist nicht von der
Dossier Uranwaffen
73
Zeit-Fragen 2007
Hand zu weisen.
Wie gefährlich einige der im Sekundär-DU enthaltenen Stoffe sind, lässt sich
am Beispiel von Plutonium zeigen: «Wegen seiner hohen AlphaStrahlungsaktivität und seiner starken Neigung zur Ablagerung in den Knochen
gehört Plutonium zu den gefährlichsten unter den bekannten giftigen Stoffen.
Einatmung von Plutoniumstaub kann Lungenkrebs hervorrufen, Ablagerungen
im Knochen wirken radioaktiv auf den gesamten Organismus; schon die
Einwirkung weniger Mikrogramm Plutonium führt zu tödlichen
Strahlungsschäden.»9
Ergänzend dazu sollen noch zwei Zitate des Bundesamtes fur Strahlenschutz
(BfS) vom 17.07.2001 aufgeführt werden:
• «Durch zivile und militärische Aktivitäten wurden bis heute weltweit etwa
tausend Tonnen Plutonium erzeugt. Plutonium wurde in grösserem Ausmass in
Folge der oberirdischen Atomwaffentests, die während der 50er und 60er Jahre
durchgeführt wurden, in die Umwelt abgegeben. Dabei wurden knapp 4 Tonnen
Plutonium weltweit verteilt».
• «Es gibt keine Schwellendosis der Unwirksamkeit von inkorporiertem, d.h. in
den Körper aufgenommenem Plutonium. Für Kleinkinder ist eine um den Faktor
10 höhere Resorption anzunehmen.»
Die Gefahren der DU-Munition waren seit dem Golf-Krieg von 1991 und dem
Kosovo-Krieg in der deutschen Öffentlichkeit bekannt. Wer 2003 für den dritten
Golf-Krieg war, war damit wissentlich und willentlich für das mögliche
Verbrechen der DU-Munition. Hochrangige Persönlichkeiten haben sich in
Deutschland für diesen dritten Golf-Krieg ausgesprochen. Sie können sich nicht
darauf zurückziehen, von der zwangsläufigen Verwendung von DU-Munition in
einer heutigen kriegerischen Auseinandersetzung nichts gewusst zu haben.
Diese deutlichen Worte sind wichtig, weil die weitere Verseuchung unseres
Planeten unbedingt gestoppt werden muss und sich die Verantwortlichen, aber
auch wir alle in unserer Rolle als Privatpersonen, über unsere Verantwortung
klar werden müssen. Allerdings hilft das einem heute an den Folgen des
Kontaktes mit DU erkrankten Menschen natürlich nicht; hier ist konkrete Hilfe
gefragt. Dazu Prof. Schott, Vorsitzender des WODUC e. V. :
«Ich bin bereit, mit allen, insbesondere mit Regierungen,
zusammenzuarbeiten, die bereit sind, kontaminierte Erde zu reinigen,
unabhängig von ihrer Vorgeschichte der Anwendung von DU.
1
Isotope: «Atomkerne (Nuklide) mit gleicher Protonenzahl (Kernladungszahl,
Ordnungszahl), aber unterschiedlicher Neutronenzahl und damit unterschiedlicher
Nukleonenzahl (Massenzahl).» Quelle: Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG,
2001.
2
Auch Tiere leiden an den Schädigungen des Erbguts: Es treten z.B. Kälber mit 8
Beinen auf.
3
Vgl. Han Kang et al.: Pregnancy Outcomes Among US Gulf War Veterans. A
Population Based Survey Of 30 000 Veterans. Annals of Epidemiology, Vol. 11, Issue 7,
October 2001,
ps. 504–511
4
Eva-Maria Hobiger, 10 Jahre nach dem Golf-Krieg, Irak im Februar 2001,
www.embargos.de/irak/envir-DU/10 Jahre Golf-Krieg hobiger.htm
5
Quelle: BGBI. 1954 II S. 730
6
Quelle: GGBl. 1983 II, S. 125–130
7
Quelle: BGBI. 199011, 1551
8
Sekundär-DU entsteht, wenn abgereichertes Uran aus Kraftwerks-Kernbrennstoff
extrahiert wird. Primär-DU wird hingegen aus Natururan gewonnen.
Dossier Uranwaffen
9
74
Zeit-Fragen 2007
Quelle: Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2001
Nr. 21, 29. Mai 2007, Seite 9
Nanotechnologie – die Büchse der Pandora
von Katrin Schauberger, Schweiz
Seit einiger Zeit werden Nanoputzmittel für den Haushalt angepriesen: «Nie
mehr putzen dank Nanotechnologie», «Mit Nano etwas für die Umwelt tun»,
«Weniger Putzmittel dank Nanotechnologie». Die Hersteller versprechen eine
putzfreie Zukunft, ohne auf die grossen Risiken und unerwünschten
Nebenwirkungen dieser Produkte hinzuweisen. Diese sind aber sehr gefährlich.
Letztes Jahr mussten die Putzmittel «Magic Nano Glas- und Keramik-Versieg
ler» und «Magic Nano Bad und WC-Versiegler» sofort aus den Verkaufsregalen
geräumt werden, nachdem bei über 100 Anwendern dieser Mittel
Vergiftungsfälle, Fälle schwerer Atemnot, Kopfschmerzen, Schüttelfrost und
sogar Lungenödeme aufgetreten waren.1
Mit mikroskopisch kleinen Nanoteilen (Nano, griech.: Zwerg) versiegeln diese
Produkte die Oberfläche von Lavabos, Böden, Autos usw. Laut Hersteller perlt
der Schmutz ab und eine spätere Reinigung wird überflüssig. Mit diesen und
anderen Argumenten versucht die Industrie ihre Produkte an den Mann bzw. an
die Frau zu bringen.
Anerkannte Forscher hingegen halten die Nanotechnologie für ein immenses
Risiko und warnen vor den Folgen, die heute noch nicht abgeschätzt werden
können.
Nanopartikel können, weil sie künstlich verkleinert wurden, leichter vom Körper
aufgenommen werden, in Zellen, Gewebe und Organe eindringen und dort
grosse Schäden hervorrufen: «je kleiner desto schädlicher».2
«Grösste Gefahr ist vor allem dann geboten, wenn Nanopartikel über die Haut
oder die Lunge aufgenommen werden können, also etwa bei Sprays oder
Putzmitteln», warnt Harald Krug, Professor am Forschungszentrum Karlsruhe.3
Ist das Nanomaterial erst einmal (zum Beispiel durch Einatmen) in der
Blutbahn, kann es durch den gesamten Körper transportiert werden und von
Organen und Geweben aufgenommen werden. Nanopartikel dringen in die
Zellen ein, können aber dort nicht abgebaut oder abgesondert werden.
In einem Versuch an der Universität Rochester liess man Ratten Nanopartikel
einatmen. Es konnte nachgewiesen werden, dass sich diese Teilchen bereits
einen Tag später im Gehirn abgelagert hatten, d. h., dass sie problemlos die
Blut-Hirn-Schranke überwinden. «In Anbetracht der Tatsache, dass
Nanopartikel demnach kaum durch Gewebeschranken aufgehalten werden,
dürfte auch der Zugang zu einem ungeborenen Lebewesen über die
Plazentaschranke möglich sein.»4 Nanopartikel sind nachweislich giftig und
verursachen Veränderungen der DNA, also der Erbsubstanz, Störungen der
Funktion des menschlichen Zellkerns oder sogar den Zelltod.5
Nicht von ungefähr stuft deshalb die Swiss Re, eine der weltweit grössten
Rückversicherer, die Nanotechnologie als eines der bedrohlichsten Risiken für
die Menschheit ein: «Im Laufe der gesamten Evolution war die Menschheit
noch nie einer solchen Art und Menge von Substanzen ausgesetzt, die –
Dossier Uranwaffen
75
Zeit-Fragen 2007
offenbar ungehindert – in den menschlichen Körper eindringen können.»6 Was
diese Nanopartikel in Natur und Tierwelt anrichten, lässt sich bisher nur
erahnen. Versuche haben gezeigt, dass diese Partikel für den Menschen und
die Böden wichtige Bakterien und Mikroorganismen töten. Durch die
Nahrungskette werden sie natürlich auch von Tier und Mensch aufgenommen.
Dieses grosse Risikopotential ist kein evolutionärer Vorgang, sondern künstlich
gemacht. Wir brauchen keine Nanotechnologie, die die Menschheit und das
gesamte Leben auf unserem Planeten bedroht. Jeder Verbraucher ist deshalb
aufgerufen, dem «Nanoboom» etwas entgegenzusetzen. Diese bewuss te
Ablehnung beginnt im eigenen Haushalt.
Wie unten gesagt, putzen muss man immer noch selber, und das am besten
mit selbstgemachten Putzmitteln, deren Inhalte bekannt und umweltverträglich
sind. Das ist einfacher, billiger und umweltschonender.
Allein durch die bewusste Entscheidung für umweltschonende Putzmittel und
gegen eine Technologie, die die Natur und alle Organismen schwer schädigt
und sogar zerstört, trägt jeder einzelne zur Erhaltung unseres Planeten für die
kommenden Generationen bei. Eine umsichtige Planung der gesamten
Haushaltspflege gehört dazu. •
1 www.3sat.de, 1w7.05.06 und www.hl-live.de, 4.4.2006
2 Heike Ehlers, Unter Zwergen, Global News 3/06, S. 18 und Swiss Re,
Nanotechnologie, kleine Teile – grosse Zukunft? 2004, S. 16
3 Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Ortsverband Landeck,
Verbraucherrisiko Nanotechnologie, www.bund-landeck.de
4 Swiss Re, a.a.O., S. 22
5 Heike Ehlers, Unter Zwergen, a.a.O. und www.bund-landeck.de
6 Swiss Re, a.a.O., S. 39
Putzmittel selbst gemacht
Allzweckreiniger
9 dl Wasser
2 Essl. Soda zusammen erhitzen
1 Essl. feste Schmierseife dazuschwingen
2 Essl. Brennspiritus zugeben
Verwendung: Wie handelsüblicher Allzweckreiniger, kann auch als Spülmittel
verwendet werden, wenn sehr gut vorgespült wurde.
Flüssige Schmierseife
9 dl Wasser
1 Zitrone, Schale
3 Essl. Soda zusammen erhitzen
2–3 Essl. feste Schmierseife zugeben, verschwingen, erkalten lassen, in Flasche
absieben
Verwendung: Sparsam, wie handelsübliche, flüssige Schmierseife verwenden.
Kalkreiniger
1,5 Essl. Zitronensäure
3 dl Wasser umrühren, bis alles gelöst ist
1 Tropfen Abwaschmittel zugeben
in Sprühflasche oder Flasche mit kleiner Öffnung füllen
Verwendung: Wie handelsüblicher Entkalker; je mehr Zitronensäure man
zugibt, desto stärker ist der Entkalker.
Schnellreiniger für Fenster oder Spiegel
3 dl Wasser
1 dl Brennspiritus
Dossier Uranwaffen
76
Zeit-Fragen 2007
1 Tropfen Abwaschmittel in Sprühflasche abfüllen, gut schütteln
Verwendung: Wie handelsüblicher Fensterreiniger.
Quellen: Kursunterlagen Kant. Bildungszentrum für Hauswirtschaft, Weinfelden
Hauswirtschaft, Landwirtschaftliche
Lehrmittelzentrale, 1998.
Nr.31, 6. August 2007, Seite 4
Einsatz der völkerrechtswidrigen Urangeschosse
nicht verharmlosen
Betrifft DRS-Sendung «Bsuech in …» vom 23. Juli 2007
Ich bin gewohnt, die Begebenheiten in unserem Land aktiv mitzugestalten und
zu diversen Dingen in Kultur und Politik auch Stellung zu nehmen. Obwohl ich
sonst eine mässige Fernseh-Konsumentin bin, habe ich diesen Sommer alle
Sendungen von «Bsuech in …» mitverfolgt. Dies deshalb, weil ich angenehm
überrascht war von der Vielfalt und der positiven Ausstrahlung dieser
Sommerserie. In der Zeitung las ich dann, dass die hohe Einschaltquote dem
schlechten Wetter zugeschrieben wird, was ich allerdings bezweifle. Die
Qualität der Sendungen liegt in erster Linie an der geeigneten Präsentation von
Heinz Margot und der Idee, die Bevölkerung in ein Projekt einzuspannen. Die
Zusammenarbeit und Darbietung einer regionalen Spezialität, wie des
Scherenschnittbilds in Gstaad, hinterlassen eine positive Stimmung, die ich
sonst im Fernsehen oft vermisse.
Gerade aus diesen Gründen bin ich aber über einen Teil der letzten Sendung
aus Spiez speziell empört. Dass das schöne Sendegefäss «Bsuech in …» durch
das Labor Spiez zu politischer Propaganda missbraucht wird, ist absolut
unhaltbar. Man lässt den Wissenschafter auftreten, der Bodenproben aus dem
Irak auf abgereichertes Uran untersucht.
Irak ist seit Jahren ein vom Krieg gebeuteltes Land. Die Menschen sterben nicht
nur durch Bomben und an Unterernährung. Wer sich breit informiert, weiss,
dass die Krebsrate seit den Bombardierungen enorm zugenommen hat,
genauso wie die Missbildungen an Neugeborenen.
Dann einen Wissenschafter zu vernehmen, der Entwarnung gibt und sagt, die
Bevölkerung in den Krisengebieten könne dank den Untersuchungen des
Labors Spiez wieder aufatmen und besser leben, grenzt an Zynismus und ist
pure Augenwischerei. Zwar sind solche Behauptungen aus der Politik und aus
Polit sendungen nicht neu, was nicht heisst, dass sie toleriert würden. Wenn die
Zuschauer einer ansonsten positiven Sendung jedoch mit solchen Botschaften
gefüttert werden, dann ist dies nicht nur ein Affront gegen das Schweizer
Fernsehpublikum, sondern ganz besonders eine Arroganz gegenüber der
Zivilbevölkerung in den Kriegsgebieten, die unserer Solidarität und dringenden
Hilfe bedürfen.
Die Schweiz hat als neutrales Land und Mitglied der Genfer Konvention eine
humanitäre Verpflichtung. Auch das Schweizer Fernsehen hat dem Rechnung
zu tragen. Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr und korrigieren Sie diesen
Bericht, indem Sie andere Stimmen zu Worte kommen lassen, die das Unrecht
benennen. Es gibt nämlich weltweit unabhängige Wissenschafter, die den
Einsatz der völkerrechtswidrigen Urangeschosse nicht verharmlosen und alles
Dossier Uranwaffen
77
Zeit-Fragen 2007
unternehmen, damit das Verbot endlich durchgesetzt wird, so wie es längst
fällig ist.
Rita Brügger, Arni
Nr.31, 6. August 2007, Seite 5 bis 7
Wenn Schüler und Studenten fragen, was die vierte
Generation von Atombomben sei …
ear. Der Film «Dimenticare Hiroshima» des italienischen Senders «Rai» –
Redaktion Le inchieste di Rainews 24 – dokumentiert in einer Skizze die
Entwicklung der Atombombentechnik, ihre «Verfeinerung» und ihre
verheerenden Folgen seit 1945 (www.rainews24.rai.it). Die Aktualität des von
«Rai 24» ausgestrahlten Films ist durch die seit Anfang 2002 gültige Doktrin
der Bush-Regierung gegeben, Atomwaffen – möglicherweise in miniaturisierter
Form, aber mit grösserer Sprengkraft – gegen sogenannte Schurkenstaaten
einzusetzen. Der Film beleuchtet die Bedrohung durch die Entwicklungen auf
dem Gebiet der Nukleartechnik – im militärischen Bereich – und macht
eindringlich deutlich, welche Zukunft die Menschheit erwartet, wenn diese
Entwicklungen und ihre Testläufe in den heutigen Kriegsgebieten nicht von der
Staatengemeinschaft geächtet werden. Die folgende Filmskizze gibt einen
kompetenten, wenn auch kurzen Abriss; sie ist zum besseren Verständnis mit
Bildbeschreibungen unterlegt und regt zu Diskussionen an, denen sich die
Schule nicht verschliessen sollte. Schliesslich geht es um die zukünftigen
Generationen und ihre Lebensbedingungen – auf der ganzen Welt.
«Hiroshima vergessen»
Atomwaffen der vierten Generation
von Angelo Saso und Maurizio Torrealta, Italien
Erstes Bild
Im Vorspann des Filmes spricht der amerikanische Präsident Bush zu einer
erlauchten Zuhörerschaft.
George W. Bush, Weisses Haus, 1. Mai 2001:
«In der heutigen Welt genügt eine Abschreckung aus der Zeit des kalten
Krieges nicht mehr, um den Frieden zu erhalten und unsere Mitbürger, unsere
Verbündeten und Freunde zu beschützen. Wir müssen das Augenmerk auf eine
Sicherheit richten, welche mehr ist als die unheilvolle Voraussetzung, dass wir
diejenigen, welche uns vernichten wollen, vernichten können. Wir brauchen
einen neuen Rahmen, welcher uns erlaubt, die nötigen Raketenabwehrsysteme
zu bauen, um den heutigen Bedrohungen entgegenzutreten. Um dies zu tun,
müssen wir über die Einschränkungen des 30jährigen ABM-Vertrages
hinausgehen.»
Dossier Uranwaffen
78
Zeit-Fragen 2007
Zweites Bild
Der riesige Atompilz einer Bombe, wie sie 1945 auf Hiroshima geworfen wurde,
leitet den Film ein. Verwüstung und Grauen, 100 000 Tote und Tausende von
schwerkranken und siechenden Menschen waren die Folge dieser von den USA
zum ersten Mal eingesetzten schrecklichen Waffe.
Kommentator:
Am 17. Januar 2007 hat das «Bulletin of the Atomic Scientists», eine Gruppe
von Wissenschaftlern, der die stolze Zahl von 18 Nobelpreisträgern angehört,
den Zeiger der symbolischen Uhr, welche zeigt, wieviel bis zum Ende der Welt
noch fehlt, um zwei Minuten weitergerückt. Heute fehlen noch 5 Minuten bis
zur Mitternacht des Planeten. Mehr als die 2 Minuten, die 1952 fehlten, als die
USA ihre erste Wasserstoffbombe testete, aber viel weniger als die 17 Minuten,
welche 1991, am Ende des kalten Krieges, erreicht wurden.
Drittes Bild
Die Uhr mit dem Zeiger auf 5 vor 12 wird wiedergegeben.
Kennette Benedict, Geschäftsführerin des Bulletin of the Atomic Scientists,
erklärt gegenüber der BBC:
«Wir müssten ziemlich beunruhigt sein. Es werden immer mehr Nationen
darauf aus sein, Atomwaffen zu haben, und die Nationen, welche schon ein
nukleares Arsenal haben, sind daran, neue zusätzliche kleinere Atomwaffen zu
bauen. Und sie beginnen über den Gebrauch dieser neuen Waffen zu reden
und ändern so faktisch ihre Haltung über einen möglichen Einsatz von
Atomwaffen in kriegerischen Operationen.»
Viertes Bild
Fotos von Hiroshima nach dem Atombombenabwurf 1945, alles ist verwüstet,
die Stadt liegt in Schutt und Asche, Menschen irren herum, Bilder des nackten
Grauens für jedes mitfühlende Herz.
Kommentator:
Seit der ersten Atombombe sind 60 Jahre vergangen: Sehen wir, wie sich diese
Atombomben verändert haben, welche Entwicklung es gegeben hat.
Atombomben der ersten Generation
Emilio Del Giudice, Professor für theoretische Physik. Während Jahren hat er im
Institut für Atomphysik in Mailand gearbeitet:
«Diejenigen der ersten Generation nutzten das Phänomen der Atomspaltung,
das heisst, wenn sich ein Atomkern, der so schwer ist wie Uran 235 oder
Plutonium, teilt, entsteht Energie. Also, um diesen Atomkern zu trennen,
bombardiert man ihn mit Neutronen. Weil das Neutron einen gewissen Weg in
der Hauptmaterie durchlaufen muss, um den Atomkern zu treffen, muss die
Uranmasse oder ein anderes anwesendes spaltbares Material diesen
sogenannten ‹freien mittleren Weg› überschreiten. Es braucht also eine
kritische Masse, welche eine gewisse Menge übersteigen muss, so dass zum
Zeitpunkt der Zündung die Kraft der Explosion eine gewisse Schwelle
überschreiten muss. Das führt dazu, dass ich mit den Atomwaffen der 1.
Generation entweder eine ganze Stadt vernichte oder gar nichts.»
Atombomben der zweiten Generation
Emilio Del Giudice, Atomphysiker:
«In der zweiten Generation braucht man dagegen den Prozess der Kernfusion.
Dass heisst, man lässt eine Atombombe der ersten Generation explodieren,
Dossier Uranwaffen
79
Zeit-Fragen 2007
welche die Wasserstoffbombe zündet. Durch die Explosion der Atombombe
werden die Kerne eine sehr hohe kinetische Energie entwickeln, dank der sie
die elektrische Abstossungsenergie überwinden. So entsteht die Kernfusion.
Diese Waffen der zweiten Generation sind katastrophal, und sie können nicht
auf dem Schlachtfeld gebraucht werden. Dort kann man ihre Wirkung nicht
einschränken, um somit zu vermeiden, dass Gebiete und Personen getroffen
werden, die man gar nicht treffen will. Es kann nicht ein einziges Gebäude
getroffen werden, sondern nur eine ganze Stadt.»
Atombomben der dritten Generation
Emilio Del Giudice, Atomphysiker:
«In der dritten Generation versucht man bewusst, zu einer weniger starken
Explosion als derjenigen von Hiroshima zu gelangen. Dafür verlangsamt man
beispielsweise die Explosion, so dass die kritische Masse in Stücken davonfliegt
und sich somit ein Hauptteil der Explosion entzieht.»
Fünftes Bild
Dazu werden Techniker beim Verladen der Atombomben, physikalische
Abbildungen zur Funktionsweise der kernphysikalischen Prozesse, Fotos von
Atombombentests gezeigt. Der Feuerball und die radioaktive Strahlung
vernichtet jedes Leben – auf Jahrhunderte hinaus. Gezeigt werden dann
Atombomben in kleiner Ausführung, eventuell Granaten, sie werden
abgeschossen aus einer Art Kanonenrohr.
Kommentator:
12. Juni 1978. In einer Diskussion an der Uno kündigte der damalige
Staatssekretär Cyrus Vance die Verpflichtung der amerikanischen Regierung
an, die Atomwaffen nie gegen eine Nicht-Atommacht einzusetzen.
Im Januar 2002 kommt der Wendepunkt. Präsident George W. Bush präsentiert
im Kongress die neue Linie seiner Administration. Die USA könnten Atomwaffen
gegen 7 Länder benützen: Russland, China, den Irak, Iran, Nordkorea, Libyen
und Syrien. Von diesen besitzen mit Sicherheit nur Russland und China ein
Atomwaffenarsenal.
George W. Bush, Weisses Haus, 1. Mai 2001:
«Die Atomwaffen spielen heute noch eine vitale Rolle in der Sicherheit der USA
und unserer Verbündeten. Wir müssen und können die Dimension, die
Zusammensetzung und den Charakter unserer Atomwaffen ändern, so dass sie
die Tatsache reflektieren, dass der kalte Krieg zu Ende ist.»
Atomwaffen der vierten Generation
Kommentator:
Die Entwicklungen im Bereich der Nanotechnologie und die neuen
Entdeckungen in der Physik eröffnen den Weg des neuen Konzepts der
«Atomwaffen der vierten Generation». Die neue Grenze ist die Herstellung
immer kleinerer Atomsprengköpfe, ausgestattet mit präziserer Zündung,
welche die Kraft auf ein akzeptables Niveau eines reellen Schlachtfeldes
reduzieren können. Im Gegensatz zur klassischen Atombombe verursachen die
Waffen der vierten Generation nur eine begrenzte radioaktive Verseuchung, die
spezifischen Eigenschaften werden aber noch durch das Militär
geheimgehalten.
Robert W. Nelson lehrt an der Princeton University und ist Mitglied der
Dossier Uranwaffen
80
Zeit-Fragen 2007
Federation of American Scientists:
«Ich glaube, dass mit Ausnahme von Nord-Korea der grösste Teil der
Atommächte sicherlich die Kapazität hätte, kleinere nukleare Waffen zu
bauen.»
William Arkin, ehemaliger Analytiker des Pentagon, ist heute militärischer
Berater des Fernsehsenders ABC und der «Washington Post». 1992 war er
einer der ersten, welcher die Waffen der neuen Generation im Bulletin of
Atomic Scientists anklagte. «Kleinste Waffen für Minigehirne» war der Titel
seines Artikels:
«Ja, es ist möglich eine Waffe zu bauen, die kleiner als 300 Tonnen ist. Im
Vergleich zu den Waffen, welche wir jetzt besitzen, ist es sicher möglich,
Atomwaffen von 10 bis 20 Tonnen herzustellen, und sicherlich können wir
diese Waffen mit einer präzisen gelenkten Plattform verbinden, welche es
erlaubt, viel näher ans Ziel zu kommen und in die Tiefe zu gehen.»
Robert W. Nelson, Federation of American Scientists, Princeton University:
«Wenn es gelingt, eine Miniaturwaffe zu entwickeln, welche in eine Rakete
eingefügt werden kann, ist es gelungen, die Technik zu verbessern, Waffen zu
entwickeln, die unter dem Namen ‹Primärwaffen mit niedriger Explosionskraft›
bekannt sind. Der Kern und wenn wir wollen das Zündholz, welches eine grosse
atomare Explosion zündet, und diese Explosion des Primärkerns ist im
wesentlichen eine Mini-Atomwaffe.»
Sechstes Bild
US-amerikanische Soldaten landen mit den riesigen Transportmaschinen im
Irak und rüsten sich für die Kampfhandlungen, Bilder von Vorbereitungen zu
Kampfhandlungen.
Kommentator:
Sofort nach dem «Wüstensturm» im Jahre 1991 schrieb der damalige USVerteidigungsminister Dick Cheney ein absolut geheimes Dokument, welches
die Hauptleitlinie des Gebrauchs der nuklearen Waffen beinhaltete. Die
Administration Bush beauftragte formell das Militär, den Einsatz von
Atomwaffen gegen die Nationen der dritten Welt, die man für fähig hält,
Massenvernichtungswaffen zu entwickeln, zu planen.
Seit dem ersten Golf-Krieg 1991 bis zu den Kriegen in den 90er Jahren auf dem
Balkan und erneut seit 2003 im Irak haben Dutzende von klinischen Befunden
das Vorhandensein von Unregelmässigkeiten bei Körperverletzungen und
Pathologien in Zusammenhang mit den Bombardierungen der USA und der
Nato offenkundig gemacht.
Siebtes Bild
Man sieht tote Soldatenkörper, die nicht verbrannt, sondern wahrscheinlich
unter einer grossen Hitzeeinwirkung gestorben sind. Man sieht einen toten
Körper, die Kleider des Soldaten sind nicht verbrannt. Der Tote liegt in einem
grossen Krater, der durch eine ausserordentlich gewaltige Explosion
entstanden sein muss.
Emilio Del Guidice, Atomphysiker:
«Berichte aus den Kriegsgebieten, wo diese Waffen leider eingesetzt werden,
geben Anhaltspunkte für Ereignisse, die auf Atomwaffen schliessen lassen […],
man sieht zum Beispiel schwarze Körper, ohne dass es Spuren von
Verbrennung gibt. Wenn wir – und ich unterstreiche wenn – eine massive
Dossier Uranwaffen
81
Zeit-Fragen 2007
Präsenz von Gammastrahlen hätten, hätten wir eine Superlampe, welche
erklären würde, weshalb der Körper sich schwärzt. Wer aber hätte diese
Gammastrahlen ausgelöst, wenn keine Explosion des Typs Hiroshima oder
auch durch Mininukes festgestellt wurde?»
Achtes Bild
Gezeigt wird eine Fachpublikation mit dem Titel «A comparison of delayed
radiobiological effects of depleted-uranium munitions versus fourth-generation
nuclear weapons» [Ein Vergleich verzögerter strahlenbiologischer Wirkungen
abgereicherter Uran-Munition mit Atomwaffen der vierten Generation] von
André Gsponer, Jean Pierre Hurni und Bruno Vitale.
Kommentator:
Nach dem Schweizer Physiker André Gsponer kam das abgereicherte Uran
erstmals 1991 im Irak zum Einsatz, gerade um das Tabu zu brechen, das seit
1945 Bestand hatte, und um die Atomwaffen der vierten Generation
einzuführen.
Emilio Del Giudice, Atomphysiker:
«Wenn wir die zerstörten Panzer anschauen, nicht so sehr diejenigen des
Libanon-Krieges, sondern jene des Golf-Krieges, sieht man, dass diese weit
mehr zerstört sind als ihre Vorgänger im Zweiten Weltkrieg, im Korea-Krieg
oder in den Kriegen des Nahen Ostens. Ausserdem erscheinen sie
geschmolzen, im thermodynamischen Sinn des Wortes. Wir meinen damit,
dass über 30–40 Tonnen Stahl geschmolzen sind(!). Das heisst, dass eine viel
höhere Energie freigesetzt wurde, als dies der Fall ist bei normaler
konventioneller Munition. All das lässt erahnen, dass wir es mit neuen
nuklearen Prozessen zu tun haben.»
Robert W. Nelson, Federation of American Scientists, Princeton University:
«Während der ersten Jahren der Administration Bush wurde der Versuch
gemacht, Mini-Atomwaffen zu entwickeln, oder besser gesagt, es wurde die
Erlaubnis dazu gegeben.»
Kommentator:
Aber nach Bush Vater nahm Bill Clinton im Weissen Haus Einsitz. 1994 fügten
die Demokraten John Spratt und Elizabeth Furse der Militärrechnung eine
Bestimmung zu, welche die Erforschung und die Weiterentwicklung von
Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft als 5 Kilotonnen verbot. Von Waffen
also, die kleiner sind als jene, die in Hiroshima und in Nagasaki eingesetzt
wurden, aber kräftiger sind als jede Waffe, die je auf einem Schlachtfeld
eingesetzt wurde. Das Verbot wird zum Gesetz.
Robert W. Nelson, Federation of American Scientists, Princeton University:
«Es gab effektiv ein Gesetz, welches in diesen Laboratorien die Arbeit mit
diesen Waffengattungen verhinderte. Im Herbst 2004 wurde dieses Gesetz
abgeschafft, aber der Kongress hat nie die Geldmittel bewilligt, um das zu
bauen, was wir Mininukes nennen. Soviel ich weiss, gibt es keine bewilligte
Forschung von Mini-Atomwaffen in den USA. Es ist möglich, dass in Israel oder
in andern Ländern, die mit Atomwaffentechnologie ausgestattet sind, diese Art
von Forschung existiert, ich habe aber keine Kenntnis davon.»
William Arkin, «Washington Post», ehemaliger Analytiker des Pentagon:
Dossier Uranwaffen
82
Zeit-Fragen 2007
«Wenn die USA beginnen würden, eine neue Generation von Atomwaffen zu
entwickeln mit den entsprechenden Nukleartests, könnte ich die Übereinkünfte
mit den Russen verstehen. Diese würden auf dem eigenen Boden diese
Atomwaffen testen, weil die Folgen und die Schwierigkeiten, die Waffen in
Nevada zu testen, zu gross wären. Ich glaube, dass es in Zukunft eine sehr
interessante nukleare Allianz geben könnte.»
Kommentator:
In den Jahren des kalten Krieges war die Sowjetunion der einzige nukleare
Gegenspieler der USA. Aus dieser Zeit hat das Russland der Ära Putin die
Installationen, die Projekte und die Leute geerbt.
Viktor Mikhailov, der mysteriöse Professor M., welcher seit 1982 das föderative
Zentrum der Nuklearen Erforschung geleitet hat und unter Boris Jelzin Minister
für Atomenergie wurde:
«Russland hat nie jene Waffen, welche Sie Mininukes nennen, angewendet,
also Bomben der Kraft von 300 bis zu 3000 Tonnen TNT. Das sind Atomwaffen,
welche noch nie von jemandem angewendet worden sind.»
William Arkin, «Washington Post», ehemaliger Analytiker des Pentagon:
«Ich glaube, dass die USA auf dem Gebiet der kleinen nuklearen Waffen,
welche eingesetzt werden können, dominieren. In den Zeiten der Sowjetunion
kursierte ein Witz, der sich etwa so anhörte: ‹Hey, hast du gehört, dass die
Russen eine Atomwaffe entwickelt haben, welche in einem Koffer Platz hat?›
Und die Antwort war: ‹Ja, ich habe von dieser Waffe gehört, jetzt sind sie im
Begriff, den Koffer zu perfektionieren.› Damit will ich sagen, dass all dies nicht
unmöglich ist. Die Gefahr, glaube ich, besteht nicht darin, dass ein anderer
nicht dazu in der Lage wäre. Die Gefahr besteht im Signal, welches die
Vereinigten Staaten aussenden, wenn sie beschliessen würden, besser
einsetzbare Atomwaffen weiterzuentwickeln.»
Neuntes Bild
Militärparade mit riesigen Raketen auf dem Roten Platz in Moskau.
Viktor Mikhailov, ehemaliger Minister der Atomenergie in der Russischen
Föderation:
«Die Sowjetunion hatte aussergewöhnliche Atomwaffen entwickelt, welche
weder von der Konzeption, noch von der Leistung her schlechter waren als die
Waffen der USA. Die USA sind die einzige Vergleichsgrösse, die anderen sind
weit entfernt von unserem Niveau. Ich halte fest, dass der kalte Krieg zu Ende
ist, aber dass er nicht als Folge unseres technisch-wissenschaftlichen
Potentials verloren wurde, sondern wegen der Ökonomen und der Finanziers:
Wenn es Probleme gegeben hat, sind sie diesen anzulasten. Wir waren und
sind eine grosse Macht geblieben. Und wir werden es bleiben, solange wir
dieses Potential haben und unsere Waffen an der Spitze sind. Man soll
Russland mit Respekt behandeln.»
Kommentator:
Die «Union of Concerned Scientists» hat vor den nuklearen Projekten der
Administration Bush gewarnt. Im speziellen gegen die Hypothese der
Experimente mit Atomwaffen, um die nuklearen Programme Irans zu stoppen.
Auf der Internetseite der Union of Concerned Scientists kann man dazu eine
Animation herunterladen: Grafische Animation, produziert von der Gruppe
Dossier Uranwaffen
83
Zeit-Fragen 2007
«Union of Concerned Scientists» (siehe Kasten auf dieser Seite).
Die USA haben eine neue Waffe entwickelt. Es handelt sich um eine «nukleare
Durchschlagswaffe», speziell entwickelt, um unterirdische Bunker zu zerstören.
Verschiedene unabhängige wissenschaftliche Studien haben die Ineffizienz
dieser Bombe aufgezeigt. Nicht nur, dass sie wenig effizient gegen die in der
Tiefe situierten Bunker sind, sondern der Gebrauch der «Robust Nuclear Earth
Penetrator» hätte einen gefährlichen radioaktiven Fallout zur Folge, der
potentiell für Millionen Zivilisten tödlich wäre.
Diese Bombe könnte nur einige Meter tief in die Erde eindringen, was die
Eindämmung der Atomexplosion und die darauffolgende radioaktive Wolke
verhindern würde.
Die Radioaktivität würde sich über 2000 Kilometer ausbreiten. Wenn die USA
einen einzigen Sprengkopf von einer Megatonne einsetzen würden, zum
Beispiel gegen das nukleare Zentrum von Isfahan in Iran, würde der radioaktive
Fallout in kürzester Zeit Pakistan, Afghanistan und Indien erreichen.
In dieser Simulation, die auf einem im Pentagon entwickelten Modell basiert,
würden durch den nuklearen Angriff mehr als 3 Millionen Menschen sterben.
Weitere 35 Millionen Zivilisten wären danach einer Menge von Radioaktivität
ausgesetzt, die zu Tumoren und anderen tödlichen Krankheiten führen würde.
Um unterirdische Objekte zerstören zu können, müsste die von der Bombe
verursachte Stosswelle den Bunker erreichen können. Aber eine Explosion von
einer Megatonne, die von einer 60mal stärkeren Bombe als jener von
Hiroshima provoziert würde, könnte Bunker zerstören, die maximal 350 Meter
von der Explosionsstelle entfernt wären.
Eine Atomwaffe wäre nicht einmal in der Lage, allfällige unterirdische Depots
mit chemischen oder biologischen Waffen zu vernichten, ausser wenn die
Bombe sehr nahe daran explodieren würde. Die Hitze und die Strahlen einer
nuklearen Explosion zur Neutralisierung von Chemikalien oder Bakterien
breiten sich unter der Erde sehr schlecht aus. So könnte paradoxerweise eine
solche Explosion die gegenteilige Wirkung haben, als die vorgesehene: Nicht
nur die eigene Strahlung, sondern auch die gefährlichen Gifte könnten in der
Umgebung zerstreut werden.
Ein effizientes Mittel, um unterirdische Bunker zu neutralisieren, wäre deren
Öffnungen nach aussen, das heisst die Tunneleingänge, mit traditionellen
Waffen zu beschiessen. Auf diese Weise bliebe der Anteil der kontaminierenden
Substanzen im Untergrund versiegelt, und das feindliche Personal könnte
weder in die Bunker hinein noch hinaus.
Viktor Mikhailov, ehemaliger Minister der Atomenergie in der Russischen
Föderation:
«Im vergangenen April hatte ich mit einem Amerikaner eine Vodka-Flasche
gewettet, ein hohes Tier, dass die Amerikaner den Krieg in Iran nicht anfangen
würden […].»
William Arkin, «Washington Post», ehemaliger Analytiker des Pentagon:
«Und wenn der Präsident der USA sich entscheiden würde, gegen Iran in den
Krieg zu ziehen, sogar als Präventivkrieg, würde es die amerikanische Armee
bereits beim ersten Angriff bevorzugen, auf die konventionellen Waffen und
auf diejenigen der Information zurückgreifen und nicht auf die Atomwaffen. Ich
glaube, es handelt sich ausschliess lich um ein ideologisches Projekt, das
weder die Unterstützung der amerikanischen Armee noch jene der
Gemeinschaft der Nationalen Sicherheit hat.»
Dossier Uranwaffen
84
Zeit-Fragen 2007
Viktor Mikhailov, ehemaliger Minister der Atomenergie in der Russischen
Föderation:
«Es könnte auch Bomben dieses Typs geben, atomare Sprengkörper mit
reduzierter Kraft. Wir sind aufmerksam und wissen darüber Bescheid. Aber
vergessen wir nicht, 0,3 Kilotonnen sind gleichbedeutend mit 300 Tonnen
TNT.»
Sind diese vorgesehen, um die unterirdischen Bunker zu treffen?
Viktor Mikhailov:
«Vielleicht glauben das die Amerikaner. Weil es bis heute nichts anderes gibt.
Sie verfügen bis jetzt über keine durchdringenden Bomben von grosser
Tiefenwirkung. Sie haben weder Bomben noch atomare Sprengköpfe dieser
Art. Sie sind im Begriff, einen atomaren Sprengkörper zu entwickeln, welcher
nach einer ersten Explosion in der Lage ist, einige Dutzend Meter oder sagen
wir 100 Meter in die Felsen einzudringen. Aber es ist ein enormes technisches
Problem.»
William Arkin,«Washington Post», ehema liger Analytiker des Pentagon:
«Ich sehe den demokratischen Kongress nicht, die Wiederaufnahme der
nuklearen Tests oder die Wiederherstellung von neuen Atomwaffen zu
befürworten, aber ich glaube, dass sich ein neuer Konsens entwickeln wird,
welcher die Demokraten einbinden wird. Das bedeutet, dass die USA am
Schluss neue Atomwaffen entwickeln müssen.»
Was geschieht, wenn jemand beschliesst, solche Waffen einzusetzen?
Viktor Mikhailov, ehemaliger Minister der Atomenergie der Russischen
Föderation:
«Das wird der Atomkrieg sein. Der Einsatz von Sprengkörpern mit der Kraft von
300 Tonnen, von 1000 Tonnen, von Millionen von Tonnen TNT, bedeutet den
Atomkrieg. Das wird absolut für alle klar sein, eingeschlossen für Russland, die
USA, die Atommächte wie England, Frankreich, China. Es wird für sie klar sein,
dass es um den Atomkrieg geht.»
Zehntes Bild
Wieder wird die Uhr gezeigt, die zeigt, wie wenige Minuten noch bis Mitternacht
fehlen.
Kommentator:
Die Uhr von Washington tickt seit über 60 Jahren weiter, manchmal langsamer,
manchmal schneller. In der Epoche, die vom Atompilz von Hiroshima und
Nagasaki eröffnet wurde, schien die Mitternacht viele Male näher zu sein, aber
zum Glück hat niemand diese Grenze überschritten. Heute existiert diese
Grenze nicht mehr.
Kennette Benedict, Geschäftsführerin des Bulletin of the Atomic Scientists:
«Während des kalten Krieges glaubte man, dass diese Art von Waffen zu
zerstörerisch sei, dass ihre Auswirkungen zu zerstörerisch und schrecklich
seien, während es heute dagegen Leute gibt, die denken, dass die Atomwaffen
eine Möglichkeit seien, die in Erwägung gezogen werden kann. Die Regeln über
den Gebrauch der Atomwaffen und das kritische Bewusstsein in den Zeiten des
kalten Krieges sind daran, sich aufzulösen, und alles das ist wirklich
beängstigend.»
Dossier Uranwaffen
85
Zeit-Fragen 2007
Elftes Bild
Zum Filmende wird eine grosse Demonstration in Hiroshima gezeigt, Menschen
erinnern sich an die unsägliche Tragödie des Atombombenabwurfs der USA
1945. Menschen beten und weinen.
Quelle: www.rainews24.rai.it/ran24/inchieste/01022007_hiroshima.asp. Der
Film kann von dieser Website heruntergeladen werden.
(Übersetzung Zeit-Fragen)
Weiterführende Literatur
für Gymnasiasten und Studenten:
André Gsponer, Jean Pierre Hurni, and Bruno Vitale. A comparison of delayed
radiobiological effects of depleted-uranium munitions versus fourth-generation nuclear
weapons. PDF format: arxiv.org/PS_cache/physics/pdf/0210/0210071v2.pdf
André Gsponer. From the Lab to the Battlefield?
Nanotechnology and Fourth Generation Nuclear Weapons. PDF format:
arxiv.org/abs/physics/0509205v2
Caldicott, Helen. Atomgefahr USA: Die nukleare
Aufrüstung der Supermacht. Diederichs Verlag, München 2003, ISBN 3720523853
Hersh, Seymour M. Atommacht Israel: Das geheime Vernichtungspotential im Nahen
Osten. Knaur, München 1994, ISBN 3-426-80020-9
Weitere Filme zum Thema:
Deadly Dust – Todesstaub, 2006 Deutschland.
Filmdokumentation von Frieder Wagner.
Kontaktadresse für die Bestellung des Films:
TELEPOOL / ONEPOOL, Sonnenstrasse 21,
D-80331 München, Telefon: +49 89 558760,
Fax: +49 89 556 76 229, E-mail: [email protected], www.telepool.de
The Unknown Terror of DU: Iraqi Children Now, 2005. Japan, DVD Dokumentation von
Naomi Toyoda and Hitoshi Shimizu. (Kontaktadresse für die Bestellung des Films:
[email protected])
«Union of Concerned Scientists»
The Robust Nuclear Earth Penetrator – RNEP
Mai 2005. Die Bush-Regierung hat erneut vom Kongress die Bewilligung von
Geldern für Forschungen zu einer neuen Art von Atombombe gefordert. Der
Robust Nuclear Earth Penetrator (RNEP) ist eine nukleare Waffe, die sich
einige Meter in Felsen oder Beton graben kann, bevor sie explodiert, und
damit eine mächtige unterirdische Schockwelle auslöst.
Ihre hypothetischen Ziele sind tief vergrabene Kommandobunker oder unter
irdische Lagerstätten für chemische oder biologische Wirkstoffe.
Das RNEP-Budget ist nicht nur einfach eine Machbarkeitsstudie: Das Budget
des Department of Energy von 2005 umfass te einen Fünf-Jahres-Ansatz –
insgesamt 484,7 Millionen Dollar – für die Waffenlaboratorien, damit sie einen
vollständigen Entwurf für einen Sprengkopf herstellen und mit der Produktion
ab 2009 beginnen.
Letztes Jahr hat David L. Hobson, der republikanische Vorsitzender des House
Appropriations Energy and Water Development Subcommittee, die FY05-Mittel
(Fiscal Year) für das Programm gestrichen und festgestellt: «Wir können nicht
Dossier Uranwaffen
86
Zeit-Fragen 2007
die Nichtweitergabe von Atomwaffen überall auf der Welt verfechten, während
wir hier zu Hause betriebsfähigere Nuklearwaffen-Optionen verfolgen.» Aber
der Antrag an das FY06-Budget beinhaltet 4 Millionen Dollar für RNEP und
weitere 4,5 Millionen Dollar dafür, den B-2-Bomber so anzupassen, dass er
diese Waffe tragen kann.
Das RNEP-Design: Waffenkonstrukteure am Lawrence Livermore National
Laboratorium beabsichtigen, einen bereits existierenden hochwirksamen
Waffensprengkopf – die 1,2-Megatonnen-B83-Nuklearbombe – in einem
längeren, stärkeren und schwereren Bombenmantel zu verwenden. Die B83 ist
die grössste Atomwaffe im US-Arsenal und hat fast 100mal mehr Sprengkraft
als die Nuklear bombe, die auf Hiroshima abgeworfen wurde.1
Technische Gegebenheiten: Wie verschiedene, kürzlich durchgeführte
wissenschaftliche Studien besagen, war RNEP nicht wirksam beim Zerstören
vieler unterirdischer Ziele, und ihr Einsatz könnte den Tod von Millionen von
Menschen zur Folge haben.2
Der RNEP würde einen erschreckend hohen radioaktiven Fallout freisetzen. Ein
RNEP kann nicht tief genug eindringen, damit der nukleare Fallout eingedämmt
würde. Sogar die stärkste Ummantelung wird sich selbst zu dem Zeitpunkt
zerstören, wenn sie 10 bis 30 Fuss tief in den Felsen oder Beton eindringt. Zum
Vergleich: Sogar ein 1-Kilotonne-Nuklear-Sprengkopf (weniger als ein Zehntel
so zerstörerisch wie die Bombe von Hiroshima) muss wenigsten 200 bis 300
Fuss tief begraben sein, damit sein radioaktiver Fallout eingedämmt bleibt.3
Der RNEP mit hoher Sprengkraft wird einen ungeheuren Fallout freisetzen, der
vom Wind mehr als tausend Meilen weiter in der Windrichtung getragen wird.
Wie Linton Brooks, der Leiter der National Nuclear Security Administration, dem
Kongress im April berichtete: «Die Gesetze der Physik werden es niemals
erlauben, dass eine Bombe weit genug eindringt, so dass der Fallout
verschlossen bleibt. Dies ist eine Atomwaffe, die ungeheuer zerstörerisch für
ein grosses Gebiet ist», wenn sie unterirdisch gezündet wird.
RNEP würde Millionen von Menschen töten. Eine Simulation eines RNEPEinsatzes gegen die Nuklearanlagen von Isfahan in Iran, bei der für das
Pentagon entwickelte Software eingesetzt wurde, zeigte, dass 3 Millionen
Menschen innerhalb von zwei Wochen durch die Strahlung bei der Explosion
getötet und 35 Millionen Menschen in Afghanistan, Pakistan und Indien
höheren Dosen krebserregender Strahlung ausgesetzt würden.4
RNEP ist unwirksam für die Zerstörung chemischer und biologischer Wirkstoffe.
Falls die Waffe nicht fast im gleichen Raum wie diese Agenzien explodiert,
würde sie diese nicht zerstören. Weil die Vereinigten Staaten
höchstwahrscheinlich nicht über den genauen Standort, die Grösse und die
Anlage der unterirdischen Bunker informiert sind, würden sich durch einen
nuklearen Angriff auf eine Lagerstätte, die chemische und biologische
Wirkstoffe enthält, diese Wirkstoffe viel eher in der Umgebung zusammen mit
dem radioaktiven Fallout5 verbreiten.
Nur ein kleiner Bereich im Umfeld einer nuklearen Explosion erreicht
Temperaturen, die hoch genug sind, chemische oder biologische Wirkstoffe zu
sterilisieren. Aber der seismische Schock oder die Druckwellen verbreiten sich
viel weiter und werfen einen grossen Krater an Schmutz und Schutt aus.
Wirkstoffe, die innerhalb dieses Kraterbereichs, aber ausserhalb der kleinen
Sterilisationszone gelagert waren, würden in der Umgebung verteilt.
RNEP ist unwirksam bei der Zerstörung der tiefsten oder weitgehend
abgesonderten Bunker. Der durch die RNEP hervorgerufene seismische Schock
würde Bunker nur bis zu einer Tiefe von ungefähr tausend Fuss zerstören
Dossier Uranwaffen
87
Zeit-Fragen 2007
können. Moderne Bunker können tiefer angelegt sein, mit einem weitgehend
voneinander getrennten Komplex verbundener Räume und Tunnel. […]
1 Medalia, J., Robust Nuclear Earth Penetrator Budget Request and Plan, FY2005FY2009. March 24, 2004, Congressional Research Service: Washington, D.C.
Available at: www.fas.org/spp/starwars/crs/RS21762.pdf, accessed May 2005.
2 National Research Council, Effects of Nuclear Earth-Penetrator and Other
Weapons. 2005. Available at: books.nap.edu/catalog/11282.html, accessed May 2005.
3 Nelson, R.W., Low-Yield Earth-Penetrating Nuclear Weapons. Science & Global
Security, 2002. 10(1): p. 1–20. Available at: www.princeton.edu/
%7Eglobsec/publications /pdf/10_1Nelson.pdf; www.princeton.edu/
%7Eglobsec/publications/pdf/10_1Nelson.pdf; accessed May 2005.
4 Peter Wilk MD, et al., Projected Casualties Among U.S. Military Personnel and
Civilian Populations from the Use of Nuclear Weapons Against Hard and Deeply Buried
Targets. 2005, Physicians for Social Responsibility. Available at:
www.psr.org/documents/psr_doc_0/program_4/RNEP_Report_Final.pdf;
www.psr.org/documents/psr_doc_0/program_4/RNEP_Report_Final.pdf; accessed May
2005.
5 Nelson, R.W., Nuclear «Bunker Busters» Would More Likely Disperse than Destroy
Buried Stockpiles of Biological and Chemical Agents. Science & Global Security, 2004.
12(1–2): p. 69–89. Available at: www.princeton.edu/~rnelson/papers/agent_defeat.pdf;
www.princeton.edu/%7Ernelson/papers/agent_defeat.pdf; accessed May 2005.
May, M., Haldeman, Z., Effectiveness of Nuclear Weapons Against Buried Biological
Agents. Science & Global Security, 2004. 12(1–2): p. 91–114.
Für mehr Information:
Dr. Robert Nelson, Senior Scientist,
Global Security Program,
E-Mail: [email protected]
Kritik an neuerer Untersuchung zu den
gesundheitlichen Folgen von DU-Belastung
DU-Munition
eir. Eine Untersuchung deutscher im Balkan stationierten Soldaten und in der
Bevölkerung Kosovos hinsichtlich deren Vergiftung und Verstrahlung durch
DU-Munition ist in die Kritik geraten.
Die offizielle Untersuchung* hatte behauptet, «dass sowohl die
Friedenstruppen wie auch die Einwohner keinen bedeutsamen Belastungen
von DU ausgesetzt waren».
Man hätte es sich mit diesem «Forschungsresultat» leicht machen können,
wenn es sich um eine nebensächliche Aussage zu einem nebensächlichen
Gesundheitsrisiko handeln würde. Das ist bei einem Gesundheitsproblem, das
unter anderem durch radioaktiv-toxische Uranmunition, von der Nato in Kosovo
zu Tausenden von Tonnen abgeworfen, entstanden ist, aber nicht vertretbar.
Die Untersuchung ist im wesentlichen von 8 Wissenschaftern des GSF –
Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit – Neuherberg/München
getragen, das sich als nationales Forschungszentrum «GSF – National Research
Center for Environment and Health, Institute for Radiation Protection» darstellt.
Es bestand die Aufgabe, die Krebsrisiken infolge des Einsatzes von Uran für
Dossier Uranwaffen
88
Zeit-Fragen 2007
deutsches Personal und auf die Bevölkerung Kosovos zu untersuchen. Der
Auftraggeber und die Formulierung des Auftrages werden verschwiegen.
Als besonders schwerwiegend werden zwei Punkte erachtet:
1. Das ausschliesslich eingesetzte Mess verfahren «ICPMassenspektrometrie» ist nicht geeignet, «strahlen»verursachte Krebsrisiken
in ausreichendem Umfang zu bewerten. Strahlenbelastungen aus Trans-Uran
(Plutonium, Americium, Curium), die schon bei geringer Uranbestrahlung
entstehen und ab 1-Millionstel-Massenanteil wirksam werden, wurden nicht
erfasst. Es fehlen a-, b- und g-Spektralanalysen.
2. Selbst erste Hinweise auf Anomalitäten sind verschleiert worden: In
Tabelle 4 wird die Auflistung von Uran 234 im Urin bewusst unterlassen. Nicht
das Verhältnis U 236/U 238 gibt hinreichend Auskunft über die Art des Uran,
sondern das Verhältnis 234/236. In Tabelle 5 (Wasser, weit entfernt vom Urin
der Betroffenen) besteht dagegen der Mut, U 234 zu nennen.
3. Die Defizite sollten im Interesse seriöser wissenschaftlicher
Berichterstattung beseitigt werden. Diese präzise Kritik sollte es weiteren
Untersuchungsteams erlauben, die hochaktuellen Fragen im Zusammenhang
mit der tonnenschweren Bombardierung Kosovos mit Uranwaffen –
insbesondere die Frage des durch Uranwaffen entstehenden Krebsrisikos –
ausführlich und korrekt zu beantworten. Und man sollte dabei bedenken, dass
die Krankheitsrate der im Golfkrieg erkrankten US-Soldaten in die
Hunderttausende geht. •
Im April 2007 erschien in der Zeitschrift ScienceDirect, www.sciencedirect.com, ein
Artikel, der die gesundheitliche Belastung von Friedenstruppen aus Deutschland auf
dem Balkan sowie von Einwohnern der Kosovoregion untersucht habe, und zwar
unter dem Aspekt der Kontamination mit Depleted Uranium. (ScienceDirect, 381
(2007) 77-87. )
* Die Untersuchung trägt den Titel «Measurements of daily urinary uranium
excretion in German peacekeeping personnel and residents of the Kosovo region to
assess potential intakes of depleted uranium (DU)» was verkürzt gesagt bedeutet,
dass diverse Messungen des Urangehaltes im Urin bei den Soldaten und der
Bevölkerung vorgenommen wurden. Die Autoren der Studie sind U. Oeh, N.D. Priest, P.
Roth, K.V. Ragnarsdottir, W.B. Li, V. Höllriegl, M.F. Thirlwall, B. Michalke, A. Giussani, P.
Schramel und H.G. Paretzke.
Sehr viele Rückkehrer von Auslandeinsätzen an der
Schilddrüse operiert
Das bezeugt ein Angehöriger der italienischen Armee gegenüber dem
«Osservatorio militare», einer Organisation, die sich um die Soldaten und
deren Familien kümmert. Dies wurde an der Pressekonferenz der
parlamentarischen Untersuchungskommission bekannt. Die Eingriffe würden
70% des Militärpersonals betreffen.
Rom. Viele Militärangehörige, die von ausländischen Missionen zurückgekehrt
sind, haben sich infolge einer mutmasslichen Verseuchung (Kontamination) mit
abgereichertem Uran einer Schilddrüsenoperation unterziehen müssen. Dies
wurde von einem jungen Soldaten, der aus dem Kriegsgebiet im Balkan
zurückgekehrt und sich seit längerer Zeit in ärztlicher Kontrolle befindet,
bezeugt. Seine Aussage machte er gegenüber Domenico Leggiero vom
«Osservatorio militare».
Dossier Uranwaffen
89
Zeit-Fragen 2007
Die Meldung ist um so schockierender, wenn man das Ausmass des
Phänomens betrachtet.
Laut der Aussage des Soldaten müssen sich 70% der Rückkehrer einer
präventiven Operation an der Schilddrüse unterziehen. Nach Auskunft des
«Osservatorio militare» werden die medizinischen Eingriffe in einem Spital in
Siena und in anderen mit der Armee vereinbarten Einrichtungen durchgeführt.
«Wir sind nicht in der Lage, diese Zahlen zu bestätigen», erklärt Leggiero,
«aber wir erwarten, dass das Parlament etwas unternimmt, um dieses Problem
zu klären. Auch mit halb so grossen Zahlen wäre das Ausmass noch enorm und
würde den Zugang zu den entsprechenden Informationen notwendig machen.»
Die Präsidentin der parlamentarischen Untersuchungskommission des Senats,
Lidia Menapace, zeigte die Leitlinien auf, die zur Erreichung des Ziels, die
Zusammenhänge der Erkrankungen mit dem abgereicherten Uran zu
beschaffen, führen sollen.
Eine der ersten Aufgaben der Kommission wird die statistische Analyse des
Datenmaterials sein. Dafür will sie sich an den Istat wenden, das höhere
Sanitätsinstitut der Generaldirektion des Militärs, «um sich objektive und
offizielle Daten und Einschätzungen zu besorgen», meinte Frau Menapace. Bis
heute gibt es nämlich keine Sicherheit bezüglich der genauen Zahl der Opfer.
Nach dem «Osservatorio» wären es 45 Tote und 515 Kranke, alle mit
Krankheiten, die auf die Einwirkung von abgereichertem Uran zurückzuführen
sind, das mit Nato-Waffen vor allem auf dem Balkan massiv zum Einsatz kam.
Andere Organisationen wie auch die «Difesa» (Armee) selbst liefern andere
Zahlen.
Heute bestehen praktisch keine Zweifel mehr über den Zusammenhang
zwischen Todesfällen und Krankheiten der Rückkehrer aus den ausländischen
Missionen und ihrem Kontakt mit abgereichertem Uran, auch wenn das Thema
polemisch behandelt wird und Gegenstand von Untersuchungen ist. Die
Kommission Mandelli hat in drei aufeinanderfolgenden Berichten den Schluss
gezogen, dass im Vergleich zu der statistisch zu erwartenden Zahl die
Opferzahl der Vergleichsgruppe (die Soldaten, die an verschiedenen
Operationen in den betroffenen Gebieten teilgenommen haben) das Vierfache
beträgt. Sie war aber nicht in der Lage, eine direkte Verbindung zwischen dem
abgereicherten Uran und den Tumorfällen zu ziehen. Eine nächste
Untersuchungskommission hat behauptet, dass die Daten der MandelliKommission wahrscheinlich falsch und zu tief eingeschätzt waren. •
Quelle: www.repubblica.it vom 22.3.2007,
(Übersetzung Zeit-Fragen)
Nr.34, 27. August 2007, Seite 8 bis 12
Nicht diagnostizierte Krankheiten und radioaktive
Kriegsführung
von Asaf Durakovic, Uranium Medical Research Center, Washington D.C., USA
Die innere Kontamination mit Isotopen aus abgereichertem Uran (DU) wurde
Dossier Uranwaffen
90
Zeit-Fragen 2007
bei britischen, kanadischen und US-amerikanischen Golfkriegsveteranen noch
nach neun Jahren, nachdem sie im ersten Golfkrieg radioaktivem Staub
ausgesetzt waren, festgestellt. Isotope von DU wurden ebenfalls in
Autopsieproben von Lunge, Leber, Niere und Knochen von kanadischen
Veteranen nachgewiesen. In Erdproben aus Kosovo wurden Hunderte von
Partikeln in Milligramm-Mengen gefunden, meist weniger als 5 Mikrometer
gross. Der erste Golfkrieg von 1991 hatte 350 Tonnen DU in der Umwelt und 3–
6 Millionen Gramm von DU-Aerosol in der Atmosphäre zur Folge. Sein Erbe, die
Golfkriegskrankheit, ist eine komplexe, fortschreitende, zu Behinderungen
führende Multiorganstörung. Die Symptome sind lähmende Müdigkeit,
Schmerzen des Muskel- und Skelettapparates sowie der Gelenke,
Kopfschmerzen, neuropsychiatrische Störungen, Veränderungen der
Stimmungslage, Verwirrtheit, Sehprobleme, Veränderungen im Gangbild,
Gedächtnisverlust, Lymphadenopathien (Lymphdrüsenerkrankungen),
Beeinträchtigung der Atemwege, Impotenz und morphologische und
funktionelle Veränderungen des Harntraktes.
Was man heute über seine Ursachen weiss, genügt bei weitem nicht. Nach der
«Operation Anaconda» in Afghanistan (2002) untersuchte unser Team die
Bevölkerung in Gebieten von Jalalabad, Spin Gar, Tora Bora und Kabul und fand
Zivilisten mit Symptomen, die denjenigen des Golfkriegssyndroms ähnelten.
24-Stunden-Urinproben von 8 Probanden mit Symptomen wurden nach
folgenden Kriterien ausgewählt:
1. Der Beginn der Symptome lag in der Zeit der Bombenangriffe;
2. Anwesenheit in dem bombardierten Gebiet;
3. klinische Ausprägungen.
Proben für eine Kontrollgruppe wurden von symptomfreien Bewohnern nicht
betroffener Gebiete genommen.
Alle Proben wurden auf ihre Konzentration und auf die Verhältnisse von den
Uran-Isotopen U 234, U 235, U 236 und U 238 untersucht. Hierfür wurde ein
Multikollektor, Massenspektrometer mit induktiv gekoppeltem, ionisiertem
Plasma (ICP-MS) benutzt. Die ersten Resultate der Population aus der Provinz
Jalalabad zeigten, dass die Uranausscheidung im Urin bei allen Probanden
diejenigen Werte der nicht exponierten Population signifikant überschritt. Die
Analyse der Verhältnisse der Uranisotope stellte nicht abgereichertes Uran
fest. Studien von 2002 gesammelten Proben stellten in den Distrikten Tora
Bora, Yaka Toot, Lal Mal, Makam Khan Farm, Arda Farm, Bibi Mahre, Poli Cherki
und dem Flughafen von Kabul Urankonzentrationen fest, die 200mal höher
waren als diejenigen in der Kontrollpopulation. Die Uran werte in den
Erdproben von den Orten, die bombadiert wurden, zeigen zwei- bis dreimal
höhere Werte als die weltweiten Konzentrationsgrenzwerte von 2 bis 3 mg/kg
und signifikant höhere Konzentrationen im Wasser als die maximal erlaubten
Grenzwerte der WHO. Diese wachsende Beweislast stellt das Problem der
Prävention und der Lösung der DU-Kontamination hoch oben auf die
Prioritätenliste.
«Es gibt keinen Schutz vor dieser
grundlegenden Kraft des Universums.»
Albert Einstein
Die Wirklichkeit des thermonuklearen Krieges fasst man am besten mit der
Aussage von Einstein zusammen, die besagt, dass diese Energie ausreiche, um
die Erde zu teilen.1 Das atomare Schlachtfeld ist nicht mehr auf ein Land oder
einen Kontinent begrenzt, es geht weit über politische und geographische
Grenzen hinaus und verwandelt jedes Gebiet in eine grosse Kriegszone. Wenn
Dossier Uranwaffen
91
Zeit-Fragen 2007
es zu einem strategischen nuklearen Schlagabtausch käme, der ein
zehntausend Megatonnen-Arsenal umfassen würde, dann würden eine Milliarde
Menschen sofort an den Folgen der unmittelbaren kombinierten Verletzungen
(Explosion, Hitze, Strahlung) sterben, eine weitere Milliarde würden der
Strahlenkrankheit erliegen,2 und die überlebende Bevölkerung des Planeten
müsste in einer Umwelt mit radioaktivem Fallout leben, der somatische und
genetische Effekte mit möglichen irreversiblen Folgen für die Biosphäre nach
sich ziehen würde.
Das atomare Wettrennen
Der erste Test mit Atomwaffen, Trinity, wurde am 16. Juli 1945 in Alamogordo,
in der Nähe von Los Alamos, New Mexiko, USA, durchgeführt. Innert einer
Millionstelsekunde erreichte die erste Atombombe eine Hitze von Millionen
Grad und setzte über 400 radioaktive Isotope und eine sehr grosse
Bindungsenergie mit einem Druck von Tausenden Tonnen pro
Quadratzentimeter frei. Den Bruchteil einer Sekunde lang war der Kern der
Bombe elfmal heisser als die Oberfläche der Sonne. Der Feuerball war
Hunderte von Metern gross, da sich der Kern der Bombe mit Sauerstoff und
Stickstoffatomen mischte, was den hellen inneren Kern der Explosion enthüllte.
Innerhalb einer Sekunde stieg die verdampfte Erde in einem 3000 m hohen
Atompilz hoch. Der Feuerball konnte 150 Meilen entfernt in Arizona von den
Zugpassagieren der Union-Pazifik-Bahn gesehen werden. Zeugen lieferten
verschiedene Interpretationen, sie beschrieben den Effekt, wie wenn ein
Bombenflieger abgestürzt wäre oder wie wenn die Atmosphäre Feuer gefangen
hätte oder wie einen Meteoriteneinschlag. Zeugen der 235 Meilen nördlich der
Stelle der Explosion gelegenen Stadt Gallup dachten, es sei eine Explosion
eines Munitionslagers der Armee.3
Zwanzig Tage nach dem Trinity-Test wurde am 6. August 1945 um 8.15 Uhr
eine Atombombe auf Hiroshima abgeworfen. Die Bombe explodierte ungefähr
633 Meter über der Stadt, sie verdunkelte die Sonne, tötete 130 000
Menschen, führte bei 80 000 zu Behinderungen und verletzte weitere 90 000
durch die verzögerten Folgen des radioaktiven Fallout. Innert Stunden fiel ein
schwarzer Regen, und weisse Asche bedeckte das Epizentrum und verursachte
Hautverbrennungen. Die meisten der primären Opfer starben an den
kombinierten Folgen von Hitze, Druck und akuter Strahlenkrankheit. Hiro shima
wurde praktisch von der Erdkarte ausradiert.4
Zwei Tage später wurde am 8. August 1945 um 11.01 Uhr eine
Plutoniumbombe namens Fat Man auf Nagasaki geworfen. Ähnlich wie in
Hiroshima verschwand die Sonne mit wachsendem Atompilz. Die Bevölkerung
der ausradierten Stadt starb an denselben kombinierten Verletzungen wie in
Hiroshima. Das Ergebnis war das Ende des Zweiten Weltkriegs und ein
Gebietsgewinn für die Sowjetunion. Als Kuratschows Waffenforschungsteam im
Herbst 1948 damit begann, eine russische Bombe zu entwickeln, startete das
Atomtestwettrennen (Table 1). Gleichzeitig mit den USA liefen die Tests in der
Sowjetunion. Nach dem Tod von Stalin 1953 führte die Sowjetunion am 12.
August die erste mobile Wasserstoffbombe zur Explosion. Es war ihre zweite
thermonukleare Waffe. Die USA realisierten, dass die Sowjets das atomare
Wettrennen gewinnen würden, und begannen ihr Atomtestprogramm zu
beschleunigen.
1955 wurde es offensichtlich, dass die Atomtestversuche die Biosphäre
irreparabel schädigten.5 Mehr als 400 radioaktive Isotope, die mit jedem Test
freigesetzt wurden, wurden bisher als Ursache von Umweltverschmutzung
Dossier Uranwaffen
92
Zeit-Fragen 2007
identifiziert. Vierzig dieser Isotope stellen eine Gefährdung der menschlichen
Gesundheit dar. Aus jeder abgeworfenen Kilotonne bilden sich einige Gramm
mit organotoxischen Eigenschaften. Strontium-90 stellt wegen seiner langen
Halbwertszeit, dem Betazerfall und seinen spezifisch den Knochen
betreffenden Eigenschaften das Hauptrisiko dar. Parallel zu den Tests gab es
Unfälle mit Nuklearwaffen. 1958 warf ein B57-Flugzeug der Airforce die erste
Atombombe in der Nähe von Florence, South Carolina, ab. Die unbewaffnete
Bombe explodierte nicht, sondern verstreute radioaktives Material über das
Land. Im selben Jahr warf eine B-52G eine zwei Megatonnen schwere
Atomwaffe in der Nähe von Goldsboro, North Carolina, ab. Weitere Unfälle der
US-Luftwaffe folgten, einschliesslich Tula, Grönland, und Palomares, Spanien. In
Palomares kontaminierten zwei Plutoniumbomben ein grosses Gebiet des
Landes und der Atlantikküste.
Nach dem katastrophalen Unfall von Tscheljabinsk-40 im Jahre 1958 stellten
die Sowjetunion die Atomwaffentests ein. Aber sie setzten bald Tests mit
Megatonnen Sprengkraft in der arktischen Region von Nowaja Selmja fort und
führten am 9. September 1961 eine Bombe zur Explosion mit einer Sprengkraft
entsprechend 50 Megatonnen konventionellem Sprengstoff (TNT). In der
Zwischenzeit gab es in den USA mehr und mehr Anhaltspunkte für eine
Verseuchung der Umwelt und eine erhöhte Inzidenz an Krebs, Leukämie und
anderen Gesundheitsproblemen unter Atomveteranen. Zusammen mit
Bedenken wegen Strahlensicherheit führten diese Anhaltspunkte zur
Abschaffung des riesigen plumpen Bürokratieapparates der
Atomenergiekommission. Sie wurde 1974 durch die Energy and Research
Administration and Nuclear Regulatory Agency (NRC) ersetzt.
1955 gründeten Bertrand Russell, Albert Einstein und neun weitere bedeutende
Wissenschaftler die Pugwash-Bewegung, welche sich mit der Weitergabe von
Atomwaffen und dem Atomkrieg befasste. Seit 1957 begann Pugwash seine
Arbeit mit jährlichen Treffen, die zu einem internationalen Vertrag mit dem
Verbot von weiteren Atomwaffentests und dem Verbot der Produktion neuer
Arsenale und Transportsysteme führte.6 Pugwash trug zum Beginn der
Gespräche zur nuklearen Rüstungsbegrenzung (SALT) bei. Diese Initiative
wurde durch die Kampagne von Linus Pauling gegen Atomwaffen und
Umweltverschmutzung unterstützt. Nach der Kuba-Krise führte eine echte
Bedrohung einer atomaren Konfrontation zwischen den USA und der
Sowjetunion Kennedy und Chrustschow 1963 zur Unterzeichnung eines
Vertrags zum Verbot von Nuklearwaffentests. Dennoch gingen die
unterirdischen Versuche weiter, was schliesslich zum Scheitern des Vertrags
über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBT) führte. Die
Ermordung Kennedys, der Sturz von Chrustschow und der Vietnam-Krieg
führten zum Ende der atomaren Entspannung.
Die realistische Möglichkeit, dass die Sowjetunion die USA im Testen und in der
Entwicklung von Nuklearwaffen überholen könnte, führte schliesslich 1972 zu
den SALT-I-Verträgen mit einem teilweisen Verbot der Stationierung von
Raketenabwehrsystemen. Die Sowjetunion hatte bereits ein
Raketenschutzsystem rund um Moskau, und die USA hatten ein ähnliches
System in North Dakota. Acht Jahre später begann die Reagan-Regierung die
SALT-II-Verhandlungen, welche zu einer Reduktion der Waffen (START), aber
nicht zu einer Begrenzung der Waffen führte. Der Vorstandsvorsitzende der
Pugwash Konferenz, Bernard Field, bezeichnete dies als «wiederholende
Dummheit dieser nutzlosen Scharade».7 Paul Warnke, der Chefunterhändler
des SALT-II-Vertrages sagte: «Die traurige Geschichte der Waffenkontrolle kann
Dossier Uranwaffen
93
Zeit-Fragen 2007
das letzte Kapitel der Geschichte der Menschheit werden.»8
Seit dem Vertrag zum teilweisen Verbot von Nuklearwaffentests von 1963 gab
es etwa 50 Atomwaffentests pro Jahr; 55% wurden von den USA durchgeführt,
30% von Russ land und die verbleibenden 15% von Frankreich, England, China,
Indien und Pakistan. Da sich die Satellitentransporttechnologie in schnellen
Schritten entwickelt, bedeutet die Weitergabe von Atomwaffen, dass über 90%
der Erdoberfläche ein potentielles Ziel sind. Die Sicherheit der Nationen ist
nicht mehr durch die Zahl der Nuklearwaffen garantiert. Nuklearwaffen bleiben
selbst nach dem Ende der Sowjetunion ein zentrales Sicherheitsproblem,
ungeachtet von Initiativen zur Zusammenarbeit zwischen Washington und
Moskau. Gegenwärtige internationale politische Szenarien enthalten neue
Gefahren der nuklearen Konfrontation. Diese beinhalten den kürzlichen
Rückzug der USA vom Raketenabwehrvertrag, die neue «Erstschlags»-Doktrin
und das neuerliche Hervortreten neuer Atomnationen.9 Die nukleare
Bedrohung besteht weiter als Folge der nuklearen Weiterverbreitung,
einschliesslich einer sich ausweitenden Liste an Szenarien, die den
militärischen Einsatz, terroristische Aktivitäten, atomare und
Umweltkatastrophen und Gegenseitig sichere Ablenkung (Mutually Assured
Distraction MAD) betreffen.
Nuklearer und Strahlenterrorismus
Nach dem 11. September 2001 entwickelte sich eine erhöhte Wachsamkeit
gegenüber der Möglichkeit von terroristischen Attacken mit nuklearen Waffen
und Strahlen. Vor dem Desaster in New York wurden solche Möglichkeiten eher
auf die leichte Schulter genommen. Die Ausbildung und Katastrophenübungen
für atomare und Strahlenunfälle existierten entweder nicht oder wurden nur
sehr sporadisch durchgeführt, selbst in Regierungsinstitutionen, die den
Auftrag hatten, die Reaktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Die Förderung der
nationalen Bereitschaft, dem Problem der akuten und chronischen
Strahlenfolgen, der Verseuchung der Umwelt, den psychologischen und
sozialen Folgeerscheinungen und den finanziellen Konsequenzen eines
nuklearen terroristischen Angriffs ins Auge zu sehen, taucht wieder als eine
Priorität der Industrienationen auf.10 Die Clausewitzsche Doktrin wurde
verfochten, man beauftragte Armeekräfte damit, Angriffen von äusseren
Feinden zuvorzukommen oder sie abzuwehren und andere Länder anzugreifen,
sollte es im internationalen Interesse sein.11
Der chronische Strahlenschaden wird im Lichte der potentiellen Auswirkungen
von Massenopfern durch nuklearen Terrorismus neu bewertet. Die
Vorbereitung auf atomare und Strahlenunfälle und Angriffe muss auch die
psychologischen Folgen beinhalten angesichts der gutüberlegten Tatsache,
dass es in einem Szenario des nuklearen Terrorismus auf jedes Opfer 500
Menschen geben würde mit psychologischen und psychosomatischen
Veränderungen, die von den aktuellen kontaminierten Opfern schwierig zu
unterscheiden sein könnten.12
Obwohl pharmakologische Interventionen als Strahlenschutzmassnahmen
untersucht werden, sollten Mitarbeiter des Gesundheitswesens sich der
düsteren Misserfolge der Vergangenheit auf dem Felde von
Strahlenschutzmitteln bewusst sein. Es gibt neue Hinweise, dass sich
Blutgefässzellen und Parenchymzellen erholen, anstatt durch einen
Strahlenschaden zu sterben. Sie werden untersucht, um Mechanismen zu
entwickeln, um die Antwort des Organismus [auf einen Strahlenschaden; Anm.
des Übers.] in Zusammenhang mit anderen therapeutischen Strategien wie
Dossier Uranwaffen
94
Zeit-Fragen 2007
Kortikosteroiden, ACE-Hemmern, Pentoxyfillin und Superoxiddismutase zu
verändern.13 Der Fokus in der Handhabung (Management – Behandlung) von
nuklearen und Strahlenschäden wechselte von den nichthandhabbaren (nichtbehandelbaren) Konsequenzen einer strategischen nuklearen Konfrontation hin
zu Wegen, wie man mit einer grossen Anzahl an Geschädigten umgehen kann.
Diese Antwort muss durch multidisziplinäre Anstrengungen erfolgen. Um die
Konzepte des klinischen Managements von Strahlenopfern zu entwickeln,
braucht es sofort viel Arbeit.14 Gleichzeitig muss die Forschung damit
weiterfahren, die Kontamination mit Radionukliden, die radiotoxischen Effekte,
die Zerstörung der chemischen Verbindungen, die freien Radikale, die Schäden
an zellulärer DNA und an Enzymen zu verstehen und handzuhaben.15 Die
multidisziplinären Anstrengungen müssen die Planung, die Triagierung, die
Dekontamination, die Ausscheidung, die Chelattherapie [Bindung von
Radionukliden in Chelaten; Anm. des Übers.] und das konventionelle
symptomatische Management der betroffenen Patienten einschliessen.
Ein potentieller terroristischer Angriff stellt angesichts des fast vollkommenen
Fehlens an Ausbildung, Fachwissen und angesichts finanzieller Zwänge eine
ernsthafte Herausforderung dar.16 Man befasste sich bisher nicht adäquat mit
den Lektionen aus dem ersten Golfkrieg und aus dem Balkankonflikt im
Hinblick auf das Vorbereitetsein auf Strahlenopfer.17 Ein plötzlicher
terroristischer Angriff erfordert eine effektive Antwort des Gesundheitssystems,
was in den meisten Nationen, die ein terroristisches Ziel sein könnten,
logistisch fast nicht existent ist, insbesondere in grossen städtischen Gebieten,
wo die Einteilung der Mittel eine Neustrukturierung der Prioritäten erfordern
würde, um den Folgen für die Gesellschaft zu entsprechen. In einem Szenario
des nuklearen Terrorismus ist es besonders wichtig, dass man sich dessen
bewusst ist, dass Terroristen möglicherweise Actinide einsetzen, mit
besonderer Gewichtung auf Plutonium als ein mögliches Mittel zur
Massenkontamination.
Plutonium wird als die für den Menschen gefährlichste Substanz angesehen.18
Wenn man es als radioaktiven Staub verteilt, oder wenn es in die
Wasserversorgung kommt, dann braucht es nur einige wenige Gramm, um eine
grosse Stadt zu verseuchen. Plutonium wurde auf geheimen Märkten illegal
verkauft, vor allem in der ehemaligen Sowjet union, und fand durch den
illegalen Handel seinen Weg in verschiedene Teile der Welt. Die Verbreitung
von Plutonium wird als das verheerendste der möglichen terroristischen
Angriffsszenarien angesehen.19 Der Schwerpunkt für die Ärzteschaft sollte
eher in der Prävention als im therapeutischen Management von Massenopfern
des nuklearen Terrorismus nach einem Vorfall liegen. Die Ärzte der Welt traten
kürzlich einer Koalition von über 1000 Organisationen bei, um
zusammenzuarbeiten und die Elimination von Atomwaffen zu unterstützen und
die Möglichkeit von verheerenden Folgen des nuklearen und
Strahlenterrorismus zu vermindern.20
Radiologische Kriegsführung
Radiologische Waffen wurden zum ersten Mal 1991 im Persischen Golf
eingesetzt und führten ein neues Szenario der chemisch-biologischradiologisch-nuklearen (CBRN) Kriegsführung ein. Der Einsatz von Waffen mit
wahllosen [das heisst Militär wie Zivilpersonen betreffend; Anm. des Übers.]
Folgen ist nicht neu. Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren die USA ernsthaft
wegen der japanischen Drohung besorgt, Tausende von mit Uran gefüllte
Ballons auf das Festland der Vereinigten Staaten abzuwerfen und seine
Dossier Uranwaffen
95
Zeit-Fragen 2007
Megastädte zu verseuchen.21 Während des ersten Golfkriegs wurden durch
DU-Munition Millionen Gramm von radioaktivem Staub in die Atmosphäre
verteilt.22 Die Folgen der im ersten Golfkrieg eingesetzten Uranisotope für
Gesundheit und Umwelt bleiben kontrovers und reichen über die Bedenken der
wissenschaftlichen Gemeinschaft hinaus. Dennoch wurden seit zwei
Jahrhunderten bekannte wissenschaftliche Belege über die somatische und
genetische Toxizität von Uran21, 23–25 durch zahlreiche neue Berichte
bestätigt.
Die Kosten der Aufräumarbeiten nach dem Scherbenhaufen des militärischen
oder terroristischen Einsatzes von Uranwaffen bleiben eine ernsthafte Sorge.
Die radiologische Dekontamination in einem kürzlich, in Urnea, Schweden,
durchgeführten gemeinsamen schwedisch-kanadischen Experiment zeigte auf,
dass zwei geläufige Methoden der Dekontamination in adäquaten
Aufräumarbeiten ineffektiv waren. Ein Hochdruck-Wassersprühnebel und ein
gepulster Hochdruck-Wasserstrahl waren für die Dekontamination für mit Na24
äusserlich kontaminierten militärischen leicht gepanzerten Fahrzeugen
nutzlos.26 Dies zeigt deutlich die Notwendigkeit einer besseren Planung und
Vorbereitung der öffentlichen Gesundheitsstrukturen im Falle einer
radiologischen Kriegsführung oder eines terroristischen Angriffs.27 Das
gegenwärtige Fehlen einer Gesamtstrategie, um einer terroristischen
Bedrohung durch Geräte zur Verbreitung von Strahlung (Radiation Dispersion
Devices RDD) zu begegnen, unterstreicht die Notwendigkeit einer besseren
Koordination von chemischer, biologischer, radiologischer und nuklearer
(CBRN) Bereitschaft am gegenwärtigen Kreuzweg zwischen konventionellen
und neuen, niemals zuvor angetroffenen Waffen.28
In dem klaren Szenario eines radiologischen Angriffs erstreckt sich der Rahmen
des Managements des radiologischen Kriegs und des Terrorismus nicht nur
über das öffentliche Gesundheitswesen, sondern auch über die Kapazität der
Armeereserve.29, 30 Der medizinische Schutz gegen radiologische
Kriegsführung bleibt eines der Aspekte der gegenwärtigen medizinischen
Ausbildung, auf den am wenigsten Wert gelegt wird.31 Der radiologische und
nukleare Terrorismus ist die äusserste Bedrohung der modernen Gesellschaft.
Die Weiterverbreitung von atomarem Material hat dazu geführt, dass es für
subversive Organisationen ein leichtes ist, radioaktives Material zu erhalten.32
Allein im Jahre 2000 gaben die USA 10 Mia. Dollar für Massnahmen zur Abwehr
terroristischer Massenvernichtungswaffen aus mit sehr hohen finanziellen
Verpflichtungen nach dem 11. September 2001. Aktuelle Studien zeigen die
Verletzlichkeit der westlichen Gesellschaft gegenüber nuklearem Terrorismus
auf und betonen, dass terroristische Organisationen, die mit
Massenvernichtungswaffen ausgerüstet sind, mehr Zerstörung mit nuklearen
und radiologischen Geräten als mit jeglichen anderen Arten von Waffen
hervorrufen können. Die Fähigkeit der USA, mit einem radiologischen oder
nuklearen Angriff fertig zu werden, hängt von vier Handlungsgebieten ab: der
Verbesserung der Abwehr von terroristischen Organisationen, der
Verbesserung der nuklearen Einrichtungen in der ehemaligen Sowjetunion,
dem Entgegenwirken nuklearer und radiologischer Effekte und der
Verbesserung der Reaktionsfähigkeit auf Geheimorganisationen, die bereits in
Besitz nuklearer und radiologischer Waffen sind.33
Das Risiko eines nuklearen und radiologischen Angriffs auf die USA wird durch
den leichten Zugang zu Technologien, die Verfügbarkeit von nuklearem und
radiologischem Material, die wirtschaftliche Instabilität von Russland und der
allgemeinen Unzufriedenheit mit der US-Aussenpolitik in vielen Ländern
Dossier Uranwaffen
96
Zeit-Fragen 2007
gefördert. Unadäquate Sicherheitsmass nahmen in der ehemaligen
Sowjetunion zusammen mit einer verstärkten Entschlossenheit und Letalität
von terroristischen Angriffen erhöhen die Möglichkeit des Einsatzes von RDD
[Radiological Dispersion Devices] in der nahen Zukunft.34 Die Frage der
ökologischen und gesundheitlichen Folgen muss sich mit dem Problem der
Aufräumarbeiten und der Bewilligung von Betriebskosten befassen, um Leben
zu retten, Gesundheitsrisiken zu verringern und die Kultur, die Biodiversität
und die ökologische Integrität der verseuchten Gebiete zu bewahren.35 In der
Vergangenheit waren solche Anstrengungen ungenügend, es mangelte zum
Beispiel an gerechten und objektiven Kompensationen an die Opfer des
radioaktiven Fallout in Utah und Nevada, USA. Unzureichendes Screening und
Kompensation für strahleninduzierten Krebs und die anhaltende Kontroverse
über die Auslegung der Regierung, was Niedrigdosisstrahlung betrifft, waren
Punkte der Unzufriedenheit der kontaminierten Bevölkerung während der
atomaren Tests.36
Ein kürzlicher erschienener britischer Bericht war gleichfalls fragwürdig, was
die Analyse der Mortalität und Inzidenz von Krebserkrankungen unter den
Teilnehmern der britischen atmosphärischen Atomwaffentests und
Experimente betrifft. Der Bericht beinhaltet die schwierige Feststellung, dass
die Gesamtmortalität unter den Überlebenden der britischen Atomtests tiefer
als in der allgemeinen Bevölkerung war.37
Die Galileische Dimension der heutigen Uranforschung
Mit der Freiheit der unabhängigen Forschung steht es heute nicht viel anders
als in der Geschichte. Der Prozess der Inquisition gegen Galileo 1610 ähnelt
einigen Ereignissen, denen heutige Wissenschaftler ausgesetzt sind. Die
Kontroverse um die Ergebnisse der Studien von Dr. Ernest Sternglass über
Todesraten von Kleinkindern und Kindern im Staate New York als ein Resultat
der Atomtests und des radioaktiven Fallouts zerstörte seine akademische und
wissenschaftliche Karriere. Als seine klassische Arbeit über den Tod von
Kindern als Folge von Strahlung 1969 im Bulletin of Atomic Scientists
erschien,38 vertraute ihm der Herausgeber der Zeitschrift an, dass er von
Washington unter Druck gesetzt worden sei, seinen Artikel nicht zu
veröffentlichen. Der bedeutende Physiker Freeman Dyson nahm zu ihm in
derselben Zeitschrift in einem Leserbrief Stellung: «Wenn Sternglass’ Zahlen
richtig sind, und ich glaube, sie können es sein, dann hat er ein gutes
Argument gegen die Raketenabwehr.» Sternglass erachtete die Todesfälle der
Kinder als eine Folge des Strontium-90 aus radioaktivem Fallout. Seine
Schätzung von nahezu 400 000 Toten fand die Beachtung von Dr. John
Gofman, dem Medizinischen Direktor des Lawrence Livermore National
Laboratory, der Sternglass’ Bericht neu auswertete. Er korrigierte einige der
Zahlen und schloss, dass selbst unter der Annahme eines zufälligen Konzepts
die Richtlinien über das Risiko pro Strahlenmenge 20mal zu hoch seien, um als
sicher zu gelten. Er folgerte zudem, dass das Risiko bei niedrigen
Strahlendosen höher sei als bei hohen Strahlendosen. Gofman schloss, dass die
Krebstoten in Zusammenhang mit den Atomtests und dem radioaktiven Fallout
30 000 pro Jahr übersteigen würden.
Der Bericht wurde dem Komitee über unterirdische Atomtests (Committee on
Underground Nuclear Testing) unter dem Vorsitz von Senator E. Muskie
vorgestellt. Dieser gab ihn an den Vorsitzenden des Gemeinsamen Komitees
für Atomenergie (Joint Committee on Atomic Energy), Senator Holifield, weiter.
Senator Holifield zitierte Gofman nach Washington und drohte ihm offen: «Wir
Dossier Uranwaffen
97
Zeit-Fragen 2007
haben Sie erwischt, und wir werden Sie erwischen.» 1973 verlor Dr. Gof man,
ein Opfer seiner Integrität, seine Position in seinem Laboratorium. Die
Atomenergiekommission (Atomic Energy Commission AEC) wurde 1974
aufgehoben.39
Urantoxizität neu beurteilt
Das zwangsläufige Risiko der Uranisotope für Umwelt und menschliche
Gesundheit wurde in zwei Jahrhunderten Forschung genau beschrieben.4
Dennoch sind die Mitarbeiter des Gesundheitswesens mangelhaft ausgebildet,
was die Grundlagen der Radiotoxizität und der chemischen Toxizität der
Uranisotope angeht.40 Die gegenwärtige wissenschaftliche Wiederauswertung
der potentiellen Gesundheitsfolgen von Geräten zur Verbreitung von Strahlung
(Radiation Dispersion Devices RDD) gründet zumeist auf Datenmaterial von
Überlebenden der Bomben in Japan, Atomtests und Forschungen im Labor. Die
Forschungsliteratur, besonders in den letzten fünf Jahren, ist voll an Arbeiten
und Berichten in bezug auf die Folgen von Aktiniden und Uranisotopen. Die
Bestätigung der Vorkommnisse von Schilddrüsenkarzinomen,41
hepatozellulären Karzinomen,42 Leukämien43 und der Risiken einer akuten
und chronischen Uranexposition44 unterstreichen die Bedeutung, dass man
sich der somatischen und genetischen Folgen einer Kontamination mit
Uranisotopen bewusst ist.
Die Korrelation mit Atomwaffentests in der Atmosphäre wurde in neuen
Berichten über die Spiegel der Aktinide in Meeressäugern des nördlichen
Pazifik erneut bestätigt, welche klar mit den Jahren Atomtests und radioaktiven
Fallouts in Zusammenhang stehen.45 Die wieder durchgesehenen Studien aus
Hiroshima und Nagasaki zeigen, dass nicht nur die körperlichen, sondern auch
die psychologischen Auswirkungen der chronischen Folgen des Einsatzes von
Nuklearwaffen in Zusammenhang stehen mit der Häufigkeit von
psychiatrischen Störungen, Angst und Somatisierung von Symptomen bei
Opfern, die zur Zeit der Explosion in den japanischen Städten waren.46 Diese
Reevaluation weist deutlich auf Langzeitfolgen hin, die man in Betracht ziehen
muss, wenn man auf zukünftige Vorfälle vorbereitet sein will.
Ein weiterer neuer Bericht über die Überlebenden von Nagasaki zeigt auf, dass
die Folgen der nuklearen und der Strahlenauswirkungen auf Überlebende in
zukünftigen Konflikten einen wichtigen Aspekt im Gesundheitsmanagement zu
sein hat.47 Die gegenwärtigen Daten über Atomtests weisen auf
Kindersterblichkeit, erhöhte Frühgeburtenrate, fötale Todesfälle in
Zusammenhang mit der Strahlenexposition in den USA hin.48 Medizinische und
ökologische negative Auswirkungen von radioaktiver Kontamination wurden in
zahlreichen Testgebieten in der ganzen Welt erneut beurteilt. Es gibt Berichte
über negative Auswirkungen der radioaktiven Kontamination in den Standorten
Krasnojarsk in Sibirien,49 Kasachstan,50 Altaigebirge,51 Semipalatinsk,
Kasachstan,52 Techafluss, Ural,53 Mayak Nukleararbeiter,54 Republik Sakha,
Jakutien,55 Insel Amtschitka, Alaska,56 Finnland und Norwegen57 sowie
zahlreiche andere Berichte über die Neubewertung der gesundheitlichen
Folgen einer Strahlenexposition auf Atomtestgeländen. Diese neuen
Informationen liefern die Daten für eine genaue Beurteilung des Risikos in
Vorbereitung eines möglichen nuklearen oder taktischen Schlagabtauschs oder
eines terroristischen Angriffs als äusserste Gesundheitskrise.58 Das
gegenwärtige Bewusstsein über die weltweite Verteilung und Ablagerung der
freigesetzten Radionuklide59 in der Biosphäre reicht über den Bereich der
experimentellen Forschung und des klinischen Managements von
Dossier Uranwaffen
98
Zeit-Fragen 2007
Strahlenopfern hinaus, da es globale Auswirkungen für die Zukunft hat.60
Gegenwärtige Forschung zu den gesundheitlichen Folgen von
Uranwaffen
Die grösste einzelne Verseuchung durch Radionukleide geschah während des
Krieges 1991 am Persischen Golf. Abgereichertes Uran, das als
panzerbrechende Munition eingesetzt wurde, verseuchte die Umwelt im Irak
und setzte die Zivilbevölkerung und das Militärpersonal dem Staub, den
Dämpfen und Aerosolen von abgereichertem Uran (DU) aus. Eine kleine Anzahl
von Kriegsveteranen der Koalitionstruppen wurde durch DU-Splitter verwundet.
Das abgereicherte Uran der Uranwaffen besteht zu 99,8% aus Uran-238, das
60% der von natürlichem Uran ausgehenden Alpha-, Beta- und
Gammastrahlung freisetzt. DU ist ein Schwermetall, 160% dichter als Blei. Es
ist organotrop, das heisst, es wird von Körperorganen aufgenommen und wirkt
auf sie ein, und lagert sich schliesslich in Zielorganen wie dem Knochengewebe
an, wo es über lange Zeit verbleibt. Auf Grund der langsamen Löslichkeit
werden die Uran-Isotope nur allmählich aus den Speicherorten im Körper
herausgelöst, und sie wurden noch 10 Jahre nach der Inhalation oder nach
einer Splitterverletzung im Urin von Golfkriegsveteranen von 1991 entdeckt.23
Studien zur Verteilung des DU im Körpergewebe zeigten Ansammlungen in den
Knochen, den Nieren, dem Fortpflanzungssystem, dem Gehirn und der Lunge
und wiesen genotoxische (das Erbgut schädigende), mutagene (das Erbgut
verändernde) und karzinogene (krebsauslösende) Eigenschaften sowie
Veränderungen im Fortpflanzungssystem und auch Schäden für das werdende
Kind im Mutterleib (teratogene Schäden) nach.61
Die innere Verseuchung durch DU-Isotope wurde bei britischen, kanadischen
und US-amerikanischen Golfkriegsveteranen noch 9 Jahre nach der Inhalation
von radioaktivem Staub während des ersten Golf-Krieges nachgewiesen. DUIsotope wurden auch in Gewebeproben eines kanadischen Veteranen in dessen
Lunge, Leber, Nieren und Knochen gefunden. Diese Proben enthielten hohe
Urankonzentrationen, bei denen das Verhältnis der Uran-Isotope zueinander
auf das Vorhandensein von abgereichertem Uran schliessen liess. Frühe
Studien, die bereits 1991, im Jahr des ersten Golfkrieges, mittels GanzkörperStrahlungsmessungen durchgeführt wurden, wiesen bereits auf das
Vorhandensein von Uran im Körper und im Urin der verseuchten Veteranen
hin.62 Logistische Behinderungen und die Kontroverse um das DU verzögerten
aktive und konzentrierte Studien bis 1998. Zu der Zeit unterzogen sich
Golfkriegs-Veteranen einer Neutronenaktivierungsanalyse. Obwohl diese
Methode nur bedingt für den Nachweis von kleinen Uranmengen geeignet ist,
zeigten bereits die ersten Anwendungen dieses Verfahrens eine signifikante
Kontamination mit DU. Die Studien wurden an dem Internationalen Kongress
der Radiation Research Society in Dublin, Irland, 1998 vorgestellt.
Die experimentellen Untersuchungen wurden mit modernsten Technologien
fortgeführt, so mit Hilfe der Massenspektronomie an der Memorial University
von Neufundland, in St. John, Kanada, und später am British Geological Survey
in Nottingham, England. Beide Untersuchungsreihen bestätigten erhöhte
Konzentrationen und das für DU typische Isotopenverhältnis in 67% der
Proben. Die mittels der Massenspektronomie gewonnenen Daten wurden
erstmals im Jahr 2000 am Europäischen Kongress für Nuklearmedizin in Paris
vorgestellt. Die Forschung ist ausgeweitet worden vom Nachweis und der
Messung von DU im Körper von Veteranen hin zur Untersuchung der klinischen
Auswirkungen der Uranverseuchung bei den Veteranen des ersten Golfkrieges,
Dossier Uranwaffen
99
Zeit-Fragen 2007
der Zivilbevölkerung im Irak, den Militärangehörigen und der Zivilbevölkerung
auf dem Balkan, der Zivilbevölkerung in Afghanistan und jüngst auch
derjenigen im Gaza-Streifen und der Westbank in Palästina.
Abgereichertes Uran, ein niedrigstrahlendes Abfallprodukt der
Isotopenanreicherung von natürlichem Uran, ist in den erwähnten
Kriegsregionen als ein eindeutig vorhandener Schadstoff identifiziert worden.
Seine ursächliche Rolle bei der Entstehung der Golfkriegs-Krankheit ist der
Gegenstand einer seit dem ersten Golfkrieg anhaltenden Kontroverse. Die gut
dokumentierten Nachweise über die sowohl chemischen wie auch
radiologischen giftigen Eigenschaften von Uran-Isotopen haben in jüngster Zeit
zu zahlreichen Forschungsstudien und wissenschaftlichen Berichten über die
organschädigenden, erbgutverändernden, das werdende Leben im Mutterleib
schädigenden (teratogenen) und krebsauslösenden Eigenschaften dieser UranIsotope Anlass gegeben.63 Jüngste Studien mit Versuchstieren, denen DUPellets eingepflanzt wurden, bestätigen die Resultate früherer Studien über die
Verteilung des Urans im Körper, dass die Nieren und die Knochen Zielorgane
der Uran-Isotope sind und auch das lymphatische System, der Atmungstrakt,
die Fortpflanzungsorgane und das Zentralnervensystem betroffen sind.64
Die toxischen Wirkungen von Uran sind seit fast 200 Jahren mit ihrer die Nieren
schädigenden Giftigkeit bekannt und wurden in jüngeren Studien an
Nierenzellen in vitro bestätigt.24 Die Studien zu abgereichertem Uran im
Zentralnervensystem bestätigten seine Retention (Rückhaltung, Speicherung)
in Bereichen des Hippocampus und erbrachten neue Befunde über
elektrophysiologische Veränderungen des Nervensystems bei Ratten, denen
DU-Fragmente implantiert worden waren.65
Das Potential für erbgutverändernde Effekte durch eine innere Kontamination
mit DU wurde kürzlich nahegelegt durch die Beobachtung einer zeitabhängigen
Korrelation von implantiertem Uran und der im Gewebe auftretenden Bildung
von krebsauslösenden Gensequenzen (oncogen expression)66 zusammen mit
einer genetischen Instabilität67. Neoplastische Transformationen (den
Zellteilungsprozess betreffende und damit potentiell ein Krebswachstum
fördernde Zellveränderungen) bei menschlichen Osteoblasten
(knochenbildende Zellen) in einer DU enthaltenden Zellkultur bestätigen das
von DU ausgehende Risiko für eine Krebsentwicklung.68 Diese Befunde
stimmen überein mit Berichten zu Krebs-auslösenden Risiken durch DU bei
Lungenzellen, die DU ausgesetzt waren, sowie mit Berichten über eine kürzlich
unternommene quantitative Abschätzung des Krebsrisikos für die Lungen von
Veteranen des ersten Golfkrieges über die Bestimmung der damaligen
Lungenbelastung durch die eingeatmeten DU-Aerosole.69 Das Risiko wurde
dabei bestimmt über die Anwendung des Batelle-Modells simulierter
Lungenflüssigkeit und der Analyse einer 24-Stunden-Urinprobe eines
Golfkriegs-Veteranen, in der 9 Jahre nach dem Einatmen des DU-Staubs 0,150
mg DU enthalten waren.70 Es wurde ermittelt, dass die Lungenbelastung einer
Menge von 1,54 mg DU zum damaligen Zeitpunkt 0 entspricht. Das wiederum
entspricht einer Alpha-Strahlungsdosis von 4,4 Milisievert (mSv) während des
ersten Jahres und 22,2 mSv über 10 Jahre. Diese Werte übersteigen die
maximal zulässige Dosis von eingeatmetem DU und rechtfertigen weitere
Forschungen über die Möglichkeit der durch DU induzierten bösartigen
Veränderungen in den Lungen.
Diese auf den Untersuchungen von Menschen basierenden Berichte sind von
besonderer Wichtigkeit, wenn sie im Lichte der jüngsten Befunde über die
erbgutverändernden Effekte von Alpha-Teilchen auf Stammzellen und über die
Dossier Uranwaffen
100
Zeit-Fragen 2007
durch Alphastrahlung induzierte Chromosomeninstabilität bei menschlichen
Knochenmarkszellen betrachtet werden.71, 72 Die Chromosomeninstabilität als
Konsequenz der von DU ausgehenden Alphateilchen zeigt sehr klar die
erbgutverändernden Effekte bei DU-positiv getesteten britischen GolfkriegsVeteranen, wie kürzlich von einer an der Universität Bremen durchgeführten
Studie an peripheren Lymphozyten berichtet wurde.73 Dieser Bericht stimmt
mit früheren Studien überein, die Chromosomeninstabilitäten, ausgelöst durch
eine niedrige Dosis Alpha-Teilchen im Vergleich mit entsprechend wirksamer
Photonenstrahlung beschrieben.74 Die Studien über die Nachwirkungen von
Alpha-Teilchen und jüngste Verbesserungen bei der Mikrowellenbestrahlung
von Säugerzellen erlauben eine präzise Bestimmung des Durchgangs eines
einzelnen Teilchens durch einen Zellkern zusammen mit der Fähigkeit, den
karzinogenen Effekt eines einzelnen Teilchen zu messen.75
Obwohl der Mechanismus der Erbgutveränderung und der die
Krebsentwicklung fördernden Geneffekte (oncogenic effects) durch inhalierte
Alpha-Teilchen noch unklar bleibt, wurde gezeigt, dass niedrige Dosen von
Alpha-Teilchen den Austausch von Chromosomenbruchstücken zwischen
benachbarten Chromosomen (Schwesterchromosomen) bei normalen
menschlichen Zellen verursachen können.76
Die praktischen Implikationen dieser Studien sind bedeutsam angesichts der
Tatsache, dass über 10% aller Krebstodesfälle in den USA das Ergebnis von
Lungenablagerungen von Alphastrahlern sind.77 Sie sind ebenfalls von
Bedeutung angesichts der gutdokumentierten durch Alpha-Teilchen
ausgelösten genetischen Instabilität von normalen menschlichen
Bronchialzellen.78 Es wurde gezeigt, dass menschliche Lungenzellen anfälliger
für die schädlichen Effekte von Alpha-Teilchen sind als die Lungenzellen der
meisten Versuchstiere.77 Die quantitative Bewertung des Strahlenrisikos nach
einer Inhalation von Uran-Aerosolen muss sowohl die Mechanismen der
Partikelablagerung und die der -entfernung durch Verlagerung in die
pulmonalen und tracheobronchialen Lymphknoten, durch das Überschreiten
der Alveolar-Kapillar-Schranke (Alveolarmembran) oder durch Aushusten und
Verlagerung in den Nasenrachenraum oder den Verdauungsapparat in Betracht
ziehen. Das Modell zur Partikelentfernung (ICRP-66) bezieht sich auf die jüngste
Abschätzung der Ablagerung und Entfernung von Uranpartikeln, zur
Beurteilung der eingeatmeten Uran-Aerosole und der der Bestimmung der im
Körperinneren auftretenden Strahlungsmenge. Die Studie berichtet von
grössten Ungenauigkeiten bei einer Partikelgrösse von 0,5 bis 0,6 µm.79
Die Lunge bleibt das Hauptportal für den Eintritt von Uran-Isotopen in die
Innenwelt des Körpers und das Knochengewebe letztlich das Zielorgan. Die
jüngsten Berichte über die chronische Belastung durch natürliches Uranerz
zeigen schlüssig das Risiko für sowohl gutartige wie bösartige Tumore in den
Lungen.80 Aktuelle Studien zeigen auch, dass DU oxidative DNA-Schäden
hervorrufen kann durch die Beschleunigung von Wasserstoffperoxid- und
Ascorbat-Reaktionen.81 Strahlungsinduzierter Zelltod,
Chromosomenveränderungen, zelluläre Transformationen, Mutationen und die
Entwicklung von Krebs sind hauptsächlich die Folgen von Strahlung, die im
Kern einer Zelle zur Wirkung kommt. Niedrigstrahlung kann genetische
Instabilität hervorrufen, ohne augenfällige Dosis-Wirkungs-Beziehungen, was
eine Ableitung im Sinne einer Berechnung, ausgehend von hohen
Strahlendosen, verunmöglicht, während dadurch aber die Bedeutung des
Nachbarschaftseffekts (bystander effect) durch eine niedrige Alpha-TeilchenStrahlung hervorgehoben wird.82, 83 Der durch Alpha-Strahlung auf
Dossier Uranwaffen
101
Zeit-Fragen 2007
verschiedenen Dosisniveaus hervorgerufene Austausch von
Chromosomenbruchstücken zwischen benachbarten Chromosomen kann in
Interaktion mit dem zellulären Zytoplasma Zellkernveränderungen bewirken,
die in Genmutationen zum Ausdruck kommen.74 Diese schädlichen Effekte
stellen die Einwände, dass eine niedrige Dosis an DU keine Genveränderungen
bewirken könne, in Frage.76
Golfkriegs-Krankheit und Balkan-Syndrom
Der erste Golfkrieg von 1991 führte zur Ablagerung von 350 metrischen
Tonnen an abgereichertem Uran in der Umwelt und 3 bis 6 Millionen Gramm an
DU-Aerosolen, die in der Atmosphäre freigesetzt wurden; dies entsprechend
den vorsichtigsten Schätzungen. Sein Erbe, die Golfkriegs-Krankheit, ist eine
komplexe, viele Organe beeinträchtigende Systemstörung. Sie wurde
anfänglich als Folge der Einatmung von Wüstensand beschrieben (Al-EskanKrankheit).21 Die Krankheit hat seitdem die verschiedensten Beschreibungen
und Namen erhalten, deren Anzahl umgekehrt proportional zu dem
tatsächlichen Wissen und dem Verständnis der Krankheit selbst zu stehen
scheinen.
Die Symptome dieser fortschreitenden Krankheit sind so zahlreich wie ihre
Namen und beinhalten beeinträchtigende Müdigkeit, Muskel- und
Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, neuropsychiatrische Störungen,
Gemütsänderungen, Verwirrung, Sehstörungen, Gangveränderungen,
Gedächtnisverlust, krankhafte Schwellungen der Lymphknoten,
Beeinträchtigungen der Atmung, Impotenz, morphologische und funktionale
Veränderungen der Harnwege. Die Krankheit wurde unterschätzt und dann
zunehmend als Krankheitsbild anerkannt, indem die zunehmende
Symptomatologie klinisch beschrieben wurde. Manchmal als «Simulieren»
fehleingeschätzt, durchschritt die Krankheit verschiedene Stadien, in denen sie
mal als immunstörungsbedingtes chronisches Erschöpfungssyndrom (chronic
fatigue immune disorder), dann als posttraumatische Belastungsstörung
bezeichnet wurde, bis sie heute in einigen Ländern als eine separate Krankheit
anerkannt wird, während das für andere Länder noch nicht gilt.
Die an Tatsachen orientierte Forschung zu Enstehung und
Krankheitsentwicklung der Golfkriegs-Krankheit ist lange entmutigt worden
durch die Verschleppung klinischer Studien, die in falsche Richtungen gelenkt
wurden, manchmal durch eine offene Unterdrückung mit schwerwiegenden
Konsequenzen für die Laufbahn von Wissenschaftlern, weil sie nicht in
Übereinstimmung mit der Agenda von industriellen und politischen Interessen
waren. Unser gegenwärtiges Verständnis der Krankheitsentstehung erscheint
noch weit davon entfernt, adäquat zu sein. Einige Autoren meinen, dass die
auslösenden Faktoren die Ölteppiche und -brände umfassen, andere
präferieren vorbeugende Medikamentenverabreichungen, während wieder
andere biologische und chemische Agentien sowie multifaktorielle,
unspezifische Veränderungen des Immunsystems und die Belastung durch DUAerosole nahelegen.84 Das Fehlen eines koordinierten Bemühens und einer
interdisziplinären Forschung trägt diesen Syndromkomplex leicht in sein
zweites Jahrzehnt der Konfusion mit einer behelfsmässigen temporären
Verwendung von Namen wie «Persische Golf-Krankheit» und «BalkanSyndrom».
Die Kriterien für eine Klassifikation bleiben ungelöst.85 Bestes Beispiel für die
Unterschiedlichkeit in der Klassifikation sind die vielfältigen Namen und
Beschreibungen. Haleys Faktorenanalyse bietet 6 dominante Kategorien mit 3
Dossier Uranwaffen
102
Zeit-Fragen 2007
Haupt-Syndromen und nicht weniger als 17 Neben-Syndromen an.86 Andere
Versuche der Klassifikation enthalten Beschreibungen wie
Neuroimmunologisches Syndrom, mukokutanes intestinal-rheumatisches
Wüstensyndrom, posttraumatische Belastungsstörung und zahlreiche weitere
fachliche Bezeichnungen.87 Obwohl manche der angenommenen Gründe,
inklusive der Ölteppiche und -brände und des Wüstensands, auf den ersten
Golfkrieg anwendbar sein können, können sie doch kaum als ätiologische
Faktoren für den Balkan-Konflikt in Betracht kommen. Panzerbrechende DUWaffen wurden jedoch in beiden Konflikten eingesetzt. Die wachsenden Belege
in der jüngeren Literatur über die innere Verseuchung von GolfkriegsVeteranen mit DU in beiden Kriegsgebieten stellen die unternommenen
Versuche, das Vorhandensein des DU herunterzuspielen, in Frage.21, 23, 39,
61, 63, 70, 73, 85
Die Ausscheidung von DU-Isotopen bei verseuchten und kranken
Militärbediensteten dauert 10 Jahre nach der Belastung im ersten Golfkrieg und
7 Jahre nach dem Balkan-Konflikt noch immer an.21 Die meisten der anderen
vorgebrachten Faktoren sollten nochmals im Kontext dieser biologischen
Halbwertszeit und der möglichen zunehmenden gesundheitlichen
Auswirkungen von DU überprüft werden. Diese Faktoren würden
niedrigschwellige chemische Agentien, Ölbrände, Impfungen, Botulismus,
Aflatoxine, Mykoplasma (Bakterienbefall der Atemwege und Lunge) und andere
ätiologische Faktoren umfassen.84 Die lange physikalische und biologische
Halbwertszeit, die Alpha-Teilchen-Strahlung und die wohlbegründeten
Nachweise über die körperliche und genetische Giftigkeit der Strahlung legen
nahe, dass dem DU bei der Entstehung des Golfkriegs- und Balkan-Syndroms
eine bedeutende Rolle zukommt.
Es ist ein verdächtiges Nichtvorhandensein an aussagekräftigen,
übergreifenden Forschungen zu konstatieren, die Beziehung zwischen den
beobachteten Syndromen und einer Uranverseuchung untersuchen würden.
Jüngste Berichte, die von keinen gesundheitlichen Auswirkungen durch
abgereichertes Uran in Bosnien und Herzegowina sprechen,89 berichten nicht
von den tatsächlichen Messwerten der Uran-Isotope weder in Umweltproben
noch in menschlichen Proben. Deshalb können die Schlussfolgerungen dieser
Studien ohne eine quantitative Bestimmung der Konzentration und des
Verhältnisses der Uran-Isotope nicht beurteilt werden. Gleichfalls besteht keine
aussagekräftige und glaubhafte Erklärung für das scharfe Ansteigen der
Krebsraten unter Golfkriegs-Veteranen.90 Und es gibt ausser dem Uranium
Medical Research Center (UMRC) keine objektiven und unabhängigen
Forschungsprogramme. Das UMRC ist die einzige Institution, die fortwährend
und im ständigen wissenschaftlichen Austausch ihre Forschungen über die
innere Verseuchung mit DU unter Verwendung modernster
massenspektronometrischer Verfahren durchgeführt hat. Diese Methoden
zeigen bei Messungen des Urins von Veteranen des ersten Golfkriegs einen
Anteil des Uran-235 im Verhältnis zum gesamten Uran in Höhe von 0,2 bis
0,33% [was auf abgereichertes Uran hinweist; Anm. des Übers.] und weisen auf
eine Urankonzentration in Höhe von 150 ng/l Urin zum Zeitpunkt der
Kontamination hin. Dazu im Vergleich wurde mit denselben Methoden bei der
nicht betroffenen Bevölkerung in der Golfregion ein Uran-Isotopenanteil von 0,7
bis 1% an Uran-235 und eine Konzentration von Uran im Urin in Höhe von
lediglich 14 ng/l festgestellt.70
Uranuntersuchungen in Afghanistan
Dossier Uranwaffen
103
Zeit-Fragen 2007
Waren die UMRC-Studien zu DU im Urin von Veteranen des ersten Golfkrieges
mehrere Jahre nach der unmittelbaren Belastung vorgenommen worden, so fiel
die jüngste Sammlung von biologischen und Umweltproben in Afghanistan
zeitlich mit der «Operation Enduring Freedom» (OEF, Afghanistan, seit 2001)
zusammen. Afghanistan bot die Gelegenheit, Untersuchungen in zeitlicher
Nähe zum Konflikt vorzunehmen. Die «Operation Anakonda» war gerade
beendet worden, als das UMRC-Team den Osten Afghanistans besuchte. Das
Team hatte Zugang zu stationären Anlagen, da die mobilen militärischen
Ausrüstungen entweder entfernt oder gesichert waren. Die UMRCUntersuchungen der Bevölkerung von Jalalabad, Spin Gar, Tora Bora und von
Gebieten in Kabul stiessen auf Zivilpersonen, die an derselben, mehrere
Organe betreffenden unspezifischen Symptomatologie litten, die im ersten
Golfkrieg und im Balkan-Krieg vorgefunden worden war. Die Symptome
umfassten körperliche Schwäche, Kopfschmerzen, Muskel- und den
Haltungsapparat betreffende Schmerzen, Veränderungen der Atemwege,
Fieber, dauernden trockenen Husten, Brustschmerzen, Symptome des
Verdauungstrakts, neurologische Symptome, Gedächtnisverlust, Angst und
Depression. 24-Stunden-Urinproben von Menschen, die an solchen Symptomen
litten, wurden nach folgenden Kriterien ausgewählt:
a) der Beginn der Symptome lag in der Zeit der Bombenangriffe,
b) Anwesenheit in dem bombardierten Gebiet,
c) klinische Ausprägungen.
Proben für eine Kontrollgruppe wurden von symptomfreien Bewohnern nicht
betroffener Gebiete genommen. Eine Begutachtung der Umweltkontamination
wurde durch die Analyse von Boden, Staub,91 Schutt sowie Trinkwasser92
unternommen gemäss etablierten Kriterien über die Abschätzung der
Ausbreitung und der Gefährdungen durch Aktinide [Elementgruppe, zu der
auch Uran zählt] und anhand entsprechender Proben aus den von den
Bombeneinschlägen betroffenen Gebieten. Alle untersuchten Personen,
inklusive der Kontrollgruppe, wurden über das Vorgehen und die
Probensammlung in den Landessprachen Dari und Pashtu informiert. Jede
Person unterzeichnete eine Einverständniserklärung. Alle Proben wurden im
Hinblick auf die Konzentration und auf das Verhältnis der 4 Uran-Isotope
Uran-234, Uran-235, Uran-236 und Uran-238 zueinander mit Hilfe eines
Massenspektrometers mit induktiv gekoppeltem Plasma (ICP-MS) in den
Laboratorien des British Geological Survey, Nottingham, England untersucht.
Die ersten Ergebnisse aus der Provinz Nangarhar zeigten bei der
Urinausscheidung eine signifikante Erhöhung des Gesamturans bei 100% der
untersuchten Personen, mit durchschnittlich 20-fach höheren Werten im
Vergleich zur nicht betroffenen Bevölkerung. Die Analyse der
Isotopenverhältnisse zeigten nicht abgereichertes Uran.93 In der Folge wurden
bei Proben, die während einer zweiten Feldstudie im Jahr 2002 genommen
wurden, bis 200-fach höhere Werte gemessen als in der Kontrollgruppe. Diese
hohen Werte der Gesamt-Uranausscheidung wurden in den Distrikten Tora
Bora, Yaka Toot, Lal Mal, Makam Khan Farm, Arda Farm, Bibi Mahro, Poli Cherki
und am Kabuler Flughafen gemessen. Beide Feldstudien zeigten die Signatur
von nicht abgereichertem Uran (NDU) in allen untersuchten Gebieten im Osten
Afghanistans. (Table 2 und 3, Figure 4)
Die Uranwerte in den Bodenproben, die aus OEF-bombardierten Stellen
stammten, waren zwei- bis dreimal höher als die globalen
Konzentrationsniveaus von 2 bis 3 mg/kg. Die Konzentrationen im Wasser
waren signifikant höher als die von der WHO noch erlaubten Maximumpegel
Dossier Uranwaffen
104
Zeit-Fragen 2007
(unsere nicht veröffentlichten Daten). Die Untersuchungen des UMRC werden
auf Zentral-Afghanistan und das westliche und das nördliche Afghanistan
ausgedehnt. Zusätzlich zu den Studien zu den Isotopenverhältnissen des Uran
im ausgeschiedenen Urin wurde eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zu
ausführlichen klinischen Untersuchungen der Nieren- und Atmungsfunktion, zu
zellgenetischen Untersuchungen von Chromosomenveränderungen in den
peripheren Blutlymphozyten von kontaminierten Personen, zu
elektronenmikroskopischen und nanopathologischen Untersuchungen von
Gewebeproben, die von lebenden oder verstorbenen Personen stammen,
angeregt.
Folgestudien mit Veteranen des ersten Golfkriegs und mit der Bevölkerung im
östlichen Afghanistan werden fortgesetzt neben Untersuchungen von
ungeklärten Krankheiten von Veteranen, die aus dem zweiten Golfkrieg
zurückgekehrt sind. Klinische Studien in internationalen medizinischen
Instituten und Forschungseinrichtungen werden die Auswirkungen sowohl von
DU wie auch NDU auf die Nieren und das Atmungssystem mit Hilfe moderner
Verfahren der funktionalen Morphologie und bildgebenden Computersysteme
untersuchen. Die Forschung wird sich mit verschiedenen relevanten Bereichen,
insbesondere den neoplastischen Zellveränderungen,94 dem programmierten
Zelltod (Apoptose),25 Veränderungen des Erbguts95 und Risiken der
Krebsentstehung96 befassen. Untersuchungen zur Kontamination der Umwelt
und zur Biodistribution werden sich mit den akuten und chronischen
Auswirkungen von Uran-Isotopenverbindungen befassen, zusammen mit der
Bestimmung der kumulativen Strahlungsdosen und ihren biologischen
Auswirkungen seit der Einführung der radioaktiven Kriegsführung. Feldstudien
werden gegenwärtig ausgeweitet auf die Zivilbevölkerung im Irak, im GazaStreifen, in der Westbank, im Balkan und in weiteren Gebieten Afghanistans.
Unsere Studien bestätigen die Ergebnisse, dass in Kosovo Uran-236 in
Bodenproben von Zielgebieten des südlichen Balkans gefunden wurde und das
Vorhandensein kleiner DU-Partikel.95 Die Kosovo-Proben enthielten Hunderte
von Partikeln in Miligramm-Mengen kontaminierten Bodens, 50% der Partikel
mit einem Durchmesser kleiner 1,5 µm und nahezu alle Partikel kleiner 5
µm.98 Wir werden versuchen, diese Ergebnisse bei unseren kommenden
Feldstudien in den Nachkriegsregionen zu überprüfen.
Schlussfolgerung
Die gegenwärtige Realität des kombinierten chemischen, biologischen,
radiologischen und nuklearen Schlachtfeldes (CBRN) bei der taktischen
Kriegsführung oder die mögliche heimliche Verwendung von kürzlich
entwickelten Geräten zur Verbreitung radioaktiver Substanzen in einem
terroristischen Szenario schaffen eine neue Dimension des Umgangs mit
Massenopfern. Die Rolle der Medizin im nuklearen und radiologischen Krieg ist
begrenzt auf Grund einer mangelnden Vorbereitung des Umgangs mit den
komplexen Konsequenzen einer akuten Strahlenkrankheit mit kombinierten
Verletzungen oder mit einer Verseuchung der Biosphäre und der menschlichen
Bevölkerung. Kürzlich festgestellte Krankheiten mit unbekannter Herkunft,
Pathogenese und klinischen Erscheinungsbildern stellen die medizinische
Behandlung noch vor ungelöste Probleme. Die schädlichen Effekte im Körper
angelagerter Radionukleide, insbesondere von Uranisotopen als Folge der
militärischen Konflikte des vergangenen Jahrzehnts, wurden in der aktuellen
Literatur gut dokumentiert. Die Notwendigkeit einer gut geplanten und
koordinierten interdisziplinären Forschung angesichts der gegenwärtigen
Dossier Uranwaffen
105
Zeit-Fragen 2007
Umweltfolgen und medizinischen Konsequenzen einer CBRN-Kriegsführung, mit
einem objektiven und unvoreingenommenen Herangehen zur Klärung der
ungeklärten Nachkriegskrankheiten, wird zu einer tieferen Einsicht in dieses
herausfordernde Kapitel der medizinischen Wissenschaft durch den
unvermeidlichen Fortschritt einer objektiven Forschung führen.
Correspondence to:
Asaf Durakovic
Uranium Medical Research Center
3430 Connecticut Avenue
11854 Washington D.C. 20008, USA
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Dossier Uranwaffen
110
Zeit-Fragen 2007
Nr.37, 17. September 2007, Seite 8
«20 Jahre Leben mit Tschernobyl – Erfahrungen und
Lehren für die Zukunft»
Neuerscheinung
Kongressband zum internationalen Kongress
bha. In einer Zeit, in der mit Hochdruck und milliardenschwerem Funding an
einer neuen Generation von Nuklearwaffen geforscht wird und ihre praktische
Testphase vor der Türe zu stehen scheint, in dieser Zeit sollte die Katastrophe
von Tschernobyl noch interessieren? Vorbei ist sie doch, schön war sie nicht,
ein paar Krebskranke, die Experten streiten über die Zahlen – Schwamm
darüber, rüsten wir lieber auf, atomar und anders … Bald wird man in der
Todeszone um Tschernobyl herum wieder leben können, oder nicht? Empfiehlt
man uns nicht, sich an das Leben mit Radioaktivität zu gewöhnen? Wozu diese
Aufregung, noch zwanzig Jahre später? Die «Atomallianz» zieht klug und
mächtig ihren Vorteil aus der Katastrophe. Nicht, dass man ein weiteres
Tschernobyl um jeden Preis zu vermeiden bestrebt wäre, sondern die
skrupellose Ausbeutung der medizinischen Schäden der betroffenen Menschen
ist ein Ziel. Auch die Propagandastrategien in bezug auf die «Nützlichkeit» von
Atomkraftwerken wurden verfeinert und finden ihren Höhepunkt in der
vorgeblichen Klimaschutzfunktion von AKW. Nach Tschernobyl wurden die
Atomallianzen fester geschmiedet als je zuvor.
Ist die Katastrophe von Tschernobyl «contained»?
Ist die Katastrophe von Tschernobyl «con tained»? Schauen wir genauer hin:
Mit der Publikation des Buches «20 Jahre Leben mit Tschernobyl – Erfahrungen
und Lehren für die Zukunft» eröffnet sich dem geneigten Leser ein Bild der
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Folgen der Explosion des
4. Reaktorblocks des AKW in Tschernobyl im April 1986.
Hervorgegangen aus dem Internationalen Kongress gleichen Themas im
September 2006 in Feldkirch/Vorarlberg, beinhaltet der Kongressband auf über
450 Seiten die Vorträge. Eine Besonderheit dieses Kongresses war, dass sich
die Referenten zum gröss ten Teil aus Wissenschaftlern aus Belarus, Russ land
sowie der Ukraine konstituierten. Aus erster Hand erhielt der Teilnehmer die
Fakten. Eine Übersicht:
– Gesundheitliche Probleme in den GUS-Staaten und im Westen,
Epidemiologie, Langzeitfolgen, Genetik, Niedrigstrahlungsfolgen, Schwächung
des Immunsystems, Diabetes, Schilddrüsenkrebs, Brustkrebs, Erkrankungen
der Atmungsorgane, Herz-Kreislauf-Organe.
– Wirtschaftliche Probleme für die Regionen und Gemeinden, die innerhalb
oder am Rande der Sperrzone liegen.
– Landwirtschaftliche Probleme, radioökologische und sozioökonomische
Folgen der Reaktorkatastrophe. Der Hauptanteil der potentiellen kollektiven
Strahlendosis kommt durch Produkte aus dem Pflanzenanbau – vor allem
Getreide und Kartoffeln –, ferner durch Rindfleisch und Milch über
Caesium-137-Kontamination zustande.
– Physikalisch-technischer Ablauf der Katastrophe und Konsequenzen für die Beseitigung der
Dossier Uranwaffen
111
Zeit-Fragen 2007
Folgen, prominenter Vortragender war der Russe Konstantin P. Tschetscherow, der die
Tatsache einer Explosion im Reaktorblock 4 eindeutig nachweisen konnte. Und
der durch eigene Nachforschungen im Reaktor nachweisen konnte, dass der
gesamte Kernbrennstoff aus dem Reaktor herausgeschleudert wurde. Die
Gremien, die mit anderslautenden Aussagen den Bau eines milliardenschweren
neuen Sarkophags zu begründen suchen, sollten sich den Tatsachen stellen.
– Strahlenschutz- und Katastrophenmanagement nach der
Reaktorkatastrophe – was lernen wir daraus?
– Finanzielle Dauerbelastung des BIP für Weissrussland und die Ukraine.
– Wer aus dem Westen leistet wie Hilfe?
– Warum gibt die Tschernobyl-Katastrophe Anlass, sich für einen Wechsel zu
erneuerbaren Energien zu interessieren?
Nikolai Karpan, Liquidator, Berater der Tschernobyl-Kommission des
ukrainischen Parlaments, legt dar, wie wenig aus der Havarie gelernt wurde.
Zum Beispiel werden, folgt man den Rechnungen der IAEA, bis 2030 mehr als
über 200 Milliarden Dollar zur Entwicklung der Atomenergie ausgegeben.
Glaubt man also an deren Sicherheit? Am Beispiel des von der IAEA
unterschlagenen Unfalls im AKW Devis-Bess, USA, im Jahr 2002 beschreibt
Karpan, dass Experten aussagen, dass der Defekt im Deckelmetall zu einer
Havarie hätte führen können. Die Edelstahllasche (9 mm stark) in der Zone des
beschädigten Stutzens war das einzige Hindernis zum Wasserauswurf, gemäss
dem NRC, dem Ausschuss zur nuklearen Regelung der USA. Die Uno hat
verlautbart, dass der Schaden durch die Explosion von Tschernobyl mit einer
Trillion Dollar eingeschätzt wird. Die wichtigste Erkenntnis, so Karpan, bestehe
jedoch darin, dass sich in Tschernobyl der Welt die längst bekannten Probleme
der Atom energetik entpuppten. Die Explosion des Reaktors habe diese
Probleme nur öffentlich entblösst.
Das nukleare Establishment wird ob dieser Publikation müde lächeln – schon
wieder diese Unwahrheiten über die Todes- und Krebsraten in Belarus, der
Ukraine, diese Übertreibungen von fanatischen Gegnern der Kernenergie und
die Verteufelung von Atomkraftwerken. Haben wir denn nicht schon genügend
schlechte Reputation durch den Tschernobyl-Unfall erlitten? – So klagt das
nukleare Establishment. Es klagt und diktiert. Es entlässt die WHO nicht aus
dem Klammergriff der IAEA, sondern knebelt die WHO mit einem verwerflichen
Vertrag, der seine Urheber in ein diktatorisches, die Wahrheit scheuendes Licht
rückt.
Doch die Wahrheit kommt ans Licht, sie wird von Tausenden von Menschen
durchlitten und erlebt, sie schlägt sich in Tausenden von wissenschaftlichen
Analysen nieder, sie kommt in Westeuropa zum Beispiel durch die Erhöhung
der Schildrüsenkrebsraten ans Tageslicht durch die Erhöhung der
Missbildungsraten bei Kindern usw., durch gestiegene Krebsraten in
Nordschweden.
Ist die Tschernobyl-Katastrophe als «contained» zu betrachten? Das kommt auf
den Massstab an.
Bezüglich der Krebsraten scheint das Schlimmste noch bevorzustehen.
Bezüglich der genetischen Folgen ist kein Ende absehbar. Die junge
Generation, die jetzt Kinder bekommt, leidet an körperlichen Problemen infolge
der Kontamination ihrer Eltern und gibt sie an die nächste Generation weiter.
Waldbrände und Überschwemmungen bilden eine andauernde Gefahr für die
umliegenden Regionen in Belarus und der Ukraine. Strontium verteilt sich auf
den Äckern im Süden der Ukraine. Americium, ein sehr giftiges Radionuklid, ein
Zerfallsprodukt von Plutonium, verseucht das Wasser.
Dossier Uranwaffen
112
Zeit-Fragen 2007
Der Mensch im 21. Jahrhundert ist aufgefordert, sich der Umweltproblematik zu
stellen. Radioaktive Strahlung, auch in niedrigdosierter Weise, zerstört die
biologische Umwelt, langsam oft, aber unumkehrbar. Die Hormesisthese ist
falsch, Radioaktivität hat keinen positiven Effekt. Ionisierende Strahlung
beschädigt die Zellen. Jedes Mehr an Radionukliden in der Umwelt bedeutet
mehr Krebstote und Krebserkrankungen. Tschernobyl mahnt, die vorliegende
Publikation liefert in einzigartiger Klarheit die Fakten. Man muss sie nur wissen
wollen.
«20 Jahre Leben mit Tschernobyl – Erfahrungen und Lehren für die Zukunft»
Kongressband zum internationalen Kongress. Herausgeber: E. Lengfelder, Ch. Frenzel,
S.P. Kundas, Otto Hug Strahleninstitut MHM e.V. München 2007, ISBN
978-3929990-04-1
«Ein entscheidendes Faktum wird bisher von IAEA und WHO systematisch
ausgeblendet und verschwiegen: die Gesundheitseffekte in Westeuropa.
Denn es ist Tatsache, dass etwa 50 – 70% der aus dem Tschernobyl-Reaktor 4
herausgeschleuderten Radionuklide ausserhalb von Belarus, Ukraine und
Russland niedergingen und zum grössten Teil in Westeuropa, wenn auch sehr
inhomogen, verteilt wurden.» (S. 201, Vortrag Prof. Lengfelder)
Dossier Uranwaffen
113
Zeit-Fragen 2007
Ein böser Geist geht um – Oder was hat Leukämie
mit dizentrischen Chromosomen, Tritium und kleinen
schwarzen Kügelchen zu tun?
In loser Folge werden die finsteren Hintergründe, die zum tragischen
Leukämietod und den Leukämieerkrankungen in der Elbmarsch bei Hamburg
geführt haben und immer noch führen, dargestellt. Sie sind bis heute nicht
aufgeklärt.
bha. Seit Ende 1989 sind mehr als 15 Kinder an Leukämie erkrankt, 4 davon
sind schon gestorben. Dizentrische Chromosomen wurden gefunden, und in
Lymphozyten sind sie so gut wie ausschliesslich durch Strahlen induzierbar.
Ihre Verteilung auf die Zellen ist ein verlässlicher Indikator für einen Beitrag
durch Alphastrahlung. Die Kinder wohnen in unmittelbarer Nähe zu dem
Kernkraftwerk Krümmel und dem nuklearen Forschungsinstitut der
«Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffahrt und Schiffbau» (GKSS).
Nachdem die GKSS sowie die Behörden keinerlei Hand geboten hatten, die
Sache aufzuklären, engagierten sich Spezialisten auf dem Gebiet der
Strahlenbiologie, Medizin, Messtechnik, Toxikologie und der Physik mit hoher
Sachkenntnis, Akribie und menschlicher Hingabe, alle potentiellen Faktoren
abzuklären, die die Leukämieerkrankungen ausgelöst haben könnten.
Im Jahr 2000 wurden im Boden diesseits und jenseits der Elbe kleinste Kugeln
aus Schwermetall in verschiedenen Grössenklassen entdeckt. Sie
entstammen einem Experiment, bei dem die Prinzipien der Kernspaltung (wie
im Atomkraftwerk) und der Kernfusion (wie bei der Wasserstoffbombe)
kombiniert werden sollten. (siehe Strahlentelex, Nr. 480-81)
Wenn innerhalb von 18 Jahren in nahe beieinander liegenden Dörfern mehr als
15 Kinder an Leukämie erkranken, muss es eine Ursache geben. Oder geht von
den nuklearen Einrichtungen ein undefinierter böser Geist aus? Das eine wie
das andere ist wohl wahr. Obwohl die Ursache für die Leukämien der Kinder in
der Elbmarsch, in Geesthacht, Tespe und Obermarschacht – Dörfer an der Elbe
in der Nähe Hamburgs – wissenschaftlich erforscht ist, bringen die zuständigen
Behörden und die verursachenden nuklearen Forschungseinrichtungen die
Ehrlichkeit nicht auf, diese Ursache anzuerkennen. Es ist ein trauriger Fall von
Vertuschung, auch wenn es sich bei der Vertuschung von Nuklearunfällen nicht
um eine Ausnahme, sondern die Regel handelt.
Die Spezialisten waren fündig geworden, sie hatten den «bösen Geist» erkannt
und dingfest gemacht. Sie publizierten ihre Ergebnisse und verlangten
Konsequenzen. Dr. Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für
Strahlenschutz, Berlin, dokumentierte die Ergebnisse seit 1992 im
Strahlentelex www.strahlentelex.de.
Zu welchen Schlüssen waren die Fachleute gekommen?
«Ein Radioaktivitätsunfall im Gebiet der kerntechnischen Anlagen von
Geesthacht am 12. September 1986 kann als erwiesen angesehen werden.
Nicht nur Spalt- und Aktivierungsprodukte, sondern auch Kernbrennstoffe und
Brutprodukte wurden freigesetzt, die sich heute in der Umgebung noch
Dossier Uranwaffen
114
Zeit-Fragen 2007
nachweisen lassen. Für 12 Stunden betrug die Radioaktivitätskonzentration in
der Luft mehr als das 400-fache der Tschernobyl-Kontamination in
Norddeutschland. Die Strahlenbelastung der Bevölkerung muss im
wesentlichen durch Inhalation der radioaktiven Stoffe erzeugt worden sein,
wobei auch Expositionen in der Folgezeit auftraten. Die freigesetzten
radioaktiven Stoffe entstammen einem Hybridsystem, das heisst einem
kerntechnischen Experiment, bei dem die Prozesse der Kernspaltung und der
Fusion gleichzeitig angewendet werden sollten. Die genaue Zusammensetzung
und experimentelle Anordnung sind nicht publiziert worden. Aus den
Ergebnissen verschiedener nuklidspezifischer Mess kampagnen in der
Umgebung wird das Inhalationsgemisch rekonstruiert. Wir gehen von den
Dachstaubmessungen aus, bei denen sich Transurane und das Spaltprodukt
Strontium 90 gezeigt hatten. Bodenmessungen, die erst in den Jahren 2001 bis
2004 umfänglich durchgeführt wurden, zeigten demgegenüber grosse Anteile
von Thorium und Uran in etwa der Zusammensetzung, wie sie als Brennstoffe
in Hochtemperaturreaktoren erwartet werden können (Massen zwischen 2:1
und 10:1).
Die Analyse der Leukämieursachen ergab, dass im September 1986 in der
GKSS Experimente durchgeführt wurden, bei denen Mikrokügelchen zu
Vorversuchen verwendet wurden, die eindeutig einen kerntechnischen
Hintergrund haben. Wohlbekannt sind tritiumhaltige Kügelchen im Bereich
der Trägheitseinschlussfusions-Forschung (ICF oder Inertial Confinement
Fusion). Solche Kügelchen wurden in Reetdächern und Bodenproben von
Elbmarsch und Elbgeest von verschiedenen Wissenschaftern gefunden und
beschrieben. (siehe auch Strahlentelex, Nr. 488-8)
Böse Geister gibt es nur im Märchen. Die Wirklichkeit liegt in der beim Unfall
freigesetzten Strahlenbelastung. Diese scheint die eindeutige Ursache der
Leukämieerkrankungen zu sein. Der Bereich der Trägheitseinschlussfusion
(Inertial Confinement Fusion) ist sowohl für friedliche wie militärische Zwecke
nutzbar. Und hierin dürfte wohl der Grund für die Geheimhaltung der wahren
Ursachen der Leu kämieerkrankungen zu finden sein.
Die aufgefundenen Thoriumisotope ergeben die grössten Beiträge zur
Strahlenbelastung der Bevölkerung. Als Belastungspfade für die LeukämieInduktion kommen die somatische Exposition kleiner Kinder, die Ex position im
Mutterleib und die genetische Induktion über präkonzeptionell exponierte
Eltern in Frage. Die Knochenmarkdosis für Kleinkinder ergibt sich zu 97 mSv,
die Leukämie-relevanten Gonadendosen bei Erwachsenen zu jeweils 10 mSv,
die Embryonaldosis erscheint vernachlässigbar. Das im Raum Geesthacht
beobachtete Leukämieauftreten bei Kindern kann mit diesen Expositionen
widerspruchsfrei erklärt werden. Die heute noch bestehenden Risikofaktoren
müssen untersucht und beseitigt werden, damit die amtliche Einstufung der
Region als ‹Endemiegebiet› entfallen kann.»
Zusammenfassung aus: Das Elbmarsch-Leukämiecluster: Betrachtungen zum
Dosiswirkungszusammenhang anhand der beobachteten Kontaminationen bei
Geesthacht, Dez. 2006, Autoren: Prof. I. Schmitz-Feuerhake, Dr. Sebastian
Pflugbeil, Dipl.-Ing. Heinz-Werner Gabriel (www.elbmarsch.org).
Dossier Uranwaffen
115
Zeit-Fragen 2007
Dossier Uranwaffen
116
Zeit-Fragen 2007
Nr.40, 8. Oktober 2007, Seite 3, 4
Struck-Skandale
Deutsche Leihsoldaten im Irak-Krieg verstrahlt – Mitwirkung bei USEinsatz von Uranbomben in Afghanistan durch Tornado-Aufklärer
von Christoph Hörstel, München
In einem Krankenhaus in Deutschland liegt ein Bundeswehrsoldat (hoher
Unteroffiziersrang) mit einer erstaunlichen militärischen Karriere: Im Frühjahr
2003 wurde ihm in Aussicht gestellt, er könne seine Beförderungschancen
verbessern, indem er aus der Bundeswehr offiziell ausscheide, bei den USTruppen anheuere, mit diesen in den Irak-Krieg zöge – und später wieder zur
Bundeswehr (Heer/Infanterie) zurückkehre.
«Der Einsatz von Uranwaffen ist ein Bruch von Menschen- und Völkerrecht
erster Güte. Die Bundesrepublik Deutschland ist daran zwar nicht direkt durch
eigene Anwendung beteiligt, durch vielfältige Mitwirkung (Isaf, Tornado, OEF)
und Unterstützung der Beschuldigten (USA) jedoch entsteht eine durchaus
justitiable Beihilfe-Situation.
Unter diesen Umständen müsste es sich geradezu verbieten, dass dieser
Bundestag die Regierungsvorlage zur Mandatsverlängerung Isaf/Tornado
bedingungslos unterstützt, weil dies weitere Uranwaffenverwendung
zwangsläufig unterstützt, insbesondere im Fall der Tornado-Aufklärer.»
Christoph Hörstel
Ein Infanterie-Zug der Bundeswehr als US-Kanonenfutter im Irak
Nach Aussagen des Unteroffiziers war es ein kompletter Zug von Soldaten der
deutschen Bundeswehr (Zugstärke normalerweise zwischen 50 und 70 Mann),
der im März 2003 loszog – und im Irak-Krieg an der Seite von US-Truppen dort
eingesetzt wurde, wo Strahlenschäden zu erwarten waren.
Nach Aussagen des erkrankten Unteroffiziers kam es dadurch anders, als im
Vorgespräch mit Bundeswehrvorgesetzten angeboten: Im Anschluss an den
Dienst im Irak verstarb die Hälfte seiner deutschen Kameraden dieser deutschamerikanischen Sondertruppe an Krebs, offenbar verursacht durch Strahlung.
Die Bundeswehr habe ihm, so sagt der überlebende Bundeswehrzeuge, zwar
auch – wie allen anderen – nach Beendigung seines US-Auftrages die Rückkehr
in die Bundeswehr angeboten, doch wegen seines Zustands sei ihm zunächst
die Wiederaufnahme in die Bundeswehr und damit auch jegliche Fürsorge
verweigert worden – und erst später habe die Bundeswehr diese Entscheidung
zurückgenommen, sich um ihn gekümmert und ihn versorgt.
Die Aussage dieses Soldaten ist auch insofern von Bedeutung, als in Erwägung
gezogen werden muss, dass zum Zeitpunkt dieser leihweisen Überlassung von
Mannschaften an die US-Streitkräfte die Bundesregierung Schröder unter
hohem Druck der USA stand, da sie offiziell die Teilnahme deutscher Soldaten
am Irak-Krieg strikt abgelehnt hatte. Diese Ablehnung wurde seinerzeit
innenpolitisch (Schröder gewann dadurch die Wiederwahl 2002) und
Dossier Uranwaffen
117
Zeit-Fragen 2007
aussenpolitisch stark beachtet. Deshalb ist als wahrscheinlich anzusehen, dass
die Soldaten, um die Regierung Schröder nicht völlig zu diskreditieren, den
komplizierten Weg des Ausscheidens aus der Bundeswehr und des späteren
Wiedereintritts wählen mussten, das Ganze bei strikter Verpflichtung zur
Geheimhaltung.
Doch es gibt neben dem Vorwurf des politischen Falschspiels einen womöglich
noch schwerer wiegenden Gesichtspunkt: Es ist nun kaum anzunehmen, dass
die Führungsspitzen beider Armeen nicht wussten, welcher Art der Einsatz der
«Leihsoldaten» sein sollte. Mit Sicherheit war er geeignet, US-Truppenteile von
derart verlustreichen militärischen Operationen zu entlasten.
Das Problem der US-Streitkräfte mit dem «Golf-Kriegssyndrom»
(Strahlenschäden bei Militärpersonal aus der Operation «Desert Storm» von
1991, dem zweiten Golf-Krieg anlässlich der Besetzung Kuwaits durch die
Truppen des irakischen Diktators Saddam Hussein) ist hinlänglich bekannt,
immer noch sind Tausende Schadenersatzansprüche ungeklärt.
Daraus ergibt sich hier die Frage, ob diese Soldaten bewusst in einem
Himmelfahrtskommando «verheizt» wurden in einer Art
menschenverachtendem Tausch gegen das Ausbleiben weiterer Repressalien
durch die USA gegen Deutschland wegen der offiziellen deutschen
Verweigerungshaltung.
Dabei ist klar festzuhalten: Der Bundesregierung war zum Zeitpunkt der
Verwendung ihres Unteroffiziers im Irak sehr wohl bewusst, wie gefährlich die
von US-Truppen verwendete DU-Munition (DU = Depleted Uranium) ist, auch
für die eigenen Leute. Das beweist der folgende Fall.
Schiessbuch Rajlovac
Dem Autor liegt komplett (in Fotokopie) das Schiessbuch eines
Bundeswehrsoldaten vor, der 2001 im Feldlager Rajlovac bei der Sfor in
Bosnien-Herzegowina Dienst tat. (Jeder Soldat der Bundeswehr muss ein
Schiessbuch führen, in das seine Schiessübungen von den jeweils
Beaufsichtigenden eingetragen werden.)
Wenn es noch einen Zweifel daran gibt, dass
• Bundesregierung und Nato wissen, dass Uranmunition gefährliche Schäden
verursacht,
•
in Bosnien-Herzegowina Uranmunition verwendet wurde,
dann wird der beigefügte Auszug aus dem Schiessbuch eines BundeswehrSoldaten, der im Jahre 2001 im damaligen Sfor-Feldlager Rajlovac (bei
Sarajevo) Dienst tat, diesen Zweifel endgültig widerlegen (Bild rechts
anklicken):
Denn dort steht (auf S. 25 des Schiessbuches eingeheftet):
«Die Teilnahme an der Ausbildung Massnahmen zur Vorsorge und zum Schutz
gegen Depleted Uranium Munition (DU-Munition) wird bestätigt. Rajlovac, (Tag
und Monat zum Informantenschutz geschwärzt) 2001, unleserliche Unterschrift,
OFW (= Oberfeldwebel)»
Darunter werden die Prüfwerte für die Dichtigkeit der Gasmaske des Soldaten
(«Grösse 3 – Brille: JA») angegeben (wiederum zum Informantenschutz
geschwärzt).
Opfer von Uranmunition in Afghanistan
Es gibt eine Menge Verbrechen und Skandale rund um den Krieg in
Afghanistan, doch die womöglich folgenreichsten sind noch gar nicht genügend
Dossier Uranwaffen
118
Zeit-Fragen 2007
erforscht: Die Rede ist von schwersten gesundheitlichen Schädigungen,
einschliesslich Schäden am Genmaterial, bei Afghanen bis hin zur
Säuglingssterblichkeit auf Grund schwerster Missbildungen durch den Einsatz
von Uranwaffen seitens der USA.
Dass ein solcher Einsatz auch gegenwärtig noch erfolgt, erklärt Prof. Dr. Albert
Stahel, Dozent für Strategische Studien am Institut für Politikwissenschaft an
der Universität Zürich. Er schätzt, etwa die Hälfte aller in Afghanistan
eingesetzten Bomben seien Uranbomben. Die USA bestreiten bisher, in
Afghanistan Uranmunition eingesetzt zu haben, Forschungsergebnisse bei den
Opfern von Prof. Dr. Asaf Durakovic[1] weisen jedoch darauf hin, dass diese
Behauptung nicht den Tatsachen entspricht. Ausserdem meldet das
amerikanische «Air Force Print News Today» in aller Offenheit auch aktuell in
diesem Jahr immer wieder den Einsatz von Uranwaffen.
Die betroffenen Menschen leiden z.T. extrem unter den bekannten
Folgewirkungen, schwerst geschädigte Kinder sterben in den Hospitälern z.T.
nur wenige Tage nach der Geburt unter furchtbaren Schmerzen. Der in den
USA lebende gebürtige Afghane Dr. Mohammad Daud Miraki erklärte mir bei
Übergabe des beigefügten Bildmaterials (aufgenommen am 13. März 2006 im
Malalai Women Hospital, Kabul, durch Dr. Miraki, der auch ein Video von dem
abgebildeten unbekannten Kind erstellte), dass alle Beteiligten nicht nur um
ihre Karriere, sondern um ihr Leben fürchten müssten, wenn sie sich an
Untersuchungen von Schäden beteiligen, die einen Uranwaffen-Hintergrund
vermuten lassen. Konkret führte Dr. Miraki an:
• Eltern wollen ihre Namen und die ihrer möglicherweise geschädigten
Kinder nicht nennen,
•
Ärzte wollen sich an Untersuchungen nicht beteiligen,
•
Klinikleitungen wollen diese Untersuchungen nicht anordnen.
Vergessen ist der Eid des Hippokrates, der verlangt, dass alles getan wird, um
lebensverlängernde Massnahmen durchzuführen, vor allem gehört dazu
selbstverständlich eine treffsichere und nachprüfbare Diagnose.
Eine rasche Stichprobe bei der deutschen Leitung eines deutsch finanzierten
Hospitals in Kabul, die dort seit über zehn Jahren erfolgreich arbeitet, ergab,
dass man auch dort Repressionen befürchtet, falls sich das Hospital an der
Verifizierung des Verdachts auf Uranschäden beteiligt.
Eine solche Reaktion aller Betroffenen muss zwangsläufig verschiedene
Schuldvermutungen schüren:
• Die repressiven politischen Mächte wissen um ihre Verbrechen und suchen
sie mit allen Mitteln zu vertuschen.
•
Wissenschaftlich begründete Zweifel an der Gefährlichkeit von
Uranwaffen sollen vielfach nur dazu dienen, die Uranwaffen-Anwender
reinzuwaschen.
Schliesslich hat sich die tägliche Truppenpraxis nicht nur bei der Bundeswehr
längst entschieden, Uranwaffen aller Art als gefährlich einzustufen – und damit
in Berührung kommendes Personal vor diesen Gefahren durch
Gegenmassnahmen wie beschrieben zu schützen.
Die Folgerungen
Zum früheren Verteidigungsminister Struck ist zu sagen, dass er Schuld auf
sich geladen hat, weil er Angehörige der Bundeswehr dazu anhalten liess, sich
am Irak-Krieg ohne den grundgesetzlich dafür zwingend vorgeschriebenen
Dossier Uranwaffen
119
Zeit-Fragen 2007
Bundestagsbeschluss zu beteiligen. Erschwerend hinzu kommt das trickreiche
Vorgehen durch die vorübergehende Ausserdienststellung bei der Bundeswehr,
das als betrügerisch betrachtet werden kann. Schliesslich waren die
Betroffenen noch Bundeswehrsoldaten, als sie erstmals über ihre USVerwendung aufgeklärt wurden.
Der Einsatz von Uranwaffen ist ein Bruch von Menschen- und Kriegsvölkerrecht
erster Güte. Die Bundesrepublik Deutschland ist daran zwar nicht direkt durch
eigene Anwendung beteiligt, jedoch durch vielfältige Mitwirkung (Isaf, Tornado,
OEF) und Unterstützung der Beschuldigten (USA) entsteht eine durchaus
justitiable Beihilfe-Situation.
Unter diesen Umständen müsste es sich geradezu verbieten, dass dieser
Bundestag die Regierungsvorlage zur Mandatsverlängerung Isaf/Tornado
bedingungslos unterstützt, weil dies weitere Uranwaffenverwendung
zwangsläufig unterstützt, insbesondere im Fall der Tornado-Aufklärer.
Dass ausgerechnet Struck, jetzt in seiner neuen Position als SPD-Fraktionschef
im Bundestag, eben diese Fraktion politisch stark unter Druck setzt,
ausgerechnet um den Einsatz deutscher Tornado-Aufklärer zu verlängern – das
ist ein einsamer Höhepunkt von Gewissenlosigkeit.
Künftiges Vorgehen des Bundestages
Unter den erwähnten Umständen sollte der Deutsche Bundestag zunächst
einmal das Aufschnüren des Isaf-Tornado-Pakets durchsetzen und ohne
jeglichen innerfraktionellen Druck die Abstimmung der verfassungsrechtlich
eindeutig verbrieften Gewissensfreiheit der Abgeordneten überlassen.
Tornados, aber auch Isaf-Truppen darf die Bundesregierung erst dann wieder
zum Einsatz vorsehen, wenn geklärt und nachprüfbar sichergestellt ist, dass
das dem Aufklärungsflug folgende Bombardement
• keine Uranwaffen enthält,
•
keine Zivilisten schädigt (Völkerrecht!),
•
eine wissenschaftlich unangreifbare Untersuchung der
Beschuldigungen zu Einsatz und Wirkung von Uranwaffen durch mehrere
offizielle Institutionen erfolgt, mindestens eine davon eine UN-Organisation und
eine andere das Bundesamt für Strahlenschutz,
•
eine Bearbeitung des Themas in Nato, EU und Uno durch geeignete
Massnahmen bis April 2008 erfolgt,
•
nachprüfbare und sanktionsfähige Vorsorge-Massnahmen für einen
weltweiten Verwendungsstopp der Uranmunition bei allen Nato-Aktionen
getroffen sind,
•
Sanktionen für die künftige Verwendung der Munition beschlossen
sind,
•
Wiedergutmachung für die angerichteten Schäden bei anderen
Völkern ebenso wie beim eigenen Personal zeitnah beschlossen ist.
Es muss sicherlich nicht darauf hingewiesen werden, dass jedes Mitglied des
Bundestages, das jetzt einer Verlängerung des Isaf-Tornado-Mandats
bedingungslos zustimmt, sich mitschuldig macht an den Verbrechen in
Afghanistan und möglichen weiteren, die zweifellos geplant sind (US-Luftkrieg
gegen Iran!).
[1] Aus: Zeit-Fragen, Nr. 41 vom 11.10.2006, S. 9 nach: «Undiagnosed Illnesses
and Radioactive Warfare», in: Croatian Medical Journal, 44(5):520-532, 2003
(Übersetzung Zeit-Fragen)
Dossier Uranwaffen
120
Zeit-Fragen 2007
km. Christoph Hörstel hat für verschiedene deutsche Medien und Behörden
seit Anfang der 80er Jahre und bis in die Gegenwart hinein immer wieder
Afghanistan besucht. Was ihn bis heute auszeichnet: Er hat sich bei seiner
Arbeit niemals für irgend jemand einspannen lassen, hat darüber berichtet
und geschrieben, was er wirklich erfahren hat, und hat sich den Menschen im
Land so genähert, dass sie ihn als ehrlichen Vermittler und sogar Freund
akzeptieren und achten. Im gewissen Sinne ist Afghanistan seine zweite
Heimat geworden.
Um so mehr empört es ihn, wie die Grossmächte mit diesem Land in den
vergangenen 30 Jahren umgegangen sind und was sie im Land angerichtet
haben. Und seit 2001 ist sein eigenes Land, Deutschland, mit dafür
verantwortlich, dass Afghanistan nicht zur Ruhe kommt und der Krieg gegen
das Land weitergeht – mit immer wieder neuen Opfern.
Aus fast 25 Jahren Erfahrung heraus hat er nun ein Buch geschrieben, das auf
dem deutschsprachigen Markt seinesgleichen sucht. Quer zu den meisten
Massenmedien hat er eine Fülle von Material zusammengetragen, und er
zeichnet ein realistisches Bild der Lage im Land und der Vergehen und
Verbrechen der derzeitigen Besatzungsmächte. Aber er bleibt dabei nicht
stehen. Christoph Hörstel hat einen soliden Friedensplan entwickelt, der dem
Land einen wirklichen Ausblick bietet. Und das alles in einer Sprache, die jeder
versteht. Dieses Buch ist sehr empfehlenswert.
Christoph R. Hörstel. Sprengsatz Afghanistan. Die Bundeswehr in tödlicher
Mission
Droemer/Knaur, 2007
ISBN-10: 3426781166
ISBN-13: 978-3426781166
Nr.41, 15. Oktober 2007, Seite 1
Minister bestätigt 255 Tumorerkrankungen von
Soldaten im Auslandeinsatz
Beobachter: «Die Zahlen sind 10mal höher»
Mit grosser Verspätung kommt das Drama des Todes von italienischen
Soldaten ans Licht, die an durch Uranmunition verursachten Tumoren
gestorben sind. Es handelt sich um einen Skandal von erschreckendem
Ausmass, der von den kriegführenden Mächten sorgfältig verborgen gehalten
wird. Der Preis an jungem menschlichem Leben ist enorm, vielleicht werden
wir nie wirklich wissen, wie hoch.
rc. Im Verlauf der Anhörungen vor der parlamentarischen
Untersuchungskommission des Senats über DU (abgereichertes Uran) hat der
italienische Verteidigungsminister Arturo Parisi erklärt: «Insgesamt sind 255
Soldaten, die zwischen 1996 und 2006 an Missionen im Balkan, in Afghanistan,
im Irak und in Libanon teilgenommen haben, von Tumorerkrankungen
Dossier Uranwaffen
121
Zeit-Fragen 2007
betroffen. Von diesen sind 37 bereits gestorben.» Parisi versichert, dass beim
Einsatz von Soldaten in «kritischen Gebieten» die Armee «daran ist, jede
vorsorgliche Massnahme zu prüfen. Wir wollen das Phänomen keineswegs
unterschätzen und noch weniger es verbergen.» Der Verteidigungsminister
führt weiter aus, dass Italien «nie Gebrauch von Uranmunition gemacht hat,
und wir nehmen nicht an, dass auf unseren Waffenplätzen andere dies getan
haben, ausser ausländische Benutzer hätten mit unwahren Angaben operiert,
was ich nicht einmal vermuten möchte.»
Ganz anders die Einschätzung des Osservatorio militare. Domenico Leggiero,
Vertreter der Organisation, die sich um die Armeeangehörigen und deren
Familien kümmert, sagt, dass die Angaben des Ministers falsch sind: «Es tut
uns leid, aber so verliert auch Parisi an Glaubwürdigkeit. Wir hatten
Hoffnungen in ihn, aber diese Zahlen sind zu weit weg von der Wahrheit.»
Leggiero erklärt, «andere offizielle Zahlen der Armee mit der fast zehnfachen
Anzahl an Erkrankten und einer dreifachen Zahl von Todesopfern» vorweisen
zu können. Er meint weiter: «Gerade heute findet in Sizilien die Beerdigung
des Carabiniere Giuseppe Bongiovanni statt, der vorgestern an einem Tumor
gestorben ist, den er sich während einer Auslandmission zugezogen hatte.
Wenn man beim Ministerium nachschaut, ist dieser Tote dort nicht
registriert.» •
Quelle: www.repubblica.it vom 9. Oktober 2007
Dossier Uranwaffen
122
Zeit-Fragen 2007
Nr.42, 22. Oktober 2007, Seite 5, Leserbrief
In Bosnien ist die Zahl der Krebskranken in die
Höhe geschnellt
Ich bin eine 37jährige Bosnierin und lebe seit nunmehr 17 Jahren in der
Schweiz.
Im Rahmen meines diesjährigen Ferienaufenthaltes in Bosnien machte ich
erschreckende Beobachtungen, die ich hier in kurzen Worten schildere:
Wie es scheint, ist die Zahl der an Tumoren erkrankten Menschen in meiner
ehemaligen Heimat in den vergangenen Jahren geradezu in die Höhe
geschnellt und hat ein – für den subjektiven Betrachter – beängstigendes
Ausmass angenommen.
Allein in meinem unmittelbaren Umfeld weiss ich von mindestens 10 Personen,
die unlängst an den Folgen eines Tumors starben. Nicht wenige Menschen, die
ich persönlich kenne, leiden an Krebs. Dabei fällt auf, dass eine hohe Zahl der
Erkrankten junge Menschen sind. Manche sind von Mehrfachtumoren betroffen.
Dieses Phänomen ist in meiner ehemaligen Heimat Tagesgespräch. Jeder und
jede weiss von Krebsfällen im eigenen Bekanntenkreis zu berichten. Eine
eigentliche Kanzerophobie macht sich breit. Die Leute trauen sich vor lauter
Angst, auch zu den Betroffenen gehören zu können, gar nicht mehr zum Arzt.
Zu Hause in der Schweiz recherchiere ich im Internet über Wolfram- oder Uranbelastete Munition, die offensichtlich auch während des Jugoslawien-Krieges
zum Einsatz gelangte. Ob meine Ferienbeobachtungen mit den möglichen
Folgen eines solchen Waffeneinsatzes in Zusammenhang stehen, vermag ich
nicht zu beurteilen.
Tatsache ist, dass die von mir geschilderten Beobachtungen den
Begebenheiten vor Ort entsprechen und von der Weltöffentlichkeit zumindest
derzeit – weshalb auch immer – kaum oder gar nicht wahrgenommen werden.
Nelvira Zolic, Chur
Nr.43, 29. Oktober 2007, Seite 6
Professor Siegwart-Horst Günther erhält den
«Nuclear-Free Future Award» 2007
eo. Am 18. Oktober abends am Mozartplatz in Salzburg: Festlich gekleidete
Menschen eilen in die mit Fahnen und Blumen geschmückte Residenz. Eine
Fanfare ertönt, und unter der Schirmherrschaft der Salzburger
Landesregierung begrüsst Claus Biegert, Mitbegründer des «Nuclear-Free
Future Award» die etwa 400 geladenen Festgäste im Carabinieri-Saal der Alten
Residenz.
Seit 1998 wird dieser Preis an Menschen verliehen, die sich vorbildlich für eine
Zukunft ohne Atomwaffen und ohne Atomstrom einsetzen. In drei Kategorien
wird der Preis verliehen: «Widerstand», «Aufklärung» und «Lösungen». In der
Dossier Uranwaffen
123
Zeit-Fragen 2007
Kategorie «Aufklärung» erhielt in diesem Jahr Prof. Dr. Siegwart-Horst Günther
den «Nuclear-Free Future Award». Die Laudatio hielt der Filmemacher und
Journalist Frieder Wagner. In bewegenden Worten schilderte er die Verdienste
und die Arbeit dieses Arztes im Nahen Osten, der dort beliebt und bekannt ist
wie kaum ein anderer Wissenschaftler.
Nach dem Golf-Krieg 1991 hatte Prof. Günther als erster erkannt, dass die
Alliierten in diesem Krieg mit den Urangeschossen eine Munition verwendet
haben, die die Menschen noch lange nach ihrer Anwendung todkrank macht.
In seiner Dankesrede sagte Prof. Günther darum: «Als ich […] entdeckte, dass
die Alliierten Uranmunition eingesetzt hatten, mit all den furchtbaren
Konsequenzen, war ich über diese Ungeheuerlichkeit zutiefst empört. Krieg ist
ja sowieso eine furchtbare Sache, aber der Einsatz dieser Munition und
Bomben aus abgereichertem Uran, [das eine Halbwertszeit von 4,5 Milliarden
Jahren hat und den Gen-Code des Menschen verändert], ist ein menschen- und
umweltverachtendes Kriegsverbrechen.»
Die Gäste in der Alten Salzburger Residenz ehrten Prof. Günther an diesem
Abend mit langanhaltendem Beifall. Die anderen Preisträger waren in der
Kategorie «Widerstand»: Charmeine White Face und die Verteidiger der Black
Hills, USA, in der Katagorie «Lösungen»: Tadatoshi Akiba und die
Bürgermeister für den Frieden, Japan. Der Preis für das Lebenswerk ging an
Freda Meissner-Blau, die Grande Dame der Grünen Österreichs, für ihren
Kampf gegen die Nuklearindustrie, und an Prof. Dr. Dr. Armin Weiss,
Deutschland, ohne den die Anti-AKW-Bewegung hilflos geblieben wäre. •
Dankesrede von Professor Günther
Sehr geehrte Damen und Herren
der Salzburger Landesregierung,
sehr geehrte Preisträgerinnen
und Preisträger,
meine sehr verehrten Damen und Herren
Ich freue mich sehr über diese Auszeichnung und danke besonders den
Mitgliedern der Jury, dass sie sich bei der Vergabe des 10. «Nuclear-Free
Future Award» für mich entschieden haben. Das ist eine grosse Ehre für mich.
Und ich freue mich besonders, dass ich diese Ehrung in dieser wunderbaren
Stadt, in Salzburg, entgegennehmen darf.
Als ich nach dem ersten Golf-Krieg 1991 entdeckte, dass die Alliierten in
diesem Krieg Urangeschosse eingesetzt hatten, mit allen furchtbaren
Konsequenzen, war ich wegen dieser Ungeheuerlichkeit zutiefst empört. Krieg
ist sowieso eine furchtbare Sache, aber der Einsatz dieser Munition und
Bomben aus abgereichertem Uran ist ein menschen- und umweltverachtendes
Kriegsverbrechen.
Sie wissen vielleicht, dass meine Zeit mit Albert Schweitzer mich tief geprägt
hat. Sein Credo «Ehrfurcht vor dem Leben» wurde auch mein Leitmotiv als
Mediziner und Mensch.
Ich danke Ihnen. •
Dossier Uranwaffen
124
Zeit-Fragen 2007
Laudatio von Frieder Wagner
Sehr geehrte Festgäste,
sehr geehrte Preisträgerinnen
und Preisträger,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
lieber Professor Günther –
mein lieber alter Freund
Professor Günther, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht nur ein
Whistle blower, Aufklärer und Mahner. Professor Günther hat seit mehr als
einem halben Jahrhundert leidenden Menschen geholfen: als Arzt, als
engagierter Friedenskämpfer und als Organisator von Solidarität und
humanitärer Hilfe.
Ich selbst habe diesen grossartigen Mann im Februar 2002 kennengelernt.
Damals besuchte ich ihn in St. Peter-Ording, weil ich für das Fernsehen einen
Film über Whistleblower realisieren wollte, also über Menschen, die gegen den
Widerstand von Institutionen und Regierungen über Gefahren für Mensch und
Umwelt berichten und aufklären und sich dabei von niemanden abbringen oder
einschüchtern lassen.
Schon nach der ersten Begegnung mit ihm war mir klargeworden, was
Professor Günther in Sachen Aufklärung über Uranmunition und ihre
schrecklichen Folgen geleistet hat. Er hatte mir Fotos von Neugeborenen mit
schrecklichen Missbildungen gezeigt und erklärt, dass die Väter dieser Kinder
alle 1991 an der schweren Panzerschlacht südlich von Basra teilgenommen
hatten, bei der die Alliierten tonnenweise Urangeschosse eingesetzt hatten.
Die Ungeheuerlichkeit, die Professor Gün ther aufgedeckt hat, brachte ihm viel
Ärger ein, besonders in der Bundesrepublik Deutschland, wo er in den 90er
Jahren geradezu diskreditiert und verfolgt wurde.
Wie beliebt und bekannt er dagegen im Ausland ist, besonders im Nahen
Osten, konnte ich dann bei unseren Dreharbeiten mit ihm in Jordanien und im
Irak erfahren.
Schon am Flughafen von Amman, wo alle Passagiere wegen der nötigen Visa
anstehen mussten, wurde er höflich und ehrerbietig aus der Schlange
herausgewunken, man geleitete ihn zu einem kleinen Tisch, bot ihm einen
bequemen Stuhl an, brachte ihm Tee und Gebäck, während wir, die
Normalsterblichen, fast eine Stunde Schlange stehen mussten, bis wir unsere
Visa hatten. In der Zeit war Professor Günthers Pass schon längst von einem
zuvorkommenden Zollbeamten in aller Eile mit dem nötigen Visum versehen
worden.
Und später, im Irak, im Kinderkrankenhaus von Bagdad, wurde Professor
Günther wie ein alter Freund von dem Direktor des Krankenhauses bei der
Begrüssung umarmt, wobei dem Direktor vor Freude und Rührung über das
unerwartete Wiedersehen die Tränen in den Augen standen.
Später bei einer Visite in diesem Krankenhaus, bei der wir für den Fernsehfilm
drehen wollten, erlebten wir eine kleine Überraschung. Der Direktor des
Krankenhauses konnte uns aus Termingründen nicht begleiten und hatte uns
einen 28jährigen Assistenzarzt zur Seite gestellt. Und dieser junge Arzt erzählte
uns stolz, dass er bei seiner Ausbildung gelernt hat, dass 1991 ein älterer Arzt
Dossier Uranwaffen
125
Zeit-Fragen 2007
aus Deutschland an diesem Krankenhaus gewesen sei, der die Ärzte schon
damals über die schrecklichen Folgen der Uranmunition aufgeklärt hatte. Bei
dieser Erzählung hörte Professor Günther leise lächelnd zu und amüsierte sich
später köstlich, weil der junge Assistenzarzt gar nicht gemerkt hatte, dass er,
Professor Günther, dieser «ältere Arzt aus Deutschland» gewesen war, von
dem der junge Mediziner so stolz berichtet hatte.
Damals, 1991, meine Damen und Herren, war Professor Günther fast 67 Jahre
alt, also in einem Alter, in dem andere längst ihre wohlverdiente Rente
geniessen. Nicht so dieser rastlose Arzt.
Er begann zu dieser Zeit, dieses damals noch kaum bekannte Kriegsverbrechen
«Uranmunition», das die ganze Menschheit bedroht, publikzumachen. Eine
unbequeme Wahrheit, die die Alliierten dann noch lange versuchten
systematisch zu leugnen und zu verschweigen – zum Teil bis heute.
Als wir Ende September 2003 in den Irak einreisten, hatten die Uno und fast
alle westlichen Botschaftsangehörigen den Irak längst wegen der instabilen
Lage verlassen, und bei einer der langen Autofahrten für unsere Dreharbeiten
im Irak, ich glaube, es war auf der Strecke von Bagdad nach Basra, fragte ich
den Professor, wieso er in diesem hohen Alter, er war da ja inzwischen 79 Jahre
alt, noch einmal eine so beschwerliche und auch nicht ungefährliche Reise in
den Irak auf sich genommen hat? Und was hat Professor Günther mir
geantwortet? Nun, er sagte mir gelassen, fast heiter: «Wissen Sie, mein junger
Freund, ich bin Arzt und meinem hypokratischen Eid verpflichtet, und dieser
Eid zu helfen kennt keine Altersgrenzen!»
Das, meine Damen und Herren, war eine typische Professor-Günther-Antwort,
und sie ist kennzeichnend für diesen wunderbaren Mann. Deshalb bin ich sehr
froh über die Entscheidung der Jury, in diesem Jahr den «Nuclear-Free Future
Award» in der Kategorie «Aufklärung» diesem Mann zu geben. Das war eine
kluge und gute Entscheidung.
Ich danke Ihnen. •
Hunger und Not der Kinder im Irak
Professor Siegwart-Horst Günther arbeitete und lehrte über 40 Jahre als Arzt
in Ländern des Nahen Ostens, vor allem auch im Irak. Nach dem ersten und
nach dem zweiten Golfkrieg der USA besuchte er das Land, weil ihm das
Schicksal der Menschen dort keine Ruhe liess. Als erster brachte er
schliesslich an den Tag, was die sogenannte DU-Munition, welche die
amerikanische Kriegsallianz in beiden Kriegen tonnenweise auf das Land
abwarf, neben allen anderen grausamen Folgen des Krieges an
katastrophalen Auswirkungen auf die Bevölkerung und vor allem für die
Kinder als deren schwächster Teil mit sich brachte. Der im Verlag Zeit-Fragen
erschienene Bildband dokumentiert, was die beiden heissen Kriege, der
zweite nach 12 Jahren tödlichen Embargos der Zivilbevölkerung dieses
gemarterten Landes auflud. Professor Günther appelliert damit an das
Gewissen und das Mitgefühl der Welt, insbesondere Europas, hinzuschauen
und im Sinne der Humanität auf eine Beendigung solcher Greuel hinzuwirken.
69 Seiten, 12 Schwarzweissund 40 Farbphotos.
Dossier Uranwaffen
126
Zeit-Fragen 2007
Verlag Zeit-Fragen 2007.
Nr.45, 12. November 2007, Seite 1
18 starke radioaktive Herde im Irak nachgewiesen
Experten haben im Irak 18 Herde mit starker radioaktiver Strahlung
nachgewiesen. Das teilte ein Sprecher des irakischen Umweltministeriums der
Nachrichtenagentur Nowosti Iraka am 17. Oktober mit.
Die betroffenen Gebiete seien während der amerikanischen Militäroffensive
von 2003 verseucht worden. «Das Ministerium beobachtet regelmässig die
Gebiete, gegen die amerikanische Bombenangriffe geflogen wurden, und findet
immer neue Herde mit radioaktiver Strahlung […]. Wir kontrollieren alle
Regionen, einschliesslich der Hauptstadt Bagdad, auf die Munition mit
abgereichertem Uran hätte abgeworfen werden können. Das Ziel besteht darin,
eine Ausbreitung der Strahlung auf umliegende Territorien nicht zuzulassen»,
sagte der Sprecher.
Die Bevölkerung in den Gebieten, die besonders stark verstrahlt seien, werde
demnächst umgesiedelt.
Nach Angaben unabhängiger internationaler Organisationen hatten die
Amerikaner 2003 Bomben mit knapp 2000 Tonnen abgereichertem Uran auf
irakisches Territorium abgeworfen. In manchen Regionen übersteigt die
Strahlung die natürlichen Werte mehrere tausend Mal.
Quelle: RIA Novosti vom 17.10.2007
Vgl. zum Thema «Uranverseuchung und Strahlenschäden» die letzten 4 Artikel
dieser Ausgabe
Nr.45, 12. November 2007, Seite 9
Völkerrecht und moderner Krieg
Das veränderte Schlachtfeld und Depleted Uranium
von H. Rosalie Bertell, Ph. D., G.N.S.H., Kanada
zf. Bis in die ersten Monate des Jahres 2001 fand in den europäischen Medien
eine relativ intensive Auseinandersetzung zu den Folgen des sogenannten
abgereicherten Urans, Depleted Uranium oder DU statt. Zahlreiche Soldaten
waren nach Einsätzen, zum Beispiel im ehemaligen Jugoslawien, an Krebs
erkrankt, Italien hatte unmittelbar nach dem Einsatz gleich sechs
Leukämiefälle unter seinen Soldaten. Etwa im Januar endete diese Diskussion
unvermittelt und nachhaltig. Kaum eine Zeitung fasst das Thema noch an.
Dossier Uranwaffen
127
Zeit-Fragen 2007
Die Nato hatte entsprechend Stellung genommen – man wollte diese
Diskussion nicht. Die Wirkung von DU wurde heruntergespielt, die
unübersehbaren Folgen bei den Soldaten und der betroffenen Bevölkerung
nach Möglichkeit verschwiegen oder mit seltsamen Erklärungen – wie
Leukämie-Cluster – abgetan. Die folgende Stellungnahme der Heritage
Foundation, eines neokonservativen Think tanks, zeigt, dass damals heftige
Diskussionen innerhalb der Nato zu diesem Thema stattgefunden haben
müssen:
«Der internationale Aufschrei über die Behauptungen, wonach der Einsatz von
Depleted Uranium während der Intervention in Kosovo bei 24 [!] Mitgliedern
der Peacekeeping-Truppe Leukämie verursacht habe, ist unbegründet.
Zahlreiche Studien zu abgereichertem Uran – dem Nebenprodukt des
Prozesses der Brennstoffgewinnung für Atomreaktoren und Uranwaffen –
haben keine Verbindung zwischen dessen Einsatz durch das Militär und
irgendeiner Form von Krebs oder anderen Gesundheitsproblemen gefunden.
Die Kontroverse, die ausbrach, nachdem man bei den Soldaten Leukämie
festgestellt hatte, droht die Struktur der Allianz in Europa zu unterminieren. Es
ist zwingend geboten, dass die Fakten über abgereichertes Uran in der Debatte
nicht untergehen.»
Seit geraumer Zeit steigen jedoch die Krebsraten in den von der Kriegsallianz
zerstörten Ländern: in Afghanistan, im Irak, in Bosnien, Serbien, Montenegro,
Kosovo, Somalia. Die Fakten können langsam nicht mehr unterdrückt werden.
Die Gesundheitsschäden und Krebsraten müssen mehr und mehr anerkannt
werden:
– So bestätigte das britische Verteidigungsministerium kürzlich die Existenz
des sogenannten Golf-Kriegs-Syndroms bei Veteranen der Golf-Kriege von
1991 und 2003.
– Die italienische Regierung gab bekannt, dass mittlerweile mehr als 300
Soldaten an Leukämie erkrankt sind.
– Das irakische Umweltministerium erklärte verschiedene Orte im Irak als
dermassen verstrahlt, dass Menschen dort nicht mehr leben können.
– In Serbien und Kosovo haben die Krebsraten in kurzer Zeit massiv
zugenommen.
Aber noch immer wagt keine Partei, das heisse Eisen wirklich aufzugreifen. Die
amerikanischen Kriegstreiber phantasieren noch immer vom «führbaren»
Atomkrieg, obwohl politische Schwergewichte ihrer eigenen Administrationen
vor derartigem Wahnsinn warnen. Eine Diskussion um die Folgen jeder Form
von Uranwaffen stört offenbar die Pläne der Kriegsallianz und der gesamten
mit ihr verbandelten Industrie in verschiedenen Ländern.
Aber die notleidenden Menschen in den kriegsversehrten Ländern, die dort
auftretenden Häufungen schwerer Folgeerscheinungen, insbesondere von
Krebs, genetischen Schädigungen und Entwicklungsstörungen bei Mensch und
Tier sind mittlerweile unübersehbar, die heimkehrenden Soldaten, welche
unter den gleichen Gesundheitsproblemen leiden, und ihre Angehörigen
werden nicht alle einfach Ruhe geben. Sie alle haben ein Recht auf ehrliche
Information, echte medizinische Hilfe und Betreuung. Es ist das Verdienst
verschiedener Ärzte und Wissenschafter, engagierter Medienschaffender und
Bürger, diesen Fragen minutiös nachgegangen zu sein, sie dokumentiert zu
haben und weiterzuforschen, um diesem Unrecht ein Ende zu setzen und den
Betroffenen wenn möglich zu helfen.
Dossier Uranwaffen
128
Zeit-Fragen 2007
Abgesehen von der verwerflichen politisch-militärischen Seite dieses Problems
müssen daher auch die humanitären und medizinischen Aspekte dieses
Problemfeldes beleuchtet werden. Die folgenden Artikel sollen dazu einen
Beitrag leisten, damit im Sinne der Verhütung weiteren Leids die
Konsequenzen gezogen werden können. Jedes weitere Hinauszögern dieser
Auseinandersetzung hat weitere, meist schwere und oft tödliche Erkrankungen
zur Folge.
Was hat sich auf dem Schlachtfeld seit 1991 verändert?
1. Es hat eine extreme Veränderung hinsichtlich der Hitzeentwicklung auf dem
Schlachtfeld gegeben, bei den Bränden durch bunkerbrechende Geschosse,
Lenkwaffen und andere Einwirkungen. Zum Beispiel brennt TNT bei etwa 575 °
C, während Depleted Uranium (DU) bei 3000 bis 5000 ° C brennt. Diese neue
intensive Hitze produziert sogenannte Metalldämpfe – eine Aerosolmischung
des Urans plus die aerosolisierten Metalle des Zielobjekts. Alle Metalle, sei es
Eisen, Stahl, Aluminium, Nickel usw., werden bei der extremen Temperatur
brennenden Urans aerosolisiert. Dies war nicht so bei TNT-Munition.
2. Wenn die Aerosolmischung in der Umgebungsluft abkühlt, produziert sie
inhalierbare Partikel mit einem aerodynamischen Durchmesser von
durchschnittlich 5 nm. Die Partikel sind keramisch. Sie können unter einem
elektronischen Mikroskop als glatte, ovale Partikel identifiziert werden, von
denen die grösseren Partikel hohl sind. Keramische Nanopartikel fand man in
allen Geweben der Veteranen, die man in Italien nach dem Kosovo-Krieg
untersucht hat. Keramische Partikel lösen sich in der Körperflüssigkeit kaum
auf. Wenn sie inhaliert werden, kann daher die Zeitdauer, in der sie im
Körperinneren bleiben, signifikant länger sein als bei nicht keramischen Uranoder anderen Metallfragmenten. Beachten Sie: Der grösste Teil der Forschung
zum Uran basiert auf Staub aus Uranminen, der nicht keramisch ist und dessen
Partikel einen durchschnittlichen aerodynamischen Durchmesser von 5 µm
haben, annähernd 1000mal grösser als die Nanopartikel aus
Uranmetallaerosol. Die Forschung über Uranminenstaub ist unerheblich für das
Verständnis der Toxizität der keramischen Nanopartikel im menschlichen
Körper.
3. Die Strahlungsdosis hängt für einen ihr ausgesetzten Menschen von der
Stärke der Quelle, der Entfernung von der Quelle und der Zeitdauer, während
der er ihr ausgesetzt ist, ab. Dies versteht man gut beim Vergleich mit einem
Sonnenbrand. Dessen Stärke hängt ab von der Tageszeit und der zeitlichen
Dauer, die man an der Sonne verbracht hat! Obschon keramisches DU etwas
weniger Radioaktivität hat als natürliches Uran, führt der direkte Kontakt mit
empfindlichem Gewebe und eine signifikant längere Strahlungszeit im Körper
zur Erhöhung der Dosis auf das Gewebe.
4. Partikel, die kleiner als 2,5 µm sind, können durch das Atemsystem und das
tiefe Lungengewebe in den Rest des Körpers übertreten. Sie sind mit blossem
Auge unsichtbar, daher ist die Frage an die Veteranen, ob sie Uran- oder
anderen Metallsplittern ausgesetzt waren, eine irreführende Strategie, mit
welcher der betroffene Personenkreis nicht identifiziert werden kann.
Nanopartikel haben eine sehr kleine Masse und verbleiben lange in der Luft
oder legen mit dem Wind weite Entfernungen zurück. Im ersten Golf-Krieg
fanden die Kämpfe im südlichen Irak und im nördlichen Kuwait statt, aber DUPartikel wurden in der Erde von Bagdad festgestellt. DU-Partikel kommen in der
Natur nicht vor. Die Luft des ganzen Schlachtfeldes musste mit keramischen
Schwermetalldämpfen kontaminiert gewesen sein, mit eingeschlossen das
Dossier Uranwaffen
129
Zeit-Fragen 2007
aerosolisierte DU.
5. Nanopartikel durchdringen leicht die Lungen-Blutschranke, können wie
Mikronährmittel in menschliche Zellen eintreten und passieren die BlutGehirnschranke, wo sie neurologische Schäden verursachen. Sie sind in der
männlichen Samenflüssigkeit gefunden worden und können die Plazenta
durchqueren und einen sich entwickelnden Embryo oder Fötus beschädigen.
Sie können nicht durch das Nierengewebe ausgefiltert werden. Sie haben somit
eine sehr lange Verweildauer im Inneren des menschlichen Körpers.
6. Uran-Nanopartikel sind radioaktiv und können so die mitochondriale DNS im
Inneren des Energiegenerators der Zelle angreifen. Mitochondriale DNS ist
durch Radioaktivität 16mal verwundbarer als die DNS des Zellkerns, da sie im
Gegensatz zu dieser keine Histone (schützende Eiweissstruktur) besitzt. So
können durch den Ausfall der von mitochondrialer DNS kodierten Glutathionund Superoxiddismutase die Reparaturmechanismen des Körpers untauglich
werden. Radioaktive Beschädigung der Mitochondrien kann Herz, Gehirn, Leber
und Nieren schweren Schaden zufügen und zu verschiedenen Krebsformen, zu
Erbkrankheiten und zu Missbildungen bei den Nachkommen führen.
7. Nanopartikel von Schwermetallen (einschliesslich Uran, was auch ein
Schwermetall ist) erzeugen unterschiedliche Grade von Vergiftungen, darunter
Gewichtsverlust, Händezittern, Muskelschwäche, Lähmung,
Unterleibsschmerzen, Schwindel, Erbrechen und Durchfall, Kopfschmerzen,
Schwäche, Sehstörungen, Herzjagen, hohen Blutdruck bei Erwachsenen und potentielle Geburtsschäden, geistige Zurückgebliebenheit, Autismus,
Psychosen, Allergien, Leseschwäche und Hyperaktivität bei den Nachkommen.
Warum wird dieses DU-Problem nicht umfassend verstanden?
8. Die grundlegenden Probleme, die ein öffentliches Verständnis dieser neuen
Situation verhindern, schliessen unsere akademischen Spezialisierungen und
die Neuartigkeit der Verseuchung ein. Die Toxikologie hat Schwermetalle seit
über einem Jahrhundert studiert, aber nicht die keramischen
Schwermetallpartikel in Nanometergrösse. Zudem schliessen Kurse in
Toxikologie an den Universitäten nicht das Studium radioaktiver Metalle wie
Uran mit ein, da diese Disziplin dem Kernphysiker überlassen wird. Die
Berechnung der radioaktiven Dosis ist die Aufgabe von Physikern, die das
Inhalationsmodell, das von der ICRP (International Commission on Radiological
Protection) vorgeschlagen wird, benutzen.
9. Die ICRP ist eine Nicht-Regierungs-Organisation, die ihre Mitglieder selbst
einsetzt und sich selbst aufrechterhält, in der alle Entscheidungen durch ihr
13köpfiges Hauptkomitee getroffen werden. Als die Vereinten Nationen die
IAEA (International Atomic Energy Agency) ins Leben rief und sie damit
betraute, Standards für den Schutz gegen Radioaktivität aufzustellen, wandte
sich die IAEA an die ICRP statt an die WHO (Weltgesundheitsorganisation), um
Empfehlungen zu formulieren. Die IAEA schloss rechtliche «Memo of
Understanding» (MoU) – Übereinkommen mit den anderen Unterorganisationen
der Uno, miteingeschlossen die WHO – ab, wodurch sie federführend bezüglich
Standards für den Schutz gegen Radioaktivität und die Einschätzung des
Schadens nach jedem Unfall geworden ist. Die ICRP hat eine mathematische
Methodologie vorgeschrieben, die bestimmt, wie man die Dosis sowie die Zahl
der tödlichen Krebsarten, die für jede Dosis vorausgesagt werden, berechnet.
Diese Methodologie nimmt ein normal funktionierendes Reparatursystem der
Körperzellen an und benutzt die beobachteten Eigenschaften des
Uranminenstaubs. Sie ist für die Berechnung der Dosis ins Körperinnere
Dossier Uranwaffen
130
Zeit-Fragen 2007
gelangender Strahlungsquellen vom ECRC (European Committee on Radiation
Risk) und der offiziellen Radioaktivitätsschutz-Agentur in Frankreich öffentlich
als unbrauchbar eingeschätzt worden.
10. Dieses mathematische Modell für den Verseuchungsgrad der Bevölkerung
berücksichtigt weder die Altersverteilung oder den Gesundheitsstatus der
kontaminierten Personen noch die anderen giftigen Wirkungen, die zusätzlich
zur Radioaktivität mit dem Uranstaub einhergehen. Es unterscheidet auch nicht
zwischen einem Partikel von 2 Mikrogramm (µg) einerseits und 40 000 bis 60
000 Nanopartikeln mit einer Gesamtmasse von 2 µg andererseits. Wenn die
zwei Mikrogramm DU zu 40 000 bis 60 000 Nanopartikeln aerosolisiert werden,
geben sie eine ganz andere Dosis an die Person ab, die sie einatmet. Diese
Dosis ist mindestens 36mal höher als die Dosis des intakten DU-Partikels von 2
µg. Die Zunahme wird durch die vergrösserte Oberfläche pro Volumen bei
gleicher Masse verursacht. Die kleineren Partikel werden mit einer annähernd
3,6mal grösseren Oberfläche des Gewebes Kontakt haben, und die vom Uran
emittierten Alpha-Partikel werden einen 10mal effektiveren Schaden am
Gewebe verursachen als in dem Fall, wenn sie aus einem grösseren intakten
Partikel stammen. Dies ist so, weil sie direkt von der Oberfläche emittiert und
nicht durch den Partikel selbst abgebremst werden.
11. Die WHO, die UNSCEAR (United Nations Scientific Committee on Atomic
Radiation) und die UNEP (United Nations Environmental Program) sind von den
oben erwähnten MoUs gezwungen worden, die Methodologie und
Empfehlungen der IAEA (im Grunde ICRP) zu benutzen. Es gibt keine
Unabhängigkeit bei diesen Organisationen. Da alle die ICRP-Methodologie und Risikofaktoren benutzen, kommen alle zu denselben Schlüssen.
12. In der Hierarchie der Organisationen innerhalb der Vereinten Nationen
berichtet die IAEA direkt an den UN-Sicherheitsrat, während die WHO an die
Ecosoc berichtet, welche wiederum an die UN-Generalversammlung
rapportiert. Dies gibt der IAEA effektiv den Vorrang, speziell in
Angelegenheiten, die mit dem Militär verbunden sind.
Vorschläge für einige Gegenmassnahmen
13. Das Mandat der IAEA auf die Verhinderung der Verbreitung von
Nuklearwaffen reduzieren [Das Mandat, den Gebrauch nuklearer Energie zu
fördern, eliminieren].
14. Eine unabhängige Internationale Organisation für nachhaltige Energie
einsetzen.
15. Die WHO damit beauftragen, Sicherheitsstandards zu empfehlen und dafür
verantwortlich zu sein, die Gesundheitsschäden einzuschätzen, die aus der
Verseuchung mit ionisierender und nicht ionisierender Strahlung entstehen,
zusammen mit allen anderen bereits bekannten gefährlichen Belastungen.
16. Den Status der WHO im System der Vereinten Nationen erhöhen durch das
Mandat an die WHO, direkt dem Sicherheitsrat zu berichten. Der Schutz der
Gesundheit ist lebenswichtig für die menschliche, nationale und internationale
Sicherheit.
17. Die Unabhängigkeit der verschiedenen UN-Agenturen
(Unterorganisationen) und die Transparenz und Professionalität der
Ernennungen für solche Organisationen sichern. Die meisten werden heute
durch die Mitgliederregierungen bestimmt, welche jedoch politisch verzerrte
Gründe für ihre Wahl haben können.
18. Wissenschaftlich fundierten Publikationen Beachtung schenken, auch wenn
die Autoren von ihren eigenen Regierungen ignoriert werden.
Dossier Uranwaffen
131
Zeit-Fragen 2007
19. Alle Kriege ächten, da sie zunehmend giftig, signifikant destruktiv für die
Biosphäre und den Gen-Pool und deshalb Verbrechen gegen die Menschheit
sind. •
Vortrag, gehalten am XV. Kongress «Mut zur Ethik» zum Thema «Völker und Kulturen:
Einander achten, einander beistehen, voneinander lernen»
vom 31.8. bis 2.9.2007 in Feldkirch/Vorarlberg.
(Übersetzung Zeit-Fragen)
Nr.45, 12. November 2007, Seite 10 bis 12
Betrachtungen über die Radioaktivität von Uran in
Phosphatdüngern
Korrigierte Version als pdf-Datei
von Inge Schmitz-Feuerhake1 und Rosalie Bertell2
zf. Der Artikel von Inge Schmitz-Feuerhake und Rosalie Bertell greift
verschiedene Fragen in Zusammenhang mit der Wirkung chronischer
Strahlenbelastung in niedrigen Dosen auf, die Erbkrankheiten, Tumoren und
Entwicklungsstörungen verursachen kann. Sie zeigen, dass nicht nur eine
akute grosse Strahlenbelastung, wie der Bombenabwurf in Hiroshima und
Nagasaki, folgenschwere Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hat.
Die dort gewonnenen Erkenntnisse und die seither entwickelten Masse, mit
welchen eine mögliche Schädigung durch radioaktive Strahlung angegeben
werden, müssen angesichts dieser Erkenntnisse neu bestimmt, und die
Zusammenhänge der sogenannten Dosis-Effekt-Zusammenhänge neu beurteilt
werden. So wurde in verschiedenen Studien festgestellt, dass eine chronische
Strahlenbelastung von niedriger Dosis zu ganz anderen, aber nicht minder
gravierenden, Schäden führen kann. Ein zentraler Befund ist etwa, dass
chronische Alphastrahlung, die in verschiedenen Studien als vernachlässigbar
beiseite geschoben wird, gravierende Auswirkungen auf das blutbildende
Gewebe hat. Wirken diese Faktoren über die Mutter auf das werdende Kind, so
erweisen sich die Schädigungen als noch schwerwiegender. Diese Befunde
müssen auch bei der Beurteilung der Zunahme von Leukämiefällen unter
Kindern, die in der Nähe von Atomeinrichtungen aufgetreten sind, dringend mit
berücksichtigt werden.
Zu den zivilisatorisch bedingten Strahlenexpositionen durch Radioaktivität
gehört der Beitrag von Uran und seinen Folgeprodukten in Phosphatdüngern,
der seit langem beachtet, jedoch für unbedeutend gehalten wird (UNSCEAR
1982). Er ergibt sich daraus, dass in den vorkommenden phosphathaltigen
Mineralien, die für die Verwendung als Dünger abgebaut werden, auch
natürlich vorkommende Strahler vorhanden sind. Da in den letzten Jahren
durch den Einsatz von Waffen mit abgereichertem Uran als besonders
durchschlagkräftiges Hüllmaterial eine Debatte über die schädlichen
Wirkungen dieses Elementes entstanden ist, wurde auch die Frage nach den
möglichen negativen Folgen der Phosphatdüngung neu gestellt.
Dossier Uranwaffen
132
Zeit-Fragen 2007
Nach allgemeiner Auffassung können ionisierende Strahlen bei niedriger Dosis
Erbkrankheiten und Tumoren sowie nach Exposition im Mutterleib
Entwicklungsstörungen erzeugen. Diese Effekte werden in den Geweben durch
Zellmutation oder Zerstörung von Zellen ausgelöst. Aus den
Dosiswirkungsrelationen, die von internationalen Expertenkomitees bestimmt
wurden, leitet sich ab, dass die natürliche Umgebungsstrahlung zu weniger als
1% der vorkommenden malignen und genetischen Erkrankungen beiträgt.
Natürliches Uran besteht hauptsächlich aus dem Isotop 238, das Alphastrahlen
mit 12 Bq pro mg aussendet. Dies ist die niedrigste spezifische Aktivität von
allen Uranisotopen. Daher wird üblicherweise angenommen, dass die
Strahleneffekte von Natururan in niedrigen Konzentrationen vernachlässigbar
sind gegenüber seiner Toxizität als Schwermetall. Abgereichertes Uran (DU),
das für Waffen verwendet wird, hat eine noch niedrigere spezifische Aktivität
als Natururan, und es kann kein Zweifel bestehen, dass DU schwere
Gesundheitsschäden in den Bevölkerungen der betroffenen Gebiete und bei
Militärpersonen hervorgerufen hat (Bertell 2006). Seitdem diese Effekte
bekannt wurden, gibt es neue Diskussionen über die radiologischen Folgen des
Materials.
Experimente an Zellkulturen haben gezeigt, dass durch DU erzeugbare
Chromosomenaberrationen nicht durch die Schwermetalleigenschaften
erklärbar sind, sondern als Strahleneffekt angesehen werden müssen (Miller u.
a. 2002). Die Bedingungen im Fall der Exposition durch natürliches Uran, das
durch Düngung im Boden angereichert wird, sind natürlich andere als bei der
Aufnahme von DU. Chromosomenaberrationen, die im Blut von Golf- und
Balkan-Kriegsveteranen festgestellt wurden (Schröder u. a. 2003), zeigen
jedoch, dass die herkömmliche Methodik zur Bestimmung von Dosis und
Dosiswirkungsbeziehungen für Uran fraglich ist. Dizentrische Chromosomen
[mit 2 statt nur 1 Zellkern] in Lymphozyten sind so gut wie ausschliesslich
durch Strahlen induzierbar, und ihre Verteilung auf die Zellen ist ein
verlässlicher Indikator für einen Beitrag durch Alphastrahlung. Dadurch erweist
sich der in den Veteranen gefundene Effekt als Widerspruch zu den
Vorhersagen anhand der durch physikalische Simulation abgeleiteten Dosis.
Dosisbestimmung für inkorporierte Radioaktivität
Das Isotop Uran 238 ist die Mutter einer natürlichen Zerfallsreihe (Tabelle 4).
Natururan – und daher auch das Uran in Phosphatdüngern – enthält ebenfalls
das 234U im radioaktiven Gleichgewicht, das heisst seine Zerfallsrate in Bq ist
gleich mit der von 238U. Beide senden Alphateilchen aus, die eine doppelte
Ladung tragen und mit Atomkernen von Helium identisch sind. Ihre Energie
beträgt etwa 4,5 MeV (nur wenige eV sind erforderlich, um ein Molekül zu
ionisieren oder eine Molekularbindung zu zerstören). Diese kinetische Energie
wird in Materie schnell abgebremst. Die Reichweite der Alphastrahlen in
Wasser (Gewebe) beträgt nur etwa 40 μm.
Die Dosis in einem Gewebe, die zur Beurteilung der biologischen Wirkung
dienen soll, ist physikalisch eine absorbierte Energie pro Gewebemasse in Joule
pro kg («Energiedosis»). Da Alphastrahlung bei gleicher Energiedosis eine
höhere biologische Wirkung hat als die Referenzstrahlung (Röntgenstrahlen
von 200 keV), wird die Energiedosis mit einem Wichtungsfaktor 20
beaufschlagt. Die gewichtete Energiedosis heisst «Äquivalentdosis» und wird in
der Einheit Sv (Sievert) angegeben.
Diese Dosisdefinition liefert offensichtlich eine sehr vereinfachte Grundlage zur
Beurteilung der Menge von erzeugten Mutationen und anderer Folgen, weil
Dossier Uranwaffen
133
Zeit-Fragen 2007
dabei die absorbierte Energie der Alphastrahlen über das ganze Organ oder
Gewebe gemittelt wird, in dem sich der radioaktive Strahler befindet. In der
Realität wird die Alphaenergie innerhalb eines sehr kleinen Bereichs des
umgebenden Gewebes absorbiert und bewirkt mikrometrisch eine hohe Dosis.
Oder sie wirkt innerhalb des Blutgefässes, in dem das Radionuklid transportiert
wird. Dadurch kann ein gutartiger Tumor im Blutgefäss ausgelöst werden, um
den sich Cholesterinplaques bilden, die wiederum Herzinfarkte und
Schlaganfälle bewirken. Ferner verursacht die Alphastrahlung einen Abbau von
SOD, welches ein Reparaturenzym für freie Radikale ist (Viglino u. a. 1986).
Um die absorbierte Energie im Falle inkorporierter Aktivität zu bestimmen,
muss sie anhand der eingebrachten Menge des spezifischen Nuklids in das
betreffende Organ oder Gewebe und der sich dort ändernden Konzentration
integriert werden. Die Internationale Strahlenschutzkommission ICRP hat für
jedes Radionuklid Dosisfaktoren in Sv pro Bq abgeleitet, wobei eine einmalige
Aufnahme in Bq durch Inhalation oder Ingestion angenommen wird. Um dieses
zu ermöglichen, wird der menschliche Körper durch altersspezifische Modelle
simuliert, wobei die relevanten Organe und Gewebe durch berechenbare
geometrische Strukturen nachgebildet werden.
Im Fall der Ingestion passiert die Radioaktivität den Magen und gelangt über
den Dünndarm teilweise in das Blut. Die Blutaktivität wird zu Organen und
Geweben transportiert und dort teils abgelagert, teils ausgeschieden. Der
Resorptionsfaktor f1 gibt an, welcher Anteil der Dünndarmaktivität in das Blut
übergeht, und ist eine sehr bedeutsame Grösse in der Dosimetrie, da er
proportional zu den Organdosen ist, ausser für den Darm und die anderen
Exkretionsorgane. F1 und Eintrag in die Organe hängen natürlich von der
Löslichkeit des radioaktiven Materials ab, das heisst der chemischen
Verbindung und der physikalischen Form, ferner vom Stoffwechsel des
betreffenden Individuums. Der Metabolismus von Uran, das in das Blutplasma
gelangt ist, wird durch eine Modifikation des sog. Erdalkalimodells der ICRP
simuliert, die Kompartimente sind in Abb.1 dargestellt (ICRP 1995).
Die Dosisfaktoren für 238U (Tabelle 1) sind erheblich niedriger im Vergleich zu
anderen natürlichen und künstlichen Aktiniden, die Alphastrahlen aussenden
(zum Beispiel 228Th, 226Ra, 239Pu) und dem 238U-Zerfallsprodukt 210Pb.
Dies ist zum Teil durch den niedrigen Resorptionsfaktor gegeben, der zu 2%
angenommen wird, ausser für Kinder unter 1 Jahr, wo er 4% betragen soll. Die
Dosisfaktoren für die natürlichen Isotope 234U und 235U sind annähernd gleich
wie die in Tabelle 1.
Obwohl die Dosis von einer grossen Anzahl von materiellen und funktionellen
Parametern abhängt, die alle grosse Variationen aufweisen, werden die
Dosisfaktoren der ICRP üblicherweise wie eine Art Naturkonstante benutzt. Sie
werden ohne Vertrauensbereiche angegeben, obwohl sie in Wahrheit
ausserordentlich ungenau sind (Fairlie 2005; Leggett 2001; Harrison u. a.
2001). Es wird oft behauptet, dass die Dosisfaktoren der ICRP «konservativ»
sind. Das würde bedeuten, dass nahezu alle Konstellationen innerhalb des
angegebenen Wertes erfasst sind. Die Modellierung beruht jedoch auf den
häufigsten Werten, die für die jeweiligen Parameter gefunden wurden, und
erzeugt somit eine Art von Mittelwert mit unbekannten Fehlergrenzen.
Ein anderes Problem ist die Aufstockung der Dosis bei chronischer Exposition
wie im Fall von Uran in der Umgebung (Fisenne u. a. 1988; Arruda-Neto u. a.
2004; Paquet u. a. 2006). Die ICRP-Dosisfaktoren wurden für akute, das heisst
kurzzeitige Aktivitätszufuhr abgeleitet. Rattenversuche haben jedoch gezeigt,
dass sich bei einer permanenten Zufuhr von Uran die biokinetischen Parameter
Dossier Uranwaffen
134
Zeit-Fragen 2007
im Vergleich dazu ändern können. Eine Anreicherung von Uran wurde zum
Beispiel im Gehirn und in der Samenflüssigkeit gefunden, die in dem ICRPModell (Abb. 1) nicht vorkommen.
Dosimetrie für frühkindliche Stadien
Die frühen Entwicklungsstadien gelten als die empfindlichsten für Strahlung. Es
ist ein generelles Problem, diese durch physikalische Modelle zu simulieren,
weil sie im Vergleich zur Reichweite der ionisierenden Teilchen klein sind und
sich durch Wachstum und Differenzierung rasch verändern. Hinzu kommt, dass
weitgehende Unkenntnis über den Stoffwechsel der Radionuklide im MutterKind-System und in den fötalen Geweben besteht (NCRP 1998).
Die Dosisfaktoren für die Nachkommen (Embryo, Fötus und Neugeborenes)
werden in bezug auf die inkorporierte Radioaktivität der Mutter angegeben
(ICRP 2001). Ausser der Effektivdosis wird die Dosis für das Gehirn abgeleitet
auf Grund der Erfahrungen in Hiroshima und Nagasaki, wo gefunden wurde,
dass das zentrale Nervensystem von der 8. bis 15. Woche höchst
strahlenempfindlich ist. Die Dosisfaktoren werden für einmalige Aufnahme in
verschiedenen Stadien der Inkorporation und auch für chronische Zufuhr wie
folgt bestimmt:
1. Die Dosis des Embryos von der Konzeption bis zum Ende der 8. Woche
wird mit der des mütterlichen Uterus gleichgesetzt.
2. Für den Fötus – von der 9. Woche bis zur Geburt – wird die Dosis in
gleicher Weise durch biometrische und biokinetische Modellierung abgeleitet
wie bei Kindern und Erwachsenen. Die Zufuhr wird von der
Plazentakonzentration genommen, die sich aus der mütterlichen Inkorporation
vor oder während der Schwangerschaft ergibt. Der Zusammenhang zwischen
fötaler Konzentration und derjenigen in der Plazenta ist hauptsächlich aus
Tierversuchen abgeleitet.
Die ICRP geht davon aus, dass ihre Vorgehensweise zu konservativen
Dosiswerten führt. Dies muss jedoch bezweifelt werden, schon allein deshalb,
weil die mütterlichen Konzentrationen mit den oben genannten Unsicherheiten
bestimmt werden müssen. Ausserdem muss bedacht werden, dass es bei der
Inkorporation von Radionukliden in den frühen Stadien zu vergleichsweise
enormen Gewebskonzentrationen kommen kann.
In Experimenten mit Mäusen, bei denen trächtige und neugeborene Tiere die
gleichen Plutoniumkonzentrationen injiziert bekamen, war die fötale
Konzentration viel geringer (bis zum 500fachen) als in den postnatal
kontaminierten Nachkommen. Jedoch die Föten zeigten viel höhere Schäden
des blutbildenden Gewebes, die von den Autoren mit der Entstehung von
Leukämie in Zusammenhang gebracht werden (Lord u. a. 1992). Diese hohe
fötale Empfindlichkeit, die auch bei sehr kleinen Inkorporationsdosen gefunden
wurde (Mason 1989), zeigte sich spezifisch bei Alphastrahlung. Bei chronischer
Gammabestrahlung, die zum Vergleich angewendet wurde, war der Effekt
wesentlich kleiner. Bei diesen Experimenten ergab sich eine Relative
Biologische Wirksamkeit für Alphastrahlen (entsprechend dem oben genannten
Wichtungsfaktor) zwischen 250 und 360 (Jiang u. a. 1994). Das ist mehr als das
Zehnfache des Wertes von 20, der nach ICRP eine konservative Abschätzung
liefern soll. Extreme Effekte zeigten sich im Tierversuch ebenfalls auf die
Entwicklung des Zentralnervensystems nach Applikation des Isotops 235U (Gu
u. a. 2001).
Im Report des amerikanischen Nationalrats für Strahlenschutz NCRP über
Embryonaldosimetrie wird ein weiteres Problem darin gesehen, dass sich die
Dossier Uranwaffen
135
Zeit-Fragen 2007
Radionuklide ausserhalb des Embryos im Uterus ablagern können –
insbesondere im Dottersack, wie sich aus experimentellen Untersuchungen mit
Plutonium, Americium, Neptunium und Curium ergeben hat. Diese Aktinide
verhalten sich chemisch und radiologisch ähnlich wie Uran. Da die Frühstadien
des blutbildenden Systems im Dottersack entstehen und ebenso Keimzellen,
sind Stammzellen betroffen, die später in den Embryo wandern (Morgan u. a.
2002; Sikov 1992; Stather u. a. 1992). Die Exposition solcher Stammzellen
wurde im Zusammenhang mit den Beobachtungen über Leukämiecluster bei
kerntechnischen Anlagen diskutiert.
Dosiswirkungsbeziehungen im Fall inkorporierter Radioaktivität
Das menschliche Referenzkollektiv, das von der ICRP und anderen Komitees
herangezogen wird, um die Folgen einer Bestrahlung abzuschätzen, sind die
Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroschima und Nagasaki. Diese
wurden überwiegend einer blitzartigen Exposition durch sehr hochenergetische
und deshalb stark durchdringende Gammastrahlung ausgesetzt. Die DosisEffekt-Bestimmungen von dort werden auf alle anderen
Bestrahlungsbedingungen übertragen unter Benutzung der Äquivalentdosis in
Sv, die Vergleichbarkeit für alle Strahlenarten schaffen soll.
Spätestens die Erfahrungen aus Bevölkerungen, die durch den
Tschernobylunfall betroffen wurden, haben gezeigt, dass diese Annahme
fehlerhaft ist. Nicht nur sind dort grössere Effekte aufgetreten als durch die
ermittelten Dosen vorhersagbar ist, sondern es zeigte sich darüber hinaus ein
breites Spektrum von Gesundheitsschäden, die bei den japanischen
Überlebenden nicht beobachtet worden waren (ECRR 2006). Die üblichen
Annahmen über Dosis-Effekt-Zusammenhänge sind daher nicht zuverlässig
geeignet, um bestimmte Schäden durch Inkorporation von Radioaktivität
auszuschliessen.
Epidemiologische Studien über Uranwirkungen beim Menschen
Es ist bekannt, dass Uranbergarbeiter häufig an Lungenkrebs sterben, der
durch Radon ausgelöst wird, dem gasförmigen Folgeprodukt der 238UZerfallsreihe. Maligne und andere strahleninduzierbare Erkrankungen in
anderen Geweben des Körpers muss man in erster Linie auf Depositionen von
Uran und seinen festen Folgeprodukten zurückführen, da ein Teil der Exposition
durch die Inhalation und Ingestion von Uranstaub erfolgt. In Tabelle 2 sind
Befunde über solche Erkrankungen durch Inkorporation von Uran und
Uranmineralien aufgeführt.
Uran in der Umwelt und Dosiserhöhung durch Düngung
Die jährliche Dosis durch natürliche Strahlung – ausser Radon in der Lunge –
beträgt etwa 1 mSv. Der mittlere jährliche Beitrag durch inkorporiertes 238U
und 234U wird durch das Strahlenkomitee der Vereinten Nationen zu 5 μSv
angegeben (UNSCEAR 1988), das heisst 0,5% der natürlichen Strahlung. Der
Wert beruht auf der Annahme, dass normalerweise 5 Bq von jedem der beiden
Isotope durch Ingestion aufgenommen werden.
Ein mg natürliches Uran hat eine Aktivität von 25 Bq (Tabelle 3). Wenn jährlich
20 g Uran durch Düngung auf 1 ha Acker gebracht werden (Kratz u. a. 2007),
ergibt das eine Deposition von 50 Bq/m2. Unter der Annahme einer Verteilung
in der Erde von 0,3 m Pflugtiefe und einer Bodendichte von 1,5 kg/l erhöht sich
die Konzentration im Boden um 0,1 Bq/kg. Das ist 0,2% im Vergleich zur
ohnehin vorhandenen mittleren Urankonzentration im Boden, die auf 50 Bq/kg
Dossier Uranwaffen
136
Zeit-Fragen 2007
geschätzt wird (UNSCEAR 1982). Wenn diese Zusatzaktivität durch eine
jährliche Regenmenge von 600 mm völlig ausgespült wird, beträgt die
Konzentration im Oberflächenwasser 83 mBq /l. Sofern sich eine solche
Konzentration im Trinkwasser durch Akkumulation einstellen würde, ergäbe
sich nach ICRP (Tabelle 1) eine zusätzliche jährliche Effektivdosis von 7 μSv für
Kinder im 1. Lebensjahr (250 l Jahresverbrauch) und 3 μSv für Erwachsene (800
l). Für die Dosis der Knochenoberfläche (dort stellt sich die Maximaldosis bei
Uraningestion im Körper ein) ergäbe sich entsprechend 143 μSv bzw. 47 μSv.
Wenn man die möglichen Strahlenschäden durch Uran infolge von Düngung
diskutiert, ist es jedoch erforderlich, auch die anderen Beiträge durch
natürliche Radioaktivität zu betrachten. Thorium und seine Folgeprodukte
spielen im Phosphatmineral keine Rolle (UNSCEAR 1988). 238U befindet sich
dort im radioaktiven Gleichgewicht mit seinen Folgeprodukten, mindestens bis
zum 226Ra (Tabelle 4). Unter diesen sind die langlebigen Alphastrahler von
Bedeutung, und von ihnen wird angenommen, dass sie wesentlich höhere
Strahlenbelastungen erzeugen als Uran (Tabelle 5).
Die Konzentration der Radionuklide im Dünger ausser Uran hängt natürlich
auch von der Art der Aufbereitung des Phosphatminerals ab. Wenn man die
Angaben des UNSCEAR 88-Reports übernimmt, ergeben sich die in Tabelle 6
aufgeführten jährlichen Dosisbeiträge. Der Report geht davon aus, dass sich
238Th im Dünger mit 238U im Gleichgewicht befindet, dass die 226Ra-Aktivität
¼ der von 238U ist, und 210Po und 210Pb mit 226Ra im Gleichgewicht sind.
Dieses Beispiel zeigt, dass die Radioaktivität durch Düngung kontrolliert
werden muss.
Schlussfolgerungen
Die Erkenntnisse über Gesundheitsschäden durch abgereichertes Uran bilden
nicht das einzige Beispiel, wo Strahleneffekte nicht durch übliche Annahmen
vorhersagbar sind. Die Uranbelastung der Umwelt durch Phosphatdünger sowie
diejenige durch die anderen Radionuklide der Urankette erscheinen im
Vergleich zum normalen Untergrund vernachlässigbar. Weil das Material jedoch
physikalisch und chemisch bearbeitet wird, kann die biologische Verfügbarkeit
und Wirkung ganz anders sein als mit dem naturbelassenen Mineral. Dieses
muss insbesondere für die frühen Entwicklungsstadien beim Menschen
untersucht werden. •
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1 Gesellschaft für Strahlenschutz e.V., Peter-Michels-Str. 54, 50827 Köln, Germany
2 International Institute of Concern for Public Health, P.O. Box 80523 Rpo White
Shields 2300 Lawrence Ave. East, Toronto ON Canada M1P 4Z5
Nr.45, 12. November 2007, Seite 11
Dunkle Schatten über der Elbe – bisher keine
stichhaltigen Auskünfte der Verantwortlichen zu den
Leukämien der Kinder
Mit diesem Beitrag setzen wir die lose Folge zum Thema Leukämiefälle in der
Elbmarsch bei Hamburg fort.
bha. Der Südwestfunk widmet im Mai 2002 dem Thema «Plutonium vor der
Haustüre – Staatsanwälte ermitteln» einen Report. Es geht um radioaktive
Partikel, die in der Nähe von Hanau in Hessen in Bodenproben gefunden
wurden. Solche Partikel seien auch in Schleswig-Holstein gefunden worden. So
äussert sich unter anderem der Kernchemiker Wolfgang Ensinger: «Bei diesen
Problemen haben wir unter anderem eine substantielle Menge 243Am
gefunden.» Radioaktive Partikel und Nuklearwaffenbau in Hanau? Scheint
abstrus …
Die renommierte US-amerikanische Zeitschrift für Umweltfragen Archives of
Environmental Contamination and Toxicology publiziert 2005 einen Artikel zur
Frage der Leukämiehäufung in der Elbmarsch. Im Jahre 2001 habe eine
deutsche Expertengruppe, die Arbeitsgemeinschaft für physikalische Analytik
und Messtechnik, ARGE PhAM, eine Kontamination mit angereichertem Uran
und 232Th-Derivaten in der Elbmarsch gefunden. Die Expertengruppe
entdeckte kleine Kügelchen, die angeblich aus nuklearem Brennstoff
bestanden. Dies schrieb die Expertengruppe Experimenten mit hybriden
Dossier Uranwaffen
139
Zeit-Fragen 2007
Nuklearsystemen zu – dem Prinzip der Kernverschmelzung und Kernspaltung.
Das Zweite Deutsche Fernsehen widmet im Juli 2006 der Häufung von
Leukämie erkrankungen bei Kindern in der Elbmarsch einen ausführlichen
Beitrag. Auch hier tauchen wieder diese wurmkotähnlichen Kügelchen auf …
Professor Vladislav Mironov von der Sacharov-Umweltuniversität in Minsk
äussert sich, befragt nach den Ergebnissen seiner Analysen der Bodenproben
aus der Elbmarsch: «So zeigen die Ergebnisse der Analysen auf, dass fast in
allen Proben das Plutonium von einer Reaktorherkunft vorliegt, dass das
Thorium auch von Reaktorherkunft ist und Uran in der Mehrzahl der Fälle auch
von Reaktorherkunft ist.»
Freitag, die Ost-West-Wochenzeitung, berichtet im Mai 2007 über Funde von
«Kügelchen». Wolf Wetzel: «Die Brisanz dieses kugelförmigen radioaktiven
Materials liegt auf der Hand: Hochangereicherten Kernbrennstoff braucht man
für militärische Ambitionen. Wären die in Bodenproben gefundenen
Mikrokügelchen rund um Geesthacht mit diesem bombenfähigen Material
identisch, läge der Verdacht nahe, dass dieses für militärische Optionen
‹abgezweigt› wurde. Das staatliche Atomforschungszentrum GKSS ist die
einzige Anlage in der näheren Umgebung, die für derartige Zielsetzungen
gerüstet ist.»
Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik in Freiburg/Breisgau
publizierte 2006/7 über «kleine Kugeln, die einen grossen Knall verursachen
können». Es geht um die Technologie der Trägheitseinschlussfusion, Inertial
Confinement Fusion, ICF. Drei dafür prämierten deutschen Wissenschaftern des
Fraunhofer-Instituts war es gelungen, mit Hilfe eines chemischen
Abscheideverfahrens – CVD – Diamant-Hohlkugeln für die ICF herzustellen.
«Diese würden mittels eines Lasers gezündet und würden die Energieprobleme
der Zukunft lösen […]»
Das Fraunhofer-Institut schätzt sich glücklich, dass sich bei der Entwicklung
hochpräziser Diamant-Hohlkugeln für die Trägheitseinschlussfusion «eine
renommierte amerikanische Forschungseinrichtung Know-how in Deutschland
einhole». Es handelt sich dabei um eine Nuklearwaffenschmiede Amerikas, das
Lawrence Livermore National Laboratory, LLNL.
Auch die kleine Zeitschrift Strahlentelex, die in Berlin erscheint, widmet sich
dem Problem der ICF. Sebastian Pflugbeil fokussierte seit vielen Jahren seine
Aufmerksamkeit auf Vorgänge in der Elbmarsch. Die dort aufgetretenen
Leukämiefälle bei Kindern, mehr als 18 in den letzten 20 Jahren, gaben ihm und
einer Reihe anderer Forscher zu denken. Die Vermutung bestehe, so Pflugbeil,
dass in der GKSS im Jahre 1986 kerntechnische Experimente durchgeführt
wurden, die unter dem Kriegswaffenkontrollgesetz, wie es 1986 in Deutschland
galt, verboten waren. Pflugbeil vermutet als Auslöser der Leukämien eine
nukleare Explosion, die entweder durch einen Unfall oder beim
Experimentieren mit der ICF-Technologie verursacht wurde.
Das deutsche Kriegswaffenkontrollgesetz wurde 1992 geändert. Hinzugefügt
worden war ein lapidarer Satz, nicht besonders kryptisch, aber wert darüber zu
brüten … Die Änderung ging dahin, dass das Entwicklungs- und
Herstellungsverbot für Atomwaffen sowie auch die diesbezüglichen
Strafvorschriften […] nur für Atomwaffen gelten, «die nicht der
Verfügungsgewalt von Mitgliedstaaten dieses Vertrages unterstehen und die
nicht im Auftrag solcher Staaten entwickelt oder hergestellt werden». Gemeint
ist der Nato-Vertrag.
Sachverständige mochten sich den Kopf über diese Neuerung zerbrechen – der
Nichtjurist rätselt – hat sich seit 1989 etwa eine Änderung in Deutschland
Dossier Uranwaffen
140
Zeit-Fragen 2007
bezüglich der Entwicklung und Herstellung von Atomwaffen ergeben?
Ein Sammelsurium von Überlegungen plagte das Gehirn, die Nachforschung
begann, doch nur wenige Hinweise gelangten in den unbestechlich hellen
Lichtkegel eines nordischen Sommertages:
Der Rechtsanwalt Wilhelm Krahn-Zembol mit ausschliesslichem
Tätigkeitsbereich Umweltrecht berichtete im August 2001 über die Möglichkeit,
dass in Deutschland illegal Atomwaffen hergestellt worden sein könnten oder
hergestellt werden.
Die Änderung des Kriegswaffenkontrollgesetzes im Jahre 1992 mit
«Kügelchen», gar aus Diamant, in Verbindung zu bringen, scheint sehr weit
hergeholt. Das ändert nichts an der Brisanz der Angelegenheit. Bis heute gab
es von verantwortlicher Seite keinerlei Hilfestellung bei der Aufklärung der
Leukämieursachen. •
Literatur:
«The Elbmarsch Leukemia Cluster: Are there Conceptual Limitations in Controlling
Immission from Nuclear Establishments in Germany?» Autoren: I. Schmitz-Feuerhake
et al., Archives of Environmental Contamination and Toxicology 49, 589–600 (2005)
«Und keiner weiss warum … Leukämietod in der Elbmarsch», ZDF vom 2.4.2006, Film
von Barbara Dickmann und Angelica Fell. Siehe auch Strahlentelex Nr. 484–485 (2007)
Anhörung zum Themenblock III «Kügelchen», vor dem Ausschuss für Soziales, Frauen,
Familie und Gesundheit am 12.4.2007, 138. Sitzung, Hannover
«Das Rätsel der Kügelchen», Freitag, 19, 11.5.2007, Autor: Wolf Wetzel,
www.freitag.de
«Diamantkugeln für die Energie der Zukunft», Fraunhofer-Magazin 1/2007
«Illegal Atomwaffen hergestellt?» in www.Umweltmedizin.de, 15.8.2001, Autor:
Wilhelm Krahn-Zembol