Von Arthur Miller
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Von Arthur Miller
Von Arthur Miller Programmheft HEXENJAGD Junge Menschen schnallen sich Sprengstoffgürtel um und reißen im Namen Allahs andere Menschen in den Tod, ein Präsident ortet eine „Achse des Bösen“ und bekämpft sie unter Inkaufnahme von Zigtausenden von Toten. Evangelikale Christen verweigern einen neuzeitlichen Biologieunterricht, weil er dem Wortlaut der Bibel widerspricht, die katholische Kirche nimmt lieber Tausende von Aids-Toten in Kauf, bevor sie ein Kondomverbot überdenkt, und eine der ersten Amtshandlungen des neu gewählten Papstes ist ein Gedankenaustausch mit priesterlichen Exorzisten – hundertfünfzig Jahre nach der Aufklärung scheint Fundamentalismus allenthalben fröhliche Urständ zu feiern. Kein Anlass also, sich kopfschüttelnd über ein in ferner Vergangenheit lie- 2 HEUTE ? gendes, „finsteres Mittelalter“ zu alterieren, in dem Hexen, Ketzer, Andersgläubige, Andersdenkende oder schlicht Fremde vertrieben, verbrannt oder aufs Rad geflochten wurden. Denn die Jagd auf alles, was nicht linientreu oder fremdartig ist, findet auch heute noch statt. Arthur Miller hat mit der „Hexenjagd“ kein historisierendes Stück geschrieben, auch wenn es zum Teil fast dokumentarisch auf der historisch verbürgten Begebenheit der „Hexen von Salem“ am Ende des 17. Jahrhundert basiert. Denn das, was er schildert, geschah – wenn auch weniger blutrünstig – zu seiner Zeit, als der berüchtigte Senator McCarthy seinen „Ausschuss für antiamerikanische Umtriebe“ installierte, der jeden als kommunistisch brandmarkte (was üble berufliche Folgen hatte), der nicht auf der konservativen Regierungslinie lag und der nicht kooperierte, das heißt, andere denunzierte. Charles Chaplin, Eliah Kazan und Arthur Miller waren drei der prominentesten Opfer. „Viele ehemals aufrechte Menschen“, so ze krochen, auch wenn es sie ihre Existenz kostete. Ihnen setzte Miller mit „Hexenjagd“ ein Denkmal. Frank Schindler Bearbeitung und Regie M i l l e r, „knickten ein vor diesem McCarthyimus, der fast zu einer Massenhysterie wurde“. Aber es gab, in der Wirklichkeit wie im Stück, Menschen, die Widerstand leisteten, die nicht vor der Macht zu Kreu- 3 Arthur Miller (1915 - 2005) 4 DER AUTOR Arthur Miller wurde am 17. Oktober 1915 als Sohn des jüdischen Textilfabrikanten Isadore Miller und dessen Ehefrau Augusta im New Yorker Stadtteil Harlem geboren. Mit 33 Jahren erhielt Miller für sein 1949 uraufgeführtes Stück „Death of a Salesman“ („Der Tod des Handlungsreisenden“) den Pulitzer-Preis. Vier Jahre später, nach der Erstaufführung seines Stücks „The Crucible“ („Hexenjagd“), zogen die Kommunistenjäger um Senator Joseph McCarthy Erkundigungen über Arthur Miller ein. Und weil er sich 1956 weigerte, vor einem Untersuchungsausschuss Kommunisten zu denunzieren, verurteilte ihn ein Gericht im Jahr darauf zu einer Haftstrafe, die er allerdings nicht antreten musste, weil er nach einigen Monaten rehabilitiert wurde. 1940 heiratete Miller Mary Grace Slattery. Mit ihr hatte er eine Tochter und einen Sohn. Als er 1951 Marilyn Monroe kennen lernte, zerbrach die Ehe und er geriet in die Schlagzeilen der Boulevardpresse, die dann auch 1956 groß über die Hochzeit von Arthur Miller und Marilyn Monroe berichtete. Für sie schrieb er 1957 das Filmdrehbuch „Misfits“ („Nicht gesellschaftsfähig“). Doch noch während der Dreharbeiten im Jahr 1960 gaben Miller und Monroe ihre Scheidung bekannt. 1962 heiratete er die österreichische Fotografin Inge Morath, mit der er ebenfalls eine Tochter und einen Sohn hatte. Am 10. Februar 2005 starb der krebskranke 90-Jährige in Roxbury, Connecticut, an Herzversagen. 5 „ANDERE FÄLSCHLICH BESCHULDIGEN UND SICH SELBER VERFLUCHEN ZU MÜSSEN, UM SEIN LEBEN ZU RETTEN, IST SCHON BEIM NACHSTELLEN DER SZENEN KAUM ERTRÄGLICH. UMSO BEKLEMMENDER DAS BEWUSSTEIN, DASS DIES REALITÄT WAR UND AUCH HEUTE IMMER NOCH IST.“ DAGMAR SCHINDLER „EGAL, WIE OFT MAN DIESES STÜCK PROBT: IMMER WIEDER FINDET MAN NEUE FACETTEN, ECKEN UND KANTEN. WENN MAN DANN BEDENKT, WAS DER ZUSCHAUER AN NUR EINEM ABEND ZU ENTDECKEN UND VERFOLGEN HAT - RESPEKT!“ OLAF SCHWOLLE 6 ARTHUR MILLER IM ORIGINALTON „DER PARANOIDE SCHAFFT DIE REALITÄT, DIE SEINEN ÄNGSTEN ENTSPRICHT.“ „DIE EINZIGE HOFFNUNG DES PARANOIDEN IST, MACHT ZU BESITZEN, UM UMZUBRINGEN, BEVOR ER UMGEBRACHT WIRD.“ „GESELLSCHAFTEN, DIE UNSICHER SIND UND DEN GRUND IHRER SCHWÄCHE NICHT KENNEN, VERFALLEN DEM VERFOLGUNGSWAHN.“ „NICHTS IST SO ANGSTEINFLÖSSEND, ALS WENN MAN NICHT WEISS, WOVOR MAN ANGST HAT.“ „DAS LEBEN (…) IST GOTTES KOSTBARSTES GESCHENK; KEIN GRUNDSATZ, WIE EHRENVOLL ER AUCH IMMER SEIN MAG, KANN SEIN OPFER RECHTFERTIGEN.“ 7 DIE „MCCARTHY-ÄRA“ Joseph Raymond McCarthy (1908 - 1957) war republikanischer US-Senator und wurde bekannt durch seine Kampagne gegen eine vermutete Unterwanderung des Regierungsapparates der Vereinigten Staaten durch Kommunisten. Er gab der so genannten McCarthy-Ära (engl.: McCarthyism) der frühen 1950er Jahre seinen Namen, in der antikommunistische Verschwörungstheorien und Denunziationen das politische Klima in den USA bestimmten. Dazu gründete er 1951 das Government Operations Committee (GOC), einen Ausschuss, der Gesinnungsprüfungen innerhalb des Regierungsapparates durchführte. McCarthy profilierte sich mit Anhörungen, die teilweise im Fernsehen übertragen wurden. 8 Als Ankläger stilisierte er sich zum Bewahrer USamerikanischer Werte und zum Beschützer vor der „Roten Gefahr“ und inszenierte eine überragende, allgegenwärtige kommunistischen Bedrohung, gegen die er mit aller Entschlossenheit vorgehen wollte. Die antikommunistischen Verfolgungen erreichten 1954 ihren Höhepunkt, brachen aber wenig später in sich zusammen, als McCarthy sogar den moderatkonservativen Präsidenten Eisenhower als „verkappten Kommunisten“ bezeichnete. Eine Amtsenthebung McCarthys scheiterte zwar, seine Machtstellung im Senat war jedoch gebrochen. Er rutschte in den Alkoholismus ab und starb am 2. Mai 1957 in Bethesda (Maryland) an einer Leberzirrhose. „Soso ― Sie lesen also Bücher, wie?“ Karikatur von Herbert Block aus der Washington Post vom 24. April 1949 9 DARSTELLERINNEN UND DARSTELLER Amtspersonen Pfarrer Samuel Parris Olaf Schwolle Pfarrer John Hale Holger Schubert Richter Danforth Heiner Gosmann Mädchen Abigail Williams Monika Gerke Mary Warren Mara Pelt Betty Parris Laura Hilsmann Ruth Putnam Sina Hilsmann Mercy Lewis Astrid Leutbecher Susanna Wallcott Patrizia Popek Mädchen Noemi und Muriel Schwolle Bürgerinnen und Bürger Elisabeth Proctor Elke Robert John Proctor Klaus Bunte Ann Putnam Gaby Lenger Thomas Putnam Jens Dempewolff Rebecca Nurse Dagmar Schindler Giles Corey Gerd Reismann Martha Corey Petra Pape Tituba Nadja Wagner Sarah Good Nadereh Straub Sarah Osburn Beate Grams 10 WEITERE MITWIRKENDE Bearbeitung und Regie Regieassistenz Kostüme Musik Inspizienz Plakat Probenfotos Programmheft Frank Schindler Dagmar Schindler Ruth Reismann Jens Achim Moritz Felix Wienbürger Astrid Leutbecher Klaus Bunte Klaus Bunte, Dagmar Schindler, Frank Schindler UNSER DANK GILT: SCS Sandys Copy Shop, Alexandra Pape, Düsseldorf Evangelische Kirchengemeinde St. Thomä Deutsches Rotes Kreuz, Ortsverein Soest Ministerium für Schule und Weiterbildung, Dienststelle Soest Bürgerzentrum „Alter Schlachthof“ Günter Liedmann CBT Sound Style „ICH FINDE DIE THEMATIK HOCHINTERESSANT, GERADE AUCH HINSICHTLICH AKTUELLER BEZÜGE. DIE ATMOSPHÄRE UND DIE AKUSTIK DIESER KIRCHE SIND ETWAS GANZ BESONDERES UND STELLEN EINE GROSSE HERAUSFORDERUNG AN UNSERE SCHAUSPIELERISCHEN LEISTUNGEN DAR.“ JENS DEMPEWOLFF 11 DANFORTH: „ICH HOFFE, SIE HABEN IHREN PLATZ AN UNSERER SEITE GEFUNDEN.“ GEORGE W. BUSH: „WER NICHT FÜR UNS IST, IST GEGEN UNS.“ HEINER GOSMANN „„HEXENJAGD - KLINGT BEÄNGSTIGEND, IST BEÄNGSTIGEND. WIR SPIELEN SIE „NUR“, WOANDERS IST SIE BLUTIGE REALITÄT.“ GERD REISMANN 12 „FASZINIEREND, WIE EINFACH ES DOCH IST, VOM EIGENEN HANDELN ABZULENKEN UND DABEI ANDERE INS VERDERBEN SOGAR IN DEN TOD - ZU STÜRZEN. ERSTAUNLICH, WIE SELBSTHERRLICH DIESES VERHALTEN IST. ERSCHRECKEND, WIE WENIG SICH DIE ZEITEN GEÄNDERT HABEN.“ HOLGER SCHUBERT 13 „SCHON ALS ICH MICH IM STUDIUM MIT MILLERS ARBEIT BESCHÄFTIGTE, BEEINDRUCKTEN MICH SEINE PACKENDE ART, DIE AUSWIRKUNGEN GESELLSCHAFTLICHER PHÄNOMENE AUF DEN „KLEINEN MANN VON DER STRASSE“ ZU ZEIGEN, UND SEIN MUT, MIT DEM ER SICH GEGEN MCCARTHYS HANDLANGER AUFLEHNTE. UMSO BEGEISTERTER WAR ICH, ALS FRANK UNS DIESES EINZIGARTIGE STÜCK ALS NÄCHSTES PROJEKT VORSCHLUG.“ KLAUS BUNTE Die original Grabsteine von Rebecca Nurse und John Proctor 14 15 SALEM UND SEINE Die Stadt Salem im USBundesstaat Massachusetts hat seinen Besuchern auch heute, 300 Jahre nach den Hexenprozessen, noch einiges zu bieten. So können die Besucher im Witch House sehen, wie der Richter eines Hexengerichts lebte. In den Tiefen des Witch Dungeon Museums, eines schaurigen Kerkers, erfahren sie, welche Qualen die als Hexen Angeklagten erdulden mussten, und im Salem Witch Museum können sie sogar einem veritablen Hexenprozess beiwohnen. Damals waren Indianer, von den Franzosen aufgehetzt, über Handelsposten und abgelegene Siedlungen der englischen Kolonie an der Massachusetts Bay hergefallen. Eine Inflation brachte viele Farmer an den Bettelstab, und die, die noch etwas hatten, neideten 16 „HEXEN“ einander die kargen Erträge ihrer Felder. Die öffentliche Moral sank auf einen Tiefpunkt. Als dann auch noch eine Pocken-Epidemie ausbrach, folgerten die Menschen in Salem, dass es sich um eine Gottesstrafe handeln musste. Im Januar 1692 wurden ein paar Mädchen von einer seltsamen Krankheit befallen. Sie verdrehten ihre Hälse und Gliedmaßen in Anfällen so entsetzlich, dass sie unmöglich gespielt sein konnten, und erzählten später, sie seien von Teufeln gequält worden, und wiesen Bisswunden auf ihrer Haut vor. Doktor Griggs, der Dorfarzt, untersuchte die Mädchen und kam zu dem Schluss, dass sich die „Hand des Bösen“ auf sie gelegt habe ― mit anderen Worten: Sie waren verhext worden. Bald darauf saßen mehr als 150 Menschen im Gefängnis, alle der Hexerei verdächtig. Ende Juni standen die ersten fünf vor Gericht: Susannah Martin, Sarah Good, Elizabeth Howe, Sarah Wildes und Rebecca Nurse. Zeugen gaben an, sie bei der Ausführung von Taten gesehen zu haben, bei denen sie unzweifelhaft vom Teufel unterstützt worden waren. Nach 19 Hinrichtungen, Zeitgenössische Darstellung der Hexenprozesse von Salem als immer mehr Angeklagte sich weigerten, durch falsche Geständnisse ihr Leben zu retten, brach die Hexenjagd in sich zusammen. „DAS EIGENTLICH BEKLEMMENDE HIER IST DIESE GESELLSCHAFT, DIE NUR AUF DRUCK, DROHUNGEN UND GEWALT BASIERT. EINFACHE LEUTE, KINDER UND SKLAVEN SIND DEN MACHTHABERN SO AUSGELIEFERT, DASS ES MANCHMAL KAUM ZU ERTRAGEN IST, OBWOHL ES NUR GESPIELT IST. DIESE PRODUKTION WIRD EINE UNSERER BESTEN WERDEN, DA SICH DER ZUSCHAUER AUFGRUND DER INSZENIERUNG, DES ORTES UND DER RÄUMLICHEN NÄHE KAUM ENTZIEHEN KANN - ER IST MITTENDRIN.“ NADJA WAGNER 17 „HEXENJAGD IST GÄNSEHAUT PUR! SOWOHL STÜCK ALS AUCH SPIELSTÄTTE SIND ENERGIEGELADEN...“ PETRA PAPE „WAS MICH AN DIESEM STÜCK UMHAUT, DAS SIND SEINE DICHTE UND INTENSITÄT. DAS GEFÜHL, AUF DER BÜHNE ZU STEHEN, IST BEKLEMMEND, AUFREGEND, GRUSELIG - ZU SEHEN, WAS DER STOFF MIT UNS, DEN SPIELERN, MACHT, EBENFALLS. EIN SOLCHES STÜCK KANN MAN NICHT SPIELEN OHNE EMOTIONALE BETEILIGUNG UND INNERE SPANNUNG.“ PATRIZIA POPEK 18 „LEIDER SIND SOLCHE GESELLSCHAFTSSTRUKTUREN IMMER NOCH AKTUELL. „ANDERSSEIN“ BEDEUTET, AUSGRENZUNG UND VERACHTUNG VON VIELEN MITMENSCHEN ZU ERFAHREN. GERADE IN MEINER ROLLE ALS SARAH OSBURN MUSSTE ICH MICH MIT GESELLSCHAFTLICHER HILFLOSIGKEIT UND INTOLERANZ AUSEINANDERSETZEN.“ BEATE GRAMS 19 www.stage-soest.de