Gesundheit in Deutschland
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Gesundheit in Deutschland
��������������������������������������� ������������������������� � ��� � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Gesundheitsberichterstattung des Bundes Gesundheit in Deutschland Berlin, Juli 2006 Grußwort | G rußwort 1998 wurde der erste Gesundheitsbericht für Deutschland vorgelegt. Mit ihm wurde die Gesundheitsberichterstattung des Bundes aus der Taufe gehoben. Die inhaltliche Durchführung erfolgt gemeinsam durch das Robert Koch-Institut und das Statistische Bundesamt. In den vergangenen Jahren hat sich die Gesundheitsberichterstattung des Bundes zu einer unverzichtbaren Informationsquelle über den Gesundheitszustand der in Deutschland lebenden Bevölkerung und unseres Gesundheitswesens entwickelt. Inzwischen sind zahlreiche Hefte und Schwerpunktberichte erschienen, die das gesamte Spektrum unseres Gesundheitswesens behandeln: angefangen bei den Rahmenbedingungen unseres Gesundheitssystems, über die gesundheitliche Lage der Bevölkerung, das Gesundheitsverhalten und die Gesundheitsgefährdungen durch wichtige Krankheiten bis hin zu den Fragen von Kosten und Leistungen des Systems. Das große Interesse an den bisher publizierten Heften und Schwerpunktberichten, und zwar nicht nur bei Fachleuten, sondern auch bei vielen interessierten Bürgern und Bürgerinnen zeigt, wie wichtig diese Form der Gesundheitsberichterstattung ist. Auch die Politik profitiert von einer umfassenden Gesundheitsberichterstattung, liefert sie doch eine für gesundheitspolitische Entscheidungen wichtige Aufbereitung aktueller Gesundheitsdaten. Der Erfolg der Gesundheitsberichterstattung des Bundes und nicht zuletzt die Nachfrage nach einem aktualisierten Gesundheitsbericht für Deutschland hat das Bundesministerium für Gesundheit nach acht Jahren veranlasst, im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung des Bundes einen neuen Gesundheitsbericht in kompakter Form vorzulegen. Der Bericht „Gesundheit in Deutschland“ beruht auf den aktuellsten verfügbaren Daten. Er bündelt die in zahlreichen Heften und Schwerpunktberichten detailliert behandelten Einzelthemen und stellt sie akzentuiert unter den Aspekten Gesundheitssituation, Gesundheitsfaktoren, Gesundheitsförderung, Gesundheitsversorgung, Gesundheitsausgaben sowie Patientenorientierung dar. Ich möchte allen danken, die an der Erstellung des Berichts „Gesundheit in Deutschland“ beteiligt waren, allen voran den Mitgliedern der Kommission Gesundheitsberichterstattung sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Robert KochInstituts und des Statistischen Bundesamts. Ich bin mir sicher, dass der Bericht „Gesundheit in Deutschland“ mindestens so erfolgreich sein wird wie sein Vorgänger. Ulla Schmidt Bundesministerin für Gesundheit Mitglied des Deutschen Bundestages | wie dieser Bericht zu lesen ist: Kernaussagen Ω Die Kernaussagen des Kapitels sind auf der linken Seite am Kapitelanfang zusammengefasst. Ω Zusammenfassung Am Anfang jedes Kapitels und jedes Unterkapitels befindet sich eine Zusammenfassung des Inhalts. Kurz und prägnant erscheint am Anfang vieler Absätze eine komprimierte Aussage zum jeweiligen Inhalt. Der Haupttext erscheint in dieser Form. Definition Unter der Rubrik „Definition“ werden am Fuß der Spalte im Text verwendete Fachbegriffe oder spezielle Sachverhalte erläutert; siehe auch das Glossar ab Seite 216. Exkurse So genannte „Exkurse“ behandeln weiterführende Themen wie zum Beispiel methodische Fragestellungen, Erläuterungen zur Datenauswahl, generell zur Datenlage etc. Sie stehen am unteren Seitenrand. Vorwort | Vorwort Eine Gesundheitsberichterstattung ist niemals abgeschlossen. Als im Jahre 1999 – kurz nach der Herausgabe des ersten „Gesundheitsberichtes für Deutschland“ – der Staffelstab der Gesundheitsberichterstattung vom Statistischen Bundesamt an das Robert Koch-Institut wechselte, beinhaltete dies zum einen die Beibehaltung erprobter und bewährter Verfahren der Berichterstellung sowie die Fortführung der engen Kooperation zwischen Vertretern der Public Health-Wissenschaften und der Amtlichen Statistik, sprich von Robert Koch-Institut und Statistischem Bundesamt. Zum anderen aber entstand die Notwendigkeit, das Konzept weiterzuentwickeln, den Bedürfnissen der Nutzer anzupassen und die Gesundheitsberichterstattung kontinuierlich stattfinden zu lassen. Einen wesentlichen Beitrag zur Kontinuität und Benutzerorientierung leisten die seit dem Jahr 2000 erscheinenden GBEThemenhefte (einzusehen über www.rki.de). Die Themen hierfür wurden zusammen mit der Kommission Gesundheitsberichterstattung nach definierten Gesichtspunkten ausgewählt, ausgeschrieben, zum Teil von externen Autoren bearbeitet, einem Review unterzogen, vom Robert Koch-Institut redigiert, redaktionell bearbeitet und letztendlich in den Druck gegeben. Auf diese Weise erschienen mittlerweile 30 GBE-Themenhefte (wie z. B. zu Arbeitslosigkeit und Gesundheit, zu Chronischen Schmerzen, zur Altersdemenz oder zur Selbsthilfe im Gesundheitsbereich), jeweils mit einer Mindestauflage von 15 000 Heften. Die Nachfrage von Bürgerinnen und Bürgern, Lehr- und Forschungseinrichtungen und gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern steigt von Heft zu Heft. Ein ebenso wichtiges Produkt der Gesundheitsberichterstattung des Bundes ist das im Dialog verfügbare Informationssystem des Informations- und Dokumentationszentrums Gesundheitsdaten am Statistischen Bundesamt geworden (www.gbe-bund.de). Das Informationssystem bot Ende 2005 aktuelle Daten und Informationen aus über 115 Datenquellen zur Gesundheit und zum Gesundheitswesen an. Es stellt die Ergebnisse in Form von individuell gestaltbaren Tabellen und übersichtlichen Grafiken zur Verfügung und weist zugleich auf entsprechende, bereits von anderen Produkten der Gesundheitsberichterstattung bereitgestellte Informationen hin. Diese Online-Datenbank erfreut sich mittlerweile einer großen und immer stärker werdenden Nutzung. Dass die Nutzung dennoch verbesserungsfähig ist, belegt die Tatsache, dass statt der Daten der Gesundheitsberichterstattung immer noch gerne ausländische Daten zitiert werden, wenn es um die Gesundheit in Deutschland geht. Für die Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung des RKI Dr. Bärbel-Maria Kurth Der jetzt vorgelegte Bericht „Gesundheit in Deutschland“ gibt, ähnlich wie sein Vorgänger, nur eben acht Jahre später, einen umfassenden Überblick über den Gesundheitszustand der deutschen Bevölkerung und das Gesundheitswesen in Deutschland. Dazu wurden Kapitel aus dem ersten Gesundheitsbericht aktualisiert, Inhalte aus den GBE-Themenheften integriert, Informationslücken geschlossen und neue Themen aufbereitet. Er orientiert sich an zentralen Fragestellungen und zeichnet Trends der Entwicklung von Gesundheit und des Gesundheitssystems der letzten zehn Jahre auf. Es liegt in der Natur begrenzter Ressourcen – nicht zuletzt sollte der Berichtsband auch noch tragbar sein –, dass auch diesmal nicht alle Themen der Gesundheitsberichterstattung umfassend behandelt werden konnten. Obwohl die Kommission Gesundheitsberichterstattung und die Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung des Robert Koch-Instituts die Themenauswahl kriteriengestützt vorgenommen haben, bleibt doch immer ein kleiner Rest Subjektivität. Der neue Gesundheitsbericht ist nicht nur in seiner äußeren Darstellung anders als der erste. Robert Koch-Institut, Statistisches Bundesamt und Kommission Gesundheitsberichterstattung haben sich bemüht, für die Darstellung der Informationen eine gut verständliche und nicht zu wissenschaftliche Sprache zu finden, ohne dabei an Präzision und Aussagekraft zu verlieren. Wer immer sich selbst um die Bedienung dieser beiden Anliegen bemüht hat, weiß, wie schwierig eine solche Gratwanderung ist. In diesem Bericht könnte sie gelungen sein, auch Dank der Unterstützung durch den Wissenschaftsjournalisten Dr. Martin Lindner. Bewundernswert war die hohe Identifikation aller Beteilig ten, insbesondere der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Robert Koch-Instituts und des Informations- und Dokumentationszentrum am Statistischen Bundesamt, aber auch die der Mitglieder der Kommission Gesundheitsberichterstattung mit der Aufgabe. Sie alle haben die Hoffnung, den hohen Erwartungen des bereits bestehenden Leserkreises der Gesundheitsberichterstattung in Deutschland gerecht zu werden, darüber hinaus aber auch neue Interessenten zu gewinnen. Denn eine Gesundheitsberichterstattung erfolgt nicht zum Selbstzweck, sondern hat zum Ziel, Bürger sowie Akteure des Gesundheitswesens und der Gesundheitspolitik mit Informationen so auszurüsten, dass deren Bemühen um die Gesundheit und die gesundheitliche Versorgung unterstützt und begleitet wird. Ob das gelungen ist, werden wir im nächsten Bericht „Gesundheit in Deutschland“ erfahren können. Für die Kommission Gesundheitsberichterstattung des RKI Prof. Dr. Hans-Konrad Selbmann | Mitwirkende Mitwirkende Für den Bericht „Gesundheit in Deutschland“ wurden Kapitel aus dem ersten Gesundheitsbericht aktualisiert, Inhalte aus den GBE-Themenheften integriert, Informationslücken geschlossen und neue Themen aufbereitet. Dabei ist die inhaltliche Expertise verschiedenster Seiten in den Bericht eingeflossen. Im Wesentlichen wurde der Bericht im kooperativen Dialog konzipiert, bearbeitet und begutachtet Ω von den Mitgliedern der Kommission Gesundheitsberichterstattung Ω von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abteilung Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung des Robert Koch-Instituts Ω von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gruppe Gesundheit des Statistischen Bundesamts. Mitwirkende in alphabetischer Reihenfolge Peter Achterberg Kommission Gesundheitsberichterstattung; RIVM – Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu, Bilthoven, Niederlande Eckhardt Bergmann Robert Koch-Institut, Berlin Jochen Bertz Robert Koch-Institut, Berlin Karin Böhm Statistisches Bundesamt, Bonn Ralph Brennecke Kommission Gesundheitsberichterstattung; Institut für Gesundheitssystemforschung, Zentrum für Human- und Gesundheitswissenschaften der Charité Universitätsmedizin, Berlin Martina Burger Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Köln Peter Eßer Kommission Gesundheitsberichterstattung; Bundesverband der Innungskrankenkassen, Bergisch Gladbach Thomas Forster Statistisches Bundesamt, Bonn Bernhard Gibis Kommission Gesundheitsberichterstattung; Kassenärztliche Bundesvereinigung, Berlin Günter Hölling Kommission Gesundheitsberichterstattung; Patientenstelle Bielefeld Kerstin Horch Robert Koch-Institut, Berlin Gabriele Hundsdörfer Ministerialrätin a.D., ehemals Bundesministerium für Gesundheit Rüdiger Klar Kommission Gesundheitsberichterstattung; Institut für medizinische Biometrik und medizinische Informatik, Universität Freiburg Ingrid Küsgens WIdO, Wissenschaftliches Institut der AOK, Bonn Bärbel-Maria Kurth Robert Koch-Institut, Berlin Thomas Lampert Robert Koch-Institut, Berlin Cornelia Lange Robert Koch-Institut, Berlin |Mitwirkende | Martin Lindner Wissenschaftsjournalist, Berlin Thomas Ziese Robert Koch-Institut, Berlin Ulrich Marcus Robert Koch-Institut, Berlin Sebastian Ziller Kommission Gesundheitsberichterstattung; Bundeszahnärztekammer Berlin Gert Mensink Robert Koch-Institut, Berlin Michael Müller Statistisches Bundesamt, Bonn Hanne Neuhauser Robert Koch-Institut, Berlin Sebastian Rolland Statistisches Bundesamt, Bonn Anke-Christine Saß Robert Koch-Institut, Berlin Thomas Schäfer Kommission Gesundheitsberichterstattung; Fachbereich Wirtschaft Bocholt, Fachhochschule Gelsenkirchen Christa Scheidt-Nave Robert Koch-Institut, Berlin Martin Schlaud Robert Koch-Institut, Berlin Norbert Schmacke Kommission Gesundheitsberichterstattung; Arbeits- und Koordinierungsstelle Gesundheitsversorgungsforschung, Universität Bremen Wilhelm F. Schräder Kommission Gesundheitsberichterstattung; Institut für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH, Berlin Hans-Konrad Selbmann Vorsitzender der Kommission Gesundheitsberichterstattung, Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Universität Tübingen Anne Starker Robert Koch-Institut, Berlin Franz F. Stobrawa Kommission Gesundheitsberichterstattung, Bundesärztekammer Berlin Jürgen Thelen Robert Koch-Institut, Berlin Christian Vetter WIdO, Wissenschaftliches Institut der AOK, Bonn Julia Weinmann Statistisches Bundesamt, Bonn Jutta Wirz Robert Koch-Institut, Berlin Ines Zimmermann Kommission Gesundheitsberichterstattung; Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz, Hamburg Erika Zoike Kommission Gesundheitsberichterstattung; Bundesverband der Betriebskrankenkassen, Essen Projektkoordination Cornelia Lange Robert Koch-Institut, Berlin | Inhalt | Inhalt Grußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Mitwirkende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1 Wie steht’s um unsere Gesundheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Lebenserwartung und subjektive Gesundheit 1.1.1 Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Lebenserwartung im europäischen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Lebenserwartung in Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4 Subjektive Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Krankheitslast 1.2.1 Diabetes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Herz-Kreislauf-Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Seelische Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.5 Muskel- und Skeletterkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.6 Krebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.7 Zahn- und Munderkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.8 Infektionskrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Krankheitsfolgen 1.3.1 Arbeitsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Frühberentung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Behinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Pflegebedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.5 Verlorene Lebensjahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.6 Vermeidbare Sterbefälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Sterblichkeit 1.4.1 Sterblichkeit in Ost- und Westdeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Häufige Todesursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Geschlechtsspezifische Sterblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.4 Säuglingssterblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Soziale Lage und Gesundheit 2.1.1 Armut und soziale Ungleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Allein erziehende Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Umwelteinflüsse und Unfälle 2.2.1 Luftqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Lärm und Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Schadstoffbelastungen des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Unfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Ernährung 2.3.1 Ernährungsverhalten und Energiezufuhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Nährstoffversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Körperliche Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Tabak- und Alkoholkonsum 2.5.1 Tabakkonsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Alkoholkonsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Übergewicht, Bluthochdruck und Hypercholesterinämie 2.6.1 Übergewicht und Adipositas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Bluthochdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.3 Hypercholesterinämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 15 16 17 17 20 23 29 33 34 40 49 51 57 59 61 65 66 67 69 69 73 73 76 81 83 87 87 91 91 93 93 97 99 103 107 109 113 115 117 118 10 | Inhalt | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Spektrum der Präventionsangebote 3.1.1 Ziel und Stellenwert von Prävention und Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Historische Entwicklung der Präventionsorientierung im deutschen Gesundheitswesen . . . . . . . . . . 3.1.3 Gegenwärtige Präventionsorientierung im deutschen Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Inanspruchnahme von Präventionsangeboten 3.2.1 Primäre Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Sekundäre Prävention (Krankheitsfrüherkennung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Zahnmedizinische Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern und Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Gruppenspezifische Inanspruchnahme von Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme in der Gesundheitsversorgung verändert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Angebot und Inanspruchnahme ambulanter Leistungen 4.1.1 Ambulante ärztliche Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Ambulante psychotherapeutische Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Apotheken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5 Zahnärztliche Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.6 Sonstige medizinische Berufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.7 Gesundheitshandwerk und Einzelhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.8 Häusliche Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen 4.2.1 Krankenhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Pflegeheime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Ambulante und stationäre Versorgung im internationalen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 4.3.1 Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Gesundheits- und berufspolitische Vorgaben zum Qualitätsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Beispiele des Qualitätsmanagements in der Gesundheitsversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Zertifizierungen und Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Transparenz und Patientensicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3 125 125 127 131 133 135 136 139 142 147 150 151 152 153 155 155 156 159 165 167 168 172 173 175 179 181 182 Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Gesundheitsausgaben 5.1.1 Ausgaben nach Ausgabenträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Ausgaben nach Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Ausgaben nach Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Finanzierungsströme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Krankheitskosten 5.3.1 Krankheitskosten nach Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Krankheitskosten nach Alter und Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Gesundheitsausgaben im internationalen Vergleich 5.4.1 Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Gesundheitsausgaben pro Einwohner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 6Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren und an Entscheidungen beteiligen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Politisch-rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Beteiligungsmöglichkeiten im Gesundheitswesen 6.2.1 Beteiligung an individuellen Gesundheitsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Beteiligung an kollektiven Entscheidungen im Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Informations- und Beratungsangebote 6.3.1 Träger von Informations- und Beratungsangeboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Selbsthilfegruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Informationsangebote im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 202 5 187 189 191 193 195 195 197 198 199 205 205 207 211 211 214 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Gesundheitsberichterstattung des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 11 12 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? Kernaussagen Ω Die Lebenserwartung in Deutschland liegt für Frauen bei 81,6 und für Männer bei 76 Jahren. (Seite 15) Ω Jeder fünfte Deutsche schätzt seine Gesundheit als „sehr gut“ ein, nur etwa jeder hundertste als „sehr schlecht“. (Seite 18) Ω Innerhalb eines Jahres durchleben 15 Prozent der Frauen und acht Prozent der Männer eine depressive Phase. (Seite 29) Ω 11 000 Deutsche nehmen sich jedes Jahr das Leben, über 70 Prozent von ihnen sind Männer. (Seite 30) Ω Die Zahl Demenzkranker liegt heute bei rund einer Million. Nach derzeitigen Schätzungen kann sie sich bis zum Jahr 2050 verdoppeln. (Seite 33) Ω Jede fünfte Frau und jeder siebte Mann leidet unter chronischen Rückenschmerzen. (Seite 34) Ω Während die Lungenkrebshäufigkeit bei Männern abnimmt, nimmt sie bei Frauen wegen eines gestiegenen Zigarettenkonsums zu. (Seite 42) Ω Das Gebiss 12-jähriger Schulkinder ist mit durchschnittlich 1,2 von Karies befallenen Zähnen so gesund wie nie zuvor. (Seite 49) Ω In Deutschland leben insgesamt 49 000 HIV-infizierte Menschen. (Seite 53) Ω Der Krankenstand unter den Erwerbstätigen ist seit Mitte der 1990er Jahre deutlich gesunken und liegt in alten und neuen Bundesländern inzwischen auf annähernd gleichem Niveau. (Seite 57) Ω Zwei Millionen Deutsche sind pflegebedürftig, die Mehrheit von ihnen wird zu Hause von meist weiblichen Familienangehörigen versorgt. (Seite 65) Ω Etwa 70 Prozent aller Todesfälle werden durch HerzKreislauf-Erkrankungen und Krebsleiden verursacht. (Seite 69) Ω Die Säuglingssterblichkeit in Deutschland gehört mit etwa vier Todesfällen pro 1 000 Lebendgeborenen zu den niedrigsten in der EU. (Seite 73) Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 1 Wie steht’s um unsere Gesundheit? Ω Zusammenfassung Die Gesundheit der Deutschen hat sich in den letzten zehn Jahren insgesamt verbessert. Die Lebenserwartung ist weiter gestiegen, die Sterblichkeit zurückgegangen. Damit hat sich ein seit den 1970er Jahren zu beobachtender Trend fortgesetzt. Auch die Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern sind geringer als noch im Jahr 1990. Die Bevölkerung in Ostdeutschland holt bei der Lebenserwartung zügig auf. Insbesondere Frauen leben in Ost und West inzwischen nahezu gleich lang. Dennoch profitieren nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen von der günstigen Entwicklung der vergangenen Jahre. So stehen Menschen aus schwächeren sozialen Schichten in vieler Hinsicht gesundheitlich schlechter da als der Durchschnitt. Auch zwischen den Geschlechtern zeigen sich Unterschiede. Beispielsweise versterben Männer deutlich häufiger als Frauen an Krankheiten, die durch abträgliche Arbeitsbedingungen oder einen riskanten Lebensstil mit verursacht werden. Bemerkenswert ist, dass sich das Krankheitsspektrum insgesamt offenbar verschiebt. Obwohl Herz-Kreislauf-Erkrankungen weiterhin zu den häufigsten Todesursachen zählen, ist ihr Anteil an der Gesamtsterblichkeit zurückgegangen. Zudem werden heute weniger Erwerbstätige als vor zehn Jahren wegen HerzKreislauf-Krankheiten arbeitsunfähig oder vorzeitig berentet. Psychische Erkrankungen dagegen, die nach Daten des BundesGesundheitssurveys 1998 weit in der Allgemeinbevölkerung, vor allem bei Frauen, verbreitet sind, spielen sowohl bei Arbeitsunfähigkeitsfällen wie Frühberentungen eine immer größere Rolle. Zu erheblichen volkswirtschaftlichen Krankheitsfolgen führen auch Leiden des Muskel- und Skelettsystems, beispielsweise Rückenschmerzen und Arthrose. Im Gegensatz zu den Trends bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen stieg die Häufigkeit von Krebsneuerkrankungen an, die Sterblichkeit an Krebs dagegen sank. Zudem verbesserten sich die Überlebensaussichten bei bösartigen Tumoren. In den kommenden Jahrzehnten könnte die Zahl neuer Krebserkrankungen deutlich steigen, weil mit einem wachsenden Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung gerechnet werden muss und sich Krebsleiden im höheren Lebensalter häufen. Unterdessen gewinnen Infektionserkrankungen, die in den letzten Jahrzehnten insgesamt stark rückläufig waren, erneut an Bedeutung. Dies steht in engem Zusammenhang mit einem verstärkten touristischen Reiseverkehr, politischen Wandlungen beispielsweise in Osteuropa, einer Zunahme riskanter Verhaltensweisen und dem Auftauchen resistenter Erreger. So hat sich der Anteil schwer zu bekämpfender Tuberkulosebakterien in den vergangenen Jahren erhöht. Auch zeigt sich ein Rückgang des Kondomgebrauchs, was neuen HIV-Infektionen Vorschub leisten könnte. Die größte Herausforderung für das Gesundheitssystem liegt indes in der Alterung der Gesellschaft. Nicht allein Krebserkrankungen, sondern auch Leiden wie Diabetes, Osteoporose, Schlaganfall und Demenz nehmen mit steigendem Lebensalter zu. Durch den demografischen Wandel relativieren sich daher auch die insgesamt positiven Gesundheitstrends der letzten Jahre. So können die Deutschen zwar mit einem langen – und über lange Zeit in Gesundheit verbrachten – Leben rechnen. Gleichzeitig aber werden zukünftig immer mehr ältere Menschen mit chronischen Krankheiten eine gute Behandlung und Pflege benötigen. 13 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Lebenserwartung und subjektive Gesundheit 14 82 Jahre Frauen 80 78 Männer 76 74 72 70 68 66 1990/92 91/93 92/94 Deutschland 93/95 94/96 95/97 Alte Bundesländer 96/98 97/99 98/00 99/01 2000/02 01/03 02/04 01/03 02/04 Neue Bundesländer Lebenserwartung bei Geburt 20 Frauen Jahre 19 18 17 Männer 16 15 14 13 12 1990/92 91/93 92/94 Deutschland 93/95 94/96 Alte Bundesländer 95/97 96/98 97/99 Neue Bundesländer Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren Abbildung 1.1.1: Lebenserwartung bei Geburt und im Alter von 65 Jahren. Quelle: Todesursachenstatistik, Statistisches Bundesamt; Fortschreibung des Bevölkerungsstandes 98/00 99/01 2000/02 Lebenserwartung und subjektive Gesundheit | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 1.1 Lebenserwartung und subjektive Gesundheit Ω Zusammenfassung Die Lebenserwartung hat sich zwischen 1990 und 2002/2004 in der Bundesrepublik in allen Alters- und Geschlechtsgruppen erhöht. Bei Frauen stieg sie um durchschnittlich 2,8, bei Männern um 3,8 Jahre. Dabei war der Zugewinn an Lebenserwartung in den neuen Bundesländern deutlich höher als in den alten. Der gesundheitliche Angleichungsprozess zwischen Ost und West hat sich somit weiter fortgesetzt. Die Lebenserwartung der Frauen liegt in neuen und alten Ländern inzwischen nahezu gleich hoch bei über 81 Jahren. Auch bei der Selbsteinschätzung der Gesundheit und der gesundheitlichen Zufriedenheit zeigt sich ein günstiges Bild. So empfinden drei Viertel der über 18-jährigen Frauen und Männer ihren eigenen Gesundheitszustand als „sehr gut“ oder „gut“. Tendenziell stieg seit Mitte der 1990er Jahre der Anteil jener Personen, die ihre Gesundheit als „sehr gut“ einschätzen. 1.1.1 Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland Deutsche Frauen und Männer leben immer länger. Im Jahr 2002/2004 betrug die mittlere Lebenserwartung 81,6 Jahre für Frauen und 76 Jahre für Männer (siehe Abbildung 1.1.1, oberes Bild). Damit stieg die Lebenserwartung seit 1990 bei Frauen um 2,81, bei Männern um 3,76 Jahre. Die Geschlechterdifferenz hat sich im selben Zeitraum von 6,5 auf 5,6 Jahre verringert. Der Zugewinn an Lebenserwartung geht in erster Linie auf eine verminderte Alterssterblichkeit zurück. Zudem ist die Säuglingssterblichkeit im Vergleichszeitraum deutlich gesunken. Die Bevölkerung in Ostdeutschland holt bei der Lebenserwartung auf. Zwar liegt die mittlere Lebenserwartung in den neuen Bundesländern derzeit noch niedriger als in den alten Bundesländern. Doch holt die Bevölkerung in Ostdeutschland zügig auf: Zwischen 1990 und 2002/2004 stieg in den neuen Ländern (ohne Berlin-Ost) die Lebenserwartung der Frauen um 4,59 Jahre, die der Männer um 5,27 Jahre. Die Geschlechterdifferenz sank dadurch von 7,3 auf 6,6 Jahre. In den alten Bundesländern dagegen stieg die Lebenserwartung der Frauen im selben Zeitraum nur um 2,38 und die der Männer um 3,38 Jahre. Hier verringerte sich die Geschlechterdifferenz von 6,4 auf 5,4 Jahre. Die soziale Lage ist mitbestimmend für die Lebenserwartung. Menschen aus sozial benachteiligten Schichten haben eine geringere Lebenserwartung als der Durchschnitt. Das zeigt eine Vielzahl von Untersuchungen aus anderen Ländern der Europäischen Union sowie einige Studien aus Deutschland. Dass hier zu Lande nur wenige Daten zum Einfluss der sozialen Lage auf die Sterblichkeit vorhanden sind, hängt vor allem damit zusammen, dass auf dem amtlichen Totenschein keine Angaben über den Sozialstatus oder den zuletzt ausgeübten Beruf des Verstorbenen gemacht werden. Gleichwohl zeigen beispiels- Betrachtet man das Bundesgebiet insgesamt, haben ostdeutsche Männer nach wie vor die niedrigste mittlere Lebenserwartung, können aber den größten Zugewinn seit 1990 verzeichnen. Der Abstand zu den westdeutschen Männern beträgt noch knapp 1,6 Jahre. Die Lebenserwartung der Frauen in neuen und alten Bundesländern liegt inzwischen nahezu gleich hoch bei 81,3 Jahren (neue Länder) und 81,6 Jahren (alte Länder). Zwischen den Ländern gibt es deutliche Unterschiede in der Lebenserwartung. In den Jahren 2002/2004 hatten neuge borene Mädchen und Jungen aus Baden-Württemberg die höchste Lebenserwartung bei Geburt (siehe Tabelle 1.1.1). Die niedrigste Lebenserwartung wurde für Jungen aus Mecklenburg-Vorpommern und Mädchen aus dem Saarland errechnet. Nach Mädchen und Jungen aus Baden-Württemberg und Bayern haben Mädchen aus Sachsen und Jungen aus Hessen die dritthöchste Lebenserwartung. Insgesamt hat sich seit Mitte der 1990er Jahre der Abstand zwischen den Bundesländern verringert. Die heute 65-Jährigen haben fast ein Viertel ihres Lebens noch vor sich. Die fernere Lebenserwartung der 65-Jährigen (siehe Abbildung 1.1.1, unteres Bild) betrug im Jahr 2002/2004 im Bundesdurchschnitt 19,8 Jahre bei Frauen (neue Länder: 19,4 Jahre; alte Länder: 19,9 Jahre) und 16,4 Jahre bei Männern (neue Länder: 15,8 Jahre; alte Länder: 16,5 Jahre). Damit stieg die fernere Lebenserwartung seit 1990 bei Frauen um 1,95 Jahre und bei Männern um 2,17 Jahre. Die Geschlechterdifferenz fällt mit 3,4 Jahren (neue Länder: 3,7 Jahre; alte Länder: 3,3 Jahre) noch geringer aus als bei der mittleren Lebenserwartung. Definition Die (durchschnittliche oder mittlere) Lebenserwartung ist die Zahl der Jahre, die ein neugeborenes Kind unter Annahme der gegenwärtigen Sterblichkeitsverhältnisse im Schnitt leben würde [1]. Die Lebenserwartung ist gleichwohl keine Vorhersage der tatsächlichen Lebensdauer eines heute Neugeborenen, da diese wegen der zu erwartenden weiteren Verringerung der Sterblichkeit in den kommenden Jahrzehnten wahrscheinlich über den derzeitigen Werten liegen wird. Vielmehr ist die Lebenserwartung eine Art Momentaufnahme, die in komprimierter Form die jeweils aktuellen Sterblichkeitsraten widerspiegelt. Sie hängt von genetischen und Umweltfaktoren ebenso ab wie von der sozialen Lage, dem Gesundheitsverhalten der Bevölkerung und der medizinischen Versorgung. Die mittlere Lebenserwartung ist somit ein umfassendes Maß für die gesundheitliche Lage der Bevölkerung. Die fernere Lebenserwartung ist die durchschnittliche Zahl der in einem bestimmten Alter noch zu erwartenden Lebensjahre. Für internationale Vergleiche wird die fernere Lebenserwartung beispielsweise für die 40-, 60-, 65- oder 80-Jährigen angegeben. weise Analysen von Krankenkassendaten, dass unter beruflich gering qualifizierten, nicht verheirateten oder pflichtversicherten Männern die Sterblichkeitsraten deutlich erhöht sind [4]. In dieselbe Richtung weisen Auswertungen von Daten des so genannten Sozio-oekonomischen Panels, einer jährlichen Befragung von zuletzt rund 12 000 Haushalten in Deutschland. Danach haben Männer mit Abitur eine um drei Jahre höhere Lebenserwartung als ihre Geschlechtsgenossen ohne Abitur. Bei Frauen liegt der entsprechende Unterschied sogar bei knapp vier Jahren [5]. Wie Untersuchungen aus verschiedenen europäischen Ländern zeigen, hat sich die sozi- ale Schere im Verlauf der letzten Jahrzehnte geweitet: Zwar steigt die Lebenserwartung auch in unteren Sozialschichten an, doch nicht so schnell wie in oberen Schichten, weshalb die Unterschiede größer werden. So ist in höheren Sozialschichten die Sterblichkeit an HerzKreislauf-Krankheiten stärker rückläufig als in unteren Schichten. Gleichzeitig haben sich bei Frauen und Männern aus unteren sozialen Schichten die Sterblichkeitsraten für Lungenund Brustkrebs, für Krankheiten der Atmungsorgane und des Verdauungstrakts sowie für Verletzungen und Unfälle erhöht [6]. 15 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Lebenserwartung und subjektive Gesundheit 16 84 Jahre 1.1.2 Lebenserwartung im europäischen Vergleich Frauen 82 80 78 76 74 72 70 68 1990 84 91 Jahre 92 93 94 95 96 97 Deutschland Dänemark Niederlande Schweden Frankreich Portugal 98 99 2000 01 02 03 04 Die Lebenserwartung der Deutschen nähert sich dem europäischen Durchschnitt an. Die Lebenserwartung der deutschen Männer und Frauen liegt unter dem europäischen Durchschnitt (EU 15), nähert sich diesem aber an (siehe Abbildung 1.1.2). Allerdings bleibt abzuwarten, ob sich hier zu Lande eine ähnliche Entwicklung einstellen wird wie in Dänemark und den Niederlanden. Dort ist die Lebenserwartung der Frauen unter den europäischen Durchschnitt gesunken, was mit einem seit Jahrzehnten steigenden Tabakkonsum der dänischen und niederländischen Frauen in Verbindung gebracht wird [3]. In den Niederlanden scheint sich aber seit 2003 eine Trendwende abzuzeichnen. Auch in Deutschland hat sich der Anteil der rauchenden Frauen in der Bevölkerung im Laufe der Jahre erhöht. Gleichzeitig ist das Einstiegsalter gesunken. Dies lässt für die Zukunft eine höhere Sterblichkeit bei den deutschen Frauen erwarten. Männer 82 80 78 76 74 72 70 68 1990 91 92 93 94 95 96 97 Deutschland Dänemark Niederlande Schweden Frankreich Portugal 98 99 2000 01 02 03 Abbildung 1.1.2: Lebenserwartung bei Geburt im europäischen Vergleich. Quelle: HFA – Database (Januar 2006), WHO 04 Definition Die Lebenserwartung in Gesundheit meint den Anteil der Lebenserwartung, der nicht durch gesundheitliche Beschwerden belastet ist. Hintergrund des vergleichsweise neuen Konzepts ist, dass beispielsweise eine Verlängerung der Lebenserwartung allein noch nichts da rüber aussagt, ob die höhere Lebensdauer auch mit mehr gesunden Lebensjahren einhergeht. Ebenso könnte die gestiegene Lebenserwartung mit einer verlängerten Krankheitsphase und vermehrtem Siechtum vor dem Tod erkauft sein. In den vergangenen Jahrzehnten wurden daher verschiedene Verfahren entwickelt, um Daten zur Sterblichkeit mit Informationen über gesundheitliche Beeinträchtigungen zu verbinden und eine nach der tatsächlichen Lebensqualität gewichtete Lebenserwartung zu berechnen: DFLE (disability-free life expectancy): Dieser Indikator ist ein Maß für die Zahl der gänzlich beschwerdefreien Lebensjahre. Dazu werden die Jahre, in denen gesundheitliche Beeinträchtigungen vorliegen, komplett von der Lebenserwartung abgezogen. DALE (disability-adjusted life expectancy): Von der Lebenserwartung werden die mit bestimmten Beschwerden (z. B. Rückenschmerzen) verbrachten Jahre anteilig abgezogen, je nach dem Grad der gesundheitlichen Beeinträchtigung (z. B. von „nicht beeinträchtigt“ bis „schwer beeinträchtigt“). HALE (Health-adjusted life expectancy): Auch bei dieser komplexesten Methode werden Lebensjahre anteilig von der Lebenserwartung abgezogen. Allerdings fließen dabei – anders als beim Dale-Konzept – eine ganze Reihe von möglichen Beschwerden und gesundheitlichen Parametern in die Berechnung ein [7, 8]. Lebenserwartung und subjektive Gesundheit | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 1.1.3 Lebenserwartung in Gesundheit Lebenserwartung bei Geburt in Jahren Mädchen Baden-Württemberg Jungen 82,56 Das Leben von Frauen ist stärker durch Beschwerden belastet als jenes der Männer. Die Weltgesundheitsorganisation verfügt über Daten zur gewichteten Lebenserwartung nach dem HALE-Konzept für die Jahre 2000 bis 2002 [9]. Demnach lag in Deutschland im Jahr 2002 die gesunde Lebenserwartung der Frauen bei 74,0 Jahren. 7,6 Jahre wurden in beeinträchtigter Gesundheit verbracht. Die gesunde Lebenserwartung der Männer betrug dagegen 69,6 Jahre. Mit gesundheitlichen Beschwerden lebten sie im Schnitt 5,9 Jahre lang. Die Europäische Union hat indes die Messgröße „Healthy Life Years“, die dem Dfle-Konzept entspricht, in das Kernset europäischer Strukturindikatoren integriert. Bei einem Vergleich mit anderen EU-Staaten zeigt sich, dass die beschwerdefreie Lebenserwartung in Deutschland relativ hoch ist (siehe Abbildung 1.1.3). Deutlich wird zudem, dass in allen Ländern Frauen einen größeren Anteil von Lebensjahren mit Beschwerden verbringen als Männer. Die Lebenserwartung in Gesundheit dagegen unterscheidet sich nur geringfügig zwischen den Geschlechtern. 77,40 Bayern 81,92 76,47 Berlin 81,19 75,69 Brandenburg 81,11 74,60 Bremen 81,03 74,73 Hamburg 81,44 76,18 Hessen 81,82 76,43 Mecklenburg-Vorpommern 80,83 73,84 Niedersachsen 81,51 75,75 Nordrhein-Westfalen 81,16 75,64 Rheinland-Pfalz 81,28 75,88 Saarland 80,35 74,81 Sachsen 81,87 75,43 Sachsen-Anhalt 80,78 74,02 Schleswig-Holstein 81,42 76,02 Thüringen 81,01 74,77 Tabelle 1.1.1: Lebenserwartung in den Bundesländern. Quelle: Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 15. 2. 2006 [2] Frauen 1.1.4 Subjektive Gesundheit Schweden Portugal Die meisten Deutschen sind mit ihrer Gesundheit zufrieden. Wie repräsentative Umfragen zeigen, liegt die Gesundheitszufriedenheit der Menschen in Deutschland auf einer Skala von 0 bis 10 bei rund 6,5. Dabei sind Männer etwas zufriedener als Frauen. In den vergangenen zehn Jahren ist sowohl das Ausmaß der Zufriedenheit als auch der Geschlechtsunterschied überaus stabil geblieben (siehe Abbildung 1.1.4). Niederlande Frankreich Deutschland Dänemark Männer Schweden Portugal Niederlande Frankreich Deutschland Dänemark 0 10 20 30 40 50 60 70 Jahre mit Beschwerden beschwerdefreie Lebenserwartung Abbildung 1.1.3: Beschwerdefreie Lebenserwartung im Jahr 2003. Quelle: Strukturindikatoren über Gesundheit, Eurostat 80 90 Definition Maße der subjektiven Gesundheit erfassen die persönlichen und sozialen Dimensionen des eigenen Befindens. In vielen Fällen sind sie für gesundheitspolitische Handlungsempfehlungen ebenso wichtig oder sogar wichtiger als objektiv messbare Größen. In Deutschland wird die subjektive Gesundheit bei Bevölkerungsstudien vor allem mit zwei Methoden erhoben: Die Zufriedenheit mit der Gesundheit ist ein Wert auf einer Skala von 0 bis 10, der angibt, wie zufrieden die Befragten mit ihrer allgemeinen gesundheitlichen Lage sind. Das subjektive Urteil spiegelt neben tatsächlichen Beschwerden und Erkrankungen auch gesundheitsbezogene Einstellungen, Werte, soziale Vergleiche oder Ängste. Auch gesellschaftliche Entwicklungen können sich in der Zufriedenheit mit der Gesundheit niederschlagen, selbst wenn der objektive Gesundheitsstatus unverändert geblieben ist. Um die Selbsteinschätzung der Gesundheit zu erfassen, wird häufig eine einfache Frage gestellt, beispielsweise: „Wie würden Sie Ihren gegenwärtigen Gesundheitszustand beschreiben?“ In der Regel soll die Frage mit einer von fünf vorgegebenen Wertungen („sehr schlecht“, „schlecht“, „mittelmäßig“, „gut“, „sehr gut“) beantwortet werden. Die Aussagekraft der Antworten ist gut belegt. So haben deutsche wie internationale Längsschnittstudien gezeigt, dass sich anhand der selbst eingeschätzten Gesundheit die zukünftige Sterblichkeit teilweise vorhersagen lässt [10–12]. Möglicherweise beeinflusst die gesundheitliche Selbsteinschätzung auch die Motivation, riskante Verhaltensstile zu verändern und beispielsweise das Rauchen aufzugeben oder einen Bewegungsmangel abzustellen. Nicht zuletzt entscheidet der erlebte und wahrgenommene Gesundheitszustand mit über die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. 17 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Lebenserwartung und subjektive Gesundheit 18 10 0 - sehr unzufrieden bis 10 - sehr zufrieden 8 6 4 2 0 1990 91 92 93 Frauen 94 95 96 97 98 99 2000 01 Männer Abbildung 1.1.4: Mittelwert der Angaben über die Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit in der Bevölkerung Deutschlands in den Jahren 1990 – 2001. Quelle: SOEP, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung 50 Prozent der Befragten Mit steigendem Alter nimmt die positive Einschätzung der Gesundheit ab. Im Jahr 2003 beurteilten drei Viertel der über 18-jährigen Deutschen ihren eigenen Gesundheitszustand als „gut“ oder „sehr gut“. Nur sieben Prozent der Frauen und sechs Prozent der Männer kamen zu einer schlechten oder sehr schlechten Bewertung. Bei beiden Geschlechtern nimmt die positive Gesundheitseinschätzung mit zunehmendem Alter allmählich ab. Bedeutsame Geschlechtsunterschiede zeigen sich nur bei den über 65-Jährigen. In dieser Altersgruppe bewerten Männer ihre eigene Gesundheit etwas besser als Frauen [13] (siehe Tabelle 1.1.2). Ähnlich wie bei der Gesundheitszufriedenheit lassen sich auch bei der Selbsteinschätzung der Gesundheit kaum Veränderungen im Zeitverlauf feststellen [14]. Zu allen Erhebungszeitpunkten stufte die Mehrzahl der Befragten den eigenen Gesundheitszustand als „zufrieden stellend“ bis „gut“ ein. Der Anteil derjenigen, die ihre Gesundheit als „schlecht“ bezeichnen, ist konstant niedrig und überschreitet nicht die 3-Prozent-Marke. Tendenziell zeigt sich zwischen 1994 und 2003 ein Anstieg des Bevölkerungsanteils, der seine Gesundheit als „sehr gut“ einschätzt (siehe Abbildung 1.1.5). 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 schlecht 1994 weniger gut 1996 zufriedenstellend gut 2001 1998 sehr gut 2003 Abbildung 1.1.5: „Wie würden Sie Ihren gegenwärtigen Gesundheitszustand beschreiben?“ Subjektiv eingeschätzter Gesundheitszustand der deutschen Bevölkerung in den Jahren 1994 – 2003. Quelle: Repräsentativerhebung der Universität Leipzig von 1994 – 2003 [14] Männer Frauen 18 – 29 30 – 44 45 – 64 65+ Ges. 18 – 29 30 – 44 45 – 64 65+ Ges. Sehr gut 33,6 28,0 15,7 9,3 21,8 33,6 27,2 17,3 7,6 20,4 Gut 56,5 58,9 53,0 44,8 54,1 53,1 55,7 50,3 36,4 49,0 Mittelmäßig 9,0 10,3 22,4 34,3 18,2 11,4 13,6 25,7 42,1 23,8 Schlecht 0,7 2,3 7,4 9,6 4,9 1,6 2,7 5,5 10,8 5,3 Sehr schlecht 0,1 0,5 1,5 2,1 1,0 0,3 0,8 1,3 3,1 1,4 Tabelle 1.1.2: Selbsteinschätzung der Gesundheit nach Alter und Geschlecht (in Prozent, N = 8 318). Quelle: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003 (GSTel03), Robert Koch-Institut Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 1.2 Krankheitslast Ω Zusammenfassung In Deutschland leben schätzungsweise vier Millionen diagnostizierte Diabetiker, jede fünfte Frau und jeder siebte Mann leidet an chronischen Rückenschmerzen, über 400 000 Personen erkranken jährlich an Krebs und fast ebenso viele versterben an einer Krankheit des Herz-Kreislauf-Systems – diese Zahlen werfen ein Schlaglicht auf die Krankheitsbelastung der deutschen Bevölkerung. Das Krankheitsspektrum wird seit Jahrzehnten von zwei Erkrankungsgruppen dominiert: den Herz-Kreislauf- und den Krebsleiden. Inzwischen lassen sich jedoch wichtige Verschiebungen belegen. So verlieren die Herz-Kreislauf-Krankheiten, wenn auch auf hohem Niveau, an Bedeutung. Seit 1990 hat die Herzinfarktsterblichkeit nur bei Frauen über 90 Jahren zugenommen, in allen anderen Altersgruppen der Frauen und bei Männern ging sie dagegen zurück. Auch für einzelne Krebsarten lassen sich bemerkenswerte Trends beobachten. So nimmt die Lungenkrebshäufigkeit bei Frauen zu, bei Männern dagegen ab. Vermutlich steht dies in engem Zusammenhang mit einem gestiegenen Zigarettenkonsum unter Frauen. Neben dem Rauchen gehören Übergewicht, mangelnde körperliche Bewegung, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen zu den Risikofaktoren, die für einen großen Teil der Krankheitsbelastung der Deutschen verantwortlich sind. Datenlage In Deutschland fehlen für viele Krankheiten einheitliche und belastbare Datenquellen. Um beispielsweise die Häufigkeit eines weit verbreiteten Leidens wie Rückenschmerzen zu ermitteln, sind eigene Erhebungen notwendig. Bei anderen Krankheiten müssen die Informationen aus verschiedensten Quellen zusammengestellt und miteinander abgeglichen werden. Das erschwert Aussagen über die eigentlichen Ursachen von Krankheiten, über Alters-, Geschlechts- und regionale Unterschiede sowie über zeitliche Trends. Zu den verfügbaren Informationen gehören in erster Linie Routinedaten, die von den Akteuren im Gesundheitssystem regelmäßig erhoben werden: Der Krankenhausdiagnosestatistik können Informationen über stationär behandelte Patienten entnommen werden. Dazu zählen etwa Angaben über die Hauptdiagnose, die Krankenhausverweildauer sowie die Fachabteilung, in welcher der Patient am längsten behandelt wurde. In der Krankenhausdiagnosestatistik schlagen sich allerdings nicht nur Veränderungen der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung nieder, sondern auch Veränderungen in der Krankenversorgung, die etwa durch neue gesundheitspolitische Rahmenbedingungen ausgelöst sind. Die Krebsregister liefern Daten zu Krebskrankheiten, aus denen sich die Zahl der Neuerkrankungen, die so genannte Inzidenz, sowie Überlebensraten schätzen lassen. Bis zur Wiedervereinigung standen vor allem die Daten des Saarländischen Krebsregisters für Inzidenzschätzungen in den alten Bundesländern zur Verfügung, während die DDR über ein flächen- Diese Risikofaktoren sind meist durch einen spezifischen Verhaltens- und Lebensstil bedingt, dessen Veränderung das Ziel vielfältiger gesundheitspolitischer Maßnahmen darstellt. Ein weiterer Motor der sich verändernden Krankheitsbelastung der Deutschen ist der demografische Wandel. So könnte sich durch den wachsenden Anteil älterer und alter Menschen die Häufigkeit von Demenzerkrankungen bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Ebenso muss bei anderen im höheren Lebensalter häufigen Leiden, beispielsweise Krebs, Diabetes und Osteoporose, Schlaganfall, mit steigenden Erkrankungszahlen gerechnet werden. Auch psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen gewinnen an Bedeutung und spielen bei Arbeitsunfähigkeitsfällen und Frühberentungen bereits jetzt eine führende Rolle. Die Zunahme psychischer Krankheiten, die durch Gesundheitssurveys in der Bevölkerung belegt ist, dürfte teilweise auf verstärkte seelische Belastungen zurückgehen. Eine eigene Dynamik entfalten die Infektionskrankheiten, die in den letzten Jahrzehnten stark rückläufig waren, in jüngster Zeit aber wieder an Bedeutung gewinnen. Beispielsweise ist der Anteil resistenter Tuberkulosebakterien in den vergangenen Jahren gestiegen. Zudem verbreiten sich Krankheitserreger durch weltweiten Handel und touristischen Reiseverkehr schnell auf der ganzen Welt. So könnte nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation durch das in Südostasien vorhandene Vogelgrippevirus eine weltweite Grippewelle ausgelöst werden. deckendes Krebsregister mit anerkannt hohem Registrierungsgrad verfügte. Seit 1990 schätzt die Dachdokumentation Krebs im Robert KochInstitut die Zahl der pro Jahr aufgetretenen Krebserkrankungen auf der Basis der vollständigen Krebsregister der Bundesländer. In der Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten werden am Robert Koch-Institut Daten zu meldepflichtigen, übertragbaren Erkrankungen zusammengetragen. Auch so genannte Sentinel-Erhebungen, bei denen ausgewählte Versorgungseinrichtungen wie Arztpraxen oder Krankenhäuser zusammenarbeiten, liefern Informationen über die Verbreitung bestimmter Infektionen, beispielsweise Grippe, Masern oder sexuell übertragbare Krankheiten. Die Daten der gesetzlichen Krankenversicherung geben Auskunft über die Dauer von Krankenhausaufenthalten, über Arbeitsunfähigkeitszeiten, verordnete Heil- und Hilfsmittel sowie verschriebene Arzneien. Anhand von Statistiken der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherer lassen sich Analysen zu Berufskrankheiten und Unfallverletzungen, zu Einschränkungen der Berufsfähigkeit sowie zur Inanspruchnahme von RehaLeistungen durchführen. Als weitere Datenquellen stehen die Schwerbehindertenstatistik, die Statistik der Pflegeversicherung, Perinatalerhebungen so wie Schuleingangsuntersuchungen zur Verfügung. Zudem sind im Jahr 2004 die gesetzlichen Voraussetzungen zur Nutzung von Versicherten- und Leistungserbringer-, beispielsweise Krankenkassendaten geschaffen worden. Diese Daten sollen zukünftig in aufbereiteter Form auch für die Gesundheitsberichterstat- tung des Bundes und der Länder genutzt werden können. Jedoch geben fast alle diese Datenquellen nur über jene Personen Auskunft, die bereits mit dem Gesundheitssystem in Berührung gekommen und beispielsweise ärztlich behandelt oder in einem Krankenhaus operiert worden sind. Beschwerden, für die keine medizinische Hilfe in Anspruch genommen wird, bleiben in den verfügbaren Routinedaten in der Regel verborgen. Ebenso wenig geben diese Auskunft über die eigentliche Lebensqualität der Deutschen oder den Einfluss ungleicher Lebensbedingungen auf die Gesundheit und die gesellschaftlichen Teilhabechancen. Um diese Lücke zu schließen, sind Bevölkerungsstudien wie die so genannten Gesundheitssurveys notwendig. So hat der BundesGesundheitssurvey 1998, bei dem Befragungen und ärztliche Untersuchungen bei einer bundesweiten repräsentativen Stichprobe durchgeführt wurden, Daten zur Häufigkeit von Krankheiten und Beschwerden, zur subjektiven Gesundheit und zur Lebensqualität, zum Gesundheitsverhalten der Bevölkerung und zur medizinischen Versorgung bereitgestellt. Ebenso konnten durch Zusatzmodule Informationen über Ernährungsgewohnheiten, psychische Störungen und Umweltbelastungen gewonnen werden. Darüber hinaus wurden Fragen zur Erwerbstätigkeit, zur familiären Situation und zu den Wohnverhältnissen gestellt. Durch Vergleich mit früheren nationalen Gesundheitssurveys (1984–86, 1987– 89 und 1990–91), dem Gesundheitssurvey Ost (1991–92) sowie den Telefonischen Gesundheitssurveys (2002/03 und 2003/04) lassen sich zeitliche Trends analysieren. 19 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast 20 30 Männer Anteil der Personen in Prozent Frauen 1.2.1 Diabetes Ω Zusammenfassung In Deutschland leben schätzungsweise vier Millionen Menschen mit einer diagnostizierten Zuckerkrankheit. 80 bis 90 Prozent von ihnen leiden an einem so genannten Typ-2-Diabetes, der mit steigendem Lebensalter häufiger wird. Durch den wachsenden Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung hat sich auch die Zahl der Diabetiker in den letzten Jahrzehnten wahrscheinlich deutlich erhöht. Die Entstehung eines Typ-2-Diabetes wird durch Übergewicht, Bewegungsmangel sowie eine schwache soziale Lage begünstigt. 25 20 15 10 5 0 18 –39 40– 49 50 –59 60– 69 70 –79 Neue Bundesländer 18– 39 40 –49 50– 59 60 –69 70 –79 Alte Bundesländer Altersgruppe Abbildung 1.2.1: Prävalenz des Diabetes mellitus nach Altersgruppen für die 18- bis 79-Jährigen. Quelle: BGS98, Robert Koch-Institut Anmerkung zur Auswahl der Erkrankungen Die Krankheitslast der Deutschen wird an ausgewählten Beispielen dargestellt. Dabei handelt es sich um Erkrankungen, die im Blick auf die gesundheitliche Lage der Bevölkerung besonders relevant sind, hohe Kosten verursachen oder sich durch gesundheitspolitische Maßnahmen verhüten oder in ihrem Verlauf beeinflussen lassen. So machen Herz-Kreislauf-Krankheiten und Krebsleiden rund 70 Prozent aller Todesfälle in Deutschland aus. Zudem gehören Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Leiden zu den meistgestellten Diagnosen in allgemeinmedizinischen und internistischen Praxen. Große Bedeutung für die zukünftige Gesundheit der Deutschen besitzen auch jene Krankheiten, die vor allem im höheren Lebensalter auftreten und sich durch den demografischen Alterungs- Mindestens einer von 20 Menschen in Deutschland ist zuckerkrank. Auf der Grundlage von verschiedenen seit Ende der 1980er Jahre durchgeführten Studien wird geschätzt, dass in Deutschland rund vier Millionen Frauen und Männer mit einer diagnostizierten Zuckerkrankheit leben, das entspricht etwa fünf Prozent der Bevölkerung [16–19]. Wahrscheinlich hat die Anzahl von Menschen mit Diabetes in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen. Dabei dürfte neben einem Anstieg der Neuerkrankungsraten in einzelnen Altersgruppen insbesondere der wachsende Anteil älterer Personen in der Bevölkerung eine Rolle spielen. Trotz dieses langfristigen Trends stagnierte die Krankheitshäufigkeit in den 1990er Jahren. Vergleicht man die Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 (BGS98) mit Surveys von 1990/91, scheint die Diabeteshäufigkeit nicht gestiegen zu sein. Auch auf der Grundlage der so genannten MONICA-Surveys (Monitoring Trends and Determinants in Cardiovascular Disease) fand sich in den letzten 15 Jahren in der Studienregion Augsburg keine Zunahme an diagnostizierten Diabetesfällen. Daten aus Nordeuropa (Schweden, Norwegen) zeigen für die erwachsene Bevölkerung ebenfalls eine relativ konstante Erkrankungshäufigkeit in den letzen 15 Jahren [20]. Alter, Geschlecht und soziale Lage beeinflussen das Diabetesrisiko. Die Ergebnisse des BGS98 zeigen, dass der Diabetes mit steigendem Alter immer häufiger wird (siehe Abbildung 1.2.1). Es bestehen deutliche Geschlechtsunterschiede: Bis zum 70. Lebensjahr sind die Männer öfter betroffen, danach die Frauen. In den neuen Bundesländern ist die Prävalenz (Krankheitsverbreitung) in allen Bevölkerungsgruppen höher als in den alten Ländern. prozess entsprechend häufen werden. Dazu gehören beispielsweise Demenzerkrankungen und Osteoporose. Ebenso sind die Krankheitskosten von Inte resse. Hohe direkte Behandlungskosten verursachen Herz-Kreislauf-Leiden (35 Milliarden Euro jährlich), Krankheiten des Verdauungssystems inklusive Zahnerkrankungen und Zahnersatz (31 Milliarden), Krankheiten des Muskel- und Skelettsystems (25 Milliarden), psychische und Verhaltensstörungen (22 Milliarden) sowie Krebsleiden (15 Milliarden) [15]. Infektionskrankheiten müssen auch in einem weltweiten Zusammenhang gesehen werden. So haben politische Veränderungen in manchen Ländern zu verschlechterten sozio ökonomischen und hygienischen Bedingungen geführt, gleichzeitig verstärken sich der internationale Handel und Reiseverkehr. Auch das Auftauchen resistenter Erreger und der Rückgang des Kondomgebrauchs lassen einzelne Infektionserkrankungen wieder an Bedeutung gewinnen. Ein wichtiges Auswahlkriterium liegt nicht zuletzt darin, ob sich eine Erkrankung durch gesundheitspolitische Maßnahmen verhüten oder in ihrem Verlauf beeinflussen lässt. So spielen Präventionsprogramme insbesondere bei chronischen Krankheiten wie Diabetes eine zunehmende Rolle. Zudem könnten so genannte Disease-Management-Programme die Versorgung chronisch Kranker verbessern. Mittlerweile wurde für Typ-2-Diabetes, Brustkrebs und die Koronare Herzkrankheit eine Vielzahl von Disease-Management-Programmen zugelassen. Die Diabetesprävalenz wird auch durch die soziale Lage mit bestimmt. Beim BGS98 zeigte sich, dass in der Unterschicht 5,6 Prozent der Männer, in der Mittelschicht 3,5 und in der Oberschicht 2,5 Prozent von einem so genannten nicht insulinpflichtigen Diabetes (in der Regel Typ-2-Diabetes) betroffen waren. Bei den Frauen waren in der Unterschicht 8,5 Prozent erkrankt, in der Mittelschicht 3,4 und in der Oberschicht 1,6 Prozent [21]. Schätzungsweise fünf Prozent aller Zuckerkranken leiden an einem Typ-1-Diabetes, der vorwiegend bei Kindern und Jugendlichen in der Folge eines Autoimmunprozesses auftritt. Bei weiteren fünf bis 15 Prozent der Zuckerkranken – meist handelt es sich um ältere Personen –, die aufgrund des klinischen Erscheinungsbildes bisher als Typ-2-Diabetiker galten, könnte tatsächlich ein verzögert auftretender Typ-1-Diabetes vorliegen, der so genannte latente Autoimmun-Diabetes der Erwachsenen (LADA) [22]. Unterm Strich kann davon ausgegangen werden, dass 80 bis 90 Prozent aller Diabeteskranken von einem Typ-2-Diabetes betroffen sind. Typ-1-Diabetes wird bei Kindern häufiger. Schätzungsweise 0,14 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 20 Jahren leiden an einem Typ-1-Diabetes, wobei Mädchen und Jungen gleichermaßen betroffen sind. Hochgerechnet entspricht das für diese Altersgruppe einer Zahl von etwa 25 000 Erkrankten in Deutschland [23]. In den anderen Altersgruppen liegt die Prävalenz des Typ1-Diabetes bei 0,2 bis 0,3 Prozent. Männer sind dabei geringfügig häufiger betroffen als Frauen. Insgesamt dürften hier zu Lande mindestens 200 000 Personen mit Typ-1-Diabetes leben [24]. Wie in anderen Ländern [25] ist auch in Deutschland zu beobachten, dass der Typ-1-Diabetes bei den unter 15-Jährigen häufiger wird, was Mädchen etwas stärker betrifft als Jungen. Eine Untersuchung in der Düsseldorfer Region ergab für den Zeitraum von 1987 bis 2000 eine Zunahme der Neuerkran- Definition Der Diabetes mellitus umfasst eine Gruppe von Krankheiten, deren gemeinsames Merkmal der chronisch erhöhte Blutzucker ist. Der Typ-1(a)-Diabetes, meist einfach nur als Typ 1 bezeichnet, tritt vorwiegend bei Kindern und Jugendlichen oder jungen Erwachsenen auf, der Neuerkrankungsgipfel liegt im Alter von zehn bis 15 Jahren. Die Krankheit beruht auf einer autoimmunen Zerstörung der Insulin produzierenden Zellen (so genannte Beta-Zellen oder Inselzellen) in der Bauchspeicheldrüse. Bei fortgeschrittenem Verlust der Inselzellen kommt es zu einem Insulinmangel, der unbehandelt zum Tode führt. Insulin muss deshalb durch mehrmaliges tägliches Spritzen von außen zugeführt werden. Vom Typ-2-Diabetes sind überwiegend Personen jenseits des 40. Lebensjahres betroffen, wobei die Häufigkeit mit steigendem Alter zunimmt („Altersdiabetes“). Es handelt es sich um ein komplexes Krankheitsbild: Durch das Zusammenspiel von genetischen Anlagen und zusätzlichen Faktoren wie Übergewicht verändert sich die Wirkung von Insulin im Gewebe. Es kommt zu einer so genannten Insulinresistenz, einem verminderten Ansprechen der Körperzellen auf das Hormon Insulin. Gleichzeitig sinkt die Insulinausschüttung in der Bauchspeicheldrüse. Die Folge ist eine Störung des Zuckerhaushalts sowie anderer Stoffwechselsysteme, beispielsweise des Fettstoffwechsels. Oft bestehen neben einem Typ-2-Diabetes weitere Erkrankungen: Die typische Kombination aus Übergewicht, hohem Blutdruck, Störungen des Fett- und Glukosestoffwechsels in Verbindung mit einer Insulinresistenz wird als Metabolisches Syndrom bezeichnet. Das Syndrom steigert das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | kungsrate um 4,3 Prozent pro Jahr bei Mädchen und 3,0 Prozent pro Jahr bei Jungen [26]. Zieht man einen Vergleich mit dem Diabetes-Register der ehemaligen DDR heran, liegen inzwischen Inzidenz und Prävalenz etwa zweimal höher als Ende der 1980er Jahre [27]. Unterdessen bleibt offen, ob auch der Typ-2-Diabetes inzwischen gehäuft in jüngeren Jahren auftritt. So wurde bei Jugendlichen in bestimmten Bevölkerungsgruppen, insbesondere bei Angehörigen ethnischer Minderheiten in den USA, eine gestiegene Prävalenz des Typ-2-Diabetes beobachtet [28]. Allerdings konnten diese Zahlen weder außerhalb der untersuchten ethnischen Minderheiten noch in europäischen Ländern bestätigt werden [29]. Bevölkerungsbasierte, repräsentative Daten für Deutschland fehlen bisher. Studienergebnisse zeigen aber, dass bei stark übergewichtigen Kindern mit entsprechender familiärer Veranlagung ein erhöhtes Risiko für einen Typ-2Diabetes besteht [30]. Ein gesunder Lebensstil senkt das Diabetesrisiko. Der Typ-2Diabetes steht – im Gegensatz zum Typ-1-Diabetes – in engem Zusammenhang mit der Lebensweise. Bekannt ist, dass das Erkrankungsrisiko durch Übergewicht, Fehlernährung und Bewegungsmangel erhöht wird. Umgekehrt können gefährdete Personen ihr Risiko bereits durch eine mäßige Gewichtsreduktion, eine fettarme und ballaststoffreiche Ernährung sowie ein moderates Sportprogramm deutlich senken. Entsprechend groß sind die Möglichkeiten zur Krankheitsprävention. So hat die Initiative „gesundheitsziele.de“, in der Vertreter von Krankenversicherungen, Leistungserbringern, Ministerien und anderen sozialpolitischen Akteuren zusammenarbeiten, für den Typ-2-Diabetes drei wichtige gesundheitspolitische Ziele formuliert: Erstens sollte die Zahl der Neuerkrankungsfälle reduziert, also die so genannte Primärprävention gestärkt werden. Zweitens ist notwendig, die Diagnose des Typ-2-Diabetes bereits in einem früheren Stadium zu stellen, in dem noch keine Folgeschäden aufgetreten sind (Sekundärprävention und Früherkennung). Drittens sollten die Lebensqualität von Menschen mit Typ-2-Diabetes verbessert und die Folgeprobleme möglichst gering gehalten werden (Krankenbehandlung und Rehabilitation). Zumindest teilweise ließen sich diese Ziele durch DiseaseManagement-Programme (DMP) und integrierte Versorgungsmodelle erreichen, die eine flächendeckende, qualifizierte Versorgung sicherstellen sollen. Sinn der DMP ist vor allem, Komplikationen und Folgeerkrankungen durch eine abgestimmte und kontinuierliche Betreuung und Behandlung zu vermeiden oder zu verzögern. Ω Umfassende Informationen zu Diabetes mellitus finden sich in Heft 24 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [31]. 21 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast 22 1 600 je 100 000 Einwohner Frauen 1 400 1 200 1 000 800 600 400 200 0 25–29 30–34 1990 1 600 35–39 40–44 45 –49 50 –54 55–59 60– 64 65 –69 70 –74 75–79 80–84 85–89 ≥90 Altersgruppe 2003 je 100 000 Einwohner Männer 1 400 1 200 1 000 800 600 400 200 0 25–29 30–34 1990 35–39 40–44 45 –49 50 –54 55–59 60– 64 65 –69 2003 Abbildung 1.2.2: Zeitliche Trends der Sterblichkeit an akutem Myokardinfarkt je 100 000 Einwohner nach Geschlecht in Deutschland in den Jahren 1990 und 2003. Quelle: Todesursachenstatistik, Statistisches Bundesamt, 1990: ICD-9: 410; 2003: ICD-10: I21 70 –74 75–79 80–84 85–89 ≥90 Altersgruppe Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 1.2.2 Herz-Kreislauf-Krankheiten Ω Zusammenfassung Herz-Kreislauf-Krankheiten sind weiterhin die häufigsten Todesursachen bei Frauen und Männern in Deutschland. Zudem führen sie nicht selten durch einen vorzeitigen Tod unter 70 Jahren zu einem erheblichen Verlust (potenzieller) Lebensjahre. Darüber hinaus verursacht die Gruppe der Herz-Kreislauf-Leiden die insgesamt höchsten Behandlungskosten, wobei vor allem die so genannte koronare Herzkrankheit sowie der Schlaganfall zu Buche schlagen. Dennoch spielen Herz-Kreislauf-Krankheiten eine geringere Rolle als noch im Jahr 1990. Seitdem ist die Herzinfarktsterblichkeit nur bei Frauen über 90 Jahren gestiegen, in allen anderen Altersgruppen der Frauen und bei Männern ging sie dagegen zurück. Gleichzeitig sind die Sterblichkeitsraten beim Schlaganfall deutlich gesunken. Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems werden durch Zigarettenkonsum, Übergewicht und Bewegungsmangel sowie Bluthochdruck, Störungen des Fettstoffwechsels und Diabetes mellitus begünstigt. Diese Risikofaktoren, die sich großteils auf die persönliche Lebensweise zurückführen lassen, zählen zu den häufigsten Diagnosen bei niedergelassenen Allgemeinmedizinern und Internisten. Frauen (%) Männer (%) Schmerzlokalisation und -ausstrahlungen hinter dem Brustbein 88 88 linker Arm 56* 46 rechter Arm 28 25 Rücken/linkes Schulterblatt 36* 19 Kiefer-Halswinkel 29* 21 9 8 Oberbauch Begleitbeschwerden kalter Schweiß 47 46 Atemnot 47 40 Todesangst/Vernichtungsgefühl Übelkeit ohne Erbrechen Übelkeit mit Erbrechen 35* 18 24 19 17* 9 * signifikant häufiger bei Frauen im Vergleich zu Männern im gleichen Zeitraum Tabelle 1.2.1: Akute Herzinfarktsymptomatik der während des Krankenhausaufenthaltes befragten Frauen (N = 359) und Männer (N = 1115) der Altersgruppe 25 – 74 Jahre. Quelle: Daten des MONICA/KORA Herzinfarktregisters Augsburg 2000/02 Datenlage Um die zeitlichen Trends bei der koronaren Herzkrankheit zu verfolgen, initiierte die Weltgesundheitsorganisation WHO Ende der 1970er Jahre das Projekt MONICA (Monitoring Trends and Determinants in Cardiovascular Disease). Ziel dieser Untersuchung war, über zehn Jahre hinweg die Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren, Krankheitshäufigkeit 1.2.2.1 Koronare Herzkrankheit und akuter Myokardinfarkt Bei Frauen äußert sich ein Infarkt anders als bei Männern. Die Symptome eines Herzinfarkts können sich bei Frauen und Männern deutlich unterscheiden. Das belegen beispielsweise Befragungen bei Infarktpatienten aus der Region Augs burg (siehe Tabelle 1.2.1). Allerdings wird dieser Tatsache bisher sowohl unter medizinischem Personal wie in der Bevölkerung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dadurch beginnt auch die Therapie bei Frauen oft später als bei Männern, was das Sterblichkeitsrisiko erhöhen kann. Generell sollte bei stärkeren, mehrere Minuten anhaltenden Beschwerden, die auf einen Infarkt hindeuten könnten, schnellstmöglich ein Notarzt gerufen werden. Man spricht bei der Infarkttherapie von der „goldenen ersten Stunde“, weil in dieser Zeit die gestörte Durchblutung des Herzmuskels am ehesten wiederhergestellt werden kann. Nach sechs Stunden sind die Folgen eines Sauerstoffmangels kaum noch zu beheben. Immer weniger Menschen sterben in Deutschland an Herzinfarkt. Im Jahr 2003 starben in Deutschland laut amtlicher Todesursachenstatistik 29 550 Frauen und 34 679 Männer an einem akuten Herzinfarkt. Das sind bei Frauen 6,5 Prozent und bei Männern 8,7 Prozent aller Todesfälle. Vergleicht man indes die Jahre 1990 und 2003, zeigt sich ein deutlicher Rückgang der Infarktsterblichkeit. So sank die altersstandardisierte Sterblichkeitsrate bei Frauen von 48,0 auf 32,4 jährliche Infarkttodesfälle pro 100 000 Einwohnerinnen. Bei Männern reduzierte sich die Sterbeziffer im selben Zeitraum von 127,6 auf 71,4. Tatsächlich ist nur bei Frauen über 90 Jahren ein Anstieg der Infarktsterblichkeit zu verzeichnen. In allen anderen Altersgruppen bei Frauen sowie in sämtlichen Altersgruppen bei Männern ging die Mortalität zurück (siehe Abbildung 1.2.2). In Sachsen-Anhalt gibt es häufiger Herz-Kreislauf-Tote als in Baden-Württemberg. Neben Alter und Geschlecht beeinflussen möglicherweise auch regionale Unterschiede die Sterblichkeit bei Herz-Kreislauf-Leiden. So zeigen Daten für das Jahr 2003, dass die Gesamtsterblichkeit ebenso wie die Rate Definition Die koronare oder auch ischämische Herzkrankheit ist eine chronische Erkrankung der Herzkranzgefäße (Koronararterien), bei der es durch Verengung oder Verschluss eines oder mehrerer Gefäße zu einer Mangeldurchblutung (Ischämie) des Herzens kommt. Der Grund liegt in einer Verkalkung der Arterien (Arteriosklerose), die vor allem durch Zigarettenkonsum, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes mellitus verursacht wird. Die koronare Herzkrankheit kann zu Brustschmerzen (Angina pectoris), zur Herzschwäche (Herzinsuffizienz) sowie zum akuten Myokardinfarkt (Herzinfarkt) führen. Der Infarkt, bei dem Herzmuskelgewebe in der Folge eines starken Durchblutungsmangels abstirbt, gilt als besonders wichtige Komplikation einer koronaren Herzkrankheit und geht mit einer hohen Sterblichkeitsrate einher. und Sterblichkeitsraten zu analysieren. Ebenso sollten Trends in der medizinischen Versorgung untersucht werden. Dabei bezog man insgesamt 37 Bevölkerungsgruppen aus 21 Ländern ein. Die Teilnehmer waren 25 bis 74 Jahre alt. Als Analyse instrumente dienten Herzinfarktregister sowie Bevölkerungssurveys. In der Studienregion Augsburg als einer der drei beteiligten deutschen Regionen wurde die Herz-Kreislauf-Forschung auch nach Abschluss des WHO-Projektes fortgesetzt. Das Augsburger Register stellt weiterhin jährliche Daten zur Häufigkeit von Herzinfarkten zur Verfügung und bietet damit eine wertvolle Ergänzung zur bundesweiten Todesursachenund Krankenhausdiagnosestatistik. 23 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast 24 1 000 je 100 000 weibliche Einwohner 800 600 400 200 0 D SL MP BB MI 1 000 ST TH NW SH sonst. KHK RP B NI SN HH sonst. HKK BY HE HB BW and. TU je 100 000 männliche Einwohner 800 600 400 200 0 D MP MI ST BB TH SL HB sonst. KHK SN NW NI RP sonst. HKK B SH HH HE BY and. TU D: Deutschland gesamt SL: Saarland MP: Mecklenburg-Vorpommern BB: Brandenburg ST: Sachsen-Anhalt TH: Thüringen NW: Nordrhein-Westfalen SH: Schleswig-Holstein RP: Rheinland-Pfalz B: Berlin NI: Niedersachsen SN: Sachsen HH: Hamburg BY: Bayern HE: Hessen HB: Bremen BW: Baden-Württemberg And. TU:Alle anderen nichtkardialen Todesursachen Sonst. HKK:Herz-Kreislauf-Erkrankungen (exklusive koronare Herzkrankheit) Sonst. KHK:Koronare Herzkrankheit (exklusive Myokardinfarkt) MI: Akuter Myokardinfarkt Abbildung 1.2.3: Altersstandardisierte Sterbefälle je 100 000 Einwohner im Jahr 2003 unterteilt nach Bundesland und Todesursachengruppen. Quelle: Todesursachenstatistik, Statistisches Bundesamt BW der Herz-Kreislauf-Todesfälle zwischen den einzelnen Bundesländern deutlich variiert (siehe Abbildung 1.2.3). Allerdings ist noch nicht geklärt, ob es sich dabei um echte Unterschiede im Sterberisiko handelt. Ebenso könnten sich die Differenzen beispielsweise dadurch erklären, dass Ärzte in den einzelnen Ländern die Todesursachen nach leicht unterschiedlichen Kriterien diagnostizieren. Die Überlebenschancen bei Herzinfarkt steigen. Nach Daten des Augsburger Herzinfarktregisters sank seit dem Jahr 1985 der Anteil an Infarktpatientinnen und -patienten, der vor der Einlieferung im Krankenhaus oder während der ersten Kliniktage verstirbt. Dies ist eng mit einer verbesserten Notfallversorgung verbunden. Durch eine bessere Akutbehandlung und Rehabilitation konnte den Daten zufolge auch das Risiko gesenkt werden, dass betroffene Männer sowie Infarktpatientinnen über 65 Jahren später einen weiteren Herzinfarkt erleiden. Dennoch kann selbst eine gute Therapie die Zahl der Todesfälle nur teilweise beeinflussen. So treten nach wie vor 90 Prozent aller Infarkttodesfälle vor Erreichen der Klinik oder am ersten Behandlungstag auf. Ein großer Teil dieser tödlichen Infarkte dürfte durch eine konsequente Prävention der Risikofaktoren und eine schnellstmöglich erfolgende medizinische Versorgung zu vermeiden sein. Frauen holen beim Herzinfarkt auf, doch die Hauptbetroffenen bleiben die Männer. Ähnlich wie die Rate der Infarkttodesfälle (Mortalität) ist bei Männern auch die Rate der insgesamt neu auftretenden Herzinfarkte (Inzidenz) zurückgegangen. Das zeigen zumindest die Zahlen aus der Region Augsburg. Eine rückläufige Inzidenz lässt sich auch bei den 55- bis 75-jährigen Frauen beobachten. Bei den Frauen zwischen 25 und 54 Jahren steigt die Neuerkrankungsrate dagegen an. Der Anstieg korreliert mit einem vermehrten und früher beginnenden Zigarettenkonsum in der weiblichen Bevölkerung [32]. Gleichwohl bleiben Männer die Hauptbetroffenen des Herzinfarkts. So erleiden sie in jüngeren Jahren im Vergleich mit gleichaltrigen Frauen bis zu 8-mal häufiger einen Infarkt und versterben bis zu 9-mal öfter an der Erkrankung. Nach dem 65. Lebensjahr weisen Männer ein 3-fach höheres Risiko auf, ab dem 85. Lebensjahr kommt es in etwa zu einem Gleichstand. Erst im sehr hohen Alter versterben dann Frauen häufiger als Männer in der Folge eines Infarkts. Unterm Strich ist die altersstandardisierte Erkrankungs- und Sterblichkeitsrate bei Männern doppelt so hoch wie bei Frauen (siehe Tabelle 1.2.2). Deutschland ist europäischer Spitzenreiter bei den Herzkatheter-Untersuchungen. In der Europäischen Union (EU-15) ist die altersstandardisierte Sterblichkeit bei koronaren Herzerkrankungen seit dem Jahr 1990 gesunken (siehe Abbildung 1.2.4). Der rückläufige Trend ist bei den Männern, wenn auch auf höherem Niveau, deutlich stärker ausgeprägt als bei den Frauen. Deutschland liegt bei den Mortalitätsraten im Mittelfeld, aber über dem Durchschnitt der EU. Tendenziell versterben im Süden Europas weniger Menschen an den Folgen einer koronaren Herzkrankheit als im Norden. In Europa ist im Zeitraum von 1992 bis 2001 die Zahl der Eingriffe an den Herzkranzgefäßen gestiegen. Im Vergleich der europäischen Länder belegt Deutschland dabei den führenden Rang sowohl bei Herzkatheter-Untersuchungen als auch bei Gefäßaufdehnungen (Ballondilatation, PTCA) [33]. Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 400 Frauen Fälle pro 100 000 350 300 250 200 150 100 50 0 1990 91 92 93 94 95 Deutschland 400 96 97 98 99 2000 01 02 03 04 Frankreich Niederlande Fälle pro 100 000 Großbritannien Männer 350 300 250 200 150 100 50 0 1990 91 92 93 94 95 96 97 98 Deutschland Frankreich Niederlande Großbritannien 99 2000 01 02 03 04 Abbildung 1.2.4: Mortalität koronare Herzkrankheiten. Quelle: HFA-Database (Januar 2006), WHO Altersgruppen Männer Frauen Morbidität Register 2000/02 Mortalität Register 2000/02 Männer je Frau Morbidität Register 2000/02 Mortalität Register 2000/02 Morbidität Register 2000/02 Mortalität Register 2000/02 25 – 29 2 0 2 2 1 – 30 – 34 22 11 3 0 8,2 – 35 – 39 45 10 6 0 7,4 – 40 – 44 120 28 24 7 5,1 4 45 – 49 247 76 39 8 6,3 9,4 50 – 54 386 95 93 29 4,1 3,2 55 – 59 524 189 120 48 4,4 4 60 – 64 759 368 207 80 3,7 4,6 65 – 69 1072 500 351 167 3,1 3 70 – 74 1578 913 667 403 2,4 2,3 75 – 79 1705 1279 895 671 1,9 1,9 80 – 84 2744 2195 1714 1371 1,6 1,6 5129 4464 4392 3846 1,2 1,2 478 291 229 161 2,1 1,8 ≥ 85 Altersstandardisierte Gesamtsterblichkeit Tabelle 1.2.2: Herzinfarktmorbidität und koronare Mortalität je 100 000 Einwohner nach Alter und Geschlecht für Deutschland 2000/02 auf Grundlage der Daten der Region Augsburg. Quellen: Altersbereich 25 – 74 Jahre: MONICA/KORA Herzinfarktregister Augsburg 2000/02; Altersbereich ≥ 75 Jahre unter Verwendung von Daten der Todesursachen statistik 2002 25 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast 26 45 Anzahl in Tausend 40 35 30 25 20 15 10 5 0 <1 1–4 5–9 weiblich 10 –14 15– 19 20 –24 25– 29 30–34 35–39 40 –44 45–49 50– 54 55–59 60– 64 65–69 Abbildung 1.2.5: Anzahl der im Jahr 2002 aus dem Krankenhaus entlassenen vollstationären Patienten mit zerebrovaskulären Krankheiten nach Alter und Geschlecht. Quelle: Krankenhausdiagnosestatistik, Statistisches Bundesamt, ICD-10: I60 – I69 4 500 Frauen Todesfälle je 100 000 Einwohner Männer 4 000 3 500 3 000 2 500 2 000 1 500 1 000 500 0 60–64 65– 69 1990 70 –74 75–79 70–74 75–79 80–84 85–89 ≥90 Altersgruppe männlich 80–84 85–89 ≥90 60–64 2003 Abbildung 1.2.6: Zeitliche Trends der Sterblichkeit an zerebrovaskulären Krankheiten je 100 000 Einwohner bei den über 60-jährigen Frauen und Männern in Deutschland in den Jahren 1990 und 2003. Quelle: Todesursachenstatistik, Statistisches Bundesamt, 1990: ICD-9: 430 – 438; 2003: ICD-10: I60 – I69 65– 69 70 –74 75–79 80–84 85–89 ≥90 Altersgruppe Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 1.2.2.2 Schlaganfall Der Schlaganfall äußert sich vielfältig und bei Frauen oft anders als bei Männern. Die akuten Beschwerden bei einem Schlaganfall hängen vom Ausmaß der Schädigung und von der betroffenen Hirnregion ab. Gleichwohl gibt es typische Symptome. Dazu zählen ein plötzliches Schwächegefühl oder Lähmungen in einer Körperhälfte ebenso wie Gefühllosigkeit an unterschiedlichsten Körperregionen, Sprach-, Hör- und Sehstörungen sowie heftiger Kopfschmerz, starker Schwindel und Bewusstlosigkeit. Frauen haben dabei häufig andere Beschwerden als Männer, beispielsweise Schmerzen oder Bewusstseinsstörungen [34]. Eine sofortige medizinische Versorgung innerhalb der ersten sechs Stunden ist entscheidend für den Erfolg der Behandlung. Erschwert wird die schnelle Therapie aber dadurch, dass viele Betroffene und ihre Angehörigen, vor allem Personen im Rentenalter, die Symptome des Schlaganfalls nicht ausreichend kennen [35]. Beim Telefonischen Gesundheits survey 2004 [36] zeigte sich, dass verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlich gut über den Schlaganfall Bescheid wissen. Frauen kennen die Symptome etwas besser als Männer. Bei beiden Geschlechtern ist das Wissen über den Schlaganfall im mittleren Lebensalter am größten. Vor allem in der Hochrisikogruppe der Älteren scheint eine intensivere Aufklärung notwendig zu sein. Die meisten Schlaganfälle treten jenseits des 60. Lebensjahrs auf. Der Schlaganfall ist eine häufige Krankheit. Innerhalb der Herz-Kreislauf-Leiden stehen zerebrovaskuläre Erkrankungen an dritter Stelle der Krankenhausdiagnosestatistik [37]. Die Häufigkeit des Schlaganfalls nimmt mit steigendem Alter zu (siehe Abbildung 1.2.5). So treten fast 85 Prozent aller Schlaganfälle jenseits des 60. Lebensjahres auf. Wegen der demografischen Alterung ist in Deutschland mit einem weiteren Anstieg der Erkrankungshäufigkeit zu rechnen. Definition Der Schlaganfall ist eine plötzlich auftretende Durchblutungsstörung des Gehirns, bei der es zu schlagartigen Lähmungen sowie Störungen der Sinne, der Sprache und des Bewusstseins kommen kann. Unter dem Begriff „Schlaganfall“ werden verschiedene Krankheitsbilder zusammengefasst, die man auch als zerebrovaskuläre Erkrankungen bezeichnet. Rund 80 Prozent aller Schlaganfälle gehen auf einen Durchblutungsmangel (Ischämie) einer Hirnregion mit nachfolgendem Hirninfarkt zurück. Die wichtigsten Ursachen sind dabei Gefäßverengungen in den großen zum Gehirn führenden Arterien, verschleppte Blutgerinnsel aus dem Herzen (kardiale Embolien) sowie Erkrankungen der kleinen Blutgefäße im Gehirn selbst (Mikroangiopathien). In etwa 20 Prozent der Fälle wird der Schlaganfall durch eine Hirnblutung verursacht. Oft verläuft die Entstehung der Erkrankung in drei Stadien. Im ersten Stadium liegen bereits Gefäßverengungen, aber noch keinerlei Symptome vor. Im zweiten Stadium kommt es zu leichteren Durchblutungsstörungen mit vorübergehenden Beschwerden. Im dritten Stadium, dem akuten Schlaganfall, bleiben die neurologischen Schäden auch nach mehreren Tagen bestehen und bilden sich von allein nicht mehr zurück. Datenlage Bis zum Jahr 1994 gab es außer der Krankenhausdiagnose- und der Todesursachenstatistik keine aussagekräftigen Daten zu Verbreitung und Prognose des Schlaganfalls. Aus diesem Grund wurde im Jahr 1994 ein Schlagan- Schätzungen zur Neuerkrankungsrate (Inzidenz) sind anhand des Erlanger Schlaganfallregisters möglich. Danach beträgt die jährliche altersstandardisierte Schlaganfall-Inzidenz 182 Erkrankungsfälle pro 100 000 Einwohner. Dabei sind Männer (200 Fälle pro 100 000 männliche Personen) häufiger betroffen als Frauen (170 pro 100 000) [38]. Immer weniger Deutsche sterben an einem Schlaganfall. Der Schlaganfall ist bei den Frauen die vierthäufigste, bei den Männern die fünfthäufigste Todesursache. Allerdings zeigt sich im Vergleich der Jahre 1990 und 2003, dass die Sterblichkeit beim Schlaganfall deutlich zurückgegangen ist (siehe Abbildung 1.2.6). Dieser Trend könnte durch bessere Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit bedingt sein [39]. Im Erlanger Schlaganfallregister wurde gemäß internationalen Standards [40] erfasst, wann Menschen mit einem Schlaganfall versterben. Danach erlagen 19,4 Prozent aller Patientinnen und Patienten mit einem erstmaligen Schlaganfall innerhalb von 28 Tagen ihrem Leiden. Innerhalb von drei Monaten erhöhte sich der Anteil auf 28,5 Prozent, nach zwölf Monaten auf insgesamt 37,3 Prozent. Rund jeder Dritte verstirbt also binnen eines Jahres nach einem Schlaganfall. Die höchste Sterberate ergab sich für Patientinnen und Patienten, bei denen der Schlaganfall durch eine kardiale Embolie verursacht worden war. Seit Ende der 1990er Jahre liegt die Sterblichkeitsrate unter dem EU-Durchschnitt. Sowohl bei der Neuerkrankungsrate (Inzidenz) wie der Sterblichkeit zeigen sich in Europa Unterschiede. Im europäischen Netzwerk „European Registries of Stroke“ (EROS) wurden die Daten von drei Schlaganfallregistern in Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammengeführt. Für die Jahre 1995 bis 1997 zeigte sich, dass die Inzidenz in Deutschland am höchsten, in Frankreich am niedrigsten war. Die Gründe für diese Differenzen sind noch nicht abschließend geklärt. Eine Erklärung könnte in der unterschiedlichen Verbreitung der Risikofaktoren des Schlaganfalls liegen [38]. Die in den verschiedenen europäischen Ländern auseinander gehenden Inzidenzraten veranlassten Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation und des European Stroke Council im Jahr 1996, einen gemeinsamen Standard für die Akutbehandlung, Rehabilitation und Prävention des Schlaganfalls zu definieren [40]. Vergleicht man indes die altersstandardisierten Sterbeziffern, so zeigt sich folgender Trend: Bis Ende der 1990er Jahre lagen die Sterblichkeitsraten in Deutschland über, in den Niederlanden und Frankreich deutlich unter dem Durchschnitt der 15 EU-Staaten (siehe Abbildung 1.2.7). Inzwischen ist die Sterblichkeit bei zerebrovaskulären Krankheiten auch hier zu Lande unter den europäischen Durchschnitt gesunken. Der Schlaganfall ist ein Hauptgrund für die Pflegebedürftigkeit im Erwachsenenalter. In der Zeit direkt nach einem Schlaganfall haben die meisten Patientinnen und Patienten Schwierigkeiten bei den Aktivitäten des täglichen Lebens, etwa bei der Toilettenbenutzung, beim Gehen, Essen und Trinken. Bleibende neurologische Schäden finden sich bei rund 60 Prozent der Betroffenen [41]. Tatsächlich ist der Schlaganfall einer der Hauptgründe für die Pflegebedürftigkeit im Erwachsenenalter. fallregister in Erlangen eingerichtet (Erlanger Schlaganfallregister), das die Neuerkrankungsund Überlebensraten beim Schlaganfall sowie den daraus resultierenden medizinischen Versorgungsbedarf bestimmen soll. Als Studienbevölkerung wurden alle Einwohner der Stadt Erlangen eingeschlossen. Seit dem Jahr 2003 ist das Erlanger Schlaganfallregister Teilprojekt des Kompetenznetzes Schlaganfall, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. 27 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast 28 250 Frauen Fälle pro 100 000 200 150 100 50 0 1992 250 93 94 95 96 97 98 Deutschland Frankreich Niederlande Großbritannien Fälle pro 100 000 99 2000 01 02 03 04 Männer 200 150 100 50 0 1992 93 94 95 96 97 98 Deutschland Frankreich Niederlande Großbritannien 99 2000 01 02 03 Abbildung 1.2.7: Europäischer Vergleich der altersstandardisierten Sterberaten an zerebrovaskulären Erkrankungen je 100 000 Einwohner nach Geschlecht. Quelle: HFA-Database (Januar 2006), WHO 04 Eine besonders intensive Behandlung und Betreuung von Schlaganfallpatientinnen und -patienten kann in so genannten Stroke Units geleistet werden. Das sind Stationen mit speziell geschultem Personal und umfangreichen technischen Möglichkeiten. Derzeit gibt es in ganz Deutschland 107 solcher Spezialstationen, die auf der Website des Kompetenznetzwerks Schlaganfall verzeichnet sind (www.kompetenznetz-schlaganfall.de). Wie eine jüngste Untersuchung zeigen konnte, haben die in Stroke Units behandelten Patientinnen und Patienten eine erhöhte Chance zu überleben und wieder ein selbstständiges Leben zu führen [42]. Die „Berliner-Akuter-Schlaganfall-Studie“ (BASS), eines der Forschungsprojekte innerhalb des Kompetenznetzwerks Schlaganfall, analysierte die Versorgungslage von Schlaganfallpatientinnen und -patienten in vier Berliner Krankenhäusern [41]. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass viele Patientinnen und Patienten zu spät in die Klinik kommen, wenn sie ihre Symptome falsch einschätzen, eine niedrige Bildung besitzen, allein leben und nicht den Rettungsdienst alarmieren. Doch auch im Krankenhaus selbst kommt es zu Verzögerungen bei der Behandlung, was die Notwendigkeit ärztlicher Fortbildungen verdeutlicht. Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 1.2.3 Seelische Gesundheit Ω Zusammenfassung Die Bedeutung psychischer Erkrankungen wurde wegen eines Mangels verlässlicher Daten lange Zeit unterschätzt. Wie neuere Erhebungen inzwischen zeigen, durchleben in Deutschland 15 Prozent der Frauen und acht Prozent der Männer innerhalb eines Jahres eine depressive Phase. Gefürchtete Folge einer Depression ist der Selbstmord. So verstirbt etwa einer von sieben schwer depressiven Patienten durch Suizid. Zudem sind Depressionen häufiger Grund für eine Arbeitsunfähigkeit. Auch Angsterkrankungen sind in Deutschland weit verbreitet. Innerhalb eines Jahres erfährt jede fünfte Frau und fast jeder zehnte Mann eine Angststörung. Diese führt oft zu starken Beeinträchtigungen des alltäglichen Lebens. Bisher wird wahrscheinlich nur bei einem Teil der Betroffenen die richtige Diagnose gestellt und eine angemessene Behandlung eingeleitet. 1.2.3.1 Depression Depressionen sind häufig und mindern die Lebensqualität der Betroffenen. Depressionen gehören weltweit zu den häufigsten Formen psychischer Erkrankungen. Allerdings wurden sie lange Zeit unterschätzt. Studien aus den 1990er Jahren belegen, dass Haus- und Allgemeinärzte Depressionen oft nicht erkannten [47]. Und in jenen Fällen, in denen die korrekte Diagnose gestellt wurde, erhielten die Patientinnen und Patienten mitunter keine sachgerechte Behandlung [48]. Diesen Problemen wurde in den letzten Jahren zunehmend Beachtung geschenkt. Nach Daten der „Global Burden of Disease Study 2000“ (GBD 2000) litten zum Zeitpunkt der Erhebung weltweit 3,2 Prozent der Frauen und 1,9 Prozent der Männer an einer Definition Die Depression ist eine Störung der Gemütslage, die mit Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Interessenverlust sowie Energie- und Antriebslosigkeit einhergeht. Von einer behandlungsbedürftigen Erkrankung wird ausgegangen, wenn diese Symptome mindestens zwei Wochen am Stück vorliegen. Die Abgrenzung einer depressiven Erkrankung von normalen, kurzzeitigen Verstimmungen, die umgangssprachlich ebenfalls häufig als Depressionen bezeichnet werden, erfolgt anhand der Dauer, Art und Intensität der Beschwerden. Meist liegen einer Depression mehrere Ursachen zugrunde; man spricht von einem multifaktoriellen Geschehen. Dabei wirken biologische, psychische und soziale Komponenten zusammen. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit hängt einerseits von der genetischen und neurobiologischen Grundausstattung eines Menschen ab, andererseits von den seelischen Belastungen, denen er in seinem Leben ausgesetzt ist. So genannte Vulnerabilitäts-Stress-Modelle gehen davon aus, dass depressive Störungen durch das Zusammenspiel einer vorhandenen Depressionsanfälligkeit mit belastenden Lebenssituationen entstehen [46]. Datenlage Erst seit den 1990er Jahren erlauben methodisch gute nationale und internationale Studien zuverlässige Schätzungen zur Verbreitung seelischer Leiden. So zeigte die „Global Burden of Disease Study 2000“ [43], die von der Harvard School of Public Health im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation und der Weltbank durchgeführt wurde, dass etwa zwölf Pro- so genannten unipolaren Depression. (Dabei kommen im Gegensatz zu bipolaren Störungen nur depressive, aber keine manischen Erkrankungsphasen vor.) Wenn man bei der Analyse nicht nur den Erhebungszeitpunkt (Punktprävalenz), sondern einen Zeitraum von zwölf Monaten betrachtet (Periodenprävalenz), so zeigt sich, dass 9,5 Prozent der Frauen und 5,8 Prozent der Männer irgendwann innerhalb des vorangegangenen Jahres eine depressive Episode erfahren hatten.** Die GBD 2000 zeigt zudem, dass Depressionen mit einer beträchtlichen Krankheitsbelastung einhergehen. Die Krankheitslast lässt sich mit einem speziellen Indikator messen, den so genannten Disability Adjusted Life Years (DALYs). Damit ist die Zahl der Jahre gemeint, die einem Menschen verloren gehen, weil er beispielsweise an einer bestimmten Krankheit verfrüht stirbt oder durch gesundheitliche Beschwerden stark beeinträchtigt ist. Unter den Krankheiten, die weltweit die meisten DALYs verursachen, rangieren der GBD 2000 zufolge die unipolaren Depressionen bei Frauen auf Platz vier und bei Männern auf Platz sieben. Bei den 15- bis 44-Jährigen nehmen sie sogar die zweite (Frauen) beziehungsweise die dritte (Männer) Stelle ein [44]. Zudem könnte die Krankheitsbelastung durch depressive Erkrankungen weltweit noch steigen. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO werden im Jahr 2020 nur durch die ischämische Herzkrankheit (Verkalkung der Herzkranzgefäße) mehr potenzielle Lebensjahre verloren gehen als durch Depressionen. Für Deutschland zeichnet der Bundes-Gesundheitssurvey von 1998 (BGS98) ein detailliertes Bild. Bei der Befragung ergab sich, dass 7,8 Prozent der Frauen und 4,8 Prozent der Männer zwischen 18 und 65 Jahren in den vorangegangenen vier Wochen unter einer Depression gelitten hatten. Den Daten zufolge sind Frauen deutlich häufiger betroffen als Männer. Betrachtet man einen Zeitraum von zwölf Monaten, durchleben 15 Prozent der Frauen und 8,1 Prozent der Männer irgendwann innerhalb eines Jahres eine depressive Phase. Der Unterschied zwischen der 4-Wochen- und 12-MonatsPrävalenz erklärt sich dadurch, dass Depressionen einen episodischen Charakter besitzen und zwischen den Krankheits- Definition Mit den Disability Adjusted Life Years (DALYs) ist die Zahl der Lebensjahre gemeint, die einem Menschen durch vorzeitigen Tod und gesundheitliche Beeinträchtigungen insgesamt verlorenen gehen. Dem Konzept liegt eine zweifache Überlegung zugrunde: Zum einen verliere eine Person, die im Vergleich mit der Bevölkerungsnorm zu früh stirbt, einen Teil ihrer potenziellen Lebenszeit. Zum anderen seien aber auch die mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung verbrachten Lebensjahre nicht vollwertig zu rechnen und je nach Grad der Belastung anteilig von der Lebenserwartung abzuziehen. Die Zahl der DALYs ist somit ein kombiniertes Maß der Krankheitslast und weist auch auf Defizite bei der Gesundheitsversorgung hin. zent der weltweiten und 20 Prozent der europäischen Bevölkerung durch psychische Störungen belastet sind [44]. In Deutschland wurden Häufigkeit und Auswirkungen von psychischen Leiden sowie die medizinische Versorgungslage erstmals im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 und im daran angeschlossenen Zusatzsurvey „Psychische Störungen“ [45] detailliert erhoben. Dabei bezog man drei Gruppen von Erkrankungen ein: Die affektiven Störungen, zu denen Depressionen und manische Episoden gehören; die so genannten somatoformen Störungen, die durch das Auftreten körperlicher Symptome mit psychischer Ursache gekennzeichnet sind; sowie die Angststörungen. 29 30 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast Agoraphobie Panikstörungen Spezifische Phobien Soziale Phobie Generalisierte Angststörung Angststörung NNB irgendeine Angststörung* 0 5 Frauen 10 15 20 Prozent Männer * ohne Zwangsstörungen, Posttraumatische Belastungsstörung Abbildung 1.2.8: 12-Monats-Prävalenz von Angststörungen (nach DMS-IV) bei Männern und Frauen; Angabe in gewichteten Prozent. Quelle: BGS98, Zusatzsurvey „Psychische Störungen“, Max-Planck-Institut für Psychiatrie Agoraphobie Panikstörungen Spezifische Phobien Soziale Phobie Generalisierte Angststörung Angststörung NNB 0 10 Frauen 20 Männer 30 40 Alter in Jahren Abbildung 1.2.9: Durchschnittliches Alter bei Beginn von Angststörungen bei Männern und Frauen; Angabe in Jahren. Quelle: BGS98, Zusatzsurvey „Psychische Störungen“, Max-Planck-Institut für Psychiatrie phasen beschwerdefreie Intervalle liegen. Daher werden bei Betrachtung eines engen Zeitfensters viele Personen als gesund eingestuft, die bei einem längeren Beobachtungszeitraum als von einer Depression betroffen gelten. Grundsätzlich können Depressionen in allen Altersgruppen auftreten. Das mittlere Erkrankungsalter liegt indes für Frauen bei 32 und für Männer bei 33 Jahren [49]. Hinsichtlich der so genannten Dysthymie, einer auch als depressive Verstimmung bezeichneten milderen Erkrankungsform, fand sich bei den über 35-Jährigen ein gegenüber den jüngeren Altersgruppen erhöhtes Risiko. Bei den anderen depressiven Störungen war kein signifikanter Einfluss des Lebensalters zu ermitteln [50]. Indes zeigen die Daten des BGS 98, dass Depressionen (wie auch andere psychische Störungen) in den alten Bundesländen häufiger sind als in den neuen Ländern [51]. Auch bei der Allgemeinarztstudie „Depression 2000“ wurde die Häufigkeit von Depressionen in Deutschland untersucht: Unter den in allgemeinärztlicher Behandlung befindlichen Patientinnen und Patienten litten am Untersuchungsstichtag 4,2 Prozent der Frauen und 3,1 Prozent der Männer an einer schweren Form der Depression (Major Depression) [52]. Drei Viertel aller Selbstmorde werden von Männern begangen. Gefürchtete Folge einer Depression ist der Selbstmord. So versterben 15 Prozent der Patienten mit schweren depressiven Erkrankungen durch Suizid [53]. Insgesamt gehen 40 bis 70 Prozent aller Selbstmorde auf eine Depression zurück [54]. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gab es in Deutschland im Jahr 2004 knapp 11 000 Selbstmorde, von denen 74 Prozent von Männern begangen wurden. Die tatsächliche Zahl der Suizide dürfte noch erheblich höher liegen, da sich in der Todesursachenstatistik hinter Verkehrsunfällen, Drogentodesfällen oder unklaren Todesursachen nicht erkannte Selbstmorde verbergen können [55]. Offizielle Daten zu Suizidversuchen gibt es nicht. Seit 1996 werden im Rahmen der WHO-Studie „European Study on Parasuicide“ Suizidraten in der beteiligten deutschen Modellregion Würzburg erfasst [56]. Auch die Raten für Suizidversuche in der Bevölkerung über 15 Jahren lassen sich anhand der Daten schätzen. Demnach entfielen im Jahr 2001 auf 100 000 Männer 108 und auf 100 000 Frauen 131 Suizidversuche [57]. Aus dem Nürnberger Modellprojekt „Nürnberger Bündnis gegen Depression“ liegen ebenfalls Zahlen zu Suizidversuchen vor. Mit Hilfe von Kliniken, Krisendiensten und niedergelassenen Ärzten wurden versuchte Selbstmorde über einen längeren Zeitraum systematisch erfasst. So lag die Rate der Suizidversuche im Jahr 2000 bei 115,5 pro 100 000 Einwohner, wobei knapp 60 Prozent der Selbstmordversuche auf Frauen entfielen [58]. Ganz unabhängig vom erhöhten Suizidrisiko kann eine Depression den Verlauf vieler Erkrankungen wie beispielsweise Herzleiden negativ beeinflussen [59]. Zudem sind Depressionen für eine wachsende Zahl von Arbeitsunfähigkeitsfällen verantwortlich [60] (siehe auch Abschnitt 1.3). Die Ergebnisse der GBD 2000 waren für die Weltgesundheitsorganisation Anlass, ein Aktionsprogramm zur Bekämpfung depressiver Erkrankungen zu initiieren. Das „mental health Global Action Programme“ (mhGAP) wurde als 5-JahresProgramm entwickelt, um Defizite bei der Behandlung depressiver Menschen abzubauen [61]. In Deutschland wurde das „Kompetenznetz Depression, Suizidalität“ gegründet, das die Zusammenarbeit und den Wissenstransfer zwischen den beteiligten Akteuren der Patienten- versorgung dauerhaft stärken soll [62]. Ziele des Kompetenznetzes sind insbesondere, die Defizite bei der Erkennung von Depressionen im hausärztlichen Versorgungsbereich zu reduzieren, die Therapie zu verbessern sowie die Grundlagenforschung zu fördern. Auch die Initiative „gesundheitsziele.de“ hat die Verbesserung der Situation depressiver Menschen als ein gesundheitspolitisches Ziel mit hoher Priorität eingestuft. 1.2.3.2 Angststörungen Frauen sind häufiger von Angststörungen betroffen als Männer. Der Bundes-Gesundheitssurvey 1998 (BGS98) lieferte erstmals repräsentative Zahlen zur Verbreitung von Angststörungen in Deutschland. 14,2 Prozent der Befragten im Alter von 18 bis 65 Jahren hatten während des vorausgegangenen Jahres unter einer Angststörung gelitten. Dabei waren Frauen deutlich häufiger betroffen als Männer (siehe Abbildung 1.2.8). Es ergaben sich keine Hinweise darauf, dass Angststörungen in den neuen Bundesländern häufiger als in den alten Bundesländern sind [50]. Bereits manche Teenager leiden unter einer Angststörung. Angststörungen beginnen durchschnittlich im zweiten bis vierten Lebensjahrzehnt. Wie die Daten des BGS98 zeigen, treten nahezu 60 Prozent aller Angststörungen erstmals vor dem 21. Lebensjahr auf. Für die spezifischen Phobien ergab sich das niedrigste mittlere Ersterkrankungsalter, gefolgt von den sozialen Phobien. Deutlich später treten die Agoraphobie und die Panikstörung auf. Die generalisierten Angststörungen zeigen das höchste mittlere Ersterkrankungsalter (siehe Abbildung 1.2.9). Wie häufig Angststörungen bei den Patientinnen und Patienten in Allgemeinarztpraxen sind, ist nur wenig bekannt. Bei einer Studie der Weltgesundheitsorganisation [47] ergab sich in den beiden beteiligten deutschen Zentren (Berlin und Mainz), dass insbesondere Patientinnen und Patienten mit einer generalisierten Angststörung oft ihren Hausarzt aufsuchen. Bei mehr als sieben Prozent aller an einem bestimmten Stichtag in den Allgemeinarztpraxen beurteilten Patientinnen und Patienten fand sich eine generalisierte Angststörung. Nach den Depressionen war sie damit die zweithäufigste psychische Störung in Allgemeinarztpraxen überhaupt. Die Häufigkeit von Panikstörungen unter den Patientinnen und Patienten der Hausärzte lag in der Studie bei zwei Prozent. Auch eine aktuellere Untersuchung in deutschen Allge meinarztpraxen (GAD-P-Studie) [63] bestätigte, dass die generalisierte Angststörung die häufigste Angsterkrankung im hausärztlichen Versorgungsbereich darstellt. An einem bestimmten Stichtag konnte sie bei 5,3 Prozent aller zufällig ausgewähl- Definition Während Angst eine natürliche Dimension des menschlichen Erlebens und für die Vermeidung von Gefahren sinnvoll ist, werden übermäßig lange oder unbegründete Angstzustände als Angststörungen bezeichnet. Dazu zählen die Panikstörung, die so genannte generalisierte Angststörung, die Agoraphobie (Platzangst), die soziale Phobie, die spezifische (isolierte) Phobie sowie sonstige phobische Störungen. Die Ursachen der Angststörungen sind bislang nur in Ansätzen geklärt. Wie bei den Depressionen werden psychosoziale, psychologische, genetische und neurobiologische Zusammenhänge vermutet. Allgemein geht man bei allen Angststörungen von einer Fehlsteuerung des an sich normalen Angst-Stress-(Kampf/Flucht-)Mechanismus aus. Typischerweise tritt bei Angststörungen ein Vermeidungsverhalten auf, das zur Verfestigung der Angstreaktionen und zu einem zunehmend schweren chronischen Krankheitsverlauf führen kann. Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | ten Allgemeinarztpatientinnen und -patienten (Männer: 4,1 Prozent; Frauen: 6,2 Prozent) diagnostiziert werden. Bei einem Drittel dieser Patienten trat die Angststörung zusammen mit einer schwer verlaufenden Depression auf. Nur ein kleiner Teil der Angstpatientinnen und -patienten wird richtig behandelt. Zudem zeigte die GAD-P-Studie, dass Patientinnen und Patienten mit einer generalisierten Angststörung, ganz unabhängig von ihrem körperlichen Gesundheitszustand, mit durchschnittlich 11,2 Arztbesuchen in den vorausgegangenen zwölf Monaten als „high utilizer“ des Gesundheitssystems anzusehen sind. Darüber hinaus wurden in der GAD-P-Studie erhebliche Versorgungsmängel aufgedeckt. Im Gegensatz zu depressiven Erkrankungen, die in 64,3 Prozent der Fälle erkannt wurden, stellten Hausärztinnen und Hausärzte nur bei 34,4 Prozent der Patientinnen und Patienten mit einer generalisierten Angststörung eine korrekte Diagnose. Korrespondierend mit der niedrigen Erkennungsrate erhielten weniger als zehn Prozent der Betroffenen eine angemessene Therapie oder eine Überweisung zum Facharzt. Differenzierte Daten zu anderen Angststörungen liegen bislang für Deutschland nicht vor. Ω Umfassende Informationen zu Angststörungen finden sich in Heft 21 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [64]. 31 32 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast Altersgruppe Jorm et al. (1987) Hofman et al. (1991) Ritchie & Kildea (1995) Lobo et al. (2000) Männer Frauen 65 – 69 1,4 1,4 1,5 1,6 70 – 74 2,8 4,1 3,5 2,9 3,1 75 – 79 5,6 5,7 7,3 5,6 6,0 80 – 84 10,5 13,0 13,4 11,0 12,6 85 – 89 20,8 21,6 22,2 12,8 20,2 32,2 33,0 34,7 44,8 22,1 30,8 6,9 7,3 4,5 7,3 90 – 94 38,6 95+ 65 und älter* 6,5 1,0 Tabelle 1.2.3: Altersspezifische Prävalenz (in Prozent) von Demenzerkrankungen nach Meta-Analysen. Quelle: Bickel [67] Altersgruppe Alzheimer-Demenz Vaskuläre Demenz Lobo et al. (2000) Männer Hy und Keller (2000) Frauen Männer Lobo et al. (2000) Frauen Männer Frauen 65 – 69 0,6 0,7 0,7 1,0 0,5 0,1 70 – 74 1,5 2,3 1,5 2,1 0,8 0,6 75 – 79 1,8 4,3 3,1 4,5 1,9 0,9 80 – 84 6,3 8,4 6,4 9,0 2,4 2,3 85 – 89 8,8 14,2 12,8 17,4 2,4 3,5 23,7 31,0 39,8 48,9 3,6 5,8 3,0 6,2 1,2 1,3 90 – 94 95+ 65 und älter* 17,6 23,6 2,3 5,2 * Gesamtrate für die über 65-Jährigen bei Standardisierung auf die Altersstruktur der deutschen Altenbevölkerung zum Ende des Jahres 2002 Tabelle 1.2.4: Altersspezifische Prävalenz (in Prozent) der Alzheimer Demenz und der vaskulären Demenzen nach Meta-Analysen Jahr Demenzkranke 2000 935 000 2010 1 165 000 2020 1 415 000 2030 1 690 000 2040 1 920 000 2050 2 290 000 Tabelle 1.2.5: Entwicklung der Zahl von Demenzkranken (65 Jahre und älter) in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2050 bei gleich bleibenden altersspezifischen Prävalenzraten. Quelle: Bickel [67], Schätzgrundlage: Prävalenzraten nach Bickel [69] und Bevölkerung nach Statistisches Bundesamt [68] 1.2.4 Demenz Ω Zusammenfassung In Deutschland leben rund eine Million Menschen mit einer Demenz. Während weniger als zwei Prozent der 65- bis 69-Jährigen betroffen sind, steigt die Häufigkeit der Demenzerkrankungen auf mehr als 30 Prozent bei den über 90-Jährigen an. Durch den demografischen Alterungsprozess ist in den nächsten Jahrzehnten mit einer starken Erhöhung der Zahl erkrankter Frauen und Männer zu rechnen. Die Mehrheit der Demenzkranken lebt derzeit in privaten Haushalten und wird dort von meist weiblichen Angehörigen betreut. Die Häufigkeit der Demenz steigt mit zunehmendem Lebensalter. Demenzen gehören zu den häufigsten und folgenreichsten psychiatrischen Erkrankungen im höheren Alter. In Deutschland leiden derzeit rund eine Million Menschen an einer Demenz. Jedes Jahr treten fast 200 000 Neuerkrankungsfälle auf. Mit zunehmendem Alter steigt die Häufigkeit demenzieller Erkrankungen. Sie beträgt bei den 65- bis 69-Jährigen etwa 1,5 Prozent, verdoppelt sich dann ungefähr in 5-Jahres-Schritten und liegt bei den über 90-Jährigen bei mehr als 30 Prozent (siehe Tabelle 1.2.3). Die Alzheimer-Demenz ist mit rund zwei Dritteln aller Fälle die häufigste Krankheitsform. Zwei von drei Demenzkranken sind Frauen. Gut zwei Drittel aller Demenzkranken sind Frauen. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Frauen eine längere Lebenserwartung haben als Männer und so häufiger an Demenz erkranken können [67]. Zudem scheinen Frauen länger als Männer mit der Krankheit zu überleben, was ebenfalls zu einer Erhöhung der Prävalenz beiträgt. Besonders deutlich sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei den Hochbetagten. Differenziert man nach Alzheimer-Demenz und vaskulären Demenzen (siehe Tabelle 1.2.4), so zeigt sich, dass der deutliche Geschlechterunterschied in erster Linie auf die unterschiedlich hohe Zahl von Alzheimer-Demenzen zurückzuführen ist. Bezogen auf alle Personen über 65 Jahren, liegt die Prävalenz der AlzheimerDemenz bei den Frauen mehr als doppelt so hoch wie bei den Männern. Der Geschlechterunterschied bei den vaskulären Demenzen ist dagegen gering. Die Zahl der Demenzkranken könnte sich bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Bleibt ein Durchbruch bei Prävention und Therapie der Demenz aus, ist wegen des wachsenden Anteils älterer Definition Nach der International Classification of Diseases (ICD-10) [65] ist die Demenz ein Krankheitssyndrom mit dauerhafter Störung von höheren Funktionen der Großhirnrinde. Insbesondere können Gedächtnis, Denken, Orientierung, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen beeinträchtigt sein. Die kognitiven Einbußen werden meist von einem Verlust der emotionalen Kontrolle und der Motivation sowie von Veränderungen des Sozialverhaltens begleitet. Unter dem Oberbegriff „Demenz“ werden eine Reihe von Krankheitsbildern mit unterschiedlicher Ursache zusammengefasst [66]: Degenerative Demenzen (z. B. Demenz bei Alzheimer-Krankheit); vaskuläre Demenzen (z. B. Demenz nach multiplen Hirninfarkten); nutritiv-toxisch oder metabolisch verursachte Demenzen (z. B. AlkoholDemenz, Demenz durch Vitaminmangelstörungen); entzündlich oder infektiös bedingte Demenzen (z. B. Demenz bei Creutzfeld-Jakob-Erkrankung, AIDS, Neurosyphilis); Demenzen in der Folge von Schädel-Hirn-Verletzungen. Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | und alter Menschen in der Bevölkerung mit einer steigenden Zahl von Erkrankten zu rechnen. So litten in Deutschland im Jahr 2000 rund 900 000 Menschen über 65 Jahren an einer Demenz [67]. Legt man die 10. Bevölkerungsschätzung des Statistischen Bundesamts [68] zugrunde, könnte sich diese Zahl bis zum Jahr 2020 auf etwa 1,4 und bis zum Jahr 2050 auf nahezu 2,3 Millionen erhöhen. Die Pflege von Demenzkranken wird überwiegend von den Angehörigen übernommen. Obwohl das Wissen um die medikamentösen, psychologischen und sozialen Therapiemöglichkeiten demenzieller Erkrankungen in den letzten Jahren stark zugenommen hat, ist es bisher nicht möglich, den Erkrankungsprozess aufzuhalten. Dies stellt hohe Anforderungen an das Versorgungssystem und die pflegenden Angehörigen. Demenzkranke leben überwiegend in Privathaushalten. Ein großer Teil der zu Hause lebenden Pflegebedürftigen ist demenzkrank, wobei der Anteil mit zunehmender Pflegestufe stark ansteigt. Die pflegenden Angehörigen, zumeist sind es Frauen, leisten durchschnittlich sechs bis zehn Stunden am Tag unbezahlte Betreuungsarbeit. Die Pflege von Demenzkranken kann die Pflegenden stark belasten. In der Folge kommt es bei den Pflegenden mitunter zu depressiven Verstimmungen, psychosomatischen Störungen, Erkrankungen des Bewegungsapparats oder einer Einnahme von Psychopharmaka. Oft ist die Überlastung der Angehörigen der Grund für eine Heimunterbringung des Erkrankten [70]. Der Anteil demenzkranker Heimbewohnerinnen und Heimbewohner hat in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen. Derzeit sind über 60 Prozent der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner von einer Demenz betroffen. Insgesamt werden in Deutschland schätzungsweise 400 000 demenzkranke Menschen in Alten- und Pflegeheimen versorgt [67]. Ω Umfassende Informationen zur Altersdemenz finden sich in Heft 28 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [70]. 33 | 34 80 Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast Prozent 1.2.5 Muskel- und Skeletterkrankungen Frauen 70 60 50 40 30 20 10 0 18–29 30–39 40–49 50–59 Chronische RS letztes Jahr 60–69 ≥70 Gesamt Alter RS letztes Jahr RS gestern Abbildung 1.2.10: Prävalenz von Rückenschmerzen (RS) und chronischen Rückenschmerzen bei Frauen in Deutschland. Quelle: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003, RKI 80 Prozent Männer 70 60 50 Ω Zusammenfassung Krankheiten des Muskel- und Skelettsystems gehören zu den häufigsten und kostenträchtigsten Leiden in Deutschland. Bezogen auf die Behandlungskosten rangieren sie unter allen Krankheitsgruppen an dritter Stelle. Zudem führen sie zu hohen volkswirtschaftlichen Folgekosten. So verursachen Muskel- und Skeletterkrankungen insgesamt die meisten Arbeitsunfähigkeitstage und sind bei Männern wie Frauen der zweithäufigste Grund für gesundheitlich bedingte Frühberentungen. 22 Prozent der Frauen und 15 Prozent der Männer in Deutschland leiden an chronischen Rückenschmerzen. Zur Häufigkeit der Osteoporose und der Arthrose liegen für Deutschland bisher keine verlässlichen Zahlen vor. Dennoch ist klar, dass es sich auch in diesen beiden Fällen um weit verbreitete Erkrankungen handelt. So erleiden 7,6 Prozent der Frauen und 4,9 Prozent der Männer im Alter von 50 bis 79 Jahren mindestens einen durch Osteoporose bedingten Wirbelbruch. Bei 20 bis 40 Prozent der Bevölkerung finden sich bei Röntgenaufnahmen Abnutzungserscheinungen in den Gelenken, die bei einem Teil der Betroffenen zu einer Arthrose mit Schmerzen und Bewegungseinschränkungen führen. 40 30 20 10 0 18–29 30–39 40–49 50–59 Chronische RS letztes Jahr 60–69 ≥70 Gesamt Alter RS letztes Jahr RS gestern Abbildung 1.2.11: Prävalenz von Rückenschmerzen (RS) und chronischen Rückenschmerzen bei Männern in Deutschland. Quelle: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003, RKI 3 500 Anzahl je 100 000 Einwohner 3 000 2 500 2 000 1 500 1 000 500 0 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 Frauen ABL Männer ABL Frauen NBL Männer NBL 70–74 75–79 80–84 85–89 ≥90 Altersgruppe Abbildung 1.2.12: Geschätztes alters- und geschlechtsspezifisches 5-JahresRisiko für Hüftfrakturen (ICD-9: 820) in den alten (ABL) und neuen Bundesländern (NBL) für das Jahr 1996. Quelle: nach Wildner [71] 1.2.5.1 Rückenschmerzen Jede fünfte Frau und jeder siebte Mann leidet unter chronischen Rückenschmerzen. Nach Daten des Bundes-Gesundheitssurvey 1998 sind Rückenschmerzen bei Frauen und Männern aller Altersgruppen die häufigste Schmerzart und rangieren noch vor Kopf-, Nacken- und Schulterschmerzen. So gaben 39 Prozent der Frauen und 31 Prozent der Männer an, in den vorausgegangenen sieben Tagen unter Rückenschmerzen gelitten zu haben. Für rund die Hälfte der betroffenen Frauen und 80 Prozent der betroffenen Männer waren die Rückenschmerzen zudem die stärksten Schmerzen in der Woche vor der Befragung. In dieselbe Richtung weisen Daten aus dem Telefonischen Gesundheitssurvey 2003. Danach litten 22 Prozent der Frauen und 15 Prozent der Männer im Jahr vor der Befragung unter chronischen Rückenschmerzen, die mindestens drei Monate anhielten und sich täglich oder nahezu täglich bemerkbar machten (siehe Abbildungen 1.2.10 und 1.2.11). Rückenschmerzen nehmen mit steigendem Lebensalter zu und erreichen typischerweise ihre maximale Prävalenz im fünften und sechsten Lebensjahrzehnt. Gleichwohl sind sie in allen Altersgruppen ein bedeutsames Problem. Frauen geben in allen Altersgruppen mehr Rückenschmerzen an als Männer, ein Geschlechterunterschied, der sich auch bei anderen Schmerzarten zeigt. Zudem ist bei Frauen die Intensität der Schmerzen im Schnitt größer und ihre Dauer länger. Die Gründe für die Geschlechterdifferenz sind nicht abschließend geklärt. Zum einen könnten Schmerz-Risikofaktoren bei Frauen häufiger sein, zum anderen unterscheiden sich bei Frauen und Männern möglicherweise auch die Wahrnehmung, Verarbeitung und Erinnerung von Schmerzen. Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Psychische und soziale Probleme leisten Rückenschmerzen Vorschub. Viele Untersuchungen zeigen, dass nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen von Rückenschmerzen betroffen sind. Unter Menschen mit spezifischen Knochen- und Gelenkerkrankungen wie Rheuma oder Arthrose findet sich erwartungsgemäß ein hoher Anteil von Personen mit Rückenbeschwerden. In den meisten Fällen lassen sich Rückenschmerzen jedoch nicht auf eine spezifische Krankheit zurückführen; man spricht von „unspezifischen Rückenschmerzen“. Wie sie entstehen und sich zu chronischen Leiden entwickeln, bleibt weitgehend unklar. Allerdings wurde eine Reihe typischer Risikokonstellationen beobachtet, die es erlauben, anfällige Personengruppen zu identifizieren. So haben Angehörige unterer sozialer Schichten (gemessen insbesondere an der Bildung, aber auch an der beruflichen Stellung und am Einkommen) häufiger Rückenschmerzen als Angehörige höherer Schichten. Zudem stehen Rückenschmerzen in einem wechselseitigen Zusammenhang mit depressiven Symptomen und anderen Indikatoren der psychischen Gesundheit. Im Telefonischen Gesundheitssurvey 2003 gaben Männer und Frauen mit Hauptschul- oder ohne Schulabschluss doppelt so häufig chronische Rückenschmerzen an wie Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Abitur. Gleichermaßen lag bei Befragten, die eine Depression berichteten, die Rate an Rückenschmerzen doppelt so hoch wie bei Surveyteilnehmern ohne Depression. Weitere Risikofaktoren sind Arbeitsbelastungen und Arbeitsunzufriedenheit sowie Lebensstilfaktoren wie Rauchen und Übergewicht. Deren Zusammenhang mit Rückenschmerzen ist wahrscheinlich nur indirekt und vielmehr Ausdruck eines generell abträglichen Gesundheitsverhaltens. Rückenschmerzen sind teuer für die Volkswirtschaft. Die medizinischen und volkswirtschaftlichen Kosten, die insgesamt durch Rückenschmerzen entstehen, sind vergleichbar mit den Kosten durch Kopfschmerzen, Herzerkrankungen, Depressionen oder Diabetes. Dabei kann ein Großteil der durch Rückenschmerzen verursachten Kosten auf einen kleinen Prozentsatz von chronisch Betroffenen zurückgeführt werden. Im Gegensatz zu anderen Krankheiten machen bei Rückenschmerzen die indirekten Kosten gegenüber den eigentlichen (direkten) Therapiekosten den Löwenanteil aus. So gehen nach internationalen Schätzungen etwa 85 Prozent der Gesamtkosten auf das Konto des durch Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit bedingten Produktivitätsausfalls, rund 15 Prozent werden für die medizinische Behandlung aufgewendet. Nach der Krankheitskostenrechnung des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2002 für die Behandlung von Erkrankungen der Wirbelsäule und des Rückens (ICD-10: M45–M54) knapp 8,4 Milliarden Euro ausgegeben, das sind rund vier Prozent der direkten Kosten für alle Krankheiten. Die gesamten durch Rückenschmerzen verursachten Therapiekosten dürften allerdings noch höher liegen, da sie auch bei vielen anderen Diagnosen wie Wirbelsäulendeformitäten (ICD-10: M40– Datenlage Bislang gibt es in Deutschland keine verlässlichen Zahlen zur Verbreitung der Osteoporose. Häufigkeitsschätzungen müssen indirekt über die Erfassung von Knochenbrüchen erfolgen. Dabei lässt sich nicht exakt angeben, welche und wie viele Frakturen insgesamt auf Osteoporose zurückgehen. Epidemi- M43) oder Wirbelkörperfrakturen infolge Osteoporose (ICD10: M80) im Spiel sind. Die Größenordnung der indirekten Kosten wird bei Betrachtung der Zahlen zur Arbeitsunfähigkeit deutlich. Erkrankungen der Wirbelsäule und des Rückens (ICD-10: M40–M54) verursachten im Jahr 2002 pro 10 000 Pflichtmitgliedern der AOK 33 785 Arbeitsunfähigkeitstage. Das sind im Schnitt mehr als drei Tage pro Mitglied und insgesamt fast 18 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage. Ob Rückenschmerzen in der Bevölkerung zunehmen, lässt sich mit den für Deutschland vorhandenen Daten nicht sicher beantworten. Zwar legen manche Statistiken der Sozialversicherungsträger nahe, dass es in den letzten zwei Jahrzehnten verschiedene Aufwärts- und Abwärtstrends bei den Krankenhaus- und Rehabilitationsbehandlungen sowie den Arbeitsunfähigkeitsfällen und Frühberentungen gegeben hat. Doch sind die Statistiken aus verschiedenen Jahren unter anderem deshalb nur eingeschränkt vergleichbar, weil im Jahr 2000 eine Umstellung von der neunten auf die zehnte Version der International Classification of Diseases (ICD) erfolgte. Insgesamt zeigt sich bei den Sozialversicherungsleistungen ein heterogenes Bild, das nicht auf eine Rückenschmerzepidemie schließen lässt. Auch internationale Wiederholungsbefragungen belegen bislang keine echte Häufung von Rückenschmerzen, die freilich eine fortgesetzt hohe Bedeutung für das deutsche Gesundheitssystem und die Gesundheit der Deutschen besitzen. 1.2.5.2 Osteoporose Frauen leiden häufiger an Osteoporose als Männer. In Deutschland treten jedes Jahr schätzungsweise 130 0000 durch Osteoporose bedingte Oberschenkelhalsfrakturen auf [71]. Frauen haben ein zwei- bis dreifach höheres Frakturrisiko als Männer vergleichbaren Alters. Von allen Oberschenkelhalsfrakturen [72] entfallen 72 Prozent auf Frauen. Dies ist zum Teil auf die längere Lebenserwartung von Frauen zurückzuführen. Denn ab einem Alter von 75 Jahren steigt die Zahl der Oberschenkelhalsfrakturen exponentiell an (siehe Abbildung 1.2.12). Die Zahl der Oberschenkelhalsfrakturen hängt indes nicht nur von der Häufigkeit der Osteoporose ab, sondern wird auch von dem im höheren Lebensalter gesteigerten Sturzrisiko mit bedingt. Dies gilt in geringerem Maße für Wirbelkörperbrüche, weshalb sie als der bessere Indikator der Osteoporose gelten [73]. Die Erfassung von Wirbelfrakturen ist jedoch schwierig. Für Häufigkeitsschätzungen ist man auf Röntgen-Reihenuntersuchungen angewiesen. Entsprechende Daten für Deutschland stammen aus der Europäischen Studie zur Vertebralen Osteoporose (EVOS). Danach sind Wirbelbrüche infolge Osteoporose tatsächlich weit verbreitet. In der EVOS-Studie fand sich bei 7,6 Prozent der Frauen und 4,9 Prozent der Männer zwischen 50 und 79 Jahren mindestens ein durch Osteoporose bedingter Wirbeleinbruch [74]. ologische Studien haben gleichwohl verschiedene so genannte Index-Frakturen identifiziert, die für eine Osteoporose recht typisch sind und zumindest prinzipielle Häufigkeitsschätzungen erlauben. In erster Linie handelt es sich um Frakturen der Wirbelkörper, des handgelenksnahen Abschnitts der Speiche, des Oberschenkelhalses sowie anderer hüftgelenks naher Abschnitte des Oberschenkelknochens. Über die Zahl der Oberschenkelhalsfrakturen, die fast immer im Krankenhaus behandelt werden, liegen aussagekräftige Daten vor. Andere Index-Frakturen der Osteoporose werden dagegen weitaus unzuverlässiger erfasst, da oftmals spezifische Symptome fehlen und die Diagnosestellung mitunter schwierig ist. 35 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast 36 Alter Männer Frauen 65–74 55–64 45–54 35–44 25 –34 80 60 40 Fingerendgelenke 0 20 Kniegelenk Hüftgelenk 20 Mittelhand-/Handwurzelgelenke 0 Abbildung 1.2.13: Prävalenz ausgewählter radiologisch nachweisbarer Arthrosen in den Niederlanden. Quelle: Van Saase [86] 70 Prozent Männer Frauen 60 50 40 30 20 10 0 25–29 30–39 40 –49 50– 59 60–69 Neue Bundesländer 25–29 30–39 40 –49 50– 59 60–69 Alte Bundesländer Alter in Jahren Abbildung 1.2.14: Lebenszeitprävalenz von Arthrose 1998 (Selbstangaben). Quelle: BGS98, RKI 40 60 80 Prozent Im prospektiven Teil dieser Untersuchung (EPOS) zeigte sich, dass die Inzidenz der Wirbelfrakturen mit zunehmendem Lebensalter exponentiell anstieg. Jenseits des 60. Lebensjahrs war das Wirbelbruchrisiko bei Frauen etwa doppelt so hoch wie bei Männern vergleichbaren Alters. In der 50- bis 79-jährigen Studienbevölkerung überwogen die Wirbelfrakturen deutlich gegenüber den Oberschenkelhalsbrüchen. Dies lässt sich allerdings dadurch erklären, dass die Hüftfrakturen vor allem jenseits des 80. Lebensjahrs auftreten [75]. Hohes Alter bedeutet hohes Risiko. Generell nehmen Inzidenz und Prävalenz von Fragilitätsfrakturen bei Frauen und Männern jenseits des 60. Lebensjahres zu [76] und steigen nach dem 75. Lebensjahr exponentiell an. Die Ursachen dafür liegen in der im Alter abnehmenden Bruchfestigkeit des Knochens, der zunehmenden Sturzneigung sowie verschiedensten weiteren Risikofaktoren [77, 78]. Die wichtigsten Risikofaktoren der Osteoporose sind ein höheres Lebensalter (> 60 Jahre), ein sehr niedriges Körpergewicht (Body Mass Index < 20 kg/m2), starker Gewichtsverlust, stark eingeschränkte Mobilität und Alkoholmissbrauch [73, 79]. Auch eine extrem kalziumarme Ernährung, eine in der Familie liegende Veranlagung zur Osteoporose, Zigarettenkonsum sowie bei Frauen eine späte Menarche und frühe Menopause begünstigen das Auftreten der Erkrankung [80]. Zudem scheint ein Vitamin-D-Mangel im höheren Lebensalter sowohl das Fraktur- als auch das Sturzrisiko zu erhöhen [81, 82]. Im Norden Europas gibt es mehr Knochenbrüche infolge Osteoporose als im Süden. Die Neuerkrankungsrate liegt in den alten Bundesländern höher als in den neuen (siehe Abbildung 1.2.12). Tendenziell steigen die Inzidenzraten im gesamten Bundesgebiet, insbesondere in den neuen Bundesländern [71]. Ein möglicher Grund für diese Entwicklung könnten so genannte Kohorteneffekte sein. Das bedeutet, dass bestimmte Geburtsjahrgänge in besonderer Weise von Osteoporose-Risikofaktoren betroffen sind. Im internationalen Vergleich variiert das Risiko für Knochenbrüche infolge Osteoporose erheblich. Deutschland liegt im Mittelfeld, hinter den skandinavischen Ländern und den USA, wo die Frakturraten noch höher sind. Innerhalb Europas gibt es ein klares Nord-Süd-Gefälle mit mehr Frakturen in den nördlichen Ländern als in den südlichen [83, 84]. Als Ursachen werden genetische Faktoren ebenso wie eine unterschiedliche Lebenserwartung diskutiert. Sport und gesunde Ernährung beugen der Osteoporose vor. Der wachsende Anteil älterer Menschen in Deutschland und der sich abzeichnende Anstieg bei den Knochenbruchraten machen die Prävention der Osteoporose immer wichtiger. Vorbeugen lässt sich der Knochenbrüchigkeit beispielsweise durch eine ausreichende Versorgung mit Kalzium und Vitamin D sowie durch körperliche Aktivität (Primärprävention). Daneben kann durch frühzeitige Erfassung und Behandlung von Hochrisikogruppen (Sekundärprävention) das Auftreten von Definition Die Osteoporose ist eine erhöhte Knochenbrüchigkeit, die mit steigendem Lebensalter vermehrt auftritt. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Eine Osteoporose verursacht über lange Zeit keine Beschwerden, um sich dann in fortgeschrittenen Stadien durch Knochenbrüche (Frakturen) bemerkbar zu machen, die sich ohne ersichtlichen Grund oder im Zusammenhang alltäglicher Belastungen ereignen. Diese so genannten Fragilitätsfrakturen können zu Einbußen an Lebensqualität und zu einem Verlust der Selbstständigkeit bis hin zur Invalidität mit Pflegebedürftigkeit und erhöhter Sterblichkeit führen. Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Knochenbrüchen bei bestehender Osteoporose zumindest teilweise verhindert werden. Liegt bereits eine Fragilitätsfraktur vor, ist es das wichtigste Ziel der Behandlung, weitere Brüche zu verhüten und die Beweglichkeit und Selbstständigkeit des Patienten möglichst zu erhalten (Tertiärprävention). 1.2.5.3 Arthrose Gelenkschmerzen allein sind noch keine Arthrose. Eine Arthrose lässt sich sowohl durch eine klinische Untersuchung feststellen, bei der beispielsweise charakteristische Beschwerden und Schmerzen bei der Gelenkbewegung nachgewiesen werden, als auch durch Röntgenaufnahmen der Gelenke. Die Angabe von Gelenkschmerzen reicht für eine Diagnosestellung hingegen nicht aus, da beispielsweise auch entzündliche Gelenkerkrankungen (Arthritis, Gelenkrheuma) oder Meniskusschäden ähnliche Beschwerden verursachen.** Doch auch ein auffälliger Röntgenbefund ist nicht gleichbedeutend mit einer behandlungsbedürftigen Arthrose. Bei Röntgenuntersuchungen finden sich bei 20 bis 40 Prozent der 60Jährigen Zeichen degenerativer Gelenkerkrankungen (Arthrosen oder Osteoarthrosen). Nur rund ein Drittel der Betroffenen klagt über davon verursachte Schmerzen [85]. Das Arthroserisiko wächst mit steigendem Alter. Frauen und Männer sind gleichermaßen von Arthrose betroffen. Bei beiden Geschlechtern nimmt die Krankheitshäufigkeit mit steigendem Alter zu. Deshalb ist bei den in Deutschland zu erwartenden demografischen Veränderungen in den nächsten Jahren mit einem weiter wachsenden Versorgungsbedarf zu rechnen. Trotz vielfältiger Behandlungsmöglichkeiten gibt es bis heute keine Medikamente, mit denen sich der Krankheitsprozess bei Arthrose tatsächlich aufhalten lässt. Repräsentative Bevölkerungsuntersuchungen zur Häufigkeit der Arthrose, bei denen die Diagnose durch Röntgenaufnahmen gesichert wurde, existieren für Deutschland nicht. Von den bisherigen europäischen Studien lassen sich am ehesten die Ergebnisse einer größeren Studie in Holland [86] auf unsere Bevölkerung übertragen: Bei einer Stichprobe von 6 585 Einwohnern wurden Röntgenaufnahmen von der Wirbelsäule sowie mehreren Gelenken angefertigt. Dabei zeigte sich, dass die Arthrose-Prävalenz in höheren Altersgruppen stark ansteigt (siehe Abbildung 1.2.13). In der holländischen Studie (wie auch in anderen Untersuchungen) wurde daher keine Angabe zur durchschnittlichen Häufigkeit der Arthrose gemacht, weil Definition Mit dem Begriff Arthrose wird eine heterogene Gruppe von Erkrankungen der Gelenke bezeichnet, bei denen der Gelenkknorpel, der angrenzende Knochen, die Bänder, die Gelenkkapsel und die Gelenkschleimhaut geschädigt werden. Arthrose wird mit steigendem Lebensalter häufiger. Die Krankheitsursachen sind unterschiedlichster Natur und teilweise noch unbekannt. Gelenkverletzungen, angeborene und im Laufe des Lebens erworbene Gelenkfehlstellungen, Stoffwechselerkrankungen, eine genetische Veranlagung sowie eine mechanische Gelenküberlastung leisten einer Arthrose Vorschub. Zunächst kommt es zur Schädigung und zum Abbau von Gelenkknorpel, langfristig auch zur Zerstörung von Weichteilen (Gelenkschleimhaut, Kapsel und Bänder) sowie gelenknahem Knochen. Besonders häufig sind die Knie (Gonarthrose), die Hüften (Coxarthrose), die Wirbelsäule sowie die Hände von der Erkrankung betroffen. Sie führt zu meist jahrelang bestehenden Gelenkschmerzen und zur Einschränkung der Beweglichkeit. Daraus ergeben sich nicht nur Schwierigkeiten bei alltäglichen Verrichtungen, sondern auch Veränderungen des sozialen Lebens und Einbußen bei der Lebensqualität. 37 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast 38 2 000 Männer je 100 000 Einwohner Frauen 1 800 1 600 1 400 1 200 1 000 800 600 400 200 0 25–34 35–44 45 –54 55–64 Neue Bundesländer 65– 74 ≥75 Alte Bundesländer Abbildung 1.2.15: Stationäre Behandlungsfälle aufgrund von Arthrose (ICD10: M15 – 19) im Jahr 2002. Quelle: Krankenhausdiagnosestatistik, Statistisches Bundesamt [72] 25–34 35–44 45– 54 55–64 65– 74 ≥75 Alter in Jahren dadurch das Ausmaß des Problems in höheren Altersgruppen unterschätzt würde. Die Kniegelenksarthrose ist die häufigste Erkrankungsform. Nach neueren Untersuchungen aus dem Ausland [87] lassen sich bei fünf bis 15 Prozent der Personen über 55 Jahren sowohl röntgenologisch objektivierbare Abnutzungserscheinungen als auch subjektiv erlebte Schmerzen und Beschwerden in den Kniegelenken feststellen. In europäischen Studien, die das Vorliegen einer Arthrose nur durch klinische Erhebungen ohne röntgenologische Untersuchung erfassten [88–90], liegt die Häufigkeit der Kniegelenksarthrose bei etwa zehn, die der Hüftarthrose bei rund fünf Prozent. Wenn man mit aller Vorsicht diese Schätzungen auf Deutschland überträgt, ist davon auszugehen, dass sich bei zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung im sechsten Lebensjahrzehnt die röntgenologischen Zeichen einer Hüft- oder Kniegelenksarthrose finden und etwa die Hälfte von ihnen unter Schmerzen leidet. Auch im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 (BGS98) wurde nach dem Vorliegen einer Arthrose gefragt. Dabei bejahten 31 Prozent der 18- bis 79-jährigen Frauen und Männer die Frage nach einem irgendwann in der Vergangenheit ärztlich festgestellten „Gelenkverschleiß, (einer) Arthrose der Hüft- oder Kniegelenke bzw. der Wirbelsäule“ (siehe Abbildung 1.2.14). Allerdings lagen weder eine klinische Untersuchung der betroffenen Gelenke noch Röntgenaufnahmen vor, und die Abgrenzung gegenüber anderen Erkrankungen, die mit Gelenkbeschwerden einhergehen (beispielsweise Arthritis oder Meniskusschäden) ist ein methodisches Problem. Dies wird auch bei einem Vergleich mit einer repräsentativen telefonischen Erhebung in Bayern in den Jahren 1999/2000 deutlich, in der ebenfalls nach ärztlich diagnostizierter Arthrose gefragt wurde, allerdings in einer etwas anderen Formulierung [91]. Der Begriff „Arthrose“ wurde dabei nur auf Nachfragen mit „Gelenkverschleiß“ erklärt. Die auf diese Weise ermittelte Arthrosehäufigkeit lag mit 17 Prozent deutlich niedriger als im BGS98. Auch wenn sich aus keiner der beiden Befragungen die tatsächliche Arthrose-Prävalenz zuverlässig schätzen lässt, sind die Ergebnisse dennoch ein deutlicher Beleg für die Bedeutung der Arthrose. Arthrosepatientinnen und -patienten gehören zu den häufigsten Klienten des Gesundheitssystems. Arthrose ist ein ausgesprochen häufiger Behandlungsgrund in der stationären wie ambulanten Versorgung. Nach Daten des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung zählen sowohl die Kniegelenks- als auch die Hüftgelenksarthrose zu den zehn häufigsten Einzeldiagnosen in orthopädischen Praxen. Auch Allgemeinmediziner und praktische Ärzte, Chirurgen sowie hausärztliche Internisten werden häufig wegen Arthrosebeschwerden aufgesucht. Zur Krankenhausbehandlung kommt es bei einer Arthrose zwar deutlich seltener, nämlich vor allem dann, wenn ein künstliches Gelenk eingesetzt werden soll. Doch gehören sowohl die Hüft- als auch die Kniegelenksarthrose immerhin zu den 30 häufigsten Einzeldiagnosen bei stationären Aufenthalten. So kam es im Jahr 2002 zu insgesamt 336 833 stationären Behandlungen, bei denen eine Arthrose die Hauptdiagnose darstellte (ICD-10: M15–M19). 63 Prozent der Patienten waren Frauen. Die Rate der stationären Behandlungsfälle steigt bei Männern und Frauen mit zunehmendem Alter deutlich an und ist in den alten Bundesländern höher als in den neuen Bundesländern (siehe Abbildung 1.2.15). Entsprechend der hohen Inanspruchnahme der ambulanten und stationären Versorgung verursacht die Arthrose Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | hohe Behandlungskosten. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wurden für die Behandlung von Arthrosen (ICD-10: M15–M19) im Jahr 2002 gut sieben Milliarden Euro aufgewendet. Das sind fast 30 Prozent der direkten Kosten, die durch die Gruppe der Muskel- und Skeletterkrankungen insgesamt verursacht werden. Hinzu kommt, dass degenerative Gelenkerkrankungen einen erheblichen Anteil aller Arbeitsunfähigkeitstage, Frühberentungen und Rehabilitationsmaßnahmen bedingen und dadurch auch volkswirtschaftlich zu den bedeutenden chronischen Krankheiten gehören. 39 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast 40 250 Zahl der Erkrankungen in Tausend Erkrankungsraten pro 100000 500 200 400 150 300 100 200 50 100 0 0 1990 91 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 Jahre Geschätzte Zahl der Erkrankungen Männer Geschätzte Erkrankungsraten Männer Geschätzte Zahl der Erkrankungen Frauen Geschätzte Erkrankungsraten Frauen Abbildung 1.2.16: Geschätzte Zahl und Rate jährlicher Krebs-Neuerkrankungen in Deutschland (ICD-10: C00 – C97 ohne C44). Quelle: Dachdokumentation Krebs 200 Zahl der Erkrankungen in Tausend Beobachtungszeitraum Prognosezeitraum 150 100 50 0 1990 95 Männer 2000 Frauen 05 10 15 20 Jahre Abbildung 1.2.17: Geschätzte Anzahl jährlich neu auftretender Krebserkrankungen bei über 65-Jährigen in Deutschland, wenn das Krebserkrankungs risiko des Jahres 2000 unverändert fortbestünde (ICD-10: C00 – C97 ohne C44). Quelle: Dachdokumentation Krebs (Datenbasis: [68] Variante 1) 1.2.6 Krebs Ω Zusammenfassung Krebsleiden sind nach den Herz-Kreislauf-Krankheiten die zweithäufigste Todesursache bei Frauen und Männern in Deutschland. Durch bösartige Tumoren gehen viele potenzielle Lebensjahre verloren, weil die Betroffenen oft vor dem 70. Lebensjahr versterben. Dabei fallen bei Männern vor allem Lungenkrebs und bei Frauen Brustkrebs ins Gewicht. In höherem Alter dominiert bei Männern der Prostatakrebs und bei beiden Geschlechtern der Darmkrebs. Für verschiedene Krebsarten lassen sich unterschiedliche Trends beobachten. So sinken seit 1990 die Raten neuer Lungenkrebserkrankungen bei Männern, während sie bei Frauen im Alter unter 50 Jahren ansteigen. Dies wird vor allem auf den vermehrten Zigarettenkonsum von Frauen zurückgeführt. Das Zigarettenrauchen ist der wichtigste Risikofaktor für Lungenkrebs. Darmkrebs ist bei Frauen wie Männern das zweithäufigste Krebsleiden. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre sind die Neuerkrankungsraten bei beiden Geschlechtern nahezu unverändert geblieben, während die Sterberaten der Frauen seit Anfang der 1980er und die der Männer seit Anfang der 1990er Jahre abnehmen. Das Darmkrebsrisiko hängt unter anderem von den Ernährungsgewohnheiten ab. Die Früherkennung von Darmkrebs ist Bestandteil des gesetzlichen Früherkennungsprogramms. Bei Brustkrebs der Frauen sind die Sterberaten in den 1990er Jahren zurückgegangen, während die Neuerkrankungsraten zugenommen haben. Durch die Einführung eines qualitätsgesicherten flächendeckenden Mammographie-Screenings soll die Brustkrebsmortalität weiter gesenkt werden. Insgesamt sind die Überlebenschancen bei Krebs heute besser als vor 20 Jahren. Vergleicht man den Zeitraum von 1985 bis 1988 mit den Jahren 1994 bis 1998, so zeigt sich, dass die 5-Jahres-Überlebensraten bei fast allen bösartigen Tumoren gestiegen sind. Das erklärt die abnehmenden Sterberaten an Krebs bei Frauen seit Beginn der 1970er Jahre und bei Männern seit Ende der 1980er Jahre bei gleichzeitig zunehmender Krebserkrankungshäufigkeit. Das Krebserkrankungsrisiko der Deutschen hat in den 1990er Jahren weiter zugenommen. Dies zeigt die aktuelle (2006) Schätzung der Krebserkrankungszahlen durch die Dachdokumentation Krebs im Robert Koch-Institut, die auf den Daten vollzählig erfassender Krebsregister der Länder beruht (siehe Abbildung 1.2.16). Die altersstandardisierte jährliche Neuerkrankungsrate (Inzidenz) stieg bei Frauen zwischen 1990 und 2002 von 307 auf insgesamt 335 Krebsfälle pro 100 000 Einwohnerinnen. Bei Männern erhöhte sich die Zahl von 411 auf 452 Fälle pro 100 000 Personen. Das entspricht einem Zuwachs von etwa 0,8 Prozent pro Jahr, bei Frauen etwas mehr, bei Männern etwas weniger. Bei der Krebssterblichkeit (Mortalität) zeichnet sich ein sehr günstiges Bild ab. So verringert sich die altersstandardisierte Sterblichkeit bei Frauen bereits seit den 1970er Jahren, bei Männern seit Ende der 1980er Jahre. Der Rückgang der Krebssterblichkeit bei zunehmender Erkrankungshäufigkeit ist im Wesentlichen der frühzeitigeren Entdeckung und Behandlung von Krebs zu danken, die gemeinsam zu einer kontinuierlichen Verbesserung der Überlebensaussichten für Menschen mit Krebs geführt haben. Unterdessen ist die absolute Zahl der jährlich neu auftretenden Krebserkrankungen infolge des demografischen Alte- Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Erkrankungsraten pro 100000 Frauen Dänemark Großbritannien Deutschland Luxemburg Schweden Niederlande Belgien Österreich Frankreich Irland Italien Finnland Portugal Spanien Griechenland 0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 500 Erkrankungsraten pro 100000 Männer Belgien Frankreich Luxemburg Italien Deutschland Niederlande Österreich Spanien Großbritannien Portugal Schweden Dänemark Irland Finnland Griechenland 0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 500 Abbildung 1.2.18: Altersstandardisierte Neuerkrankungsraten an Krebs in der Europäischen Union 2002 (Weltstandard). Quelle: GLOBOCAN-Schätzung 2002, RKI-Schätzung für Deutschland 2002. Quelle: GEKID, RKI: Krebs in Deutschland [94] Neue Früherkennungsmaßnahmen erhöhen die Zahl der diagnostizierten Krebsfälle Der Einsatz neuer Früherkennungsmethoden kann zu einer empfindlicheren Erfassung von Krebserkrankungen führen. Deshalb sind steigende Erkrankungsraten nicht unbedingt Aus- rungsprozesses gestiegen. Bei Männern erhöhte sich die jährliche Neuerkrankungszahl zwischen 1990 und 2002 um 39,1 Prozent (3,3 Prozent pro Jahr). Bei Frauen stieg sie um 18,6 Prozent (1,5 Prozent pro Jahr). Nach Schätzungen der Dachdokumentation Krebs erkrankten im Jahr 2002 insgesamt rund 218 000 Männer und 206 000 Frauen an einem bösartigen Tumor. Brustkrebs und Prostatakrebs rangieren auf Platz eins der Statistik. Die häufigste Krebsneuerkrankung bei Männern ist der Prostatakrebs mit etwa 48 650 Erkrankungsfällen im Jahr 2002. An zweiter Stelle steht mit 35 600 Fällen Darmkrebs. Der vormals auf Platz eins rangierende Lungenkrebs verursachte 32 550 Neuerkrankungen im Jahr 2002. Die veränderte Rangfolge ist auf den Anstieg der Prostatakrebsraten nach Einführung des so genannten PSA-Tests zurückzuführen. Mit dieser Blutuntersuchung lassen sich Tumoren der Vorsteherdrüse frühzeitig entdecken. Allerdings ist bisher nicht belegt, dass dadurch beim Prostatakrebs die Heilungschancen steigen und die Sterblichkeit sinkt. Ebenso ist denkbar, dass mit dem PSATest viele vergleichsweise ungefährliche Tumoren aufgespürt werden, die ohnehin nicht zum Tod der Betroffenen geführt hätten. Wegen des noch fraglichen Nutzens ist der PSA-Test kein Bestandteil der Krebsfrüherkennungs-Richtlinien und wird von den gesetzlichen Kassen nicht bezahlt. Bei Frauen blieb der Brustkrebs mit rund 55 150 Fällen im Jahr 2002 die häufigste Krebserkrankung. Die altersstandardisierten Erkrankungsraten bei Brustkrebs steigen seit den 1980er Jahren an, während die Sterblichkeit der Frauen an Brustkrebs seit Mitte der 1990er Jahre in Deutschland zurückgeht. Beim malignen Melanom der Haut haben die geschätzten Erkrankungsfälle und -raten zwischen 1980 und 2002 bei beiden Geschlechtern deutlich zugenommen. Auch beim Darmkrebs sind in den letzten zwanzig Jahren die Zahl der aufgetretenen Erkrankungen deutlich und die Erkrankungsraten geringfügig angestiegen. Dieser Trend lässt sich auf eine verstärkte Anstrengung bei der Früherkennung zurückführen. Auch kann eine erhöhte Aufmerksamkeit die beteiligten Ärzte motivieren, die Erkrankungen häufiger als zuvor an die Krebsregister zu melden. Die Zahl neuer Krebsfälle wird bis zum Jahr 2020 deutlich steigen. Für die kommenden Jahrzehnte ist wegen der wachsenden Zahl älterer Menschen insgesamt mit einem deutlichen Anstieg der Krebserkrankungsfälle zu rechnen. Dies legen Berechnungen nahe, die auf der 10. Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Bundesamtes und den vom Robert KochInstitut geschätzten altersspezifischen Krebserkrankungsraten des Jahres 2000 beruhen (siehe Abbildung 1.2.17). Danach würde sich bis 2020 die Zahl der jährlichen Krebsneuerkrankungen bei über 65-jährigen Männern um mindestens 50 Prozent und bei über 65-jährigen Frauen um mindestens 25 Prozent erhöhen. Griechische Frauen und Männer erkranken besonders selten an Krebs. Die altersstandardisierten Neuerkrankungsraten (Inzidenz) lagen im Jahr 2002 bei deutschen Frauen und Männern über dem europäischen Durchschnitt (EU-15) (siehe Abbildung 1.2.18). Unter den europäischen Männern fanden sich die druck eines erhöhten Krebsrisikos. Mitunter weisen sie lediglich auf die vermehrte Entdeckung von Vorstadien und frühen Stadien bestimmter Krebskrankheiten hin. Ziel der Krebsfrüherkennung ist indes nicht die möglichst frühe Diagnosestellung per se. Vielmehr sollen durch einen frühzeitigen Behandlungsbeginn die Heilungschancen erhöht werden. Das entscheidende Kriterium für den Erfolg von Früherkennungsmaßnahmen ist daher ein Rückgang der Sterblichkeit an Krebs. 41 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast 42 35 Erkrankungsraten pro 100000 Zahl der Erkrankungen in Tausend 100 30 80 25 60 20 15 40 10 20 5 0 0 1990 91 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 Jahre Geschätzte Zahl der Erkrankungen Männer Geschätzte Erkrankungsraten Männer Geschätzte Zahl der Erkrankungen Frauen Geschätzte Erkrankungsraten Frauen Abbildung 1.2.19: Geschätzte Zahl und Rate jährlicher Lungenkrebserkrankungen in Deutschland (ICD-10: C33 – C34). Quelle: Dachdokumentation Krebs 80 Jährliche Todesfälle pro 100 000 Einwohner 70 60 50 40 30 20 10 0 1990 91 92 Männer 93 94 Frauen 95 96 97 98 99 2000 02 01 Jahre Abbildung 1.2.20: Mortalitätsrate Lungenkrebs in Deutschland (altersstandardisiert). Quelle: Dachdokumentation Krebs höchsten Neuerkrankungsraten bei Belgiern, gefolgt von Franzosen, Luxemburgern, Italienern und Deutschen. Die niedrigsten Raten wurden dagegen bei griechischen, finnischen und irischen Männern beobachtet. Noch häufiger als deutsche Frauen erkrankten dänische und britische Frauen an Krebs, während griechische, spanische und portugiesische Frauen im EU-Vergleich am seltensten von bösartigen Neubildungen betroffen waren. Bei Frauen zeigt sich die Tendenz zu einem Nord-SüdGefälle mit hohen Erkrankungsraten im Norden und niedrigen im Süden. Bei den Männern ist das Bild dagegen uneinheitlich, da sich bei finnischen und irischen Männern recht niedrige, bei italienischen dagegen relativ hohe Inzidenzraten finden. 1.2.6.1 Lungenkrebs Dreimal so viele Männer wie Frauen erkranken an Lungenkrebs. Der Krebs von Luftröhre, Bronchien und Lunge – kurz Lungenkrebs – ist in Deutschland sowohl bei Männern wie Frauen das dritthäufigste Krebsleiden. Im Jahr 2002 erkrankten etwa 32 550 Männer an Lungenkrebs, das sind knapp 15 Prozent aller Krebserkrankungen beim männlichen Geschlecht, die mehr als ein Viertel aller Krebstodesfälle bei Männern verursachen. Bei den Frauen macht der Lungenkrebs mit jährlich rund 12 450 Neuerkrankungen derzeit nur sechs Prozent aller bösartigen Tumoren aus und verursacht etwa sechs Prozent der Krebstodesfälle. Das mittlere Erkrankungsalter bei Lungenkrebs liegt für Männer und Frauen bei 68 Jahren und ist damit nahe am durchschnittlichen Krebserkrankungsalter (Männer 68,5, Frauen 69 Jahre). Die Neuerkrankungsrate (Inzidenz) liegt bei deutschen Männern und Frauen in Bezug auf die EU im mittleren Bereich. Die höchsten Raten findet man bei Männern in Belgien, den Niederlanden und Italien, bei Frauen in Dänemark, Großbritannien und Irland. Die niedrigste Inzidenz wird bei Männern in Schweden und Portugal sowie bei Frauen in Spanien und Portugal beobachtet. Die Frauen holen durch gesteigerten Zigarettenkonsum beim Lungenkrebs auf. Der Hauptrisikofaktor für Lungenkrebs ist seit langem bekannt. So sind bei Männern bis zu 90 Prozent, bei Frauen derzeit bis zu 60 Prozent der Lungenkrebsfälle auf das aktive Zigarettenrauchen zurückzuführen. Bei deutschen Männern erreichte die Mortalität wie die Inzidenz zwischen Mitte der 1970er und Ende der 1970er Jahre ihren Höchststand. Seitdem ist ein rückläufiger Trend der altersstandardisierten Erkrankungsraten erkennbar, und zwar um durchschnittlich 0,9 Prozent pro Jahr. Da aber der Anteil älterer und alter Männer in der Bevölkerung wächst, steigt die absolute Zahl jährlicher Neuerkrankungen um 0,9 Prozent pro Jahr an. Bei Frauen zeigt sich ein gegenläufiger Trend: Bei ihnen stieg die altersstandardisierte Inzidenz seit den 1980er Jahren um jährlich 4,5 Prozent. Gleichzeitig nahm die absolute Zahl der jährlichen Neuerkrankungen um sechs Prozent pro Jahr zu (siehe Abbildung 1.2.19). Die unterschiedliche Entwicklung der altersstandardisierten Erkrankungsraten bei Männern und Frauen ist das Ergebnis bereits länger zurückliegender Veränderungen der Rauchgewohnheiten. So ist bei Frauen ein deutlich gestiegener Zigarettenkonsum zu verzeichnen. Die aktuellen Rauchgewohnheiten von jüngeren Frauen und Männern (siehe Kapitel 2) lassen eine weitere Angleichung der Lungenkrebserkrankungsund -sterberaten von Männern und Frauen erwarten. Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 110 Fälle pro 100 000 Frauen 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1990 110 91 92 93 94 95 96 97 98 Frankreich Niederlande Großbritannien Fälle pro 100 000 99 2000 01 02 03 04 Jahre Deutschland Männer 100 90 80 70 60 Lungenkrebs ist ein besonders gefährlicher Tumor. Der Lungenkrebs ist bei Männern für 26,3 und bei Frauen für 10,4 Prozent aller Krebstodesfälle verantwortlich. Tatsächlich gehört der Lungenkrebs zu den prognostisch ungünstigsten Krebsformen, was sich in einer niedrigen relativen 5-Jahres-Überlebensrate ausdrückt. Die relative 5-Jahres-Überlebensrate gibt den Anteil der Patientinnen und Patienten an, die ihre Diagnosestellung um mindestens fünf Jahre überleben würden, wenn andere Todesursachen ausgeschlossen wären. Sie ist für beide Geschlechter mit etwa 12 Prozent bei Männern und 14 Prozent bei Frauen nahezu identisch. Die altersstandardisierte Lungenkrebssterblichkeit ist in Deutschland bei Frauen seit 1990 von 11,5 auf 16,3 Todesfälle pro 100 000 Einwohnerinnen gestiegen (siehe Abbildung 1.2.20). Bei Männern ist sie dagegen von 71,9 auf 58,7 pro 100 000 Personen gefallen und folgt damit dem Trend der Neuerkrankungsraten. Im internationalen Vergleich hat sich die Lungenkrebssterblichkeit bei Frauen dem EU-15-Durchschnitt angenähert, bei Männern liegt sie unter dem EU-Vergleichswert. Eine deutlich höhere Lungenkrebssterblichkeit findet sich bei Frauen in Großbritannien und den Niederlanden (siehe Abbildung 1.2.21). Die höchste Lungenkrebssterblichkeit hatten im Jahr 2001 dänische Frauen und niederländische Männer (EU-15-Länder). 50 40 30 20 10 0 1990 91 92 93 94 95 96 97 98 Deutschland Frankreich Niederlande Großbritannien 99 2000 01 02 03 04 Jahre Abbildung 1.2.21: Mortalitätsrate Lungenkrebs im europäischen Vergleich. Quelle: WHO HFA Januar 2006 Der demografische Alterungsprozess ist ein wichtiger Trendmotor beim Krebs. Krebserkrankungsraten treten in der Regel im Alter wesentlich häufiger als in jüngeren Jahren auf. Um sinnvolle Vergleiche über längere Zeit bei einer sich verändernden Altersstruktur der Bevölkerung zu ermöglichen, werden die Raten daher altersstandardisiert. Bei der Altersstandardisierung rechnet man Veränderungen in der Altersstruktur einer Bevölkerung heraus. 1.2.6.2 Darmkrebs Darmkrebs rangiert bei Männern und Frauen auf Platz zwei der Statistik. Darmkrebs ist mittlerweile bei beiden Geschlechtern die zweithäufigste Krebserkrankung sowie die zweithäufigste Krebstodesursache. (Mit Darmkrebs sind hier Krebserkrankungen des Dickdarms, Mastdarms und des Darmausgangs gemeint, die seltenen Krebskrankheiten des Dünndarms werden nicht berücksichtigt.) Im Jahr 2002 erkrankten in Deutschland schätzungsweise 35 600 Männer und 35 800 Frauen. Im Schnitt tritt Darmkrebs relativ spät auf: Bei Männern im Alter von 69 Jahren, bei Frauen erst mit 75 Jahren. Sowohl bei Männern wie bei Frauen hat Deutschland im EUVergleich die höchsten Neuerkrankungsraten (Inzidenz). Die niedrigsten Inzidenzraten in der EU findet man in Griechenland und Finnland. Das Darmkrebsrisiko hängt von den Ernährungsgewohnheiten ab. Als Risikofaktoren für Darmkrebs werden der häufige Konsum von Fleisch und tierischen Fetten, eine an Ballaststoffen arme Kost, Alkoholkonsum, Übergewicht und Bewegungsarmut diskutiert. Ergebnisse der EPIC-Studie [92], in der Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krebsrisiko untersucht werden, legen nahe, dass das Darmkrebsrisiko bei Personen mit einer täglichen Ballaststoffaufnahme von durchschnittlich 35 Gramm um 40 Prozent geringer ausfällt als bei Personen, die durchschnittlich nur 15 Gramm Ballaststoffe pro Tag zu sich nehmen. Auch der Konsum von rotem und verarbeitetem Altersstandardisierte Krebserkrankungsraten sind ein Maß für das relative Krebsrisiko der Bevölkerung. Die tatsächliche (absolute) Zahl der jährlich neu auftretenden Krebserkrankungen hängt dagegen stark vom Anteil älterer und alter Menschen in der Bevölkerung ab. Denn Krebsleiden häufen sich ganz unabhängig von sonstigen Risikofaktoren im höheren Lebensalter. Selbst bei stagnierenden oder sinkenden alters- standardisierten Erkrankungsraten kann sich in einer alternden Bevölkerung daher die absolute Zahl der Krebsneuerkrankungen erhöhen. Dies ist derzeit in Deutschland der Fall. Auch in den kommenden Jahrzehnten dürfte der demografische Alterungsprozess ein wichtiger Trendmotor für die Zahl der Krebserkrankungen und Todesfälle bleiben. 43 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast 44 Zahl der Erkrankungen in Tausend 40 Erkrankungsraten pro 100000 100 35 80 30 25 60 20 40 15 10 20 5 0 0 1990 91 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 Jahre Geschätzte Zahl der Erkrankungen Männer Geschätzte Erkrankungsraten Männer Geschätzte Zahl der Erkrankungen Frauen Geschätzte Erkrankungsraten Frauen Abbildung 1.2.22: Geschätzte Zahl und Rate jährlicher Darmkrebserkrankungen in Deutschland (ICD-10: C18 – C21). Quelle: Dachdokumentation Krebs Jährliche Todesfälle pro 100 000 Einwohner 40 35 30 25 20 15 10 5 0 1990 91 92 Männer 93 94 95 96 97 98 99 2000 02 01 Jahre Frauen Abbildung 1.2.23: Mortalitätsrate Darmkrebs in Deutschland (altersstandardisiert). Quelle: Dachdokumentation Krebs Alter 85–100 80 –84 75–79 70 –74 65 –69 60–64 55–59 50–54 45–49 40–44 35–39 15–34 1–14 0 50 100 Fleisch steigert der EPIC-Studie zufolge das Darmkrebsrisiko, wogegen der Konsum von Fisch das Risiko senken könnte. Die Früherkennung von Darmkrebs ist Bestandteil des gesetzlichen Früherkennungsprogramms. Ab dem Alter von 50 Jahren haben Frauen und Männer Anspruch auf Untersuchungen zur Früherkennung von Krebserkrankungen des Rektums (Mastdarms) und des Dickdarms. Dabei haben Personen im Alter von 50 bis 54 Jahren Anspruch auf einen Schnelltest nach verborgenem Blut im Stuhl (Hämokkulttest). Ab dem Alter von 55 Jahren besteht Anspruch auf die Durchführung einer Früherkennungsdarmspiegelung (Koloskopie) einschließlich einer Wiederholungskoloskopie nach zehn Jahren. Versicherte, die sich gegen eine Früherkennungsdarmspiegelung entscheiden, können in zweijährlichem Turnus einen Hämokkulttest durchführen lassen (siehe auch Kapitel 3). Darmkrebs hat insgesamt eine recht günstige Prognose. Die altersstandardisierten Erkrankungsraten (Inzidenz) bei Männern stagnierten in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, nachdem sie noch zu Beginn der Dekade angestiegen waren. Bei Frauen sind die Erkrankungsraten in den gesamten 1990er Jahren nahezu unverändert geblieben. Rechnerisch ergibt sich für Männer seit 1980 ein Anstieg der Inzidenz um durchschnittlich zwei Prozent pro Jahr, für Frauen um lediglich 1,3 Prozent pro Jahr. Während die Zahl jährlich auftretender Darmkrebsleiden bei Männern seit 1980 um etwa 4,4 Prozent pro Jahr auf zuletzt 35 600 Fälle anstieg, hat sie sich bei Frauen im Mittel nur um 2,7 Prozent pro Jahr erhöht und ist seit Mitte der 1990er Jahre mit rund 35 000 jährlichen Erkrankungsfällen in etwa konstant geblieben (siehe Abbildung 1.2.22). Die relativen 5-JahresÜberlebensraten betragen für Frauen wie Männer 56 Prozent. Die Sterblichkeit (Mortalität) an Darmkrebs ist seit Ende der 1970er Jahre bei Frauen und Männern gesunken, und zwar bei Männern um 0,6 Prozent und bei Frauen um 1,3 Prozent pro Jahr (siehe Abbildung 1.2.23). 150 200 250 300 Anzahl pro 100 000 Frauen Abbildung 1.2.24: Schätzung der altersspezifischen Inzidenz pro 100 000 Frauen für Brustkrebs in Deutschland 2002. Quelle: GEKID, RKI: Krebs in Deutschland [94] 1.2.6.3 Brustkrebs Jede elfte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Brustkrebs ist in Deutschland wie auch weltweit die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Männer erkranken etwa 50- bis 100-mal seltener als Frauen an Brustkrebs. Brustkrebsleiden machten im Jahr 2002 etwa 26,8 Prozent aller Krebsneuerkrankungen bei Frauen aus. Nach Schätzungen der Dachdokumentation Krebs am Robert Koch-Institut erkrankten daran im Jahr 2002 in Deutschland 55 150 Frauen. Das so genannte Lebenszeitrisiko, an Brustkrebs zu erkranken, beträgt für Frauen 9,2 Prozent. Das heißt, dass jede elfte Frau im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs erkrankt [93]. Das Brustkrebsrisiko erhöht sich mit fortschreitendem Alter. Der Anstieg der Neuerkrankungsraten ist besonders auffällig zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Am höchsten sind die Erkrankungsraten ab dem Alter von 55 Jahren, nach Eintritt der Menopause (siehe Abbildung 1.2.24). Rund 40 Prozent der Brustkrebserkrankungen sowie knapp 30 Prozent der durch Brustkrebs verursachten Todesfälle treten im Alter zwischen 35 und 59 Jahren auf. Das mittlere Erkrankungsalter ist mit knapp über 62,5 Jahren entsprechend niedrig. Das Risiko, an Brustkrebs sterben zu müssen, sinkt. Für die Jahre von 1980 bis 2002 hat die Dachdokumentation Krebs die Zahl der jährlich in Deutschland aufgetretenen Brustkrebserkrankungen geschätzt. Neben den saarländischen Krebsregisterdaten wurden für den Zeitraum nach 1994 auch Daten Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Inzidenz/Mortalität pro 100 000 120 100 80 60 40 20 0 1970 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 Geschätzte Inzidenz Deutschland Inzidenz Saarland 92 94 96 98 2000 02 Jahr Inzidenz DDR Mortalität Deutschland Abbildung 1.2.25: Altersstandardisierte Inzidenz und Mortalität für Brustkrebs in Deutschland 1970 – 2002, Frauen. Quelle: GEKID, RKI: Krebs in Deutschland [94] Prozent 100 75 50 25 0 0 1 2 3 1990–1994 4 5 6 7 8 9 10 Jahre nach Diagnosestellung 1980–1984 1970–1974 Abbildung 1.2.26: Überlebensrate für Brustkrebspatientinnen nach Diagnosezeitraum. Daten: Epidemiologisches Krebsregister Saarland. Quelle: Berechnungen der Dachdokumentation Krebs [93] Erkrankungsraten pro 100 000 Belgien Frankreich Dänemark Schweden Großbritannien Niederlande Finnland Luxemburg Deutschland Irland Italien Österreich Portugal Griechenland Spanien 0 20 40 60 80 100 120 140 Abbildung 1.2.27: Altersstandardisierte Neuerkrankungsraten an Brustkrebs in der Europäischen Union 2002 (Weltstandard). Quelle: GLOBOCAN-Schätzung 2002, RKI-Schätzung für Deutschland 2002. Quelle: GEKID, RKI: Krebs in Deutschland [94] des Gemeinsamen Krebsregisters von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern genutzt. Die Schätzung zeigt, dass die für Deutschland ermittelte Erkrankungshäufigkeit deutlich größer ist als jene, die bis 1989 in der ehemaligen DDR registriert wurde. Auch liegen die Raten für ganz Deutschland etwas höher, als sie zuvor im Saarland gemessen worden waren. Der Anstieg der Neuerkrankungsraten wird jedoch seit Mitte der 1990er Jahre von rückläufigen Sterberaten begleitet. Zwar werden durch empfindlichere diagnostische Verfahren (beispielsweise durch Mammographie) mehr Erkrankungen frühzeitig aufgespürt. Die dadurch entdeckten Krebserkrankungen sind jedoch mit deutlich besseren Überlebensaussichten verknüpft, so dass es insgesamt zu weniger Sterbefällen an Brustkrebs der Frauen kommt. Die Überlebenschancen steigen. Brustkrebs ist bei Frauen für 18 Prozent der gesamten Krebssterblichkeit verantwortlich und liegt damit beim weiblichen Geschlecht auf Platz eins der Krebstodesursachenstatistik. Im Jahr 2002 verstarben 17 780 Frauen in Deutschland an Brustkrebs. Im Vergleich der Jahre 1990 bis 1994 mit früheren Zeiträumen haben sich die Überlebenschancen bei Brustkrebs erheblich verbessert (siehe Abbildung 1.2.26). Nach neuesten Schätzungen des Robert Koch-Instituts beträgt die relative 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit für die in den Jahren 1994 bis 1998 an Brustkrebs erkrankten und im Krebsregister des Saarlandes registrierten Frauen 79 Prozent (Berechnungen der Dachdokumentation Krebs). Damit hat Brustkrebs eine gegenüber anderen Krebserkrankungen günstige Prognose. So beträgt die 5-Jahres-Überlebensrate bei Frauen mit Magenkrebs 29 Prozent und bei Frauen mit Lungenkrebs 14 Prozent. Aktuelle Daten zeigen zudem, dass sich bei Brustkrebs auch die 10-Jahres-Überlebensraten seit Beginn der 1980er Jahre deutlich erhöht haben. Weltweit erkranken jedes Jahr eine Million Frauen an Brustkrebs. Weltweit erkrankten nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation im Jahr 2000 mehr als eine Million Frauen an Brustkrebs, 370 000 verstarben daran. Für Europa ging man im selben Jahr von 350 000 Neuerkrankungen und 130 000 Sterbefällen aus. Im Vergleich zu den EU-Ländern nimmt Deutschland sowohl bei der Brustkrebssterblichkeit als auch bei den Neuerkrankungsraten eine mittlere Position ein (siehe Abbildung 1.2.27). Patientinnen müssen besser in Therapieentscheidungen eingebunden werden. Eine höhere Qualität bei Früherkennung, Therapie und Nachsorge von Brustkrebs ist Ziel verschiedener gesundheitspolitischer Maßnahmen. Dazu gehören: der Aufbau eines flächendeckenden und qualitätsgesicherten Mammographie-Screenings; die Veröffentlichung der interdisziplinären Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Mammakarzinoms der Frau“ der Deutschen Krebsgesellschaft und beteiligter Fachgesellschaften im Mai 2004; die im Rahmen der Initiative „gesundheitsziele.de“ formulierten Leitziele für eine verbesserte Versorgung; die Einführung strukturierter Behandlungsprogramme (Disease-Management-Programme) für Brustkrebs; die Zertifizierung von so genannten Brustkrebszentren. Erforderlich sind auch eine bessere Information der Patientinnen und ihre verstärkte Einbindung in Therapieentscheidungen. Dem Auftreten von Brustkrebs (Primärprävention) kann nur begrenzt vorgebeugt werden. Daher ist die frühzeitige Erkennung und Therapie (Sekundärprävention) von besonderer Bedeutung. Die Ergebnisse der so genannten WHI-Studie (Women’s Health Initiative) zeigen, dass bei über 50-jährigen Frauen das 45 46 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast Lokalisation Frauen Männer Relative Überlebensraten Diagnosezeitraum 1994–1998; Saarland Relative Überlebensraten Diagnosezeitraum 1985 –1988; Saarland Relative Überlebensraten Diagnosezeitraum 1994 –1998; Saarland Relative Überlebensraten Diagnosezeitraum 1985 –1988; Saarland* Krebs insgesamt (ohne C 44) 58 53 46 40 Lippe, Mundhöhle, Rachen (C00 – C14) 60 56 46 43 Speiseröhre (C15) 27 Magen (C16) 29 Darm gesamt (C18 – C21) 56 Bauchspeicheldrüse (C25) 19 28 27 27 56 4 5 Kehlkopf (C32) 65 68 60 71 Trachea, Bronchien, Lunge (C33 – C34) 14 17 12 9 Haut (C43) 89 80 81 69 Brust (C50) 79 73 . . Uterus (C54 – C55) 77 70 . . Cervix uteri (C53) 67 64 . . Ovar (C56) 41 35 . . . . 82 70 Prostata (C61) Hoden (C62) . . 98 93 67 56 66 49 Harnblase (C67) 53 63 57 78 Schilddrüse (C73) 88 77 79 67 Lymphom (C82 – C85) 61 56 53 52 Hodgkin (C81) 89 65 79 73 Leukämie (C91 – C95) 44 42 46 42 Nieren und ableitende Harnwege (C64 – C66, C68) * Durch Klassifikationsänderungen (ICD-9 zu ICD-10) ist nicht immer ein Vergleich möglich Tabelle 1.2.6: Fünf-Jahres-Überlebensraten (in Prozent), Saarland, Diagnosezeitraum 1990 –1994, Alter 0 – 89 Jahre. Daten: Epidemiologisches Krebsregis ter Saarland. Quelle: Berechnungen der Dachdokumentation Krebs Methodische Anmerkung Die Berechnung der relativen 5-Jahres-Überlebensraten beruht auf Daten des saarländischen Krebsregisters, da die benötigten Informationen nur dort für einen genügend langen Zeitraum vorliegen. Alle zwischen 1994 und 1998 im Saarland diagnostizierten Krebserkrankungen bei Personen unter 90 Jahren wurden bei den hier angegebenen Überlebensraten einbezogen. Im Unterschied zu früheren Berechnungen sind auch jene Fälle weiter mitgezählt worden, in denen eine Patientin oder ein Patient im Laufe des Beobachtungszeitraums an einem zweiten Krebsleiden erkrankte. Dadurch verschlechtert sich die statistische Überlebensrate einer Krebskrankheit, wenn ihr häufig ein prognostisch ungünstigeres Leiden wie beispielsweise Lungenkrebs folgt. Die Überlebensraten unterscheiden sich erheblich, je nachdem welches Erkrankungsstadium bei Diagnosestellung vorlag. Hier werden unabhängig vom Krankheitsstadium jeweils die mittleren relativen 5-Jahres-Überlebensraten angegeben (Quelle: Dachdokumentation Krebs). Brustkrebsrisiko durch eine langfristige Einnahme von Hormonpräparaten (Östrogen- oder Östrogen-Gestagen-Präparate) steigen kann. Dies hat zu einer kritischen Sicht der Dauerbehandlung mit Hormonen während und nach den Wechseljahren geführt und sich in entsprechend geänderten Produktinformationen und Therapieempfehlungen niedergeschlagen. Ω Umfangreiche Informationen zu Brustkrebs finden sich in Heft 25 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes. 1.2.6.4 Überlebensraten bei Krebs Die meisten Krebspatientinnen und -patienten haben bessere Überlebenschancen als je zuvor. Die Überlebenschancen bei Krebs haben sich seit den 1970er Jahren für Frauen und seit Mitte der 1980er Jahre auch für Männer erhöht. Der positive Trend erklärt sich teilweise dadurch, dass die gefährlichen Magenkrebserkrankungen seit langem rückläufig sind, während die weniger aggressiven Darmkrebsleiden zugenommen haben. Bei Männern tragen zudem die vermehrt diagnostizierten Prostatatumoren, die oft eine gute Prognose haben, zur günstigen Entwicklung bei. Vergleicht man den Diagnosezeitraum der Jahre 1985 bis 1988 mit jenem von 1994 bis 1998, so zeigt sich, dass die relative 5-Jahres-Überlebensrate bei Frauen im Schnitt von 53 auf 58 Prozent gestiegen ist. Bei Männern hat sie von 40 auf 46 Prozent zugenommen. Die Geschlechterdifferenz ist auf Unterschiede im Erkrankungsspektrum zurückzuführen. Der Anteil von Lungen- und Speiseröhrenkrebs, bei denen die Überlebensaussichten eher schlecht sind, fällt bei Männern hoch aus. Frauen erkranken dagegen häufig an Brustkrebs, der eine insgesamt günstige Prognose hat. Der generelle positive Trend spiegelt sich bei fast allen einzelnen Krebsleiden (siehe Tabelle 1.2.6). So haben sich seit Mitte der 1980er Jahre die 5-Jahres-Überlebensraten von Männern und Frauen mit malignem Melanom der Haut, Schilddrüsenkrebs oder Hodgkin-Lymphom erheblich verbessert. Auch die Überlebensaussichten bei Brust- und Gebärmutterkörperkrebs sowie bei Prostatakrebs sind deutlich gestiegen. Ebenfalls verbessert haben sich die Überlebenschancen bei Krebserkrankungen von Mundhöhle und Rachen. Bei Lungenkrebs stehen die Männer besser, die Frauen aber schlechter da als zuvor. Alle diese Krebsleiden werden durch das Zigarettenrauchen in gleicher Weise begünstigt, weshalb auf eine Krebserkrankung von Mundhöhle, Rachen oder Kehlkopf nicht selten der prognostisch erheblich ungünstigere Lungenkrebs folgt. Die 5-Jahres-Überlebensraten bei Frauen mit Lungenkrebs fielen zwar für den Diagnosezeitraum zwischen 1994 und 1998 mit 14 Prozent schlechter aus als in den Vergleichsjahren 1985 bis 1988 (17 Prozent). Sie sind aber weiterhin bes- Definition Die relativen Überlebensraten sind ein Maß für die Prognose von Krebskrankheiten. Sie werden meist für einen Zeitraum von fünf oder zehn Jahren angegeben. Man berechnet die relativen Überlebensraten, indem man die Sterblichkeit von Krebspatienten mit der Sterblichkeit von Personen gleichen Alters und Geschlechts aus der Allgemeinbevölkerung vergleicht. Eine relative Überlebensrate von 100 Prozent würde beispielsweise bedeuten, dass die Sterblichkeit bei den Erkrankten genauso hoch ist wie in der allgemeinen Bevölkerung und die Krebskrankheit keine zusätzlichen Todesfälle verursacht. Andere Todesursachen oder die im höheren Lebensalter insgesamt erhöhte Sterblichkeit fließen in die relativen Überlebensraten nicht ein. Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | ser als die Überlebensraten der Männer (1994–98: zwölf Prozent; 1985–88: neun Prozent). Dies mag mit einem höheren Anteil prognostisch günstiger so genannter Adenokarzinome bei Frauen zusammenhängen. Allerdings beruht die Berechnung der Lungenkrebs-Überlebensraten bei Frauen auf einer weit geringeren Zahl von Erkrankungsfällen als bei Männern, weshalb sie weniger verlässlich sind und entsprechend zurückhaltend interpretiert werden müssen. 47 48 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast Westfalen-Lippe Thüringen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Rheinland-Pfalz Mecklenburg-Vorpommern Nordrhein Niedersachsen Hessen Hamburg Bremen Brandenburg Berlin Baden-Württemberg 0 0,5 1 1,5 2,5 2 DMFT * Bundesweiter Durchschnitt: 1,2; WHO-Vorgabe für das Jahr 2000: 2,0 Abbildung 1.2.28: Regionale Kariesverteilung (DMFT) bei 12-Jährigen in Deutschland im Jahr 2000*. Quelle: DAJ 2001 Alter in Jahren Mittlere Zahl betroffener Zähne Insgesamt DMF-T 1989*/1992**/1994*** 6 – 7 9 12 1997*/2000** 2,89*** 2,21** 1,5* 0,45** 2,44** 1,2** 35 – 44 17,5* 16,1* 65 – 74 - 23,6* Tabelle 1.2.7: Zahngesundheit (Karieserfahrung). Quelle: IDZ-Surveys 1989, 1992, 1997; DAJ-Studien 1994, 2000 Jahr Schulbildung der Eltern Niedrig Mittel Hoch 1989 (Deutsche Mundgesundheitsstudie I) 9,5 % 13,0 % 28,6 % 1997 (Deutsche Mundgesundheitsstudie III) 44,8 % 34,3 % 50,1 % Tabelle 1.2.8: Anteil naturgesunder Gebisse in Prozent bei 12-Jährigen in Abhängigkeit von der Schulbildung der Eltern. Quelle: IDZ-Surveys 1989, 1997 1.2.7 Zahn- und Munderkrankungen Ω Zusammenfassung Das Gebiss von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist so gesund wie nie zuvor. Die Zahl der von Karies befallenen Zähne ging im letzten Jahrzehnt zurück und liegt bei 12-Jährigen mit durchschnittlich 1,2 befallenen Zähnen unter der Vorgabe der Weltgesundheitsorganisation von 2,0. Bei Erwachsenen fällt mit zunehmendem Alter vor allem die Karies der Zahnwurzeloberflächen ins Gewicht. Ebenso nehmen die Parodontalerkrankungen mit steigendem Alter zu. Allerdings sind sie auch in der jüngeren Bevölkerung schon verbreitet. Die Mundgesundheit wird vom sozialen Status mit bedingt. In den neuen Bundesländern ist sie schlechter als in den alten Bundesländern. Im Jahr 2003 gaben die gesetzlichen Krankenkassen knapp 11,8 Milliarden Euro für Zahnbehandlung und Zahnersatz aus. Fast alle Erwachsenen sind von Karies oder Parodontitis betroffen. Karies und Parodontitis sind die häufigsten Krankheiten im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich. Mehr als 95 Prozent der Erwachsenen in Deutschland haben oder hatten eine der beiden Erkrankungen. Entsprechend hoch sind die Krankheitskosten. Im Jahr 2003 gaben die gesetzlichen Krankenkassen für Zahnersatz und zahnärztliche Behandlung insgesamt 11,8 Milliarden Euro aus (1995: 10,8 Milliarden). Das entsprach etwa 8,2 Prozent ihrer gesamten Leistungsausgaben (1995: 10,0 Prozent) [95]. Ein Großteil der Zahnerkrankungen kann durch Hygienemaßnahmen wie Zähneputzen, durch gesunde Ernährung und zahnärztliche Kontrolluntersuchungen wirksam beeinflusst werden. Das Gebiss von Kindern und Jugendlichen ist so gesund wie nie zuvor. In den letzten Jahren wurde in den westlichen Industrieländern bei Kindern und Jugendlichen ein deutlicher Rückgang der Karies beobachtet. Repräsentative Daten für die deutsche Bevölkerung stammen aus den Deutschen Mundgesundheitsstudien (DMS), durchgeführt vom Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ), und aus den Erhebungen der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ). Definition Die Zahnkaries ist eine Zerstörung der so genannten Zahnhartsubstanzen, zu denen der Zahnschmelz, das Dentin und der Zahnzement zählen. Hervorgerufen wird die Zahnkaries durch Säuren aus dem Stoffwechsel von Bakterien, die sich im Zahnbelag (Plaque) ansiedeln. Zahlreiche biologische, sozioökonomische und Verhaltensfaktoren beeinflussen den Krankheitsprozess. So wird die Karies durch häufigen Verzehr zuckerhaltiger Nahrungsmittel wesentlich begünstigt. Auch die mit verminderter Speichelproduktion einhergehende Mundtrockenheit, die beispielsweise durch bestimmte Medikamente ausgelöst werden kann, erhöht das Kariesrisiko. Normalerweise wirkt der Speichel als natürliche Spülflüssigkeit der Karies entgegen. Ausreichendes Zähneputzen und die Anwendung von Fluoridpräparaten beugen einer Zahnkaries vor. Die Parodontitis, früher landläufig auch als Parodontose bezeichnet, ist eine entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparats (Parodontium, Zahnbett), der aus dem Zahnfleisch, der Wurzelhaut, dem Wurzelzement sowie dem knöchernen Zahnfach besteht. Eine Parodontitis wird wie die Karies durch Abbauprodukte von Plaque-Bakterien hervorgerufen. Auch Zigarettenkonsum und Diabetes gelten als Risikofaktoren [96]. Spätfolge kann bei beiden Erkrankungen der Zahnverlust sein. Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Die Zahl der kariösen, gefüllten oder wegen Karies fehlenden Zähne (DMFT) lag im Jahr 2000 bei den 12-Jährigen bei durchschnittlich 1,2 und unterschreitet damit die Vorgabe der Weltgesundheitsorganisation von 2,0 DMF-Zähnen deutlich. Auch bei den 6- bis 7- sowie bei den 9-Jährigen lässt sich ein rückläufiger Trend beobachten. Demgegenüber fand sich bei den 35- bis 44-Jährigen keine nennenswerte Verbesserung (siehe Tabelle 1.2.7) [97, 98]. ** In der IDZ-Erhebung aus dem Jahr 1997, bei der 12-jährige Jugendliche untersucht wurden, zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern. So lag der mittlere DMFT-Wert bei ostdeutschen Jugendlichen bei 2,6 Zähnen, bei ihren westdeutschen Altersgenossen dagegen bei 1,4 Zähnen. Ebenso fanden sich in der IDZ-Erhebung Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen. So war der DMFT-Wert im bundesweiten Durchschnitt bei Mädchen mit 1,9 etwas höher als bei Jungen (1,6). Dies lässt sich damit erklären, dass der Zahnwechsel bei Mädchen früher einsetzt und das bleibende Gebiss zum Erhebungszeitpunkt bereits länger schädlichen Einflüssen ausgesetzt war. Bei Mädchen fand sich zudem eine höhere Zahl gefüllter, also sanierter Zähne als bei Jungen. In der untersuchten Altersgruppe der 12-Jährigen waren insgesamt sehr wenige Zähne wegen einer Karies gezogen worden. Soziale Unterschiede beeinflussen die Karieshäufigkeit. Die Zahnkaries ist in Deutschland wie in vergleichbaren Industrieländern sowohl regional als auch in Abhängigkeit von der Sozialschichtzugehörigkeit ungleich verteilt. Bei einer Untersuchung von 12-Jährigen lagen die mittleren DMF-T-Werte im Jahr 2000 in der Mehrzahl der untersuchten Bundesländer unter 1,5. Die beste Mundgesundheit wurde in Baden-Württemberg beobachtet [97] (siehe Abbildung 1.2.28). Der Großteil der durch Karies bedingten Krankheitslast betrifft eine verhältnismäßig kleine Personengruppe. Diese ungleiche Verteilung lässt sich in allen Altersgruppen, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung, beobachten. 1997 entfielen beispielsweise 61 Prozent aller DMF-Zähne bei 12-Jährigen auf nur 22 Prozent der Kinder dieser Altersgruppe [98]. Vor allem Kinder und Jugendliche aus unteren Sozialschichten sind überproportional von Karies betroffen. Eine Analyse im Rahmen der IDZ-Studie aus dem Jahr 1997 zeigte, dass Karies bei denjenigen Jugendlichen besonders häufig ist, die keine Kontrolluntersuchungen beim Zahnarzt durchführen lassen, die sich seltener als zweimal täglich nach dem Essen die Zähne putzen und denen noch nie vom Zahnarzt gezeigt wurde, wie man Zähne putzt. Auch der Bildungsgrad der Eltern beeinflusst die Zahngesundheit von Kindern und Jugendlichen. So finden sich bei 12Jährigen, deren Eltern über eine hohe Schulbildung verfügen, mehr gesunde Gebisse als bei Kindern von Eltern mit niedriger Bildung (siehe Tabelle 1.2.8). Süße Nuckelflaschen führen zur Karies im Milchgebiss. Bei Kleinkindern können zuckerhaltige, über Nuckelgefäße zugeführte Getränke (Instant-Tees, Kakao, Honigmilch) zur Karies Definition Für die statistische Erfassung der Karies verwendet man üblicherweise den so genannten DMF-T- oder DMF-S-Index. Dabei werden alle kariösen (decayed), fehlenden (missing) und gefüllten (filled) Zähne (teeth) beziehungsweise Zahnflächen (surfaces) summiert. Der so gezählte Kariesbefall eines Menschen nimmt im Laufe des Lebens zu. 49 50 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast Gesamt Deutschland n = 645 Geschlecht Ost West Männlich n = 136 n = 509 n = 329 Weiblich n = 317 CPI = 0 (keine Blutung) 15,1 % 4,9 % 17,8 % 12,9 % CPI = 1 (Blutung) 10,2 % 6,4 % 11,2 % 8,6 % 11,9 % CPI = 2 (supra- oder subgingivaler Zahnstein) 28,5 % 12,2 % 32,8 % 29,3 % 27,6 % CPI = 3 (Taschentiefe von 4 – 56 mm) 32,2 % 45,2 % 28,7 % 31,2 % 33,1 % CPI = 4 (Taschentiefe ≥ 6 mm) 14,1 % 31,3 % 9,5 % 17,9 % 10,1 % Tabelle 1.2.9: Parodontalerkrankungen (CPI-Maximalwerte) bei Erwachsenen (35- bis 44-Jährige). Quelle: IDZ-Survey 1997 17,3 % an den Milchschneidezähnen des Oberkiefers sowie in der Folge auch an weiteren Zähnen führen. Von dieser so genannten Saugerflaschen-Karies (Nursing-Bottle-Syndrom, EarlyChildhood-Caries) sind in Deutschland fünf bis zehn Prozent der 1- bis 6-Jährigen betroffen [99]. In den letzten Jahren hat die Bedeutung oberflächlicher (nichtkariöser) Zahnschädigungen vom Kleinkind- über das Jugend- bis ins Erwachsenenalter zugenommen. Die Zufuhr stark säure- oder zuckerhaltiger Getränke (Softdrinks, Limonaden, Cola, Fruchtsäfte, Fitnessgetränke) führt durch die Herauslösung von Mineralien aus dem Zahnschmelz primär zu so genannten Zahnschmelzerosionen. Erosionen und keilförmige Defekte fanden sich im Jahr 1997 bei 42,1 Prozent der 35bis 44-Jährigen und bei 46,3 Prozent der 65- bis 74-Jährigen. In der im Jahr 2000 in 14 Bundesländern durchgeführten DAJ-Studie hatten 33 bis 60 Prozent der 6- bis 7-Jährigen, 28 bis 46 Prozent der 9-Jährigen und 38 bis 59 Prozent der 12-Jährigen naturgesunde bleibende Gebisse [97]. Bis zum Erwachsenenalter tritt jedoch bei fast allen Menschen eine Karies auf. So waren in der DMS-III-Studie aus dem Jahr 1997 nur 0,8 Prozent der 35- bis 44-Jährigen gänzlich von Karies verschont geblieben [98]. Der Karies-Sanierungsgrad, der angibt, in welchem Umfang die von Karies befallenen Zähne versorgt werden, ist sowohl bei den Erwachsenen (35- bis 44-Jährige) als auch bei den Senioren (65- bis 74-Jährige) mit über 90 Prozent sehr hoch [98]. Mit zunehmendem Alter nimmt vor allem die Karies an den Zahnwurzeloberflächen zu, weil die Wurzeloberflächen durch alters- oder krankheitsbedingte Abbauvorgänge am Zahnhalteapparat immer mehr frei liegen. In der DMS-III-Studie zeigte sich bei 11,8 Prozent der 35- bis 44-Jährigen und bei 15,5 Prozent der 65- bis 74-Jährigen mindestens eine behandelte oder unbehandelte Wurzelkaries. Die Bedeutung der Wurzelkaries dürfte in Zukunft weiter steigen, da der Anteil älterer Personen in der Bevölkerung wächst und immer mehr Menschen die eigenen Zähne bis ins hohe Alter behalten. Dadurch erhöht sich die Zahl der mit einem Kariesrisiko behafteten Zähne („teeth at risk“). Die Parodontitis ist schon bei jüngeren Erwachsenen weit verbreitet. Nach den IDZ-Erhebungen aus dem Jahr 1997 ist jeder dritte Erwachsene im Alter von 35 bis 44 Jahren von einer fortgeschrittenen Parodontitis betroffen (Grad 3 des so genannten Community Periodontal Index, CPI). Bei jedem siebten kommen bereits Zahnbettschädigungen vor, die chirurgische Maßnahmen erfordern (CPI-Grad 4). Ein völlig entzündungs- und schadensfreies Zahnfleisch findet sich dagegen bei rund 15 Prozent der 35- bis 44-Jährigen sowie bei 5,7 Prozent der Senioren (siehe Tabelle 1.2.9; dort keine Angaben für Senioren). Insgesamt sind in Deutschland bis zu 25 Millionen Menschen an einer mittleren bis schweren Parodontitis erkrankt. Die größte Geschlechterdifferenz ließ sich in der IDZ-Studie bei den tiefen Parodontaltaschen (Grad 4) beobachten, die Definition Die Schwere und das Ausmaß von Parodontalerkrankungen werden häufig anhand des Community Periodontal Index (CPI) beurteilt [53]. Der Index umfasst fünf Schweregrade, von Grad 0 (gesundes, entzündungsfreies Zahnfleisch und Zahnbett) bis Grad 4 (schwerste Form von Parodontitis mit Funktionsverlust der Zähne). Parodontalerkrankungen des ersten Grades lassen sich durch eine verbesserte Mundhygiene beheben, bei Grad 2 und 3 muss der Zahnarzt zusätzlich engmaschige Zahnreinigungen durchführen. Eine Parodontitis vierten Grades erfordert chirurgische Maßnahmen. Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | bei Männern fast doppelt so häufig auftreten wie bei Frauen. Noch auffälliger sind die regionalen Unterschiede. So wurden schwere Parodontalerkrankungen in den neuen Bundesländern dreimal so häufig wie in den alten diagnostiziert [98]. Der Zahnverlust infolge von Karies oder Parodontitis spielt besonders bei Erwachsenen, seltener dagegen bei Kindern und Jugendlichen eine Rolle. Eine völlige Zahnlosigkeit in Ober- und Unterkiefer findet sich allerdings auch im mittleren Erwachsenenalter nur in wenigen Fällen: Im Jahr 1997 waren 1,7 Prozent der 35- bis 44-Jährigen in Deutschland komplett zahnlos. Anders stellt sich die Situation bei den Senioren dar. So wurde im Jahr 1997 bei 24,8 Prozent der 65- bis 74-Jährigen eine totale Zahnlosigkeit diagnostiziert (Männer: 22,1 Prozent; Frauen: 26,9 Prozent) [98] . 1.2.8 Infektionskrankheiten Ω Zusammenfassung Im Jahr 2005 lebten in Deutschland schätzungsweise 49 000 Menschen mit einer HIV-Infektion. Rund 2 600 Personen stecken sich jedes Jahr neu an. Damit stellt sich die Situation im internationalen und europäischen Vergleich relativ günstig dar. Weltweit hat sich die HIV/AIDS-Epidemie innerhalb von 20 Jahren zu einem der größten Gesundheitsprobleme der heutigen Zeit entwickelt. Die Weltgesundheitsorganisation rechnete Ende 2004 mit insgesamt knapp 40 Millionen HIV-Infizierten [100]. An Tuberkulose erkrankten im Jahr 2003 in Deutschland 7184 Personen, 374 Menschen verstarben. Die Erkrankung ist hier zu Lande seit über fünf Jahrzehnten rückläufig. Weltweit nimmt die Tuberkulosehäufigkeit dagegen zu. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2002 beträgt die Anzahl der Tuberkulosekranken 8,7 Millionen, die Zahl der jährlichen Todesfälle knapp 2 Millionen [101]. Für Europa ergibt sich dabei kein einheitliches Bild. Vor allem in Osteuropa, insbesondere in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion gewinnt die Tuberkulose wieder an Bedeutung. Die Grippe (Influenza) gehört in Deutschland wie weltweit zu den besonders häufigen Infektionskrankheiten. Das Ausmaß der vor allem in den Wintermonaten auftretenden Epidemie unterscheidet sich allerdings deutlich von Jahr zu Jahr. Für eine gewöhnlich starke Influenzasaison wird hier zu Lande mit 5 000 bis 8 000 Grippetodesfällen gerechnet. Die wichtigste Maßnahme zur Krankheitsbekämpfung ist die Grippeimpfung. Jedoch bestehen bei bestimmten Risikogruppen weiterhin deutliche Impfdefizite. Die gesellschaftlichen Verhältnisse beeinflussen die Häufigkeit von Infektionen. Viele Infektionskrankheiten konnten in den Industrieländern im Verlauf des 20. Jahrhunderts durch verbesserte Lebensbedingungen und Hygiene sowie durch medizinische Fortschritte zurückgedrängt werden. In Deutschland fällt derzeit lediglich die Lungenentzündung unter die zehn häufigsten Todesursachen [102]. Dies steht in deutlichem Kontrast zur Situation in den Entwicklungsländern, wo Infektionen einen wesentlichen Teil aller Todesfälle verursachen. Besondere Bedeutung besitzen nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Infektionen der Atemwege, die Infektionen mit HIV, Durchfallerkrankungen, Tuberkulose und Malaria [103]. Gleichwohl spielen Infektionskrankheiten auch für das Krankheitsgeschehen hier zu Lande eine ernst zu nehmende Rolle. Dies hängt mit gesellschaftlichen Wandlungen der letzten Jahrzehnte zusammen, beispielsweise mit Entwicklun- 51 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast 52 350 Anzahl je 1 000 000 Einwohner 300 250 200 150 100 50 0 1996 HIV WEL 1997 AIDS WEL 1998 HIV ZEL 1999 AIDS ZEL Westeuropäische Länder (WEL): Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Finnland, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Israel, Italien (nur AIDS), Luxemburg, Malta, Monaco (nur AIDS), Niederlande (seit 2002), Norwegen, Österreich (nur AIDS), Portugal (seit 2000), San Marino, Schweden, Schweiz, Spanien (nur AIDS) Zentraleuropäische Länder (ZEL): Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Jugoslawien, Kroatien, Mazedonien, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Türkei, Ungarn Osteuropäische Länder (OEL): Armenien, Aserbaidschan, Estland, Georgien, GUS, Kasachstan, Kirgisien, Lettland, Litauen, Moldawische Republik, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan, Weißrussland Abbildung 1.2.29: Schätzung der HIV-Neuinfektionen und AIDS-Erkrankungen, bereinigt um Meldeverzug, je 1 000 000 Einwohner nach Region in Europa in den Jahren 1996 – 2002. Quelle: HIV/AIDS Surveillance in Europe, End-year report 2002, EuroHIV HIV OEL 2000 AIDS OEL 2001 2002 gen in den Bereichen des Städtebaus, des Verkehrs, der Landwirtschaft und der Industrie sowie mit Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten. In Deutschland treten jährlich 200 000 Lebensmittelinfektionen auf. In Deutschland werden 200 000 Lebensmittelinfektionen pro Jahr gemeldet. Damit sind sie die häufigsten meldepflichtigen Erkrankungen. Besonders oft treten hier zu Lande Infektionen durch Bakterien wie Salmonellen und Campylobacter sowie durch verschiedene Viren auf. Die tatsächliche Zahl der Lebensmittelinfektionen dürfte sogar noch höher liegen. So wird in Großbritannien und den USA geschätzt, dass dort je offiziell gemeldeter Salmonellose weitere drei bis 50 Salmonellenerkrankungen unentdeckt bleiben [102, 104]. Auch die globale Ausweitung der Handelsbeziehungen und der zunehmende Reiseverkehr können zur Verbreitung von Krankheitserregern beitragen. Im Fall der Grippe beispielsweise bergen diese Zusammenhänge die Gefahr weltweiter Epidemien. Ein zunehmendes Problem ist zudem das Auftauchen resistenter Erreger. Dieser Trend, der die Therapie von Infektionen erschwert, lässt sich beispielsweise bei der Tuberkulose seit einiger Zeit beobachten. Ω Zu Infektionskrankheiten sind folgende Themenhefte der Gesundheitsberichterstattung des Bundes erschienen: Neu und vermehrt auftretende Infektionskrankheiten (Heft 18), Hepatitis C (Heft 15), Lebensmittelbedingte Erkrankungen (Heft 6), Gesundheitsprobleme bei Fernreisen (Heft 3). In Vorbereitung sind die Themenhefte HIV und AIDS (Heft 31) und Tuberkulose. 1.2.8.1 HIV/AIDS Jährlich infizieren sich 2 600 Menschen in Deutschland neu mit HIV (Stand Ende 2005). Ende des Jahres 2005 lebten in Deutschland schätzungsweise 49 000 mit HIV infizierte Personen. Davon sind etwa 40 500 Männer und 8 500 Frauen. Die Zahl der infizierten Kinder liegt unter 400. Insgesamt haben sich seit Beginn der Epidemie in Deutschland rund 75 000 Menschen mit HIV angesteckt [105]. Da durch verbesserte Therapiemöglichkeiten inzwischen weniger Menschen an AIDS erkranken und sterben, hat sich die Zahl der insgesamt in Deutschland lebenden HIV-Infizierten in den vergangenen Jahren allein deshalb um etwa 1 000 pro Jahr erhöht. Zusätzlich steigt seit spätestens 2001 auch wieder die geschätzte Zahl der Neuinfektionen, nachdem diese durch die 1990er Jahre hindurch relativ stabil bei rund 2 000 Anste- Definition Das Human Immunodeficiency Virus, kurz HIV, befällt das Immunsystem des menschlichen Körpers und zerstört dort die so genannten T-Helferzellen (CD4-Zellen). Eine akute HIV-Infektion ist häufig mit vorübergehenden grippeartigen Symptomen verbunden. Danach folgt in der Regel eine so genannte Latenzphase, in der sich das Virus im Organismus vermehrt, aber keine oder kaum Beschwerden auftreten. Von AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) spricht man erst bei einem fortgeschrittenen Verlust der Abwehrkräfte. Dann kommt es zu verschiedensten durch die Immunschwäche bedingten Erkrankungen wie beispielsweise Lungenentzündungen durch Pneumocysten oder Hirnabszesse durch Toxoplasmen. Der Zeitraum zwischen einer HIV-Infektion und der AIDS-Erkrankung kann durch die verbesserten Behandlungsmöglichkeiten heute um viele Jahre verlängert werden. Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | ckungsfällen pro Jahr gelegen hatte. Ein Fünftel der neu diagnostizierten HIV-Infektionen betrifft Frauen. Zu den weltweiten Hauptübertragungswegen einer HIVInfektion zählen sexuelle Kontakte, der gemeinschaftliche Gebrauch von Spritzenbestecken im Drogenmilieu sowie die Mutter-Kind-Übertragung bei HIV-infizierten Schwangeren. Der Rückgang des Kondomgebrauchs leistet HIV-Infektionen Vorschub. Etwa zwei Drittel der in Deutschland erfolgten HIVNeuinfektionen wird bei Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualpartnern diagnostiziert. 80 Prozent der Betroffenen waren in den Jahren zwischen 2001 und 2005 zum Diagnosezeitpunkt zwischen 25 und 49 Jahren alt. In dieser Gruppe wird derzeit ein Anstieg der HIV-Diagnosen registriert. Untersuchungen zum sexuellen Risikoverhalten belegen seit Mitte der 1990er Jahre einen allmählichen Rückgang des Kondomgebrauchs und eine Zunahme von sexuell riskanten Kontakten. Dies zeigt sich auch an der zunehmenden Verbreitung anderer sexuell übertragbarer Infektionen wie Syphilis und Gonorrhoe (Tripper), die ihrerseits beispielsweise durch Schleimhautverletzungen eine HIV-Übertragung erleichtern können. HIV-Infektionen bei Personen, die aus Ländern mit einer hohen Krankheitsverbreitung (Hochprävalenzregionen) stammen, machten im Jahr 2005 rund 18 Prozent aller Erstdiagnosen aus. Die meisten dieser Personen dürften sich bereits in den Heimatländern infiziert haben. Der Anteil der durch heterosexuelle Kontakte bedingten HIV-Erstdiagnosen lag im Jahr 2005 bei etwa 17 Prozent. Unter Heterosexuellen hatte die HIV-Epidemie gegenüber den anderen Risikogruppen mit deutlicher Verzögerung begonnen. In den letzten zehn Jahren hat sich der Anteil der über heterosexuelle Kontakte infizierten Personen unter den HIV-Erstdiagnosen jedoch nicht mehr wesentlich verändert. Es sind etwa gleich viele Männer wie Frauen betroffen. Der Anteil über heterosexuelle Kontakte erworbener Infektionen ist bei Frauen aber deutlich höher als bei Männern, bei denen gleichgeschlechtliche Sexualkontakte den häufigsten Übertragungsweg darstellen. Der gemeinsame Gebrauch von unsterilen Spritzen unter Drogenabhängigen verursachte rund sieben Prozent der Neuinfektionen im Jahr 2005. Die Zahl ist seit Anfang der 1990er Jahre rückläufig, hat sich in den letzten Jahren aber bei sieben bis acht Prozent stabilisiert. Zunehmende Bedeutung gewinnen dabei HIV-Infektionen bei in Deutschland lebenden Drogenabhängigen, die aus anderen Ländern Europas, insbesondere Osteuropa stammen, wo sich HIV im Drogenmilieu seit Ende der 1990er Jahre dramatisch ausgebreitet hat. Die Infektion eines Neugeborenen durch Mutter-Kind-Übertragung machte in Deutschland im Jahr 2005 etwa ein Prozent aller Neuinfektionen aus. In den meisten Fällen hätte die Übertragung durch eine rechtzeitige Diagnose der HIV-Infektion bei der Schwangeren verhindert werden können. Durch verbesserte Behandlungsmöglichkeiten sank die Zahl der AIDS-Neuerkrankungen. In Deutschland sind seit den 1980er Jahren insgesamt rund 31 500 Menschen an AIDS erkrankt und etwa 26 000 daran gestorben. Nach dem Jahr 1995 setzte dank verbesserter Behandlungsmöglichkeiten ein rückläufiger Trend bei den AIDS-Neuerkrankungen ein, der sich zuletzt aber nur noch langsam fortgesetzt hat. Im Jahr 2005 wurde bei schätzungsweise 850 Personen eine AIDS-Diagnose neu gestellt, ungefähr 750 verstarben an den Folgen der Erkrankung. Das durchschnittliche Alter zum Zeitpunkt der Diagnose beträgt bei Frauen 38 und bei Männern 42 Jahre. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern stellt sich die Situation in Deutschland insgesamt relativ günstig dar. Vor 53 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitslast 54 120 allem für osteuropäische Länder werden deutlich höhere Zahlen bei den HIV-Neuinfektionen und AIDS-Erkrankungen berichtet (siehe Abbildung 1.2.29). Zurückzuführen ist dies zum Teil auf die in Deutschland frühzeitig begonnenen, umfassenden und andauernden Präventionsmaßnahmen. Gleichwohl ist es in den letzten Jahren zu einem Wiederanstieg der HIV-Neuinfektionen gekommen. Zusammen mit der Zunahme anderer sexuell übertragener Erkrankungen deutet dies auf ein inzwischen wieder zunehmendes Risikoverhalten hin. Anzahl je 100 000 Einwohner 100 80 60 40 20 0 1995 96 97 98 Westeuropäische Länder 99 2000 01 02 Osteuropäische Länder Zentraleuropäische Länder Westeuropäische Länder (WEL): Andorra, Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Finnland, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Israel, Italien, Luxemburg, Malta, Monaco, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, San Marino, Schweden, Schweiz, Spanien Zentraleuropäische Länder (ZEL): Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Jugoslawien, Kroatien, Mazedonien, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Türkei, Ungarn Osteuropäische Länder (OEL): Armenien, Aserbaidschan, Estland, Georgien, GUS, Kasachstan, Kirgisien, Lettland, Litauen, Moldawische, Republik, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan, Weißrussland Abbildung 1.2.30: Gemeldete Tuberkuloseraten je 100 000 Einwohner nach Region in Europa in den Jahren 1995 – 2002. Quelle: Report on Tuberculosis cases notified in 2002, WHO Collaboration Centre for Surveillance of Tuberculosis in Europe 1.2.8.2 Tuberkulose Jährlich erkranken rund 7 000 Menschen in Deutschland an Tuberkulose. In Deutschland nimmt die Zahl der Tuberkulose erkrankungen seit über 50 Jahren stetig ab. Im Jahr 2003 lag sie bei 7 184 gemeldeten Fällen. 374 Menschen verstarben an Tuberkulose [106]. Damit ergibt sich eine durchschnittliche jährliche Neuerkrankungsrate (Inzidenz) von 8,7 Tuberkulosefällen pro 100 000 Einwohner, wobei Männer (11,0 Erkrankungen pro 100 000) fast doppelt so häufig betroffen sind wie Frauen (7,0 pro 100 000). Der Unterschied ist vor allem durch eine höhere Erkrankungshäufigkeit der Männer jenseits des 30. Lebensjahres bedingt. In den Altersgruppen von 15 bis 30 Jahren liegt die Inzidenz bei den Frauen fast ebenso hoch wie bei den Männern. Bei Kindern unter 15 Jahren wurden im Jahr 2003 insgesamt 285 Tuberkulosefälle gemeldet, was einer Inzidenz von 2,3 pro 100 000 entspricht. Überdurchschnittliche Inzidenzraten finden sich in Hamburg, Bremen und Berlin sowie im Saarland, in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern. Unter ausländischen Staatsbürgern lag die Inzidenz im Jahr 2003 bei 31,2 Tuberkulosefällen pro 100 000 Einwohner und war damit fünfmal höher als der Durchschnitt bei der deutschen Bevölkerung (6,2 pro 100 000). Im Kindesalter und bei jungen Erwachsenen sind diese Unterschiede noch deutlicher ausgeprägt. Mit einer absoluten Zahl von 4 779 Fällen hatten etwa zwei Drittel der auf dem Meldeweg erfassten Tuberkulosekranken die deutsche Staatsbürgerschaft. Von den Erkrankten, bei denen Angaben zum Geburtsland vorlagen, waren 56 Prozent in Deutschland und 44 Prozent im Ausland geboren. Dieses Verhältnis ist in den letzten Jahren weitgehend konstant geblieben. Resistente Erreger stammen insbesondere aus den Sowjet-Nachfolgestaaten. Resistente Erreger sind in Deutschland wie auch weltweit ein zunehmendes Problem bei der Tuberkulosetherapie. Während in Deutschland für die Resistenzentwicklung unter Therapie am ehesten die inkonsequente Einnahme der Mittel durch die Patienten oder eine unzureichende Behandlung zu bedenken ist, spielen in vielen anderen Ländern fehlende Tuberkulosekontrollprogramme sowie das Fehlen von Diagnostik- und Behandlungsmöglichkeiten oder die Anwendung qualitativ schlechter Arzneien ebenso eine wichtige Rolle. Die höchsten Resistenzraten in Europa sind in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zu verzeichnen. Den deutschen Meldedaten zufolge steigt hier zu Lande die Anzahl von Erregern, die mindestens gegen eines der verfügbaren Standardmedikamente widerstandsfähig sind, kontinuierlich an. Im Jahr 1996 fanden sich solche Erreger bei etwa neun Prozent, im Jahr 2003 bei 13,3 Prozent der Tuberkulosefälle. Bei erkrankten Personen, die aus dem Ausland, insbesondere den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion stam- men, war der Anteil resistenter Bakterien höher als im bundesdeutschen Schnitt. HIV und Tuberkulose gehen oft Hand in Hand. In vielen Teilen der Welt nimmt die Zahl der jährlich neu auftretenden Tuberkulosefälle trotz bestehender Kontrollprogramme weiterhin zu. Dies ist vor allem auf die Verbreitung von HIV/AIDS und dem damit verbundenen höheren Tuberkuloserisiko zurückzuführen. Auch durch die Umstände einer Migration, insbesondere von Flüchtlingen aus schlechten sozioökonomischen Verhältnissen, wird sowohl die Erkrankung selbst als auch die Verbreitung der Tuberkulose begünstigt. Bis 1990 war die weltweite Inzidenz der Tuberkulose rückläufig. Seitdem steigt sie wieder mit jährlichen Zuwachsraten von bis zu zehn Prozent an. Besonders häufig ist die Tuberkulose in afrikanischen Ländern südlich der Sahara (jährlich 1,5 Millionen Neuerkrankungen), in Südostasien (jährlich 3 Millionen Neuerkrankungen) sowie in Osteuropa (jährlich 250 000 Neuerkrankungen) [107]. Dem Europäischen Netzwerk zur Überwachung der Tuberkulose (EuroTB) wurden im Jahr 2002 insgesamt 404 628 Fälle in der europäischen Region gemeldet [108]. Dabei zeigte sich, dass die Tuberkuloseraten bei einem deutlichen Ost-West-Gefälle stark zwischen den einzelnen Regionen variieren (siehe Abbildung 1.2.30) [109]. 1.2.8.3 Influenza In Deutschland sterben jährlich 7 000 bis 13 000 Menschen an Grippe. Die Influenza (Grippe) gehört in Deutschland wie auch weltweit zu den häufigsten Infektionskrankheiten. Sie kann sehr milde, aber auch sehr schwer verlaufen und nimmt mitunter einen tödlichen Ausgang. Dabei fallen Komplikationen wie Lungenentzündungen (Pneumonien) besonders ins Gewicht. In Deutschland nahmen Pneumonien im Jahr 2003 Rang sieben in der Todesursachenstatistik ein [102]. Nach Schätzungen der Arbeitsgemeinschaft Influenza (http://influenza.rki.de) kommt es jedes Jahr in der Folge der vor allem in den Wintermonaten auftretenden Grippewelle zu zwei bis drei Millionen zusätzlichen Arztbesuchen. Für eine gewöhnlich starke Influenzasaison wird mit einer Zahl von etwa 7 000 bis 13 000 Grippetodesfällen gerechnet. Diese Zahlen werden aber bei einer sehr starken Epidemie deutlich überschritten [110, 111]. Besonders gefährdet sind Personen über 60 Jahren sowie Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit einer chronischen Grunderkrankung, etwa mit Lungen- oder Herzleiden, Diabetes oder HIV-Infektion. Diesem Personenkreis wird von der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut eine jährliche Impfung gegen Influenza empfohlen. Auch Personen, die beispielsweise durch einen medizinischen Beruf in erhöhtem Maße gefährdet sind oder durch ihre Tätigkeit die Infektion auf andere übertragen können, sollten sich impfen lassen. Nur wenige Ärztinnen und Ärzte, Schwestern und Pfleger sind durch eine Impfung geschützt. In den letzten Jahren sind die Impfraten gestiegen. Allerdings sind längst nicht alle infrage kommenden Risikogruppen ausreichend gegen Influenza geschützt. Insbesondere bei medizinischem und bei Pflegepersonal ist der Anteil der Geimpften mit schätzungsweise zehn bis 15 Prozent sehr niedrig [7]. In der Saison 2002/2003 haben mehr als 40 Prozent der über 65-Jährigen eine Grippeschutzimpfung wahrgenommen. Da Influenzaviren sehr veränderlich sind, kann eine einmalige Immunisierung keinen dauerhaften Schutz bieten. Die Zusammensetzung des Impfstoffes muss jährlich an die zir- Krankheitslast | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | kulierenden Varianten angepasst werden. Nationale, europäische und weltweite Überwachungsnetzwerke sind dabei eng miteinander verbunden. Die WHO analysiert die von den weltweiten Influenzazentren zur Verfügung gestellten Virustypen und empfiehlt die Impfstoffzusammensetzung für die jeweils kommende Saison. Zudem hat das Robert Koch-Institut einen gemeinsam von Bund und Ländern getragenen so genannten Nationalen Influenzapandemieplan veröffentlicht. Der Plan enthält Empfehlungen, wie in Deutschland einer weltweiten Grippeepidemie (Pandemie) begegnet werden könnte. Tatsächlich schätzt die WHO das Risiko einer Influenzapandemie seit einigen Jahren als hoch ein, da sich bestimmte Vogelgrippeviren in Südostasien stark ausgebreitet haben. Bei entsprechenden genetischen Veränderungen würden sie möglicherweise eine für Menschen gefährliche und sich rasch auf der ganzen Welt verbreitende Erkrankungswelle auslösen. 55 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitsfolgen 56 5,5 Anteil der Beschäftigten in Prozent 5 4,5 4 3,5 3 2,5 1990 91 92 93 94 Alte Bundesländer 95 96 97 98 99 Neue Bundesländer 2000 01 02 03 04 Bund insgesamt Abbildung: 1.3.1: Entwicklung der Krankenstände in den alten und neuen Bundesländern. Quelle: GKV-Statistik KM 1 Krankheitsfolgen | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 1.3 Krankheitsfolgen 1.3.1 Arbeitsunfähigkeit Ω Zusammenfassung Zu den bedeutsamsten individuellen Krankheitsfolgen gehören Behinderung, Pflegebedürftigkeit sowie der Verlust potenzieller Lebensjahre. Volkswirtschaftlich fallen vor allem die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage und Frühberentungen ins Gewicht, da sie erheblich zu den indirekten Krankheitskosten beitragen. Der Krankenstand ist seit Mitte der 1990er Jahre deutlich rückläufig und liegt inzwischen in den neuen und alten Bundesländern auf nahezu gleichem Niveau. Im Schnitt fehlt jeder gesetzlich krankenversicherte Erwerbstätige gut 14 Tage pro Jahr bei der Arbeit. Die Ursachen liegen in einem Großteil der Fälle in Atemwegserkrankungen, Muskel- und Skelettleiden sowie in zunehmendem Maße auch in psychischen Störungen. Eine abnehmende Rolle spielen dagegen Verletzungen. Auch bei den Frühberentungen gewinnen psychische Erkrankungen eine wachsende Bedeutung. 6,6 Millionen Menschen in Deutschland sind amtlich als Schwerbehinderte anerkannt. Rund 83,5 Prozent der Schwerbehinderungen lassen sich auf Krankheiten zurückführen. Angeborene Behinderungen und Unfälle fallen vergleichsweise wenig ins Gewicht. Etwa zwei Millionen Deutsche gelten nach den Kriterien der Pflegeversicherung als pflegebedürftig. Nach derzeitigen demografischen Schätzungen wird die Zahl pflegebedürftiger Menschen in den kommenden Jahrzehnten stark zunehmen. Die wichtigste Ursache für den Verlust potenzieller Lebenszeit durch Versterben vor dem 70. Lebensjahr sind die Krebskrankheiten. Ihnen folgen die Herz-Kreislauf-Leiden und die so genannten äußeren Ursachen, zu denen Unfälle und Verletzungen zählen. Die Krankenstände in Deutschland sinken. Lagen die Krankenstände in den 1970er Jahren zeitweise noch bei über 5,5 Prozent, sind sie seit 2004 unter 3,5 Prozent gesunken. Dies gilt sowohl für die alten als auch für die neuen Bundesländer (siehe Abbildung 1.3.1). Anfang der 1990er Jahre lagen die Krankenstände in den neuen Bundesländern noch unter denen in den alten Bundesländern, dies änderte sich 1995. Von da an bis zum Jahr 2000 wurden in den neuen Bundesländern höhere Krankenstände registriert; seitdem bewegen sich die Krankenstände in ganz Deutschland nahezu auf gleichem Niveau. Das Niveau des Krankenstandes ist neben dem Vorliegen einer Krankheit auch stark von den Arbeitsbedingungen abhängig. Bei drohender Arbeitslosigkeit nimmt die Bereitschaft, schon wegen geringfügiger Gesundheitsbeschwerden der Arbeit fernzubleiben, aus Angst um den Arbeitsplatz deutlich ab. Zudem sind durch den Strukturwandel in der Wirtschaft Arbeitsplätze mit einer starken körperlichen Beanspruchung seltener geworden; schließlich sind ältere Arbeitnehmer, die länger krank sind als jüngere, durch Frühverrentungen aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden. Der Krankenstand hat im Jahr 2005 mit einem Durchschnitt von 3,3 Prozent einen bisher nicht da gewesenen Tiefststand seit Einführung der derzeitigen Erhebungsmethode im Jahr 1970 erreicht. Saisonal bedingt schwankt er zwischen den einzelnen Monaten. In acht von zwölf Monaten des Jahres 2005 lag der Krankenstand unter den entsprechenden Werten des Jahres 2004. Der Krankenstand wird als Stichtagswert sehr zeitnah erhoben und ist somit bezüglich seiner Aussagekraft mit Unsicherheiten behaftet. Die Krankenkassen erfassen daher zusätzlich alle Arbeitsunfähigkeitsfälle und -tage in Form einer Totalauszählung nach Abschluss des Geschäftsjahres. In dieser Erhebung werden dann auch verspätet eingegangene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen berücksichtigt. Ein Vergleich zeigt, Definition Der Krankenstand weist die Quote der wegen Krankheit fehlenden Arbeitnehmer aus. Der amtliche Krankenstand wird monatlich von den Krankenkassen erhoben, indem die den Ersten des Monats betreffenden, vorliegenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Pflichtmitglieder ausgezählt und ins Verhältnis zu den erwerbstätigen Pflichtmitgliedern gestellt werden. Der Krankenstand ist somit eine Stichtagserhebung, die als ein Prozentwert ausgewiesen wird. Der jahresdurchschnittliche Krankenstand ist ein Durchschnittswert der zwölf Monatsstichtagswerte. In Betrieben wird der Krankenstand häufig über andere Methoden und in anderer Abgrenzung ermittelt. So können dabei beispielsweise auch Fehlzeiten wegen einer Kur, die von der Rentenversicherung getragen wird, oder Fehlzeiten wegen eines Arbeitsunfalls mit einer Kostenübernahme durch die Unfallversicherung berücksichtigt werden. Eine Vergleichbarkeit mit dem amtlichen Krankenstand ist somit häufig nicht gegeben. Die Krankenkassen erfassen weiterhin als Totalauszählung die Zahl der Arbeitsunfähigkeitsfälle und -tage. Diese Erhebung erfolgt nach Abschluss des Geschäftsjahres und erfasst alle Arbeitsunfähigkeitsfälle mit ihren Tagen, die in diesem Jahr abgerechnet oder abgeschlossen wurden. Die Arbeitsunfähigkeitsfälle und -tage werden, um eine Vergleichbarkeit auch zwischen unterschiedlich großen Versicherungsträgern herstellen zu können, als Fälle und Tage je 100 Mitglieder dargestellt. Hierbei wird zwischen verschiedenen Mitgliedergruppen und dem Geschlecht unterschieden. 57 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitsfolgen 58 130 Fälle 120 110 100 90 1996 97 98 99 2000 01 02 03 04 02 03 04 02 03 04 Neue Bundesländer Alte Bundesländerje 100 Pflichtmitglieder Arbeitsunfähigkeitsfälle Bund insgesamt 2 100 Tage 2 000 1 900 1 800 1 700 1 600 1 500 1 400 1 300 1996 97 98 99 2000 01 Arbeitsunfähigkeitstage Neue Bundesländer Alte Bundesländerje 100 Pflichtmitglieder Bund insgesamt 20 Tage 18 16 14 12 10 1996 97 98 99 Alte Bundesländer 2000 01 Neue Bundesländer Bund insgesamt Arbeitsunfähigkeitstage je Fall Abbildung 1.3.2: Trends in den Arbeitsunfähigkeitsfällen (AU-Fällen), den AU-Tagen sowie der durchschnittlichen Falldauer in Deutschland. Quelle: GKV-Statistik KM 1 dass der Krankenstand und die Arbeitsunfähigkeitstage je Mitglied im Zeitablauf den gleichen Trend aufweisen, auch wenn sie sich vom Niveau her teilweise geringfügig unterscheiden. Der Krankenstand kann somit als ein guter Indikator für die Entwicklung von Häufigkeiten der Arbeitsunfähigkeit eingestuft werden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fehlen gut 14 Tage im Jahr bei der Arbeit. Im Jahr 2004 wurde ein Pflichtmitglied der gesetzlichen Krankenversicherung durchschnittlich für 14,1 Kalendertage krankgeschrieben. Diese Kalendertage beinhalten sowohl Arbeits- als auch Sonn- und Feiertage. Gegenüber dem Jahr 1996 mit durchschnittlich 17,7 Arbeitsunfähigkeitstagen ist dies ein Rückgang von über 25 Prozent. Dieser Rückgang setzt sich zusammen aus einem Rückgang der Fälle je 100 Pflichtmitglieder von 116,5 im Jahr 1996 auf 104,0 im Jahr 2004 um über 10 Prozent sowie einer Reduzierung der Falldauer von 15,1 Tagen je Fall im Jahr 1996 auf 13,6 Tagen je Fall im Jahr 2004 um über 17 Prozent (siehe Abbildung 1.3.2). Die Pflichtmitglieder in den neuen Bundesländern sind zwar seltener krank als die in den alten Bundesländern, dafür ist aber die Falldauer höher, sodass die Arbeitsunfähigkeitstage je Pflichtmitglied auf vergleichbarem Niveau liegen. Dies zeigte sich auch schon bei der Angleichung der Krankenstände. Der Rückgang bei den Arbeitsunfähigkeitstagen ist dem Rückgang beim Krankenstand vergleichbar. Auch die beim Krankenstand angeführten Ursachen gelten entsprechend. Zusätzlich spielt eine Rolle, dass viele Unternehmen ihre Kosten durch die Senkung des Krankenstandes oder der Arbeitsunfähigkeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dadurch zu reduzieren versuchen, indem sie verstärkt in die betriebliche Gesundheitsförderung sowie in Verbesserungen des Arbeitsund Gesundheitsschutzes investieren. Häufige Gründe der Fehlzeiten sind Atemwegs- sowie Muskel- und Skelettleiden. Der häufigste Anlass für Krankschreibungen sind Atemwegserkrankungen. Im Jahr 2003 gingen nach Daten der AOK 23,1 Prozent der Arbeitsunfähigkeitsfälle (AU-Fälle) auf diese Krankheitsgruppe zurück. Aufgrund einer relativ geringen durchschnittlichen Erkrankungsdauer betrug der Anteil der Atemwegserkrankungen am Krankenstand allerdings nur 13,7 Prozent. Die meisten Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage) dagegen wurden durch Muskel- und Skeletterkrankungen verursacht, die häufig mit langen Ausfallzeiten verbunden sind. Auf diese Gruppe von Erkrankungen ließen sich im Jahr 2003 insgesamt 26,5 Prozent der AU-Tage zurückführen, obwohl sie nur für 18,1 Prozent der AU-Fälle verantwortlich war. Zwischen West- und Ostdeutschland sind nach wie vor Unterschiede bei den Ursachen der Arbeitsunfähigkeit festzustellen. Nach den AOK-Daten verursachen Muskel- und Skelettleiden sowie psychische Erkrankungen in den alten Bundesländern deutlich mehr Fehltage als in den neuen Ländern. In Ostdeutschland dagegen gehen mehr Ausfalltage auf das Konto von Atemwegserkrankungen, Verletzungen und Erkrankungen des Herz-Kreislauf- sowie des Verdauungssystems. Auch zwischen Männern und Frauen finden sich deutliche Unterschiede. So führen Muskel- und Skelettkrankheiten ebenso wie Verletzungen bei Männern häufiger zur Arbeitsunfähigkeit als bei Frauen. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass Männer nach wie vor in größerem Maße körperlich beanspruchende und unfallträchtige Tätigkeiten ausüben als Frauen. Auch der Anteil der Erkrankungen des Verdauungssystems an den AU-Fällen und -Tagen ist bei den Männern etwas höher als bei den Frauen. Krankheitsfolgen | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 210 Fälle 190 170 150 130 110 90 70 1995 96 97 98 99 2000 01 02 03 Verletzungen Herz/Kreislauf Verdauung Abbildung 1.3.3: Arbeitsunfähigkeitsfälle der Männer nach Krankheitsarten 1995 – 2Atemwege 003, Indexdarstellung Muskel/Skelett (1994 = 100 %). Quelle: Wissenschaftliches Psyche Institut der AOK 150 Tage 130 110 90 70 50 1995 96 97 98 99 2000 01 02 03 Verletzungen Verdauung Herz/Kreislauf Abbildung 1.3.4: Arbeitsunfähigkeitstage der Männer nach Krankheitsarten 1995 – 2Atemwege 003, IndexdarstellungMuskel/Skelett (1994 = 100 %). Quelle: Wissenschaftliches Psyche Institut der AOK 210 Fälle 190 170 150 130 Psychische Erkrankungen und Atemwegsleiden werden dagegen bei Frauen häufiger zur Ursache der Arbeitsunfähigkeit. Bei den psychischen Störungen sind die Unterschiede besonders groß. Während sie bei den Männern in der Rangfolge nach Arbeitsunfähigkeitstagen erst an sechster Stelle stehen, nehmen sie bei den Frauen bereits den dritten Platz ein. Auch der Anteil an Krankmeldungen aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist bei Frauen etwas höher. Männer sind jedoch in stärkerem Maße von schweren und langwierigen Erkrankungen wie Herzinfarkt betroffen, sodass der Anteil an den Arbeitsunfähigkeitstagen bei ihnen größer ausfällt. Trotz sinkender Krankenstände nehmen die psychisch bedingten Fehlzeiten zu. Trotz insgesamt sinkender Krankenstände haben die psychischen und Verhaltensstörungen als Ursache der Arbeitsunfähigkeit in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen (siehe Abbildungen 1.3.3 bis 1.3.6). Bei Männern war dabei eine stärkere prozentuale Zunahme zu verzeichnen als bei Frauen, sodass sich der Geschlechterunterschied bei den psychischen Erkrankungen verringert hat. Die Zahl der psychisch bedingten AU-Fälle stieg zwischen 1994 und 2003 bei den Männern um 81,6 und bei den Frauen um 56,8 Prozent. Bei den AU-Tagen war bei den Männern ein Anstieg um 31,9 und bei den Frauen um 24,3 Prozent zu beobachten. Ob der Trend tatsächlich auf eine erhöhte Inzidenz psychischer Störungen zurückgeht oder Ärztinnen und Ärzte sie nur häufiger diagnostizieren, wird kontrovers diskutiert. Auch die Zahl der AU-Fälle durch Atemwegskrankheiten hat von 1994 bis 2003 zugenommen. Bei Männern ist ein Anstieg um 12,3 und bei Frauen um 11,9 Prozent zu verzeichnen. Gleichzeitig ging allerdings die durchschnittliche Falldauer zurück, sodass die Zahl der AU-Tage abgenommen hat. Bei Krankheiten des Verdauungs- und des Herz-KreislaufSystems sowie bei Verletzungen lässt sich hinsichtlich der AUFälle wie auch der AU-Tage ein Rückgang feststellen. Bei den Muskel- und Skeletterkrankungen stieg die Zahl der AU-Fälle in den Jahren 1998 bis 2001 an, ging daraufhin aber wieder zurück. Auch die Länge der Ausfallzeiten war hier rückläufig. 110 90 70 1.3.2 Frühberentung 1995 96 97 98 99 2000 01 02 03 Verletzungen Herz/Kreislauf Verdauung Abbildung 1.3.5: Arbeitsunfähigkeitsfälle der Frauen nach Krankheitsarten 1995 – 2Atemwege 003, IndexdarstellungMuskel/Skelett (1994 = 100 %). Quelle: Wissenschaftliches Psyche Institut der AOK 150 Tage 130 110 90 70 50 1995 96 97 98 99 2000 01 Verletzungen Herz/Kreislauf Verdauung Atemwege Muskel/Skelett Psyche 02 Abbildung 1.3.6: Arbeitsunfähigkeitstage der Frauen nach Krankheitsarten 1995 – 2003, Indexdarstellung (1994 = 100 %). Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK 03 Chronische Krankheiten sind die häufigsten Ursachen von Frühberentungen. Eine der häufigsten Gründe für eine vorzeitige Berentung sind nach wie vor die chronischen Krankheiten. Dabei spielen insbesondere jene Leiden eine Rolle, die nicht unmittelbar lebensbedrohlich sind, aber die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigen. Dazu gehören Krankheiten des Skeletts, der Muskeln und des Bindegewebes; Krankheiten des Kreislaufsystems; psychiatrische Krankheiten; Krebskrankheiten. Diese vier Krankheitsgruppen verursachten im Jahr 2003 bei Frauen 78 und bei Männern 75 Prozent aller Frühberentungen. Trends bei den Frühberentungen werden indes nicht nur durch das sich wandelnde Krankheitsspektrum bestimmt, sondern auch durch arbeitsmarkt- und sozialpolitische Veränderungen. Beispielsweise können sich Neuerungen im Rentenrecht in den Begründungen bei Frühberentungen niederschlagen. Dementsprechend dürfen die Berentungsstatistiken nicht eindimensional interpretiert werden. Jede dritte Frühberentung geht auf das Konto eines psychischen Leidens. Bei Frauen wie Männern haben Erkrankungen der Verdauungsorgane und Stoffwechselerkrankungen eine gleich bleibende Bedeutung behalten. Bei den bösartigen Neubildungen (Krebskrankheiten) lässt sich eine steigende 59 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitsfolgen 60 Altersgruppe Frauen Männer Anzahl Prozent Anzahl Prozent Unter 25 Jahren 113 369 3,6 157 296 4,5 25 bis unter 45 Jahren 311 108 9,9 375 790 10,8 45 bis unter 55 Jahren 361 968 11,5 408 548 11,7 55 bis unter 65 Jahren 616 445 19,5 868 816 24,9 65 Jahre und älter 1 750 661 55,5 1 674 891 48,1 Gesamt 3 153 551 100 % 3 485 341 100 % Tabelle 1.3.1: Schwerbehinderte Menschen am Jahresende 2003 – Anteil an allen schwerbehinderten Menschen gleichen Geschlechts. Quelle: Statistik der schwerbehinderten Menschen 2003, Statistisches Bundesamt [113] 40 Frauen Prozent 35 30 25 20 15 10 5 0 1982 83 84 85 86 87 88 89 90 91 Skelett, Muskeln, Bindegewebe Kreislauf Verdauung/Stoffwechsel Psyche 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 03 Neubildungen Abbildung 1.3.7: Anteil der Rentenzugänge nach ausgewählten Diagnose hauptgruppen bei den Frauen (bis 1992: Alte Bundesländer; ab 1993: Deutschland, gesamt). Quelle: VDR Statistik Rentenzugang; Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) 40 Prozent Männer 35 30 25 20 15 10 5 0 1982 83 84 85 86 87 88 89 90 91 Skelett, Muskeln, Bindegewebe Kreislauf Verdauung/Stoffwechsel Psyche 92 93 94 95 Neubildungen Abbildung 1.3.8: Anteil der Rentenzugänge nach ausgewählten Diagnose hauptgruppen bei den Männern (bis 1992: Alte Bundesländer; ab 1993: Deutschland, gesamt). Quelle: VDR Statistik Rentenzugang; Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) 96 97 98 99 2000 01 02 03 Krankheitsfolgen | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 8 Millionen 7 6 5 4 3 2 1 0 1993 95 Neue Bundesländer 97 99 2001 03 Alte Bundesländer Abbildung 1.3.9: Anzahl schwerbehinderter Menschen in den Jahren 1993 bis 2003 (zum jeweiligen Jahresende). Quelle: Statistik der schwerbehinderten Menschen 2003, Statistisches Bundesamt [113] Tendenz beobachten. Dabei spielen Krebsleiden für die Frühberentung von Frauen durchgängig eine etwas größere Rolle als für die Frühberentung von Männern (siehe Abbildungen 1.3.7 und 1.3.8). Die wichtigsten Ursachen für die vorzeitige Berentung von Männern wie Frauen liegen in den Erkrankungen von Muskeln, Skelett und Bindegewebe, den Herz-Kreislauf-Leiden sowie den psychischen Krankheiten. Während Herz-Kreislauf-Krankheiten seit Jahren rückläufig sind und auch Erkrankungen von Muskeln, Skelett und Bindegewebe abnehmenden Anteil an Frühberentungen haben, ist der Trend bei den psychischen Leiden genau gegenläufig: Seit 2003 sind sie der häufigste Grund überhaupt für eine krankheitsbedingte Frühberentung. Ω Umfassende Informationen zu gesundheitsbedingter Frühberentung finden sich in Heft 30 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [112]. 1.3.3 Behinderung Jede zehnte Person ist behindert. In Deutschland lebten im Jahr 2003 insgesamt 8,4 Millionen amtlich anerkannte behinderte Menschen; das entspricht einem Anteil behinderter Menschen an der Gesamtbevölkerung von rund zehn Prozent [114]. 6,6 Millionen waren bei den Versorgungsämtern als schwerbehinderte Menschen mit gültigem Ausweis registriert (acht Prozent der Bevölkerung). Gut die Hälfte der behinderten Menschen sind Männer (54 Prozent), unter den schwerbehinderten Menschen lag ihr Anteil im Jahr 2003 bei 52,5 Prozent. Seit dem Jahr 1993 ist Definition und Datenlage Von einer Behinderung im Sinne des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX – „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“) wird gesprochen, wenn bei Menschen die körperliche Funktion, die geistige Fähigkeit oder die seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist. Normale Alterserscheinungen sind keine Behinderung nach SGB IX. Diese Definition berücksichtigt die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF), die nicht mehr die Orientierung an Defiziten, sondern das Ziel der Teilhabe an den verschiedenen Lebensbereichen (Partizipation) in den Vordergrund gerückt hat. Zur Feststellung und Anerkennung einer Behinderung oder Schwerbehinderung muss ein Antrag beim zuständigen Versorgungsamt gestellt werden. Die auf der Grundlage des SGB IX erhobenen Daten der Schwerbehindertenstatistik erfassen Personen mit einem anerkannten Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 und mit gültigem Schwerbehindertenausweis. Darüber hinaus werden Strukturdaten über die Lebenssituation behinderter Menschen im Mikrozensus und anderen repräsentativen Erhebungen wie dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) erhoben. Bei einem Vergleich der verschiedenen Datenquellen wird deutlich, dass die Zahl derjenigen, die sich nach Selbstaussagen als behinderte Menschen fühlen oder Hilfe zur alltäglichen Lebensführung benötigen, höher ist als die Zahl der amtlich anerkannten behinderten Menschen. Da sich die Betroffenen vor allem dann als schwerbehinderte Menschen anerkennen lassen, wenn damit ein Nachteilsausgleich im Erwerbsleben verbunden ist, muss von einer Untererfassung der nicht oder nicht mehr Erwerbstätigen ausgegangen werden. Insbesondere bei Frauen dürfte eine solche Untererfassung eine Rolle spielen [113]. 61 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitsfolgen 62 45 Quote 40 35 30 25 20 15 10 5 0 <4 4–5 6–14 Insgesamt 15– 17 18 –24 Weiblich 25– 34 35–44 45– 54 55–59 60– 61 62–64 65– 69 70 –74 ≥80 75–79 Altersgruppe Männlich Bevölkerungsstand 31.12. 2003; Anteil der schwerbehinderten Menschen an der jeweiligen Bevölkerungsgruppe in Prozent Abbildung 1.3.10: Anteil schwerbehinderter Menschen an der jeweiligen Bevölkerung nach Altersgruppen. Quelle: Statistik der schwerbehinderten Menschen 2003, Statistisches Bundesamt [113] 35 Anteil an allen Schwerbehinderten in Prozent 30 25 20 15 10 5 0 50 60 Frauen 70 80 90 100 Grad der Behinderung Männer Abbildung 1.3.11: Anteil schwerbehinderter Menschen nach Grad der Behinderung und Geschlecht im Jahr 2003 (zum Jahresende). Quelle: Statistik der schwerbehinderten Menschen 2003, Statistisches Bundesamt [113] Ursache Schwerbehinderungen Anzahl Anteil in Prozent Frauen Männer Frauen Männer Insgesamt 3 153 551 3 485 341 100 100 Allgemeine Krankheit 2 727 208 2 819 311 86,5 80,9 4,9 Angeborene Behinderung 141 037 171 109 4,5 Arbeitsunfall 10 971 71 589 0,3 2,1 Verkehrsunfall 11 982 31 121 0,4 0,9 Häuslicher Unfall 3 256 5 526 0,1 0,2 Sonstige Unfälle 8 666 20 550 0,3 0,6 6 577 114 022 0,2 3,3 243 854 252 113 7,7 7,2 Kriegs-, Wehr-, Zivildienst Sonstige Tabelle 1.3.2: Ursachen von Schwerbehinderungen. Quelle: Statistik der schwerbehinderten Menschen 2003, Statistisches Bundesamt die Zahl der schwerbehinderten Menschen um rund 250 000 gestiegen (siehe Abbildung 1.3.9). Drei Viertel der schwerbehinderten Menschen sind älter als 55 Jahre, rund die Hälfte ist älter als 65 Jahre. Knapp ein Viertel ist zwischen 55 und unter 65 Jahren alt. Nur vier Prozent der schwerbehinderten Menschen sind jünger als 25 Jahre. Die Schwerbehindertenquote, also der Anteil der Schwerbehinderten an allen Personen einer bestimmten Altersgruppe, steigt dementsprechend im höheren Lebensalter an. Während unter den 25- bis 35-Jährigen eine von 49 Personen schwerbehindert ist, hat bei den ab 80-Jährigen jeder Dritte einen Schwerbehindertenausweis (siehe Abbildung 1.3.10). Bis zur Altersgruppe der unter 55-Jährigen sind Männer etwa ebenso häufig von einer Schwerbehinderung betroffen wie Frauen. In den höheren Altersgruppen sind Männer dagegen etwa 1,5-mal häufiger schwerbehindert als Frauen. Dies wird darauf zurückgeführt, dass Männer häufiger als Frauen erwerbstätig sind und daher eher Anträge auf Anerkennung einer Schwerbehinderung stellen, um die Vorteile des Schwerbehindertenrechts für den Arbeitsmarkt und die Rente zu nutzen. Der Bundes-Gesundheitssurvey 1998 (BGS98) hat darüber hinaus gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, von einer Schwerbehinderung betroffen zu sein, bei Männern und Frauen mit der Zahl der durchgemachten Erkrankungen und dem Alter steigt. Bei Männern ist zudem das Behinderungsrisiko erhöht, wenn sie im früheren Bundesgebiet leben; Zugehörigkeit zur Oberschicht verringert dagegen bei ihnen das Risiko [115]. Orthopädische und Herz-Kreislauf-Leiden sind die häufigsten Behinderungsgründe. In etwa 26 Prozent der Fälle liegt einer Schwerbehinderung eine Funktionsbeeinträchtigung innerer Organe zugrunde (Frauen: 23 Prozent; Männer: 29 Prozent). Besonders häufig sind dabei Schädigungen des Herz-Kreislauf-Systems, die allein oder in Kombination mit Beeinträchtigungen weiterer innerer Organe vorliegen können. Bei rund 28 Prozent der schwerbehinderten Menschen besteht eine Funktionseinschränkung der Extremitäten, der Wirbelsäule oder des Rumpfes (Frauen: 29 Prozent; Männer: 27 Prozent). Betrachtet man die Schwerbehindertenstatistik hinsichtlich des Grades der Behinderung (GdB), so zeigt sich, dass Männer lediglich in den Personengruppen mit einem GdB von 50 und 60 die Mehrheit stellen. Bei allen höheren Behinderungsgraden sind mehr Frauen als Männer betroffen (siehe Abbildung 1.3.11). Allerdings sind die Behinderungsgrade nicht gleichmäßig verteilt. So bilden Personen mit einem GdB von 50 die größte Gruppe unter den schwerbehinderten Menschen, gefolgt von der Gruppe mit einem GdB von 100. Bei allen Gruppen stellt eine allgemeine Krankheit (einschließlich Impfschäden) die Hauptursache für eine Behinderung dar. Angeborene Behinderungen und Unfälle spielen eine vergleichsweise geringe Rolle. Nach den Daten aus dem Jahr 2003 gehen 83,5 Prozent aller Schwerbehinderungen auf Krankheiten zurück. Demgegenüber fallen angeborene Behinderungen (4,7 Prozent aller Schwerbehinderungen) und Unfälle (2,9 Prozent) deutlich weniger ins Gewicht (siehe Tabelle 1.3.2). Nennenswerte Geschlechterunterschiede finden sich bei den Unfällen: Bei Männern werden Arbeitsunfälle 6,5-mal so häufig und Verkehrsunfälle 2,5-mal so häufig zur Ursache einer Schwerbehinderung wie bei Frauen. Dies zeigt, dass Män- Krankheitsfolgen | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | ner sowohl bei ihrer Arbeit als auch im Straßenverkehr einem wesentlich höheren Risiko ausgesetzt sind. Alte Menschen mit Behinderungen leben oft allein. Von den 8,22 Millionen behinderten Menschen, die in privaten Haushalten leben, wohnen und wirtschaften 29 Prozent allein in einem Einpersonenhaushalt, rund die Hälfte lebt zu zweit, 21 Prozent wohnen in Haushalten mit drei oder mehr Personen. Die Haushaltsgröße variiert je nach Alter der Betroffenen erheblich. So lebten im Jahr 2003 die unter 45-Jährigen überwiegend in Haushalten mit drei oder mehr Personen, die 55bis 79-Jährigen vor allem in Zweipersonenhaushalten. Von den über 80-Jährigen wohnten 75,2 Prozent der Frauen und 26,2 Prozent der Männer in Einpersonenhaushalten, was auf die Selbstversorgungskompetenz, aber auch die besonderen Bedarfe älterer, behinderter Frauen hinweist [114]. Behinderte Menschen sind seltener erwerbstätig als nicht behinderte. Die Möglichkeit, erwerbstätig zu sein, ist eine wesentliche Voraussetzung für die ökonomische Unabhängigkeit und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Von den insgesamt 8,4 Millionen behinderten Menschen in Deutschland zählen allerdings 6,3 Millionen zur Gruppe der Nichterwerbspersonen, die keine Erwerbstätigkeit ausüben und auch nicht suchen. Knapp 2,2 Millionen sind Erwerbspersonen, das heißt Personen ab 15 Jahren, die eine Erwerbstätigkeit ausüben oder suchen. Dementsprechend ist die Erwerbsquote, also der Anteil der Erwerbspersonen an der jeweiligen Bevölkerungsgruppe, bei behinderten Menschen deutlich geringer als bei nichtbehinderten. Im Mai 2003 betrug die Erwerbsquote bei behinderten Frauen 21 Prozent, bei behinderten Männern 30 Prozent. Nichtbehinderte Frauen waren dagegen zu 53 Prozent erwerbstätig, nichtbehinderte Männer zu 71 Prozent. Die deutlichen Unterschiede resultieren teilweise aus der bei behinderten und nichtbehinderten Menschen unterschiedlichen Altersstruktur. Doch auch bei einer altersspezifischen Betrachtung bleiben wesentliche Differenzen bei der Erwerbsquote erhalten. Die Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben stellt daher einen wichtigen Teil der Arbeitsmarktpolitik der Bundesagentur für Arbeit dar. Dazu gehören die Erarbeitung individueller Eingliederungsstrategien und Leistungen für berufliche Förderungs- und Eingliederungsmaßnahmen. Durch das am 1. Mai 2004 in Kraft getretene „Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen“ soll die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen durch eine Stärkung der Ausbildungsbereitschaft der Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen und eine verstärkte Beschäftigung schwerbehinderter Menschen in kleinen und mittleren Betrieben verbessert und gesichert werden. Gleichwohl zeigen Auswertungen des Mikrozensus, dass Renten und Pensionen für 66 Prozent der behinderten Menschen die wichtigste Unterhaltsquelle darstellen. Danach folgen die Einkommen aus Erwerbstätigkeit (18 Prozent) und der Unterhalt durch Angehörige (acht Prozent). Andere Unterhaltsquellen wie Sozialhilfe (drei Prozent) und Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe (vier Prozent) spielten nur eine geringe Rolle. Durch Prävention können chronische Krankheiten und Behinderungen vermieden werden. Im Bereich der gesundheitlichen Versorgung sollen Maßnahmen der Vorsorge, Früherkennung, Frühbehandlung und Frühförderung dazu beitragen, eine Behinderung möglichst zu vermeiden oder frühzeitig zu behandeln, um eine Teilhabe Betroffener in allen gesellschaftlichen Bereichen zu ermöglichen. Neben der Prävention die- 63 64 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitsfolgen Krankheitsart – Alle Krankheiten I Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten Tuberkulose IX B90 5 – 64 Bösartige Neubildungen des Gebärmutterhalses (Cervix Uteri) C53 5 – 64 Hodgkin-Krankheit (Lymphogranulomatose) C81 5 – 34 I05 – I09 5 – 44 Bluthochdruck (Hypertonie) I10 – I15 5 – 64 Zerebrovaskuläre Krankheiten I60 – I69 5 – 64 Neubildungen Krankheiten des Kreislaufsystems Krankheiten des Verdauungssystems Krankheiten der Appendix XV unter 1 5 – 64 Chronische rheumatische Herzkrankheiten XI Alter – A15–A19 Folgezustände der Tuberkulose II ICD-Position K35 – K38 5 – 64 Cholelithiasis K80 5 – 64 Cholezystitis K81 5 – 64 Sonstige Krankheiten der Gallenblase K82 5 – 64 Sonstige Krankheiten der Gallenwege K83 5 – 64 O00 – O99 15 – 49 Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett Tabelle 1.3.3: Vermeidbare Sterbefälle (ICD-10). Quelle: Statistisches Bundesamt nen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation dazu, Störungen der gesellschaftlichen Teilhabe entgegenzuwirken. Im Jahr 2003 wurden von der gesetzlichen Krankenversicherung 2,57 Milliarden Euro, von der gesetzlichen Rentenversicherung 3,5 Milliarden Euro für Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen aufgebracht [116]. Im GKV-Modernisierungsgesetz, das am 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist, werden die Belange behinderter Menschen durch neue Mitwirkungsrechte der Patientinnen und Patienten und Veränderungen der Versorgungsstruktur berücksichtigt. Durch Einfügung des Paragraphen 2a in das SGB V ist festgelegt, dass den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen ist. Ω Eine umfassende Darstellung der Lage behinderter Menschen gibt der Bericht der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe [116]. 1.3.4 Pflegebedürftigkeit Rund zwei Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig. Im Jahr 2003 waren 2,1 Millionen Versicherte der sozialen und privaten Pflegeversicherung als pflegebedürftig anerkannt. Das entspricht 2,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland. Es wird damit gerechnet, dass diese Zahl wegen des wachsenden Anteils älterer Menschen bis zum Jahr 2040 deutlich steigen wird. Die Pflegebedürftigkeit ist überwiegend altersabhängig und tritt vor allem bei hoch betagten Personen auf. So liegt der Anteil der Pflegebedürftigen bei Frauen und Männern bis zum Alter von unter 75 Jahren unter einem Prozent. Danach nimmt der Anteil der Personen, die auf Pflegehilfe angewiesen sind, sprunghaft zu: von 15,8 Prozent der 75- bis unter 80-jährigen Frauen und 11,2 Prozent der 75- bis unter 80-jährigen Männer auf 65,2 Prozent der über 90-jährigen Frauen und 39,7 Prozent der über 90-jährigen Männer. Die Unterschiede zwischen Definition Nach dem Pflegeversicherungsgesetz sind Personen pflegebedürftig, wenn sie „wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen“ (SGB XI, § 14). Dabei werden bei der Feststellung des Hilfsbedarfs und der Zuweisung von Versicherungsleistungen verschiedene Pflegestufen unterschieden: Die Pflegestufe I („erhebliche Pflegebedürftigkeit“) liegt vor, wenn mindestens einmal täglich Hilfe bei wenigstens zwei Verrichtungen der körperlichen Grundpflege sowie zusätzlich mehrfach in der Woche hauswirtschaftliche Hilfen benötigt werden. Der Zeitaufwand muss mindestens neunzig Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen. Die Pflegestufe II („Schwerpflegebedürftigkeit“) liegt vor, wenn Hilfe in der Grundpflege mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt werden. Der Zeitaufwand muss mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen. Die Pflegestufe III („Schwerstpflegebedürftigkeit“) liegt vor, wenn Hilfe bei der Grundpflege täglich rund um die Uhr, auch nachts, sowie zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt werden. Der Zeitaufwand muss mindestens fünf Stunden betragen, hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen. Krankheitsfolgen | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Frauen und Männern zeigen sich etwa ab dem 75. Lebensjahr und nehmen in der Folge kontinuierlich zu. Eine der häufigsten Ursachen der Pflegebedürftigkeit ist die Demenz. In der Altersgruppe der über 80‑Jährigen gehen insgesamt mehr als 35 Prozent der Fälle auf Demenzerkrankungen unterschiedlicher Ursachen zurück [117]. Die meisten Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt. Von den rund zwei Millionen anerkannt Pflegebedürftigen werden etwa 1,44 Millionen zu Hause und 0,64 Millionen in Heimen gepflegt. Die zu Hause versorgten Personen sind zu knapp 57 Prozent in Pflegestufe I, zu knapp 34 Prozent in Pflegestufe II und zu etwa zehn Prozent in Pflegestufe III eingestuft. Dabei können die Betroffenen zwischen den Leistungen eines ambulanten Pflegedienstes (Sachleistung) und dem Pflegegeld wählen. Möglich ist auch, Sach- und Geldleistung zu kombinieren (Kombinationsleistung). In stationären Pflegeeinrichtungen liegt der Anteil der Pflegebedürftigen in Pflegestufe I bei knapp 34 Prozent, während rund 44 Prozent auf Pflegestufe II und etwa 21 Prozent auf Pflegestufe III entfallen. Versicherte, die in einem Pflegeheim gepflegt werden, haben Anspruch auf vollstationäre Leistun gen, welche die Aufwendungen für die normale Pflege und (im Rahmen einer Übergangsregelung) für die medizinische Behandlungspflege und soziale Betreuung abdecken. Für die Unterkunft und Verpflegung müssen die Pflegebedürftigen dagegen selbst aufkommen. Insgesamt lässt sich für die letzten Jahre eine leichte Verschiebung hin zur professionellen und stationären Pflege feststellen [117]. Die familiäre Pflege lastet in drei von vier Fällen auf Frauen. Die häuslich Gepflegten werden meist nicht professionell, sondern von Familienangehörigen betreut. Dabei bestimmen in der Regel die engeren familiären Verhältnisse, wer bei einer häuslichen Pflege die Rolle des Pflegenden einnimmt. In 28 Prozent der Fälle pflegen Ehepartner, in 26 Prozent Töchter, in zwölf Prozent Mütter und in zehn Prozent der Fälle Söhne. Insgesamt sind 73 Prozent der Pflegepersonen Frauen. 60 Prozent der Hauptpflegepersonen sind bereits 55 Jahre oder älter. Dies weist darauf hin, dass private Hilfeleistungen zu einem erheblichen Teil innerhalb der eigenen Generation erbracht werden. Häufig gehen die pflegenden Angehörigen zusätzlich einer Erwerbsarbeit nach. So sind 19 Prozent der Hauptpflegepersonen im erwerbsfähigen Alter (15 bis 63 Jahre) voll erwerbstätig, 21 Prozent haben eine Teilzeitarbeit oder eine geringfügige Beschäftigung. 60 Prozent sind nicht erwerbstätig. Für 64 Prozent der Hauptpflegepersonen gilt, dass sie im Prinzip jeden Tag rund um die Uhr zur Verfügung stehen müssen. Im Schnitt wenden sie für Hilfe, Pflege oder Betreuung im weiteren Sinn 36,6 Stunden pro Woche auf. Dementsprechend schätzen 41 Prozent der Hauptpflegepersonen ihre Belastung als „sehr stark“ ein, 42 Prozent als „eher stark“. Zehn Prozent fühlen sich „eher wenig“ und nur sieben Prozent gar nicht belastet. Tatsächlich kann eine belastende Pflegesituation für die Pflegenden negative emotionale, psychische, soziale, finanzielle und körperliche Auswirkungen haben [118]. Hinzu kommt, dass privat Pflegende selten auf Beratungsoder Unterstützungsangebote zurückgreifen können. Lediglich sieben Prozent von ihnen tauschen sich regelmäßig mit professionellen Fachkräften aus, 14 Prozent tun dies gelegentlich. 16 Prozent haben an einem speziellen Pflegekurs teilgenommen. Angesichts der in den kommenden Jahren wahrscheinlich noch zunehmenden Bedeutung der privaten Pflege sollte die professionelle Unterstützung der pflegenden Familienangehörigen ausgeweitet werden [119]. 65 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Krankheitsfolgen 66 12 Ω Ausführliche Informationen finden sich im Schwerpunktbericht Pflege der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [117]. Zahl der verlorenen Lebensjahre in Tausend 10 8 1.3.5 Verlorene Lebensjahre 6 4 2 0 1990 91 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 Männer neue Bundesländer Männer alte Bundesländer Frauen neue Bundesländer Frauen alte Bundesländer 03 04 Abbildung 1.3.12: Verlorene Lebensjahre durch Tod unter 70 Jahren, standardisiert nach alter Europabevölkerung unter Ausschluss der unter Einjährigen. Quelle: Todesursachenstatistik, Statistisches Bundesamt 50 Sterbefälle 40 30 20 10 0 1990 91 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 Männer neue Bundesländer Männer alte Bundesländer Frauen neue Bundesländer Frauen alte Bundesländer 03 04 Die Zahl der verlorenen Lebensjahre sinkt. Die wichtigste Ursache für den Verlust potenzieller Lebensjahre sind in Deutschland bei Frauen und Männern die Krebsleiden. Auf Rang zwei und drei der Statistik folgen die Krankheiten des Herz-KreislaufSystems und die so genannten äußeren Ursachen, zu denen beispielsweise Unfälle und Suizide gehören. Dabei stehen bei Frauen die Herz-Kreislauf-Leiden an zweiter und äußere Ursachen an dritter Stelle, bei Männern ist es umgekehrt. Insgesamt geht die Zahl der verlorenen Lebensjahre bei Frauen und Männern seit 1990 zurück. In den neuen Bundesländern ist der Rückgang stärker ausgeprägt als in den alten Bundesländern. Während sich bei Frauen in Ost und West inzwischen keine nennenswerten Unterschiede mehr zeigen, stehen ostdeutsche Männer allerdings immer noch schlechter da als ihre westdeutschen Geschlechtsgenossen (siehe Abbildung 1.3.12). Vor allem Neubildungen und äußere Ursachen fallen dabei ins Gewicht, die bei Männern in den neuen und alten Bundesländern weiterhin den häufigsten Grund für einen vorzeitigen Tod vor dem 70. Lebensjahr abgeben. So gingen in Ostdeutschland im Jahr 2004 je 100 000 Männer insgesamt 1 394 potenzielle Lebensjahre durch Neubildungen und 1 327 potenzielle Lebensjahre durch Unfälle verloren. In Westdeutschland lag die Quote bei 1 219 Jahre (Neubildungen) und 989 Jahre (Unfälle) je 100 000 Männer. Auch Herz-Kreislauf-Krankheiten führen bei Männern in den neuen und alten Bundesländern in erhöhtem Maße zu einem vorzeitigen Tod. Abbildung 1.3.13: Vermeidbare Sterbefälle je 100 000 Einwohner. Quelle: Todesursachenstatistik, Statistisches Bundesamt Definition Die verlorenen Lebensjahre (Potential Years of Life Lost) bezeichnen die Differenz zwischen dem Sterbealter und dem 70. Lebensjahr, sofern der Tod vor dem 70. Lebensjahr eintritt. Die in der OECD und WHO vertretenen Länder haben sich darauf ver ständigt, Sterbefälle im Alter zwischen einem und 69 Jahren als unge wöhnlich anzusehen. Diese vorzeitigen Todesfälle werden in der Regel durch die Zahl der verlorenen Lebensjahre je 100 000 Einwohner dargestellt. Der Verlust von Lebensjahren kann durch eine geminderte Lebensqualität oder einen abträglichen Lebensstil ebenso wie durch Defizite bei Prävention und Therapie bedingt sein. Krankheitsfolgen | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 1 600 1.3.6 Vermeidbare Sterbefälle Sterbeziffer 1 400 Die Zahl der vermeidbaren Todesfälle sinkt. Die Zahl der vermeidbaren Sterbefälle ist seit 1990 gesunken und hat sich zwischen neuen und alten Bundesländern bis zum Jahr 2003 weiter angeglichen (siehe Abbildung 1.3.13). Insbesondere bei Männern aus den neuen Bundesländern treten aber noch erkennbar mehr vermeidbare Sterbefälle auf als bei Männern aus den alten Bundesländern. 1 200 1 000 800 600 400 200 0 1990 91 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 Männer neue Bundesländer Frauen neue Bundesländer Männer alte Bundesländer Frauen alte Bundesländer 03 04 Abbildung 1.4.1: Entwicklung der altersstandardisierten (alte Europabevölkerung) Sterbeziffer. Quelle: Todesursachenstatistik (2004), Statistisches Bundesamt Definition Als vermeidbare Sterbefälle werden Sterbefälle bezeichnet, die bei angemessener Krankheitsprävention oder Therapie hätten verhindert werden können. Die Kennziffer der vermeidbaren Sterbefälle richtet sich im Wesentlichen nach einem Konzept des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen. Danach gelten spezifische Todesursachen in bestimmten Altersgruppen als vermeidbar (siehe Tabelle 1.3.3). Die vermeidbaren Sterbefälle werden je 100 000 Einwohner angegeben. 67 68 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Sterblichkeit Frauen Männer 522,7 787,9 531,9 512,7 910,9 777,9 514,3 813,1 512,2 796,3 504,1 790,7 538,9 527,4 894,5 931,7 521 814,6 486,8 840,6 526,3 883,6 488,5 749,1 508,5 771,2 552,5 844,1 482,9 755,7 449,1 701,1 –600 Deutschland: 500,8 –1000 Deutschland: 790,6 –575 Früheres Bundesgebiet und Berlin-Ost: 497,6 –950 Früheres Bundesgebiet und Berlin-Ost: 773,0 –550 Neue Länder ohne Berlin-Ost: 515,9 –900 Neue Länder ohne Berlin-Ost: 884,0 –525 –850 <500 <800 Abbildung 1.4.2: Altersstandardisierte Sterbeziffern (alte Europabevölkerung) in den Bundesländern im Jahr 2004. Quelle: Todesursachenstatistik, Statistisches Bundesamt Sterblichkeit | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 1.4 Sterblichkeit Ω Zusammenfassung Die allgemeine Sterblichkeit in Deutschland ist zwischen 1990 und 2004 kontinuierlich gesunken. Dabei hat sich die Relation der Haupttodesursachen nicht wesentlich verändert. Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems sowie Krebsleiden verursachen bei Frauen und Männern die meisten Sterbefälle. Im Jahr 2004 waren die beiden Krankheitsgruppen bei Männern für 69,3 und bei Frauen für 73,0 Prozent aller Todesfälle verantwortlich. Bemerkenswert ist, dass der Anteil der Verletzungen an den Sterbefällen bei Männern mit 5,4 Prozent fast doppelt so hoch liegt wie bei Frauen (2,9 Prozent). Die Sterblichkeit ist bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie bei Verletzungen und Vergiftungen für beide Geschlechter deutlich rückläufig. Bei Männern haben dagegen Krankheiten des Nervensystems und Endokrinopathien (hormonelle Erkrankungen) an Bedeutung gewonnen. Bei Frauen spielen Infektionen und Erkrankungen des Nervensystems eine größere Rolle als im Jahr 1990. Auch die Säuglingssterblichkeit ist in den 1990er Jahren zurückgegangen. In den neuen Bundesländern versterben mittlerweile weniger Säuglinge als in den alten Ländern. Der bundesweite Durchschnitt von 4,1 Todesfällen pro 1 000 Lebendgeburten gehört zu den niedrigsten Raten in der EU. zent höherer Sterblichkeit bei den ostdeutschen im Vergleich zu den westdeutschen Frauen. Ostdeutsche Männer versterben öfter als westdeutsche Männer an Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems und des Verdauungssystems, an Neubildungen, endokrinen (Hormon-) Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten sowie an Verletzungen und Vergiftungen. Von tödlichen Infektionskrankheiten, Krankheiten des Atmungssystems und des Urogenitalsystems sind dagegen Männer in den alten Bundesländern häufiger betroffen. Bei Frauen sind die Ost-West-Unterschiede insgesamt geringer ausgeprägt. Gleichwohl liegt die Sterblichkeit bei Frauen in den neuen Bundesländern bei einer Reihe von Krankheiten höher als bei Frauen in den alten Ländern. Dazu zählen: HerzKreislauf-Leiden; endokrine (Hormon-) Ernährungs- und Stoffwechselerkrankungen; Krankheiten des Verdauungssystems; Verletzungen und Unfälle. Frauen aus dem früheren Bundesgebiet sterben dagegen häufiger an Neubildungen, Infektionskrankheiten und Krankheiten des Atmungssystems. Die Sterblichkeitsraten variieren nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch von Bundesland zu Bundesland. Bei Frauen ist die Sterbeziffer mit 449,1 Todesfällen je 100 000 Einwohnerinnen in Baden-Württemberg am niedrigsten, im Saarland ist sie mit 552,5 am höchsten. Die geringste Sterblichkeit bei Männern findet sich ebenfalls in Baden-Württemberg (701,1 Todesfälle je 100 000 Einwohner), die höchste (931,7) in Sachsen-Anhalt (siehe Abbildung 1.4.2). 1.4.1 Sterblichkeit in Ost- und Westdeutschland 1.4.2 Häufige Todesursachen Die Sterblichkeit ist im Osten noch stärker gesunken als im Westen. Die Gesamtsterblichkeit ist in Deutschland zwischen 1990 und 2004 bei Frauen und Männern deutlich zurückgegangen (siehe Abbildung 1.4.1). Bei Männern sank die altersstandardisierte Sterbeziffer von 1119,2 auf 790,6 Todesfälle je 100 000 Einwohner. Bei Frauen reduzierte sie sich von 670,1 auf 500,8 Todesfälle je 100 000 Einwohnerinnen. In den neuen Bundesländern entsprach dies einem Rückgang der Sterblichkeit um 34,8 Prozent bei Männern und um 36,7 Prozent bei Frauen. In den alten Bundesländern sank die Sterblichkeit dagegen bei Männern um 27,7 und bei Frauen um 22,0 Prozent. Durch den stärkeren Rückgang in den neuen Ländern hat sich die Sterblichkeit in Ost und West, insbesondere bei den Frauen, weiter angeglichen. Die geringsten Sterblichkeitsunterschiede zwischen neuen und alten Bundesländern finden sich bei Personen unter 15 Jahren, bei denen die Sterblichkeitsverhältnisse mittlerweile nahezu identisch sind. Die größten Ost-West-Unterschiede dagegen bestehen bei unter 65-jährigen Männern. In dieser Altersgruppe lag die Sterblichkeit im Jahr 2004 bei ostdeutschen Männern um 20 Prozent höher als bei westdeutschen Männern, bei den über 65-jährigen betrug die Differenz 12 Prozent zu den westdeutschen Männern. Die Sterblichkeit ostdeutscher Frauen unter 65 Jahren liegt dagegen fünf Prozent unter der Sterblichkeit westdeutscher Frauen gleichen Alters; bei den über 65-Jährigen ist das Verhältnis umgekehrt mit sechs ProMethodische Anmerkung Durch den Wechsel von der neunten zur zehnten Version der International Classification of Diseases (ICD-9 zu ICD-10) hat sich die Zuordnung von Einzeldiagnosen zu bestimmten Diagnoseklassen teilweise geändert. Dadurch sind Die Zahl von tödlichen Herz-Kreislauf-Krankheiten, Unfällen und Verletzungen sinkt. In Deutschland ist zwischen 1990 und 2004 die Rate der durch Herz-Kreislauf-Krankheiten und so genannte äußere Ursachen bedingten Todesfälle deutlich zurückgegangen. Zu den äußeren (nichtnatürlichen) Todesursachen zählen unter anderem Verletzungen, Vergiftungen, Unfälle und Selbstmorde. Die Sterblichkeitsraten bei HerzKreislauf-Krankheiten reduzierten sich zwischen 1990 und 2004 bei Männern um 38,2 und bei Frauen um 33,1 Prozent. Die Sterblichkeit infolge äußerer Ursachen sank bei Männern um 32,7, bei Frauen um 40,1 Prozent. Dagegen ging die Krebssterblichkeit bei Frauen nur um 15,8 und bei Männern um 18,7 Prozent zurück. Zugenommen indes hat im selben Zeitraum die Sterblichkeit bei Krankheiten des Nervensystems und der Sinnesorgane (bei Frauen um 10,1 Prozent, bei Männern um 13,2 Prozent). Bei Männern stiegen auch die Sterblichkeitsraten bei endokrinen (Hormon-) Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (12,7 Prozent). Bei Frauen hat sich dagegen die Todesfallrate bei bestimmten Infektions- und Parasitenerkrankungen erhöht, die allerdings für die Gesamtsterblichkeit nur eine geringe Rolle spielen. Die Gesamtsterblichkeit (alle Diagnosen) hat sich in Deutschland von 1990 bis 2004 bei Frauen um 25,3 Prozent und bei Männern um 29,4 Prozent vermindert. Zeitvergleiche der Todesursachen erschwert. Deshalb wurde die so genannte European Short List wichtiger Todesursachen von der EU-Statistikbehörde Eurostat zusammen mit der Task Force on Causes of Death Statistics erarbeitet. Die Liste, der alle europäischen Mit- gliedsstaaten zugestimmt haben, stellt die Vergleichbarkeit für alle derzeit gängigen ICD-Versionen her. Sie umfasst 65 Diagnosen beziehungsweise Diagnosegruppen, die von besonderer Bedeutung für die Sterblichkeit innerhalb der EU sind. 69 70 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Sterblichkeit Frauen Dänemark (2001) Irland Großbritannien Griechenland Portugal Niederlande Belgien (1997) Deutschland Luxemburg Finnland Österreich Schweden Frankreich Italien (2001) Spanien 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1 000 Sterbeziffern nach Haupttodesursache Belgien (1997) Männer Portugal Dänemark (2001) Irland Finnland Luxemburg Niederlande Deutschland Österreich Großbritannien Frankreich Griechenland Spanien Italien (2001) Schweden 0 100 200 300 400 Herz-Kreislauf-Krankheiten Krebs Verletzungen andere 500 Abbildung 1.4.3: Todesursachen nach wichtigen Diagnosegruppen, Vergleich der EU-15-Länder. Quelle: HFA Database, WHO January 2006 600 700 800 900 1 000 Sterbeziffern nach Haupttodesursache Sterblichkeit | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Frauen Rang 2004 Sterbeziffer I25 Chronische ischämische Herzkrankheit 1 114,7 I50 Herzinsuffizienz 2 78,6 I21 Akuter Myokardinfarkt 3 67,3 I64 Schlaganfall, nicht als Blutung oder Infarkt bezeichnet 4 50,0 C50Bösartige Neubildung der Brustdrüse (Mamma) 5 41,7 I11 Hypertensive Herzkrankheit 6 27,2 C34 Bösartige Neubildung der Bronchien und der Lunge 7 26,1 J18 Pneumonie, Erreger nicht näher bezeichnet 8 24,7 C18 Bösartige Neubildung des Dickdarmes 9 24,4 10 23,1 E14 Nicht näher bezeichneter Diabetes mellitus Männer Rang 2004 Sterbeziffer I25 Chronische ischämische Herzkrankheit 1 88,8 I21 Akuter Myokardinfarkt 2 82,6 C34 Bösartige Neubildung der Bronchien und der Lunge 3 71,3 I50 Herzinsuffizienz 4 37,3 J44 Sonstige chronische obstruktive Lungenkrankheit 5 29,2 I64 Schlaganfall, nicht als Blutung oder Infarkt bezeichnet 6 27,6 C61 Bösartige Neubildung der Prostata 7 27,6 C18 Bösartige Neubildung des Dickdarmes 8 22,7 J18 Pneumonie, Erreger nicht näher bezeichnet 9 19,8 10 18,5 K70Alkoholische Leberkrankheit Tabelle 1.4: Häufigste Todesursachen je 100 000 Einwohner im Jahr 2004 (alle Altersgruppen, nicht standardisiert) Herzleiden, Schlaganfall, Lungen- und Brustkrebs führen die Sterbestatistik an. Die häufigsten Todesursachen, klassifiziert nach Einzeldiagnosen, werden jährlich vom Statistischen Bundesamt angegeben. So gehörten sowohl im Jahr 1990 als auch im Jahr 2004 Herz-Kreislauf-Krankheiten, Brustkrebs- und Darmkrebsleiden sowie Diabetes zu den häufigsten Todesursachen bei Frauen (siehe Tabelle 1.4). Bei Männern zählten 1990 wie 2004 Herz-Kreislauf-Krankheiten, Lungenkrebs- und Prostatakrebsleiden, chronische Lungenkrankheiten und alkoholbedingte Leberschäden zu den Haupttodesursachen, seit 1992 gehört auch der Darmkrebs dazu. Ein bemerkenswerter Trend lässt sich für die Lungenkrebssterblichkeit feststellen, die bei Frauen (im Gegensatz zu den Männern) seit 1990 mit einer Zunahme von fast 48 Prozent deutlich an Bedeutung gewonnen hat. Seit dem Jahr 2000 gehört der Lungenkrebs beim weiblichen Geschlecht zu den zehn häufigsten Todesursachen. Sowohl bei Frauen als auch Männern sind seit 1998 die Pneumonien unter die Haupttodesursachen aufgerückt. Die Sterblichkeitsraten bei Magenkrebs dagegen, der noch 1990 bei Frauen wie Männern zu den zehn häufigsten Todesursachen zählte, sind bei beiden Geschlechtern um etwa 47 Prozent gesunken. Seit Mitte der 1990er Jahre steht der Magenkrebs nicht mehr an vorderster Stelle der Sterblichkeitsstatistik. Junge Erwachsene versterben vor allem an Unfällen und Verletzungen. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 15 bis 25 Jahren sind Verletzungen einschließlich der Unfälle die Haupttodesursache. Bei Männern dieser Altersgruppe verursachen sie knapp 70, bei Frauen fast 50 Prozent der Todesfälle. Mit zunehmendem Lebensalter gewinnen jedoch bei Frauen wie Männern die Herz-Kreislauf-Leiden an Bedeutung. Krebskrankheiten spielen bei beiden Geschlechtern eine führende Rolle, vor allem bei Frauen zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr und bei Männern zwischen dem 55. und 75. Lebensjahr. Die Krebssterblichkeit in dieser Altersgruppe ist bei Frauen hauptsächlich durch Brustkrebs, bei Männern durch Lungenkrebs bedingt. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland bei der Sterblichkeit im Mittelfeld. Im Vergleich der EU-15-Länder liegt Deutschland bei der Gesamtsterblichkeit mit Rang acht bei Frauen wie Männern im Mittelfeld (siehe Abbildung 1.4.3). Die Sterblichkeit bei Herz-Kreislauf-Krankheiten ist am niedrigsten bei französischen Frauen und Männern, am höchsten bei griechischen Frauen und Männern. Die geringste Krebssterblichkeit findet sich bei spanischen Frauen und schwedischen Männern, die größte bei dänischen Frauen und belgischen Männern. Infolge Verletzungen, Vergiftungen und anderen äußeren Ursachen sterben griechische Frauen und niederländische Männer am seltensten, finnische Frauen und Männer am häufigsten. 71 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Sterblichkeit 72 Verletzungen und Vergiftungen Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde Angeborene Fehlbildungen Zustände, die Ursprung in Perinatalperiode haben Krankheiten des Urogenitalsystems Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems Krankheiten der Haut Krankheiten des Verdauungssystems Krankheiten des Atmungssystems Krankheiten des Kreislaufsystems Krankheiten des Nervensystems und der Sinnesorgane Psychische Verhaltensstörungen Endokrinopathien Krankheiten des Blutes Neubildungen Infektionskrankheiten 0,5 0 1 1,5 2 2,5 3 Abbildung 1.4.4: Geschlechtsspezifisches Mortalitätsverhältnis bei ausgewählten Krankheitshauptgruppen im Jahr 2004 (standardisiert nach: Alte Europabevölkerung, Frauen = 1). Quelle: Todesursachenstatistik 2004, Statis tisches Bundesamt Sterbeziffer 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 <1 1–4 Männer 5–9 10 –14 15– 19 20 –24 25– 29 30–34 35–39 40– 44 Frauen Abbildung 1.4.5: Sterbeziffer an Selbsttötungen im Jahr 2004 (ICD-10: X60 – X84). Quelle: Todesursachenstatistik 2004, Statistisches Bundesamt 45– 49 50 –54 55–59 60– 64 65– 69 70 –74 75–79 80–84 ≥90 85–89 Altersgruppe 1.4.3 Geschlechtsspezifische Sterblichkeit Männer leben riskanter und sind von einer erhöhten Sterblichkeit betroffen. Männer sind von einer höheren Sterblichkeit betroffen als Frauen. Bei einem geschlechtsspezifischen Vergleich zeigt sich, dass bei einigen Krankheitsgruppen auf jede verstorbene Frau mehr als zwei verstorbene Männer kommen (siehe Abbildung 1.4.4). Zu diesen Diagnosegruppen mit besonders hoher Übersterblichkeit der Männer gehören: psychische und Verhaltensstörungen, unter die auch der Gebrauch psychotroper Substanzen zählt; Verletzungen und Vergiftungen, einschließlich der Unfälle und Suizide; Krankheiten des Atmungssystems. Die unter Männern erhöhte Sterblichkeit bei Krankheiten des Verdauungssystems und bei Krebsleiden wird vor allem durch chronische Leberschäden sowie Lungenkrebs verur sacht und lässt sich großteils auf einen gegenüber Frauen riskanteren Lebensstil mit erhöhtem Alkohol- und Zigarettenkonsum zurückführen. Insgesamt deutet das geschlechtspezifische Sterblichkeitsprofil auf die höhere Risikobereitschaft von Männern im Umgang mit ihrem Körper sowie auf riskantere Arbeitsbedingungen hin [120]. Vor allem ältere Männer begehen häufiger Selbstmord als gleichaltrige Frauen. Im Jahr 2004 nahmen sich 7 939 Männer und 2 794 Frauen das Leben. Die erhöhte Selbstmordsterblichkeit bei Männern zeigt sich in allen Altersgruppen, insbesondere aber bei den über 75-Jährigen (siehe Abbildung 1.4.5). Während knapp dreimal so viel Männer wie Frauen tatsächlich einen Selbstmord verüben (Geschlechterverhältnis Männer zu Frauen: 2,8:1, alte Bundesländer: 2,8:1; neue Bundesländer: 3:1), entfallen zwei Drittel aller Suizidversuche auf Frauen. Allerdings liegen zuverlässige Zahlen wegen der wahrscheinlich hohen Dunkelziffer und der zum Teil kontroversen Definition von Suizidversuchen nicht vor. Vor allem in der Altersgruppe von 15 bis 24 Jahren wird der Frauenanteil an den Suizidversuchen als besonders hoch eingeschätzt. Beunruhigend ist die hohe Suizidrate unter hoch betagten Männern, die möglicherweise auf fehlende soziale Unterstützung in dieser Altersgruppe hinweist [120]; aber auch bei Frauen über 85 Jahren steigt die Selbstmordrate an. Von einem erhöhten Suizidrisiko sind Menschen mit Depressionen, unbehandelte Alkoholiker, Medikamenten- und Drogenabhängige sowie unheilbar Erkrankte betroffen. Alkohol bringt mehr Männer als Frauen ins Grab. Auch bei den Todesfällen infolge Alkoholkonsums lassen sich geschlechtsspezifische Unterschiede feststellen. Exemplarisch dafür sind die durch Alkohol verursachten psychischen und Verhaltensstörungen, zu denen beispielsweise Alkoholabhängigkeit und Alkoholvergiftungen gehören (ICD-10: F10), sowie die alkoholische Krankheit der Leber (ICD-10: K 70). Diese beiden Diagnosen wurden im Jahr 2004 bei insgesamt 11 213 verstorbenen Männern, aber nur bei 3 815 verstorbenen Frauen als Todesursache angegeben. Das geschlechtsspezifische Sterblichkeitsverhältnis betrug für die durch Alkohol bedingten psychischen und Verhaltensstörungen 3,7:1 (alte Bundesländer: 3,3:1; neue Bundesländer: 6,6:1). Bei den alkoholischen Leberschäden lag das Verhältnis bei 2,7:1 (alte Bundesländer: 2,4:1; neue Bundesländer: 3,6:1) (siehe Abbildung 1.4.6). Die Sterblichkeit bei alkoholbedingten Erkrankungen ist unter Männern in den neuen Bundesländern doppelt so hoch wie unter Männern in den alten Ländern. Bei Frauen sind die Sterblichkeit | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Unterschiede geringer ausgeprägt, allerdings liegt die durch Alkohol bedingte Sterblichkeit auch hier im Osten höher. Nach den Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 nehmen 31 Prozent der Männer und 16 Prozent der Frauen durchschnittliche Alkoholmengen zu sich, die über den Grenzwerten von 20 Gramm Alkohol pro Tag für Männer beziehungsweise zehn Gramm pro Tag für Frauen liegen [121]. In Deutschland konsumieren damit ein Drittel der Männer und ein Sechstel der Frauen alkoholische Getränke auf einem Niveau, das mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko einhergeht. Der ausgeprägte Alkoholkonsum bei Männern wird durch ein sozial und kulturell bestimmtes Rollenverhalten erklärt, das durch die Unterdrückung von Emotionen einerseits, das Ausleben von Aggressivität, Kontrolle, Macht und Dominanz andererseits gekennzeichnet ist [122]. 1.4.4 Säuglingssterblichkeit Die Säuglingssterblichkeit ist in den 1990er Jahren kontinuierlich gesunken. Die Säuglingssterblichkeit in Deutschland ist in den 1990er Jahren kontinuierlich gesunken und lag im Jahr 2004 bei 414 Todesfällen pro 100 000 Lebendgeborenen (siehe Abbildung 1.4.7). Dabei haben Jungen mit 450 Sterbefällen schlechtere Überlebenschancen als Mädchen (375). Im Jahr 2004 starben insgesamt 2 918 Säuglinge, davon waren 1 629 Jungen und 1 289 Mädchen. Der Rückgang der Säuglingssterblichkeit (Rate) zwischen 1990 und 2004 entspricht einer Minderung um 41 Prozent (neue Bundesländer, ohne Berlin-Ost: 46 Prozent; alte Bundesländer und Berlin-Ost: 40 Prozent). In Deutschland sterben weniger Säuglinge als im EU-Durchschnitt. Nachdem die Säuglingssterblichkeit in Deutschland (alte Bundesländer) in den 1960er Jahren noch deutlich höher als in den meisten westlichen Industrieländern gelegen hatte, begann sie in den 1970er Jahren durch Mutterschaftsvorsorgeuntersuchungen und bessere Schwangerenbetreuung sowie verstärkte Früherkennung von Krankheiten im Säuglingsalter zu sinken. Inzwischen liegt die Säuglingssterblichkeitsrate in Deutschland im europäischen Vergleich im unteren Drittel (siehe Abbildung 1.4.8). Noch besser schneiden Spanien, Schweden und Finnland ab. Nach den aktuellsten Zahlen sind sowohl die Frühals auch die Spät- und die Nachsterblichkeitsraten in Deutschland niedriger als im EU-15-Durchschnitt. Neben dem Geschlecht beeinflussen soziale Faktoren die Säuglingssterblichkeit. Der generelle Rückgang der Säuglingssterblichkeit hat auch die Unterschiede verringert, die zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen bestehen. Dabei sind jedoch nur Aussagen zur Ehelichkeit bei Geburt, zur Staatsangehörigkeit und zum Geschlecht des Kindes möglich. So lag das Sterberisiko im Jahr 1995 im Westen Deutschlands für nichteheliche Kinder nahezu doppelt so hoch wie im Gesamtdurchschnitt. Auch ausländische sowie männliche Säuglinge waren von einer erhöhten Säuglingssterblichkeit betroffen, allerdings in geringerem Maße als die nichtehelichen Kinder. Insgesamt starben im Jahr 1995 je 100 000 Lebendgeborene 640 nichteheliche und 510 eheliche Kinder. Hinsichtlich der Staatsangehörigkeit lag die Zahl der Verstorbenen bei 650 nichtdeutschen und 510 deutschen Kindern, hinsichtlich des Geschlechts bei 590 männlichen und 460 weiblichen Säuglingen [125]. 73 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Sterblichkeit 74 Sterbeziffer 60 50 40 30 20 10 0 <1 1–4 5–9 10 –14 F10, Männer 15– 19 20 –24 F10, Frauen 25– 29 30–34 35–39 K70, Männer 40– 44 K70, Frauen Abbildung 1.4.6: Sterbeziffer an psychischen und Verhaltensstörungen durch Alkohol sowie alkoholischer Leberkrankheit im Jahr 2004 (ICD-10: F 10 und K 70). Quelle: Todesursachenstatistik 2004, Statistisches Bundesamt [102] 900 Fälle 800 700 600 500 400 300 200 100 0 1990 91 92 93 Deutschland 94 95 96 97 Alte Länder* 98 99 00 2001 02 03 Neue Länder** * und Berlin-Ost ** ohne Berlin-Ost Abbildung 1.4.7: Entwicklung der Säuglingssterbefälle je 100 000 Lebendgeborene nach alten und neuen Bundesländern. Quelle: Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung, Statistisches Bundesamt [123] 04 45– 49 50 –54 55–59 60– 64 65– 69 70 –74 75–79 80–84 85–89 ≥90 Altersgruppe Sterblichkeit | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | 12 Todesfälle pro 1000 Lebendgeborene 10 8 6 4 2 0 1990 91 92 93 94 95 Deutschland 96 97 98 99 2000 01 02 03 04 Großbritannien Niederlande Abbildung 1.4.8: Entwicklung der Säuglingssterblichkeit im europäischen Vergleich. Quelle: HFA-Database, WHO Januar 2006 [124] Deutschland Thüringen Sachsen-Anhalt Sachsen Mecklenburg-Vorpommern Brandenburg Berlin Saarland Bayern Baden-Württemberg Rheinland-Pfalz Hessen Nordrhein-Westfalen Bremen Niedersachsen Hamburg Die Unterschiede in Bezug auf Staatsangehörigkeit und Geschlecht sind zwar weiterhin vorhanden, aber inzwischen deutlich schwächer ausgeprägt. So starben in Deutschland im Jahr 1999 pro 100 000 Lebendgeborene 540 nichtdeutsche und 440 deutsche Säuglinge. Noch geringer ist der Geschlechterunterschied: Im Jahr 2004 verstarben pro 100 000 Lebendgeburten 450 männliche und 375 weibliche Säuglinge. Hinsichtlich der Ehelichkeit hat sich das Verhältnis gegenüber 1995 sogar umgedreht. So starben im Jahr 2004 je 100 000 Lebendgeborenen 237 nichteheliche und 482 eheliche Kinder. Auch von Bundesland zu Bundesland variiert die Säuglingstodesfallrate. In Hamburg und Bayern war im Jahr 1990 die Säuglingssterblichkeit am geringsten, in Berlin und RheinlandPfalz am größten. Im Jahr 2004 dagegen fanden sich die niedrigsten Raten in Sachsen, Bayern und Baden-Württemberg, die höchsten in Nordrhein-Westfalen und Thüringen. Insgesamt ging die Säuglingssterblichkeit zwischen 1990 und 2004 in allen Bundesländern zurück (siehe Abbildung 1.4.9). Zu leichte Frühchen sterben häufig in der ersten Lebenswoche. Die Frühgeburt und ein (oft damit verbundenes) geringes Geburtsgewicht erhöhen das Sterberisiko neugeborener Kinder. Rund drei Viertel der Sterbefälle bei Neugeborenen mit einem Gewicht unter 1 000 Gramm sowie etwa die Hälfte der Sterbefälle bei Kindern mit einem Gewicht zwischen 1 000 und 2 500 Gramm ereignen sich innerhalb der ersten Woche nach Entbindung [126]. Ein zu geringes Geburtsgewicht und eine zu frühe Geburt können durch Zigaretten- und Alkoholkonsum in der Schwangerschaft sowie durch spätes Wahrnehmen der Vorsorgeuntersuchungen begünstigt werden. Der plötzliche Säuglingstod wird seltener und lässt sich fast völlig vermeiden. Beim plötzlichen Säuglingstod (Sudden Infant Death Syndrome, SIDS) handelt es sich um den unvermutet eintretenden Tod gesunder Säuglinge, der sich weder durch die Krankengeschichte oder die äußeren Umstände des Todes noch durch eine umfassende Obduktion erklären lässt. Der plötzliche Säuglingstod kommt vornehmlich zwischen dem 28. Lebenstag und dem Ende des ersten Lebensjahres vor, besonders häufig zwischen dem zweiten und vierten Lebensmonat. Häufig gehen harmlose Atemwegskrankheiten voraus. In den 1980er Jahren stiegen in Westdeutschland sowohl die Zahl der plötzlichen Todesfälle als auch ihr Anteil an der gesamten Säuglingssterblichkeit. Mit 1 283 Fällen im Jahr 1990 (1,4 Fälle pro 1 000 Lebendgeburten) war der plötzliche Säuglingstod für rund ein Fünftel der Säuglingssterblichkeit verantwortlich. 1995 lag der Anteil in Deutschland mit 751 Sterbefällen nur noch bei 1,0 Fällen pro 1 000 Lebendgeburten und ist Schleswig-Holstein 0 1 2 2004 3 4 5 6 7 8 1990 Abbildung 1.4.9: Entwicklung der Säuglingssterblichkeit nach Regionen. Quelle: Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung, Statistisches Bundesamt [123] 9 Definition Die Säuglingssterblichkeit bezeichnet die Rate der im ersten Lebensjahr versterbenden Kinder. Sie ist ein wichtiges Maß für den allgemeinen Lebensstandard und die Qualität der medizinischen Versorgung. Die Säuglingssterblichkeit wird meist als Zahl der Todesfälle pro 100 000 oder 1 000 Lebendgeborenen angegeben. Die Frühsterblichkeit ist die Rate der innerhalb der ersten Woche nach Entbindung versterbenden Neugeborenen. Sie betrifft vor allem Kinder, die frühgeboren und untergewichtig sind, mit Fehlbildungen zur Welt kommen oder unter den Folgen von Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen leiden. Die Spätsterblichkeit meint die Rate der im Alter von sieben bis 27 Tagen versterbenden Neugeborenen. Die Nachsterblichkeit bezeichnet die Rate der im Alter von 28 bis 364 Tagen versterbenden Säuglinge. 75 76 | Wie steht’s um unsere Gesundheit? | Literatur inzwischen auf 323 Fälle im Jahr 2004 (etwa 0,5 Fälle pro 1 000 Lebendgeburten) gesunken. Zum Rückgang des plötzlichen Säuglingstodes haben Informations- und Präventionskampagnen entscheidend beigetragen. Nach verschiedenen Studien tritt der plötzliche Kindstod vermehrt auf, wenn die Mütter zur Unterschicht gehören, jung sind oder kurz zuvor bereits ein Baby geboren hatten. Bei männlichen Säuglingen ist das Risiko um etwa 50 Prozent höher als bei weiblichen (SIDS-Fälle 2004: 200 Jungen, 123 Mädchen). Wenn das Kind in Bauchlage schläft oder überwärmt ist und wenn die Mutter während der Schwangerschaft oder in der Umgebung des Kindes raucht, kommt es offenbar häufiger zum plötzlichen Säuglingstod. Die Deutsche Akademie für Kinderheilkunde empfiehlt daher in Übereinstimmung mit internationalen Empfehlungen: Säuglinge sollten im ersten Lebensjahr in Rückenlage schlafen; Säuglinge sollten so ins Bett gelegt werden, dass ihr Kopf nicht durch Bettzeug bedeckt werden kann; Säuglinge sollten im elterlichen Schlafzimmer, aber im eigenen Bett schlafen; Säuglinge sollten sowohl vor als auch nach der Geburt in einer rauchfreien Umgebung aufwachsen; Raumtemperatur und Bettdecke sollten so gewählt werden, dass es für das Kind angenehm, das heißt weder zu warm noch zu kalt ist. Internationale Erfahrungen belegen, dass sich der plötzliche Kindstod durch diese Maßnahmen nahezu vollständig vermeiden lässt [127]. So gibt es in den Niederlanden inzwischen nur noch 0,1 Fälle von plötzlichem Säuglingstod pro 1 000 Lebendgeborenen. Literatur 1 GBE (1998) Kap. 3.2 Allgemeine Sterblichkeit und Lebenserwartung. 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(Seite 91) Ω Jährlich werden etwa 20 000 Personen durch Unfälle getötet, über acht Millionen verletzt; die meisten Unglücke ereignen sich zu Hause und in der Freizeit. (Seite 93) Ω Die mit Abstand wichtigsten Nahrungsenergiequellen der Deutschen sind Milchprodukte und Brot. (Seite 97) Ω Rund ein Drittel der Erwachsenen treibt überhaupt keinen Sport. (Seite 103) Ω Jeder dritte Erwachsene in Deutschland raucht, fast jeder zehnte raucht stark. Fast jedes zweite Kind raucht passiv. (Seite 107) Ω Bei rund 40 000 Todesfällen im Jahr ist Alkohol zumindest als Teilursache im Spiel. (Seite 109) Ω Die Hälfte der 16- bis 19-Jährigen betrinkt sich mindestens einmal im Monat. (Seite 111) Ω Bei jedem dritten Bundesbürger oder Bundesbürgerin sind die Gesamtcholesterinwerte zu hoch. (Seite 117) Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 2 Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? Ω Zusammenfassung Die Gesundheit und Lebenserwartung der Deutschen wird in erheblichem Maße von der sozialen Lage und dem Bildungsniveau, dem individuellen Lebensstil sowie Belastungen aus der Umwelt beeinflusst. Arbeitslosigkeit und armutsgefährdete Lebenslagen, gering ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein, Luftverschmutzung und Lärmbelastung, Tabak- und Alkoholkonsum spielen dabei ebenso eine Rolle wie abträgliche Ernährungsgewohnheiten und mangelnde körperliche Aktivität, Übergewicht, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen. Diese Einflussgrößen, die insbesondere für chronische Krankheiten mit bestimmend sind, bieten zugleich zahlreiche Anknüpfungspunkte für Prävention und Gesundheitsförderung. Insgesamt zeichnet sich für die verschiedenen Faktoren ein heterogenes Bild. Sowohl positive als auch negative Trends lassen sich beobachten. So haben sich die allgemeinen Lebensbedingungen in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich verbessert. Gleichzeitig haben jedoch angesichts schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit Ungleichheit und Armutsrisiken tendenziell zugenommen. Vor allem Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, allein erziehende Frauen und in diesem armutsgefährdenden Umfeld aufwachsende Kinder sind ungünstigeren Gesundheitschancen ausgesetzt. Ähnlich geteilt fällt die Bewertung der für Gesundheit und Wohlbefinden bedeutsamen Umwelteinflüsse aus. Insgesamt ließen sich die Umweltbelastungen dank zahlreicher gesetzlicher Regelungen verringern. Gleichwohl können die seit 2005 geltenden Grenzwerte für Feinstaubpartikel (PM10) in vielen deutschen Großstädten nicht eingehalten werden. In Innenräumen spielt der Einfluss des Passivrauchens auf die Gesundheit von Kindern eine nach wie vor große Rolle. Zudem leidet ein Teil der Deutschen unter andauernden Lärmbelastungen, die beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen können. Trotz großer Fortschritte in der Unfallbekämpfung in den vergangenen Jahrzehnten stehen Unfälle bei den 18- bis 25-Jährigen weiterhin an vorderster Stelle der Todesursachenstatistik. Die Ernährungsgewohnheiten der Deutschen haben sich in mancher Hinsicht verbessert. So werden mehr Obst und Gemüse, mehr ballaststoff- und kohlenhydratreiche Kost und mehr nichtalkoholische Getränke konsumiert als Ende der 1980er Jahre. Frauen ernähren sich dabei im Schnitt etwas gesünder als Männer. Allerdings ist auch der Verbrauch von Fertigprodukten, Fast Food und Nahrungsergänzungsmitteln gestiegen. Während die Kost der Deutschen eine ausreichende Zufuhr der meisten Vita- mine und Mineralstoffe gewährleistet, besteht bei einigen Bevölkerungsgruppen eine Unterversorgung mit Vitamin E, Vitamin D, Folsäure, Jod und Kalzium. Deutliche Defizite lassen sich weiterhin bei der körperlichen Aktivität feststellen. Obwohl sich bei einem Teil der Bevölkerung in den 1990er Jahren eine Steigerung des Aktivitätsniveaus beobachten ließ, bewegen sich viele Personen im Alltag zu wenig. Dies lässt sich unter anderem auf sitzende Tätigkeiten und eine veränderte Freizeitgestaltung mit starker Nutzung der Massenmedien zurückführen. Gleichermaßen der Gesundheit abträglich ist das Zigarettenrauchen, das in Deutschland nach wie vor zu den bedeutendsten gesundheitlichen Risikofaktoren gehört. Zwar ist der Tabakkonsum bei Männern in den letzten Jahren leicht zurückgegangen, doch nimmt er bei Frauen zu. Dadurch beginnt sich das Rauchverhalten zwischen den Geschlechtern anzugleichen. Eine große Rolle spielt zudem der Alkoholkonsum. Ein Drittel der Männer und knapp ein Sechstel der Frauen konsumieren alkoholische Getränke in Mengen, die bereits mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko einhergehen. Besonders problematisch ist der Alkoholverbrauch von Jugendlichen, unter denen die Zahl von Rauschtrinkern und -trinkerinnen wächst. In engem Zusammenhang mit dem Lebensstil stehen auch Risikofaktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen. In Deutschland sind etwa ein Drittel der Frauen und die Hälfte der Männer übergewichtig, wobei Übergewicht und insbesondere Adipositas (Fettsucht) mit steigendem Lebensalter häufiger werden. Sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen sind dabei besonders betroffen. Obwohl inzwischen viele Einflussgrößen von Gesundheit und Krankheit bekannt sind und sie eine Reihe genereller Gesundheitstrends in Deutschland erklären, bleibt im Einzelfall häufig unklar, warum manche Menschen bis ins hohe Alter ein gesundes und aktives Leben führen, andere dagegen schon früh an schwerwiegenden Erkrankungen leiden. Offenbar spielen inter individuelle Unterschiede eine maßgebliche Rolle. Bei Bluthochdruck und Übergewicht beispielsweise besitzen genetische Veranlagungen möglicherweise einen entscheidenden Einfluss. Allerdings gibt es dazu für die deutsche Bevölkerung bisher kaum belastbare Daten. Ebenso wenig lässt sich derzeit genau ausmachen, welche Rolle bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Aggressivität, Selbstzufriedenheit oder Optimismus spielen. Gleichwohl dürften auch diese Faktoren die Gesundheit und Lebensqualität der Deutschen mitbestimmen. 81 82 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Soziale Lage und Gesundheit Männer Frauen Deutsche Ausländer Kinder (unter 15 Jahren) Erwachsene im erwerbsfähigen Alter (15–64 Jahre) Ältere Menschen (ab 65 Jahre) Allein erziehende Frauen Allein erziehende Männer Früheres Bundesgebiet ohne Berlin Neue Länder ohne Berlin Bezieher insgesamt 0 5 10 * Bezieher laufender Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen am 31. 12. 2004. Quelle: Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung [5] und Fachserie 13/Reihe 2.1 [6] Abbildung 2.1.1: Sozialhilfequoten* in verschiedenen Bevölkerungsgruppen am Jahresende 2004 (in Prozent der jeweiligen Bevölkerungsgruppe) 15 20 25 30 Soziale Lage und Gesundheit | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 2.1 Soziale Lage und Gesundheit Ω Zusammenfassung Der allgemeine Lebensstandard, das Durchschnittseinkommen sowie das Bildungsniveau in Deutschland sind in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Gleichzeitig haben jedoch angesichts schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit Ungleichheit und Armutsrisiken tendenziell zugenommen. So hat sich der Anteil der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger an der Bevölkerung seit Anfang der 1960er Jahre von unter einem auf über drei Prozent im Jahr 2002 erhöht. Auch die Zahl der von Einkommensarmut bedrohten Menschen ist angestiegen. Derzeit sind 13,5 Prozent der Bevölkerung einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt. Kinder und Jugendliche sind dabei überdurchschnittlich, ältere Menschen, vor allem ab 65 Jahren, unterdurchschnittlich betroffen. Sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen sind durch stärkere Arbeitsbelastungen, schlechtere Wohnverhältnisse, vermehrten Zigarettenkonsum, häufigeres Übergewicht und größeren Bewegungsmangel einem teilweise deutlich erhöhten Krankheitsrisiko ausgesetzt [1, 2]. Leiden wie Schlaganfall, chronische Bronchitis, Schwindel, Rückenschmerzen und Depressionen sind in der unteren Sozialschicht sowohl bei Frauen wie Männern häufiger als in der oberen Schicht. Eine besondere Risikogruppe stellt die gewachsene Zahl der Arbeitslosen dar. Bei den 20- bis 59-Jährigen leiden knapp 50 Prozent der arbeitslosen, dagegen rund 30 Prozent der erwerbstätigen Männer und Frauen unter gesundheitlichen Beschwerden. Dies führt bei Arbeitslosen im Vergleich mit Erwerbstätigen zu einer etwa doppelt so großen Zahl von Krankenhaustagen. Schlechter gestellt sind auch die mehr als eine Million allein erziehenden Frauen. Ende 2002 war jede vierte von ihnen sozialhilfeabhängig. Allein erziehende Mütter sind generell unzufriedener mit ihrer Lebenssituation als verheiratete Mütter und leiden vermehrt unter Bronchitis, Leber- und Nierenleiden sowie psychischen Erkrankungen. Bei den deutlich weniger zahlreichen allein erziehenden Vätern finden sich diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht. 2.1.1 Armut und soziale Ungleichheit Die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland ist gekennzeichnet durch eine sukzessive Zunahme des allgemeinen Wohlstandes und Lebensstandards. Armut und soziale Ausgrenzung sind aber nicht nur Randphänomene, sondern betreffen auch Menschen in mittleren Wohlstandslagen. Zurückzuführen ist dies unter anderem auf schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und den Wandel von Lebens- und Haushaltsformen. Auch die Wiedervereinigung Deutschlands, die Zuwanderung von Menschen aus ökonomisch schwächeren Ländern und die demografische Alterung gehen mit großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen einher [3]. Methodische Anmerkung Der überwiegende Teil der Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger im engeren Sinne wurde letztmalig zum Jahresende 2004 in der amtlichen Sozialhilfestatistik Armut und soziale Ausgrenzung schränken die Lebensbedingungen und Teilhabechancen der Betroffenen ein und können nachhaltige Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Festmachen lässt sich dies beispielsweise am Einfluss der Sozialschicht auf der Gesundheit. Für die Entwicklung einer Politik, die auf eine Stärkung der sozialen Integration zielt, ist daneben die gesundheitliche Situation von Menschen in solchen Lebenslagen von Bedeutung, die durch spezifische soziale Nachteile und Gesundheitsgefährdungen charakterisiert sind, wie Arbeitslose und allein erziehende Mütter. Das Armutsrisiko ist angestiegen. Der Anstieg des Lebensstandards, des Durchschnittseinkommens sowie des Bildungsniveaus in Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten angesichts schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit nicht zu einer Verringerung von Ungleichheit und Armutsrisiken geführt. So ist das Durchschnittseinkommen in Deutschland in den letzten Jahrzehnten einschließlich der Zeit nach der Wiedervereinigung gestiegen. Im Jahr 2003 lag das so genannte Nettoäquivalenzeinkommen, bei dem neben dem Haushaltsnettoeinkommen auch die Anzahl und das Alter der Haushaltsmitglieder berücksichtigt wird, im Schnitt bei monatlich 1 740 Euro (Median: 1 564 Euro). Dies entspricht einem Anstieg um etwa 17 Prozent innerhalb der letzten 10 Jahre. Dabei war der prozentuale Zuwachs in den neuen Ländern, wo das Einkommen deutlich niedriger als in den alten Ländern ist, noch stärker ausgeprägt. Gleichzeitig ist jedoch auch die Zahl der von Einkommensarmut bedrohten Menschen angestiegen. Nach einer auf EUEbene erzielten Vereinbarung besteht ein Armutsrisiko, wenn das Nettoäquivalenzeinkommen weniger als 60 Prozent des gesellschaftlichen Mittelwertes (Median) beträgt [3]. Bundesweit stieg der Anteil der von einem Einkommensarmutsrisiko betroffenen Menschen von 11,7 Prozent im Jahr 1993 auf 13,5 Prozent im Jahr 2003. Kinder und Jugendliche sind dabei überdurchschnittlich, ältere Menschen, vor allem ab 65 Jahren, dagegen unterdurchschnittlich betroffen. Diese Entwicklung betrifft insbesondere die alten Bundesländer. Doch auch in den neuen Ländern ist die Zahl der mit einem Armutsrisiko lebenden Personen zwischen 1998 und 2003 nach einem Rückgang in den Vorjahren erneut angestiegen. Hinzu kommt, dass der Anteil der von Armut bedrohten Bevölkerung in den neuen Bundesländern mit derzeit 19,3 Prozent ohnehin deutlich höher liegt als in den alten Ländern (12,2 Prozent) [4]. Drei Prozent der deutschen Bevölkerung sind sozialhilfeabhängig. Seit Anfang der 1960er Jahre hat sich die Sozialhilfequote, also der Anteil der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger in der Bevölkerung, von einem auf 3,5 Prozent im Jahr 2004 erhöht (siehe Abbildung 2.1.1). Der Negativtrend zeigte sich nach der Wiedervereinigung sowohl in den alten als auch den neuen Ländern. Dass die Sozialhilfequote in den neuen Ländern lange Zeit niedriger lag als in den alten, hängt mit der insgesamt höheren Erwerbsquote und den kontinuierlichen Erwerbsbiographien in Ostdeutschland zusammen, die einen längerfristigen Anspruch auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe begründeten. Im Jahr 2004 lagen die Quoten erstmals gleich hoch (3,3 Prozent). erfasst. Seit dem In-Kraft-Treten des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt („Hartz IV“) zum 1. Januar 2005 erhalten bisherige Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger, die grundsätzlich erwerbsfähig sind, sowie deren Familienangehörige Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und werden in der dortigen Statistik erfasst. 83 84 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Soziale Lage und Gesundheit Männer Frauen Prävalenz2 OR (US:OS)3 Prävalenz2 OR (US:OS)3 Herzinfarkt 3,3 % 1,56 1,9 % 2,15* Schlaganfall 1,6 % 2,56** 1,7 % 2,01 Diabetes mellitus 3,8 % 0,39**5 4,1 % 2,02** Chronische Bronchitis 6,7 % 1,51* 9,6 % 1,52* 5,2 % 1,33 6,1 % 1,09 15,8 % 1,10 22,2 % 1,18 – 15,1 % 1,23 Asthma bronchiale Arthrose Osteoporose4 – Rückenschmerzen 24,4 % 1,49** 30,4 % 1,44*** Schwindel 22,4 % 1,76*** 36,4 % 1,52*** Depression 12,5 % 2,01*** 20,8 % 1,58*** Signifikanzniveaus: *** p < 0,001 ** p < 0,01 * p < 0,05 1 alle Angaben beruhen auf einer Selbsteinschätzung der Befragten, nicht auf einer ärztlich gestellten Diagnose 2 Auftretenshäufigkeit bei 18-jährigen und älteren Männern bzw. Frauen 3 OR = Odds Ratios: Wahrscheinlichkeit des Auftretens in der Unterschicht (US) im Vergleich zur Oberschicht (OS) unter Berücksichtigung von Alterseffekten 4 Angaben zu Osteoporose wurden nur bei Frauen ab 45 Jahren erhoben 5 Im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 (BGS98) zeigte sich, dass sowohl Frauen als auch Männer aus der Unterschicht verstärkt von Diabetes mellitus betroffen sind. Der Unterschied zu den Angaben aus dem Telefonischen Gesundheitssurvey ist wahrscheinlich auf unterschiedliche Erhebungsmethoden zurückzuführen. Im BGS98 fand eine ärztliche Untersuchung statt, im Telefonsurvey wurden Selbstangaben der Studienteilnehmer erfasst. Es ist denkbar, dass ein Teil der an Diabetes mellitus erkrankten Männer aus der niedrigsten Sozialschicht von der eigenen Erkrankung nichts weiß. Tabelle 2.1.1: Verbreitung chronischer Krankheiten und Beschwerden in der Bevölkerung ab 18 Jahren und relative Häufigkeit in der Unterschicht im Vergleich zur Oberschicht1. Quelle: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003 [10] Männer Frauen Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Rauchen 47,4 % 37,8 % 29,0 % 30,1 % 29,5 % Starkes Übergewicht1 22,3 % 18,9 % 16,2 % 31,4 % 20,3 % 9,9 % Hypercholesterinämie 33,1 % 30,9 % 35,7 % 39,9 % 33,0 % 32,5 % Sportlich inaktiv 67,9 % 61,4 % 51,9 % 78,5 % 62,5 % 51,4 % Hypertonie 22,1 % 24,8 % 25,6 % 26,8 % 20,2 % 16,8 % 25,0 % 1 Body-Mass-Index (BMI) > 30 kg/m2 Tabelle 2.1.2: Prävalenz verhaltensbezogener Risikofaktoren nach sozialer Schichtzugehörigkeit in der 18- bis 79-jährigen Bevölkerung. Quelle: BundesGesundheitssurvey 1998 [16] Das soziale Gefälle bei der Gesundheit wird größer Das soziale Gefälle bei der Erkrankungshäufigkeit und den Sterberaten nimmt eher zu als ab. Das legen Studien aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Skandinavien und den Niederlanden nahe [11, 18, 19]. Für Deutschland lässt sich von einer ähnlichen Entwicklung ausgehen, da sich soziale Ungleichheiten auszuweiten scheinen und eine wachsende Zahl von Menschen durch Armut bedroht ist. Bislang gibt es für die Situation hier zu Lande nur wenige aussagekräftige Daten. Aufschlussreich sind zwei neuere Studien, die auf Daten der Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts und des Bertelsmann Gesund- heitsmonitors beruhen. Den beiden Untersuchungen zufolge ist die Häufigkeit von Zigarettenkonsum, Übergewicht und Adipositas (Fettsucht) in den sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen seit Mitte der 1980er Jahre überproportional gewachsen [20, 21]. Soziale Lage und Gesundheit | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Kinder und Jugendliche lebten überproportional häufig von Sozialhilfe. Ein Grund dafür ist, dass Alleinerziehende sowie kinderreiche Familien verstärkt in Sozialhilfeabhängigkeit geraten, da die Kindererziehung Kosten verursacht, die durch den Familienlastenausgleich nur teilweise gedeckt werden. Gleichzeitig nimmt die Erziehung der Kinder viel Zeit in Anspruch und beeinträchtigt die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt und die Einkommenschancen. Außerdem lag die Sozialhilfequote im Berichtsjahr bei Ausländern mit 8,7 Prozent deutlich über dem Vergleichswert für Deutsche (3,0 Prozent). Bildung hängt mit der sozialen Herkunft zusammen. Ein positiver Trend lässt sich beim Bildungsniveau feststellen, das ebenso wie der finanzielle Status einen wichtigen Einfluss auf die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten nimmt. Während zu Beginn der 1970er Jahre fast zwei Drittel der Schulabgängerinnen und -abgänger lediglich einen Volks- oder Hauptschulabschluss hatten, lag dieser Anteil im Jahr 2002 nur noch bei 32,3 Prozent. Dagegen erlangten 41,3 Prozent die mittlere Reife und 26,4 Prozent die allgemeine Hochschul- oder Fachhochschulreife [7]. Im gleichen Zeitraum haben sich die Geschlechterunterschiede bei der Bildungsbeteiligung umgekehrt. So schlossen in den 1970er Jahren 13 Prozent der Männer und neun Prozent der Frauen ihre Schullaufbahn mit dem Abitur ab, inzwischen sind es bei den Frauen 29 und bei den Männern 21,5 Prozent. Zudem stellen Frauen, anders als noch vor einigen Jahren, die Mehrheit der Studienanfänger an den Universitäten und holen auch im Hinblick auf die Absolventenzahlen und Promotionen kontinuierlich auf [8]. Durch die insgesamt höhere Bildungsbeteiligung verschlechtern sich gleichzeitig aber auch die Teilhabechancen der bildungsfernen Bevölkerungsgruppen. Ein niedriger Bildungs- und Berufsabschluss vermindert die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und erhöht das Arbeitslosigkeitsrisiko [3]. Im Jahr 2003 verließen 9 Prozent der Abgängerinnen und Abgänger von allgemein bildenden Schulen die Schule ohne Hauptschulabschluss und fast 15 Prozent der 20- bis 29-Jährigen waren ohne beruflichen Bildungsabschluss. Von den ausländischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen waren rund 35 Prozent ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Außerdem lässt sich feststellen, dass die Bildungsbeteiligung mit der sozialen Herkunft zusammenhängt. So belegt die PISA-Studie aus dem Jahr 2000, dass die Chance des Besuchs eines Gymnasiums für ein Kind aus einem Elternhaus mit hohem sozialen Status 3,1-mal so hoch war wie für ein Facharbeiterkind. Zum Teil noch größere Unterschiede zeigen sich beim Zugang zu Universitäten und Fachhochschulen [3]. Viele chronische Leiden treten in der unteren Sozialschicht häufiger auf. Dass die Gesundheit von der Schichtzugehörigkeit mitbestimmt wird, hat eine Vielzahl nationaler und internationaler Studien belegt [2, 9 – 11]. Für Deutschland liegen Definition Bei Analysen zum Einfluss sozialer Ungleichheit auf die Gesundheit wird häufig das Konzept der Sozialschicht genutzt. Es geht von einer vertikalen Gliederung der Gesellschaft aus, die mit sozialen Vor- und Nachteilen verbunden ist [12]. Um die Sozialschichtzugehörigkeit zu bestimmen, kann für empirische Untersuchungen auf einen so genannten Schichtindex zurückgegriffen werden, der das Haushaltsnettoeinkommen, das Bildungsniveau und den Berufsstatus einbezieht und zu einer Unterscheidung zwischen Unter-, Mittel- und Oberschicht führt [13]. Der Schichtindex ist ein statistisches Konstrukt und kann die gesellschaftliche Wirklichkeit nur teilweise abbilden. durch den Telefonischen Gesundheitssurvey 2003 aktuelle Daten zu schichtspezifischen Unterschieden bei chronischen Krankheiten und Beschwerden vor (siehe Tabelle 2.1.1). So sind Schlaganfälle, Rückenschmerzen, chronische Bronchitis und Schwindel bei Männern in der Unterschicht häufiger als in der Oberschicht. Für Frauen lässt sich zusätzlich ein verstärktes Vorkommen von Herzinfarkten und Diabetes mellitus am unteren Ende des Schichtgefüges beobachten. Den Daten zufolge sind dabei die Erkrankungswahrscheinlichkeiten um den Faktor 1,5 bis 2,5 erhöht. Auch die psychische Gesundheit ist in unteren Sozialschichten schlechter. Nach den Selbstauskünften der Befragungsteilnehmer leiden Männer aus der Unterschicht 2-mal häufiger und Frauen aus der Unterschicht 1,6-mal häufiger an einer Depression als Männer und Frauen aus der Oberschicht. Anhand von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), einer jährlichen Haushaltsbefragung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, wurde zudem wiederholt auf die höhere Rate vorzeitiger Todesfälle bei Angehörigen sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen hingewiesen [14, 15]. Zigarettenkonsum und Übergewicht sind in der unteren Schicht stärker verbreitet. Die schichtspezifischen Unterschiede bei der Erkrankungshäufigkeit gehen möglicherweise nicht nur auf die ungleiche Verteilung von Belastungen und Ressourcen zurück, sondern auch auf ein unterschiedliches Gesundheitsverhalten. Nach Daten des Bundes-Gesundheitssurvey 1998 lässt sich für verschiedene Risikofaktoren, die eng mit dem Lebensstil zusammenhängen, ein ausgeprägtes Schichtgefälle feststellen (siehe Tabelle 2.1.2). So rauchen Männer aus der Unterschicht deutlich häufiger als Männer aus der Oberschicht. Bei Frauen aus der unteren Sozialschicht lassen sich insbesondere starkes Übergewicht und Bewegungsmangel vermehrt beobachten. Zudem finden sich bei ihnen höhere Cholesterin- und Blutdruckwerte. Gesellschaftliche Ungleichheiten schlagen sich auch in der subjektiven Gesundheit nieder. So bewerten Angehörige der unteren Sozialschichten ihre eigene Gesundheit zu einem deutlich größeren Anteil als „schlecht“ oder „sehr schlecht“ (siehe Abbildung 2.1.2). Der schichtspezifische Unterschied findet sich in ähnlichem Maße bei Männern und Frauen sowie in den alten und neuen Bundesländern und blieb während der vergangenen fünf Jahre im Wesentlichen erhalten. Unklar ist derzeit, inwieweit die gesundheitliche Versorgung von der Schichtzugehörigkeit abhängt. Einerseits garantiert die gesetzliche Krankenversicherung einen weitgehend einkommensunabhängigen Zugang zum medizinischen Versorgungssystem. Andererseits spielen in den letzten Jahren Zuzahlungen und direkte Käufe von medizinischen Leistungen eine zunehmende Rolle. Allerdings sind die Selbstbeteiligungen im internationalen Vergleich in Deutschland immer noch moderat. Wie einzelne Untersuchungen zeigen, konsultieren die Angehörigen sozial besser gestellter Bevölkerungsgruppen häufiger Fachärzte und Fachärztinnen, während die Angehörigen der unteren Schicht im Bedarfsfall eher ihre Hausärztin oder ihren Hausarzt aufsuchen [22]. Zudem beteiligen sich Personen aus der Ober- und auch der Mittelschicht in einem höheren Maße an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen und gesundheitsfördernden Maßnahmen [2, 23]. Ω Umfassende Informationen zu sozialer Ungleichheit und Gesundheit finden sich in der Expertise Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit des Robert Koch-Instituts zum 2. Armutsund Reichtumsbericht [17]. 85 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Soziale Lage und Gesundheit 86 20 Prozent 1998 2003 15 10 5 0 Männer West Frauen West Unterschicht Männer Ost Frauen Ost Mittelschicht Männer West Frauen West Männer Ost Frauen Ost Oberschicht Abbildung 2.1.2: Anteil der Männer und Frauen in den alten und neuen Bundesländern, die ihre eigene Gesundheit als schlecht oder sehr schlecht bewerten. Quelle: Bundes-Gesundheitssurvey 1998 und Telefonischer Gesundheitssurvey 2003 [17] Chronische Krankheit oder Gesundheitsstörung Männer Frauen % OR % OR Erwerbstätig (mind. 15 h/Woche) 27,7 Ref. 35,0 Früher arbeitslos (letzte 5 Jahre) 29,7 1,28* 33,9 Ref. Aktuell arbeitslos (< 12 Monate) 35,2 1,68* 51,6 2,08** Aktuell arbeitslos (≥ 12 Monate) 59,2 3,68*** 48,8 1,58 1,03 Gesundheitsbedingte Einschränkung im Alltagsleben Männer Frauen % OR % OR Erwerbstätig (mind. 15 h/Woche) 24,7 Ref. 26,5 Früher arbeitslos (letzte 5 Jahre) 31,0 1,52*** 28,3 Aktuell arbeitslos (< 12 Monate) 23,1 1,04 51,6 3,08*** Aktuell arbeitslos (≥ 12 Monate) 51,9 3,19*** 40,2 1,67* %: Häufigkeiten in Prozent OR: Odds Ratio nach Adjustierung für Alter Ref.: Referenzkategorie Signifikanzniveau: *** p < 0,001; ** p < 0,01; * p < 0,05 Tabelle 2.1.3: Gesundheitsprobleme in Abhängigkeit von der Arbeitslosigkeitsdauer bei 20- bis 59-jährigen Männern und Frauen. Quelle: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003 Ref. 1,17 Soziale Lage und Gesundheit | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 2.1.2 Arbeitslosigkeit Arbeitslose sind von einem erhöhten Krankheits- und Sterberisiko betroffen. Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland hat seit der Wiedervereinigung deutlich zugenommen. Im August 2005 waren mehr als 4,7 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von fast 10 Prozent in den alten und über 18 Prozent in den neuen Bundesländern. Dabei sind nicht nur gering qualifizierte, sondern auch gut ausgebildete Personen betroffen. Arbeitslosigkeit besitzt nicht nur negative finanzielle Folgen, sondern geht häufig auch mit verstärkten psychosozialen Belastungen sowie dem Verlust von Selbstwertgefühl und sozialen Beziehungen einher [24]. Die gesundheitlichen Konsequenzen der Arbeitslosigkeit werden durch zahlreiche empirische Studien dokumentiert. So ist bei Arbeitslosen die körperliche und psychische Gesundheit schlechter und das Risiko eines vorzeitigen Todes höher als beim Bevölkerungsdurchschnitt [25 – 27]. Im Telefonischen Gesundheitssurvey 2003 gaben 48,3 Prozent der Arbeitslosen im Alter von 20 bis 59 Jahren an, gegenwärtig an einer Krankheit oder Gesundheitsstörung zu leiden. Fast 40,5 Prozent von ihnen sind nach eigener Auskunft durch gesundheitliche Probleme in der Alltagsgestaltung beeinträchtigt. Unter den Erwerbstätigen dagegen liegen die entsprechenden Werte bei 30,7 beziehungsweise 25,4 Prozent. Die Gesundheitsprobleme nehmen bei Männern mit der Dauer der Arbeitslosigkeit zu, während Frauen durch Kurzzeitarbeitslosigkeit genauso stark oder sogar stärker als durch Langzeitarbeitslosigkeit beeinträchtigt sind (siehe Tabelle 2.1.3). Der Geschlechterunterschied lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass sich viele Frauen aufgrund kürzerer oder brüchigerer Erwerbsbiographien nur kurzzeitig arbeitslos melden und zudem eher als Männer durch die Ehe oder Partnerschaft sozial abgesichert sind. Darüber hinaus könnte die Arbeitslosigkeit bei Männern aufgrund der gesellschaftlichen Festlegung auf die Erwerbsrolle das Selbstbild stärker beeinträchtigen und als belastender erlebt werden [28]. Arbeitslose sind häufiger Klientinnen und Klienten des Gesundheitssystems. Entsprechend ihrer schlechteren Gesundheitssituation nehmen Arbeitslose das medizinische Versorgungssystem verstärkt in Anspruch. So registrierte die Gmünder Ersatzkasse (GEK) im Jahr 2000 bei Arbeitslosen deutlich mehr Krankenhaustage als bei Erwerbstätigen (Männer: 2 257 Tage bei Arbeitslosen versus 963 Tage bei Erwerbstätigen je 1 000 Versicherungsjahren und unter Berücksichtigung der Altersstruktur; Frauen: 2 162 versus 1 263 Tage). Das entspricht einem Verhältnis von 2,3 : 1 bei Männern und 1,7 : 1 bei Frauen. Noch ausgeprägter sind die Unterschiede bei bestimmten Erkrankungsgruppen (siehe Abbildungen 2.1.3 und 2.1.4). So verbringen arbeitslose Männer wegen psychischer und Verhaltensstörungen nahezu siebenmal mehr Tage im Krankenhaus als erwerbstätige Männer. Bei Frauen beträgt das Verhältnis 3:1. Deutliche Differenzen finden sich zudem bei Infektionen, Stoffwechselerkrankungen, Krankheiten der VerdauungsorDefinition Die Bundesagentur für Arbeit definiert Arbeitslose im Sinne des § 16 SGB III als Arbeitssuchende bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, die nicht oder mit weniger als 15 Stunden wöchentlich in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, sofort eine Arbeit aufnehmen könnten und sich persönlich arbeitslos gemeldet haben. In Bevölkerungsstudien wird aber zumeist nur danach gefragt, ob beim Arbeitsamt eine Meldung vorliegt oder ob die Befragten sich als arbeitslos bezeichnen. gane, Verletzungen und Vergiftungen sowie bei Schwangerschaft und Geburt. Trotz der hohen Krankenhausverweildauern im Vergleich mit Erwerbstätigen ist die absolute Zahl der therapiebedürftigen Arbeitslosen gleichwohl recht gering. Beispielsweise wurden im Jahr 2002 weniger als drei Prozent der bei der GEK versicherten arbeitslosen Männer wegen psychischer Störungen behandelt. Männer ohne Arbeit rauchen mehr und treiben weniger Sport. Vor allem bei Männern geht Arbeitslosigkeit vermehrt mit gesundheitlich riskanten Verhaltensmustern einher: Arbeitslose rauchen häufiger und treiben weniger Sport. Zudem sind sie zu einem größeren Anteil übergewichtig, was auf eine ungesunde Ernährung hindeuten könnte [27]. Nach den Daten der Gmünder Ersatzkasse könnte insbesondere unter langzeitarbeitslosen Männern und Frauen auch die Sterblichkeit erhöht sein. Unklar bleibt allerdings, in welchem Maße die Arbeitslosigkeit tatsächlich die Ursache der größeren gesundheitlichen Risiken darstellt. Umgekehrt könnten gesundheitliche Einschränkungen mit ein Grund für den Verlust des Arbeitsplatzes sein. So führte im Telefonischen Gesundheitssurvey 2003 jeder vierte arbeitslose Mann die eigene Arbeitslosigkeit auf eine Erkrankung zurück, unter den langzeitarbeitslosen Männern sah darin sogar jeder dritte den Grund für den Jobverlust. Bei den Frauen lagen die entsprechenden Anteile mit 15 und 12 Prozent allerdings deutlich niedriger [28]. Abschließend beantworten ließe sich die Frage nach der ursächlichen Rolle der Arbeitslosigkeit nur mit Längsschnittuntersuchungen, die einen Vergleich des Gesundheitszustandes vor und nach dem Arbeitsplatzverlust ermöglichen. Bisher stehen solche Daten kaum zur Verfügung. Ω Umfassende Informationen zu Arbeitslosigkeit und Gesundheit finden sich in Heft 13 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [27]. 2.1.3 Allein erziehende Frauen Die Zahl der allein erziehenden Mütter steigt. Während allein erziehende Männer ökonomisch nicht schlechter gestellt sind als Familienväter, sehen sich Frauen, die alleine für ihre Kinder sorgen, vielfältigen Nachteilen gegenüber. Dazu gehören schlechtere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt, ein niedrigeres Einkommen und eine häufigere Sozialhilfeabhängigkeit [28 – 30]. In den letzten Jahren hat die Zahl der Alleinerziehenden in Deutschland stetig zugenommen und lag 2003 bei 1,5 Millionen allein erziehenden Eltern mit Kindern unter 18 Jahren. Bezogen auf alle Familien mit Kindern, entsprach dies einem Anteil von 15,8 Prozent in den alten und 22,3 Prozent in den neuen Bundesländern. Rund 87 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen, die geschieden, verheiratet getrennt, ledig oder verwitwet sind und mit ihren Kindern sowie ohne Partner im Haushalt leben [3]. Allein erziehende Frauen sind weniger zufrieden. Allein erziehende Mütter sind durch Probleme in einer Vielzahl von Lebensbereichen belastet und mit ihrer Situation deutlich weniger zufrieden als verheiratete Mütter (siehe Abbildung 2.1.5). Besonders deutliche Unterschiede finden sich dabei in Bezug auf das Haushaltseinkommen, den Lebensstandard, die Wohnsituation sowie die allgemeine Lebenszufriedenheit. 87 88 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Soziale Lage und Gesundheit Verletzungen, Vergiftungen u. best. a. Folgen äußerer Ursachen Frauen Symptome u. abnorme klinische u. Laborbefunde Krankh. d. Urogenitalsystems Krankh. d. Muskel-Skelett-Systems u. d. Bindegewebes Krankh. d. Haut u. d. Unterhaut Krankh. d. Verdauungssystems Krankh. d. Atmungssystems Krankh. d. Kreislaufsystems Krankh. d. Nervensystems u. d. Sinnesorgane Psychische u. Verhaltensstörungen Endokrine, Ernährungsu. Stoffwechselkrankheiten Neubildungen Bestimmte infektiöse u. parasitäre Krankheiten Schwangerschaft, Geburt u. Wochenbett 0 100 200 Erwerbstätige 300 400 500 600 700 800 900 1 000 Krankenhaustage je 1000 Versicherungsjahre Arbeitslose Abbildung 2.1.3: Krankenhaustage bei arbeitslosen und erwerbstätigen Frauen nach ICD-10-Diagnosekapiteln. Quelle: Gmünder Ersatzkasse 2000 [27] Verletzungen, Vergiftungen u. best. a. Folgen äußerer Ursachen Männer Symptome u. abnorme klinische und Laborbefunde Krankh. d. Urogenitalsystems Krankh. d. Muskel-Skelett-Systems u. d. Bindegewebes Krankh. d. Haut u. d. Unterhaut Krankh. d. Verdauungssystems Krankh. d. Atmungssystems Krankh. d. Kreislaufsystems Krankh. d. Nervensystems u. d. Sinnesorgane Psychische u. Verhaltensstörungen Endokrine, Ernährungsu. Stoffwechselkrankheiten Neubildungen Bestimmte infektiöse u. parasitäre Krankheiten 0 100 200 Erwerbstätige 300 400 500 Arbeitslose Abbildung 2.1.4: Krankenhaustage bei arbeitslosen und erwerbstätigen Männern nach ICD-10-Diagnosekapiteln. Quelle: Gmünder Ersatzkasse 2000 [27] 600 700 800 900 1 000 Krankenhaustage je 1000 Versicherungsjahre Soziale Lage und Gesundheit | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 70 Prozentanteil der Befragten, die zufrieden oder sehr zufrieden sind 60 50 40 30 20 10 0 Haushaltseinkommen Lebensstandard Lebenszufriedenheit verheiratete Mütter Wohnung Kinderbetreuung Haushaltstätigkeit Freizeit alleinerziehende Mütter * 11-stufige Rangskala von 0 „sehr unzufrieden“ bis 11 „sehr zufrieden“; Werte 8 – 10 „zufrieden“ und „sehr zufrieden“. Abbildung 2.1.5: Zufriedenheit* allein erziehender und verheirateter Mütter mit verschiedenen Lebensbereichen. Quelle: Sozio-oekonomisches Panel 2000 [31] Ausgewählte Krankheiten1 Chron. Bronchitis* Allein erziehende Mütter n = 89 9,0 % Verheiratete Mütter n = 728 3,9 % Leberentzündung, Hepatitis* 10,2 % 4,1 % Nierenbeckenentzündung* 23,6 % 14,2 % Nierensteine, Nierenkolik* 15,7 % 5,2 % Migräne 36,0 % 26,3 % Psych. Erkrankung* 24,7 % 10,9 % Kontaktallergien 25,0 % 34,8 % Sonst. Allergien 14,9 % 20,4 % Erkrankungen der Gebärmutter, Eierstöcke, Eileiter 25,3 % 17,2 % 1 Es werden nur die Krankheiten dargestellt, bei denen Gruppenunterschiede von mehr als 5 % auftreten. * Signifikanz (p < 0,05) Allein erziehende Frauen sind häufiger krank. Wie Studien der Stressforschung zeigen, können belastende Lebenssituationen langfristig zu gesundheitlichen Schädigungen führen [30]. Tatsächlich sind nach Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 (BGS98) allein erziehende Mütter deutlich häufiger von Nieren- und Lebererkrankungen, chronischer Bronchitis sowie Migräne betroffen als verheiratete Mütter (siehe Tabelle 2.1.4). Auffällig ist auch die mit 24,7 Prozent mehr als doppelt so hohe Quote psychischer Leiden. Zudem ist bei allein erziehenden Frauen die so genannte gesundheitsbezogene Lebensqualität vermindert. Diese wurde im BGS98 mit dem SF-36-Fragebogen erhoben, der insgesamt acht Dimensionen des körperlichen, emotionalen, psychischen und sozialen Befindens erfasst [32]. Dabei berichteten allein erziehende Mütter in allen Einzeldimensionen eine schlechtere Lebensqualität als die verheirateten Mütter. Allerdings fielen die Unterschiede in den einzelnen Bereichen unterschiedlich groß aus: Hinsichtlich körperlicher Beeinträchtigungen sind sie eher gering, bei der allgemeinen Gesundheitswahrnehmung, der Vitalität und sozialen Funktionsfähigkeit dagegen stärker und statistisch bedeutsam. Am deutlichsten sind die Differenzen aber in Bezug auf körperliche Schmerzen, emotionale Probleme sowie beim psychischen Wohlbefinden. Allein erziehende Mütter vermissen gesellschaftliche Anerkennung. Klar scheint, dass finanzielle Transferleistungen sowie die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen nicht ausreichen, um die Situation allein erziehender Frauen zu verbessern. Vielmehr sollten flexible Angebote der Kinderbetreuung geschaffen werden, die Alleinerziehenden eine Berufstätigkeit erlauben. Allein erziehende Mütter vermissen jedoch nicht nur bessere materielle Bedingungen, sondern offenbar in erster Linie die gesellschaftliche Anerkennung und den Respekt vor ihren Erziehungsleistungen [30]. Ω Umfassende Informationen zur Gesundheit allein erziehender Mütter und Väter finden sich in Heft 14 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [31]. Tabelle 2.1.4: Lebenszeitprävalenz ausgewählter Krankheiten bei allein erziehenden und verheirateten Müttern. Quelle: Bundes-Gesundheitssurvey 1998 [31] Allein erziehende Männer haben weniger Probleme als allein erziehende Frauen. Allein erziehende Väter leiden nicht unter denselben Nachteilen wie allein erziehende Mütter. So bezogen Ende 2004 in Deutschland 6,5 Prozent der allein erziehenden Männer, dagegen 26,1 Prozent der allein erziehenden Frauen Sozialhilfe. Bei einem Vergleich mit verheirateten Familienvätern schneiden allein erziehende Väter hinsichtlich der Erwerbs- und Einkommenschancen nicht sonderlich schlechter ab. Wenig überraschend ist daher, dass sich bei ihnen nicht jene gesundheitlichen Beeinträchtigungen finden, die bei allein erziehenden Müttern beobachtet wurden. Nach Daten des Sozio-oekonomischen Panels, einer repräsentativen Haushaltsbefragung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sind allein erziehende Väter in einigen Lebensbereichen zwar unzufriedener als verheiratete Väter. Dies scheint sich aber nicht auf die Einschätzung der eigenen Gesundheit auszuwirken. Unklar bleibt anhand der Ergebnisse allerdings, ob allein erziehende Männer tatsächlich einer geringeren Gesundheitsbelastung als allein erziehende Frauen ausgesetzt sind oder ob sie eventuelle Belastungen anders wahrnehmen und bewältigen. 89 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Umwelteinflüsse und Unfälle 90 160 Anzahl der Stationen Prozentualer Anteil der Stationen 40 140 35 120 30 100 25 80 20 60 15 40 10 20 5 0 0 2000 01 absolut 02 03 04 prozentual Abbildung 2.2.1: Anteil der PM10-Messstationen (absolut und in Prozent aller PM10-Messstationen), an denen der ab 1. 1. 2005 geltende Tagesmittelwert von 50 µg/m3 PM10 an mehr als 35 Tagen überschritten wurde. Quelle: Umweltbundesamt, 2005 18 Prozent äußerst oder stark belästigt 16 14 12 10 8 6 4 2 0 1996 1998 Straßenverkehr Industrie und Gewerbe 2000 Flugverkehr 2002 Schienenverkehr Nachbarn* * Änderung des Befragungsinstrumentes zwischen 1998 und 2000 Abbildung 2.2.2: Lärmbelastung durch verschiedene Lärmquellen. Quelle: Bundesministerium für Umwelt, 2004 [34] 2004 Umwelteinflüsse und Unfälle | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 2.2 Umwelteinflüsse und Unfälle Ω Zusammenfassung Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sind in den hoch entwickelten Staaten Nord- und Westeuropas bis zu zehn Prozent der Gesundheitsstörungen durch Einflüsse aus der Umwelt bedingt [33]. Dieser Schätzung liegt ein sehr umfassender Umweltbegriff zugrunde, der neben chemischen und physikalischen Komponenten wie Luft- und Wasserqualität, Strahlung und Lärm auch die Wohnverhältnisse, Unfälle sowie den Klimawandel einbezieht. In Deutschland geht repräsentativen Umfragen zufolge ein Viertel der Bevölkerung davon aus, dass die Gesundheit stark bis sehr stark durch Umwelteinflüsse beeinträchtigt wird. Zwei Drittel befürchten, dass Umweltfaktoren die kommenden Generationen erheblich belasten werden [34]. Dies macht eine aktive Informationspolitik erforderlich, die den Befürchtungen und Fragen der Bevölkerung angemessen begegnet. Die Luftqualität hat sich in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten insbesondere durch Umsetzung europäischer Standards verbessert. Allerdings bleiben vor allem Ballungsgebiete weiterhin durch Feinstaubpartikel belastet, die Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Leiden begünstigen. Auch schlechte Innenraumluft schädigt die Gesundheit. Die bedeutendste Lärmquelle in Deutschland ist der Verkehr. Einer von zehn Deutschen fühlt sich dadurch stark belästigt. Ein Hauptgrund für die gestiegene Belastung mit UV-Strahlung liegt in vermehrtem Sonnenbaden und der zunehmenden Nutzung von Solarien. Etwa die Hälfte der Belastung mit so genannten ionisierenden Strahlen, beispielsweise Röntgenstrahlen, wird durch medizinische Diagnoseverfahren verursacht. Dagegen ist bei den allermeisten Personen in Deutschland derzeit nicht von einer Gesundheitsgefährdung durch Chemikalien und Schwermetalle auszugehen. Im Jahr 2004 starben knapp 20 000 Menschen in Deutschland an den Folgen von Unfällen, die sich zu Hause, während der Freizeit, im Verkehr und bei der Arbeit ereigneten. 2.2.1 Luftqualität Ballungsgebiete sind weiterhin durch Feinstaub belastet. Die Luft in Deutschland ist heute besser als vor zwei Jahrzehnten. Durch Umsetzung europäischer Umweltstandards wurden die Emissionen gesundheitsschädlicher Luftschadstoffe gesenkt und die damit in Verbindung stehenden Gesundheitsrisiken reduziert. Trotzdem besteht gerade in Ballungsgebieten weiterer Handlungsbedarf. So ist zu erwarten, dass der ab dem Jahr 2005 gültige EU-Grenzwert für Feinstaub (PM10) wie in den Vorjahren in zahlreichen deutschen Kommunen überschritten werden wird (siehe Abbildung 2.2.1). Die von den kommunalen Umweltbehörden zur Reduzierung der Feinstaubbelastung vorgelegten Luftreinhaltepläne, die beispielsweise Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrslenkungsmaßnahmen beinhalten, sind möglicherweise für die erforderliche Minderung der Partikelbelastung nicht ausreichend. Weitere Maßnahmen wie die steuerliche Förderung von Partikelfiltern werden daher geprüft. Eine im Auftrag des Umweltbundesamtes erstellte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich durch den konsequenten Einsatz von Partikelfiltern in Dieselfahrzeugen die Gesamt sterblichkeit in Deutschland senken lassen und eine Verlän- gerung der statistischen Lebenserwartung der Gesamtbevölkerung um ein bis drei Monate erwartet werden könnte [35, 36]. Solche Berechnungen, die auf den Ergebnissen epidemiologischer Studien und auf Modellen zur Verteilung von Luftschadstoffen beruhen, bieten eine Orientierung über das gesundheitliche Ausmaß der Feinstaubbelastung, sind aber mit großen Unsicherheiten behaftet. Auch schlechte Innenraumluft schädigt die Gesundheit. Zu den wichtigsten Schadstoffen der Innenraumluft gehören Tabakrauch, natürliche Allergene wie Schimmelpilzsporen und Hausstaubmilbenexkremente sowie Stoffe, die beispielsweise aus Bauprodukten oder Einrichtungsgegenständen freigesetzt werden. Insbesondere Kinder sollten vor dem Passivrauchen in Innenräumen geschützt werden (siehe auch den Abschnitt zu Tabak- und Alkoholkonsum) [37]. Daneben ist in einigen Regionen Deutschlands die Innenraumluft mit Radon belastet, was erhebliche Folgen haben kann. So stellt Radon in Innenräumen laut einer europaweiten Studie nach dem Zigarettenrauch die zweithäufigste Ursache für Lungenkrebs dar [38]. 2.2.2 Lärm und Strahlung Jede zehnte Person in Deutschland fühlt sich durch Verkehrslärm belästigt. Die bedeutendste Lärmquelle in Deutschland ist der Verkehr. Erhöhte Lärmpegel können beispielsweise zu Schlafstörungen, Stress und Konzentrationsschwächen führen. Als zuverlässigster Indikator für die individuelle Lärmbelastung gilt dabei die subjektiv empfundene Lärmbelästigung. Rund zehn Prozent der Bevölkerung empfinden den Straßenverkehrslärm als sehr belästigend (siehe Abbildung 2.2.2) [34]. Auch extremer Freizeitlärm, beispielsweise beim privaten Musikhören oder in Diskotheken, spielt eine wichtige Rolle. Solcher Freizeitlärm erreicht mitunter Pegel, die zu Schädigungen des Gehörs bis hin zum Hörverlust führen können [39]. Sonnenbäder und Solarien steigern die Belastung mit UVStrahlung. Die UV-Belastung der Bevölkerung hat sich durch vermehrtes Sonnenbaden und die zunehmende Nutzung von Solarien kontinuierlich erhöht. Dies hat mit zur Steigerung der Hautkrebsrate beigetragen. Wahrscheinlich ist auch die verbesserte Erfassung neuer Hautkrebsfälle in den Krebsregistern für einen Teil des statistischen Anstiegs verantwortlich. Durch das in Deutschland praktizierte UV-Monitoring wird die tägliche natürliche UV-Strahlung gemessen und bewertet. Die für das Berichtsjahr 2003 ermittelten Daten zeigen, dass es in den Monaten Juni und Juli zu Maximalwerten von etwa acht gemäß Definition Staub ist ein unter anderem aus Industrie und Straßenverkehr stammendes Stoffgemisch und wird nach der Partikelgröße eingeteilt. Die kleineren, inhalierbaren Feinstaubpartikel, die einen Durchmesser von weniger als zehn Mikrometer (PM10 – Particulate Matter, Durchmesser bis 10 µm) besitzen, gelangen durch die Luftröhre in die Bronchien und teilweise auch in die Lungenbläschen. Feinstaub kann zu Bronchitis und Atemwegsbeschwerden wie Husten führen. Neueren Studien zufolge dringen insbesondere Partikel, die kleiner als 0,1 Mikrometer sind, so genannte ultrafeine Partikel, bis in die Lungenbläschen vor und können neben dem Atmungs- auch das Herz-Kreislauf-System beeinträchtigen. Vor allem bei alten Menschen und bei Personen mit Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann Feinstaub vermehrt Beschwerden und eine erhöhte Sterblichkeit bedingen. 91 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Umwelteinflüsse und Unfälle 92 Deutschland n bis HBM-I (150 µg/l) zwischen HBM-I und HBM-II (> 150 bis 250 µg/l) Blei im Blut (Erwachsene 18 – 69 Jahre) über HBM-II (> 250 µg/l) Alte Länder % n Neue Länder % 3 353 99,6 2 711 13 0,4 2 0,1 n % 99,6 642 99,3 10 0,4 3 0,5 1 0,03 1 0,2 Frauen im gebärfähigen Alter (18 – 45 Jahre) bis HBM-I (100 µg/l) Quecksilber im Blut (Erwachsene 18 – 69 Jahre) 1 269 99,3 1 040 99,4 229 99,1 zwischen HBM-I und HBM-II (> 100 bis 150 µg/l) 5 0,4 4 0,4 1 0,5 über HBM-II (> 150 µg/l) 3 0,3 2 0,2 1 0,5 4613 99,3 3739 99,3 874 99,4 32 0,7 27 0,7 5 0,6 0 0,0 0 0,0 0 0,0 bis HBM-I (5 µg/l) zwischen HBM-I und HBM-II (> 5 bis 15 µg/l) über HBM-II (über 15 µg/l) Erwachsene (18 – 25 Jahre) bis HBM-I (1 µg/g Crea.) Cadmium im Urin 600 99,5 489 99,4 111 100,0 zwischen HBM-I und HBM-II (> 1 bis 3 µg/g Crea.) 3 0,5 3 0,6 0 0,0 über HBM-II (> 3 µg/g Crea.) 0 0,0 0 0,0 0 0,0 Erwachsene (26 – 69 Jahre) 4 107 99,5 3 325 99,5 782 99,6 18 0,4 15 0,5 3 0,4 1 0,02 1 0,03 0 0,0 691 100 560 100 131 100 0 0,0 0 0,0 0 0,0 0 0,0 0 0,0 0 0,0 bis HBM-I (2 µg/g Crea.) zwischen HBM-I und HBM-II (> 2 bis 5 µg/g Crea.) über HBM-II (> 5 µg/g Crea.) Erwachsene (18 – 69 Jahre) Pentachlorphenol bis HBM-I (20 µg/g Crea.) im Urin zwischen HBM-I und HBM-II (> 20 bis 30 µg/g Crea.) über HBM-II (> 30 µg/g Crea.) Anmerkung: Durch das Auf- und Abrunden ergibt die Summe der Prozente z. T. nicht 100 %. Tabelle 2.2: Prozentuale Anteile der Bevölkerung in Deutschland mit erhöhten Blei-, Cadmium- oder Quecksilber- und Pentachlorphenolgehalten in Blut und Urin, 1998. Quelle: Umweltbundesamt, Umweltsurvey 1998 [41] 35 Bei Unfällen Getötete nach dem Geschlecht (in Tausend) 30 25 20 15 10 5 0 1991 92 93 Frauen 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 03 04 Männer Abbildung 2.2.3: Bei Unfällen Getötete nach dem Geschlecht (1991– 2004; bis 1998 ICD-9, nach 1998 ICD-10). Quelle: Todesursachenstatistik, Statistisches Bundesamt Umwelteinflüsse und Unfälle | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | internationalem UV-Index kam. Ein Anstieg der UV-Strahlung durch Ausdünnung der Ozonschicht lässt sich aus den vorliegenden Daten für Deutschland nicht nachweisen [40]. Ein Großteil der Strahlenbelastung ist durch medizinische Diagnoseverfahren bedingt. Sowohl durch natürliche Strahlung (kosmische Strahlung, radioaktive Stoffe in der Erdkruste wie Radon) als auch zivilisatorisch bedingte Strahlenquellen (medizinische und technische Anwendungen) ist jeder Mensch ständig einer bestimmten Dosis hoch energetischer (ionisierender) Strahlung ausgesetzt. Ionisierende Strahlen können Schäden am Erbgut der Zellen verursachen und sind potenziell Krebs erregend. Die mittlere effektive Dosis wird in Millisievert (mSv) angegeben und beträgt für die natürliche wie zivilisatorisch bedingte Strahlung jeweils etwa zwei mSv pro Jahr. 2003 lag die berechnete durchschnittliche effektive Dosis pro Person bei 4,0 mSv gegenüber einem Wert von 4,1 mSv im Jahr zuvor. Die Änderung beruht auf einer neuen Abschätzung der beispielsweise durch Röntgenaufnahmen und Computertomografien verursachten medizinischen Strahlenbelastung [40]. Insgesamt machte die medizinisch bedingte Strahlenbelastung durch Röntgendiagnostik (1,8 mSv pro Jahr) und Nuklearmedizin (0,1 mSv pro Jahr) den Hauptteil der zivilisatorisch bedingten Dosis aus. Die Beiträge anderer Strahlenquellen sind sehr gering [40]. 2.2.3 Schadstoffbelastungen des Menschen Die Schadstoffbelastung der Bevölkerung ist in Deutschland insgesamt gering. Über die Nahrung, die Atemluft oder direkten Kontakt gelangt täglich eine Vielzahl unterschiedlichster Chemikalien in den Organismus. Die gesundheitlichen Wirkungen eines Großteils der heute verwendeten chemischen Substanzen sind allerdings nur wenig erforscht. Der vom Umweltbundesamt in Kooperation mit dem Bundes-Gesundheitssurvey 1998 des Robert Koch-Instituts durchgeführte Umweltsurvey hat Daten zur Schadstoffbelastung der Bevölkerung im Alter von 18 bis 69 Jahren bereitgestellt [41]. Dabei wurde neben dem Innenraummonitoring und Trinkwasseruntersuchungen am häuslichen Wasserhahn das so genannte Human-Biomonitoring angewandt. Betrachtet man jene Chemikalien und Schwermetalle, deren potenziell schädliche Wirkung hinreichend erforscht ist, so ist bei etwa 99 Prozent der Bevölkerung derzeit kein Gesundheitsrisiko zu befürchten (siehe Tabelle 2.2), ausgenommen sind Krebs erregende Substanzen. Bei verschiedensten weiteren Chemikalien sind die Effekte allerdings noch nicht genügend bekannt, um eine Bewertung vorzunehmen, was weitere Untersuchungen erforderlich macht. Dies betrifft insbesondere hormonell wirksame Substanzen (beispielsweise Weich- Definition Der UV-Index beschreibt den am Boden erwarteten Tagesspitzenwert der sonnenbrandwirksamen UV-Strahlung. Dabei bezeichnet ein Indexwert 0 eine niedrige Belastung, ein Wert von 8 oder mehr eine sehr hohe. In Millisievert (mSv) wird die Belastung des Organismus durch hoch energetische (ionisierende) Strahlen angegeben. Ionisierende Strahlen können zu Schäden im Erbgut der Zellen führen und sind potenziell Krebs erregend. Bei der Berechnung der Dosis in mSv wird durch einen so genannten Strahlen-Wichtungsfaktor berücksichtigt, dass verschiedene Strahlenarten (beispielsweise Teilchen- oder Röntgenstrahlung) im Gewebe unterschiedlich starke Wirkungen besitzen. macher in Gebrauchsgegenständen) und bestimmte Krebs erregende Stoffe. ** Die Schadstoffbelastung der Bevölkerung bleibt nicht konstant: So hat die körperliche Schadstoffbelastung der Bevölkerung mit Blei, Cadmium, Quecksilber, Pentachlorphenol (PCP) und persistenten organischen Verbindungen wie PCB (polychlorierte Biphenyle) und DDT in den letzten zehn bis zwanzig Jahren deutlich abgenommen [41]. Seit 1989 sind in Deutschland die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung von PCB und PCP oder PCP-haltigen Produkten untersagt. Dagegen sind Chemikalien mit biozider Wirkung wie Pyrethroide (als Insektizide verwendet) und Organophosphate (als Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt) oder Weichmacher inzwischen bei weiten Teilen der Bevölkerung nachweisbar. Diese Ergebnisse fließen in die nationale Chemikalienregulierung und die europäische Risikobewertung ein. 2.2.4 Unfälle Unfälle sind bei Kindern und jungen Erwachsenen die häufigste Todesursache. Unfälle sind bei Kindern und jungen Erwachsenen bis zum 25. Lebensjahr, bei Männern sogar bis zum 35. Lebensjahr die häufigste Todesursache. Im Jahr 2004 starben insgesamt knapp 20 000 Menschen in Deutschland an den Folgen eines Unfalls (siehe Abbildung 2.2.3). Rund 8,45 Millionen erlitten im Jahr 2003 eine Unfallverletzung [42]. Unfälle sind für fast ein Achtel aller verlorenen Lebensjahre durch Tod unter 65 Jahren verantwortlich [43]. Jede zehnte stationäre Behandlung ging 2003 auf Verletzungen zurück [44]. Zu den Folgen von Unfällen gehören Behinderungen und Einbußen der Lebensqualität, aber auch erhebliche ökonomische Konsequenzen. Besonders ins Gewicht fallen dabei die medizinischen Behandlungskosten in Höhe von jährlich etwa 8,8 Milliarden Euro sowie die Arbeitsunfähigkeit nach Unfällen. So verursachten Verletzungen und Vergiftungen im Jahr 2002 ein Viertel aller verlorenen Erwerbstätigkeitsjahre [45]. Die Zahl der Verkehrstoten sinkt seit Jahrzehnten. Die Zahl der bei Straßenverkehrsunfällen getöteten Personen hat mit 5842 im Jahr 2004 den niedrigsten Stand seit Bestehen der amtlichen Unfallstatistik erreicht; 1970 wurden 21 332 Menschen bei Verkehrsunfällen getötet. Insgesamt wurden im Jahr 2004 bei 2,26 Millionen polizeilich erfassten Unfällen 445 968 Definition Das Human-Biomonitoring (HBM) ist ein Verfahren, um die tatsächliche im Organismus aufgenommene Schadstoffmenge zu messen. Dazu werden beispielsweise Blut- oder Urinproben analysiert. Die gesundheitliche Bedeutung der Schadstoffbelastung lässt sich an den auf Expertenbeurteilungen beruhenden HBM-Werten ablesen. Der HBM-I-Wert entspricht einer Schadstoffkonzentration, bis zu der nach dem Stand des Wissens nicht mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung gerechnet werden muss. Der HBM-II-Wert bezeichnet dagegen die Schadstoffbelastung, ab der möglicherweise ein Gesundheitsrisiko und daher dringender Handlungsbedarf besteht. Der HBM-II-Wert ist somit als Interventionswert anzusehen. Für den Messbereich zwischen HBM-I und HBM-II gilt, dass aus wissenschaftlichen Studien eine gesundheitliche Beeinträchtigung nicht ausreichend sicher ausgeschlossen werden kann. Wenn die Befunde durch Kontrollmessungen bestätigt werden, sollte der Ursache der Erhöhung nachgegangen und die Belastung – wenn möglich – verringert werden. Der HBM-I-Wert ist somit als Kontrollwert anzusehen. 93 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Umwelteinflüsse und Unfälle 94 Getötete in Tausend 9 Schwerverletzte in Tausend 90 8 80 7 70 6 60 5 50 4 40 3 30 2 20 1 10 0 0 1991 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 Getötete Männer Getötete Frauen Schwer verletzte Männer Schwer verletzte Frauen 03 04 Abbildung 2.2.4: Getötete und schwer verletzte Frauen und Männer bei Straßenverkehrsunfällen (1991 – 2004). Quelle: Amtliche Verkehrsunfallstatistik, 2005 350 Getötete pro 1 000 000 Einwohner 300 250 200 150 100 50 0 1991 92 93 94 95 96 97 98 Deutschland Frankreich Niederlande Großbritannien 99 2000 01 02 03 04 Abbildung 2.2.5: Bei Straßenverkehrsunfällen Getötete (pro 1 000 000 Einwohner); 1991 – 2004; in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten. Quelle: CAREDatenbank, 2006 Alter ≥65 55–64 45 –54 35–44 25 –34 15 –24 6–14 <6 0 20 Frauen 40 Männer 60 80 100 120 Unfallquote (Unfälle/1 000 Einwohner) Abbildung 2.2.6: Unfallquoten nach Altersgruppen und Geschlecht, 2000. Quelle: BAuA [46] Personen verletzt, davon waren 80 801 schwer und 359 325 leicht verletzt (siehe Abbildung 2.2.4). Nach wie vor ereignen sich die meisten Verkehrsunfälle mit Personenschaden innerhalb von Ortschaften (65,8 Prozent im Jahr 2004). Diese Unfälle verursachen jedoch nur 25,4 Prozent der Verkehrstodesfälle. Die folgenreichsten Zusammenstöße kommen weiterhin auf den Außerortsstraßen (ohne Autobahnen) vor. Sie machen 27,9 Prozent aller Unfälle mit Personenschaden aus, sind aber für 62,7 Prozent der Verkehrstoten verantwortlich. Auf den Autobahnen dagegen wurden 6,3 Prozent aller Unfälle mit Personenschaden und 11,9 Prozent der Todesfälle registriert. Die mit Abstand häufigste Unfallursache war auch im Jahr 2004 die „nicht angepasste Geschwindigkeit“. Sie war bei 17 Prozent der von den Fahrzeugführern zu verantwortenden Unfälle im Spiel. Junge Männer sterben viermal so häufig im Straßenverkehr wie junge Frauen. Junge Erwachsene verunglücken häufiger als andere Altersgruppen. Dabei sind junge Männer erheblich gefährdeter als junge Frauen. Von den im Jahr 2004 verunglückten 18- bis 24-Jährigen waren 56,9 Prozent Männer und 43,1 Prozent Frauen. Zudem erleiden junge Männer im Schnitt schwerere Unfälle: 2004 waren 77,8 Prozent der 18- bis 24-jährigen Verkehrstoten Männer, 22,2 Prozent waren Frauen. Betrachtet man die Zahl der Getöteten in allen Altersgruppen, so zeigt sich ein seit zehn Jahren annähernd konstantes Geschlechterverhältnis von 3:1 zu Ungunsten der Männer. Kinder sind aufgrund ihrer körperlichen Entwicklung, ihres noch nicht ausreichend ausgeprägten Risikobewusstseins und ihres oft spontanen Verhaltens besonders gefährdete Verkehrsteilnehmer. Im Jahr 2004 verunglückten 37 285 Kinder unter 15 Jahren bei Straßenverkehrsunfällen. Von diesen wurden 6 577 schwer verletzt, 153 wurden getötet. Im internationalen Vergleich erweist sich, dass die Rate der Verkehrstoten in Deutschland etwas unterhalb des EU-15Durchschnitts liegt (siehe Abbildung 2.2.5). Die noch niedrigeren Raten in den Niederlanden oder Großbritannien zeigen jedoch, dass auch in Deutschland die Zahl der Unfallopfer weiter reduziert werden könnte. Haus- und Freizeitunfälle sind doppelt so häufig wie Verkehrsunfälle. Die Zahl der Haus- und Freizeitunfälle in Deutschland liegt mehr als doppelt so hoch wie die Zahl der Verkehrsunfälle. Allerdings gibt es für ihre Erfassung keine gesetzliche Grundlage. Die hier genannten Daten zu Haus- und Freizeitunfällen beruhen auf einer 2000/2001 durchgeführten repräsentativen Haushaltsbefragung, deren Ergebnisse für Deutschland hochgerechnet wurden. Danach ereigneten sich im Jahr 2000 rund 5,36 Millionen Unfälle zu Hause oder in der Freizeit, was einer Unfallquote von 65 je 1 000 Einwohner entspricht. Im Vergleich zu den Resultaten einer entsprechenden Studie aus dem Jahr 1996 ist die Quote nahezu unverändert geblieben. Bei einer Differenzierung der Unfallquoten nach Altersgruppen und Geschlecht (siehe Abbildung 2.2.6) zeigt sich, dass das Unfallrisiko bei den Männern unter den 15- bis 24-Jährigen und bei den Frauen unter den 55- bis 64-Jährigen am höchsten ist. Bei beiden Geschlechtern insgesamt ist das Unfallrisiko in der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen am höchsten (91 Unfälle je 1 000 Personen). Es folgen die 25- bis 34-Jährigen und die 35bis 44-Jährigen, bei denen ebenfalls eine erhöhte Unfallgefahr besteht (74 beziehungsweise 72 je 1 000). Gegenüber dem Jahr 1996 hat das Risiko in den Altersgruppen bis 34 Jahren abgenommen, bei den über 35-Jährigen ist es dagegen gestiegen. Umwelteinflüsse und Unfälle | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 14 Frauen SDR pro 100 000 (w/m) Männer 12 10 8 6 4 2 0 1990 91 92 93 94 Deutschland 95 96 97 Frankreich 98 99 2000 Niederlande 01 1990 Großbritannien Abbildung 2.2.7: Altersstandardisierte Mortalitätsraten der bei Unfällen getöteten 0- bis 14-Jährigen, 1990 – 2001, nach dem Geschlecht, Vergleich mit ausgewählten EU-Mitgliedstaaten. Quelle: HFA-Datenbank WHO, 2005 Arbeitsunfälle (in Millionen) 2,5 tödliche Arbeitsunfälle (Anzahl) 2 500 2 2 000 1,5 1 500 1 1 000 0,5 500 0 0 1991 92 93 94 Arbeitsunfälle 95 96 97 98 99 2000 01 02 03 tödliche Arbeitsunfälle Abbildung 2.2.8: Arbeitsunfälle und tödliche Arbeitsunfälle, Anzahl, 1991 – 2003 (ohne Wegeunfälle). Quelle: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin [47] 12 Inzidenz (pro 100 000) 10 8 6 4 2 0 1994 95 96 97 98 Deutschland Frankreich Niederlande Großbritannien 99 2000 01 Abbildung 2.2.9: Standardisierte Inzidenzrate der tödlichen Arbeitsunfälle, 1994 – 2002, ohne Wege- und Transportmittelunfälle, Vergleich mit ausgewählten EU-Mitgliedstaaten (Durchschnittswert EU15 (2002) vorläufig). Quelle: Eurostat 2005 02 91 EU15 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 95 96 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Umwelteinflüsse und Unfälle Männer Frauen Median Perz. 25 – 75 Median Perz. 25 – 75 Lebensmittel Brot 168 121 – 224 121 Getreide 45 23 – 81 39 89 –160 21– 68 Teigwaren 28 12 – 53 23 10 – 42 14 – 54 Blattgemüse 26 10 – 51 29 Kohlgemüse 38 21– 60 39 23 – 61 Andere Gemüse 139 95 – 204 140 93 – 207 Kartoffeln 130 85 –181 98 63 –136 Obst 145 71–238 177 107– 281 Kuchen 20 5 – 45 21 7– 42 Süßwaren 38 19 – 67 31 17– 52 229 133 – 401 219 138 – 352 19 10 – 31 16 8 – 26 102 68 –145 69 45 – 99 Milchprodukte Eier Fleisch Geflügel 13 6 – 26 13 6 – 22 Wurstwaren 54 30 – 82 27 13 – 44 5 – 24 Fisch 16 7 – 28 14 Tierische Fette 10 5 – 20 8 4 –15 Pflanzliche Fette 15 10 – 23 12 8 –18 143 18 – 429 0 0 – 29 8 0 – 56 11 0 – 41 340 121– 600 340 150 – 534 Getränke Bier Wein Kaffee Säfte 54 0 – 232 61 1–195 Limonaden 161 0 – 471 146 0 – 396 Trinkwasser 500 150 – 986 595 293 –1000 Tabelle 2.3: Verzehr ausgewählter Lebensmittelgruppen in Gramm pro Tag von 18- bis 79-Jährigen, Median und Interquartilbereich. Quelle: Ernährungssurvey 1998 Alter 65–79 55–64 45 –54 35–44 25 –34 18 –24 0 10 Frauen 20 Männer 30 40 50 60 70 Prozent Abbildung 2.3.1: Obst- und Gemüseverzehr in der 18- bis 79-jährigen Bevölkerung Deutschlands. Anteil an Personen, die mehr als 400 g Obst und Gemüse (ohne Säfte) pro Tag konsumieren. Quelle: Ernährungssurvey 1998 Während bei Männern die Quote von Haus- und Freizeitunfällen mit zunehmendem Alter kontinuierlich sinkt, steigt sie bei Frauen im mittleren Erwachsenenalter zunächst an und verringert sich erst nach dem 65. Lebensjahr. Daher verunglücken ab dem Alter von 45 Jahren mehr Frauen als Männer [46]. Die Zahl der tödlichen Unfälle bei Kindern sinkt. Elf Prozent aller Haus- und Freizeitunfälle betreffen Kinder unter 14 Jahren, die meisten der Unglücke (61 Prozent) entfallen dabei auf Jungen. Fast die Hälfte (47 Prozent) aller Heim- und Freizeitunfälle in dieser Altersgruppe ereignen sich innerhalb des Wohnhauses oder in dessen unmittelbarer Umgebung, also an den Orten, an denen Kinder auch die meiste Zeit verbringen. Unfälle sind bei Kindern nach dem ersten Lebensjahr ein Hauptgrund für Gesundheitsschäden. Gleichwohl geht die Zahl der tödlichen Unfälle bei Kindern zurück (alle Unfallarten, siehe Abbildung 2.2.7). Zwischen 1990 und 2001 ist die altersstandardisierte Sterblichkeitsrate bei den 0- bis 14-jährigen Mädchen von jährlich 7,7 auf 3,2 Unfalltodesfälle pro 100 000 Personen gesunken. Bei den Jungen verringerte sie sich von 12,9 auf 4,8. Im internationalen Vergleich liegt die Unfallsterblichkeitsrate bei den 0- bis 14-jährigen Deutschen im Jahr 2001 unter dem EU-15-Durchschnitt. Auch die Zahl der Arbeitsunfälle geht zurück. Die Zahl der von den gesetzlichen Unfallversicherungen registrierten Arbeitsunfälle sowie die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle ist seit 1993 stetig zurückgegangen und hat im Jahr 2003 den niedrigsten Stand seit 1960 erreicht (siehe Abbildung 2.2.8) [47]. Als Arbeitsunfall gilt ein Unfall, den eine versicherte Person infolge der Ausübung einer versicherten Tätigkeit innerhalb und außerhalb der Arbeitsstätte erleidet. Von den im Jahr 2003 insgesamt 1 142 775 meldepflichtigen Arbeitsunfällen wurden 76 Prozent bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften, 14 Prozent bei den Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand und zehn Prozent bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften registriert. Von den 1 029 tödlichen Arbeitsunfällen ereigneten sich 76 Prozent bei Versicherten der gewerblichen Berufsgenossenschaften, 20 Prozent bei Versicherten der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und acht Prozent bei Angestellten der öffentlichen Hand. Die Aufwendungen der gesetzlichen Unfallversicherungen für Behandlung und weitergehende Maßnahmen beliefen sich im Jahr 2003 auf insgesamt rund zehn Milliarden Euro. Die altersstandardisierte Rate der tödlichen Arbeitsunfälle in Deutschland liegt im Jahr 2002 im Bereich des EU-15Durchschnittswerts (siehe Abbildung 2.2.9). Niedrigere Raten werden beispielsweise aus Großbritannien und den Niederlanden berichtet. 2.3 Ernährung Ω Zusammenfassung Das Ernährungsverhalten ist kulturell und sozial geprägt und nimmt gleichzeitig Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden sowie auf Entstehung und Verlauf zahlreicher Krankheiten. Durch den Bundes-Gesundheitssurvey 1998 und den daran angeschlossenen Ernährungssurvey liegen umfangreiche Daten zum Ernährungsverhalten der Deutschen vor. Trendanalysen sind durch den Vergleich mit älteren Datenquellen möglich, vor allem der so genannten VERA-Studie von 1987/88 und den Nationalen Gesundheitssurveys aus den Jahren 1990 und 1992. Demnach verzehren die Deutschen inzwischen mehr frisches Obst und Gemüse, mehr ballaststoff- und kohlenhydratreiche Kost sowie mehr nichtalkoholische Getränke als Ende der 1980er Jahre. Gleichwohl nehmen weiterhin nur etwa die Hälfte der Männer und Frauen die empfohlene Tagesmindestmenge von 400 Gramm Obst und Gemüse zu sich. In den jüngeren Altersgruppen bestehen dabei die größten Defizite. Unterdessen ist der Verzehr von Fast Food und Tiefkühlkost deutlich gestiegen. Im Trend liegen auch funktionelle Lebensmittel wie ACE-Drinks und probiotische Joghurts sowie Nahrungsergänzungspräparate, obwohl diese für einen Großteil der Bevölkerung nicht notwendig sind. Die Energiezufuhr ist bei den meisten Menschen in Deutschland ausreichend gedeckt, Hauptenergiequellen sind dabei Milchprodukte und Brot. Insgesamt findet sich ein hoher und mit entsprechenden Gesundheitsrisiken verbundener Konsum von Süßwaren und tierischen Fetten. Weder in den neuen noch in den alten Bundesländern lässt sich ein eindeutig günstigeres Ernährungsmuster ausmachen. Die Ost-West-Unterschiede bei der Ernährung haben sich in den 1990er Jahren in vieler Hinsicht verloren. Der Großteil der Frauen und Männer in Deutschland ist gut mit den meisten Vitaminen und Mineralstoffen versorgt. Allerdings bleibt vor allem die Vitamin-D- und Folsäurezufuhr unzureichend. Dies fällt insbesondere bei Schwangeren ins Gewicht, da ein Folsäuremangel zu Fehlbildungen des Embryos führen kann. Zudem besteht bei Schwangeren nach wie vor das Risiko einer Jodunterversorgung. Der in Deutschland traditionelle Jodmangel weiter Bevölkerungskreise ist allerdings durch die breite Verwendung von jodiertem Speisesalz insgesamt deutlich rückläufig und scheint bei bestimmten Personengruppen kaum mehr eine Rolle zu spielen. 2.3.1 Ernährungsverhalten und Energiezufuhr Männer essen mehr, Frauen essen gesünder. Männer essen durchschnittlich mehr, Frauen essen im Schnitt etwas gesünder [48, 49]. So trinken Frauen mehr Wasser, verzehren mehr Obst und – gemessen an ihrer Gesamtenergiezufuhr – auch mehr Gemüse. In Tabelle 2.3 sind die durchschnittlichen Tagesverzehrmengen für ausgewählte Lebensmittel zusammengefasst. Die von den D-A-CH-Gesellschaften (Deutschen Gesellschaft für Ernährung, Österreichische Gesellschaft für Ernährung, Schweizerische Gesellschaft für Ernährungsforschung, Schweizerische Vereinigung für Ernährung) empfohlene Mindestmenge von 400 Gramm Obst und Gemüse pro Tag [50] wird nur von etwa der Hälfte der Frauen und Männer verzehrt (siehe Abbildung 2.3.1) [48]. In den jüngeren Altersgruppen ist der Anteil an Personen, die ausreichend Obst und Gemüse essen, besonders gering. Ernährung | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Obst und Gemüse bilden wesentliche Bestandteile einer gesunden Ernährung, die insgesamt vielseitig und fettarm sein sollte. Pflanzliche Öle und Fette enthalten einen hohen Anteil ungesättigter Fettsäuren, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen können, und sind deshalb tierischen Fetten vorzuziehen. Diese Empfehlungen lassen sich beispielsweise in Form der so genannten mediterranen Diät umsetzen. Eine mediterrane Diät beinhaltet außerdem den häufigen Verzehr von Fisch. Inzwischen gibt es für die gesundheitsförderliche Wirkung einer solchen Ernährung Hinweise aus mehreren Studien [51, 52], zudem bietet mediterrane Kost einen hohen Essensgenuss. Die tägliche Flüssigkeitszufuhr sollte bei 1,5 bis zwei Litern liegen, was von Erwachsenen beiderlei Geschlechts in der Regel auch beherzigt wird. Lediglich Personen ab 65 Jahren trinken häufig zu wenig. Generell machen hier zu Lande Trinkwasser und Kaffee den größten Teil der aufgenommenen Flüssigkeitsmenge aus. Die Hauptenergie beziehen die Deutschen aus Milchprodukten, Brot und Süßigkeiten. Hauptenergiequelle sind in Deutschland Milch und Milchprodukte (siehe Abbildung 2.3.2). Dies ist im Hinblick auf die Versorgung mit Calcium sowie einigen Vitaminen günstig. Gleichzeitig tragen jedoch insbesondere vollfette Milchprodukte zu einer hohen Aufnahme von gesättigten Fettsäuren bei. Während Brot bei Männern wie Frauen die zweitwichtigste Energiequelle darstellt, machen sonstige Getreideprodukte einen deutlich geringeren Anteil der aufgenommenen Energie aus. Als Energielieferant liegt Getreide bei Männern hinter Süßwaren, pflanzlichen Fetten, Wurstwaren, Fleisch und Bier, bei Frauen hinter Süßwaren, pflanzlichen Fetten und Obst. Der hohe Verzehr von Süßwaren ist insofern problematisch, als sie kaum zur Deckung des Bedarfs an essenziellen Nährstoffen beitragen. Ungünstig ist auch der hohe Wurst- und Fleischkonsum bei Männern, da er mit einer hohen Zufuhr von gesättigten Fettsäuren und Cholesterin einhergeht. Nach Daten des Ernährungssurveys 1998 wird in den neuen Bundesländern mehr Brot, Obst, Fisch und Wurst, dagegen weniger Getreide, Nudeln, Süßigkeiten und Blattgemüse verzehrt als in den alten Bundesländern. Ostdeutsche trinken zudem weniger Tee und Wasser als Westdeutsche. Während die Männer in den neuen Ländern mehr Kuchen und Kekse, Bier und Erfrischungsgetränke, aber weniger Gemüse und Wein konsumieren als Männer in den alten Ländern, nehmen ostdeutsche gegenüber westdeutschen Frauen vergleichsweise wenig Backwaren, Kartoffeln und tierische Fette zu sich. Ein eindeutig günstigeres Ernährungsverhalten in den alten oder den neuen Bundesländern ist aber nicht erkennbar [53]. Die Ernährung der Deutschen ist in den 1990er Jahren gesünder geworden. Im Zeitraum zwischen der so genannten VERAStudie von 1987/88 und dem Bundes-Gesundheitssurvey 1998 hat sich das Ernährungsverhalten der Bevölkerung in Deutschland zumindest teilweise verbessert. Inzwischen werden deutlich mehr frisches Obst und Gemüse, mehr ballaststoff- und kohlenhydratreiche Kost sowie mehr nichtalkoholische Getränke konsumiert [50, 52]. Dies dürfte zum einen auf die verbesserte Aufklärung über Ernährungsfragen in den vergangenen Jahren zurückgehen. Zum anderen liegen dem günstigeren Ernährungsmuster vermutlich gewandelte Wertvorstellungen und ein verändertes Verbraucherbewusstsein sowie die Modifikation des Lebensmittelangebotes zugrunde. Beispielsweise werden heute vermehrt fettarme Produkte angeboten. 97 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Ernährung 98 Frauen Milchprodukte Brot Süßwaren Obst Pflanzliche Fette Getreide Wurstwaren Fleisch Kuchen Tierische Fette 0 5 10 15 20 Prozent Männer Milchprodukte Brot Süßwaren Wurstwaren Fleisch Pflanzliche Fette Bier Getreide Obst Kartoffeln 0 5 10 15 20 Prozent Abbildung 2.3.2: Hauptquellen für Energie in Deutschland. Quelle: Ernährungssurvey 1998 40 Prozent 35 30 25 20 15 10 5 0 18 –24 25– 34 Frauen 35–44 Männer 45– 54 55–64 65– 79 Altersgruppe Abbildung 2.3.3: Regelmäßige Supplementnehmer nach Alter und Geschlecht. Quelle: Ernährungssurvey 1998 Der Vergleich der Daten aus den Nationalen Gesundheitssurveys 1990/92 und dem Ernährungssurvey 1998 zeigt, dass sich das Ernährungsverhalten in den alten und neuen Bundesländern in vieler Hinsicht angeglichen hat [51]. Während ostdeutsche Männer in den Jahren 1990/92 weniger häufig gekochtes und rohes Gemüse sowie Fleisch verzehrten als westdeutsche Männer, ließen sich diese Unterschiede im Jahr 1998 kaum noch nachweisen. Allerdings ist der Anteil der Männer, die täglich oder fast täglich Brot, Kuchen oder Kekse, frisches Obst sowie Wurst und Schinken konsumieren, in den neuen Ländern weiterhin höher als in den alten Ländern. Frauen in den neuen Bundesländern verzehrten noch 1990/92 weniger häufig Frühstückscerealien, gekochtes und rohes Gemüse sowie Joghurt und Frischkäse als Frauen in den alten Bundesländern. Dieser Unterschied zeigte sich im Jahr 1998 nicht mehr. Zu beiden Zeitpunkten konsumierten ostdeutsche Frauen häufiger Brot, frisches Obst und Wurstwaren. Ein Vergleich der Ernährungsdaten aus den bundesweiten Gesundheitssurveys mit internationalen Studien lässt sich vor allem wegen unterschiedlicher Erhebungsinstrumente und Stichprobendesigns schwer durchführen. Allerdings wurden inzwischen verschiedene Programme zur Harmonisierung von Ernährungsindikatoren und Erhebungsmethoden ins Leben gerufen (EFCOSUM [54, 55], DAPHNE-Projekt [55]). Schnell, bequem und gesund sollen Lebensmittel heute sein. Auf die steigende Zahl von Singles und Veränderungen in der Berufswelt reagiert die Lebensmittelindustrie mit einem zunehmenden Angebot von so genannten Convenience-Produkten. Auch durch den technischen Fortschritt bei der Lebensmittelverarbeitung wird der Trend begünstigt. So wuchs der Fast-Food-Umsatz in Deutschland in den 1990er Jahren von jährlich zwei auf knapp sechs Milliarden Euro, während die Ausgaben für Mahlzeiten im Restaurant bei jährlich 50 Milliarden Euro konstant blieben [56]. Auch der Absatz von Tiefkühlkost in Haushaltspackungen hat sich deutlich erhöht, zwischen 1988 und 1998 stieg er um fast 103 Prozent [57]. Der Anteil von Teil- und Komplettgerichten an der gesamten Tiefkühlkost nahm von 8,2 Prozent im Jahr 1998 auf 9,2 Prozent im Jahr 2001 zu (GfK Panel Services Consumer Research GmbH). Viele Verbraucherinnen und Verbraucher legen beim Lebensmittelkauf zunehmend Wert auf gesundheitliche Aspekte. Darauf lassen das zunehmende Angebot und der steigende Absatz von funktionellen Lebensmitteln schließen, die als gesundheitsförderlich beworben werden. Besonders große Wachstumsraten sind bei funktionellen Milchprodukten zu verzeichnen, deren Marktvolumen im Lebensmitteleinzelhandel von etwa zehn Millionen DM (5,1 Millionen Euro) im Jahr 1995 auf 519 Millionen DM (265,3 Millionen Euro) im Jahr Definition Als Convenience-Produkte werden Lebensmittel bezeichnet, die eine Ersparnis von Zeit und Arbeit mit sich bringen sollen. Dazu gehören vorgefertigte Waren wie Tiefkühlkost, Mischsalate, Fertiggerichte und Konserven sowie Produkte von Imbissbuden und Heimlieferdiensten. Auch der vermehrte Konsum von Fast Food ist Teil des ConvenienceTrends. Functional Food (funktionelle Lebensmittel) nennt man dagegen Lebensmittel, bei denen Nahrungskomponenten hinzugefügt oder entfernt wurden, um die Gesundheit des Konsumenten zu fördern. Beispiele für diese an Bedeutung gewinnende Lebensmittelgruppe sind ACE-, Wellness- und Energiedrinks sowie probiotische Joghurts und margarineähnliche Brotaufstriche auf der Basis von Phytosterolen. Ernährung | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 1999 zunahm [58]. Der Marktanteil probiotischer Joghurts am Joghurtumsatz insgesamt steigerte sich zwischen 1998 und 2001 von 9 auf 17 Prozent (GfK Panel Services Consumer Research GmbH). Eine ähnliche Entwicklung lässt sich bei Nahrungsergänzungsmitteln beobachten [59]. In Deutschland nehmen nach Daten des Ernährungssurveys 1998 etwa 25 Prozent der Frauen und 18 Prozent der Männer mindestens einmal in der Woche Vitamin- oder Mineralstoffsupplemente zu sich. Ältere Frauen greifen am häufigsten, Männer im Alter von 35 bis 44 Jahren am seltensten zu Nahrungsergänzungsmitteln (siehe Abbildung 2.3.3). Obwohl Nahrungsergänzungspräparate in bestimmten Lebenssituationen wie Schwangerschaft und Stillzeit sowie im hohen Alter durchaus sinnvoll sein können, ist bei den meisten Personen der Nährstoffbedarf durch die normale Ernährung gedeckt. Ein übermäßiger Konsum von Ergänzungspräparaten, eventuell in Kombination mit hohem Verzehr angereicherter Lebensmittel, kann beispielsweise bei den Vitaminen A, D und E sogar schädlich sein. 2.3.2 Nährstoffversorgung Die Deutschen verzehren zu viel tierisches Fett. Im Schnitt ist die deutsche Bevölkerung in den meisten Altersgruppen durch ihre Ernährung ausreichend mit Energie versorgt. Eine geringe energetische Aufnahme findet sich vor allem bei älteren Menschen sowie jungen Frauen. Zwischen den Jahren 1987/88 (VERA-Studie) und 1998 (Bundes-Gesundheitssurvey) hat sich der Fettanteil in der Ernährung von etwa 40 auf 33 Energieprozent reduziert. Dennoch gibt es einzelne Altersgruppen, in denen 10 bis 15 Prozent der Erwachsenen mehr als 40 Prozent ihrer Energie in Form von Fetten aufnehmen. Besonders ins Gewicht fällt bei der Fettaufnahme das versteckte Fett in Milch und Milchprodukten, gefolgt von Streich-, Brat- und Backfetten sowie Wurstwaren. Das Verhältnis von gesättigten Fettsäuren, die vor allem in tierischen Fetten vorkommen, zu ungesättigten Fettsäuren sollte in der Nahrung etwa 1:2 betragen, liegt aber derzeit bei 1:1,2. Das bedeutet, dass die Deutschen zu viele tierische Fette konsumieren. Mit dem Verzehr fetthaltiger tierischer Lebensmittel ist auch die Aufnahme von Cholesterin verbunden. Die meisten Frauen im mittleren Alter sowie die meisten Männer nehmen mehr als die empfohlenen 300 Milligramm Cholesterin pro Tag zu sich. Die höchste Cholesterinaufnahme findet sich bei 18- bis 24-jährigen Männern mit durchschnittlich 450 Milligramm pro Tag. Die Proteinzufuhr liegt bei der Mehrheit der Frauen und Männer in Deutschland im Bereich der Empfehlung von 0,8 bis zwei Gramm Eiweiß pro Kilo Körpergewicht. Etwa ein Viertel der Männer im Alter von 18 bis 24 Jahren nimmt allerdings mehr Protein zu sich. Die durchschnittliche Proteinaufnahme ist bei Frauen insgesamt deutlich geringer als bei Männern. Der Anteil der Kohlenhydrate an der Gesamtenergiezufuhr sollte mindestens 50 Prozent betragen, was jedoch von weniger als der Hälfte der Bevölkerung eingehalten wird. Die Ballaststoffaufnahme hat sich in den letzten Jahren gesteigert. Dennoch erreicht die Mehrheit der Erwachsenen den Richtwert von 30 Gramm Ballaststoffen pro Tag nicht. Ein Folsäuremangel bei Schwangeren kann zu Fehlbildungen des Embryos führen. Die Versorgung der Deutschen mit Vitaminen und Mineralstoffen lässt sich beurteilen, indem man 99 100 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Ernährung Männer, Median und Interquartilbereich, Prozent der Referenz Frauen, Median und Interquartilbereich, Prozent der Referenz Nährstoff Retinoläquivalent Vitamin D Vitamin E Vitamin B1 Vitamin B2 Niacinäquivalent Vitamin B6 Folatäquivalent Vitamin B12 Vitamin C Kalium Calcium Magnesium Eisen 0 50 100 Interquartilbereich 150 200 250 300 350 Median Abbildung 2.3.4: Nährstoffaufnahme im Vergleich zu den Referenzwerten. Quelle: Ernährungssurvey 1998 0 50 100 150 200 250 300 350 Prozent die so genannten Medianwerte und Interquartilbereiche mit den jeweils empfohlenen Referenzwerten (100 Prozent) vergleicht (siehe Abbildung 2.3.4). Befindet sich der Medianwert auf der 100-Prozent-Achse, bedeutet dies, dass die Nährstoffaufnahme bei der einen Hälfte der Bevölkerung oberhalb und bei der anderen Hälfte unterhalb des aktuellen Referenzwertes liegt. Die balkenförmigen Interquartilbereiche geben einen mittleren Streuungsbereich an, in dem die Verzehrmengen von 50 Prozent der Bevölkerung liegen. Das heißt, dass 25 Prozent der Personen noch mehr und 25 Prozent noch weniger des jeweiligen Nährstoffs zu sich nehmen. Bei Unterschreitung des Referenzwertes liegt indes nicht automatisch eine Unterversorgung oder gar ein Nährstoffmangel vor, da die Referenzmengen generell eher hoch gewählt sind und den Bedarf von nahezu allen gesunden Personen decken würden. Im Einzelfall kann es durchaus vorkommen, dass geringere Nährstoffmengen ausreichend sind. Insgesamt zeigt sich, dass die Deutschen gut mit den meisten Vitaminen und Mineralstoffen versorgt sind. Unterhalb der Empfehlungen liegt bei Frauen und Männern die Zufuhr von Vitamin D und Folat. Folsäure ist für zahlreiche Stoffwechselvorgänge im Organismus wichtig, unter anderem für die Zellteilung und das Zellwachstum. Beim Embryo kann ein Folsäuremangel zu einem mangelhaften Verschluss des so genannten Neuralrohres führen (Spina bifida, „offener Rücken“). Nach Ergebnissen der Folsäurestudie, die im Rahmen des BundesGesundheitssurveys 1998 durchgeführt wurde, findet sich bei 87 Prozent der Frauen zwischen 18 und 40 Jahren ein Folsäurespiegel unterhalb des Optimums [60]. Auch die Aufnahme von Vitamin D fällt bei vielen Personen zu gering aus. Dies gilt vor allem für die 18- bis 24-Jährigen. Zwar kann Vitamin D im Körper gebildet werden. Dies ist aber nur bei ausreichender Sonneneinstrahlung auf die Haut gewährleistet. Die Zufuhr von Vitamin E liegt ebenfalls bei einem Großteil der Bevölkerung, insbesondere Frauen, unterhalb des Schätzwertes für eine angemessene Versorgung. Die meisten Erwachsenen nehmen genügend Calcium zu sich. Eine Differenzierung nach Altersklassen zeigt aber, dass die Aufnahme von Calcium und Vitamin D, welche der Knochenbrüchigkeit vorbeugen können, bei den 65- bis 79-jährigen Frauen nicht ausreichend ist. Für fast die Hälfte der Frauen liegt auch die Zufuhr von Eisen unterhalb der Referenzwerte. Bei Schwangerschaft, während der Stillperiode und bei sehr starken Menstruationsblutungen ist der Eisenbedarf erhöht. Jodmangel wird immer seltener zum Problem. Deutschland ist ein Jodmangelgebiet, weil hier zu Lande die Böden kaum oder kein Jod enthalten und das Spurenelement daher in der Nahrung fehlt. Andauernder Jodmangel führt zu Schilddrüsenerkrankungen und verursacht bei Kindern mitunter schwere Entwicklungsstörungen. Im Jahr 1989 hatte die Bundesregierung durch neue rechtliche Rahmenbedingungen die schrittweise Einführung der Jodsalzprophylaxe auf freiwilliger Basis ermöglicht und mit der zweiten Jodverordnung im Jahr 1993 die Grundlage für die breite Verwendung von jodiertem Speisesalz geschaffen. Inzwischen liegt der Jodsalzanteil in privaten Haushalten bei gut 80 Prozent, im Ernähungshandwerk bei 60 bis 85 Prozent, in der Lebensmittelindustrie bei 35 bis 40 und in der Gemeinschaftsverpflegung sowie der Gastronomie bei 70 bis 80 Prozent [61]. Dementsprechend belegt die jüngste große Studie zur Beurteilung der Jodversorgung in Deutschland, das Jodmonitoring 1996, eine im Vergleich zu früheren Erhebungen deutliche Verbesserung. Gleichzeitig gibt es noch eine Reihe von Defizi- Ernährung | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 101 ten [62]. So erwies sich die Jodversorgung im Jahr 1996 bei 62 Prozent der jungen Männer als unzureichend. 55 Prozent der Mütter, die in der Schwangerschaft Jodtabletten genommen hatten, sowie 81 Prozent der Mütter ohne zusätzliche Jodeinnahme waren ungenügend versorgt. Ebenso fanden sich bei 75 Prozent der Neugeborenen, 58 Prozent der älteren Männer und 51 Prozent der älteren Frauen Werte unterhalb des Optimums. Nach neueren Studien scheint der Jodmangel bei Kindern vor der Pubertät in manchen Regionen Deutschlands keine wesentliche Rolle mehr zu spielen [63 – 67]. Eine Risikogruppe bilden dagegen weiterhin Frauen in Schwangerschaft und Stillzeit [63]. Aktuelle und repräsentative Daten zur Jodversorgung in Deutschland werden mit Abschluss des Kinder- und JugendGesundheitssurveys (KiGGS) erwartet. Ω Umfassende Informationen zur Ernährung finden sich in einem Beitrag zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Was essen wir heute? [49] 102 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Körperliche Aktivität 50 Prozent 50 Frauen 40 40 30 30 20 20 10 10 0 Prozent Männer 0 18 –19 20– 29 30–39 Neue Bundesländer 40– 49 50 –59 60–69 70 –79 18 –19 Altersklassen Alte Bundesländer 20– 29 30–39 Neue Bundesländer 40– 49 50 –59 60–69 70 –79 Altersklassen Alte Bundesländer Abbildung 2.4.1: Anteil der Bevölkerung, der die aktuelle Empfehlung zur körperlichen Aktivität erreicht. Quelle: Bundes-Gesundheitssurvey 1998 [68] kein Sport Alter (Männer) mehr als zwei Stunden Sport pro Woche 60–69 50 –59 40 –49 30 –39 25 –29 -20 -15 -10 -5 Neue Bundesländer 0 5 10 15 20 -20 -15 -10 -5 0 5 10 15 20 Prozent Alte Bundesländer Abbildung 2.4.2: Veränderung der sportlichen Aktivität von Männern zwischen 1991 und 1998. Quelle: Nationaler Gesundheitssurvey 1990/91, Gesundheitssurvey Ost 1991/92 und Bundes-Gesundheitssurvey 1998 [68] kein Sport Alter (Frauen) mehr als zwei Stunden Sport pro Woche 60–69 50 –59 40 –49 30 –39 25 –29 -20 -15 -10 Neue Bundesländer -5 0 5 10 15 20 Alte Bundesländer Abbildung 2.4.3: Veränderung der sportlichen Aktivität von Frauen zwischen 1991 und 1998. Quelle: Nationaler Gesundheitssurvey 1990/91, Gesundheitssurvey Ost 1991/92 und Bundes-Gesundheitssurvey 1998 [68] -20 -15 -10 -5 0 5 10 15 20 Prozent Körperliche Aktivität | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 103 2.4 Körperliche Aktivität Ω Zusammenfassung Regelmäßige körperliche Aktivität steigert die Lebensqualität, beugt verschiedensten Leiden vor und fördert bei vielen Krankheiten Therapie und Rehabilitation. Diesen Präventionspotenzialen wird insbesondere deshalb verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt, weil in Deutschland eine allgemeine Bewegungsarmut zu beobachten ist [68, 69]. So bewegten sich im Jahr 1998 nur 13 Prozent der Erwachsenen an mindestens drei Tagen pro Woche eine halbe Stunde und erreichten damit das als gesundheitsförderlich empfohlene Pensum. Insgesamt ist das Aktivitätsniveau bei jüngeren Menschen höher als bei älteren. Bemerkenswert sind die gegenläufigen altersspezifischen Trends bei der Sportbeteiligung. So stieg zwischen 1991 und 1998 der Anteil der 25- bis 40-jährigen Frauen und Männer, die überhaupt keinen Sport treiben. Bei den 50- bis 70-Jährigen dagegen verringerte sich die Quote der körperlich Inaktiven. Dies dürfte auch auf gesundheitliche Aufklärungskampagnen sowie verbesserte Sportangebote für ältere Menschen zurückzuführen sein. Nach Daten des Telefonischen Gesundheitssurveys 2003 ist gegenwärtig rund ein Drittel der Bevölkerung ab 18 Jahren mindestens zwei Stunden pro Woche sportlich aktiv. Etwa ein weiteres Drittel treibt dagegen gar keinen Sport. Dabei ist der Bewegungsmangel in sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen ausgeprägter als bei besser gestellten Personen. Bewegung hebt die Lebensqualität und senkt das Erkrankungsrisiko. Regelmäßige körperliche Aktivität senkt das Risiko zahlreicher Leiden. Dazu gehören Herz-Kreislauf-Krankheiten, Typ2-Diabetes, Darmkrebs, Osteoporose, Rückenbeschwerden und Übergewicht [71 – 74]. Zudem fördert körperliche Aktivität bei diesen und andern Erkrankungen den Behandlungs- und Rehabilitationsprozess und lindert begleitende Beschwerden. Darüber hinaus unterliegen Personen, die sich regelmäßig bewegen, einem geringeren Risiko vorzeitig zu sterben [75]. Bewegung hat in jedem Alter einen positiven Einfluss auf die Gesundheit. Bei Kindern und Jugendlichen spielt sie eine wichtige Rolle für die körperliche, psychische und auch soziale Entwicklung. Vermutlich werden bereits in jungen Jahren die Weichen für einen aktiven Lebensstil gestellt. Mit körperlicher Aktivität ist auch dann noch ein Gesundheitsgewinn verbunden, wenn der Alltag zuvor durch Bewegungsarmut gekennzeichnet war. Da die meisten Menschen sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause und in der Freizeit mehr Zeit im Sitzen verbringen als früher und sich zudem die Definition Körperliche Aktivität ist jede durch die Skelettmuskulatur hervorgebrachte Bewegung, die den Energieverbrauch substanziell steigert. Je nach Wirkung (Steigerung von Kraft und Ausdauer) oder Zweck kann man zwischen berufs-, transport-, haushalts- oder freizeitbezogener körperlicher Aktivität unterscheiden. Mit körperlichem Training sind geplante, strukturierte und regelmäßige Aktivitäten gemeint, welche die körperliche Fitness verbessern oder bewahren sollen. Die körperliche Fitness oder Leistungsfähigkeit wird dabei nicht nur von Art und Ausmaß der körperlichen Aktivität beeinflusst, sondern auch von genetischen Faktoren, dem Lebensstil und dem aktuellen Gesundheitszustand. Als Sport lassen sich Aktivitäten bezeichnen, die im Rahmen von Wettkampf und Spiel durchgeführt werden oder der Gesundheitsförderung und Erholung dienen [70, 71]. Hinweise mehren, dass bereits Kinder und Jugendliche körperlich zu wenig aktiv sind, sind Programme zur Bewegungsförderung bei jungen wie alten Menschen erforderlich. Nur 13 Prozent der Erwachsenen erfüllen das empfohlene Pensum. Die Deutschen bewegen sich fast durchweg zu wenig. Derzeit wird empfohlen, mindestens an drei, besser jedoch an allen Tagen der Woche eine halbe Stunde körperlich aktiv zu sein, wobei Puls und Atemfrequenz zunehmen und ein leichtes Schwitzen auftreten sollten. Diese Empfehlung zielt in erster Linie nicht auf Muskelaufbau oder Steigerung der sportlichen Leistungsfähigkeit ab, sondern auf die allgemeine Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden. Als günstig gelten beispielsweise Ausdauersportarten wie Dauerlauf, Schwimmen, Radfahren, Rudern und Skilanglauf, doch selbst eine halbe Stunde zügiges Gehen am Tag kann bei Ungeübten einen positiven gesundheitlichen Effekt erzielen [68, 76]. Erreicht wird dieses Pensum allerdings nur von einem kleineren Teil der Bevölkerung (siehe Abbildung 2.4.1). So bewegen sich nach Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 (BGS98) lediglich 13 Prozent der erwachsenen Bevölkerung gemäß Empfehlung an mindestens drei Tagen der Woche eine halbe Stunde. Einzig bei jüngeren Erwachsenen, vor allem jüngeren Männern, liegt der Anteil der körperlich ausreichend aktiven Personen höher. Bei älteren Menschen rutscht die Quote dagegen unter die 10-Prozent-Marke. Gerade im höheren Alter ist jedoch Bewegung für Gesundheit und Mobilität und damit für eine selbstständige Lebensführung besonders wichtig [77]. Frauen gaben im BGS98 in allen Altersgruppen eine geringere körperliche Aktivität an als Männer. Dies ist zumindest teilweise darauf zurückzuführen, dass Frauen vermehrt Alltagsaktivitäten ausführen, die durchaus mit dem gewünschten Bewegungsniveau einhergehen können, aber nicht als körperliche Aktivität wahrgenommen und berichtet werden. Dazu zählen beispielsweise die Erledigung von Einkäufen, das Spielen mit Kindern sowie die Haus- und Gartenarbeit. Die Sportbeteiligung sinkt bei jungen, steigt aber bei älteren Personen. Zwischen 1991 und 1998 hat die Zahl der 25- bis 40jährigen Frauen und Männer ohne jede sportliche Betätigung zugenommen. Bei den 50- bis 70-Jährigen zeigt sich allerdings eine umgekehrte Tendenz (siehe Abbildungen 2.4.2 und 2.4.3). Teilweise könnte sich die gegenläufige Entwicklung durch ein erhöhtes Angebot von Sportprogrammen erklären lassen, die besonders auf die Bedürfnisse älterer Menschen abgestimmt sind [78]. Auch die gezielte Aufklärung und das wachsende Gesundheitsbewusstsein in dieser Altersgruppe haben möglicherweise zur höheren Sportbeteiligung der 50- bis 70Jährigen beigetragen. Bemerkenswert ist zudem der von 1991 bis 1998 in nahezu allen Altersgruppen gestiegene Anteil von Personen, die mehr als zwei Stunden pro Woche Sport treiben. Eine Ausnahme bilden dabei nur die ostdeutschen Männer im Alter zwischen 25 und 29 sowie zwischen 50 und 59 Jahren. Aktuelle Daten zur Sportbeteiligung bietet der Telefonische Gesundheitssurvey 2003. Danach treiben in der Bevölkerung ab 18 Jahren 37,4 Prozent der Männer und 38,4 Prozent der Frauen überhaupt keinen Sport. Weitere 20,9 Prozent der Männer und 28,4 Prozent der Frauen sind weniger als zwei Stunden pro Woche sportlich aktiv. Die übrigen 41,7 Prozent der Männer und 33,2 Prozent der Frauen geben an, sich zwei oder mehr Stunden in der Woche zu bewegen [78]. Dabei ist der Anteil dieser sportlich eher stark aktiven Personen im jungen Erwachsenenalter am höchsten. Im mittleren Lebensalter sind nur 104 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Körperliche Aktivität 80 Prozent 70 60 50 40 30 20 10 0 18 –19 20– 29 Frauen 30–39 40–49 50–59 60– 69 70–79 ≥ 80 Altersgruppe Männer Abbildung 2.4.4: Anteil der Männer und Frauen in verschiedenen Altersgruppen, die wöchentlich zwei und mehr Stunden Sport treiben. Quelle: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003 [78] 100 Kumulierte Anteile Männer Frauen 80 60 40 20 0 Unterschicht Mittelschicht Oberschicht kein Sport bis 2 Std. Unterschicht Mittelschicht Oberschicht 2–4 Std. Abbildung 2.4.5: Umfang der wöchentlichen sportlichen Aktivität nach Sozialschicht. Quelle: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003 [82] Körperliche Aktivität | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 105 geringe Variationen zu beobachten. Spätestens ab dem Alter 70 nimmt die sportliche Aktivität merklich ab (siehe Abbildung 2.4.4). Die Deutschen lieben ihre Sportvereine, sind aber deshalb nicht unbedingt aktiv. Der Anteil der Sportvereinsmitglieder in der Bevölkerung ist deutlich größer als der Anteil der Personen, die sich ausreichend körperlich bewegen. Diese Differenz deutet auf einen hohen Anteil passiver Mitglieder hin. Eine Vereinsmitgliedschaft garantiert nicht notwendigerweise sportliche Aktivität, sondern zeigt in erster Linie sportliches Interesse an. Freilich repräsentieren die Sportvereinsmitglieder nur einen Teil der Bevölkerung. Nach Angaben des Deutschen Sportbundes sind vor allem Kinder und Jugendliche im Alter von 7 bis 18 Jahren in Sportvereinen organisiert. Im mittleren Lebensalter sind 30 bis 40 Prozent der Männer und etwas mehr als 20 Prozent der Frauen Mitglied in einem Sportverein [79]. Insbesondere bei Frauen ist die Mitgliedschaft in einem Sportverein kein guter Indikator für das sportliche Aktivitätsniveau. Zum einen nutzen Frauen vermehrt andere Sportangebote, beispielsweise in Fitnessstudios oder Volkshochschulen. Zum anderen messen Frauen dem Sport oft eine andere Bedeutung für das eigene Selbst- und Rollenverständnis bei als Männer. Dies könnte sich in den Selbstauskünften zu Art und Ausmaß der Sportbeteiligung niederschlagen. Hinzu kommt, dass viele Erhebungsinstrumente zur sportlichen Aktivität für männliche Studiengruppen entwickelt wurden [80, 81]. Sozial benachteiligte Personen treiben weniger Sport. Frauen und Männer aus der unteren Sozialschicht sind zu einem größeren Anteil sportlich inaktiv als Angehörige der Mittelschicht. Diese treiben wiederum weniger Sport als Personen aus der Oberschicht (siehe Abbildung 2.4.5). Eine Ursache für die Unterschiede liegt möglicherweise darin, dass Angehörige der Oberschicht ihren beruflichen Alltag häufiger im Sitzen verbringen und deshalb den Sport gezielt als Ausgleichsmöglichkeit begreifen. Auch könnte der bei einigen Sportarten nicht unerhebliche Kostenaufwand eine Rolle spielen [68, 79]. Unterm Strich lässt sich feststellen, dass das Aktivitätsniveau und die Sportbeteiligung bei einem Teil der Bevölkerung in den vergangenen Jahren gestiegen sind, was auch auf gesundheitliche Aufklärungskampagnen und Angebote zur Bewegungsförderung zurückzuführen ist. Gleichwohl werden dadurch längst nicht alle Bevölkerungsgruppen erreicht, so dass weiterhin großer Nachholbedarf besteht. Neben Sportvereinen sind auch Schulen, Kindertagesstätten, Unternehmen und Betriebe geeignete Orte, um zu mehr Bewegung und Sport zu motivieren. Erfolgreich sind die auf das individuelle Verhalten zielenden Bemühungen allerdings nur, wenn sie durch strukturelle Maßnahmen begleitet werden. Dazu gehören die Erhaltung, Modernisierung oder Neuschaffung von Schwimmbädern, Sportplätzen, Sporthallen und Spielplätzen ebenso wie von Parks und Grünanlagen. Gleichermaßen wichtig sind stadtplanerische Maßnahmen, die es auch Kindern erlauben, sich in Städten ungefährdet zu Fuß oder mit dem Rad zu bewegen. Ω Umfassende Informationen über körperliche Aktivität finden sich in Heft 26 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [69] sowie in einem Beitrag zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Bundes-Gesundheitssurvey: Körperliche Aktivität [68]. 106 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Tabak- und Alkoholkonsum Frauen Männer 18 – 29 30 – 44 45 – 64 65+ Tägliche Raucher 33,6 29,3 22,0 5,1 Gesamt 18 – 29 30 – 44 45 – 64 65+ 21,9 39,3 36,0 26,1 11,8 Gesamt 29,2 Gelegenheitsraucher 11,0 7,4 5,3 2,4 6,1 14,4 8,3 6,9 3,8 8,1 Exraucher 14,6 24,1 25,5 21,2 22,3 14,7 23,9 38,2 52,1 31,8 Nieraucher 40,8 39,2 47,2 71,3 49,7 31,5 31,8 28,8 32,4 30,9 Tabelle 2.5: Anteil der täglichen Raucher, Gelegenheitsraucher, Exraucher und Nieraucher nach Geschlecht und Alter (in %). Quelle: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003 [88] Tabak- und Alkoholkonsum | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 107 2.5 Tabak- und Alkoholkonsum Ω Zusammenfassung Jeder dritte Erwachsene in Deutschland raucht. Fast jeder Zehnte raucht stark. 110 000 bis 140 000 Todesfälle pro Jahr stehen mit den Folgen des Tabakkonsums in Zusammenhang. Während der Tabakkonsum bei Männern seit Mitte der 1980er Jahre leicht rückläufig ist, nimmt er bei Frauen zu. Dadurch gleicht sich das Rauchverhalten zwischen den Geschlechtern zunehmend an. Zwischen 2001 und 2004 hat sich unter den 12- bis 25-Jährigen die Quote der Raucherinnen und Raucher von 37 auf 35 Prozent und der Anteil der starken Raucherinnen und Raucher von 19 auf 12 Prozent reduziert. Dennoch nehmen deutsche Jugendliche beim Tabakkonsum im europäischen Vergleich den Spitzenplatz ein. Jede sechste Frau und jeder dritte Mann in Deutschland konsumieren Alkohol in Mengen, die mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko einhergehen. Bei rund 40 000 Todesfällen pro Jahr stellt Alkoholkonsum zumindest eine Teilursache dar. Bei Erwachsenen wie auch in der Altersgruppe der 12- bis 25-Jährigen ist der Alkoholverbrauch insgesamt rückläufig. Allerdings stellt unter Jugendlichen das so genannte Binge-Drinking, ein rauschhaftes Trinken zu bestimmten Trinkgelegenheiten, ein zunehmendes Problem dar. Zum Alkoholkonsum von Jugendlichen haben alkoholhaltige Mischgetränke (Alkopops) in den vergangenen zehn Jahren wesentlich beigetragen. 2.5.1 Tabakkonsum Das Rauchen ist die Nummer eins unter den gesundheitlichen Risikofaktoren. Tabakkonsum ist in den Industrieländern der für Gesundheitsschädigungen bedeutendste Einzelfaktor. In Deutschland sterben jedes Jahr zwischen 110 000 und 140 000 Menschen an den Folgen von Erkrankungen, die mit dem Rauchen in Zusammenhang stehen [83, 84]. Dazu zählen Herzkrankheiten, zerebrovaskuläre Erkrankungen, Bluthochdruck, Arteriosklerose, Lungenentzündung, chronische Bronchitis sowie bösartige Tumoren in Lunge, Bronchien, Mundhöhle, Speiseröhre, Niere und Bauchspeicheldrüse [85, 86]. Zudem kann das Rauchen zu Veränderungen des Erbgutes führen, die körpereigenen Abwehrkräfte schwächen und das Fortschreiten bestehender Leiden beschleunigen. Jeder dritte Erwachsene in Deutschland raucht. Nach Daten des Telefonischen Gesundheitssurveys 2003 des RKI raucht etwa ein Drittel der 18-jährigen und älteren Bevölkerung in Deutschland. 25,4 Prozent von ihnen rauchen täglich und 7,1 Prozent gelegentlich. Weitere 26,9 Prozent sind ehemalige Raucher oder Raucherinnen, so dass sich der Bevölkerungsanteil, der jemals geraucht hat, auf fast 60 Prozent beläuft [88]. Fasst man den täglichen und gelegentlichen Tabakkonsum zusammen, dann rauchen derzeit 28 Prozent der Frauen und 37,3 Prozent der Männer ab 18 Jahren (siehe Tabelle 2.5). Immerhin die Hälfte der Frauen hat nie geraucht, während dies Nachweis Krebs erregender Stoffe Krebserregende Stoffe, die beim Tabakrauchen entstehen oder im Tabak enthalten sind, können im Urin nachgewiesen werden. So wurden polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) im Urin von Rauchern in durch- lediglich auf knapp ein Drittel der Männer zutrifft. Sowohl bei Frauen wie Männern lässt sich feststellen, dass der Raucheranteil mit steigendem Alter abnimmt. Die meisten Tabakkonsumenten bevorzugen Zigaretten. Etwa 92 Prozent der Raucher und 99 Prozent der Raucherinnen greifen ausschließlich oder vorzugsweise zur Zigarette. Andere Tabakwaren wie Zigarren, Zigarillos oder Pfeifentabak erfahren einzig bei Männern im mittleren und höheren Lebensalter eine gewisse Verbreitung. Ähnliche Rauchprävalenzen werden durch den Epidemiologischen Suchtsurvey des IFT belegt. Demnach rauchen 37,1 Prozent der 18- bis 59-jährigen Männer und 30,5 Prozent der gleichaltrigen Frauen [89]. Im Mikrozensus 2003 werden mit 33 Prozent für Männer und 22 Prozent für Frauen im Alter ab 15 Jahren geringere Prävalenzen berichtet, was vor dem Hintergrund unterschiedlicher Erhebungsmethoden zu sehen ist [90]. Fast jeder zehnte Erwachsene raucht stark. Als starke Tabakkonsumenten bezeichnet die Weltgesundheitsorganisation alle Personen, die täglich 20 oder mehr Zigaretten rauchen. Von den täglichen Zigarettenkonsumenten trifft dies hier zu Lande auf 39,6 Prozent zu. Damit sind 9,4 Prozent der Bevölkerung ab 18 Jahren als starke Raucher zu bezeichnen. Weitere 27,4 Prozent der täglichen Raucher und Raucherinnen (6,6 Prozent der erwachsenen Bevölkerung) konsumieren elf bis 19 Zigaretten am Tag und gelten als mittelstarke Raucher. Im Vergleich zu Frauen rauchen Männer häufiger 20 oder mehr Zigaretten am Tag (31,2 Prozent der täglich rauchenden Frauen gegenüber 47 Prozent der täglich rauchenden Männer). Am höchsten ist der Anteil der starken Raucher und Raucherinnen in der Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen, mit 66,1 Prozent bzw. 41,0 Prozent [91]. Ein Grund hierfür ist, dass mit der Dauer des Rauchens die Nikotinabhängigkeit zunimmt und eine immer höhere Nikotinzufuhr erforderlich ist, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Nach Daten des Epidemiologischen Suchtsurveys 2003 sind etwa 40 Prozent der Raucher und Raucherinnen im Alter von 50 bis 59 Jahren vom Nikotin abhängig, im Alter von 18 bis 20 Jahren sind es hingegen nur 22 Prozent [89]. Dass der Anteil der starken Raucher und Raucherinnen im hohen Alter wieder geringer ausfällt, steht im Zusammenhang mit den erhöhten Erkrankungs- und Sterblichkeitsraten bei ausgeprägtem Tabakkonsum [88]. Die Passivrauchbelastung ist unverändert hoch. Auch Passivrauchen kann die Gesundheit schädigen. Dabei unterscheidet sich das Spektrum der durch passives und aktives Rauchen verursachten Krankheiten nicht wesentlich. Belegt ist, dass infolge Passivrauchens beispielsweise Lungenkrebsleiden, Herzkrankheiten, Schlaganfälle und Atemwegserkrankungen vermehrt auftreten [85, 86]. Verantwortlich ist der so genannte Nebenstromrauch, der beim Rauchen in die Umgebung entweicht und mehr Krebs erregende Stoffe enthält als der Hauptstromrauch, der beim aktiven Rauchvorgang eingeatmet wird. Besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche, wenn ihre Eltern in der Wohnung rauchen, aber auch Erwachsene, wenn sie beispielsweise mit Rauchern zusammen wohnen oder arbeiten. Neuere Untersu- schnittlich doppelt so hohen Konzentrationen nachgewiesen im Vergleich zu Nichtrauchern [41]. Das Rauchen von fünf Zigaretten ergibt gegenüber einem Nichtraucher eine um rund 85 Prozent höhere Belastung [87]. Die Benzolbelastung der Innenraumluft in Haushalten, in denen geraucht wird, ist deutlich höher als in Nichtraucherhaushalten. In Einzelfällen wird der toxikologisch abgeleitete EU-Richtwert für Benzol in der Außenluft von 5 µg/l deutlich überschritten. 108 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Tabak- und Alkoholkonsum 60 Prozent Alte Bundesländer Neue Bundesländer 50 40 30 20 10 0 1984–86 90–92 98 Männer 2003 90 –92 98 2003 Frauen Abbildung 2.5.1: Entwicklung der Rauchprävalenz in der 25- bis 69-jährigen Bevölkerung Deutschlands zwischen 1984 und 2003 (in Prozent). Quelle: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003 und vorgängige Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts [88] 2 500 Jährlicher Pro-Kopf-Verbrauch (in Stück) 2 000 1 500 1 000 500 0 1955 59 63 67 71 75 Alte Bundesländer 79 83 87 91 95 99 2003 Neue Bundesländer Deutschland gesamt Abbildung 2.5.2: Jährlicher Pro-Kopf-Verbrauch an Zigaretten in Deutschland 1955 – 2004. Quelle: Statistisches Bundesamt: Fachserie 14: Finanzen und Steuern, Reihe 9.1.1 Absatz von Tabakwaren [98] 4 000 Pro-Kopf-Verbrauch (Gramm) 3 000 2 000 1 000 0 1992 93 94 95 96 97 98 Deutschland Frankreich Niederlande Großbritannien 99 2000 01 02 03 Abbildung 2.5.3: Tabakkonsum der 15-jährigen und älteren Bevölkerung in ausgewählten Mitgliedstaaten der OECD 1992 – 2003. Quelle: OECD Gesundheitsdaten Oktober 2005 chungen zeigen, dass in Deutschland fast jedes zweite Kind zu Hause passiv raucht [92, 93]. Der Schutz der Nichtraucher vor Tabakrauch ist daher ein wichtiger Aspekt der Krankheitsprävention und Tabakkontrollpolitik [94]. Fast jeder vierte nichtrauchende Erwachsende lebt in Deutschland mit mindestens einem Raucher zusammen. Allerdings gibt nur jeder sechste an, dass im Haushalt auch tatsächlich geraucht wird. Der Anteil der Nichtraucherhaushalte der 25- bis 69-Jährigen hat sich in den letzten 10 Jahren mit rund 50 Prozent kaum verändert [95]. Etwa ein Viertel der aktuell nicht rauchenden Erwerbstätigen und Auszubildenden ist nach Daten des Epidemiologischen Suchtsurveys 2003 täglich am Arbeitsplatz mit Tabakrauch konfrontiert, weitere 15 Prozent ein- bis dreimal die Woche. Fast zwei Drittel der Nichtraucher stört es stark, wenn andere in ihrer Gegenwart rauchen. Mehr als drei Viertel der Nichtraucher versucht Orte zu meiden, an denen viel geraucht wird [89]. Die neue Arbeitsstättenverordnung vom 12. August 2004 hat den Schutz des Nichtrauchers in § 5 explizit aufgenommen. Der Arbeitgeber hat danach die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die nicht rauchenden Beschäftigten an Arbeitsstätten wirksam vor den Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch geschützt sind. Das Rauchverhalten von Männern und Frauen gleicht sich immer mehr an. Seit Mitte der 1980er Jahre hat der Anteil der Raucher unter Männern leicht abgenommen. Unter Frauen ist er jedoch gestiegen – nach Daten der Gesundheitssurveys des RKI [91] – oder hat sich kaum verändert – nach Daten des Epidemiologischen Suchtsurveys 2003 [89]. Dadurch kommt es zwischen den Geschlechtern zu einer allmählichen Angleichung des Rauchverhaltens. Legt man die Daten der Gesundheitssurveys des RKI zugrunde, dann lässt sich zu Beginn der 1990er Jahre bei Frauen im bundesweiten Durchschnitt ein leichter Rückgang des Tabakkonsums verzeichnen. Dies erklärt sich durch den zunächst deutlich geringeren Anteil rauchender Frauen in den neuen Bundesländern (siehe Abbildung 2.5.1). Angesichts der zunehmenden Erwerbsbeteiligung von Frauen und ähnlicher Lebensstile von Frauen und Männern ist damit zu rechnen, dass sich die derzeit noch bestehenden Unterschiede zwischen den Geschlechtern weiter verringern [88, 91]. Wie die Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verdeutlicht, können bereits heute kaum noch geschlechtsspezifische Unterschiede im Rauchverhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen beobachtet werden [96, 97]. Weiteren Aufschluss über die Entwicklung des Tabakkonsums gibt die jährliche Tabakwarenstatistik. So wurden im Jahr 2004 in Deutschland 111,8 Milliarden Zigaretten geraucht. Im Vergleich zum Jahr 1993 bedeutet dies einen Rückgang von etwa 16,3 Milliarden. Während zwischen den Jahren 1999 bis 2002 der jährliche Zigarettenverbrauch anstieg, sinkt er seit dem Jahr 2003. Diese Entwicklung lässt sich auch am Pro-KopfVerbrauch ablesen (siehe Abbildung 2.5.2), der sich im Jahr 2004 auf 1 355 Zigaretten pro Jahr belief [98]. Wahrscheinlich liegt der Pro-Kopf-Verbrauch aber höher, da geschmuggelte Zigaretten nicht in die Statistik eingehen. Gemäß einer im Auftrag der Zigarettenindustrie durchgeführten Studie des TÜV stammen bundesweit 10 Prozent der Zigaretten aus illegaler Einfuhr [99]. Deutsche Erwachsene liegen beim Rauchen etwa im EUDurchschnitt. Im europäischen Vergleich belegt Deutschland in Bezug auf den Tabakkonsum von Erwachsenen einen Platz im Mittelfeld. Dies lässt sich durch Daten der OECD zum jähr- Tabak- und Alkoholkonsum | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 109 lichen Pro-Kopf-Verbrauch (in Gramm) belegen. In Deutschland hat dieser in den letzten zehn Jahren nur leicht geschwankt und liegt derzeit bei knapp über 2 000 Gramm. Ein deutlich höherer Tabakkonsum wird vor allem für Griechenland berichtet. Nach dieser Statistik wird in den meisten europäischen Nachbarländern weniger Tabak konsumiert als in Deutschland. Besonders hervorzuheben ist die Entwicklung in Großbritannien, weil sich dort der Pro-Kopf-Verbrauch zwischen 1992 und 2003 von etwa 2 200 auf 1 200 Gramm verringert hat (siehe Abbildung 2.5.3). Deutsche Jugendliche nehmen beim Rauchen den europäischen Spitzenplatz ein. Betrachtet man hingegen den Tabakkonsum von Jugendlichen, zeichnet sich im internationalen Vergleich ein ungünstigeres Bild. Zwar zeigen die Daten der Drogenaffinitätsstudie für den Zeitraum zwischen 1997 und 2005, dass der Anteil der Raucher unter den 12- bis 17-Jährigen von 27 auf 21 Prozent bei Jungen und 29 auf 19 Prozent bei Mädchen gesunken ist und damit in etwa wieder auf dem Niveau von 1993 liegt [96]. Nach der internationalen Studie Health Behaviour in School-aged Children (HBSC), die Daten für 35 europäische Länder und Regionen liefert, rauchen 13- bis 15-jährige Jugendliche in Deutschland aber dennoch häufiger als in jedem anderen der einbezogenen Länder [100]. Nach Daten der Europäischen Schülerbefragung zu Alkohol und anderen Drogen (ESPAD), an der Schülerinnen und Schüler aus der 9. und 10. Jahrgangsstufe im Jahr 2003 teilnahmen, haben 44,9 Prozent der Jungen und 48,4 Prozent der Mädchen in den letzten 30 Tagen vor der Befragung geraucht. Mehr als drei Viertel gaben an, jemals in ihrem Leben eine Zigarette geraucht zu haben. Unterschiede der Rauchhäufigkeit zeigten sich nach der Schulform: Der Anteil der Raucher bzw. Raucherinnen (30-Tage-Prävalenz) ist bei Gymnasiasten und Gymnasiastinnen mit 36,5 Prozent deutlich niedriger als bei Jungen und Mädchen, die eine Realschule oder eine Hauptschule besuchen (50,0 Prozent bzw. 56,6 Prozent) [101]. Dies macht den Bedarf einer nachhaltigen Präventions- und Kontrollpolitik deutlich, die bereits bei Kindern und Jugendlichen ansetzt und zum einen verhindert, dass Jugendliche früh zu rauchen beginnen, zum anderen auch ihre Bereitschaft aufzuhören unterstützt sowie ihren Schutz vor Passivrauch stärkt. Wichtiger Ausgangspunkt sind dabei die Projekte der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die vor allem auf die Förderung sozialer Kompetenzen und auf die Suchtprävention abzielen [102, 103]. Datenlage Aussagekräftige Daten zum Tabakkonsum und der Passivrauchbelastung in Deutschland liefern die Repräsentativerhebung des Instituts für Therapieforschung (IFT), der Mikrozensus 2.5.2 Alkoholkonsum Rund 40 000 Todesfälle pro Jahr stehen in Zusammenhang mit riskantem Alkoholkonsum. Alkoholmissbrauch ist neben dem Tabakkonsum ein ernstes Suchtproblem in Deutschland. Unterschiedlichste Leiden wie Leberzirrhose, Herzmuskelerkrankungen, Schädigungen des Gehirns und peripheren Nervensystems sowie Entzündungen und Krebserkrankungen der Bauchspeicheldrüse werden durch missbräuchlichen Alkoholkonsum begünstigt. Zudem ist Alkohol häufig bei Unfällen, Gewalttaten und Selbstmorden im Spiel. Alkoholmissbrauch kann darüber hinaus zur Störung oder Auflösung sozialer Beziehungen sowie zum Verlust von Arbeitsplatz und Wohnung führen [104]. Schätzungen zufolge standen im Jahr 1995 in Deutschland fast 42 000 Todesfälle zumindest teilweise in Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol. In rund 17 000 dieser Fälle stellte er die entscheidende Todesursache dar [105]. Bezogen auf die Todesfälle mit eindeutigem Bezug zu Alkohol liegen die altersstandardisierten Sterblichkeitsraten bei Frauen in den alten Bundesländern bei jährlich 8,3 und bei Frauen in den neuen Ländern bei jährlich 16,7 Todesfällen je 100 000 Einwohnerinnen. Bei Männern betragen die entsprechenden Raten 26,5 (alte Länder) beziehungsweise 65,1 (neue Länder) [105]. Schätzungsweise 1,6 Millionen Erwachsene in Deutschland sind alkoholabhängig [106]. Das Versorgungssystem für alkoholabhängige Menschen ist in Deutschland insgesamt gut ausgebaut, und es stehen sowohl stationäre als auch ambulante Angebote zur Verfügung. Entwicklungspotenzial besteht hingegen bei der Vernetzung von Angeboten der Suchthilfe und der medizinischen Basisversorgung. Die primäre und sekundäre Prävention der Alkoholabhängigkeit zählt zu den Kernaufgaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Beide Akteure organisieren und koordinieren seit vielen Jahren zielgruppenspezifische Präventionsangebote, die auf eine nachhaltige Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs abzielen. Die seit den 1970er Jahren geäußerte Vermutung über eine eventuelle Schutzwirkung von moderatem Alkoholkonsum hinsichtlich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen gilt inzwischen als gesichert. Der mögliche Nutzen ist jedoch individuell verschieden (beispielsweise in Abhängigkeit von Alter, Lebensweise und genetischen Faktoren) und insgesamt von beschränkter Bedeutung. Hinzu kommt, dass auch mäßiger Alkoholkonsum trotz des günstigen Effekts auf die Herz-Kreislauf-Leiden stets mit anderen gesundheitlichen Risiken einhergeht [107]. Der Alkoholkonsum geht seit Beginn der 1990er Jahre leicht zurück. Der Pro-Kopf-Verbrauch von alkoholischen Getränken wird aus Verbrauchsstatistiken ermittelt. Er ist ein wichtiger Indikator für die zu erwartenden alkoholbedingten Gesundheitsprobleme einer Bevölkerung. Bei internationalen Vergleichen ist zu berücksichtigen, dass die Angaben für verschiedene Länder unter anderem aufgrund der unterschiedlichen Bedeutung von Schmuggel, Schwarzbrennerei und Ausfuhr durch Touristen nicht gleich zuverlässig sind. des Statistischen Bundesamtes (Destatis), die Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die bundesweiten Gesundheitssurveys des Robert KochInstitutes (RKI), die bundesweiten Umweltsur- veys des Umweltbundesamtes sowie die Daten der europäischen Schülerbefragung zu Alkohol und anderen Drogen (ESPAD). 110 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Tabak- und Alkoholkonsum 17 Liter reinen Alkohol pro Kopf 15 13 11 9 7 5 1992 93 94 95 96 97 98 Deutschland Frankreich Niederlande Großbritannien 99 2000 01 02 Abbildung 2.5.4: Alkoholkonsum im europäischen Vergleich. Quelle: OECD Gesundheitsdaten Oktober 2005 03 Im Jahr 2003 lag der Pro-Kopf-Verbrauch von alkoholischen Getränken in Deutschland bei 147 Litern beziehungsweise bei 10,2 Litern reinem Alkohol. Mehr als die Hälfte des Alkohols wird in Form von Bier konsumiert. Wein und Spirituosen machen jeweils etwa ein Fünftel des Gesamtverbrauchs aus [107]. Zwischen den 1950er und beginnenden 1990er Jahren hatte sich der Pro-Kopf-Verbrauch (berechnet als reiner Alkohol) nahezu vervierfacht. Seit dem Spitzenwert von 12,4 Litern im Jahr 1991 zeichnet sich jedoch ein leicht rückläufiger Trend ab. Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland beim Alkoholkonsum seit Jahren einen der vorderen Plätze ein. Unter den 58 von der „Productschap Voor Gedistilleerde Dranken“ erfassten Staaten belegt Deutschland die achte Position [108]. Innerhalb Europas liegt der hiesige Verbrauch nach den Daten der OECD im Mittelfeld und ist vergleichbar mit dem Konsum vieler Nachbarstaaten (siehe Abbildung 2.5.4). Ein deutlich höherer Pro-Kopf-Verbrauch wird für Frankreich und Luxemburg berichtet, ein vergleichsweise geringer Alkoholverbrauch findet sich in Schweden. Jede sechste Frau und jeder dritte Mann trinkt in riskantem Maße. Nach den Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 liegt der Alkoholkonsum bei 16 Prozent der Frauen und 31 Prozent der Männer über den so genannten tolerierbaren oberen Alkoholzufuhrmengen [103, 104]. Bei einem Teil (12,3 Prozent) der 19- bis 59-jährigen Bevölkerung überschreitet die Alkoholzufuhr laut Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung die Risikogrenzwerte sogar deutlich. So verbrauchen in dieser Altersgruppe 1,7 Millionen Frauen mehr als 20 Gramm und 3,8 Millionen Männer mehr als 30 Gramm Alkohol pro Tag [103]. Diese Hochrechnung basiert auf Angaben zum Alkoholkonsum in den letzten 30 Tagen vor der Erhebung. Rechnet man die Angaben der 12-Monats-Prävalenzen aus dem Epidemiologischen Suchtsurvey 2000 auf die 18- bis 69-jährige Bevölkerung hoch, dann ist bei insgesamt 10,4 Millionen Männern und Frauen von einem riskanten Konsum auszugehen [109]. Der Anteil der Frauen und Männer, bei denen der Alkoholkonsum oberhalb der TOAM liegt, ist im mittleren Lebensalter am größten. Doch auch unter jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren werden die TOAM bereits bei elf Prozent der Frauen und 24 Prozent der Männer überschritten [103, 104]. Bei Frauen nimmt der Alkoholverbrauch mit steigender Sozialschicht zu. Der Anteil von Frauen mit einem Konsum Definition Die tolerierbaren oberen Alkoholzufuhrmengen (TOAM) sind Grenzwerte des Alkoholverbrauchs, bei deren Überschreitung die Mehrheit der gesunden Erwachsenen mit einem insgesamt erhöhten Erkrankungsrisiko rechnen muss. Dabei ist der günstige Effekt von mäßigem Alkoholkonsum auf Herz-Kreislauf-Leiden bereits berücksichtigt. Die TOAM liegen in Deutschland für Frauen bei zehn bis zwölf und für Männer bei 20 bis 24 Gramm reinem Alkohol pro Tag [104] [110]. Im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 wurde jeweils der tiefere Wert (10 beziehungsweise 20 Gramm) als TOAM definiert. Mit einem Glas oder einer Flasche alkoholischen Getränks werden folgende Mengen Alkohol aufgenommen: 0,2 l Bier ca. 8 g Alkohol 0,33 l Bier ca. 13 g Alkohol 0,125 l Wein ca. 11 g Alkohol 0,1 l Sekt ca. 9 g Alkohol 4 cl Schnaps (Doppelter; 32 Vol.- % Alkohol) ca. 11 g Alkohol Quelle: Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren e.V. [111] und RKI [104] Tabak- und Alkoholkonsum | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 111 oberhalb der TOAM beträgt in der unteren Sozialschicht 9, in der mittleren 14 und in der oberen Schicht 30 Prozent. Bei Männern findet sich dieses deutliche Schichtgefälle nicht. So konsumieren etwa 35 Prozent der Männer mit hohem Sozialstatus mehr als die TOAM, in der mittleren Schicht sind es 29 und in der unteren 32 Prozent [103, 104]. Bei der Interpretation dieser Zahlen muss jedoch berücksichtigt werden, dass im Ernährungssurvey 1998 keine Daten zum Alkoholkonsum von Obdachlosen oder Personen in Einrichtungen wie Altenheimen, Gefängnissen und Kasernen erhoben wurden und alle Informationen auf Selbstangaben beruhen. In den alten Bundesländern ist der Anteil der Frauen, deren Verbrauch die TOAM überschreitet, etwas größer als in den neuen Ländern (16 versus 13 Prozent). Bei den Männern liegt die entsprechende Quote dagegen mit 35 Prozent im Osten höher als im Westen (30 Prozent). Junge Männer trinken häufiger als junge Frauen. Kinder und Jugendliche sind durch den Konsum alkoholischer Getränke besonders gefährdet, da sich Trinkgewohnheiten im weiteren Verlauf des Lebens verfestigen und zu Störungen der sozialen und psychischen Entwicklung führen können. Repräsentative Daten der Drogenaffinitätsstudie 2003 zeigen, dass 34 Prozent der 12- bis 25-Jährigen regelmäßig, das heißt mindestens einmal pro Woche, Alkohol trinken. Dabei zeigen sich deutliche Geschlechtsunterschiede. Beispielsweise trinken männliche Jugendliche zu 35 Prozent regelmäßig Bier und zu 20 Prozent alkoholische Mischgetränke. Mädchen und junge Frauen konsumieren zu acht Prozent mindestens einmal pro Woche Bier und zu elf Prozent alkoholische Mischgetränke. Im Durchschnitt trinken junge Männer in der Woche 96,5 Gramm reinen Alkohol, etwa ein Viertel trinkt mehr als 120 Gramm. Junge Frauen konsumieren im Durchschnitt 39,2 Gramm reinen Alkohol und acht Prozent von ihnen trinken mehr als 120 Gramm pro Woche [112]. Weitere Daten zum Alkoholkonsum bei Schülerinnen und Schülern wurden in der Studie „Health Behaviour in Schoolaged Children (HBSC)“ [113] und der „Europäischen Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen (ESPAD)“ erhoben [101]. Besonders beliebt unter Jugendlichen waren in den letzten Jahren die Alkopops. Für den Alkoholverbrauch von Jugendlichen gewannen die 1993 auf dem europäischen Markt eingeführten Alkopops im Verlauf der 1990er Jahre zunehmend an Bedeutung [103, 108, 114]. Im Jahr 2003 wurden sie von zwölf Prozent der über 14-Jährigen in Deutschland gekauft. Nach der Drogenaffinitätsstudie 2004 hatten vor Einführung der Sondersteuer auf Alkopops 39 Prozent der Mädchen und jungen Frauen sowie 45 Prozent der Jungen und jungen Männer mindestens einmal im Monat vor der Befragung die alkoholhaltigen Mischgetränke konsumiert. Sieben Prozent der weiblichen und 14 Prozent der männlichen Personen zwischen zwölf und 25 Jahren tranken regelmäßig, also mindestens einmal pro Woche Alkopops [115]. Die meisten Alkopop-Konsumenten fanden Definition Alkopops sind (im Sinne des Alkopopsteuergesetzes) fertig gemischte spirituosenhaltige Süßgetränke. Süße und Aroma überdecken den typischen, bei jungen Menschen oft unbeliebten Alkoholgeschmack. Auch durch ihre Aufmachung und Bewerbung sprechen Alkopops vor allem Jugendliche an [114]. Der Begriff „Alkopop“ wurde mittlerweile auch auf andere fertig gemischte Süßgetränke ausgedehnt, die Wein, Bier oder Fruchtwein enthalten. sich unter den 16- bis 19-Jährigen, von denen 16 Prozent mindestens einmal wöchentlich Alkopops zu sich nahmen. Bei den jungen Frauen wurde kein anderes Alkoholgetränk so häufig konsumiert wie alkoholische Mischgetränke einschließlich der Alkopops [115]. Alkopops stehen in Verdacht, den Einstieg in den dauerhaften Alkoholkonsum zu begünstigen. Um dem steigenden Konsum von Alkopops entgegenzuwirken, wurde eine Sondersteuer auf branntweinhaltige Mixgetränke von 84 Cent je 0,275Liter-Flasche beschlossen. Zudem wurde für diese Getränkeflaschen eine gesetzliche Pflicht zur Kennzeichnung eingeführt, die auf das nach dem Jugendschutzgesetz bestehende Abgabeverbot an Jugendliche unter 18 Jahren hinweist. Die gesetzliche Kennzeichnungspflicht trat zum 10. September 2004 in Kraft. Die Sondersteuer wird auf Alkopops erhoben, die seit 2. August 2004 hergestellt werden [116]. Nach dem Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Alkopopsteuergesetzes auf den Alkoholkonsum ging bei Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren der Anteil derjenigen, die mindestens einmal im Monat spirituosenhaltige Alkopops trinken, von 28 Prozent im Jahr 2004 auf 16 Prozent im Jahr 2005 zurück [117]. Auch der Anteil der Jugendlichen, die wein- und bierhaltige Alkopops mindestens einmal im Monat trinken, sank von 23 auf 21 Prozent. Der Konsum von Alkopops-Brausepulver spielte so gut wie keine Rolle. Da andere Alkoholika in unveränderter Menge getrunken wurden, zeichnet sich insgesamt ein Rückgang in der konsumierten Alkoholmenge bei Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren von 43,9 Gramm pro Woche im Jahr 2004 auf 35,7 Gramm pro Woche im Jahr 2005 ab [118]. Die Hälfte der 16- bis 19-Jährigen betrinkt sich mindestens einmal im Monat. Zwar geht der regelmäßige Alkoholkonsum bei den 12- bis 25-Jährigen seit Anfang der 1970er Jahre insgesamt zurück [115]. Doch eine erhebliche Zahl von Jugendlichen betreibt so genanntes Binge-Drinking (Rauschtrinken), eine besonders riskante Form des Alkoholkonsums.** Bei der Drogenaffinitätsstudie 2004 gaben 25 Prozent der weiblichen und 43 Prozent der männlichen Personen zwischen 12 und 25 Jahren an, mindestens einmal im Monat vor der Befragung fünf oder mehr Gläser Alkohol hintereinander getrunken zu haben. Bei sechs Prozent der Mädchen und jungen Frauen sowie bei 14 Prozent der Jungen und jungen Männer kam dies im Studienvormonat sogar drei- bis fünfmal vor [115]. Die meisten Rauschtrinker und -trinkerinnen fanden sich unter den 16- bis 19-Jährigen: 46 Prozent von ihnen trinken mindestens einmal im Monat fünf oder mehr Gläser Alkohol hintereinander. Im Rahmen der Europäischen Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen (ESPAD) berichteten sogar knapp 60 Prozent der Schüler der neunten und zehnten Jahrgangsstufe in Deutschland, dass sie zumindest einmal in den vorangegangenen 30 Tagen fünf oder mehr Gläser Alkohol konsumiert hatten [103]. Häufig ist das Binge-Drinking mit dem Konsum von Alkopops verbunden [114]. Definition Als Binge-Drinking (Rauschtrinken) wird ein episodischer starker Alkoholkonsum zu bestimmten Trinkgelegenheiten bezeichnet. Das Binge-Drinking gilt als riskantes Trinkmuster, da es langfristig mit einer erhöhten Abhängigkeitsgefahr einhergeht sowie kurzfristig zu Unfällen und Gewalttaten führen kann. Zudem treten bei episodischen Rauschtrinkern gehäuft soziale Probleme auf. Neuerdings wird angenommen, dass das Binge-Drinking auch Herz-Kreislauf-Leiden begünstigt und die Sterblichkeit bei diesen Erkrankungen erhöht [3]. 112 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Tabak- und Alkoholkonsum Auch bei Erwachsenen ist das Binge-Drinking stark verbreitet. Nach Ergebnissen des Epidemiologischen Suchtsurveys 2003 haben in der Altersgruppe 18 bis 59 Jahre 44,6 Prozent der Männer und 16,1 Prozent der Frauen, die in den letzten 30 Tagen Alkohol konsumiert haben, mindestens einmal so viel getrunken, dass von Rauschtrinken gesprochen werden kann. Diese Anteile sind allerdings im Zeitverlauf zurückgegangen: 1995 beliefen sie sich noch auf 53,7 Prozent bei Männern und 25,6 Prozent bei Frauen [119]. Ω Umfassende Informationen zum Alkoholkonsum finden sich in einem Beitrag zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Bundes-Gesundheitssurvey: Alkohol [104]. 100 Männer Prozent Frauen 80 60 40 20 0 18–29 30–39 40 –49 Übergewicht 50– 59 60 –69 ≥70 18–29 Adipositas Abbildung 2.6.1: Verbreitung von Übergewicht und Adipositas nach Alter und Geschlecht. Quelle: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003 [124] 30–39 40– 49 50 –59 60– 69 ≥70 Alter Übergewicht, Bluthochdruck und Hypercholesterinämie | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 113 2.6 Übergewicht, Bluthochdruck und Hypercholesterinämie Ω Zusammenfassung Übergewicht, Bluthochdruck und Hypercholesterinämie zählen zu den wichtigsten Risikofaktoren für Krankheiten des HerzKreislauf-Systems sowie eine Reihe weiterer Leiden. Insbesondere das Zusammentreffen mehrerer Risikofaktoren steigert das Erkrankungsrisiko um ein Vielfaches. Übergewicht, Bluthochdruck und Hypercholesterinämie sind zum einen durch teilweise noch unbekannte genetische Veranlagungen, zum anderen durch individuelle Verhaltensstile bedingt. In Deutschland haben rund die Hälfte der Männer und ein Drittel der Frauen ab 18 Jahren Übergewicht. Weitere 17 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen leiden an Adipositas, einer stark ausgeprägten Form des Übergewichts. Mit steigendem Gewicht erhöht sich unter anderem das Diabetesrisiko. In sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen ist der Anteil der Übergewichtigen erhöht. Insgesamt hat hier zu Lande vor allem die Zahl der Menschen mit Adipositas seit Mitte der 1980er Jahre zugenommen. Über die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas unter Kindern und Jugendlichen liegen noch keine verlässlichen Daten vor. Auch der Bluthochdruck (Hypertonie) gehört zu den Volksleiden. Bei rund einem Drittel der Erwachsenen in Deutschland findet sich eine eindeutige Hypertonie, bei einer großen Zahl weiterer Personen sind die Blutdruckwerte grenzwertig erhöht. Jeder vierte Hypertoniker wird mit Medikamenten behandelt. Deutlich erhöhte Cholesterinspiegel im Blut (Hypercholesterinämie) finden sich bei jedem dritten Mann und jeder dritten Frau in Deutschland. Am häufigsten ist die Hypercholesterinämie bei Frauen im Alter von 60 bis 69 Jahren. Bei Männern tritt sie dagegen im Schnitt schon früher im Leben auf und betrifft bereits unter den 30- bis 39-jährigen rund 25 Prozent. Definition Als Übergewicht bezeichnet man ein im Vergleich zur Norm erhöhtes Körpergewicht, das durch einen vermehrten Körperfettanteil bedingt ist. Per se ist Übergewicht keine Krankheit, sondern vielmehr ein Risikofaktor für bestimmte Erkrankungen. Der Begriff „Übergewicht“ wird im medizinischen Fachgebrauch oft für eine leichtere Erhöhung des Körpergewichts gebraucht. Unter Adipositas (Fettsucht) versteht man dagegen eine ausgeprägte Form des Übergewichts. Sie wird gängigerweise in drei Schweregrade (Adipositas Grad I bis III) unterteilt. Einfluss auf eventuelle Folge- und Begleiterkrankungen des Übergewichts nimmt auch das so genannte Fettverteilungsmuster. Es ist überwiegend genetisch bestimmt. So findet sich bei übergewichtigen Männern meist eine Vermehrung des Fettgewebes an Bauch und Körperstamm („Apfelform“), die als androides Fettverteilungsmuster bezeichnet wird. Bei Frauen ist die Fettvermehrung an Hüften und Oberschenkeln („Birnenform“) häufiger, man spricht vom gynoiden Typ. In verschiedenen Studien wurde insbesondere die androide Fettverteilung mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko, beispielsweise hinsichtlich der Herz-Kreislauf-Leiden, in Zusammenhang gebracht [121]. 2.6.1 Übergewicht und Adipositas Übergewicht steigert das Erkrankungsrisiko. Menschen mit zu hohem Körpergewicht leiden vermehrt unter verschiedenen Krankheiten. So besteht bei Übergewichtigen ein erhöhtes Herzinfarktrisiko, insbesondere dann, wenn die Betroffenen gleichzeitig körperlich inaktiv sind, rauchen oder hohen Blutdruck haben. Belegt ist zudem, dass bereits geringes Übergewicht das Auftreten eines Typ-2-Diabetes begünstigen kann. Bei sehr stark übergewichtigen Frauen (Body-Mass-Index > 30) fand sich in der so genannten Nurses’ Health Study ein 30-fach höheres Diabetesrisiko als bei sehr schlanken Frauen (Body-Mass-Index < 22) [120]. Darüber hinaus steht Übergewicht in Zusammenhang mit Fettstoffwechselstörungen, Gicht, Rückenbeschwerden, Gallenblasenerkrankungen, Schlaganfällen und bestimmten Krebsleiden [121]. Auch bei Jugendlichen können Übergewicht und Adipositas bereits das Erkrankungsrisiko erhöhen und beispielsweise Bluthochdruck, Zuckerkrankheit oder Gelenkschäden begünstigen. Zudem setzen sich die Gewichtsprobleme oft ins Erwachsenenalter fort [121]. Verlässliche Aussagen über die Häufigkeit von Übergewicht und Adipositas bei Kindern in Deutschland sind nach Abschluss des bundesweiten Kinder- und Jugendgesundheitssurveys zu erwarten, der zurzeit vom Robert KochInstitut durchgeführt wird. ** Nur ein Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen haben ein normales Gewicht. Übergewicht und Adipositas sind in Deutschland weit verbreitet. Das zeigen sowohl die Ergebnisse des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 und des Mikrozensus 2003 als auch die aktuellen Daten des Telefonischen Gesundheitssurveys 2003 [123, 124]. In der Bevölkerung ab 18 Jahren sind etwa die Hälfte der Männer und ein Drittel der Frauen übergewichtig; 17 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen sind adipös. Lediglich ein Drittel der erwachsenen Männer wäre demnach als normalgewichtig einzustufen, bei den erwachsenen Frauen ist es knapp die Hälfte. Übergewicht und Adipositas nehmen mit steigendem Lebensalter zu. Ab dem 60. Lebensjahr sind vier von fünf Männern und Frauen übergewichtig oder adipös (siehe Abbildung 2.6.1). Bei Männern bestehen zwischen den alten und neuen Bundesländern nur geringe Unterschiede in der Verbreitung von Übergewicht und Adipositas. Bei Frauen jenseits des 30. Lebensjahrs zeigt sich allerdings ein deutliches Ost-West-Gefälle. So sind in der Altersgruppe ab 65 Jahren 48,8 Prozent der ostdeutschen, dagegen 28,3 Prozent der westdeutschen Frauen adipös. Im europäischen Vergleich erweist sich, dass der Anteil der Bevölkerung mit Übergewicht und Adipositas in Deutschland (wie auch in England) deutlich höher ist als in anderen EU- Definition Der Body-Mass-Index (BMI) ist ein häufig verwendeter Indikator dafür, ob eine Person unter-, normal- oder übergewichtig ist. Er korreliert stark mit der Gesamtfettmenge im Körper und lässt sich leicht bestimmen. Definiert ist der BMI als Verhältnis von Körpergewicht in Kilogramm zum Quadrat der Körpergröße in Metern. Gewicht (kg) BMI = Größe (m)2 Bei einer 80 Kilo schweren und 1,80 Meter großen Person beispielsweise beträgt der BMI 24,7. Nach einer Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation unterscheidet man je nach BMI zwischen Untergewicht (BMI < 18,5), Normalgewicht (18,5 – 24,9), Übergewicht (25,0 – 29,9) sowie Adipositas Grad I (30,0 – 34,9), Grad II (35,0 – 39,9) und Grad III (> 40) [122]. 114 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Übergewicht, Bluthochdruck und Hypercholesterinämie 100 Prozent Männer Frauen 80 60 40 20 0 Hauptschule Mittlere Reife Übergewicht Abitur Hauptschule Mittlere Reife Abitur Schulbildung Adipositas Abbildung 2.6.2: Verbreitung von Übergewicht und Adipositas nach Schulbildung und Geschlecht. Quelle: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003 [124] Beobachtungszeitpunkt 1984–86 1987/88 1990–92 1998 Differenz 1984–2003 2003 Männer BMI 25 bis < 30 50,1 50,1 49,3 49,8 52,9 +2,8 BMI ≥ 30 16,2 15,0 18,0 21,5 22,5 +6,3 Frauen BMI 25 bis < 30 32,0 32,1 32,1 31,5 35,6 +3,6 BMI ≥ 30 16,2 17,5 21,2 22,4 23,3 +7,1 Tabelle 2.6.1: Verbreitung von Übergewicht und Adipositas im Zeitraum 1984 bis 2003 (in Prozent). Quelle: Bundesweite Gesundheitssurveys des RKI 1984–86 bis 1998 und Bertelsmann Gesundheitsmonitor 2003 [21] Blutdruckklassen Frauen Männer gesamt alte BL neue BL gesamt alte BL neue BL normoton 57,9 % 59,1 % 53,3 % 49,7 % 51,5 % borderline 9,3 % 9,3 % 9,1 % 15,8 % 15,5 % 16,8 % hyperton 26,9 % 26,1 % 30,1 % 29,7 % 28,5 % 34,5 % 5,9 % 5,5 % 7,5 % 4,8 % 4,5 % 6,1 % kontrolliert hyperton BL: Bundesländer; normoton: Systole < 140 mm Hg und Diastole < 90 mm Hg; borderline: grenzwertig hyperton: Systole ≥ 140 bis ≤ 149 mm Hg und/oder Diastole ≥ 90 bis ≤ 94 mm Hg; hyperton: Systole > 149 mm Hg und/oder Diastole > 94 mm Hg; kontrolliert hyperton: Blutdruck senkende Medikation und Systole ≤ 149 mm Hg und Diastole ≤ 94 mm Hg. Tabelle 2.6.2: Blutdruckprävalenz nach WHO-Klassifikation, 1998 (in Prozent), modifiziert. Quelle: Bundesgesundheitssurvey 1998, RKI Land Prävalenz gesamt Frauen antihypertensive Therapie Männer Nordamerika 27,6 % 24,8 % 30,4 % 44,4 % USA 27,8 % 25,8 % 29,8 % 52,2 % Kanada 27,4 % 23,8 % 31,0 % 36,3 % Europa 44,2 % 38,6 % 49,7 % 26,8 % Italien 37,7 % 30,6 % 44,8 % 32,0 % Schweden 38,4 % 32,0 % 44,8 % 26,2 % England 41,7 % 36,5 % 46,9 % 24,8 % Spanien 46,8 % 44,6 % 49,0 % 26,8 % Finnland 48,7 % 41,6 % 55,7 % 25,0 % Deutschland 55,3 % 50,3 % 60,2 % 26,0 % Hypertonie: ≥ 140/90 mm Hg oder antihypertensive Therapie Tabelle 2.6.3: Vorkommen der Hypertonie und antihypertensiven Therapie im internationalen Vergleich bei Frauen und Männern im Alter von 35 bis 64 Jahren, altersadjustiert. Quelle: [130] 42,6 % Übergewicht, Bluthochdruck und Hypercholesterinämie | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 115 Staaten [125]. Allerdings lagen diesem Vergleich für Deutschland und England objektive Messwerte zugrunde, während für andere Länder Selbstauskünfte zu Körpergewicht und Körpergröße genutzt wurden. Wenn man auch für Deutschland solche Daten aus Bevölkerungsbefragungen heranzieht, zeigen sich gegenüber den meisten anderen europäischen Ländern keine bedeutsamen Unterschiede [126]. Sozial Benachteiligte haben häufiger Übergewicht. Wie in vielen anderen Ländern auch, tritt Übergewicht und Adipositas in Deutschland vermehrt in der unteren Sozialschicht auf. Die Sozialschicht wird bei empirischen Untersuchungen in der Regel durch das Haushaltsnettoeinkommen, den Berufsstatus und das Bildungsniveau definiert. So zeigen die Daten des Telefonischen Gesundheitssurveys 2003, dass Übergewicht und Adipositas bei Männern und Frauen mit Hauptschulabschluss deutlich häufiger sind als bei Personen mit Abitur (siehe Abbildung 2.6.2). Bei Frauen macht sich der Bildungsgradient dabei noch etwas stärker bemerkbar als bei Männern. Die Zahl der Erwachsenen mit Übergewicht ist seit den 1980er Jahren gestiegen. Die Verbreitung von Übergewicht und insbesondere Adipositas hat in Deutschland in den letzten beiden Jahrzehnten zugenommen. Dies zeigt zumindest eine Analyse von Daten der seit Mitte der 1980er Jahre durchgeführten Gesundheitssurveys und des Bertelsmann Gesundheitsmonitors 2003 (siehe Tabelle 2.6.1). Danach ist unter Männern der Anteil der Übergewichtigen (BMI 25 bis < 30) um 2,8 auf insgesamt 52,9 Prozent sowie der Anteil der Adipösen (BMI > 30) um 6,3 auf insgesamt 22,5 Prozent gewachsen. Bei Frauen stiegen die Quoten um 3,6 auf 35,6 Prozent (Übergewicht) sowie um 7,1 auf 23,3 Prozent (Adipositas) [21]. Dieser Trend, der sich in allen Mitgliedstaaten der OECD nachzeichnen lässt, unterstreicht den (gesundheitspolitischen) Handlungsbedarf, wobei entsprechende Interventionen zur Vermeidung oder Verringerung von Übergewicht und Adipositas auf verschiedenen Ebenen ansetzen müssen. So ist fast immer eine dauerhafte Umstellung der Ernährungsgewohnheiten notwendig. Als günstig gilt eine vielseitige Kost mit einem hohen Anteil an Obst, Gemüse und Getreideprodukten, während bei Fett, Salz und Zucker eher gespart werden sollte [127]. Zu einer Niedrig-Kalorien-Diät wird nur geraten, wenn der Gewichtsverlust dringend notwendig ist, beispielsweise vor Operationen. Neben der Ernährungsumstellung kommt einer verstärkten körperlichen Aktivität und damit einer Erhöhung des Energieverbrauchs große Bedeutung zu. Geeignet sind vor allem Ausdauersportarten wie Walking, Dauerlauf, Radfahren und Schwimmen. Aber selbst eine erhöhte körperliche Aktivität im Alltag, beispielsweise durch häufigeres Treppensteigen oder Zu-Fuß-Gehen, bringt oftmals positive Effekte mit sich. Medizinische Maßnahmen können bei starkem Übergewicht sinnvoll oder sogar notwendig sein. Neben Verhaltens therapien und der Gabe von Medikamenten kommen bei extremer Adipositas bisweilen operative Verfahren zum Einsatz. Der Prävention von Übergewicht und Adipositas ist in jedem Fall der Vorrang zu geben. Allerdings muss diese bereits im Kindes- und Jugendalter ansetzen, da gesundheitsförderliche Ernährungs- und Bewegungsstile erlernt werden müssen [121]. Ω Umfassende Informationen zu Übergewicht und Adipositas finden sich in Heft 16 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [121]. 2.6.2 Bluthochdruck Rund ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland hat eindeutigen Bluthochdruck. Bluthochdruck (Hypertonie) leistet HerzKreislauf-Leiden Vorschub. Dabei steigt das Risiko mit zunehmenden Blutdruckwerten linear an. Für die Diagnose der Hypertonie greift man gleichwohl auf bestimmte Blutdruckwerte zurück. Angegeben wird der Blutdruck in Millimeter Quecksilbersäule (mm Hg), einer alten Einheit der Druckmessung. Nach der geläufigsten Definition liegt eine Hypertonie vor, wenn der systolische (obere) Blutdruckwert ≥ 140 mm Hg und/oder der diastolische (untere) Wert ≥ 90 mm Hg beträgt [128]. Nach Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 (BGS98) haben 42,1 Prozent der Frauen und 50,3 Prozent der Männer im Alter von 18 bis 79 Jahren eine Hypertonie (≥ 140/90 mm Hg) [129]. Bei etwa zwei Drittel der Fälle handelt es sich mit einem systolischen Wert von mehr als 149 mm Hg oder einem diastolischen Wert von mehr als 94 mm Hg um eine eindeutige Hypertonie (siehe Tabelle 2.6.2). Die stärkere Verbreitung des Bluthochdrucks unter Männern zeigt sich in den alten wie neuen Bundesländern. Die Prävalenz der (eindeutigen) Hypertonie ist in den neuen Ländern besonders hoch. Nur bei einem Teil der Patienten bringt die Therapie den gewünschten Effekt. Von den Hypertonikern (≥140/90 mm Hg) im Alter zwischen 35 und 64 Jahren werden 26 Prozent mit Medikamenten behandelt [130]. In der HYDRA (Hypertension and Diabetes Screening and Awareness)-Studie aus dem Jahr 2001 zeigte sich, dass bei weniger als 30 Prozent der behandelten Bluthochdruckpatienten eine kontrollierte Hypertonie (< 140/90 mm Hg) erreicht wird, das heißt, dass der bestehende Blutdruck durch die Medikamenteneinnahme auf normale oder nahezu normale Werte abgesenkt ist [131]. Insgesamt werden Frauen öfter und auch öfter mit Erfolg behandelt als Männer, obwohl sie seltener Bluthochdruck haben. Zudem fanden sich Defizite bei der Erkennung der Hypertonie in den Arztpraxen. Vor allem bei jungen Menschen wurde der Bluthochdruck oft nicht erkannt. Seit Anfang der 1990er Jahre (DatenQuelle: Gesundheitssurvey Ost-West 1990/92) hat die Prävalenz der eindeutigen Hypertonie bei Frauen um 3,9 auf insgesamt 27,0 Prozent sowie bei Männern um 1,7 auf insgesamt 30,1 Prozent zugenommen. Gleichzeitig hat sich die Verbreitung des Bluthochdrucks in den alten und neuen Bundesländern angeglichen. In Westdeutschland wurde der Hochdruck in den 1990er Jahren bei beiden Geschlechtern häufiger. In Ostdeutschland waren die Raten bei Männern rückläufig [129]. Der Hochdruck ist in Deutschland häufiger als in vielen anderen Ländern. In Deutschland ist der Bluthochdruck weiter verbreitet als in den meisten anderen Industrieländern (siehe Tabelle 2.6.3) [130]. In den USA und Kanada leiden nur halb so viele Personen an Hypertonie wie hier zu Lande, gleichzeitig wird dort ein deutlich höherer Anteil der Patienten behandelt. 116 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Übergewicht, Bluthochdruck und Hypercholesterinämie Geschlecht/ Alter (Jahre) Gesamtcholesterinwerte (mg/100 ml) ≥ 200 ≥ 250 ≥ 300 Frauen 18–19 26,4 20–29 53,4 0,3* 12,0 5,4 30–39 61,5 0,1* 15,2 0,1* 40–49 74,0 0,9* 26,0 0,5* 4,5 50–59 89,9 3,3* 50,9 2,3* 13,3 1,0* 60–69 94,2 11,5* 64,4 7,0* 21,4 2,6* 0,7 3,4 70–79 90,9 9,6* 56,5 5,8* 17,6 3,3* gesamt 74,9 3,7* 34,9 2,3* 9,2 1,0* Männer 18–19 16,0 20–29 41,5 0,8 30–39 70,1 1,4* 25,1 1,0* 5,2 0,3* 40–49 83,7 2,7* 40,9 1,7* 11,5 0,6* 50–59 85,7 5,8* 43,0 2,7* 9,8 0,6* 60–69 86,9 9,3* 44,3 4,5* 12,8 0,9* 70–79 80,8 8,1* 44,6 3,4* 14,8 1,4* gesamt 72,6 3,8* 32,2 1,9* 8,3 0,5* 9,3 * Anteil von Personen (in Prozent), die mit cholesterinsenkenden Medikamenten behandelt werden Tabelle 2.6.4: Häufigkeit erhöhter Gesamtcholesterinwerte bei Frauen und Männern nach Alter (in Prozent). Quelle: Bundes-Gesundheitssurvey 1998, RKI 1,7 Übergewicht, Bluthochdruck und Hypercholesterinämie | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | 117 2.6.3 Hypercholesterinämie Bei jedem dritten Erwachsenen ist der Cholesterinspiegel zu hoch. Aussagekräftige Daten zu den Cholesterinspiegeln der Deutschen lieferten Anfang der 1990er Jahre der Nationale Gesundheitssurvey 1990/91 und der Gesundheitssurvey Ost 1991/92 [132]. Danach lag der Gesamtcholesterinspiegel bei insgesamt 74 Prozent der 25- bis 69-Jährigen bei ≥ 200 mg/100 ml. Werte ab 250 mg/100 ml (Hypercholesterinämie) fanden sich bei 35,6 Prozent der Frauen und 31,4 Prozent der Männer, Werte ab 300 mg/100 ml dagegen bei 10,5 Prozent der Frauen und 7,4 Prozent der Männer. Bei beiden Geschlechtern zeigte sich, dass der Gesamtcholesterinwert mit dem Alter steigt. Eine nähere Differenzierung im Blick auf Krankheiten oder medizinische Behandlungen erfolgte nicht. Allerdings dürften weniger als fünf Prozent der Studienteilnehmer cholesterinsenkende Medikamente eingenommen haben [134]. Neuere Daten stammen aus dem Bundes-Gesundheitssurvey 1998 (siehe Tabelle 2.6.4) [135]. So weisen bereits im Alter von 30 bis 39 Jahren 15,2 Prozent der Frauen und 25,1 Prozent der Männer einen Cholesterinwert von ≥ 250 mg/100 ml auf. Am häufigsten ist die Hypercholesterinämie (≥250 mg/100 ml und ≥ 300 mg/100 ml) bei Frauen im Alter zwischen 60 und 69 Jahren. Bei den Männern nimmt ihre Verbreitung bis zum 80. Lebensjahr zu. Ungünstig ist, wenn der Gesamtcholesterinwert 250 mg/ 100 ml übersteigt und gleichzeitig das Verhältnis von Gesamtcholesterin zu HDL-Cholesterin mehr als 5:1 beträgt. Diese Konstellation findet sich im Schnitt bei 10,7 Prozent der Frauen und 20,9 Prozent der Männer. Bei Männern tritt sie generell früher im Leben auf und lässt sich bereits unter den 40- bis 49-Jährigen bei 28,1 Prozent nachweisen. Unter den 50- bis 79jährigen Frauen schwankt der Anteil der von der kombinierten Risikokonstellation betroffenen Personen zwischen 17,4 und 21,4 Prozent. Gefährlich ist indes vor allem die Kombination von mehreren unterschiedlichen Risikofaktoren. So geht eine Hyper- Definition Unter Hypercholesterinämie versteht man einen deutlich erhöhten Cholesterinspiegel im Blut. Der Cholesterinspiegel wird häufig in Milligramm (mg) Cholesterin pro 100 Milliliter (ml) Blutserum angegeben. Zu hohe Werte sind Ausdruck einer Fettstoffwechselstörung und spielen bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Krankheiten eine führende Rolle. In Anlehnung an die Empfehlungen der European Arteriosclerosis Society (EAS) von 1986 können erhöhte Cholesterinwerte in drei Bereiche eingeteilt werden (200 – < 250 mg/100 ml; 250 – < 300 mg/100 ml; ≥ 300 mg/100 ml). In der Regel wird erst ab Werten von 250 mg/100 ml von einer Hypercholesterinämie gesprochen [132]. Cholesterin wird im Blut transportiert, indem es sich an spezielle Eiweiße bindet, die man mit den Kürzeln LDL und HDL bezeichnet und die für unterschiedliche Transportwege des Cholesterins im Organismus zuständig sind. LDL-Cholesterin und HDL-Cholesterin besitzen bei der Entstehung einer Arterienverkalkung offenbar gegenläufige (schädliche und schützende) Wirkungen, weshalb das erste landläufig auch „schlechtes“, das zweite dagegen „gutes Cholesterin“ genannt wird. Nach den aktuellen europäischen Leitlinien für Herz-Kreislauf-Erkrankungen der European Society of Cardiology aus dem Jahr 2003 sollte der Gesamtcholesterinspiegel unter 190 mg/100 ml und das LDL-Cholesterin unter 115 mg/100 ml liegen [133]. Wichtig ist zudem das Verhältnis von Gesamtcholesterin zu HDL-Cholesterin. Ein Verhältnis von mehr als 5:1 gilt als ungünstig. cholesterinämie insbesondere dann mit einem erhöhten HerzKreislauf-Risiko einher, wenn der Betroffene gleichzeitig raucht, hohen Blutdruck hat, zuckerkrank ist oder durch seine genetische Veranlagung belastet ist. In bestimmten Fällen spricht man bei einem Zusammentreffen verschiedener Risikofaktoren auch von einem metabolischen Syndrom.** Bei einem metabolischen Syndrom steigt das Risiko, an einem Herz-Kreislauf-Leiden zu erkranken oder zu versterben, nach verschiedenen prospektiven Studien auf das 2- bis 4fache [138 – 140]. In den USA wird die Prävalenz des metabolischen Syndroms in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung auf über 20 Prozent geschätzt. Dem Syndrom liegen mehrere Ursachen zugrunde, wobei offenbar Übergewicht, geringe körperliche Aktivität und abträgliches Ernährungsverhalten mit teilweise noch unbekannten genetischen Faktoren zusammenspielen [139, 141]. Das frühe Erkennen, die Therapie und Prävention des metabolischen Syndroms gehören derzeit zu den großen Herausforderungen im Gesundheitssystem. Definition Als metabolisches Syndrom bezeichnet man die Kombination von Übergewicht, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Insulinresistenz. Letztere ist durch eine verminderte Insulinwirkung im Organismus gekennzeichnet und spielt bei der Entstehung des Typ-2-Diabetes eine wesentliche Rolle. Die verschiedenen Risikofaktoren beeinflussen sich gegenseitig, was zu einem erheblichen Risiko für HerzKreislauf-Erkrankungen führt [136, 137]. 118 | Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit? | Literatur Literatur 1 Helmert U, Bammann K, Voges W et al. (2001) Müssen Arme früher sterben? Soziale Ungleichheit und Gesundheit in Deutschland. Juventa, Weinheim München 2 Mielck A (2001) Soziale Ungleichheit und Gesundheit – Empirische Ergebnisse, Erklärungsansätze, Interventionsmöglichkeiten. 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Kernaussagen Ω Die gesetzlichen Krankenkassen sind nach dem Fünften Sozialgesetzbuch zu Prävention und Gesundheitsförderung verpflichtet. (Seite 127) Ω Bewegung, Ernährung und Stress sind die häufigsten Themen bei Präventionskursen der Krankenkassen; vier Fünftel der Kursteilnehmer sind Frauen. (Seite 131) Ω Rund 20 Millionen Menschen in Deutschland lassen sich jedes Jahr gegen Grippe impfen. (Seite 133) Ω Etwa die Hälfte der Frauen und ein Fünftel der Männer nehmen an der Krebsfrüherkennung teil. (Seite 133) Ω Die Möglichkeit zur zahnärztlichen Individualprophylaxe wird von rund 40 Prozent der Anspruchsberechtigten aus den alten Bundesländern genutzt. (Seite 135) Ω Mehr als 90 Prozent der Kinder durchlaufen in den ersten beiden Lebensjahren die routinemäßigen Früherkennungsuntersuchungen. (Seite 137) Ω Männer sind schlechter über Gesundheitsthemen informiert als Frauen. (Seite 141) Ω Menschen in sozial benachteiligter Lage fragen Präventionsangebote weniger nach. (Seite 141) Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | 123 3 Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? Ω Zusammenfassung Prävention und Gesundheitsförderung sollen nach den Vereinbarungen des Koalitionsvertrags vom November 2005 zu einer eigenständigen Säule des Gesundheitswesens mit einem Präventionsgesetz ausgebaut werden. Es sollen Krankheiten und ihre Folgen verhütet und dadurch Lebenserwartung und Lebensqualität der Bevölkerung gesteigert werden. Zum Spektrum der Präventionsinstrumente, die im Fünften Sozialgesetzbuch verankert sind und von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden, zählen Schutzimpfungen, Gesundheits- und Krebsfrüherkennungsuntersuchungen, die Zahnprophylaxe, die betriebliche Gesundheitsförderung sowie Angebote der primären Prävention für Krankenversicherte. Seit den 1990er Jahren nimmt eine wachsende Zahl von Menschen in Deutschland die bestehenden Präventionsangebote in Anspruch. So steigen die Raten bei Schutz- und Grippeimpfungen ebenso wie die Teilnahmequoten bei Gesundheits- und Krebsfrüherkennungsuntersuchungen. Auch die Inanspruchnahme der zahnärztlichen Individualprophylaxe hat sich seit ihrer Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 1991 deutlich erhöht. Gleichwohl wird weiterhin nur ein Bruchteil der Bevölkerung durch die vorhandenen Angebote erreicht. Generell sind Män- ner weniger an Prävention und Gesundheitsförderung interessiert als Frauen. Männer lassen sich vor allem dann für Präventionsmaßnahmen gewinnen, wenn diese keinen zusätzlichen Aufwand mit sich bringen und beispielsweise am Arbeitsplatz oder bei einem ohnehin stattfindenden Arztbesuch erfolgen. Zudem fragen Menschen in sozial benachteiligter Lage Präventionsangebote weniger nach als Angehörige der oberen Sozialschicht. Dies könnte mit schichtspezifischen Zugangsbarrieren ebenso wie mit Informationsdefiziten zu tun haben. Neben einem höheren Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung sind strukturelle Verbesserungen im Gesundheitswesen erforderlich. Die zahlreichen Präventionsangebote müssen alle sozialen Schichten erreichen und von den Anbietern besser koordiniert und vernetzt werden. Defizite bestehen zudem in der Präventionsforschung, die beispielsweise klären soll, welche Wirksamkeit oder welchen ökonomischen Nutzen bestimmte Präventionsmaßnahmen im Einzelnen besitzen. In diesem Kapitel wird der Schwerpunkt der Betrachtung auf jene Präventionsmöglichkeiten gelegt, die durch das Fünfte Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) geregelt sind. Weitere Träger von Präventionsleistungen sind beispielsweise die Rentenversicherung und die Unfallversicherung. 124 | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | Spektrum der Präventionsangebote 3.1 Spektrum der Präventionsangebote Ω Zusammenfassung Durch Prävention und Gesundheitsförderung können Krankheiten vermieden und zugleich die Lebensqualität der Bevölkerung erhöht werden. Die Idee der Krankheitsprävention besitzt eine lange Tradition. Allerdings herrschten bis Ende der 1970er Jahre sowohl in der ehemaligen DDR wie in der Bundesrepublik paternalistische Präventionskonzepte vor, die vorwiegend auf sozialhygienische Maßnahmen wie Massenimpfungen und Reihenuntersuchungen in Schulen sowie die Gesundheitserziehung der Bevölkerung abzielten. Seit den 1980er Jahren ist dagegen zunehmend der Einfluss der sozialen Lebensbedingungen auf die Gesundheit in den Blick gerückt. In der Folge wurde beispielsweise die Gesundheitsförderung in Betrieben vorangetrieben. Nach § 20 Abs. 1 und 2 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) sollen die gesetzlichen Krankenkassen einen bestimmten Teil ihrer Ausgaben für Maßnahmen der primären Prävention und Gesundheitsförderung aufwenden. Dazu gehören beispielsweise Kurse zur Prävention, Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung und die Förderung von Selbsthilfegruppen nach § 20 Abs. 4 SGB V. Nach wie vor sind die zahlreichen Präventionsangebote zu wenig bekannt und nicht ausreichend miteinander vernetzt. Defizite bestehen zudem in der Präventionsforschung, die beispielsweise klären soll, welche Wirksamkeit oder welchen ökonomischen Nutzen bestimmte Präventionsmaßnahmen im Einzelnen besitzen. Spektrum der Präventionsangebote | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | 125 3.1.1 Ziel und Stellenwert von Prävention und Gesundheitsförderung Die Prävention von Krankheiten soll die Lebensqualität steigern. Ziel der Prävention und Gesundheitsförderung ist die Vermeidung von Krankheiten und ihren Folgen. Dadurch sollen Lebensqualität und Wohlbefinden gesteigert sowie die in Gesundheit verbrachte Lebenszeit verlängert werden. Zudem können präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen zur Verminderung von sozial bedingten gesundheitlichen Nachteilen beitragen, indem sie sich auch und gerade an sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen richten [1, 2]. Seit 2000 wird der Präventionsgedanke von der Gesundheitspolitik wieder verstärkt vorangetrieben. Dazu tragen der demografische Wandel und die damit steigende Zahl chronisch kranker und versorgungsbedürftiger Menschen ebenso bei wie die Verknappung finanzieller Ressourcen im Gesundheitssystem. Zugleich zeigen neue Erkenntnisse der Public-Health-Forschung, dass sowohl gesellschaftliche Lebensbedingungen als auch individuelle Lebensgewohnheiten maßgeblichen Einfluss auf die Gesundheit nehmen. Von großer Bedeutung ist das Konzept der Salutogenese [3, 4]. Als Gegenmodell zur Pathogenese (Entstehung von Krankheiten) beschreibt die Theorie der Salutogenese, warum Definition [6] Unter Gesundheitsförderung oder auch Stärkung der Gesundheitsressourcen versteht man Maßnahmen, die gesundheitlich abträgliche Verhaltensweisen generell abbauen helfen, die Gesundheitskompetenz des Einzelnen fördern sowie zur Verbesserung von gesundheitsrelevanten Lebensbedingungen beitragen. Dazu gehören beispielsweise der Nichtraucherschutz, die Gewährleistung einer angemessenen Bildung oder Informationen über gesundheitsförderliche Ernährungsstile. Gesundheitsförderung gilt als wichtiger Bestandteil und Querschnittsaspekt einer modernen Gesundheitssicherung [7]. Als Prävention wird dagegen die gezielte Verhütung von bestimmten Krankheiten und ihren Folgen verstanden. Die primäre Prävention (Vorbeugung, Risikoschutz) umfasst Maßnahmen, die das erstmalige Auftreten einer Erkrankung verhindern oder verzögern. Primäre Prävention richtet sich an die (noch) Gesunden. Sie setzt an spezifischen Risikofaktoren oder Kofaktoren von Erkrankungen an und kann sich sowohl auf das Verhalten von Individuen und Gruppen (Verhaltensprävention) als auch auf die biologische, technische oder soziale Umwelt beziehen (Verhältnisprävention). Dazu gehören ebenfalls Maßnahmen, die dem Risikoschutz dienen, wie beispielsweise Schutzimpfungen oder die Vitamin-D-Prophylaxe. Die sekundäre Prävention (Früherkennung) dient der möglichst frühzeitigen Erkennung und Therapie einer bestehenden Erkrankung. Dadurch soll ihr Fortschreiten bereits im Anfangsstadium gestoppt werden. Ein Beispiel ist die Krebsfrüherkennung. Die tertiäre Prävention (Rehabilitation) soll nach dem Eintreten einer Krankheit eventuelle Funktionseinbußen und Folgeerkrankungen verhindern und eine möglichst hohe Lebensqualität wiederherstellen. Beispiel ist die Teilnahme an einer Herzsportgruppe nach einem Herzinfarkt. Prävention und Gesundheitsförderung können auf verschiedenen Interventionsebenen angreifen. Der individuelle Ansatz ist in erster Linie auf den einzelnen Menschen und sein Verhalten ausgerichtet. Ein Beispiel sind spezifische Beratungsangebote. Der Setting-Ansatz umfasst Maßnahmen in jenen Lebensbereichen, wo Menschen in der Regel den größten Teil ihrer Zeit verbringen, beispielsweise Maßnahmen am Arbeitsplatz, in der Schule oder am Wohnort. Diese Form der Gesundheitsförderung gilt insgesamt als sehr Erfolg versprechend. Mit Interventionen auf Bevölkerungsebene sind Aktivitäten gemeint, die sich auf die gesamte Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen beziehen. Hierzu zählen Gesetze und Verordnungen sowie Aufklärungskampagnen, beispielsweise Nichtraucherkampagnen [8]. Menschen gesund bleiben und welche Eigenschaften und Fähigkeiten sie darin unterstützen. Dabei verzichtet das Salutogenese-Modell auf eine strikte Trennung von krank und gesund als zwei entgegen gesetzten Zuständen. Gesundheit wird vielmehr als Prozess in einem Gesundheits-KrankheitsKontinuum verstanden, auf den soziale, körperliche, emotionale und geistige Faktoren Einfluss nehmen. Mit der OttawaCharta [5] wurde der Ansatz der Salutogenese in die internationale gesundheitspolitische Diskussion eingebracht. Prävention kann Behandlungskosten verringern. Im Einzelnen zielt Prävention auf eine ganze Reihe von Effekten ab: Sie kann Krankheiten verhüten und Krankheitsrisiken reduzieren; vorzeitige Todesfälle vermeiden; Behandlungskosten einsparen helfen; eine rechtzeitige Therapie erleichtern; Behinderungen vorbeugen; Arbeitsfähigkeit erhalten; Frühverrentung verhindern oder hinauszögern; chronische Krankheiten ins höhere Lebensalter verschieben oder vermeiden; die Lebensqualität steigern; den allgemeinen Gesundheitszustand einer Bevölkerung verbessern [9]. Inwieweit Prävention zu Einsparungen im Gesundheitswesen beitragen kann, wird kontrovers diskutiert. So könnten Präventionsmaßnahmen einerseits die direkten Behandlungskosten sowie die indirekten Folgekosten verringern, die beispielsweise durch Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung in der Folge vieler Erkrankungen entstehen. Andererseits müssen Präventionsmaßnahmen ihrerseits bezahlt werden. Auch führt die Verlagerung von Krankheiten ins höhere Lebensalter möglicherweise in diesen Altersgruppen zu steigenden Therapiekosten [9]. 3.1.2 Historische Entwicklung der Präventionsorientierung im deutschen Gesundheitswesen Bis Ende der 1970er Jahre dominierten paternalistische Präventionskonzepte. Mit der Gründung des „Bundesausschusses für gesundheitliche Volksbelehrung“ (heute Bundesvereinigung für Gesundheit e.V.) im Jahr 1954 sowie der Einrichtung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Jahr 1967 wurden in den alten Bundesländern mit Unterstützung seitens der Politik Institutionen geschaffen, die sich vor allem um die Gesundheitserziehung des Einzelnen bemühten (Verhaltens prävention). Demgegenüber wurde die Gesundheitspolitik in der ehemaligen DDR staatlich-zentralistisch gestaltet, die staatliche Verantwortung für eine allgemeine Prophylaxe betont [10]. Gesundheitsförderung und -vorsorge begriff man in der ehemaligen DDR als allgemeine sozialpolitische Aufgabe und führte beispielsweise Massenimpfungen und Reihenuntersuchungen in Schulen und Betrieben ein. Die sozialhygienische Orientierung im Gesundheitswesen schlug sich auch in der Gründung verschiedener Institute nieder [11]. So entstand beispielsweise im Deutschen Hygienemuseum in Dresden im Jahr 1967 das Institut für Gesundheitserziehung. In beiden deutschen Staaten dominierten bis zum Ende der 1970er Jahre eher bevormundende Erziehungskonzepte, die den Einfluss der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse auf die Gesundheit verdrängten [12]. In den 1980er Jahren rückte die Bedeutung der sozialen Verhältnisse in den Blick. Ab Anfang der 1980er Jahre rückte sowohl unter Wissenschaftlern wie in der Gesundheitspolitik zunehmend die gesellschaftliche Determiniertheit von Gesundheit und Krankheit in den Blick. Damit gewann die Verhältnisprävention an Bedeutung. Die so genannte Ottawa-Charta der Welt- 126 | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | Spektrum der Präventionsangebote SGB III SGB V SGB VII Arbeit Arbeitsförderung Arbeitsschutz Betriebliche Gesundheitsförderung ÖGD SGB V SGB VIII Schulgesetze Kinder und Jugendliche Kinder- und Jugendschutz Kindertagesbetreuung Kinder- und Jugend(sozial)arbeit Familienförderung, Schule §§ Prävention Gesundheitsschutz Pflege Selbsthilfe und Patientenberatung SGB XI Abbildung 3.1: Wesentliche gesundheitsbezogene Bereiche mit präventiven rechtlichen Regelungen im SGB und auf Länderebene. Quelle: [22, 23] SGB V SGB IX Länder SGB V ÖGD Verhaltensbezogene Primärprävention Impfungen Vorsorge Früherkennung Rehabilitation SGB III SGB V SGB VI SGB VII SGB IX SGB V ÖGD Spektrum der Präventionsangebote | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | 127 gesundheitsorganisation stärkte die Idee der Verhältnisprävention auf internationaler Ebene. Mit der Deutschen Herz-Kreislauf-Präventionsstudie (DHP) wurde das erste umfassende deutsche Projekt zur gemeindebezogenen kardiologischen Präventionsforschung initiiert [13]. Daneben gab es zahlreiche Forschungsarbeiten zur betrieblichen Gesundheitsförderung [7, 14–19] sowie diverse Krankenkassenprojekte, beispielsweise die BKK-Studie „Krankheit und arbeitsbedingte Belastungen“ [20]. Im Jahr 1989 wurden durch Einführung des § 20 in das Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) die Prävention und die betriebliche Gesundheitsförderung auch gesetzlich verankert. Dabei erhielten die gesetzlichen Krankenkassen einen allgemeinen Präventionsauftrag, der im Jahr 1996 wieder aus dem § 20 SGB V gestrichen wurde. Erhalten blieb der Auftrag der betrieblichen Gesundheitsförderung. Damit wurde die weitere Entwicklung der primären Prävention im Gesundheitswesen unterbrochen. Mit der Neufassung des § 20 SGB V im Jahr 2000 haben die Krankenkassen jedoch wieder einen erweiterten Handlungsspielraum in der Primärprävention und der betrieblichen Gesundheitsförderung erhalten. 3.1.3 Gegenwärtige Präventionsorientierung im deutschen Gesundheitswesen Weder Anbieter noch Nutzer sind über Präventionsmöglichkeiten genug informiert. Um die Bedeutung der Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe hervorzuheben, wurde 2002 auf Initiative der Bundesministerin für Gesundheit das Deutsche Forum Prävention und Gesundheitsförderung (DFPG) gegründet, in dem über 70 wesentliche Akteure des Gesundheitswesens zusammengeschlossen sind. Diese arbeiten bei der Entwicklung und Umsetzung breitenwirksamer, ganzheitlicher Präventionskonzepte und an der Bündelung der verschiedenen Präventionsaktivitäten und -strategien in Bund, Ländern und Kommunen zusammen (www.forumpraevention.de). Für die Bereiche „Tabakkonsum verringern“ und „Gesund aufwachsen: Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung“ formulierte die Initiative „gesundheitsziele.de“ vorrangige Ziele (www.gesundheitsziele.de). Gleichwohl reichen die Ressourcen, die gegenwärtig in Deutschland zur Verfügung stehen, nicht aus, um die vorhandenen Präventionspotenziale tatsächlich auszuschöpfen. Nach wie vor fehlt es an Transparenz, Vernetzung und Koordinierung, sodass Synergieeffekte bei der Prävention trotz vieler positiver Ansätze und zahlreicher engagierter Akteure bislang ausblieben. Weder Anbieter noch potenzielle Nutzer sind über die Präventions- und Gesundheitsförderungsmöglichkeiten in Deutschland und die in zahlreichen unterschiedlichen Gesetzen und Verordnungen geregelten Leistungen der Prävention, der Gesundheitsförderung, der Selbsthilfe, Rehabilitation und des Gesundheitsschutzes ausreichend informiert [21]. Präventionsorientierte Regelungen sind in zahlreichen Gesetzen und Ausführungsbestimmungen des Sozialgesetzbuches (SGB) zu finden (siehe Abbildung 3.1). Gesundheitsschutz, Primärprävention, Vorsorge und Krankheitsfrüherkennung, tertiäre Prävention sowie betriebliche, schulische und kommunale Gesundheitsförderung werden in Deutschland in zahlreichen Gesetzen auf Bundes- und Landesebene geregelt [22, 23]. Weitere gesetzliche Bestimmungen finden sich in Bereichen wie beispielsweise Umwelt, Verkehr, Landwirtschaft, Lebensmittel- und Verbraucherschutz und in den Ländern in den gesetzlichen Bestimmungen zum Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). Es gibt eine Vielzahl von staatlichen Institutionen, öffentlich-rechtlichen Körperschaften und freien Trägern, die sich auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene mit Prävention und Gesundheitsförderung befassen. Dazu gehören beispielsweise auf kommunaler Ebene der Öffentliche Gesundheitsdienst, Arztpraxen, Geschäftsstellen der Krankenkassen und Selbsthilfegruppen, aber auch Schulen und private Akteure wie beispielsweise Betriebe. Auf der Landesebene sind unter anderem die Landesvereinigungen für Gesundheit, Verbraucherzentralen und Landesuntersuchungsämter aktiv. Auf der Bundesebene spielen vor allem die Bundesministerien und Behörden eine Rolle, die sich beispielsweise mit gesundheitlicher Aufklärung, Lebensmittelsicherheit, Risikobewertung und Infektionsschutz befassen. Notwendig sind auch hier eine größere Transparenz sowie eine bessere Vernetzung der unterschiedlichen Aktivitäten [22]. 3.1.3.1 Aufgaben der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen von Prävention und Gesundheitsförderung Die Krankenkassen sind eng in die Verantwortung für Prävention und Gesundheitsförderung eingebunden. Die grundsätzliche Zuständigkeit der Krankenversicherung für Prävention und Gesundheitsförderung ist im § 1 („Solidarität und Eigenverantwortung“) des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) verankert. Dort heißt es: „Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern.“ Als Maßnahmen werden hierbei nicht nur Aufklärung und Beratung, sondern auch Leistungen benannt. Zu den präventiven Leistungen gehören beispielsweise Impfungen, Schwangerenvorsorge und Kinderuntersuchungen sowie die Früherkennung von Krankheiten (§§ 23, 25, 26 SGB V, §§ 195, 196 RVO). Dieser Leistungskatalog wurde in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach verändert und erweitert. Darüber hinaus bestehen weitere gesetzliche Regelungen, die eine Finanzierung präventiver Maßnahmen ermöglichen. Dazu gehören die Förderung von primärer Prävention einschließlich der betrieblichen Gesundheitsförderung gemäß § 20 Abs. 1 und 2 SGB V, die Zahnprophylaxe (§§ 21, 22), die Förderung von Selbsthilfegruppen und -organisationen (§ 20 Abs. 4 SGB V), Patientenschulungen (§ 43 Nr. 2 SGB V), die Förderung der Patientenberatung (§ 65 b SGB V) sowie Bonusprogramme für gesundheitsbewusstes Verhalten (§ 65 a Abs. 1 SGB V). Die Kassen müssen einen bestimmten Betrag für Prävention ausgeben. Einen zentralen Stellenwert für Gesundheitsförderung und Prävention nimmt der § 20 SGB V ein. Er schreibt für die Krankenkassen eine Orientierung auf Prävention und Gesundheitsförderung fest: Erstens sollen die Krankenkassen Leistungen zur primären Prävention vorsehen, die insbesondere sozial bedingte gesundheitliche Ungleichheiten vermindern helfen. Zweitens können die Kassen den Arbeitsschutz ergänzende Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung durchführen. Es soll ein bestimmter, jährlich angepasster Betrag (2,70 Euro pro Versicherten im Jahr 2004) in die Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung fließen. Drittens sollen die Krankenkassen Selbsthilfegruppen, -organisationen und -kontaktstellen fördern. Zur Umsetzung des gesetzlichen Präventionsauftrags legten die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsame und einheitliche Handlungsfelder und Kriterien fest. Dabei konzen trieren sie sich zum einen auf den so genannten individuellen 128 | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | Spektrum der Präventionsangebote Ansatz, der sich am Einzelnen und seinem Gesundheitsverhalten orientiert, zum anderen auf den Setting-Ansatz, der präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen in bestimmten Lebensbereichen wie beispielsweise der Kindertagesstätte und der Schule umfasst. Sozial Benachteiligte haben Vorrang. Insbesondere Personen, die aufgrund der sozialen Lebensverhältnisse ungünstigere Gesundheitschancen haben, sollen mit den jeweiligen Maßnahmen erreicht werden. Auch unterschiedliche geschlechtsspezifische Bedürfnisse sind dabei zu berücksichtigen. Die Spitzenverbände der Krankenkassen [24] legen in einer Arbeitsgemeinschaft gemeinsame und einheitliche prioritäre Handlungsfelder und Kriterien für die Leistungen fest. Begleitet werden sie durch eine beratende Kommission, in der je eine Vertreterin oder ein Vertreter des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, der Bundesvereinigung für Gesundheit, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vertreten ist. Ein wichtiges Instrument der Gesundheitsförderung sind Selbsthilfegruppen. Sie bieten Anerkennung und Hilfe für die Beteiligten und stärken so deren individuelle Ressourcen [25]. Mit Beginn des Jahres 2000 wurde die Selbsthilfeförderung durch die gesetzlichen Krankenkassen im § 20 SGB V verpflichtend geregelt. Gleichzeitig wurden „Gemeinsame und einheitliche Grundsätze der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Förderung der Selbsthilfe“ (März 2000) entwickelt. Selbsthilfegruppen und -kontaktstellen werden nun pauschal oder projektbezogen von den Kassen mit einem bestimmten, jährlich angepassten Betrag gefördert. Dieser lag für das Jahr 2004 bei 0,54 Euro pro Versicherten. Um die vielfältigen Ansätze der Prävention und Gesundheitsförderung sachlich bewerten zu können, werden diesbezügliche Qualitätsforschung und Qualitätssicherungsmaßnahmen von wissenschaftlicher wie politischer Seite zunehmend gefordert. Die Bewertung und Erfolgskontrolle der jeweiligen Maßnahmen sind wesentliche Voraussetzung der Prozessoptimierung und des Qualitätsmanagements (siehe auch Kapitel 4). Bezogen auf präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen nach § 20 SGB V kommen die Krankenkassen dieser Forderung durch einen jährlichen Dokumentationsbericht des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen nach. Ebenso werden Erhebungen bei den Kursteilnehmern sowie begleitende Forschungsprojekte zu betrieblichen Gesundheitsförderungsmaßnahmen durchgeführt. 3.1.3.2 Prävention in der ärztlichen Praxis und in der Krankenversorgung Ärztinnen und Ärzte müssen vorbeugend agieren. Zu den Präventionsaufgaben der Ärztin oder des Arztes gehören Vorsorge (beispielsweise Impfungen) und Früherkennung von Krankheiten, aber auch die individuelle Beratung hinsichtlich einer gesundheitsfördernden Lebensweise. Maßnahmen zur Krankheitsfrüherkennung (sekundäre Prävention) umfassen gegenwärtig die Krebsfrüherkennung, die Kinderuntersuchungen, die Jugendgesundheitsuntersuchung sowie Gesundheitsuntersuchungen bei Erwachsenen (beispielsweise auf Herz-Kreislauf-Leiden, Nierenerkrankungen und Diabetes mellitus). Die Vorsorge bei Schwangeren im Rahmen der Mutterschaftsleistungen ist ein seit Jahrzehnten fest etablierter Bestandteil der Prävention. Schwachstellen gibt es bei der Rehabilitation und in der Pflege. Die Tertiärprävention, also die Verhütung von Krankheitsfolgen und Funktionseinbußen, ist der klassische Aufgabenbereich der Rehabilitation. Dieser Bereich hat sich in den letzten Jahren durch eine verstärkte Qualitätsorientierung weiterentwickelt. Problematisch bleiben aber die nur langsame Entwicklung ambulanter Reha-Angebote und der starke Kostendruck auf die Reha-Leistungserbringer [22]. Chronisch Kranke sollen durch Patientenschulungen und die Teilnahme an Disease-Management-Programmen verstärkt dazu angeleitet werden, Präventionsmöglichkeiten selbst umzusetzen. Prävention kann einerseits zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit beitragen, andererseits bei bereits Pflegebedürftigen die Selbstständigkeit fördern und weitere Funktionseinbußen verhindern. 3.1.3.3 Gesundheitsorientierte Forschung Prävention und Gesundheitsförderung brauchen eine wissenschaftliche Basis. Der Nachweis der Wirksamkeit konnte für viele Präventionsmaßnahmen bisher nicht erbracht werden. Es bleibt die Aufgabe der Präventionsforschung, Prävention und Gesundheitsförderung auf eine stärkere wissenschaftliche Basis (Nachweis der Wirksamkeit und des Nutzens durch kontrollierte Vergleiche) zu stellen. Voraussetzung für die Durchführung solcher Forschungsprojekte ist die Vernetzung der Akteure aus Wissenschaft, Praxis und Politik und eine höhere Bewertung dieses Forschungszweigs in der Gesellschaft. Erste Ergebnisse für die betriebliche Gesundheitsförderung hat beispielsweise die Initiative „Gesundheit und Arbeit“ mit einer jüngsten Untersuchung vorgelegt („Gesundheitlicher und ökonomischer Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention“ [26]). Zusammenhänge zwischen Lebenslage und gesundheitlicher Situation sowie zwischen subjektiven Wertvorstellungen und Inanspruchnahme präventiver Maßnahmen können durch Gesundheitssurveys in der Bevölkerung erforscht werden, beispielsweise durch die Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts. Um die Nachhaltigkeit Erfolg versprechender Präventions- und Gesundheitsförderungsansätze genauer zu erforschen, bieten sich Untersuchungen an, in denen die gleiche Personengruppe über einen angemessen langen Zeitraum hinweg beobachtet wird (Längsschnitt- oder Kohortenstudien). Spektrum der Präventionsangebote | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | 129 3.2 Inanspruchnahme von Präventionsangeboten Ω Zusammenfassung Eine wachsende Zahl von Menschen in Deutschland beteiligt sich an Präventionsmaßnahmen. Dennoch wird weiterhin nur die Minderheit der Bevölkerung durch die verschiedenen Angebote erreicht. Zu den Hauptakteuren der Primärprävention (Krankheitsvermeidung) gehören die gesetzlichen Krankenkassen. Sie führen unter anderem Präventionskurse für Versicherte sowie Gesundheitsförderungsmaßnahmen in Schulen und Betrieben durch. Präventionskurse zielen vor allem auf das Gesundheitsverhalten des Einzelnen ab. Die häufigsten Themen sind dabei Bewegung, Ernährung und der Umgang mit Stress. Vier Fünftel der rund 800 000 Kursteilnehmer im Jahr 2004 waren Frauen. Männer sowie sozial Benachteiligte nehmen die Angebote deutlich weniger wahr. Die betriebliche Gesundheitsförderung, deren Schwerpunkt auf der Verringerung körperlicher Belastungen am Arbeitsplatz liegt, erreichte im Jahr 2004 rund 670 000 Personen. In gesundheitsfördernde Maßnahmen in nichtbetrieblichen Umfeldern wie Schulen, Berufsschulen oder Kindertagesstätten wurden im Jahr 2004 rund 1,9 Millionen Personen, insbesondere Kinder und Jugendliche, einbezogen. Hier lag das Hauptaugenmerk auf körperlicher Bewegung, Stressreduktion und Entspannung. Deutlich vermehrt werden inzwischen Schutzimpfungen in Anspruch genommen, die zu den effektivsten Maßnahmen der Primärprävention zählen. Bei den Impfungen im Kindesalter wie bei den Grippeschutzimpfungen haben sich die Impfraten in den 1990er Jahren erhöht. Allerdings liegen beispielsweise die Raten bei der Masernimpfung noch unter den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. Auch die Möglichkeiten zur sekundären Prävention (Krankheitsfrüherkennung) werden trotz deutlich steigender Teilnahmeraten weiterhin nur teilweise genutzt. So nehmen nur 17 Prozent der Anspruchsberechtigten die von den gesetzlichen Kassen finanzierten Gesundheitsuntersuchungen (Check-ups) wahr, die auf die Früherkennung von Herz-Kreislauf- und Nierenleiden sowie Diabetes abzielen. An der Krebsfrüherkennung beteiligen sich knapp die Hälfte der Frauen und ein Fünftel der Männer. Hohe Akzeptanz genießen dagegen die kindlichen Früherkennungsuntersuchungen. In den ersten beiden Lebensjahren durchlaufen mehr als 90 Prozent der Kinder die routinemäßig vorgesehene Vorsorge. 130 | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | Inanspruchnahme von Präventionsangeboten 80 Prozent Bewegung Ernährung Stress Sucht- und Genussmittel 69,4% 79,2% 20,8% 14,1 % 84,5% 15,5 % 15,7% 83 ,0 % 17 ,0 % 0,8 % 55,7 % 44,3% 70 60 50 40 30 20 10 0 Gesamt: Anteil Frauen: Anteil Männer: Frauen Männer Abbildung 3.2.1: Inanspruchnahme primärpräventiver Angebote der Krankenkassen – Teilnahme nach Handlungsfeldern (in Prozent) im Jahr 2004. Quelle: MDK 2006 12 Teilnahmequote pro 1 000 Mitglieder 10 8 6 4 2 0 Pflichtversicherte Frauen Freiwillig Versicherte Arbeitslose Rentner Männer Abbildung 3.2.2: Teilnahme an Kursen zur individuellen Primärprävention nach § 20 SGB V nach Versichertenstatus und Geschlecht (2003). Quelle: BKK Bundesverband; N = 44 718 10 Teilnahmequote pro 1 000 Versicherte 8 6 4 2 0 von Zuzahlungen befreit Frauen keine Befreiung von Zuzahlungen Männer Abbildung 3.2.3: Teilnahme an Kursen zur individuellen Primärprävention nach § 20 SGB V nach Status der Zuzahlungsbefreiung und Geschlecht (2003). Quelle: BKK Bundesverband; N = 55 698 Inanspruchnahme von Präventionsangeboten | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | 131 3.2.1 Primäre Prävention Vier Fünftel der Teilnehmer an Präventionskursen sind Frauen. Maßnahmen zur primären Prävention (Verhütung von Krankheiten) werden von den Krankenkassen beispielsweise in Betrieben, aber auch auf individueller Basis durchgeführt. Insbesondere zielt die Primärprävention auf ausreichende körperliche Bewegung und eine gesunde Ernährung, auf Stressbewältigung sowie die Verminderung des Sucht- und Genussmittelkonsums ab. Die Ergebnisse entsprechender Maßnahmen werden jährlich von den Krankenkassen dokumentiert [27]. So nahmen im Jahr 2004 insgesamt 1,1 Prozent der in den gesetzlichen Kassen Versicherten an Kursen zur Primärprävention teil. Das entspricht mehr als 800 000 Personen. Vier Fünftel der Kursteilnehmer waren Frauen. Lediglich in Kursen zur Sucht- und Genussmittelreduktion lag der Anteil der Männer bei rund 44 Prozent (siehe Abbildung 3.2.1). Sozial Benachteiligte nehmen seltener an Präventionskursen teil. Präventionsmaßnahmen sollen nach § 20 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) insbesondere sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen erreichen. Nach Auswertungen des BKK Bundesverbandes, der bei seinen Kassen neben Alter und Geschlecht beispielsweise auch Angaben zum Beruf der Kursteilnehmer erhebt, nehmen jedoch Arbeitslose und Rentner deutlich seltener Angebote zur individuellen Primärprävention wahr als andere Versichertengruppen (siehe Abbildung 3.2.2). So lag die Kursteilnahmequote im Jahr 2003 unter arbeitslosen Männern bei 1,6 und unter arbeitslosen Frauen bei 6,5 Teilnehmern je 1 000 versicherte Personen. Von den freiwillig versicherten Frauen nahmen dagegen 11, von den pflichtversicherten Frauen 9 je 1 000 Mitglieder teil. Männer beteiligten sich durchweg seltener als Frauen an Präventionskursen. Allerdings fand sich bei freiwillig versicherten Männern mit 4,9 Teilnehmern je 1 000 Kassenmitglieder eine deutlich höhere Quote als bei pflichtversicherten (2,2). Auch die Befreiung von Zuzahlungen ist ein Indikator für die soziale Lage. Wie die Daten der Betriebskrankenkassen zeigen, besucht nur ein geringer Anteil der von Zuzahlungen befreiten Versicherten („Härtefälle“) die primärpräventiven Kurse. In dieser Versichertengruppe lag die Teilnahmequote unter Männern bei 0,06 und unter Frauen bei 0,3 Teilnehmern je 1 000 Mitglieder (siehe Abbildung 3.2.3). Auch dieses Ergebnis unterstreicht die Notwendigkeit, sozial Benachteiligte besser in die Prävention einzubinden. Beliebte Umfelder für Präventionsmaßnahmen sind Grundschulen und andere Schulen. Neben den Präventionskursen, an denen sich Versicherte individuell beteiligen können, bieten die Krankenkassen primärpräventive Maßnahmen in verschiedenen Lebensumfeldern (Settings) an. Im Jahr 2004 wurden solche Maßnahmen (außerhalb der Betriebe) vor allem in Grund- und Berufsschulen, weiteren Schultypen, aber auch in Kindergärten und Kindertagesstätten, in Stadtteilen oder Orten sowie in Familien durchgeführt (siehe Abbildung 3.2.4). Datenlage Informationen über die Inanspruchnahme von Präventionsangeboten in Deutschland stehen nur in begrenztem Maße zur Verfügung. Die hier vorgestellten Daten beziehen sich auf präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen gemäß Fünftem Sozialgesetzbuch (SGB V). Sie stammen vom Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (Daten zu Es ist davon auszugehen, dass in diesen Settings ein verhältnismäßig hoher Anteil von Menschen aus sozial benachteiligten Verhältnissen angetroffen wird. Zudem wird durch die Ansprache von Multiplikatoren wie Lehrern, Erziehern und Eltern ein erweiterter Personenkreis erreicht, was zur Nachhaltigkeit der Gesundheitsförderung beitragen kann. Über die Angebote in nichtbetrieblichen Settings wurden im Jahr 2004 über eine Million meist Kinder und Jugendliche erreicht, weitere 890 000 Personen wurden indirekt, beispielsweise durch Aktivitäten aus den Gesundheitszirkeln oder das Weitertragen von Informationen angesprochen. Inhaltliche Schwerpunkte der Präventionsmaßnahmen in den nichtbetrieblichen Settings waren im Jahr 2004 zu jeweils 60 Prozent die Themen Ernährung und Bewegung, gefolgt von Stressreduktion, gesundheitsgerechtem Umgang miteinander, Umgang mit Genuss- und Suchtmitteln, gesunder Umwelt, Sexualpädagogik und Verkehrssicherheit. 50,6 Prozent der Aktivitäten umfassten Interventionen, die sowohl auf das Verhalten des Einzelnen (verhaltensbezogen) als auch das jeweilige Umfeld (verhältnisbezogen) abzielten. 47,1 Prozent der Maßnahmen waren nur verhaltensbezogen, 1,4 Prozent nur verhältnisbezogen. Präventionsschwerpunkt in Betrieben ist die Verringerung körperlicher Belastungen. Betriebliche Gesundheitsförderung umfasst nach der so genannten Luxemburger Deklaration zur betrieblichen Gesundheitsförderung in der EU alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft, die Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz verbessern. Dies ist beispielsweise möglich, indem man die Arbeitsorganisation optimiert, die Arbeitsbedingungen angenehmer gestaltet oder die Mitarbeiterbeteiligung fördert. In Deutschland arbeiten die Krankenkassen und die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren zusammen. Durch die Gesundheitsreform erhielten die Kassen im Jahr 2000 einen erweiterten Handlungsspielraum, der es ihnen ermöglicht, ergänzend zum Arbeitsschutz eigene Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung durchzuführen. Dazu gehören beispielsweise die Vermeidung arbeitsbedingter körperlicher Belastungen, die Gewährleistung einer gesundheitsgerechten betrieblichen Gemeinschaftsverpflegung oder der Umgang mit psychosozialem Stress sowie Sucht- und Genussmittelkonsum. Im Jahr 2004 wurden 670 000 Personen in Deutschland durch Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung erreicht. In über 40 Prozent der Fälle handelte es sich um Betriebe des verarbeitenden Gewerbes. In fast 70 Prozent der Fälle zielte die betriebliche Gesundheitsförderung auf die Verringerung körperlicher Belastungen ab (siehe Abbildung 3.2.5). Krebsfrüherkennungs- und Gesundheitsuntersuchungen), von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (Daten zur zahnmedizinischen Gruppen- und Individualprophylaxe) und von der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen (Daten zu Maßnahmen der Krankenkassen nach § 20 SGB V). Diese Angaben werden durch Analysen der vom Robert Koch-Institut durchgeführ- ten Gesundheitssurveys ergänzt, die Hinweise auf die schichtspezifische Inanspruchnahme von Präventionsangeboten geben. Aussagen zur Zahl der Geimpften in der Bevölkerung sind anhand von Schuleingangsuntersuchungen, Gesundheitssurvey-Daten sowie Zulassungs- und Verkaufsstatistiken für Impfstoffe möglich. 132 | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | Inanspruchnahme von Präventionsangeboten Grundschule Berufsschule Realschule Kindergarten/Kindertagesstätte Gymnasium Hauptschule Stadtteil/Ort Verein Familie Gesamtschule Sonderschule Institution für spezifische Bevölkerungsgruppen Selbsthilfegruppe/-organisation Altenheim Krankenhaus Hochschule 0 5 10 15 20 25 30 35 Prozent Abbildung 3.2.4: Nichtbetrieblicher Setting-Ansatz: Settings (Mehrfachnennungen möglich). Quelle: MDK 2006 [27] Reduktion körperlicher Belastungen Gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung Gesundheitsgerechte Gemeinschaftsverpflegung Stressmanagement Prävention von Genuss- und Suchtmittelmissbrauch 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Prozent Abbildung 3.2.5: Inhaltliche Ausrichtung der betrieblichen Aktivitäten zur Gesundheitsförderung. Quelle: MDK 2006 [27] 100 Prozent 80 60 40 20 0 Diphtherie 1996 Tetanus Pertussis Hib Poliomyelitis 2000 –2002 Abbildung 3.2.6: Impfraten bei den Schuleingangsuntersuchungen in Deutschland (1996/2000 – 2002). Quelle: [28] Hepatitis B 1. Masern 1. Mumps 1. Röteln Inanspruchnahme von Präventionsangeboten | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | 133 Der Frauenanteil in den erreichten Betrieben betrug meist bis zu 25 Prozent. Weniger als 13 Prozent der Unternehmen hatten einen Frauenanteil von über 75 Prozent. Knapp die Hälfte der Maßnahmen war langfristig angelegt und dauerte mehr als ein Jahr. Die Hälfte der Interventionen war kombiniert verhaltensund verhältnisbezogen, ein gutes Drittel machten verhaltensbezogene Aktivitäten aus. Rein verhältnisbezogene Aktivitäten machten knapp zwölf Prozent der Maßnahmen aus. Durch Präventionskurse sowie betriebliche und nichtbetriebliche Gesundheitsförderung wurden im Jahr 2004 insgesamt etwa 3,4 Millionen der rund 70 Millionen gesetzlich Versicherten erreicht. Die Impffreudigkeit der Deutschen steigt. Ein Anstieg der Inanspruchnahme primärpräventiver Leistungen zeigt sich bei den Impfungen. So belegen Daten aus den Schuleingangsuntersuchungen der Jahre 1996 und 2000 bis 2002, dass die Impfraten bei Diphtherie-, Tetanus- und Polioimpfungen gestiegen sind und auf einem zufrieden stellenden Niveau liegen. Auch hinsichtlich der ersten Masern-, Mumps- und Rötelnimpfung hat sich die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöht. Besonders stark ist der Anstieg bei den Immunisierungen gegen Hepatitis B, Haemophilus influenzae Typ b (Hib) und Keuchhusten (Pertussis). Der Zuwachs ist darauf zurückzuführen, dass die Impfungen in die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut sowie den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen wurden. Grippeschutzimpfungen, welche die Ständige Impfkommission für alle über 60-Jährigen empfiehlt, wurden in der Saison 2002/2003 von 41,5 Prozent der über 65-jährigen Männer und 41,8 Prozent der über 65-jährigen Frauen wahrgenommen [29]. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Influenza hat sich die Zahl der verbrauchten Impfdosen von etwa drei Millionen im Winter 1992/93 auf rund 20 Millionen in der Saison 2003/2004 erhöht [30]. Die Impfbeteiligung ist in den neuen Bundesländern höher als in den alten. Dies zeigt sich beispielsweise bei der zweiten Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln. Während in den neuen Bundesländern im Jahr 2002 rund 57 Prozent der Schulanfänger ein zweites Mal gegen Masern geimpft waren, betrug der Anteil in den alten Bundesländern gut 30 Prozent. Allerdings liegt auch die Quote von 57 Prozent noch unter den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, nach denen die Rate für die erste Impfung 95 Prozent, für die zweite 80 Prozent betragen sollten [32]. Ω Umfassende Informationen zu Schutzimpfungen finden sich im Heft 1 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [28]. Impfungen zählen zu den wirksamsten und billigsten Präventionsmaßnahmen. Weltweit gehören Infektionen mit jährlich rund 15 Millionen Todesfällen zu den häufigsten Todesursachen. In den Industrienationen führte die allgemeine Verbesserung der sozioökonomischen und hygienischen Bedingungen seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem drastischen Rückgang zahlreicher Infektionskrankheiten. Dabei spielten auch Schutzimpfungen und die zunehmende Verfügbarkeit von Antibiotika eine wesentliche Rolle. Schutzimpfungen zählen zu den effektivsten und kostengünstigsten Präventionsmaßnahmen überhaupt. Sie aktivieren das Abwehr- 3.2.2 Sekundäre Prävention (Krankheitsfrüherkennung) Die Teilnahmequote bei der Krankheitsfrüherkennung steigt. Ziel der sekundären Prävention ist die möglichst frühzeitige Krankheitserkennung und Therapie. Zur Sekundärprävention rechnet man Maßnahmen wie Gesundheitsuntersuchungen (Checkups) und Krebsfrüherkennungsuntersuchungen. Damit sollen die Krankheitsbelastung und Sterblichkeit gesenkt und die Lebensqualität erhöht werden. Zwischen 1992 und 2004 stieg die Teilnahmerate an Gesund heitsuntersuchungen von 9,7 auf 16,8 Prozent der Berechtigten [32]. Im Jahr 2004 wurden bundesweit rund 7,4 Millionen Gesundheitsuntersuchungen vorgenommen [33]. Ein vergleichbares Bild zeigt sich bei der Krebsfrüherkennung. Zwischen 1991 und 1997 stiegen die Teilnahmeraten bei Frauen deutlich, bei Männern geringfügig an. Im Jahr 2000 ist das Verfahren zur Berechnung von Teilnahmeraten umgestellt worden, sodass ein direkter Vergleich der Zeiträume zwischen 1991 und 1997 sowie 2000 und 2004 nicht möglich ist. Im Jahr 2004 nahmen in Deutschland insgesamt 46,8 Prozent der anspruchsberechtigten Frauen und 18,3 Prozent der anspruchsberechtigten Männer an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen teil, ein geringerer Anteil als im Jahr 2003 [32]. Insgesamt wurden im Jahr 2004 bundesweit rund 19,1 Millionen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen vorgenommen. 16,0 Millionen Untersuchungen entfielen auf weibliche und 3,1 Millionen auf männliche Versicherte [33]. Definition Gesundheitsuntersuchungen (Check-ups) dienen insbesondere der Früherkennung von Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes mellitus und Nierenkrankheiten. Auch die für diese Erkrankungen maßgeblichen Risikofaktoren wie beispielsweise Zigarettenkonsum, Bluthochdruck und Übergewicht sollen durch die Untersuchungen frühzeitig ausgemacht werden. Auf Basis der Untersuchungsergebnisse schlagen die Ärztin oder der Arzt entsprechende Veränderungen des Lebensstils vor und leiten gegebenenfalls weitere diagnostische sowie therapeutische Schritte ein. Gesundheitsuntersuchungen wurden im Jahr 1989 als Leistung in die vertragsärztliche Versorgung eingeführt und gehören gemäß § 25 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) zum Angebot der gesetzlichen Krankenversicherung. Frauen und Männer ab dem 36. Lebensjahr haben alle zwei Jahre einen Anspruch auf Durchführung eines Checkups. Er umfasst die Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese), eine körperliche Untersuchung sowie Labormessungen von Gesamtcholesterin, Blutzucker, Harnsäure und Kreatinin. system gegenüber bestimmten Erregern und beugen dadurch einer Erkrankung vor. Besondere Bedeutung besitzen sie für den Schutz vor schweren Infektionskrankheiten, bei denen es keine oder nur begrenzte Therapiemöglichkeiten gibt. Zudem lassen sich durch Impfungen Krankheitskomplikationen und schwere Krankheitsverläufe bei Risikopatienten sowie eine Mutter-Kind-Übertragung von Erregern bei Schwangeren vermeiden. Neben dem individuellen Schutz bieten viele Impfungen ab einer gewissen Impfrate in der Bevölkerung auch einen Kollektivschutz, die so genannte Herdimmunität. Diese verhindert das Umsichgreifen von Epidemien. In Deutschland besteht keine Impfpflicht. Impfungen von besonderer Bedeutung werden aber von den obersten Gesundheitsbehörden der Länder auf Grundlage von Empfehlungen angeraten, welche die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut regelmäßig aktualisiert. Die von der STIKO generell empfohlenen Impfungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene werden von den meisten gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. 134 | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | Inanspruchnahme von Präventionsangeboten 60 Prozent 50 40 30 20 10 0 1991 92 Frauen 93 94 95 96 2000 97 01 02 03 04 Männer Abbildung 3.2.7: Teilnahme an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen seit 1991. Quelle: Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland 8 DMF-T 7 6 5 4 3 2 1 WHO-Studie AS-Studie 1973 83 Reihenuntersuchung DMS I DMS II DAJ-Studie DMS III DAJ-Studie 87 89 92 94/95 97 2000 0 Alte Bundesländer Neue Bundesländer Abbildung 3.2.8: Rückgang des Kariesbefalls bleibender Zähne (DMF-T*) bei 12-Jährigen in Deutschland * DMF-T = Summe der infolge Karies geschädigten (decayed), fehlenden (missed) und gefüllten (filled) Zähne (teeth). Quelle: WHO 1973; AS-Studie 1983; IDZ-Surveys 1989, 1992, 1997; DAJ-Studien 1994, 2000 Inanspruchnahme von Präventionsangeboten | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | 135 Insgesamt lässt sich seit 1991 eine vermehrte Inanspruchnahme präventiver Leistungen beobachten. Der Anstieg erfolgte aber von einem relativ niedrigen Niveau aus, sodass weitere Anstrengungen zur Nutzung der Sekundärprävention erforderlich sind. Die Angebote werden zudem nicht von allen Bevölkerungsgruppen gleichermaßen genutzt. Vielmehr zeigen sich deutliche Unterschiede in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter und sozialer Lage (siehe Abschnitt 3.3). Ω Umfassende Informationen zu Brustkrebs finden sich in Heft 25 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [35]. 3.2.3 Zahnmedizinische Prävention Die Kariesprophylaxe bei Kindern ist einer der großen Erfolge präventiver Medizin. Ziel zahnmedizinischer Prävention ist der Erhalt gesunder Zähne. Dadurch sollen der Umfang restaurativer Maßnahmen vor allem im jüngeren und mittleren Lebensalter reduziert, die Lebensqualität gesteigert und die Wechselwirkung zwischen Mundgesundheit und Gesundheit des Gesamtorganismus positiv beeinflusst werden. Karies und Parodontitis können durch präventive Maßnahmen verringert, allerdings nicht vollständig vermieden werden. Die Mundgesundheit in Deutschland hat sich im Laufe der letzten 20 Jahre deutlich verbessert. Dies lässt sich beispielsweise am Kariesbefall bei den 12-Jährigen ablesen (siehe Abbildung 3.2.8). Definition Das Krebsfrüherkennungsprogramm der gesetzlichen Krankenversicherung zielt nach den Vorschriften im SGB V auf jene Krebserkrankungen ab, die im Vor- oder Frühstadium durch diagnostische Maßnahmen zuverlässig erfasst und wirksam behandelt werden können. Zudem müssen bundesweit genügend Ärzte und Einrichtungen für Diagnose und Therapie vorhanden sein. Gesundheits- und Krebsfrüherkennungsuntersuchungen sollen möglichst zusammen angeboten werden [34]. Gesetzlich versicherte Frauen können ab 20 Jahren, gesetzlich versicherte Männer ab 45 Jahren regelmäßig an der Krebsfrüherkennung teilnehmen. Bei Frauen werden ab dem Alter von 20 Jahren die Genitalorgane, ab 30 Jahren zusätzlich Brust und Haut sowie ab 50 Jahren Rektum (Enddarm) und Dickdarm untersucht. Die 50- bis 69-jährigen Frauen können zudem die Früherkennung von Brustkrebs (Mammographie-Screening) wahrnehmen. Bei Männern werden ab dem Alter von 45 Jahren die Prostata, die äußeren Genitalorgane und die Haut sowie ab 50 Jahren zusätzlich Rektum und Dickdarm untersucht. Nach ausführlichen Diskussionen wurde in der Neufassung der Krebsfrüherkennungs-Richtlinien die Grundlage für den Aufbau eines flächendeckenden und qualitätsgesicherten Mammographie-Screenings geschaffen, wie es in anderen europäischen Ländern bereits seit längerer Zeit etabliert ist. Bislang war in Deutschland gemäß den Bestimmungen der Röntgenverordnung eine Mammographie nur dann zulässig, wenn bereits ein Krankheitsverdacht bestand. Die dennoch in nicht unerheblichem Umfang zur Früherkennung durchgeführten Mammographie-Untersuchungen wurden wegen ihrer mangelhaften Qualität vielfach kritisiert. Mit der derzeitigen stufenweisen Einführung eines flächendeckenden Mammographie-Screenings für Frauen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren setzt Deutschland auch die Europäischen Leitlinien um. So hatten sich vor rund 15 Jahren bei den 12-Jährigen im Schnitt gut vier von Karies befallene Zähne gefunden (DMF-T-Wert: 4,1 für die alten Bundesländer). Im Jahr 2000 dagegen lag die Quote im bundesweiten Durchschnitt bei 1,21 [36]. Damit unterschreitet Deutschland den von der Weltgesundheitsorganisation für 2000 vorgegebenen DMF-T-Grenzwert von 2,0 [37] und ist im internationalen Vergleich bei der Mundgesundheit in die Spitzengruppe aufgerückt (siehe Tabelle 3.2.1). Fluoridsalz, Zähneputzen und zahnärztliche Prophylaxe sind Schlüssel zum Erfolg. Zurückführen lässt sich der positive Trend in Deutschland auf bevölkerungs-, gruppen- und individualprophylaktische Maßnahmen sowie das verbesserte Mundgesundheitsverhalten einschließlich der Nutzung fluoridhaltiger Zahncremes. Eine effektive bevölkerungsprophylaktische Maßnahme ist die Fluoridierung von Speisesalz. So betrug im Jahr 2003 der Marktanteil fluoridierten Salzes, das als Jodsalz mit Fluorid im Handel ist, 60 Prozent des gesamten Speisesalz-Absatzes. Seit der Änderung der Sozialgesetzgebung im Jahr 1989 (Finanzierung gruppenprophylaktischer Aktivitäten durch die gesetzliche Krankenversicherung, §21 SGB V) profitieren Kinder und Jugendliche von Aufklärungsaktionen (beispielsweise zum richtigen Zähneputzen) und Fluoridierungsmaßnahmen im Rahmen der Gruppenprophylaxe (siehe Tabelle 3.2.2). Im letzten Jahrzehnt hat sich dabei die Zusammenarbeit von Zahnärztinnen und Zahnärzten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, von gesetzlichen Krankenkassen, Einrichtungen der öffentlichen Hand und niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzten zunehmend eingespielt. Verstärkt wurde die positive Entwicklung der Mundgesundheit bei Kindern und Jugendlichen durch die Aufnahme der zahnärztlichen Individualprophylaxe (IP) in die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 1991 (§22 SGB V). 1993 wurden die gesetzlich finanzierten Prophylaxeleistungen noch einmal erweitert. Zur Individualprophylaxe gehören Fluoridierungsmaßnahmen sowie die präventive Versiegelung von so genannten Fissuren (Furchen) an hinteren Backenzähnen (IP 5). Diese hat in besonderem Maße zum Kariesrückgang beigetragen [36, 39] (siehe Abbildung 3.2.9). Seit der Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen hat die Inanspruchnahme der Individualprophylaxe deutlich zugenommen (siehe Abbildung 3.2.10). So hatten im ersten Halbjahr 1991 in den alten Bundesländern lediglich 8,7 Prozent der Anspruchsberechtigten die Möglichkeit zur Individualprophylaxe auch wahrgenommen (neue Bundesländer: 2,3 Prozent; ohne Abbildung). Im ersten Halbjahr 2003 dagegen lag die Quote bei 39,7 Prozent (neue Länder: 48,7 Prozent) (siehe auch Kapitel 4: Ambulante zahnärztliche Versorgung). Ältere und sozial Benachteiligte profitieren bisher zu wenig von der Prophylaxe. Die heute über 35-Jährigen profitieren noch nicht von den in den 1980er Jahren einsetzenden Prophylaxeaktivitäten. Ein noch größeres Therapie- und Präventionspotenzial gibt es unter Senioren, die ihre Zähne gerade bei Pflegebedürftigkeit oder eingeschränkter Selbstständigkeit häufig nicht in einem funktionsfähigen Zustand bewahren können. Zudem lässt sich bei der Mundgesundheit und dem zahnärztlichen Versorgungsniveau ein deutlicher Sozialschichtgradient ausmachen, sodass man grundsätzlich in allen Altersgruppen von einer ungleichmäßigen Verteilung der Karies (und Parodontitis) ausgehen muss. Tatsächlich sind die von Zahnerkrankungen besonders betroffenen Hochrisikogruppen, die jeweils etwa 20 bis 25 Prozent einer Altersgruppe aus- 136 | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | Inanspruchnahme von Präventionsangeboten Land Jahr DMF-T Belgien 2001 1,1 Dänemark 2003 0,9 Deutschland 2000 1,2 Finnland 2000 1,2 Frankreich 1998 1,9 2000 2,2 (Attica) Griechenland Großbritannien 2000/01 0,9 Irland 2002 1,1–1,3 Italien 1996 2,1 Niederlande 2002 0,8 Österreich 2002 1,0 Portugal 1999 1,5 Schweden 2002 1,1 Spanien 2000 1,1 Tabelle 3.2.1: Kariesbefall bei Jugendlichen (12-Jährige) in Europa. Quelle: WHO CAPP, 2004 Einrichtung Betreuungsgrad in Prozent Kindergarten 68,0 % Grundschule 67,1 % 5./6. Klasse 33,3 % Sonderschule 41,9 % Tabelle 3.2.2: Der gruppenprophylaktische Betreuungsgrad 2002/2003. Quelle: DAJ [38] Untersuchung Zeitpunkt machen, meist in den unteren Bildungs- und Einkommensschichten zu finden. Künftige Prophylaxestrategien sollten daher verstärkt auf ältere und sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen abzielen, sowohl bei der Verhältnisprävention (beispielsweise Bevölkerungs- und Gruppenprophylaxe) als auch der Verhaltensprävention (beispielsweise Ernährung und Mundhygiene). Die Präventionsmaßnahmen müssen dabei von der zahnärztlichen individualprophylaktischen Betreuung ergänzt werden. 3.2.4 Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern und Jugendlichen Zwischen Geburt und 15. Lebensjahr werden zehn Untersuchungen bezahlt. Die Früherkennung von kindlichen Entwicklungs- und Gesundheitsstörungen ist ein Hauptschwerpunkt der sekundären Prävention und kann bleibende gesundheitliche Beeinträchtigungen vermeiden helfen. Seit dem Jahr 1971 zählt ein Früherkennungsprogramm für das Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 26 SGB V). Der Umfang der Untersuchungen und die Untersuchungsintervalle sind durch Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (aktuelle Fassung am 1. 4. 2005 in Kraft getreten) festgelegt. Das Programm umfasst neun Untersuchungen bei Kindern bis sechs Jahren (U1 bis U9) sowie seit 1. 7. 1997 eine Vorsorgeuntersuchung bei den 11- bis 15-Jährigen (J1). Ergebnisse der Untersuchungen bis zum 6. Lebensjahr werden im Vorsorgeheft dokumentiert, das bei den Eltern verbleibt und zu den jeweils anstehenden Untersuchungsterminen vorgelegt werden soll. Die Zeiträume der Untersuchungen sind auf wichtige Entwicklungsetappen des Kindes abgestimmt. Sofort nach der Geburt findet die U1 statt, die U2 wird bis zum 10. Lebenstag durchgeführt. Es folgen die Untersuchungen U3 bis U6, die jeweils in dreimonatigen Abständen im ersten Lebensjahr durchgeführt werden. Die U7 ist eine Untersuchung am Ende des zweiten Lebensjahres, die U8 am Ende des vierten Lebensjahres, die U9 wird bei 5-Jährigen vorgenommen. Die Teilnahme an den Untersuchungen ist freiwillig. Inanspruchnahme 1. Lebensjahr U3 4.– 6. Lebenswoche 92,6 % U4 3.– 4. Lebensmonat 93,2 % U5 6.– 7. Lebensmonat 93,3 % U6 10.–12. Lebensmonat 94,7 % 21.– 24. Lebensmonat 91,2 % 43.– 48. Lebensmonat 82,6 % 60.– 64. Lebensmonat 79,1 % 2. Lebensjahr U7 4. Lebensjahr U8 5. Lebensjahr U9 Tabelle 3.2.3: Teilnahme an Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten im Kindesalter nach Untersuchungsstufen in Deutschland. Teilnahmeschätzung für das Jahr 2001. Quelle: Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung 2002; ZI eigene Erhebung, vorläufiges Ergebnis. Inanspruchnahme von Präventionsangeboten | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | 137 12 DFT 10 8 6 4 2 0 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 Alter in Jahren mind. 3-mal IP1 od. IP5 keine IP1 od. IP5 DFT = Zahl der geschädigten (decayed) oder gefüllten (filled) Zähne IP1 = Beurteilung Mundhygienestatus IP5 = Versiegelung der Fissuren der bleibenden Molaren Abbildung 3.2.9: Kariesentwicklung in Abhängigkeit von der Intensität der Individualprophylaxe. Quelle: [40] 40 Inanspruchnahmequote in Prozent 30 20 10 0 1991 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 03 jeweils im 1. Halbjahr Abbildung 3.2.10: Inanspruchnahme der Individualprophylaxe (IP) durch IPBerechtigte 1991 – 2003 (alte Bundesländer). Quelle: [41] Die Vorsorgefreudigkeit ist hoch, sinkt aber mit zunehmendem Alter des Kindes. Die Daten zur Inanspruchnahme der Früherkennungsuntersuchungen U3 bis U9 werden jährlich durch die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung erfasst und aufbereitet. Da die ersten beiden Früherkennungsuntersuchungen (U1 und U2) vorwiegend stationär durchgeführt werden, liegen keine zuverlässigen Angaben zur Inanspruchnahme vor. Das Früherkennungsprogramm für Kinder findet eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Beteiligung an den einzelnen Untersuchungen sinkt jedoch mit zunehmendem Alter der Kinder. Während die Raten der Inanspruchnahme in den ersten beiden Lebensjahren (U3–U7) die 90-Prozent-Grenze übersteigen, liegen sie bei späteren Untersuchungen niedriger (siehe Tabelle 3.2.3). Nach den Ergebnissen einzelner Studien hängt die Teilnahmequote auch von der Sozialschicht ab. So nutzen sozial benachteiligte und ausländische Familien die Untersuchungen deutlich seltener [42, 43]. Die Rate der medizinisch auffälligen Befunde geht seit langem zurück. Auffällige Befunde bei den Früherkennungsuntersuchungen sind nach Daten für die alten Bundesländer in den letzten 20 Jahren deutlich rückläufig, das heißt, der Anteil der unauffälligen Kinder hat sich erhöht. Dieser Trend könnte allerdings auch durch veränderte Dokumentationsgewohnheiten der Ärztinnen und Ärzte mit bedingt sein, die bloße Verdachtsdiagnosen möglicherweise seltener nennen als früher. Im Jahr 1996 lag der Anteil der Untersuchungen (U3–U9) ohne auffälligen Befund bei über 95 Prozent [44]. Zu den medizinisch bedeutsamen Auffälligkeiten im ersten Lebensjahr zählen vor allem organische Fehlbildungen (beispielsweise des Herzens und der Harnwege), Hüftgelenksfehlstellungen (Dysplasien) sowie zerebral bedingte Bewegungsstörungen. In den höheren Altersstufen treten Entwicklungsstörungen oder -verzögerungen in den Vordergrund. Die häufigsten Defizite bei der U9 waren im Jahr 1997 die Sprach- und Sprechstörungen, die sich bei 100 von 10 000 untersuchten Kindern fanden. Danach folgten die funktionellen Entwicklungsstörungen (43,6 Fälle je 10 000 untersuchte Kinder), das Schielen (25,3), die zerebral bedingten Bewegungsstörungen (24,2) und die intellektuelle Minderentwicklung (23,3) [45]. Das Risiko von Sprach- und Entwicklungsstörungen lag bei Jungen um ein Viertel bis ein Drittel höher als bei Mädchen. Seit 1997 werden die U9-Befunde nicht mehr ausgewertet. Ω Umfassende Informationen zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen finden sich im Schwerpunktbericht der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [46]. 138 | Was leistet das Gesundheitswesen …? | Gruppenspezifische Inanspruchnahme von Prävention 70 Prozent 60 50 40 30 20 10 0 20–24 25– 29 Frauen 30–34 35–39 40– 44 45 –49 50–54 55–59 Prozent 20 15 10 5 0 35–39 40 –44 Frauen 45–49 50 –54 55–59 60– 64 65 –69 Alter Männer Abbildung 3.3.2: Inanspruchnahme von Gesundheitsuntersuchungen in Prozent der jeweiligen Altersgruppe, 2004. Quelle: Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland 20 Prozent 15 10 5 0 18 –19 20– 29 Frauen 30 –39 Männer 65–69 70–74 75–79 ≥ 80 Alter Männer Abbildung 3.3.1: Inanspruchnahme von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen in Prozent der jeweiligen Altersgruppe, 2004. Quelle: Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland 25 60– 64 40–49 50 –59 60– 69 70 –79 Altersgruppen Abbildung 3.3.3: Teilnahme an gesundheitsfördernden Maßnahmen in Prozent der jeweiligen Altersgruppe. Quelle: RKI; BGS98 [48] Gruppenspezifische Inanspruchnahme von Prävention | Was leistet das Gesundheitswesen …? | 139 3.3 Gruppenspezifische Inanspruchnahme von Prävention Ω Zusammenfassung Die Teilnahme an präventiven und gesundheitsfördernden Maßnahmen ist in der deutschen Bevölkerung insgesamt eher gering. Allerdings lassen sich geschlechts-, alters- und schichtspezifische Unterschiede beobachten. So nehmen insbesondere Frauen bis zum Alter von 50 Jahren die Möglichkeiten zur Krebsfrüherkennung zu über 50 Prozent wahr, die Beteiligung erreicht teilweise fast 65 Prozent. Die starke Inanspruchnahme steht in dieser Altersgruppe wahrscheinlich mit den häufigen Besuchen bei der Frauenärztin oder dem Frauenarzt in Zusammenhang. In höheren Altersklassen, in denen insgesamt die meisten Krebsleiden auftreten, sinkt dagegen die Beteiligung der Frauen an der Krebsfrüherkennung. Bei Männern überschreitet die Inanspruchnahme von Krebsfrüherkennungsmaßnahmen erst nach dem 60. Lebensjahr die 20-Prozent-Marke. Auch gesundheitsfördernde Maßnahmen wie beispielsweise Präventionskurse der Krankenkassen nehmen Männer weniger wahr als Frauen. Zudem sind sie schlechter über Gesundheitsthemen informiert. Insgesamt lassen sich Männer leichter für Präventionsmaßnahmen gewinnen, wenn diese keinen zusätzlichen Aufwand mit sich bringen und beispielsweise am Arbeitsplatz oder bei ohnehin stattfindenden Arztbesuchen erfolgen. Sozial benachteiligte Männer und Frauen nehmen insbesondere an gesundheitsfördernden und Krebsfrüherkennungsmaßnahmen seltener teil. Dies weist zum einen auf höhere Zugangsbarrieren in der unteren Sozialschicht hin. Zum anderen könnten Informationsdefizite die geringere Nachfrage von Präventionsangeboten mit bedingen. Vor allem jüngere Frauen beteiligen sich an der Krebsfrüherkennung. Frauen beteiligen sich insgesamt häufiger an der Krebsfrüherkennung als Männer. Jenseits des 55. Lebensjahrs sinken bei den Frauen jedoch die Teilnahmeraten auf unter 50 Prozent (siehe Abbildung 3.3.1). Gerade ab diesem Alter nimmt beispielsweise die Wahrscheinlichkeit einer Brustkrebserkrankung deutlich zu. Bei den Männern erhöht sich die Inanspruchnahme der Krebsfrüherkennung ab dem Alter von 45 Jahren, steigt bis zum 70. Lebensjahr, um dann ebenfalls wieder zu sinken. Die relativ hohen Teilnahmeraten unter jüngeren Frauen stehen wahrscheinlich mit den in dieser Altersgruppe häufigen Besuchen bei der Frauenärztin oder dem Frauenarzt in Zusammenhang. Nach der Lebensphase, in der Frauen Kinder bekommen, sinkt offenbar auch die Inanspruchnahme von Gynäkologinnen und Gynäkologen. So erreicht die Zahl der jährlichen Frauenarztbesuche dem Bundes-Gesundheitssurvey 1998 zufolge im Alter von 40 Jahren ihr Maximum, um danach deutlich zu sinken [47]. Männer müssen für Krebsfrüherkennungsuntersuchungen gezielt einen Arzt oder eine Ärztin der Fachgebiete Allgemeinmedizin, Innere Medizin oder Urologie aufsuchen. Dies stellt möglicherweise eine Zugangsbarriere für die Krebsfrüherkennung dar. Die Rate der Kontakte zu Urologen nimmt bei Männern ab dem Alter von 60 Jahren zu [47]. Check-ups sind weder bei Frauen noch bei Männern sonderlich beliebt. Auch wenn die Krebsfrüherkennung möglichst gemeinsam mit den Gesundheitsuntersuchungen auf HerzKreislauf-Leiden, Nierenkrankheiten und Diabetes angeboten werden sollte (§ 25 SGB V), wird dieses Prinzip in der Praxis nicht durchgängig umgesetzt. Zwar ist die Rate der Kombinationsvorsorge bei Männern vergleichsweise hoch: Nach Angaben des Zentralinstituts der Kassenärztlichen Versorgung wurden im Jahr 2002 etwa 44 Prozent aller Krebsfrüherkennungsuntersuchungen bei Männern in unmittelbarem Zusammenhang mit einer (alle zwei Jahre von den Kassen bezahlten) Gesundheitsuntersuchung durchgeführt. Bei Frauen jedoch war dies nur bei 0,4 Prozent der Krebsfrüherkennungsuntersuchungen der Fall. Gesundheitsuntersuchungen werden bis zur Altersgruppe der 45- bis 49-Jährigen häufiger von Frauen als von Männern in Anspruch genommen, danach überwiegt leicht der Anteil der Männer (siehe Abbildung 3.3.2). In der Regel führen Ärztinnen und Ärzte der Fachgebiete Allgemeinmedizin und Innere Medizin die Gesundheitsuntersuchungen durch. Auswertungen des Telefonischen Gesundheitssurveys zeigen, dass in jüngeren und mittleren Altersgruppen Frauen häufiger als Männer in ambulanter Behandlung sind (bezogen auf den 3-Monats-Zeitraum vor der Befragung). In der Altersgruppe ab 65 Jahren gehen dagegen Männer öfter zum Arzt oder zur Ärztin. Vergleichbare Ergebnisse, differenziert nach Arztgruppen, lieferte auch der Bundes-Gesundheitssurvey 1998 [47]. Insgesamt recht niedrig sind auch die Teilnahmeraten bei Gesundheitsförderungsmaßnahmen. Dabei werden individuelle Angebote zur Gesundheitsförderung (beispielsweise Schulungskurse der Krankenkassen) von Frauen eher genutzt als von Männern. So nehmen nach Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 durchschnittlich 13,8 Prozent der Frauen und sieben Prozent der Männer an gesundheitsfördernden Maßnahmen teil [48] (siehe auch den Abschnitt 3.2.1, Primäre Prävention). Die höchsten Teilnahmeraten finden sich für die Altersgruppen zwischen 40 und 59 Jahren (siehe Abbildung 3.3.3). Bemer- 140 | Was leistet das Gesundheitswesen …? | Gruppenspezifische Inanspruchnahme von Prävention Bücher Zeitungen Arzthotline der Krankenkasse Apotheken-Infos Krankenkassen-Infos Internet Radio oder Fernsehen 0 5 10 Frauen 15 20 25 Männer 30 35 40 45 50 Prozent Abbildung 3.3.4: Häufige Nutzung von Gesundheitsinformationen nach verschiedenen Quellen (Mehrfachnennungen möglich). Quelle: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003 [49] Gruppenspezifische Inanspruchnahme von Prävention | Was leistet das Gesundheitswesen …? | 141 kenswert ist, dass 45 Prozent der befragten Frauen und 38 Prozent der befragten Männer prinzipiell bereit wären, die Kosten für Gesundheitsförderungsmaßnahmen selbst zu tragen. Frauen informieren sich intensiver über Gesundheitsthemen als Männer. Auswertungen des Telefonischen Gesundheitssurveys 2003 zeigen, dass sich Frauen insgesamt intensiver über Gesundheitsthemen informieren als Männer und dabei im Schnitt ein größeres Spektrum von Informationsquellen nutzen (siehe Abbildung 3.3.4). Mit steigendem Lebensalter nimmt bei beiden Geschlechtern die Nutzung von Gesundheitsinformationen zu [49]. Insgesamt zeigt sich, dass Frauen in größerem Maße als Männer bereit sind, Angebote zu Prävention und Gesundheitsförderung wahrzunehmen. Gleichwohl gibt es verschiedene Bereiche, in denen auch unter Frauen die Inanspruchnahme gesteigert werden müsste. So können insbesondere im höheren Lebensalter fehlende Mobilität und gesundheitliche Einschränkungen den Zugang zu Präventionsangeboten erschweren. Männer wollen Prävention ohne Aufwand. Häufig sind Frauen schon wegen der kommunikativen Aspekte an gesundheitsfördernden Kursen interessiert. Männer lassen sich dagegen leichter für präventive Maßnahmen gewinnen, wenn sie in bestimmten Settings (beispielsweise am Arbeitsplatz) oder zusammen mit einer ohnehin erfolgenden Behandlung angeboten werden. Die Bereitschaft, Präventionsangebote aktiv zu suchen und wahrzunehmen, ist bei Männern offenbar geringer ausgeprägt als bei Frauen. Es wäre daher sinnvoll zu prüfen, in welchen Settings und im Rahmen welcher ärztlichen Behandlungen die Präventionsbereitschaft bei Männern gefördert werden kann. Möglicherweise ließe sich die betriebliche Gesundheitsförderung, über die man Männer im Erwerbsleben erreicht, auch für weitere Präventionsmaßnahmen nutzen [50]. Wünschenswert wäre gleichzeitig, dass betriebliche Präventionsmaßnahmen verstärkt in Klein- und Mittelbetrieben mit einem hohen Frauenanteil angeboten werden. Menschen in sozial benachteiligter Lage fragen Präventions angebote weniger nach. Nach Daten der Betriebskrankenkassen nehmen vor allem freiwillig versicherte Frauen an Kursen zur individuellen Primärprävention teil. Personen in prekären Lebenslagen dagegen werden durch die bestehenden Angebote nicht genügend erreicht. Auch die Ergebnisse des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 zeigen insbesondere bei Frauen einen deutlichen Sozialschichtgradienten bei der Teilnahme an gesundheitsfördernden Maßnahmen [48]. Zudem findet sich in unteren Sozialschichten eine im Schnitt schlechtere Mundgesundheit und ein schlechteres zahnärztliches Versorgungsniveau. Bei der Krankheitsfrüherkennung (Sekundärprävention) ist das Bild heterogen: Nach Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 werden Gesundheitsuntersuchungen von Frauen und Männern aus der sozial bevorzugten Schicht seltener wahrgenommen als von Frauen und Männern aus der sozial benachteiligten Schicht. Hinsichtlich der Krebsfrüherkennung jedoch ist das Verhältnis umgekehrt [48]. Diese Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass Angehörige der sozial benachteiligten Schicht seltener gezielt Krebsfrüherkennungsuntersuchungen nachfragen oder einen zuständigen Facharzt aufsuchen, während die Zugangsbarrieren bei Gesundheits-Checks, welche eher bei einem ohnehin stattfindenden Arztbesuch erfolgen, möglicherweise geringer sind. Die Informiertheit über Gesundheitsthemen ist abhängig von den Bildungs- und Informationschancen und könnte eben- falls Einfluss auf die Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen besitzen. So belegen die Daten des Telefonischen Gesundheitssurveys, dass gut informierte Personen Früherkennungsuntersuchungen häufiger wahrnehmen als schlecht informierte. In Ost- und Westdeutschland hat Prävention einen unterschiedlichen Stellenwert. Auch zwischen den alten und neuen Bundesländern bestehen Unterschiede. So beteiligen sich 8,6 Prozent der ostdeutschen, dagegen 15,1 Prozent der westdeutschen Frauen an gesundheitsfördernden Maßnahmen. Unter ostdeutschen Männern liegt die Teilnahmequote bei 4 Prozent, unter westdeutschen bei 7,7 Prozent. Auch die prinzipielle Bereitschaft, Gesundheitsförderungsmaßnahmen selbst zu bezahlen, ist in den alten Bundesländern höher als in den neuen Bundesländern. Bei der Krankheitsfrüherkennung bleibt das Bild dagegen uneinheitlich: Während sich Männer aus den alten Ländern häufiger an Früherkennungsuntersuchungen beteiligen als Männer aus den neuen Ländern, sind ostdeutsche Frauen der Früherkennung offenbar mehr zugetan als westdeutsche [48]. 142 | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | Literatur Literatur �������������������������������������������������� 1 Glaeske G, Francke R, Kirschner K et al. (2003) Prävention und Gesundheitsförderung stärken und ausbauen. Diskussionspapier. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2 Hurrelmann K, Klotz T, Haisch J (Hrsg.) (2004) Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung. 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In: Schröer A (Hrsg) Buchreihe „Betriebliches Gesundheitsmanagement und Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren“ Band 19 19 Slesina W, Schröer A, Ferber Cv (1988) Soziologie und menschengerechte Arbeitsgestaltung. Soziale Welt 2: 205–223 20 Georg A, Stuppardt R, Zoike E (1981/1982) Krankheit und arbeitsbedingte Belastungen. 3 Bde, Essen: BKK BV Literatur | Was leistet das Gesundheitswesen für Prävention und Gesundheitsförderung? | 143 21 Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) (2004) Nationale Aufgabe Prävention, Eckpunkte, Stand 4. Mai 2004 22 Walter U (2002) Wahrnehmung und Umsetzung rechtlicher Bestimmungen zur Prävention in Deutschland. Expertise aus sozialmedizinischer Sicht im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Medizinische Hochschule Hannover. Abt. Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung. 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(Seiten 147, 161 und 153) Ω Die Zahl der niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzte hat sich zwischen 1990 und 2002 um gut 40 Prozent erhöht. (Seite 148) Ω Im Westen ist die Psychotherapeutendichte fünfmal so hoch wie im Osten. (Seite 151) Ω Der Arzneimittelumsatz ist in der letzten Dekade kontinuierlich gestiegen und liegt inzwischen bei rund 25 Milliarden Euro im Jahr. (Seite 151) Ω Die Ausgaben der gesetzlichen Kassen für krankengymnastische und physiotherapeutische Leistungen haben sich in den 1990er Jahren etwa verdoppelt. (Seite 155) Ω In Deutschland gibt es inzwischen rund 10 000 ambulante Pflegedienste und fast 10 000 Pflegeheime. (Seiten 156 und 167) Ω Seit Beginn der 1990er Jahre ist jedes siebte Krankenhausbett abgebaut worden. (Seite 159) Ω Die durchschnittliche Krankenhausliegezeit sank zwischen 1993 und 2003 von 12,5 auf 8,9 Tage. (Seite 161) Ω Ab 2005 sind die deutschen Kliniken in zweijährigem Turnus zur Veröffentlichung von Qualitätsberichten verpflichtet. (Seite 181) Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme in der Gesundheitsversorgung verändert? | 145 4Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme in der Gesundheitsversorgung verändert? Ω Zusammenfassung Das Gesundheitswesen in Deutschland durchläuft seit Anfang der 1990er Jahre erhebliche strukturelle Veränderungen. Trieb kräfte des Wandels sind die Alterung der Gesellschaft, Neue rungen in Diagnostik, Therapie und Medizintechnik, aber auch ökonomische Zwänge in den Sozialversicherungssystemen. Das System sozialer Sicherung wird durch die politischen Rah menbedingungen ebenso wie durch die wirtschaftliche Lage bestimmt und steht dabei traditionell im Spannungsfeld zwi schen Leistungsgesellschaft und Sozialstaatlichkeit [1]. Fast die gesamte Bevölkerung in Deutschland ist gegen finanzielle Risiken im Krankheitsfall abgesichert, der überwiegende Teil durch die gesetzliche Krankenversicherung [2]. Die ambulante Gesundheitsversorgung war zwischen 1992 und 2004 von zahlreichen Gesetzesänderungen betroffen. In den letzten Jahren standen dabei die Praxisgebühr und das Haus arztmodell, erhöhte Selbstbeteiligungen sowie Arzneimittelund Ärztebudgets im Vordergrund der Diskussion. In der statio nären Versorgung hat die Umstellung auf ein pauschaliertes Ent geltsystem (DRGs) die Diskussion der vergangenen fünf Jahre beherrscht. Insgesamt haben sich die fachärztlichen Versorgungsangebote im ambulanten Sektor vermehrt, während die Zahl der Allge meinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner in etwa konstant geblieben ist. Die im Jahr 2004 eingeführte Praxisgebühr hat allerdings dazu beigetragen, dass Patientinnen und Patienten seltener direkt einen Facharzt konsultieren und häufiger vom Hausarzt überwiesen werden. Noch lässt sich nicht abschätzen, ob dieser Trend anhalten wird. Erhöht hat sich auch die Zahl der ärztlichen und nichtärztlichen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, vor allem in den alten Bundesländern. Dies steht in Zusammenhang mit dem seit 1999 geltenden Psychotherapeutengesetz, das die nichtärzt lichen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in die kas senärztliche Versorgung einbezog. Der Arzneimittelumsatz stieg zwischen 1992 und 2003 kontinu ierlich an. Der Zuwachs resultierte in erster Linie aus Verände rungen bei Art und Preis der verordneten Medikamente. Die Zahl der verschriebenen Packungen beziehungsweise das Verord nungsvolumen nach Tagesdosen haben sich dagegen nur wenig verändert. Bei den rezeptfreien Arzneimitteln lässt sich ein Trend zur Selbstmedikation ohne ärztliche Verordnung beobachten. In den letzten zehn Jahren hat sich auch die Zahl der niedergelas senen Zahnärztinnen und Zahnärzte erhöht, im Schnitt um 1,5 Prozent im Jahr. Dagegen arbeiten heute weniger Zahnmedizine rinnen und Zahnmediziner im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Bei der Anzahl der Füllungen wie bei der Häufigkeit von Extrakti onen zeigt sich eine rückläufige Entwicklung, was als Ausdruck einer verbesserten Mundgesundheit der Deutschen gewertet werden kann. Bemerkenswert bei den nichtärztlichen Berufsgruppen ist die gestiegene Zahl der Altenpflegerinnen und Altenpfleger, die sich durch die Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 und die damit verbundene intensivere Versorgung pflegebedürftiger Menschen erklärt. Das Bild bei der stationären Versorgung ist durch unterschied liche Trends geprägt. So hat sich die Zahl der Krankenhäuser ebenso wie der Krankenhausbetten seit Anfang der 1990er Jahre vermindert. Die Anzahl der Pflegeheime und Pflegeplätze ist dagegen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Hinter der rückläufigen Zahl der Krankenhäuser stehen sowohl ersatzlose Schließungen als auch Fusionen von zuvor getrennten Häusern. Ursache des Konzentrationsprozesses sind vor allem Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen, die auf eine leistungsorientierte Krankenhausfinanzierung abzielen. Unterdessen haben sich die Zahl der Behandlungsfälle und der Anteil älterer Patienten in den Kliniken erhöht, die Liegezeiten dagegen verkürzt. Dies geht mit großen Herausforderungen für die Krankenhäuser und ihre Beschäftigten einher. Vom generellen Abbau der Bettenkapazität in den letzten zehn Jahren waren nicht alle Fachrichtungen gleichermaßen betrof fen. Beispielsweise ist in der Kinderheilkunde und Psychiatrie der Bettenbedarf erheblich gesunken. Manche Abteilungen wur den geschlossen, um die Leistungsfähigkeit der betreffenden Kli nik zu erhalten. In der plastischen und Neurochirurgie sowie der psychotherapeutischen Medizin ist das Angebot dagegen aus geweitet worden. Insgesamt ist die Bettendichte in Deutschland nach wie vor höher als in anderen westlichen Industrieländern. Die ehemals strikte Trennung zwischen ambulanter und statio närer Versorgung löst sich zunehmend auf. So dürfen Kranken häuser seit Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes im Jahr 1993 auch ambulant operieren. Dass Rehabilitationsmaß nahmen überwiegend stationär erfolgen, ist in Deutschland his torisch bedingt und teilweise sozialrechtlich verankert. Gleich wohl werden inzwischen wohnortnahe ambulante und teilstatio näre Rehabilitationsmöglichkeiten angeboten. Unter dem Eindruck, dass den Aufwendungen für das Gesund heitswesen insgesamt nicht die Leistung und Qualität gegen überstehen, die erreichbar wären und erwartet werden können, haben seit Beginn der 1990er Jahre Qualitätssicherungsmaß nahmen an Bedeutung gewonnen. Insbesondere sind Kranken häuser und Arztpraxen über die Sozialgesetzgebung zur Einfüh rung eines internen Qualitätsmanagements verpflichtet worden. Seit 2005 müssen die Kliniken zudem in zweijährlichem Turnus Qualitätsberichte veröffentlichen, die Daten über ihr Leistungs spektrum, die Qualifikation des Personals, die Zahl der behan delten Patientinnen und Patienten sowie Art und Anzahl der ope rativen Eingriffe enthalten. Eine zunehmende Rolle für die Qualitätssicherung spielen syste matisch entwickelte Behandlungsleitlinien, die bei Therapieent scheidungen Handlungskorridore abstecken und die Behand lungsergebnisse verbessern sollen. Zuverlässige Zahlen über die Häufigkeit von Behandlungsfeh lern liegen in Deutschland weiterhin nicht vor. Allerdings gibt es in einer wachsenden Zahl von Kliniken interne freiwillige Fehler meldesysteme. Diese sollen fehlerträchtige Situationen im Ver sorgungsalltag identifizieren und dadurch Behandlungsfehler im Vorfeld ihrer Entstehung vermeiden helfen. 146 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme in der Gesundheitsversorgung verändert? Angebot und Inanspruchnahme ambulanter Leistungen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 147 4.1 Angebot und Inanspruchnahme ambulanter Leistungen Ω Zusammenfassung Die Zahl der ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte in Deutsch land hat sich in den 1990er Jahren stetig erhöht und lag im Jahr 2004 bei insgesamt 133 400. Der Zuwachs geht vor allem auf eine vermehrte Anzahl niedergelassener Fachärztinnen und Fachärzte zurück. Um auch künftig die hausärztliche Versorgung vor allem in den neuen Bundesländern sicherstellen zu können, werden derzeit Maßnahmen diskutiert, die den Nachwuchs problemen in bestimmten Regionen abhelfen sollen. Auch die Zahl der ambulanten Behandlungsfälle stieg in den 1990er Jahren kontinuierlich an. Seit Einführung der Praxisge bühr im Jahr 2004 lässt sich ersten Analysen zufolge ein rückläu figer Trend beobachten. Mit Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes im Jahr 1999, das auch die nichtärztlichen Psychotherapeutinnen und Psycho therapeuten in die kassenärztliche Versorgung einbezog, nahm die Zahl der zugelassenen Psychotherapeuten sprunghaft zu. Die Psychotherapeutendichte liegt in den alten Bundesländern fünfmal so hoch wie in den neuen Ländern. Bei den Arzneimitteln lässt sich ein im Verlauf der letzten Dekade auf rund 25 Milliarden Euro gestiegener Jahresumsatz verzeichnen. Das Verordnungsvolumen nach definierten Tages dosen blieb dagegen fast unverändert. Das Umsatzplus ist vor allem auf die Verschreibung neuerer und teurerer Medikamente zurückzuführen. Durch das Beitragssicherungsgesetz von 2002, das den gesetzlichen Krankenkassen erhöhte Rabatte auf Arz neimittel einräumt, konnten die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in den letzten Jahren gebremst werden. Seit 2004 sind rezeptfreie Medikamente in der Regel nicht mehr in den Leistungen der GKV enthalten und müssen von den Versi cherten selbst bezahlt werden. Bereits in den Jahren zuvor hatte sich ein Trend hin zum eigenständigen Arzneimittelkauf (Selbst medikation) seitens der Patienten abgezeichnet. Im Jahr 2004 bezogen die gut 21 000 Apotheken in Deutschland knapp ein Sechstel ihres Umsatzes aus der Selbstmedikation. In Deutschland waren Ende 2003 insgesamt 64 609 Zahnärz tinnen und Zahnärzte behandelnd tätig. Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich ihre Zahl kontinuierlich erhöht und dürfte auch in den kommenden Jahren weiter steigen, wobei insbesondere die Anzahl von Zahnärztinnen zunehmen wird. Sowohl bei den Zahnextraktionen als auch den Füllungen lässt sich ein langfristig rückläufiger Trend feststellen, was als Ausdruck einer verbesserten Mundgesundheit der Bevölke rung gewertet werden kann. Auch die Zahl der neu angefertig Datenlage und methodischer Hinweis Die derzeit verfügbaren Daten zu Angebot und Inanspruchnahme ambulanter Leistungen stammen von verschiedenen Leistungserbringern und lassen sich bisher nicht miteinander verknüpfen. Daher können nur bestimmte globale Aspekte des Versorgungsgeschehens analysiert werden. Um zukünftig ein feinkörnigeres Bild zeichnen zu können, sind neue gesetzliche Regelungen zur verbesserten Datennutzung beschlossen worden (Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenver- ten Totalprothesen nimmt ab. Dagegen wächst die Zahl von Parodontalbehandlungen. Die Bedeutung der Physiotherapie nimmt sichtbar zu. Im Jahr 2003 waren insgesamt 60 000 Physiotherapeutinnen und Phy siotherapeuten, Masseure und medizinische Bademeister in der ambulanten Versorgung tätig. Die Ausgaben der gesetzlichen Kassen für physiotherapeutische Leistungen haben sich zwi schen 1993 und 1999 von 0,924 auf 1,8 Milliarden Euro nahezu verdoppelt. Auch die Rolle der freiberuflichen Hebammen ist gewachsen. Dies lässt sich vor allem auf die zunehmende Beliebtheit von Geburtshäusern, Hausgeburten sowie Zwischenformen zwi schen ambulanter und stationärer Geburtshilfe zurückführen. In Deutschland gibt es rund 10 000 nach Sozialgesetzbuch XI zugelassene ambulante Pflegedienste, welche die Versicherten nicht nur bei Pflegebedürftigkeit, sondern auch im Krankheitsfall betreuen. Der Hauptanteil der häuslichen Pflege bei Krankheit entfällt mit rund 1,8 Millionen Fällen im Jahr auf die so genannte Sicherungspflege. Diese dient der direkten Unterstützung und Sicherung einer ambulanten ärztlichen Behandlung. 4.1.1 Ambulante ärztliche Versorgung Arztpraxen sind die Knotenpunkte der Gesundheitsversorgung. Ärztliche Praxen spielen eine führende Rolle in der ambulanten Gesundheitsversorgung. Sie erbringen oder veranlassen (durch Überweisung oder Verschreibung) einen Großteil aller Leistungen im Gesundheitssystem. Die allermeisten niedergelassenen Medizinerinnen und Mediziner nehmen als Vertragsärzte an der Versorgung der gesetzlich Versicherten teil. Die Sicherstellung der Versorgung sowie das Zusammenwirken von Ärzten, Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlicher Bundesvereinigung sind im Fünften Sozialgesetzbuch geregelt (§§ 70–75 SGB V). Im Jahr 2004 arbeiteten 133 400 Ärztinnen und Ärzte in der ambulanten Versorgung, darunter 117 900 Vertragsärzte, 7 500 privat tätige und 8 000 angestellte Ärztinnen und Ärzte. Die Zahl der ausschließlich privat abrechnenden Ärztinnen und Ärzte ist zwar recht gering, seit 2001 aber deutlich gestiegen (von 5 700 auf 7 500). Der Anteil der Ärztinnen im ambulanten Sektor beträgt 36,5 Prozent. Insgesamt waren 653 000 Personen im Jahr 2003 in deutschen Arztpraxen tätig, wobei der Frauenanteil bei 79 Prozent lag. Die größte Gruppe der nichtärztlichen Beschäftigten sind die 276 000 Arzthelferinnen und 1 000 Arzthelfer. Darüber hinaus sind Krankenpflegerinnen und -pfleger, medizinisch- sicherung, § 303a–f). Danach sollen Abrechnungs- und Leistungsdaten durch eindeutigen Bezug zu den jeweiligen Patienten und Leistungserbringern miteinander verknüpft werden, wobei die Identifizierung der Versicherten durch Verfahren wie Pseudonymisierung oder Datentrennung ausgeschlossen wird. Die vernetzten Daten sollen beispielsweise den Krankenkassen, der Ärzteschaft, Institutionen der Gesundheitsberichterstattung auf Bundes- und Länderebene sowie wissenschaftlichen Einrichtungen zur Verfügung stehen. Die folgende Analyse umfasst den Zeitraum von 1992 bis 2003/2004. Der Startpunkt 1992 wurde gewählt, um Verzerrungen durch die Umbruchsituation nach der Wiedervereinigung weitgehend auszuschließen. Die beschränkte Untergliederung der vorhandenen Daten erlaubt lediglich einen regionalen Vergleich zwischen neuen und alten Bundesländern. Anhand dieser Gegenüberstellung können Angleichungstendenzen zwischen Ost und West dargestellt werden. 148 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Angebot und Inanspruchnahme ambulanter Leistungen 20 Ärzte pro 10 000 Einwohner 16 12 8 4 Psychotherapeutengesetz 0 1992 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 Ärzte** insgesamt ABL Ärzte** insgesamt NBL Fachärzte* ABL Fachärzte* NBL Allgemeinmediziner ABL Allgemeinmediziner NBL 02 03 ** Ärzte (ab 1999 einschließlich psychologischer Psychotherapeuten) * Fachärzte ohne Allgemeinmediziner und ohne Psychotherapeuten ABL = Alte Bundesländer; NBL = Neue Bundesländer Abbildung 4.1.1: Ärzte und Fachärzte in freier Praxis pro 10 000 Einwohner nach Fachrichtung und Region. Quelle: KBV 8 Fälle pro Versicherten 7,5 7 6,5 6 5,5 5 4,5 4 1992 93 94 95 Alte Bundesländer 96 97 98 99 2000 01 02 Neue Bundesländer Abbildung 4.1.2: Ambulante ärztliche Behandlungsfälle pro Versicherten. Quelle: KBV 03 technisches Personal sowie Angehörige sozialer und anderer Berufe in Arztpraxen beschäftigt. In der ambulanten Versorgung steht ein Generationenwechsel bevor. Zwischen 1993 und 2004 stieg das Durchschnittsalter der Vertragsärzte von 46,6 auf 50,6 Jahre [3]. Entsprechend werden demnächst viele Ärztinnen und Ärzte in den Ruhestand treten. Engpässe werden hierbei insbesondere in der hausärzt lichen Versorgung und in den neuen Bundesländern erwartet, in denen in nächster Zeit etwa ein Drittel aller Hausärzte aus dem Berufsleben ausscheidet [3]. Im Jahr 2010 könnten nach Schätzungen in den Planungsregionen (Kreisen) MecklenburgVorpommerns zur Sicherstellung einer Mindestversorgung insgesamt 147 Hausärzte fehlen [4]. Rund fünf Prozent aller Vertragsärztinnen und Vertragsärzte hatten im Jahr 2003 gleichzeitig die Berechtigung, Patienten im Krankenhaus zu behandeln. Bei diesen so genannten Belegärzten handelte es sich hauptsächlich um Ärztinnen und Ärzte der Fachrichtungen HNO, Gynäkologie, Augenheilkunde, Orthopädie, Chirurgie und Urologie. Umgekehrt sind etwa acht Prozent aller Krankenhausärzte auch zu einer ambulanten Tätigkeit berechtigt, beispielsweise zu Zeiten, wenn Arztpraxen üblicherweise geschlossen sind [5]. Die Facharztdichte ist in den 1990er Jahren stetig gewachsen. Die Gesamtzahl der Ärztinnen und Ärzte (einschließlich der psychologischen Psychotherapeuten) in freier Praxis pro 10 000 Einwohner hat sich seit 1992 stetig erhöht (siehe Abbildung 4.1.1). Dieser Trend gilt auch für die neuen Bundesländer, wo die Arztdichte allerdings insgesamt niedriger liegt. Die Zunahme der Arztdichte resultiert vornehmlich aus einer Steigerung der fachärztlichen Angebote. So erhöhte sich die Gesamtzahl der Vertragsärzte zwischen 1990 und 2002 um 31 Prozent, wobei die Zuwachsrate bei den Allgemeinmedizinern 14, bei den Fachärzten dagegen 43 Prozent betrug [5]. Auch das seit 1999 geltende Psychotherapeutengesetz, durch das nichtärztliche Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in die kassenärztliche Versorgung einbezogen wurden (siehe Abschnitt 4.1.2), hat maßgeblich zur gestiegenen Zahl der Ärzte beigetragen. In den neuen Bundesländern gibt es pro 10 000 Einwohner mehr Allgemeinmediziner als in den alten Ländern, damit leisten sie im Osten weiterhin einen etwas größeren Teil der Gesamtversorgung als im Westen. Der Anteil der Allgemeinmediziner und praktischen Ärzte an der Gesamtzahl der Vertragsärzte ist zwischen 1992 und 2003 von 41,8 auf 36,7 Prozent gesunken. Diese Quote lässt jedoch noch nicht auf den Umfang der hausärztlichen Leistungen schließen, da neben Allgemeinmedizinern auch Kinderärzte und ein Teil der Internisten an der hausärztlichen Versorgung teilnehmen. Diese umfasst gemäß § 73 SGB V insbesondere die allgemeine Patientenbetreuung in Kenntnis des familiären Umfelds, die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen sowie die Zusammenführung der Behandlungsdaten. Im Jahr 2004 praktizierte etwa die Hälfte der Vertragsärztinnen und -ärzte als Hausärzte, die andere Hälfte als Fachärzte [3]. Angebot und Inanspruchnahme ambulanter Leistungen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 149 4.1.1.1 Hausarztzentrierte Versorgung Die gesetzlichen Kassen sollen ihren Versicherten Hausarztmodelle anbieten. Seit Einführung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) im Jahr 2004 sind die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet, ihren Versicherungsmitgliedern so genannte Hausarztmodelle anzubieten (§ 73b SGB V). Beteiligen sich Versicherte an einem solchen Modell, müssen sie bei gesundheitlichen Beschwerden immer zuerst den Hausarzt aufsuchen, der über die Behandlung entscheidet oder eine Überweisung zum Facharzt ausstellt. Die Versicherten sind mindestens ein Jahr lang an das Modell gebunden, im Gegenzug kann ihnen die Krankenkasse einen Bonus geben und beispielsweise die Praxisgebühr erlassen (§ 65a SGB V). Um die hausarztzentrierte Versorgung sicherzustellen, schließen die gesetzlichen Kassen Verträge mit besonders qualifizierten Hausärzten oder medizinischen Versorgungszentren ab. Die Qualitätsanforderungen sind dabei so gestaltet, dass eine gute und flächendeckende Hausarztversorgung gewährleistet ist. In rund der Hälfte der Fälle gehen Patientinnen und Patienten direkt zum Facharzt. Bei einer Befragung in den Jahren 1997/1998 gaben über 90 Prozent der erwachsenen Bevölkerung an, einen Hausarzt zu haben und ihn im Regelfall auch zuerst bei gesundheitlichen Problemen aufzusuchen [6]. Die Fallzahlstatistik des Wissenschaftlichen Instituts der AOK für das Jahr 1998 zeigt jedoch, dass die Versicherten in den alten Bundesländern in 48 Prozent aller Behandlungsfälle direkt einen Facharzt aufsuchten. In weiteren rund 15 Prozent der Fälle lag eine Überweisung zum Facharzt vor. Allgemeinmediziner führten knapp 37 Prozent der Krankenbehandlungen durch [7, 8]. Obwohl also Patientinnen und Patienten dem Hausarzt prinzipiell eine wichtige Rolle bei der Primärversorgung zuzuschreiben scheinen, entscheiden sie sich dann in einem großen Teil der Fälle zum direkten Facharztbesuch ohne vorherige Überweisung. Zu berücksichtigen ist bei der Interpretation dieser Zahlen allerdings, dass bei manchen Fachärztinnen und -ärzten (beispielsweise Frauen- und Augenärzten) wegen des spezialisierten und klar umrissenen Tätigkeitsfeldes eine Überweisung offenkundig nicht notwendig ist und dass zudem ein Teil der fachärztlich ausgebildeten Internistinnen und Internisten an der Hausarztversorgung teilnimmt. 4.1.1.2. Inanspruchnahme ambulanter Behandlung Die Zahl der Behandlungsfälle ist im Osten schneller gestiegen als im Westen. Die Zahl der Behandlungsfälle in der ambulanten Versorgung stieg in den 1990er Jahren deutlich an (siehe Abbildung 4.1.2). Die Fallzahl lässt sich unmittelbar aus den Abrechnungsdaten ermitteln, wobei längerfristig behandelte Patientinnen oder Patienten in jedem neuen Quartal wieder als neuer Behandlungsfall gezählt werden. Auch die Beteiligung eines Facharztes an der Behandlung gilt jeweils als eigener Fall. Daher kann eine gesteigerte Fallzahl sowohl durch eine stärkere Inanspruchnahme ambulanter Leistungen seitens der Patientinnen oder Patienten bedingt sein als auch durch häufigere Überweisungen oder eine erhöhte Quote von Wiedereinbestellungen. Ebenso kann die Arzt- beziehungsweise Facharztdichte die Zahl der Behandlungsfälle beeinflussen. Die deutlichere Fallzahlsteigerung in den neuen Bundesländern lässt sich nicht allein durch die im Vergleich mit den alten Ländern stärker gewachsene Facharztquote erklären. Vielmehr ist von einem tatsächlich höheren Niveau der Inanspruchnahme auszugehen. Die Entwicklung der Behandlungsfallzahlen korrespondiert teilweise mit der Entwicklung der Krankenstände in den neuen und alten Bundesländern (siehe Kapitel 1.3.1, seit Mitte der 1990er Jahre höherer Krankenstand in den neuen Bundesländern als in den alten Bundesländern). Inwieweit der Umfang ambulanter Behandlungen von der gesundheitlichen und sozialen Lage bestimmter Bevölkerungsgruppen beeinflusst wird, lässt sich anhand der verfügbaren Abrechnungsdaten jedoch nicht sagen. Nach Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 sind auch die Arztkontakte in Ostdeutschland etwas häufiger als in Westdeutschland. Als Arztkontakt wird jegliche Inanspruchnahme eines Arztes an einem Tag verstanden, dazu zählen beispielsweise auch das Abholen eines Rezeptes oder eine telefonische Beratung. Der Ost-West-Unterschied bei den Arztkontakten ist bezüglich der Allgemeinmediziner besonders ausgeprägt [9]. Nach Einführung der Praxisgebühr ist die Zahl der Behandlungsfälle zunächst gesunken. Seit Anfang 2004 müssen die über 18-jährigen Versicherten für jeden ersten Arztbesuch im Quartal, der nicht auf eine Überweisung hin erfolgt, eine Praxisgebühr bezahlen (§ 28 SGB V). Die Gebühr besitzt eine Steuerungsfunktion und soll dazu beitragen, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken. Wie sich die Praxisgebühr im Jahr 2004 auswirkte, lässt sich anhand erster Stichprobenerhebungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung abschätzen. Danach lagen die Behandlungsfallzahlen im Jahr 2004 im Schnitt um 8,7 Prozent niedriger als noch im Jahr 2003. Die Zahl der Arztkontakte sank im selben Zeitraum allerdings nur um 2,9 Prozent. Bei den Allgemeinmedizinern stieg die Anzahl der Kontakte sogar um 1,3 Prozent. Besonders betroffen von den rückläufigen Behandlungsfallzahlen waren die so genannten Primärfachärzte, die von den Patientinnen und Patienten zuvor häufig ohne Überweisung aufgesucht worden waren. Entsprechend ist der Anteil der Überweisungen gestiegen. Bei diesen fällt keine erneute Praxisgebühr an. Eine altersspezifische Analyse zeigt, dass bei Patientinnen und Patienten im mittleren Alter die Zahl der Arztkontakte stark zurückging, während sich bei älteren Patientinnen und Patienten in dieser Hinsicht keine Veränderungen ergaben [10]. In dieselbe Richtung weisen die Daten des BertelsmannGesundheitsmonitors. Danach hat sich von 2002 bis 2004 die durchschnittliche Zahl der Facharztkontakte ohne Überweisung bei Frauen und Männern etwa halbiert, die Zahl der Facharztkontakte mit Überweisung dagegen nahezu verdoppelt. Definition Arztkontakte sind die in einem Zeitraum (Abrechnungsquartal oder Jahr) stattgefundene Anzahl von Kontakten einer versicherten Person zu einer Ärztin oder einem Arzt. Zum Arztkontakt können Praxisund Hausbesuch zur Beratung, Diagnose, Therapie und Verordnung oder telefonische Beratung gehören. Arztkontakte können nicht nur auf die versicherte Person bezogen sein, sondern zusätzlich auch auf bestimmte Einrichtungen beschränkt werden. Unter Behandlungsfall wird die Inanspruchnahme einer versicherten Person (mindestens ein Arztkontakt) in einem Abrechnungsquartal in einer Einrichtung des Gesundheitswesens verstanden. 150 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Angebot und Inanspruchnahme ambulanter Leistungen 3,0 Psychotherapeuten pro 10 000 Einwohner 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 Psychotherapeutengesetz 0 1992 93 94 95 96 97 Alte Bundesländer 98 99 2000 01 02 03 Neue Bundesländer Abbildung 4.1.3: Psychotherapeuten pro 10 000 Einwohner. Quelle: KBV 1 700 Verordnungen (Millionen) Umsatz (Milliarden Euro) 30 1 500 25 1 300 20 1100 15 900 10 700 5 500 1992 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 0 03 verordnete Packungen in Millionen 4.1.2 Ambulante psychotherapeutische Versorgung Umsatz in Milliarden Euro Abbildung 4.1.4: Entwicklung von Arzneimittelverordnungen und -umsatz, Gesamtmarkt der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), Rezepte mit Fertigarzneimitteln. Quelle: Arzneimittelindex der gesetzlichen Krankenversicherung, wissenschaftliches Institut der AOK; (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) 350 Euro/Einwohner 300 250 200 150 1992 93 94 95 Alte Bundesläner 96 97 Insgesamt gaben die im Jahr 2004 Befragten durchschnittlich 6,10 Arztkontakte in den vorangegangenen zwölf Monaten an [11]. Bei Männern lag die Rate bei 4,89 und bei Frauen bei 6,95 Kontakten. Dies kann als eine leichte Abnahme gegenüber den beiden Vorjahren gewertet werden (2003: 6,60 Kontakte; 2002: 6,61 Kontakte; Männer 5,45 bzw. 5,49 und Frauen 7,49 bzw. 7,50 Kontakte). Im Verlauf des Jahres 2004 hat sich die Zahl der Arztkontakte offenbar weiter verringert: In der im Herbst 2004 durchgeführten 7. Welle des Bertelsmann-Gesundheitsmonitors nannten die Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer durchschnittlich fast einen Kontakt weniger als im Frühjahr (6. Welle). Noch lässt sich allerdings nicht sagen, ob der rückläufige Trend dauerhaft anhalten wird. Bei Krankheit suchen die Deutschen seltener eine Arztpraxis auf als früher. Beim Mikrozensus 1995, 1999 und 2003 wurde gefragt, ob in den jeweils vorangegangenen vier Wochen ein niedergelassener Arzt wegen einer Erkrankung in Anspruch genommen worden war [12]. Dies bejahten 1995 noch 72,6 Prozent der Erkrankten. 1999 hatten dagegen 68,2 und im Jahr 2003 nur noch 66,2 Prozent der Kranken eine Ärztin oder einen Arzt im Befragungsvormonat aufgesucht. Die rückläufige Tendenz bei der ambulanten Behandlung erkrankter Personen lässt sich bei beiden Geschlechtern sowie in allen Altersgruppen beobachten. Dennoch liegt die Zahl der Arzt-Patient-Kontakte in Deutschland über dem EU-Durchschnitt [13]. Ob Patienten bei leichteren Erkrankungen auf den Arztbesuch verzichteten oder ob sich eine Verschiebung von der ambulanten zur stationären Behandlung vollzieht, kann anhand der vorliegenden Ergebnisse des Mikrozensus nicht beurteilt werden [12]. 98 99 2000 01 02 Neue Bundesländer Deutschland Abbildung 4.1.5: Ausgaben pro Einwohner und Jahr für rezeptpflichtige Arzneimittel. Quelle: Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) 03 Die Zahl der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit Kassenzulassung ist sprunghaft gestiegen. Die ambulante psychotherapeutische Versorgung hat sich mit dem am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Psychotherapeutengesetz erheblich verändert. So wurden zwei neue selbstständige Heilberufe durch das Gesetz geschaffen, der Psychologische Psychotherapeut und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. Ebenso wie bei den bereits seit 1967 anerkannten ärztlichen Psychotherapeuten ist ihre Berufsbezeichnung geschützt. Zudem sind einheitliche Ausbildungs- und Qualitätsstandards festgelegt worden. Darüber hinaus regelt das Psychotherapeutengesetz die Integration der beiden neuen Berufsgruppen in das bestehende System der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung. So werden Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (die keine Mediziner, sondern Psychologen oder Pädagogen sind) als gleichberechtigte Partner der Vertragsärzte in die Kassenärztlichen Vereinigungen einbezogen. Im Jahr 2003 beteiligten sich 12 249 kassenärztlich zuge lassene Psychologische Psychotherapeuten (8 160 Frauen und 4 089 Männer) sowie 2 464 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (1 773 Frauen und 691 Männer) an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung [15]. Zudem waren 2 290 niedergelassene Ärztinnen und 1 316 Ärzte ausschließlich psychotherapeutisch tätig. Die Gruppe dieser Ärztinnen und Ärzte umfasst Fachärzte für psychotherapeutische Medizin, Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychia- Angebot und Inanspruchnahme ambulanter Leistungen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 151 trie und -psychotherapie sowie Ärztinnen und Ärzte mit den Zusatzbezeichnungen „Psychotherapie“ oder „Psychoanalyse“. Noch einmal weitere 6 581 niedergelassene Fachärztinnen und -ärzte waren teilweise psychotherapeutisch tätig. Zu ihnen gehören Nervenärzte sowie Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, die gleichzeitig somatisch-medizinisch arbeiten. Der genaue Umfang der psychotherapeutischen Leistungen dieser Arztgruppe ist nicht bekannt [15]. Durch die Integration der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in die vertragsärztliche Versorgung hat sich die Zahl der zuge lassenen Psychotherapeuten seit 1999 stark erhöht (siehe Abbildung 4.1.3). Im Westen ist die Psychotherapeutendichte fünfmal so hoch wie im Osten. In den alten Bundesländern ist die Zahl der ambulant tätigen Psychotherapeuten pro 10 000 Einwohner fast fünfmal so hoch wie in den neuen Ländern. Dies erklärt sich zumindest teilweise durch eine unterschiedliche Versorgungstradition im Bereich der Psychotherapie. Zudem dürfte die Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der zufolge in ländlichen Regionen weniger Psychotherapeuten gebraucht werden, einen Einfluss auf die Versorgungsdichte haben, da der Urbanisierungsgrad in Ostdeutschland geringer ist. Für das Jahr 1999 wurden von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 321 881 Behandlungsfälle im Bereich der tiefenpsychologisch fundierten und analytischen Psychotherapie sowie 244 024 Behandlungsfälle im Bereich der Verhaltens therapie dokumentiert [16]. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor. 4.1.3 Arzneimittel Durch Verordnung neuer und teuerer Medikamente steigt der Arzneimittelumsatz. Der Arzneimittelverbrauch lässt sich anhand der Umsatzzahlen, der Zahl der verordneten Packungen sowie anhand des Verordnungsvolumens nach definierten Tagesdosen bemessen. Zwischen 1992 und 2003 stieg der Arzneimittelumsatz, die Zahl der verordneten Packungen ging jedoch zurück (siehe Abbildung 4.1.4). Bezogen auf die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung fiel nach Daten der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände die Anzahl der verordneten Arzneimittelpackungen je Mitglied von 20,6 (1992) auf 14,35 (2004). Das Verordnungsvolumen stieg dagegen von 29,5 Milliarden definierten Tagesdosen im Jahr 1992 auf 31,4 Milliarden Dosen im Jahr 2003. Das deutliche Umsatzplus lässt sich vor allem auf den gestiegenen Wert je verordnete Packung zurückführen. Insgesamt Gesundheitsbewusste Städterinnen und Städter der oberen Sozialschicht gehen häufiger zum Facharzt Neben offensichtlichen Einflussgrößen wie der Zahl der Erkrankungen, dem Alter und Geschlecht sowie der Struktur des ärztlichen Angebots dürften eine Reihe weiterer Variablen mit darüber bestimmen, ob und wie häufig ein Versicherter einen bestimmten Arzt aufsucht. Bei einer Analyse des Robert Koch-Instituts [9] wurden auf der Basis von Querschnittsdaten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 [14] insbesondere soziale und verhaltensabhängige Einflussfaktoren auf ihre Wirkung hin untersucht. lässt sich innerhalb gleicher Arzneimittelgruppen eine Verschiebung zur Verordnung von neueren und teureren Arzneimitteln beobachten. Auch veränderte Packungsgrößen haben sich auf die Umsatzzahlen ausgewirkt. Trotz gesetzgeberischer Maßnahmen zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung sind die GKV-Ausgaben für Arzneimittel in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. So wurden durch das Beitragssicherungsgesetz im Jahr 2002 Rabatte auf Hersteller- und Großhandelsebene eingeführt und die von den Apotheken eingeräumten Rabatte erhöht (§ 130 und 130a BSichG). Dadurch stiegen die Krankenkassenrabatte von insgesamt 1,344 Milliarden Euro im Jahr 2002 auf 3,108 Milliarden Euro im Jahr 2003. Zu einer gewissen Kostendämpfung trugen auch der wachsende Anteil verordneter Generika (Arzneimittel mit patentfreien Wirkstoffen) sowie die verringerte Verschreibung von Sexualhormonen für die Hormontherapie bei. Im Jahr 2003 lag der Generika-Anteil an allen Arzneimittelverordnungen bei mehr als 50 Prozent [17]. Dennoch stiegen die GKV-Ausgaben je Mitglied zwischen 1994 und 2004 um 43,7 Prozent. Die meisten Verordnungen entfielen auf Schmerzmittel und Blutdruck senkende Medikamente. An dritter Stelle standen Antibiotika, an vierter MagenDarm-Mittel und an fünfter Stelle Psychopharmaka. Nahezu die Hälfte aller Medikamente, die im GKV-Arzneimittelbudget zu Buche schlagen, wurde von Allgemeinmedizinern verschrieben. Unterschiede beim Arzneimittelumsatz zwischen neuen und alten Bundesländern lassen sich anhand der Pro-Kopf-Ausgaben verfolgen, die bis zum Jahr 2000 getrennt dokumentiert sind (siehe Abbildung 4.1.5). Demnach wurde in den 1990er Jahren in Ostdeutschland mehr Geld je Einwohner für Medikamente ausgegeben als in Westdeutschland. Rezeptfreie Mittel werden inzwischen fast ausschließlich von den Patienten bezahlt. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel lassen sich ohne Rezept in der Apotheke erwerben. Bis zum Jahr 2003 konnten sie auch ärztlich verordnet werden, seit 2004 sind sie jedoch aus der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen und müssen von den Patientinnen und Patienten selber bezahlt werden. Ausgenommen von der Neuregelung sind jene nicht rezeptpflichtigen Mittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten. Im Jahr 2001 entfielen 18 Prozent aller abgegebenen Arzneimittelpackungen auf ärztlich verordnete rezeptfreie Medikamente. 38 Prozent der Packungen wurden von den Patientinnen und Patienten eigenständig gekauft (Selbstmedikation), bei 44 Prozent der Arzneimittelpackungen handelte es sich um rezeptpflichtige Mittel. So zeigte sich, dass Erwerbstätige seltener einen Arzt konsultieren als Nichterwerbstätige. Auch Unterschiede zwischen Stadt und Land wirken sich aus: Bewohner ländlicher Gegenden gehen zwar ebenso häufig zu Allgemeinmedizinern wie Städter, haben aber weniger Kontakte zu Internisten. Zudem ist auf dem Land die Gesamtzahl aller Arztkontakte geringer, und es werden weniger verschiedene Facharztgruppen in Anspruch genommen. Unterschiede fanden sich auch hinsichtlich der Schichtzugehörigkeit. Während die Gesamtzahl der Arztkontakte offenbar nicht von der sozialen Lage abhängt, nehmen Angehörige der oberen Sozialschicht mit höherer Wahrscheinlichkeit zuerst einen Internisten in Anspruch und kontaktieren mehr verschiedene Facharztgruppen als Angehörige der unteren Sozialschicht. Diese gehen dagegen häufiger zu Allgemeinmedizinern. Ein vergleichbares Muster zeigt sich in Bezug auf das Gesundheitsverhalten. So gehen Gesundheitsbewusste eher zum Internisten und suchen auch mehr verschiedene Facharztgruppen auf als Raucher oder sportlich Inaktive. Die Gesamtzahl der Arztkontakte wird von den unterschiedlichen Verhaltensstilen aber nicht beeinflusst. 152 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Angebot und Inanspruchnahme ambulanter Leistungen 700 Verordnungen in Millionen Packungen 600 500 400 300 200 100 0 1992 93 94 95 96 97 rezeptfreie Arzneimittel 98 99 2000 01 02 03 rezeptpflichtige Arzneimittel Abbildung 4.1.6: Zeitverlauf der Verordnungen rezeptpflichtiger und rezeptfreier Arzneimittel. Quelle: Schwabe, Paffrath 2004 50 Euro/Einwohner Am Gesamtarzneimittelumsatz haben rezeptfreie Medikamente wegen ihres geringeren Preises einen entsprechend niedrigeren Anteil. So entfiel bis zum Jahr 2003 etwa ein Viertel aller verordneten und von den gesetzlichen Kassen bezahlten Arzneimittelpackungen auf rezeptfreie Mittel, ihr Umsatzanteil betrug dagegen nur neun Prozent. Der in den 1990er Jahren zu beobachtende Rückgang der Arzneimittelverordnungen betraf vor allem die rezeptfreien Medikamente (siehe Abbildung 4.1.6) [17]. Die Selbstmedikation liegt im Trend. Ein Aufwärtstrend ließ sich in den 1990er Jahren bei der Selbstmedikation beobachten: Nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände stieg die Zahl der Arzneimittelpackungen, die Patienten eigenständig in öffentlichen Apotheken kauften, von 450 Millionen Stück im Jahr 1992 auf 638 Millionen im Jahr 2003. Im selben Zeitraum erhöhten sich die jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben für die Selbstmedikation von 38,5 auf 47,9 Euro. Dabei gaben die Westdeutschen in den 1990er Jahren im Schnitt deutlich mehr für selbst gekaufte Medikamente aus als die Ostdeutschen (siehe Abbildung 4.1.7). 45 4.1.4 Apotheken 40 35 30 25 20 1992 93 94 95 Alte Bundesländer 96 97 98 99 2000 01 02 Neue Bundesländer Deutschland *Die Ausgaben pro Einwohner von 1994 (Deutschland) fehlen wegen Änderung der Schätzbasis Abbildung 4.1.7: Ausgaben pro Einwohner und Jahr für Selbstmedikation in Apotheken*. Quelle: Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (Statis tisches Bundesamt, IS-GBE) 03 Die Apothekendichte ist in Westdeutschland höher als in Ostdeutschland. Bis zum Jahr 2003 war es nach dem Apothekengesetz nicht gestattet, dass eine Apothekerin oder ein Apotheker mehr als eine Apotheke betreibt. Dieses Mehrbesitzverbot wurde im Zuge der Gesundheitsreform gelockert. Apothekerinnen und Apotheker dürfen nun bis zu vier Apotheken besitzen. Dabei müssen die personelle und materielle Ausstattung jeder Filialapotheke einer üblichen öffentlichen Apotheke entsprechen. Die Anzahl der Apotheken blieb in den alten Bundesländern seit 1992 mit rund 18 000 konstant. In den neuen Ländern erhöhte sie sich dagegen von 2 187 (1992) auf 3 281 (2002). Für das Jahr 2004 wird eine Gesamtzahl von 21 392 Apotheken in Deutschland angegeben. Auch die Zahl der Arbeitsplätze in Apotheken ist gestiegen, von 126 536 im Jahr 1992 auf 136 804 im Jahr 2004. Nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände entfielen 65 Prozent der Arbeitsplätze im Jahr 2004 auf Apothekerinnen und Apotheker. Die Apothekendichte war im Jahr 1992 in den alten Bundesländern etwa doppelt so hoch wie in den neuen Ländern. Im Westen hat sie sich seit 1994, im Osten etwa seit 2000 auf einem konstanten Niveau eingependelt. Nach wie vor ist die Apothekendichte in Ostdeutschland aber deutlich geringer als in Westdeutschland (siehe Abbildung 4.1.8). Ein Sechstel ihres Umsatzes machen Apotheken mit Selbstzahlermedikamenten. Zunehmende Bedeutung gewinnt die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung über Versandhandel und elektronischen Handel (Internet). Durch die Artikel 20 bis 23 des 2004 in Kraft getretenen GKV-Modernisierungsgesetzes wurden der Versandhandel und der elektronische Handel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln und Medizinprodukten erlaubt. Da auch verschreibungspflichtige Medikamente der Apothekenpflicht unterliegen, sind darauf grundsätzlich dieselben Rechtsvorschriften anzuwenden. Der Versand von nicht apothekenpflichtigen Arzneimitteln und Medizinprodukten war dagegen auch vor 2004 bereits gestattet. In Deutschland sind alle Versandapotheken immer auch übliche Apotheken und unterliegen denselben Bestim- Angebot und Inanspruchnahme ambulanter Leistungen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 153 30 Apotheken pro 100 000 Einwohner 25 20 15 10 5 0 1992 93 94 95 96 Alte Bundesländer 97 98 99 2000 01 02 03 Neue Bundesländer 4.1.5 Zahnärztliche Versorgung Abbildung 4.1.8: Apotheken je 100 000 Einwohner. Quelle: Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) 100 Zahnärzte pro 100 000 Einwohner 90 80 70 60 50 1992 93 94 95 Alte Bundesländer mungen. Aus dem Ausland dürfen nur Apotheken, die in Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums ansässig sind, Arzneimittel an deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher versenden. Dabei dürfen nur solche Medikamente nach Deutschland eingeführt werden, die hier zu Lande verkehrsfähig sind. Der Umsatz der Apotheken (ohne Mehrwertsteuer) stieg von 20,96 Milliarden Euro im Jahr 1992 auf 32,5 Milliarden Euro im Jahr 2004. Davon entfielen 2004 insgesamt 25,1 Milliarden Euro auf Arzneiverordnungen, die über die gesetzliche oder private Krankenversicherung abgerechnet wurden, fünf Milliarden Euro auf Selbstmedikation und 1,1 Milliarden Euro auf das apothekenübliche Ergänzungssortiment. 96 97 98 99 2000 01 02 03 Neue Bundesländer Abbildung 4.1.9: Behandelnd tätige Zahnärzte pro 100 000 Einwohner. Quellen: Zahnärztedatei der Bundeszahnärztekammer (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) In Deutschland sind rund 65 000 Zahnärztinnen und Zahnärzte aktiv. Ende 2003 gab es in Deutschland 80 515 Zahnärztinnen und Zahnärzte, davon waren 64 609 behandelnd tätig. Unter ihnen fanden sich 40 428 Männer und 24 181 Frauen. Die Zahl der an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnehmenden Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner lag Ende 2003 bei 55 050, wobei 45 055 auf die alten Bundesländer einschließlich Berlins und 9 995 auf die neuen Bundesländer entfielen. Von den insgesamt rund 4,2 Millionen Beschäftigten im deutschen Gesundheitswesen arbeiteten im Jahr 2003 etwa 326 000 in Zahnarztpraxen. Der Frauenanteil lag bei 80,7 Prozent. Der Kinder- und Jugendzahnärztliche Dienst der Gesundheitsämter nimmt regelmäßig Reihenuntersuchungen bei Kindern und Jugendlichen vor und betreibt die Gruppenprophylaxe in Kindergärten und Schulen. Hier werden Überweisungen an die Hauszahnärzte ausgestellt, wenn sich ein Behandlungsbedarf zeigt. Die Zahl der Zahnarztstellen im öffentlichen Gesundheitsdienst sank zwischen 1991 und 2004 kontinuierlich von 642 auf 455 Vollzeitstellen. Die Zahnmedizin wird zum Frauenberuf. Die Zahnarztdichte hat zwischen 1995 und 2003 von 72,6 auf 78,3 behandelnd tätige Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner pro 100 000 Einwohner zugenommen. In den alten Bundesländern (ohne Berlin-Ost) stieg die Gesamtzahl der Zahnärztinnen und Zahnärzte zwischen 1993 und 2003 um 6 016, das entspricht einer durchschnittlichen Steigerung von 1,5 Prozent im Jahr [18]. Der Aufwärtstrend wird sich vermutlich fortsetzen. So könnte nach einer Prognosestudie des Instituts der Deutschen Zahnärzte die Zahl der Zahnmediziner im Jahr 2020 insgesamt zwischen 6 und 15 Prozent höher liegen als im Jahr 2001. Zudem dürfte der Anteil der Zahnärztinnen steigen, da Frauen derzeit gut 60 Prozent der Studierenden in der Zahnmedizin ausmachen [19]. In den neuen Bundesländern findet sich eine höhere Zahnarztdichte als in den alten Ländern (siehe Abbildung 4.1.9). Der Unterschied lässt sich möglicherweise mit der geringeren Bevölkerungsdichte in Ostdeutschland erklären: Da die zahnärztliche Versorgung zur Grundversorgung gehört, müssen Zahnarztpraxen auch in weniger dicht besiedelten Gegenden wohnortnah vorhanden sein, was zu einer höheren Zahl von Zahnärzten je Einwohner führt. Das rechnerische Klientenpotenzial niedergelassener Zahnärzte lag Anfang der 1990er Jahre im Bundesdurchschnitt bei ungefähr 1 600 Versicherten. Die Zahl möglicher Klienten reduzierte sich seitdem um fast ein Viertel. So kamen Ende 154 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Angebot und Inanspruchnahme ambulanter Leistungen 220 Relative Änderung in Prozent (1970 = 100%) 200 180 160 140 120 100 80 60 40 1970 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 2000 02 drei- und mehrflächige Füllungen +53% Wurzelkanalfüllungen +54% Extraktionen –50% Abbildung 4.1.10: Entwicklung konservierend-chirurgischer Leistungsbereiche (GKV) für Zahnbehandlungen in den alten Bundesländern 1970 – 2003. Quelle: KZBV, Jahrbuch 2004 30 Vollzeitäquivalente in 1 000 25 20 15 10 5 0 1997 98 99 Physiotherapeuten 2000 Heilpraktiker 01 02 Hebammen Abbildung 4.1.11: Vollkräfte (Vollzeitäquivalente) in tausend für ausgewählte Berufe in der ambulanten Versorgung. Quelle: Gesundheitspersonalrechnung (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) [20] 03 2003 auf jeden Zahnarzt 1 277 Einwohner, in den alten Bundesländern (einschließlich Berlins) lag die Zahl bei 1 293, in den neuen Ländern bei 1 202 [18]. Die Deutschen haben gesündere Zähne als früher. Anhand der Häufigkeit von Füllungen, Wurzelkanalbehandlungen und Zahnentfernungen (Extraktionen) lässt sich abschätzen, wie gut die Mundgesundheit einer Bevölkerung ist. So hat sich zwar die Zahl der Wurzelkanalfüllungen in den alten Bundesländern seit den 1980er Jahren erhöht (siehe Abbildung 4.1.10). Doch Extraktionen sind deutlich rückläufig, dies sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern. Auch bei den Füllungen zeigt sich ein langfristiger Abwärts trend. So sank zwischen 1997 und 2003 die Gesamtzahl der mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerechneten Füllungen von 67,9 auf rund 60,2 Millionen (davon 0,13 Prozent Kunststofffüllungen). Im selben Zeitraum ging das Verhältnis von Extraktionen zu Füllungen von 1:5,8 auf 1:4,2 zurück. Dies kann als Ausdruck einer erheblich verbesserten Mundgesundheit der Deutschen gewertet werden [18]. Zudem hat sich die Lebensdauer der Füllungen durch eine gestiegene Behandlungsqualität und eine verbesserte Prophylaxe erhöht. Der Anteil des Zahnersatzes an den GKV-Ausgaben für zahnärztliche Behandlung sank von 36,5 Prozent im Jahr 1997 auf 31,9 Prozent im Jahr 2003. Im Laufe der letzten zehn Jahre hat sich die Bedeutung herausnehmbarer Prothesen vermindert, während die Zahl der eingegliederten Einzelkronen gestiegen ist (um 44 Prozent je GKV-Mitglied zwischen 1987 und 2003). Die Anzahl der angefertigten Totalprothesen ging zwischen 1987 und 2003 um 35 Prozent zurück [18]. Die Bedeutung der Parodontalbehandlung nimmt zu. Bei der über einen gesonderten Antrag abgerechneten systematischen Parodontalbehandlung ist dagegen ein Aufwärtstrend zu verzeichnen. In den alten Bundesländern stieg die Zahl der Behandlungsfälle von 557 100 im Jahr 1995 auf 619 900 im Jahr 2003. In den neuen Bundesländern hat sie sich von 101 100 (2000) auf 107 300 (2003) erhöht. Für Parodontalbehandlungen gaben die gesetzlichen Kassen im Jahr 2003 bundesweit 470 Millionen Euro aus [18]. Der tatsächliche Behandlungsbedarf dürfte noch weit höher liegen, da schätzungsweise bis zu 25 Millionen Menschen in Deutschland an einer mittleren bis schweren Parodontitis erkrankt sind. Insgesamt hat die Bedeutung der Zahn erhaltenden und chirurgischen Behandlung zugenommen, während die Aufwendungen für Zahnersatz zurückgegangen sind. Dieser Effekt lässt sich maßgeblich auf veränderte Zuzahlungsregelungen zurückführen. Angebot und Inanspruchnahme ambulanter Leistungen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 155 4.1.6 Sonstige medizinische Berufe Hebammen, Heilpraktiker und Heilmittelerbringer sind meist ambulant tätig. Zu den Akteuren der ambulanten Gesundheitsversorgung gehören auch Hebammen, Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker und so genannte Heilmittelerbringer. Zu diesen zählen beispielsweise Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, Logopädinnen und Logopäden und Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten. Sie erbringen bestimmte Dienstleistungen (Heilmittel) wie physikalische oder Sprachtherapien und erhalten eine Kassenzulassung, wenn sie über die erforderliche Ausbildung und Praxisausstattung verfügen sowie die gemäß Fünftem Sozialgesetzbuch geltenden Vereinbarungen zur Patientenversorgung anerkennen (§ 124 SGB V). Die Behandlung durch Heilmittelerbringer erfolgt auf ärztliche Verordnung. In den Praxen aller sonstigen medizinischen Berufe arbeiteten im Jahr 2003 bundesweit 199 000 Personen, davon 140 000 Frauen und 59 000 Männer. Physiotherapie wird immer häufiger verordnet. Die Tätigkeit von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten wird durch das Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie geregelt (Masseur- und Physiotherapeutengesetz, MPhG, vom 26. Mai 1994). Physiotherapie kommt vor allem in der Rehabilitation, aber auch im klinischen, präventiven und sportlichen Bereich zum Einsatz. Sie umfasst aktive Verfahren wie Bewegungs- und Atemtherapie sowie passive Methoden wie Massage, Wärme-, Kälte-, Wasser- und Elektrotherapie. Im Jahr 2003 waren 60 000 Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, Masseure und medizinische Bademeister im ambulanten Sektor tätig, davon 42 000 Frauen und 18 000 Männer. Physiotherapeutische Leistungen werden vornehmlich von Ärztinnen und Ärzten der Fachrichtungen Allgemeinmedizin, Orthopädie und Innere Medizin verordnet. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für Leistungen von Krankengymnasten und Physiotherapeuten stiegen von 924 Millionen Euro im Jahr 1993 auf 1,8 Milliarden Euro im Jahr 1999. Logopädinnen arbeiten in einer Vielzahl von Einrichtungen. Logopädinnen und Logopäden behandeln Menschen mit Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Viele von ihnen arbeiten angestellt in Krankenhäusern, Fach- und Rehabilitationskliniken, ärztlichen und logopädischen Praxen sowie Sondereinrichtungen für hör- und sprachbehinderte Kinder. Zunehmend werden Logopädinnen und Logopäden im Frühförderbereich in Gesundheitsämtern und in Sonderschulen für hör- und sprachgestörte Kinder eingesetzt. Diplomierte Logopädinnen und Logopäden sind zudem in Lehre, Wissenschaft und Forschung tätig. Selbstständige Logopädinnen und Logopäden arbeiten in eigenen oder Gemeinschaftspraxen, wobei sich freiberufliche Logopädinnen und Logopäden immer häufiger beispielsweise mit Ärzten, Krankengymnasten, Ergotherapeuten und Masseuren zu interdisziplinären Partnerschaftsgesellschaften zusammenschließen. Nach Schätzungen des Deutschen Bundesverbandes für Logopädie gibt es hier zu Lande etwa 10 000 Logopädinnen und Logopäden, 90 Prozent von ihnen sind Frauen. Von den im Bundesverband organisierten Mitgliedern ist etwa ein Drittel selbstständig. Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten fördern die Selbstständigkeit kranker und behinderter Menschen. Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten arbeiten schwerpunktmäßig in der Orthopädie, Unfallchirurgie, Psychiatrie, Geriatrie, Pädi- atrie, Neurologie und Psychosomatik. Durch handwerkliche und gestalterische Arbeiten sowie alltagsbezogene Übungen unterstützen sie die Selbstständigkeit kranker und behinderter Menschen. Freie Praxen von Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten spielen in der ambulanten Rehabilitation eine wichtige Rolle. Nach Angaben des Deutschen Verbandes der Ergotherapeuten gibt es in Deutschland 18 000 bis 20 000 Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten, davon sind etwa 2 000 in den neuen Bundesländern tätig. Von den Mitgliedern des Verbandes sind rund 85 Prozent Frauen. Ein Sechstel der Verbandsmitglieder ist selbstständig. Vermehrte Hausgeburten und Geburtshäuser stärken die Rolle der Hebammen. Laut Hebammengesetz von 1985 muss bei jeder Geburt eine Hebamme anwesend sein. Für anerkannte Hebammen besteht Niederlassungsfreiheit. Im Jahr 2003 arbeiteten hier zu Lande 18 000 Hebammen, zwei Drittel von ihnen sind nach Angaben des Bundes freiberuflicher Hebammen Deutschlands zumindest teilweise freiberuflich tätig. Etwa 2 500 bis 3 000 Hebammen arbeiten ausschließlich freiberuflich. Freiberufliche Hebammen dürfen Frauen während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett eigenverantwortlich betreuen. Durch die zunehmende Beliebtheit von Geburtshäusern, Hausgeburten sowie Zwischenformen stationärer und häuslicher Geburtshilfe ist die Rolle der freiberuflichen Hebammen gestärkt worden. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Hebammenhilfe stiegen von 88,6 Millionen Euro im Jahr 1993 auf 213,3 Millionen Euro im Jahr 1999. Die Leistungen von Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern werden von den gesetzlichen Kassen nicht bezahlt. Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker benötigen für die Berufsausübung eine Erlaubnis des zuständigen Gesundheitsamtes. Ihre Tätigkeit ist durch das Heilpraktikergesetz von 1938 geregelt. Leistungen von Heilpraktikern werden von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übernommen. Im Jahr 2003 waren in Deutschland 14 000 Heilpraktikerinnen und 6 000 Heilpraktiker tätig. Nach Angaben des Verbandes der Privaten Krankenversicherung wurden von den privaten Kassen im Jahr 2003 insgesamt 120,5 Millionen Euro für Heilpraktikerleistungen bezahlt. Seit 1997 wird die so genannte Gesundheitspersonalrechnung vom Statistischen Bundesamt geführt. Sie weist unter anderem die Zahl der nichtärztlichen Vollkräfte (Vollzeit äquivalente) aus, die in der ambulanten Versorgung tätig sind (siehe Abbildung 4.1.11). 4.1.7 Gesundheitshandwerk und Einzelhandel Konkurrenz im In- und Ausland verschärft den Wettbewerb im Gesundheitshandwerk. Brillen, Hörgeräte, Zahnersatz, Prothesen oder orthopädische Schuhe werden von Unternehmen des Gesundheitshandwerks hergestellt. Im Gesundheitshandwerk unterscheidet man die Sparten Augenoptik, Hörgeräteakustik, Orthopädieschuhtechnik, Orthopädietechnik und Zahntechnik. Der charakteristische Unterschied zu anderen Handwerksbetrieben besteht darin, dass die Sozialversicherungsträger teilweise für die Kosten der entsprechenden Produkte und Dienstleistungen aufkommen. Zwischen 1997 und 2003 sank die Zahl der insgesamt im Gesundheitshandwerk und Einzelhandel Beschäftigten von 184 000 auf 153 000. Von ihnen waren 28 Prozent Frauen. Im 156 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Angebot und Inanspruchnahme ambulanter Leistungen 110 Fälle auf 10 000 Versicherte 100 90 80 70 60 50 40 30 20 Pflegeversicherung 10 0 1992 93 94 95 96 97 98 Männer ABL Frauen ABL Männer NBL Frauen NBL 99 2000 01 02 03 04 4.1.8 Häusliche Pflege ABL = Alte Bundesländer, NBL = Neue Bundesländer Abbildung 4.1.12: Krankenhausvermeidungspflege auf 10 000 Versicherte nach Geschlecht und Region. Quelle: BMG 700 Fälle auf 10000 Versicherte 600 500 400 300 200 Häusliche Krankenpflege-Richtlinien 100 0 1992 93 94 95 96 97 98 Männer ABL Frauen ABL Männer NBL Frauen NBL 99 selben Zeitraum ging die Zahl der Gesundheitshandwerkerinnen und -handwerker von 61 000 auf 59 000 zurück. Hintergrund für den Rückgang bei der handwerklichen Fertigung sind die wachsenden Anstrengungen der Industrie, mit vorgefertigten Hilfsmitteln Marktanteile zu gewinnen. Zudem werden Produkte und Dienstleistungen des Gesundheitshandwerks (beispielsweise Zahnersatz) zunehmend aus dem Ausland bezogen. Auch durch Filialbildungen, etwa bei Augenoptikern, verschärft sich der Wettbewerb. In allen Sparten des Gesundheitshandwerks führt das wachsende Tempo technischer Innovation zu immer hochwertigeren Produkten. Beispiele dafür sind der Hörgerätebereich oder die Verwendung neuer Werkstoffe [1]. In den kommenden Jahrzehnten dürfte der Bedarf an Hilfsmitteln aufgrund der steigenden Zahl älterer Menschen weiter zunehmen. Unklar bleibt allerdings, ob dadurch auch das Gesundheitshandwerk hier zu Lande wieder an Bedeutung gewinnt. 2000 01 02 ABL = Alte Bundesländer, NBL = Neue Bundesländer Abbildung 4.1.13: Sicherungspflegefälle auf 10 000 Versicherte nach Geschlecht und Region. Quelle: BMG 03 04 In Deutschland gibt es rund 10 000 ambulante Pflegedienste. Seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 beteiligen sich neben den herkömmlichen Sozialstationen auch private Hauspflegedienste an der ambulanten Versorgung pflegebedürftiger Menschen. Laut Pflegestatistik gab es im Jahr 1999 insgesamt 10 820 Pflegedienste, die nach Sozialgesetzbuch XI (SGB XI) zugelassen waren, davon 8 209 in den alten und 2 611 in den neuen Bundesländern. 2003 lag die Zahl etwas niedriger bei 10 619 (alte Länder: 8 021; neue Länder: 2 598). Die Zahl der Beschäftigten in ambulanten Pflegediensten hat sich dagegen von 183 782 im Jahr 1999 auf 200 897 im Jahr 2003 erhöht. Krankenschwestern sowie Altenpflegerinnen und Altenpfleger stellen dabei die größten Berufsgruppen dar. Der Anteil der Frauen an allen Beschäftigten lag 2003 bei etwa 87 Prozent. Bei höher qualifizierten Beschäftigten wie Sozialpä dagogen und Sozialarbeitern, die eher Leitungsfunktionen in den Sozialstationen und ambulanten Pflegediensten einnehmen, beträgt die Frauenquote 78, bei Pflegewissenschaftlern 61 Prozent. Häusliche Pflege ist bei vorübergehender Krankheit möglich. Häusliche Pflege erhalten Versicherte nicht nur im Rahmen der Langzeitpflege (siehe Kapitel 1.3.4), sondern auch bei vorübergehender Krankheit. Leistungsträger ist dann die gesetzliche Krankenversicherung. Bei der häuslichen Krankenpflege unterscheidet man zwischen Krankenhausvermeidungspflege (§ 37 Abs. 1 SGB V) und Sicherungspflege (§ 37 Abs. 2 SGB V) [21]. Krankenhausvermeidungspflege wird von den Kassen bewilligt, wenn eine Krankenhausbehandlung geboten wäre, aber nicht durchführbar ist, oder wenn durch die häusliche Pflege ein Krankenhausaufenthalt vermieden oder verkürzt werden kann. Gründe für eine nicht durchführbare Kranken hausbehandlung können beispielsweise die fehlende Transportfähigkeit des Versicherten, die fehlende Bereitschaft, sich einer Krankenhausbehandlung zu unterziehen, oder in seltenen Fällen auch das Fehlen einer geeigneten Einrichtung sein. Sicherungspflege kann dagegen verordnet werden, wenn sich eine ambulante ärztliche Behandlung nur mit Unterstützung der häuslichen Krankenpflege durchführen und in ihrem Erfolg sichern lässt. Meist handelt es sich bei der Sicherungspflege um so genannte Behandlungspflege, die im Gegensatz zur Grundpflege direkter Teil der Therapie ist (beispielsweise Verbandswechsel). Angebot und Inanspruchnahme ambulanter Leistungen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 157 4.1.8.1 Krankenhausvermeidungspflege Die Krankenhausvermeidungspflege hat durch die Einführung der Pflegeversicherung an Bedeutung verloren. Die Kranken hausvermeidungspflege stieg zunächst von rund 270 000 Fällen im Jahr 1992 auf fast 400 000 Fälle in den Jahren 1995 und 1996. Danach sank die Zahl jedoch rasch auf nur noch gut 18 000 Fälle im Jahr 2004. Dieser erhebliche Rückgang ist vor allem auf eine Minderung des Bedarfs durch Einführung der Pflegeversicherung zurückzuführen. Davor wurde die Krankenhausvermeidungspflege häufig genutzt, um entsprechende Versorgungslücken zu kompensieren [21]. Die Zahl der Fälle je 10 000 Versicherte lag in den neuen Bundesländern zunächst deutlich höher als in den alten Ländern, ging dann aber zügiger zurück (siehe Abbildung 4.1.12). Dies deutet möglicherweise auf Unterschiede in der Versorgungsstruktur und Verordnungspraxis in der Nachwendezeit hin. Frauen nehmen ungefähr doppelt so häufig eine Kranken hausvermeidungspflege in Anspruch wie Männer. Dies liegt vor allem daran, dass Frauen im Schnitt älter werden und häufiger alleine leben. 4.1.8.2 Sicherungspflege Eine ambulante Therapie muss häufig pflegerisch unterstützt werden. Bei der Sicherungspflege, die der Unterstützung einer ambulanten ärztlichen Behandlung dient, ist für die gesamten 1990er Jahre im Bundesdurchschnitt ein Aufwärtstrend zu verzeichnen. So nahm die jährliche Zahl von Leistungsfällen zwischen 1992 und 2000 von rund einer auf etwa zwei Millionen zu. Danach verharrt sie bis zum Jahr 2004 bei gut 1,8 Millionen Fällen. Bei Frauen in den neuen Bundesländern lässt sich allerdings für die Jahre ab 1996 eine deutlich rückläufige Tendenz von fast 30 Prozent bis zum Jahr 2004 feststellen. Die Häufigkeit der Sicherungspflege ist – anders als die der Krankenhausvermeidungspflege – kaum von der Einführung der Pflegeversicherung beeinflusst worden. Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass es sich bei der Sicherungspflege überwiegend um Behandlungspflege handelt, die direkter Teil der Therapie ist und daher im Rahmen der Pflegeversicherung nicht übernommen wird. Bundeseinheitliche Regelungen zur ambulanten Krankenpflege lagen bis zum Jahr 2000 nicht vor. Nach Einführung der Richtlinien zur Verordnung der häuslichen Krankenpflege im Mai 2000 hat sich die Zahl der Leistungsfälle reduziert und belief sich im Jahr 2001 auf 1,7 und in den Jahren 2002 bis 2004 auf jeweils 1,8 Millionen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass seit dem Jahr 2000 die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung anders als zuvor nicht mehr eigenständig, sondern nur noch im Rahmen einer erforderlichen Behandlungspflege verordnet werden können. Die Sicherungspflege wird (wie die Krankenhausvermeidungspflege) von Frauen ungefähr doppelt so häufig in Anspruch genommen wie von Männern. In den neuen Bundesländern liegt die Zahl der Leistungsfälle je 10 000 Versicherte noch höher als in den alten Ländern, ist jedoch seit Mitte der 1990er Jahre rückläufig und nähert sich dem Bundesdurchschnitt an. Dabei ist für ostdeutsche Frauen ein erheblich stärkerer Rückgang zu beobachten als für ostdeutsche Männer. Unter westdeutschen Frauen steigt dagegen die Rate der Sicherungspflegefälle seit Beginn der 1990er Jahre (siehe Abbildung 4.1.13). 158 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen 100 Prozentualer Anteil 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 93 94 95 96 97 98 99 öffentlich freigemeinnützig 2000 01 02 03 privat Abbildung 4.2.1: Krankenhäuser nach Trägerschaft 1993 – 2003. Quelle: Krankenhausstatistik (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) 20 Prozentualer Anteil 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 <50 50– 100 100– 150 Krankenhäuser 1993 150 –200 200 –300 300–400 Krankenhäuser 2003 Abbildung 4.2.2: Krankenhäuser nach Bettengrößenklassen 1993 und 2003. Quelle: Krankenhausstatistik (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) 400– 500 500 –600 600 –800 ≥800 Krankenhäuser mit … bis unter … Betten Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 159 4.2 Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen Ω Zusammenfassung Zwischen 1993 und 2003 hat sich die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland um 6,7 Prozent vermindert und lag Ende 2003 bei insgesamt 2 197. Bei den Krankenhausbetten fiel der Rückgang im selben Zeitraum mit 13,8 Prozent noch deutlicher aus. Gleich zeitig ist die durchschnittliche Liegezeit von 12,5 auf 8,9 Tage gesunken, die Zahl der jährlichen Behandlungsfälle hat sich ver mehrt, und der Altersschnitt der Patientinnen und Patienten ist gestiegen. Private Klinikträger spielen in der deutschen Kran kenhauslandschaft eine zunehmende Rolle. Hintergrund dieser Entwicklungen sind vor allem Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen, die auf eine leistungsorientierte Kranken hausfinanzierung abzielen. Die Abteilungen für Innere Medizin und Chirurgie verfügen trotz größerer Einsparungen in der Chir urgie weiterhin über gut die Hälfte aller Krankenhausbetten in Deutschland. Im Jahr 2003 gingen 1,1 Millionen Personen und damit etwa jeder vierte im Gesundheitswesen Beschäftigte einer Tätigkeit im Krankenhaus nach. Insgesamt arbeiteten in deutschen Kli niken 118 500 voll approbierte Ärztinnen und Ärzte sowie 10 400 Ärztinnen und Ärzte im Praktikum. Der durchschnittliche Frau enanteil lag bei 35,6 Prozent, in den Leitungsebenen jedoch nur bei 7,2 Prozent. Die häufigste Hauptdiagnose bei männlichen Krankenhauspati enten ist die Mangeldurchblutung des Herzmuskels (chronische ischämische Herzkrankheit). Bei Frauen steht, abgesehen von den Entbindungen, der Brustkrebs an erster Stelle. Nachdem die Zahl der Vorsorge- oder Rehabilitationseinrich tungen bis Mitte der 1990er Jahre gewachsen war, geht sie seit 1996 ähnlich wie die Zahl der Kliniken zurück. Bei den Pflegeheimen lässt sich dagegen ein deutlicher Zuwachs beobachten. Ihre Zahl stieg allein zwischen 2001 und 2003 um 6,3 Prozent auf insgesamt 9 743. Die Anzahl der Pflegeplätze erhöhte sich von 1999 bis 2003 um 10,5 Prozent auf 713 195. Gleichwohl wird nur rund ein Drittel aller Pflegebedürftigen in Pflegeheimen versorgt, zwei Drittel leben dagegen mit Unter stützung ihrer Angehörigen oder ambulanter Pflegedienste zu Hause. Im internationalen Vergleich der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung zeigt sich, dass die Arztdichte nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen westlichen Industrie nationen in den 1990er Jahren gestiegen ist, was auf ein verbes sertes ärztliches Versorgungsangebot hinweist. Bei der Dichte der Krankenhausbetten und den durchschnittlichen Liege zeiten ist eine generelle Verminderung festzustellen. Deutsch land nimmt sowohl bei der Bettendichte als auch bei der mitt leren Krankenhausverweildauer trotz des deutlich rückläufigen Trends in den 1990er Jahren weiterhin einen internationalen Spitzenplatz ein. 4.2.1 Krankenhäuser Die Zahl der Krankenhäuser geht zurück. Ende 2003 gab es in Deutschland 2 197 Krankenhäuser und damit 157 weniger als im Jahr 1993. Dies entspricht einem Rückgang um insgesamt 6,7 Prozent. Der rückläufige Trend lässt sich auf ersatzlose Schließungen, Fusionen zweier oder mehrerer Häuser sowie Umwidmungen (beispielsweise zur Reha-Klinik oder zum Pflegeheim) zurückführen. Hintergrund dieser Entwicklung sind vor allem neue, auf verstärkten Wettbewerb abzielende rechtliche Rahmenbedingungen. So wurde durch das Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 das so genannte Selbstkostendeckungsprinzip bei der Krankenhausfinanzierung abgeschafft, demzufolge sparsam wirtschaftende und leistungsfähige Kliniken einen Anspruch auf Kostendeckung durch Pflegesätze und öffentliche Fördermittel besaßen. Im Jahr 2003 wurde mit der Einführung eines Vergütungssystems begonnen, nach dem die Krankenhäuser pauschale Behandlungsvergütungen für definierte Erkrankungsgruppen (Diagnosis Related Groups, DRG) erhalten. Auch Wechsel der Trägerschaft haben sich auf die Kliniklandschaft ausgewirkt [22]. So stieg zwischen 1993 und 2003 die Zahl der privat getragenen Krankenhäuser in Deutschland um 164 auf 545 Einrichtungen. Ihr Anteil an allen Kliniken nahm damit von 16,2 auf 24,8 Prozent zu (siehe Abbildung 4.2.1). Ein gegenläufiger Trend ist bei den öffentlichen Krankenhäusern zu verzeichnen, deren Zahl im selben Zeitraum um 227 auf 796 sank. Dies entspricht einem anteiligen Rückgang von 43,5 auf 36,2 Prozent. Der Anteil der freigemeinnützigen Häuser dagegen blieb mit 39 Prozent im Jahr 2003 gegenüber 1993 (40,4 Prozent) fast unverändert, ihre absolute Zahl verringerte sich allerdings um 94 auf bundesweit 856 Einrichtungen. Kleine Spezialkliniken sind im Kommen. Insgesamt kann von einer eher verhaltenen Privatisierungswelle in der deutschen Krankenhauslandschaft gesprochen werden [23]. Gleichwohl haben sich die Privatisierungen auch auf die mittlere Klinikgröße ausgewirkt, da private Krankenhäuser in der Regel kleiner sind als andere. Im Jahr 2003 verfügten die privat getragenen Einrichtungen über durchschnittlich 99 Betten. Bezogen auf alle Krankenhäuser in Deutschland hat sich in der letzten Dekade lediglich der Anteil kleinerer Häuser mit weniger als 50 Betten deutlich vergrößert (siehe Abbildung 4.2.2). Dazu zählen vor allem Spezialkliniken, beispielsweise für plastische Chirurgie. Zwischen 1993 und 2003 stieg die Zahl der kleinen Kliniken um 76 auf insgesamt 392. Große öffentliche Krankenhäuser verfügten im Jahr 2003 durchschnittlich über 365 Betten. Trotz des Zuwachses bei den privat getragenen Kliniken stand auch im Jahr 2003 etwa jedes zweite Bett (53,6 Prozent) in einem öffentlichen Krankenhaus, jedes dritte (36,4 Prozent) in einer freigemeinnützigen und nur jedes zehnte Bett (10,0 Prozent) in einer privaten Einrichtung. Jedes siebte Bett ist seit Anfang der 1990er Jahre abgebaut worden. Der seit Anfang der 1990er Jahre anhaltende Bettenabbau setzte sich auch im Jahr 2003 weiter fort. So gab es 2003 noch insgesamt 542 000 Krankenhausbetten, was einem Rückgang gegenüber 1993 um 87 000 Betten beziehungsweise 13,8 Prozent entspricht. Der Bettenabbau hängt zum einen mit der verminderten Zahl an Pflegetagen zusammen, die sich aus veränderten Patientenzahlen und Verweildauern ergeben. Zum anderen wurden die Krankenhauspläne modifiziert, welche die Bundesländer unter Beteiligung der Krankenkassen, der Krankenhausge- 160 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen 1993 2003 646 581 733 884 620 704 1056 887 1060 619 712 589 734 793 868 735 707 673 812 710 723 623 736 638 836 696 736 662 673 593 750 Betten und mehr 700 bis unter 750 Betten 650 bis unter 700 Betten Abbildung 4.2.3: Betten je 100 000 Einwohner nach Ländern 1993 und 2003. Quelle: Krankenhausstatistik (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) 140 120 100 80 60 40 20 0 1993 608 685 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 Fallzahl (Krankenhäuser) Durchschnittliche Verweildauer (Krankenhäuser) Abbildung 4.2.5: Veränderung der Fallzahl und durchschnittlichen Verweildauer in Krankenhäusern 1993 bis 2003 (1993 = 100). Quelle: Krankenhausstatistik (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) 03 600 bis unter 650 Betten unter 600 Betten Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 161 sellschaft sowie gegebenenfalls weiterer Institutionen vorgeben. Die Krankenhausplanung beeinflusst auch die Zahl der Betten je Fachgebiet. Die Bettendichte sank zwischen 1993 und 2003 von 774 auf 657 Betten je 100 000 Einwohner und hat sich damit um 15,2 Prozent vermindert. Dabei ist die regionale Verteilung des Bettenangebots sehr unterschiedlich (siehe Abbildung 4.2.3). Vor allem die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg weisen traditionell eine hohe Bettendichte auf, da sie eine Mitversorgungsfunktion für das Umland wahrnehmen. Umso auffälliger ist die inzwischen recht geringe Bettendichte Berlins. Zwischen 1993 und 2003 wurden hier je 100 000 Einwohner 441 Betten abgebaut. Den zweitstärksten Rückgang verzeichnete Hamburg mit einer Minderung um 180 Betten je 100 000 Personen. Entgegen dem allgemeinen Trend legt die plastische Chirurgie kräftig zu. Vom generellen Bettenabbau waren verschiedene Fachabteilungen in unterschiedlichem Maße betroffen (siehe Abbildung 4.2.4). So entfiel zwischen 1993 und 2003 ein Viertel des gesamten Abbaus (22 000 Betten) auf die Chirurgie, entsprechend einem Minus von 14,8 Prozent. In der Inneren Medizin belief sich die Minderung dagegen auf acht Prozent. Beide Fachrichtungen zusammen verfügten im Jahr 2003 noch über 55,5 Prozent aller Krankenhausbetten. Am stärksten sank die Bettenkapazität in der Kinderchirurgie (Reduktion um 34 Prozent), der Augenheilkunde (27,5 Prozent) sowie der Frauenheilkunde und Geburtshilfe (27,1 Prozent). Entgegen der allgemeinen Entwicklung stieg unterdessen die Bettenzahl insbesondere in der plastischen Chirurgie (Zuwachs um 63,3 Prozent), Nuklearmedizin (50 Prozent), psychotherapeutischen Medizin (26,6 Prozent) und Neurochirurgie (25,6 Prozent). Bei diesen Fachgebieten handelt es sich um relativ junge Disziplinen, die sich noch im Aufbau befinden. Dennoch entfielen auf diese Wachstumsbereiche im Jahr 2003 insgesamt nur 2,3 Prozent aller Krankenhausbetten. Jeder vierte Beschäftigte im Gesundheitswesen arbeitet im Krankenhaus. Ende 2003 arbeiteten in den 2 197 deutschen Krankenhäusern insgesamt 1,1 Millionen Menschen. Damit ging etwa jeder vierte der 4,21 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen einer Tätigkeit im Krankenhaus nach. Gegenüber dem Vorjahr reduzierte sich die Zahl der Krankenhausbeschäftigten um 16 000 beziehungsweise 1,4 Prozent. In den 1990er Jahren hatten sich Beschäftigungszuwächse und -rückgänge abgewechselt. Betrachtet man den Zeitraum zwischen 1993 und 2003 als Ganzes, so lässt sich ein Rückgang der Beschäftigtenzahl um 2,7 Prozent feststellen. Im Jahr 2003 waren insgesamt 118 500 voll approbierte Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern tätig. Der Anteil der Frauen lag mit 42 000 Angestellten bei 35,6 Prozent und hat sich damit gegenüber 1993 (31 Prozent) erhöht. Darüber hinaus arbeiteten in deutschen Kliniken 10 400 Ärzte und Ärztinnen im Praktikum. Seit dem Jahr 2004 ist die Ausbildungsphase „Arzt im Praktikum“ abgeschafft. Der Frauenanteil unter Chefärzten ist nach wie vor gering. Der Anteil der Frauen an den Krankenhausärzten nimmt mit steigender Hierarchiestufe deutlich ab. Unter leitenden Ärzten lag er im Jahr 2003 bei 7,2 Prozent und damit nicht wesentlich höher als 1993. 25,9 Prozent der Ärztinnen und 4,7 Prozent der Ärzte standen im Jahr 2003 in einem Teilzeitarbeitsverhältnis. 1993 lag die Quote noch bei 11,1 beziehungsweise 1,7 Prozent. Um unterschiedliche Arbeitsverhältnisse (Vollzeit-, Teilzeit-, geringfügige Beschäftigung) zu berücksichtigen, wird die Zahl der Angestellten auf so genannte Vollzeitäquivalente (Vollkräfte) umgerechnet. Im Jahr 2003 entsprach die Gesamtzahl der Krankenhausbeschäftigten 824 000 Vollzeitäquivalenten, was einem Rückgang gegenüber dem Vorjahr um 10 000 Vollkräfte beziehungsweise 1,2 Prozent entspricht. Im Schnitt kamen auf jedes Krankenhaus 375 Vollkräfte, drei mehr als im Jahr 1993. Insbesondere lässt sich für den Zeitraum zwischen 1993 und 2003 eine Zunahme der ärztlichen Vollkräfte von 41 auf 52 je Klinik verzeichnen. Die Zahl der Behandlungsfälle ging 2003 erstmals seit langem zurück. Im Jahr 2003 fielen in deutschen Krankenhäusern 17,3 Millionen stationäre Behandlungen an. Damit ging die Zahl der Behandlungsfälle mit einem Minus von 0,8 Prozent gegenüber 2002 erstmals seit Anfang der 1990er Jahre zurück. Bei der Zählung der stationären Behandlungen werden mehrfache Klinikaufnahmen desselben Patienten jeweils als neuer Fall gerechnet. Ebenso berücksichtigt man die Stundenfälle, also Patienten, die zwar stationär aufgenommen werden, die Klinik aber vor Mitternacht wieder verlassen. Noch deutlicher war der Rückgang gegenüber dem Vorjahr bei den so genannten Berechnungs-/Belegungstagen (früher als Pflegetage bezeichnet). Ihre Gesamtzahl lag 2003 um vier Prozent niedriger als 2002. Die Liegezeiten haben sich binnen zehn Jahren drastisch verkürzt. Während sich die Behandlungsfallzahl in den 1990er Jahren stetig steigerte, ging die mittlere Krankenhausverweildauer deutlich zurück (siehe Abbildung 4.2.5). So sank die durchschnittliche Liegezeit zwischen 1993 und 2003 von 12,5 auf 8,9 Tage. Hauptgründe für die verkürzten Verweildauern sind zum einen medizinische und medizintechnische Fortschritte, zum anderen die Einführung neuer Krankenhausfinanzierungsformen und die Verlagerung bestimmter Behandlungselemente in den ambulanten Sektor. Die Reduktion der Krankenhausbettenzahl um 13,8 Prozent seit 1993 lag unter dem Rückgang der Verweildauer (Minderung um 28,8 Prozent). Gleichzeitig sank die Bettenauslastung zwischen 1993 und 2003 um 5,5 auf durchschnittlich 77,6 Prozent. Ältere Männer gehen häufiger ins Krankenhaus als ältere Frauen. Die Inanspruchnahme der Krankenhausversorgung variiert in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht (siehe Abbildung 4.2.6). So wurden im Jahr 2003 in den Altersgruppen von 15 bis unter 50 Jahren Frauen häufiger vollstationär behandelt als Männer. Dies lässt sich insbesondere auf Krankenhausaufenthalte in Verbindung mit Schwangerschaft und Geburt zurückführen. In allen anderen Altersgruppen überwogen die männlichen Patienten. Die Patientinnen und Patienten im Krankenhaus werden immer älter. In den letzten Jahren hat sich die Häufigkeit von Krankenhausbehandlungen bei den über 55-Jährigen kontinuierlich erhöht (siehe Abbildung 4.2.7). Besonders deutlich zeigt sich der Trend in der Altersgruppe ab 75 Jahren, wo die Behandlungsquote zwischen 1994 und 2003 von 44 300 auf 55 400 Krankenhausfälle je 100 000 Personen anstieg. Dies entspricht einem Zuwachs um 25 Prozent. Dementsprechend verändert sich die Altersstruktur der Krankenhauspatientinnen und -patienten: Im Jahr 1994 waren 44,5 Prozent der Patientinnen und Patienten mindestens 55 Jahre alt. Im Jahr 2003 lag der Anteil bei 53,6 Prozent. An der Häufigkeit der wichtigsten Diagnosen hat sich wenig geändert. Die chronische Mangeldurchblutung des Herzmus- 162 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen Plastische Chirurgie Nuklearmedizin Psychotherapeutische Medizin Neurochirurgie Neurologie Orthopädie Innere Medizin Strahlentherapie Kinder-/Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Urologie Fachabteilungen insgesamt Chirurgie (einschl. Herzchirurgie) Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie Haut- und Geschlechtskrankheiten Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Psychiatrie und Psychotherapie Kinderheilkunde Frauenheilkunde und Geburtshilfe Augenheilkunde Kinderchirurgie –40 –30 –20 –10 0 10 20 30 40 50 60 70 Veränderung in Prozent Abbildung 4.2.4: Veränderung der Bettenzahl nach Fachabteilung von 1993 bis 2003. Quelle: Krankenhausstatistik (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) 80 000 Vollstationäre Krankenhausfälle je 100 000 Einwohner 70 000 60 000 50 000 40 000 30 000 20 000 10 000 0 <1 1–4 Männlich 5–9 10–14 15– 19 20 –24 25– 29 30–34 35–39 40 –44 45–49 50– 54 Weiblich (einschl. schwangerschaftsbedingter Krankenhausaufenthalte) Weiblich (ohne schwangerschaftsbedingte Krankenhausaufenthalte) Abbildung 4.2.6: Altersstruktur der Krankenhauspatienten und -patientinnen 2003 (einschl. Sterbe- und Stundenfälle) – altersspezifische Rate je 100 000 Einwohner. Quelle: Krankenhausstatistik, Diagnosedaten (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) [24] 55–59 60– 64 65–69 70–74 75– 79 80–84 85–89 ≥90 Alter Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 163 kels (chronische ischämische Herzkrankheit) war im Jahr 2003 mit insgesamt 355 264 Fällen die häufigste Hauptdiagnose in deutschen Kliniken. 2,1 Prozent aller Krankenhauspatientinnen und -patienten waren betroffen, wobei es sich in 70 Prozent der Fälle um Männer handelte. Abgesehen von den 169 000 normalen Entbindungen war die häufigste Hauptdiagnose bei Frauen die Krebserkrankung der Brustdrüse. Auf diese Diagnose entfielen 2003 insgesamt 156 000 Behandlungsfälle. Seit 1994 ist die Rangfolge der häufigsten Hauptdiagnosen bei Krankenhauspatientinnen und -patienten relativ stabil. An erster Stelle rangieren die Krankheiten des Kreislaufsystems. Ihr Anteil an allen Hauptdiagnosen betrug anfangs 15,4 Prozent, erhöhte sich in der Folge und ging seit 1999 wieder bis auf 15,9 Prozent im Jahr 2003 zurück. An zweiter Stelle folgen die Krebserkrankungen, deren Anteil zwischen 11,1 und 12,2 Prozent variierte. Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen (zu dieser Diagnosegruppe gehören beispielsweise alle Unfälle) belegten in den Jahren 1994 bis 2000 den dritten Rang unter den häufigsten Krankenhausdiagnosen. Seit 2001 nehmen die Erkrankungen des Verdauungssystems diesen Platz ein. Bei jungen Erwachsenen dominieren Entbindungen, Alkoholfolgen und Verletzungen. In verschiedenen Lebensphasen werden unterschiedliche Erkrankungen zum Anlass eines Klinik aufenthaltes. Bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren rangierten mit 285 000 Behandlungen im Jahr 2003 die Krankheiten des Atmungssystems auf Platz eins. Jeder fünfte Patient in dieser Altersgruppe war davon betroffen, wobei es sich in 129 000 Fällen um eine chronische Erkrankung der Gaumenund Rachenmandeln handelte. Frauen zwischen 15 und einschließlich 44 Jahren kamen im Jahr 2003 am häufigsten wegen einer normalen Entbindung ins Krankenhaus (169 000 Fälle). Die zweithäufigste Einzeldiagnose war mit 82 000 Behandlungsfällen der Dammriss bei Geburt. Männer in dieser Altersgruppe wurden dagegen vor allem wegen psychischen und Verhaltensstörungen infolge Alkoholkonsums stationär behandelt (114 000 Fälle). An zweiter Stelle folgten Verletzungen innerhalb des Schädels mit 45 000 Behandlungsfällen. Im höheren Alter spielen Herz-Kreislauf-Leiden die Hauptrolle. Krankheiten des Kreislaufsystems bestimmen das Behandlungsgeschehen in den höheren Altersgruppen. So wurde im Jahr 2003 mehr als jeder fünfte Krankenhauspatient ab 45 Jahren wegen eines Herz-Kreislauf-Leidens behandelt. In der Altersklasse zwischen 45 und 65 Jahren waren allerdings vor allem Männer betroffen, auf die 101 670 Fälle chronisch ischämischer Herzkrankheit entfielen, während bei Frauen dieses Alters Brustkrebs mit 77 243 Fällen an erster Stelle der Diagnosestatistik stand. Auch im Alter von 65 bis 85 Jahren ist bei Männern die chronisch ischämische Herzkrankheit mit 133 197 Fällen der häufigste Anlass eines Krankenhausaufenthalts, bei Frauen dagegen der graue Star (Trübung der Augenlinse) mit 94 823 Fällen. Bei den Hochbetagten ab 85 Jahren gibt es hinsichtlich der häufigsten Einzeldiagnose keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern mehr. Sowohl Männer als auch Frauen wurden Methodische Anmerkung Durch den Wechsel von der neunten zur zehnten Version der International Classification of Diseases (ICD-9 zu ICD-10) im Jahr 2000 hat sich die Zuordnung von Einzeldiagnosen zu im Jahr 2003 vor allem wegen Herzschwäche (Herzinsuffizienz) für eine stationäre Therapie aufgenommen. Patientinnen und Patienten aus Brandenburg und RheinlandPfalz lassen sich oft woanders behandeln. Bei einem Teil der Krankenhausbehandlungen ist der Wohnort der Patientinnen und Patienten nicht mit dem Behandlungsort identisch (siehe Tabelle 4.2.8). Die größte Ortstreue bewiesen im Jahr 2003 die nordrhein-westfälischen Patientinnen und Patienten, die sich zu 97 Prozent im eigenen Bundesland stationär behandeln ließen. Es folgten die Bayern (96,9 Prozent), Berliner (96,1) und Sachsen (96,0). Am häufigsten ist die Patientenwanderung dagegen unter Patientinnen und Patienten aus Brandenburg: 16,4 Prozent von ihnen suchten im Jahr 2003 eine Klinik in einem anderen Bundesland auf, vorwiegend in Berlin (11,9 Prozent). Von den Patientinnen und Patienten aus Rheinland-Pfalz ließen sich 14,7 Prozent andernorts behandeln, insbesondere in Baden-Württemberg (4,2 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (4,1 Prozent). Die Behandlungsraten unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Im Jahr 2003 wurden 256 000 saarländische Patientinnen und Patienten in einem deutschen Krankenhaus vollstationär behandelt. Je 100 000 Einwohner des Saarlandes waren dies 24 110 Personen, so viele wie in keinem anderen Bundesland. In Baden-Württemberg mussten sich dagegen nur 18 083 von 100 000 Einwohnern einer Krankenhausbehandlung unterziehen, was deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 20 897 Behandlungsfällen je 100 000 Einwohner lag. Die Behandlungsraten in den verschiedenen Bundesländern werden von der Alters- und Geschlechtszusammensetzung der jeweiligen Bevölkerung beeinflusst. Rechnet man diese Strukturunterschiede heraus, so liegt die Fallzahl je 100 000 Einwohner in Sachsen-Anhalt am höchsten, in Hamburg am niedrigsten (siehe Abbildung 4.2.9). Die Liegezeiten gleichen sich bundesweit immer mehr an. Die mittleren Liegezeiten haben sich in den vergangenen Jahren nicht nur im Bundesdurchschnitt reduziert, sondern auch zwischen den einzelnen Bundesländern weitgehend angeglichen. 1994 schwankte die durchschnittliche Krankenhausverweildauer noch zwischen 10,4 Tagen in Schleswig-Holstein und 17,7 Tagen in Berlin. Im Jahr 2003 stand einem Minimum von acht Tagen in Mecklenburg-Vorpommern ein Maximum von 9,5 Tagen in Sachsen gegenüber. Die deutlichste Veränderung findet sich für Berlin (Minderung um 8,7 Tage), gefolgt von Bremen (Minderung um 3,8 Tage). Für die Krankenhausplanung ist die absolute Zahl der Behandlungsfälle beziehungsweise Behandlungstage maßgeblich. Erwartungsgemäß gab es die meisten Krankenhausaufenthalte in den großen Bundesländern. Die Krankenhäuser der fünf größten Länder versorgten im Jahr 2003 zwei Drittel aller Patientinnen und Patienten in Deutschland. Dabei entfielen auf Nordrhein-Westfalen 4,1 Millionen Behandlungsfälle, auf Bayern 2,7 Millionen, auf Baden-Württemberg 2,0 Millionen, auf Niedersachsen 1,5 und auf Hessen 1,2 Millionen Fälle. bestimmten Diagnoseklassen teilweise geändert. Dadurch sind krankheitsspezifische Zeitvergleiche der stationären Versorgung nur eingeschränkt auf Basis einer so genannten Europäischen Kurzliste möglich. Diese stellt die Ver- gleichbarkeit zwischen den verschiedenen ICDVersionen für rund 70 ausgewählte Erkrankungen her (siehe auch Kapitel 1.4.2). 164 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen 60 000 Fälle je 100 000 Einwohner 50 000 40 000 30 000 20 000 10 000 0 <1 1–4 5–14 1995 15– 24 1999 25–34 35–44 45– 54 55–64 65– 75 ≥75 Alter 2003 Abbildung 4.2.7: Altersstruktur der Krankenhauspatienten und -patientinnen 1995 bis 2003 (einschl. Sterbe- und Stundenfälle) – altersspezifische Rate je 100 000 Einwohner. Quelle: Krankenhausstatistik, Diagnosedaten (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) [24] Patientenwanderung Wohnort des Patienten/der Patientin Behandlungsort BadenWürttemberg Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen MecklenburgVorpommern Deutschland 1 931 018 2 611 526 627 928 585 021 135 424 316 645 1 230 682 389 074 Baden-Württemberg 1 843 593 44 061 1 105 511 238 511 30 851 252 Bayern 49 653 2 529 546 2 462 1 071 356 942 19 240 437 Berlin 1 271 1 421 603 642 69 629 181 540 1 116 3 035 2 813 Brandenburg 389 478 10 098 489 110 43 195 286 Bremen 139 160 113 52 123 589 224 144 109 Hamburg 594 714 498 303 912 285 240 757 2 491 8 333 15 478 769 377 241 516 1 114 090 197 531 497 1 951 7 666 118 951 459 368 913 1 727 Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen 1 749 1 831 1 585 817 7 831 4 530 11 729 Nordrhein-Westfalen 4 569 4 077 1 873 745 999 1 320 16 539 535 16 078 1 874 473 193 86 259 30 007 120 Rheinland-Pfalz Saarland 721 296 76 37 12 31 568 17 Sachsen 1 132 3 455 900 9 924 57 231 821 411 486 780 801 3 390 70 150 458 478 1 047 957 1 140 469 647 20 912 1 207 7 236 Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen 733 Niedersachsen Deutschland 5 901 NordrheinWestfalen 442 RheinlandPfalz 727 Saarland 44 Sachsen 93 SachsenAnhalt 2 410 SchleswigHolstein 303 Thüringen 1 613 170 4 036 100 891 034 256 307 899 451 599 476 577 375 Baden-Württemberg 2 690 7 755 37 170 1 724 1 558 644 702 933 Bayern 4 384 11 626 4 389 849 5 394 1 439 1 284 9 661 Berlin 2 980 2 641 482 131 2 880 2 783 847 946 677 820 132 23 5 333 6 087 293 446 Bremen 66 576 798 68 12 48 67 300 48 Hamburg 32 135 2 721 294 40 223 413 66 393 137 Hessen 8 745 20 442 25 430 707 1 007 644 752 5 780 Mecklenburg-Vorpommern 2 608 1 426 209 171 1 267 1 159 6 260 507 1 423 340 47 737 940 175 741 6 792 3 978 5 463 47 611 3 915 032 36 526 688 1 360 1 138 1 815 941 1 241 16 411 759 820 13 919 488 259 385 377 Brandenburg Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz 544 085 Saarland 168 689 24 271 237 667 96 54 44 47 Sachsen 999 1 434 328 54 863 445 11 869 243 9 796 5 981 Sachsen-Anhalt 7 367 1 055 197 18 4 999 552 205 252 Schleswig-Holstein 9 354 4 522 459 91 349 369 493 703 254 Thüringen 2 295 991 319 38 10 263 13 554 124 502 768 Tabelle 4.2.8: Summe Patientenwanderung 2003. Quelle: Krankenhausstatistik, Diagnosedaten (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) [24] Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 165 35 000 Standardisierte Fallzahl je 100 000 Einwohner Standardisierte durchschnittliche Verweildauer in Tagen 14 30 000 12 25 000 10 20 000 8 15 000 6 10 000 4 5 000 2 0 0 ST MP SL BB TH NW RP BY D SN NI SH HE HB B BW HH Standardisierte Rate je 100 000 Einwohner Standardisierte durchschnittliche Verweildauer in Tagen Abbildung 4.2.9: Standardisierte Fallzahl je 100 000 Einwohner (einschließlich Sterbe- und Stundenfälle) und durchschnittliche Verweildauer in Krankenhäusern 2003 nach Bundesländern. Quelle: Krankenhausstatistik, Diag nosedaten (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) [24] 30 Anteil an allen Einrichtungen in Prozent 25 20 15 10 5 0 <50 50–100 1993 100 –150 150 –200 200 –250 ≥ 250 von … bis unter … Betten 2003 Abbildung 4.2.10: Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen nach Bettengrößenklassen 1993 und 2003. Quelle: Krankenhausstatistik, Grunddaten (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) [24] 100 Prozentualer Anteil 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1993 94 95 öffentlich 96 97 98 freigemeinnützig 99 2000 01 02 03 privat Abbildung 4.2.11: Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen nach Trägerschaft 1993 – 2003. Quelle: Krankenhausstatistik, Grunddaten (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) [24] 4.2.2 Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen Die Zahl der kleineren Reha-Einrichtungen sinkt, die der großen steigt. Ende 2003 gab es in Deutschland 1 316 Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen. Nachdem ihre Zahl bis zum Jahr 1996 auf insgesamt 1 404 gewachsen war, nahm sie danach kontinuierlich ab. Damit lässt sich bei den Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen seit 1996 ein ähnlicher Trend wie bei den Krankenhäusern beobachten, deren Anzahl durch Schließungen und Fusionen ebenfalls abnahm. Im Gegensatz zu den Krankenhäusern stieg allerdings die Zahl der großen Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen mit 200 und mehr Betten deutlich an: Zwischen 1993 und 2003 kamen 97 große Häuser hinzu, was einer Steigerung von 42,7 Prozent entspricht. Bei den kleinen und mittelgroßen Einrichtungen dagegen war eine rückläufige Entwicklung zu beobachten (siehe Abbildung 4.2.10). Die meisten Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen (57 Prozent) befanden sich im Jahr 2003 in privater Trägerschaft. Allerdings hat sich die Quote privater Häuser seit 1993 kontinuierlich verringert. Die öffentlichen Einrichtungen stellten im Jahr 2003 mit 17,4 Prozent einen ähnlich großen Anteil wie 1993. Die freigemeinnützigen Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen gewannen an Bedeutung: Ihr Anteil stieg von 21,1 auf 25,6 Prozent (siehe Abbildung 4.2.11). Die Bettenkapazität hat sich deutlich weniger verringert als in den Krankenhäusern. Die Bettenzahl in den Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen nahm bis 1998 auf insgesamt 191 000 zu, verringerte sich seitdem aber stetig und betrug im Jahr 2003 noch 180 000. Gleichwohl lag die Bettendichte im Jahr 2003 mit 218 Betten je 100 000 Einwohner um 26 Betten höher als 1993. Diese Entwicklung, die im Vergleich mit den Krankenhäusern durch einen später einsetzenden und weniger ausgepräg ten Bettenabbau gekennzeichnet ist, wurde durch gegenläufige Veränderungen bestimmt: Einerseits brachten das Wachstumsund Beschäftigungsförderungsgesetz sowie das Beitragsentlastungsgesetz (beide von 1996) Leistungseinschränkungen mit sich. So wurden die Zuzahlungen erhöht, die Übergangsgelder gekürzt, der Abstand zwischen zwei Reha-Maßnahmen verlängert, die Reha-Dauer auf drei Wochen vermindert und der Kreis der berechtigten Personen erheblich eingeschränkt. Andererseits stieg gleichzeitig der Stellenwert von Vorsorge und Rehabilitation vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und einer sich weiterentwickelnden Versorgungsstruktur. Reha-Betten stehen vor allem an Nord- und Ostsee. Anders als bei den Krankenhäusern übernehmen die Stadtstaaten bei Vorsorge oder Rehabilitation keine Mitversorgungsfunktion für die umliegenden Flächenstaaten. Vielmehr dominieren in diesem Bereich die Länder an Nord- und Ostsee, was sich aus dem dort traditionellen Kur- und Bäderwesen erklärt. So wies Mecklenburg-Vorpommern mit 621 Betten je 100 000 Einwohner im Jahr 2003 die höchste Bettendichte auf. An zweiter Stelle folgte Schleswig-Holstein mit 397 Betten. Dagegen verfügten die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg zusammen nur über vier Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen mit insgesamt knapp 400 Betten, was einer Bettendichte von sieben Betten je 100 000 Einwohner gleichkam. Das Leistungsspektrum in den Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen unterscheidet sich per Definition von jenem der Krankenhäuser. Neben der Inneren Medizin spielen Orthopädie, Psychiatrie und Neurologie eine wichtige Rolle bei Vorsorge und Rehabilitation. 27,5 Prozent aller Betten entfielen im Jahr 2003 auf die Innere Medizin, weitere 25,8 Prozent auf die 166 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen 140 120 100 80 60 40 Wachstums-, Beschäftigungsförderungsund Beitragsentlastungsgesetz 20 0 1993 94 Fallzahl 95 96 97 98 99 2000 01 02 Durchschnittliche Verweildauer Abbildung 4.2.12: Veränderung der Fallzahl und durchschnittlichen Verweildauer in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen 1993 bis 2003 (1993 = 100). Quelle: Krankenhausstatistik, Grunddaten (Statistisches Bundesamt, IS-GBE) [24] Datenlage Seit 1999 werden in der so genannten Pflegestatistik Daten zu Leistungsangebot und Inanspruchnahme der Pflegeheime erhoben. Die 03 Orthopädie. 8,7 Prozent der Betten waren der Neurologie zugeordnet, 7,4 Prozent der psychotherapeutischen Medizin und 7,1 Prozent der Psychiatrie und Psychotherapie. Von 1993 bis 2003 hat sich die Bettenzahl in der Neurologie mehr als verdoppelt, aber auch Orthopädie und Psychiatrie haben bei der Bettenkapazität deutlich zugelegt. Die Zahl der Beschäftigen ist in der letzten Dekade spürbar gestiegen. Ende 2003 waren in den 1 316 Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen insgesamt 116 000 Menschen beschäftigt. Damit lag die Beschäftigtenzahl zwar um 2,5 Prozent niedriger als 2002, aber um 19,4 Prozent höher als 1993. Der ärztliche Dienst spielt in den Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen eine geringere Rolle als in den Krankenhäusern. So arbeiteten im Jahr 2003 insgesamt 9 000 Personen beziehungsweise 7,8 Prozent aller Beschäftigten im ärztlichen Dienst. Dabei lag der Frauenanteil mit 44,2 Prozent deutlich höher als im Klinikbereich (35,6 Prozent). Jede vierte hauptamtliche Reha-Ärztin (27,1 Prozent) stand im Jahr 2003 in einem Teilzeitarbeitsverhältnis, was der Quote im Krankenhaussektor entspricht. Allerdings lag der Frauenanteil an allen ärztlichen Teilzeitbeschäftigten mit 67,8 Prozent etwas niedriger als in den Kliniken. Die Frauenquote nimmt auch in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen mit steigender Hierarchiestufe ab. Dennoch nehmen Frauen wesentlich häufiger Führungspositionen ein als in Krankenhäusern. So waren 17,8 Prozent aller leitenden Ärzte weiblichen Geschlechts. Unter den Assistenzärzten lag der Frauenanteil bei 56,5 Prozent. Die Beschäftigtenzahl 2003 entsprach umgerechnet 96 500 Vollzeitäquivalenten (Vollkräften) und lag damit um 2,4 Prozent niedriger als im Vorjahr. Durchschnittlich verfügte jede Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung über 73 Vollkräfte, was etwa einem Fünftel der Personalausstattung eines Krankenhauses entsprach. 1993 waren auf jede Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung noch durchschnittlich 68 Vollkräfte gekommen. Anders als im Krankenhaussektor erfolgte der Personalzuwachs im nichtärztlichen Dienst. Neue Gesetze und ein schwacher Arbeitsmarkt drücken die Behandlungszahlen. Im Jahr 2003 wurden insgesamt 1,9 Millionen Patientinnen und Patienten in deutschen Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen stationär behandelt. Dies entsprach einem im Vergleich mit dem Kliniksektor deutlichen Rückgang gegenüber dem Vorjahr von 6,9 Prozent. Die Minderung folgt unter anderem aus einer wegen der allgemeinen Arbeitsmarktlage rückläufigen Zahl beantragter Reha-Maßnahmen. Bereits 2002 hatte die Zahl der Behandlungsfälle in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen um 2,7 Prozent unter jener des Vorjahres gelegen. Betrachtet man die Entwicklung zwischen 1993 und 2003, so zeigt sich, dass das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz sowie das Beitragsentlastungsgesetz zu einer deutlichen Minderung der Behandlungsfallzahlen im Jahr 1997 führten. Für die Jahre zwischen 1997 und 2001 lässt sich dann aber wieder ein kontinuierlicher Anstieg der Fallzahl beobachten (siehe Abbildung 4.2.12). Durch die vorgegebene Dauer einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme bietet sich wenig Spielraum für eine Verkürzung der durchschnittlichen Liegezeit. 1993 verbrachte eine Statistik wird alle zwei Jahre aktualisiert, so dass bei der folgenden Darstellung auf drei Erhebungsjahre zurückgegriffen werden kann. Im Unterschied zur Krankenhausstatistik ist in der Pflegestatistik nicht der 31., sondern der 15. Dezember Erhebungsstichtag für das jeweilige Jahr. Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 167 Patientin oder ein Patient im Schnitt 31 Tage in einer Vorsorgeoder Rehabilitationseinrichtung, 2003 waren es 26 Tage. Dies entspricht einer Minderung um 16,2 Prozent. Entgegen der Entwicklung im Krankenhaussektor erhöhte sich 2003 erstmals die durchschnittliche Verweildauer gegenüber dem Vorjahr leicht um 0,4 Tage beziehungsweise 1,6 Prozent. Die Inanspruchnahme von Vorsorge- oder Rehabilitationsleistungen entspricht dem Angebot in der jeweiligen Region. So wiesen im Jahr 2003 Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein mit 6 434 beziehungsweise 4 805 Behandlungsfällen je 100 000 Einwohner die höchste Falldichte auf. In den Stadtstaaten (zusammen 58 Behandlungsfälle je 100 000 Einwohner) und in Nordrhein-Westfalen (1 247 je 100 000) lag sie am niedrigsten. 4.2.3 Pflegeheime Die Zahl der Pflegeheime steigt. Ende 2003 gab es in Deutschland 9 743 Pflegeheime und damit 578 Einrichtungen beziehungsweise 6,3 Prozent mehr als zwei Jahre zuvor. Diese Entwicklung spiegelt den infolge der wachsenden Zahl älterer Menschen steigenden Pflegebedarf. In zugelassenen Pflegeheimen werden alte Menschen, chronisch kranke sowie geistig oder körperlich schwerstbehinderte Menschen gepflegt und versorgt. Das Heimgesetz, das die Anforderungen an die Aufnahme und den Betrieb eines Heimes regelt, gilt nicht nur für zugelassene Pflegeheime, sondern für alle Heimarten, also auch Altenwohnheime, Altenheime und Behindertenheime. Eine strikte Trennung nach Altenwohnheimen, Altenheimen und Altenpflegeheimen ist heute in der Praxis nicht mehr die Regel. Sehr oft findet man in Einrichtungen der stationären Altenhilfe eine Kombination traditioneller Heimarten (beispielsweise ein Altenwohnheim mit einer Pflegeabteilung) unter einem Dach. Es gilt der Leitsatz, dass dort gepflegt wird, wo gewohnt wird. Ziel des Heimgesetzes ist es, die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner von Heimen zu schützen, die Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner zu sichern sowie eine dem allgemein anerkannten Stand der fachlichen Erkenntnisse entsprechende Qualität des Wohnens und der Betreuung zu gewährleisten. Mit 5 405 Einrichtungen befanden sich im Jahr 2003 mehr als die Hälfte aller Pflegeheime (55,5 Prozent) in freigemeinnütziger Trägerschaft. Der Anteil lag rund einen Prozentpunkt niedriger als 1999. Auch der Anteil öffentlicher Pflegeheime reduzierte sich um ein Prozent auf insgesamt 7,5 Prozent. Die privaten Heime gewannen dagegen an Bedeutung. Ihr Anteil stieg von 34,9 Prozent im Jahr 1999 auf 37,1 Prozent im Jahr 2003. Methodischer Hinweis Internationale Vergleiche zur ambulanten und stationären Versorgung sind wegen der unterschiedlichen Gesundheitssysteme nur mit Einschränkungen möglich. So liegen grundlegende Kenngrößen wie die Arzt- oder Facharztdichte auf internationaler Ebene nur gemeinsam für den ambulanten und stationären Sektor vor und ermöglichen keine differenzierten Analysen. Daher werden hier vor allem Trends und weniger absolute Zahlen einander gegenübergestellt. Der Trend geht zum Einzelzimmer. Die Zahl der Pflegeplätze in Deutschland hat sich seit 1999 um 10,5 Prozent auf insgesamt 713 195 im Jahr 2003 erhöht, darunter 695 000 Plätze für die vollstationäre Pflege. Die Verteilung der Betten hat sich deutlich zu Gunsten kleiner Zimmer verschoben. So nahm die Zahl der Pflegeplätze in Zimmern mit vier oder mehr Betten um 67,1 Prozent ab. Auf diese Zimmer entfielen im Jahr 2003 nur noch 0,3 Prozent aller Pflegeplätze. Dagegen stieg die Zahl der Pflegeplätze in Einzelzimmern um 21,3 Prozent. Jedes zweite Pflegebett befand sich 2003 in einem Einzelzimmer. Ende 2003 arbeiteten in den Pflegeheimen insgesamt 510 900 Menschen und damit 7,5 Prozent mehr als im Jahr 2001. Von ihnen waren 216 500 vollzeit-, 211 600 teilzeit- und 49 200 geringfügig beschäftigt. 84,9 Prozent aller Angestellten waren Frauen. Bei rund zwei Dritteln (67,6 Prozent) aller Beschäftigten lag der Tätigkeitsschwerpunkt in der Pflege und Betreuung. Hier lässt sich auch der größte Personalzuwachs (9,5 Prozent) gegenüber 2001 feststellen. Weitere 19,3 Prozent der Beschäftigten arbeiteten im Hauswirtschaftsbereich. Nur knapp ein Drittel aller Pflegebedürftigen wohnt im Heim. Ende 2003 waren fast 2,1 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes. Der Anteil der Frauen lag bei 68,1 Prozent. 81,4 Prozent der Pflegedürftigen waren 65 Jahre oder älter, 32 Prozent 85 oder älter. Lediglich 31 Prozent aller Pflegebedürftigen (640 000) wurden in Heimen betreut. Mehr als zwei Drittel (69 Prozent beziehungsweise 1,44 Millionen) wohnten dagegen zu Hause. 987 000 von ihnen erhielten ausschließlich Pflegegeld und wurden in der Regel durch Angehörige versorgt. Bei weiteren 450 000 übernahmen ambulante Pflegedienste teilweise oder vollständig die häusliche Pflege (siehe auch Kapitel 1.3.4). Gegenüber 2001 hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen um 1,8 Prozent beziehungsweise 37 000 erhöht. Der Anstieg geht allerdings ausschließlich auf die gewachsene Zahl von Personen in Pflegestufe I zurück. Hier liegt der Zuwachs bei 4,9 Prozent oder 48 000 Personen. In den Pflegestufen II und III ist jeweils ein leichter Rückgang um rund 1,1 Prozent (8 000 Personen) beziehungsweise 0,1 Prozent (300 Personen) zu verzeichnen. Die professionelle Pflege gewinnt allmählich an Bedeutung. Die Daten der Pflegestatistik belegen einen Trend zur professionellen Betreuung in Pflegeheimen sowie durch ambulante Pflegedienste. So stieg zwischen 1999 und 2003 die Zahl der durch Pflegedienste betreuten Personen um 8,4 Prozent (35 000 Personen). Bei den Heimbewohnern findet sich sogar ein Zuwachs um 11,7 Prozent (67 000 Personen). Die Zahl der zu Hause versorgten Pflegebedürftigen, die lediglich Pflegegeld erhalten, nahm dagegen um 4,0 Prozent (41 000 Per- Für den Vergleich mit dem deutschen Versorgungssystem wurden Frankreich, die Niederlande, Großbritannien, die Schweiz und die USA ausgewählt. Die Schweiz ist wegen der dort ablaufenden Privatisierungsprozesse, die Niederlande sind wegen ihres Innovationspotenzials von Interesse. Das französische Gesundheitssystem besitzt viele Ähnlichkeiten mit den hiesigen Verhältnissen und wird deshalb berücksichtigt. Großbritannien bietet sich als Beispiel eines primär staatlich organisierten und eher geschlossenen Versorgungssys- tems an, wogegen die USA für ein privat getragenes Gesundheitswesen stehen. Zusätzlich zu den Daten dieser Länder werden die jeweiligen Durchschnittswerte der EU-15-Staaten einbezogen. Die genannten Daten stammen aus Statistiken der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD Health Data) [27] und der Weltgesundheitsorganisation (European Health for all Database) [13]. 168 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen 650 Ärzte pro 100 000 Einwohner 600 550 500 450 400 350 300 250 200 150 1992 93 94 95 96 97 98 Deutschland Frankreich Großbritannien Schweiz 99 2000 01 02 03 04 Niederlande Abbildung 4.2.13: Ärztinnen und Ärzte pro 100 000 Einwohner. Quelle: WHO European Health for all Database Jan 2006 180 Allgemeinärzte pro 100 000 Einwohner 160 sonen) ab. Der Gesamtanteil der häuslich Gepflegten sank von 71,6 auf 69,2 Prozent. 64 Prozent der im Jahr 2003 zu Hause Versorgten waren Frauen. Der Frauenanteil in den Pflegeheimen lag dagegen mit 78 Prozent deutlich höher. Dies erklärt sich unter anderem dadurch, dass ältere und hochbetagte Frauen überdurchschnittlich häufig alleine leben und die Versorgung nicht unmittelbar vom Ehepartner übernommen werden kann. Die Pflegequote steigt im hohen Lebensalter rasch an. Unter den Heimbewohnern ist der Altersschnitt höher als unter den zu Hause Gepflegten. So war im Jahr 2003 ungefähr die Hälfte (45 Prozent) der im Heim versorgten Menschen 85 Jahre oder älter. Bei den zu Hause lebenden Pflegebedürftigen liegt der Anteil bei rund einem Viertel (26 Prozent). Die Pflegebedürftigkeit steigt mit zunehmendem Alter deutlich an. Während im Jahr 2003 fünf Prozent der 70- bis 74Jährigen pflegebedürftig waren, lag die Quote bei den 90- bis 94-Jährigen bei 60 Prozent. Auffallend ist, dass Frauen etwa ab dem achtzigsten Lebensjahr deutlich häufiger pflegebedürftig werden als Männer. So beträgt die Pflegequote bei Frauen zwischen 90 und 95 Jahren 65 Prozent, bei Männern gleichen Alters dagegen 44 Prozent. Ω Umfassende Informationen zur Pflege finden sich im Schwerpunktbericht der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [25] und im Bericht des Statistischen Bundesamts: Pflegestatistik 2003 – Deutschlandergebnisse [26]. 140 4.2.4 Ambulante und stationäre Versorgung im internationalen Vergleich 120 100 80 60 40 20 0 1992 93 94 95 96 97 98 Deutschland Frankreich Großbritannien Schweiz 99 2000 01 02 03 Niederlande Abbildung 4.2.14: Allgemeinärztinnen und -ärzte pro 100 000 Einwohner. Quelle: WHO European Health for all Database Jan 2006 04 Die Arztdichte steigt in allen Ländern. In allen betrachteten Gesundheitssystemen erbringen oder veranlassen Ärztinnen und Ärzte den Großteil der Versorgungsleistungen. Im Verlauf der Jahre sind sowohl die Arzt- wie die Apothekerquoten allmählich gestiegen. Dabei blieben die Rangfolgeverhältnisse zwischen den verschiedenen Staaten im Wesentlichen erhalten. Bezogen auf die Gesamtzahl der ambulant und stationär tätigen Ärztinnen und Ärzte je 100 000 Einwohner liegen Deutschland und Frankreich unter dem EU-15-Durchschnitt (siehe Abbildung 4.2.13). Dies gilt auch für die Niederlande, wo entsprechende Zahlen allerdings erst seit 1998 dokumentiert wurden. Die Ärztedichte in Großbritannien ist deutlich niedriger als im europäischen Schnitt. Die Zahlen für die Schweiz sind dagegen nahezu identisch mit den EU-15-Mittelwerten. Die generelle Arztdichte sagt allerdings noch nichts über die zugrunde liegenden Versorgungsstrukturen aus. So variiert die Verteilung der Ärztinnen und Ärzte zwischen ambulantem und stationärem Sektor in den EU-15-Staaten erheblich. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass in manchen Ländern die Krankenhäuser deutlich stärker an der ambulanten Gesundheitsversorgung teilnehmen als in anderen. Die Allgemeinarztdichte blieb in Europa in den 1990er Jahren fast unverändert. Die Daten, die Auskunft über die Zahl der Allgemein-, Fach- und Zahnärzte in den jeweiligen Staaten geben, beziehen sich häufig auf in ihrer Versorgungsfunktion nicht exakt vergleichbare Gruppen. Gleichwohl lässt sich feststellen, dass die Allgemeinarztdichte in Frankreich überdurchschnittlich hoch ist, während sie in den Niederlanden, Großbritannien und auch der Schweiz deutlich unter dem EU-15-Schnitt liegt (siehe Abbildung 4.2.14). Dagegen fallen die Allgemeinarztquoten in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre etwa mit Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 169 Fachärzte pro 100 000 Einwohner 200 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 1992 93 94 95 96 97 98 99 Deutschland Frankreich Niederlande Schweiz 2000 01 02 03 04 Abbildung 4.2.15: Fachärztinnen und -ärzte pro 100 000 Einwohner. Quelle: WHO European Health for all Database Jan 2006 100 Zahnärzte pro 100 000 Einwohner 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1992 93 94 95 96 97 98 Deutschland Frankreich Großbritannien Schweiz 99 2000 01 02 03 Niederlande * Im Min-Max-Bereich der EU-15-Staaten hat Schweden höhere Zahlen als hier dargestellt. Da Schweden aber nur bis 1997 gemeldet hat, wurde es in dieser Darstellung nicht mit aufgenommen Abbildung 4.2.16: Zahnärztinnen und -ärzte pro 100 000 Einwohner. Quelle: WHO European Health for all Database Jan 2006 04 den EU-Mittelwerten zusammen. In keinem der Länder hat sich die Allgemeinarztdichte zwischen 1992 und 2002 wesentlich verändert. Die Facharztdichte dagegen hat sowohl im EU-15-Durchschnitt als auch in den ausgewählten Vergleichsländern zugenommen. Allerdings lassen sich für verschiedene Länder unterschiedliche Steigerungsraten beobachten (siehe Abbildung 4.2.15). Deutschland liegt hinsichtlich des Ausgangsniveaus wie der Anstiegsrate weit über dem Durchschnitt. Die unterdurchschnittliche Facharztdichte in Frankreich spiegelt die dort hohe Zahl von Allgemeinmedizinern. Die Zahnarztdichte ist in Deutschland überdurchschnittlich hoch. Ähnlich wie die generelle Arztdichte ist auch die Zahnarztdichte in Großbritannien niedriger als in den anderen Vergleichsstaaten (siehe Abbildung 4.2.16). Unter dem EU-15-Wert liegen allerdings auch die Niederlande und die Schweiz. In Deutschland und Frankreich dagegen sind die Zahnarztquoten überdurchschnittlich hoch. In Deutschland, Großbritannien sowie im EU-15-Durchschnitt hat die Zahnarztdichte seit 1992 zugenommen. Dies gilt nicht für Frankreich, die Niederlande und die Schweiz. Die Apothekerdichte liegt in Deutschland unter dem europäischen Mittel. Unter den betrachteten Vergleichsländern gibt es die meisten Apotheker in Frankreich. Ihre Zahl je 100 000 Einwohner liegt deutlich über dem EU-15-Durchschnittt. In den Niederlanden ist die Apothekerquote dagegen gering (siehe Abbildung 4.2.17). Daten zur Apothekerdichte in Großbritannien wurden von der Weltgesundheitsorganisation für den Zeitraum zwischen 1992 und 2002 nicht aufbereitet. Die Vergleichsstatistiken der OECD zeigen aber, dass die Apothekerdichte in Großbritannien, ähnlich wie in Deutschland und der Schweiz, unter dem europäischen Mittel liegt. Die insgesamt gestiegene Ärzte- und Apothekerdichte weist auf ein gegenüber 1992 verbessertes Versorgungsangebot in der EU hin. Deutschland nimmt dabei unterm Strich eine Position im oberen Drittel ein. Deutschland ist Spitzenreiter bei den Krankenhausbetten. Da die Zahl der Krankenhausbetten von der unterschiedlichen Bedeutung und Funktion des ambulanten und stationären Sektors in den verschiedenen Ländern maßgeblich beeinflusst wird, ist ein internationaler Vergleich nicht unproblematisch. Generell lässt sich jedoch feststellen, dass das Niveau der stationären Versorgung in Deutschland ausgesprochen hoch ist (siehe Abbildung 4.2.18). Im Jahr 2003 lag hier die Bettendichte bei 66 Betten je 10 000 Einwohner. In der Mehrzahl der Länder hat sich die Bettendichte von 1993 bis 2003 verringert. Dabei variierte der Rückgang zwischen 15,2 Prozent (Deutschland) und 36,1 Prozent (Schweiz). Insgesamt wird somit eine geringere Zahl von Krankenhausbetten intensiver genutzt [28]. In Deutschland sind die Liegezeiten nach wie vor am längsten. Auch die durchschnittliche Liegezeit geht in den meisten Ländern seit Anfang der 1990er Jahre zurück (siehe Abbildung 4.2.19), was sich unter anderem auf schonende Operationsverfahren und verbesserte nachstationäre Behandlungsmöglichkeiten zurückführen lässt. Am deutlichsten haben sich die mittleren Verweildauern zwischen 1993 und 2003 in Deutschland reduziert, nämlich um 28,8 Prozent. Dadurch konnten deutsche Patientinnen und Patienten im Jahr 2003 im Durchschnitt die Klinik 3,6 Tage früher und somit nach insgesamt 8,9 Tagen verlassen. 170 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Angebot und Inanspruchnahme stationärer Leistungen 200 Apotheker pro 100 000 Einwohner 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 1993 94 95 96 97 98 Deutschland Frankreich Niederlande Schweiz 99 2000 01 02 03 Abbildung 4.2.17: Apothekerinnen und Apotheker pro 100 000 Einwohner. Quelle: WHO European Health for all Database Jan 2006 90 Krankenhausbetten pro 10 000 Einwohner 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1993 94 95 96 97 98 Deutschland Frankreich Großbritannien Schweiz Niederlande USA 99 2000 01 02 Abbildung 4.2.18: Krankenhausbetten für die akut-stationäre Versorgung je 10 000 Einwohner im internationalen Vergleich 1993 – 2003. Quelle: OECD Gesundheitsdaten Oktober 2005, Stand: 12. 10. 2005 03 Diese Liegedauer ist allerdings im internationalen Vergleich immer noch hoch. Nur in der Schweiz währte im Jahr 2003 ein durchschnittlicher Krankenhausaufenthalt mit 9 Tagen ähnlich lang. Die überdurchschnittlich hohe Krankenhausverweildauer in Deutschland lässt sich auf verschiedene Ursache zurückführen. So wurden vor Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 Patienten oft deshalb länger im Krankenhaus behandelt, weil geeignete häusliche Pflegeangebote fehlten [29]. Entsprechend hoch war das Ausgangsniveau der mittleren Verweildauer zu Beginn der 1990er Jahre. Auch das inzwischen abgeschaffte auf Tagespflegesätzen basierende Vergütungssystem wirkte kurzen Liegezeiten eher entgegen [30]. Eine Ausnahme im internationalen Liegezeitvergleich bildet Großbritannien, wo sich die durchschnittliche Krankenhausverweildauer zwischen 1993 und 2003 nur um 0,6 Tage beziehungsweise 8,2 Prozent auf 6,7 Tage verkürzt hat. Am kürzesten sind die Liegezeiten in Frankreich und den USA mit einem seit Ende der 1990er Jahre recht stabilen Schnitt von knapp sechs Tagen. Kürzere Krankenhausaufenthalte bringen eine erhöhte Arbeits- und Serviceintensität mit sich und verursachen tendenziell höhere Kosten pro Tag. Wird die Verweildauer zu stark vermindert, kann dies zu vermehrten Wiederaufnahmen und damit zu insgesamt gesteigerten Behandlungskosten führen [31]. Die Betten sind hier zu Lande durchschnittlich ausgelastet. Mit einer Belegungsquote von 77,6 Prozent im Jahr 2003 hat sich Deutschland bei der Bettenauslastung von der internationalen Spitzengruppe weiter entfernt (siehe Abbildung 4.2.20). Die Schweiz und Großbritannien konnten ihre vergleichsweise hohen Belegungsraten in den letzten Jahren weiter steigern. In den USA (Belegungsquote: 66,2 Prozent) und den Niederlanden (66 Prozent im Jahr 2001) war die Bettenauslastung vergleichsweise niedrig. Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 171 14 4.3 Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen Tage 12 10 8 6 4 2 0 1993 94 95 96 97 98 Deutschland Frankreich Großbritannien Schweiz Niederlande USA 99 2000 01 02 03 Abbildung 4.2.19: Durchschnittliche akut-stationäre Verweildauer der Krankenhauspatienten und -patientinnen im internationalen Vergleich 1993 – 2003. Quelle: OECD Gesundheitsdaten Oktober 2005, Stand: 12. 10. 2005 Großbritannien USA Schweiz Niederlande Frankreich Deutschland 0 10 1993 20 30 40 50 60 70 80 90 2003 Abbildung 4.2.20: Auslastung der Krankenhausbetten (Belegungsquote) im internationalen Vergleich 1993 und 2003. Quelle: OECD Gesundheitsdaten Oktober 2005, Stand: 12. 10. 2005 100 Ω Zusammenfassung Seit Beginn der 1990er Jahre gewinnen Bemühungen um Qua litätssicherung im deutschen Gesundheitswesen an Bedeutung. Verschiedene neue Qualitätsanforderungen sind sozialrechtlich verankert worden. Gleichzeitig haben Ärzteschaft, Krankenhäu ser und Krankenkassen eigene Qualitätssicherungsinitiativen gestartet. Ärztinnen und Ärzte sind für die Qualität ihrer Leistungen per sönlich verantwortlich. Die Aufsicht über die Berufsausübung der Ärzte liegt bei den Landesärztekammern. Der gesetzliche Auftrag und Rahmen hierfür werden in den Kammer- und Heil berufsgesetzen der Bundesländer gelegt. Die Bundesärztekam mer als Zusammenschluss der Landesärztekammern auf überre gionaler Ebene hat inzwischen verschiedene Curricula zur struk turierten Fort- und Weiterbildung im Bereich Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement herausgegeben. Mehr als 2 500 Ärz tinnen und Ärzte haben die von den Landesärztekammern ange botenen Kurse zum Qualitätsmanagement absolviert und, wo dies möglich ist, auch die Zusatzbezeichnung „Ärztliches Quali tätsmanagement“ erworben. Krankenhäuser ebenso wie Arztpraxen sind nach dem Fünften Sozialgesetzbuch zur Qualitätssicherung und zur Einführung eines internen Qualitätsmanagements verpflichtet. Alle zuge lassenen Krankenhäuser müssen sich an externen Vergleichen bestimmter Leistungen und Ergebnisse beteiligen. Im Jahr 2004 hatten schätzungsweise rund 60 Prozent der deutschen Kliniken ein eigenes Qualitätsmanagement etabliert oder führten es ein. Zudem gewinnen verschiedene, zum Teil international erprobte Zertifizierungsverfahren an Beliebtheit. Solche Verfahren beru hen häufig auf einer strukturierten Selbst- und Fremdbewertung der betreffenden Institution. Auch Rehabilitationseinrichtungen und Pflegeeinrichtungen haben gemäß Sozialgesetzbuch Sorge für die Qualitätssiche rung zu tragen. Pflegeheime müssen Stichprobenprüfungen vor Ort ermöglichen. Bei den zwischen 1997 und 2002 vom Medi zinischen Dienst der Krankenversicherungen geprüften 60 % der Altenpflegeheime mussten bei jedem Fünften der überprüf ten Heime aufgrund von Qualitätsmängeln Wiederholungsprü fungen angesetzt werden. Eine wachsende Rolle spielen systematisch entwickelte Leitli nien, die den gegenwärtigen Wissensstand wiedergeben und bei Behandlungsentscheidungen Ärztinnen und Ärzten sowie Patientinnen und Patienten eine Orientierungshilfe bieten. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften hat inzwischen mehr als 850 Leitlinien herausgegeben. Seit 2005 sind die deutschen Krankenhäuser in zweijährlichem Turnus zur Veröffentlichung von Qualitätsberichten verpflichtet, die unter anderem Daten über ihr Leistungsspektrum, die Qua lifikation des Personals, die Zahl der behandelten Patienten, Art und Anzahl der operativen Eingriffe sowie ihr Qualitätsmanage ment enthalten. Die Berichte sind im Internet verfügbar und sol len Bürgerinnen und Bürger, Patientinnen und Patienten, nieder gelassene Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenversicherungen über Qualitätsmerkmale der Kliniken informieren. Zuverlässige Zahlen über die Häufigkeit von Behandlungsfeh lern in Krankenhäusern liegen in Deutschland nicht vor. Aller dings gibt es in einer wachsenden Zahl von Kliniken interne frei willige Meldesysteme, mit denen fehlerträchtige Situationen im 172 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen Versorgungsalltag identifiziert und dadurch Behandlungsfehler im Vorfeld ihrer Entstehung vermieden werden können. In den vergangenen Jahren hat sich in Politik und Öffentlichkeit der Eindruck durchgesetzt, dass den erheblichen Aufwendungen für das Gesundheitssystem insgesamt nicht die Leistung und Qualität gegenüberstehen, die erreichbar wären. Deshalb sind insbesondere in der Sozialgesetzgebung verschiedene Qualitätsanforderungen an die Leistungserbringer im Gesundheitswesen verankert worden. Die Bemühungen um Qualitätssicherung sind dabei immer weniger nur auf einzelne Komponenten wie Ausbildungsstandards oder Geräteanforderungen gerichtet, sondern beziehen sich auf alle unmittelbar und mittelbar qualitätsrelevanten und -bestimmenden Faktoren. Neben den genannten strukturellen Voraussetzungen (Strukturqualität) geraten verstärkt auch die Qualität der Ablauforganisation und der Behandlungsprozesse (Prozessqualität) sowie die Güte der tatsächlich erzielten Ergebnisse (Ergebnisqualität) in den Blick [32, 33]. Erst durch das strukturierte Zusammenwirken aller Ansätze und Maßnahmen werden die Voraussetzungen für weitere Qualitätsverbesserungen geschaffen. Qualitätsmanagement bemüht sich kontinuierlich und systematisch um eine stetige Qualitätsverbesserung aller drei relevanten Qualitätsbereiche. Grundprinzip des Qualitätsmanagements ist ein fortlaufend wiederkehrender Prozess. Dabei wird zunächst die Ausgangssituation analysiert und eine Verbesserungsstrategie entworfen („Plan“), diese wird daraufhin umgesetzt („Do“) und schließlich nach angemessener Zeit hinterfragt („Check“) und weiterentwickelt („Act“). Dieser so genannte PDCA-Zyklus soll gewährleisten, dass ein lernendes System entsteht. 4.3.1 Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität Seit den 1990er Jahren wachsen die Bemühungen um die Qualität im Gesundheitswesen. Die Bemühungen um Qualität im Gesundheitswesen sind nicht gänzlich neu. Beispielsweise hat die Qualitätszusicherung durch Zertifikate und Zeugnisse eine lange Tradition. Inzwischen jedoch ist eine Vielfalt weiterer Qualitätssicherungsinstrumente entwickelt worden. Dazu gehören die Fokussierung auf Aspekte der Prozess- und Ergebnisqualität, der Einsatz von Qualitätsmanagementmodellen, die Einführung von Qualitätszirkeln, der Qualitätsvergleich von Einrichtungen, die Ausweitung von Prüfungen auf ganze Organisationen oder der Trend zum dauerhaften Monitoring (beispielsweise Rezertifizierungen) in bestimmten Abständen. Die Akteure der Gesundheitsversorgung sind zunehmend gehalten, ihre Leistungsfähigkeit transparent zu machen und die Qualität ihrer Dienstleistungen sicherzustellen. Das Bedürfnis der Patientinnen und Patienten, sich insbesondere über die Ergebnisqualität der verschiedenen Versorgungseinrichtungen zu informieren, wächst. Seit Beginn der 1990er Jahre sind durch das Bundesministerium für Gesundheit im Rahmen des bis 2006 laufenden Programms „Qualitätssicherung“ eine Reihe von Modellvorhaben gefördert worden. Dabei wurden mehr als 50 Einzelmaßnahmen im stationären Bereich, 30 im ambulanten Sektor, acht in der Krankenpflege sowie neun sektorübergreifende beziehungsweise Schnittstellenprojekte unterstützt. Neben einer Bestandsaufnahme zum Qualitätsmanagement in Deutsch- Definition Die Qualität der medizinischen Versorgung kann nicht als Ganzes gemessen werden. Daher werden in der Regel einzelne Qualitätsaspekte untersucht und ihre Ergebnisse gemeinsam beurteilt. Insbesondere unterscheidet man dabei zwischen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Mit Strukturqualität ist die Beschaffenheit struktureller Bedingungen gemeint. Eine hohe Strukturqualität bedeutet, dass die richtigen Voraussetzungen vorhanden sind, um etwas regelgerecht und gut zu tun. Typische Maßnahmen zur Sicherung der Strukturqualität in der medizinischen Versorgung sind beispielsweise Ausbildungs- und Qualifikationsstandards sowie Mindestanforderungen an Krankenhäuser, Arzneimittel und Behandlungsmethoden. Solche Anforderungen können sich auf die Einrichtung und Organisation von Praxen und Kliniken, auf die apparative Ausstattung, die Weiterbildung der Mitarbeiter oder die Dokumentations- und Finanzierungssysteme beziehen. Die Prozessqualität bezieht sich auf das Funktionieren von Abläufen. Eine hohe Prozessqualität bedeutet, dass das Richtige rechtzeitig und gut getan wird. Im Gesundheitswesen geht es insbesondere um die Qualität von Behandlungs- und Pflegeprozessen. Eine hohe Prozessqualität setzt voraus, dass diagnostische und therapeutische Maßnahmen den anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft und den Erfahrungen der ärztlichen Berufspraxis entsprechen. Typische Instrumente zur Sicherung der Prozessqualität sind fachliche Leitlinien. Von einer hohen Ergebnisqualität wird gesprochen, wenn ein erreichbares Behandlungsziel auch tatsächlich erreicht wird. Die Ergebnisqualität ist damit der wichtigste Beurteilungsmaßstab für eine medizinische Leistung. Sie bezieht sich auf den Gesundheitszustand, die Lebensqualität, das Befinden und Verhalten sowie die berufliche und soziale Reintegration nach Abschluss einer Therapie. Die medizinische Ergebnisqualität bemisst sich unter anderem an der Vermeidung von Behandlungsfehlern, Komplikationen, Wiederholungseingriffen, Schmerzen und vorzeitigen Todesfällen. Auch die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten hinsichtlich der Interaktionen mit der Ärztin oder dem Arzt und dem medizinischen Personal sowie die Kosteneffektivität einer Therapie sind Aspekte der Ergebnisqualität. Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 173 land Anfang der 1990er Jahre und dem Demonstrationsprojekt „Qualitätsmanagement im Krankenhaus“ Ende der 1990er Jahre sind im Rahmen des Modellprogramms Leitfäden zur Qualitätssicherung im Krankenhaus, in der Pflege und in der Psychiatrie entstanden. Gefördert wurden unter anderem auch spezielle Projekte zur Mammographie und zur Behandlung des Brustkrebses sowie Vorhaben in der Onkologie, Strahlentherapie, Neuro- und Herzchirurgie, operativen Gynäkologie, Dialysebehandlung und Anästhesie. Inzwischen sind vielfältige Instrumente zur Qualitätsmessung und -sicherung im deutschen Gesundheitswesen erprobt worden. Dazu gehören: Vergleiche von Qualitätsindikatoren zwischen Einrichtungen oder Regionen; Leistungs- und Krankheitsregister; Konzepte des internen Qualitätsmanagements; Konzepte des Risikomanagements; Bewertungen von Gesundheitseinrichtungen hinsichtlich ihrer Unternehmensund Behandlungsqualität sowie ihres Qualitätsmanagements; Begutachtungen durch Kollegen (Peer Reviewing); Orientierung der Therapie an der wissenschaftlichen Evidenz; Entwicklung von Leitlinien; Rezertifizierung der Leistungserbringer; Qualitätskonferenzen und Qualitätsberichte; Fortbildungen in Qualitätsmanagement. 4.3.2 Gesundheits- und berufspolitische Vorgaben zum Qualitätsmanagement Basis sind bundes- und landesrechtliche Regelungen. Die Anforderungen an persönliche Kenntnisse und Fähigkeiten von Angehörigen der Heilberufe werden in Deutschland durch die bundeseinheitlichen Approbationsordnungen für Ärzte, Zahnärzte und Apotheker, die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Krankenpflegeberufe, die Heilberufsgesetze der Länder bzw. durch die Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern geregelt. Nur wer die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt und dies in staatlichen oder staatlich anerkannten Prüfungen nachweist, darf den betreffenden Beruf ausüben bzw. im Rahmen der jeweiligen fachlichen Spezialisierung tätig werden. Die Zuständigkeit für die Qualitätssicherung ärztlicher Berufsausübung liegt verankert in den Heilberufs- und Kammergesetzen der Länder bei den Landesärztekammern. Im Rahmen der spezialisierenden Weiterbildung zum Facharzt hat sich jede Ärztin und jeder Arzt auch mit grundlegenden Fragen der Qualitätssicherung und des Qualitätsmanagements in der medizinischen Versorgung auseinanderzusetzen. Es entspricht dem ärztlichen Selbstverständnis, durch angemessene Fortbildung die eigene fachliche Kompetenz durch berufsbegleitendes Lernen kontinuierlich zu sichern und zu erweitern. Dies gilt sowohl für fachspezifische als auch interdisziplinäre Kenntnisse. Strukturierte Fortbildungen sollen das Qualitätsmanagement stärken. Seit Verankerung dieses Grundsatzes sind von der Bundesärztekammer verschiedene Curricula zur strukturierten Fortbildung im Bereich Qualitätssicherung/Qualitätsmanagement entwickelt worden. Dabei handelt es sich im Einzelnen um folgende Themen: Qualitätssicherung/Ärztliches Qualitätsmanagement (3. überarbeitete Auflage 2003); Strukturierte medizinische Versorgung (1. Auflage 2003); Psychosomatische Grundversorgung (2. überarbeitete Auflage 2001); Ärztliche Führung (1. Auflage 2006); Evidenzbasierte Medizin (2. Auflage 2005). Seit Einführung des Curriculums „Ärztliches Qualitätsmanagement/Qualitätssicherung“ haben über 2 500 Ärztinnen und Ärzte im Rahmen der Fortbildung bei den Landesärztekammern Kurse absolviert und, wo dies möglich ist, im Rahmen der Weiterbildungsordnung die Zusatzbezeichnung „Ärztliches Qualitätsmanagement“ erworben. Neben der Fortbildungsverpflichtung als zentraler, die Strukturqualität sichernder Maßnahme zählt explizit auch zu den ärztlichen Berufspflichten die Teilnahme des Arztes an speziellen, von der Landesärztekammer eingeführten Maßnahmen zur Sicherung der Qualität der ärztlichen Tätigkeit. Zahlreiche medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaf ten befassen sich – zum Teil seit den 1970er Jahren – mit der Qualitätssicherung in der Gesundheitsversorgung. Dabei ist es die Aufgabe der jeweiligen Fachgesellschaften, für ihren Fachbereich zu definieren, mit welchen Ansätzen und Maßnahmen die Qualität der ärztlichen Berufsausübung effektiv gesichert und verbessert werden kann. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), der Zusammenschluss der über 150 Fachgesellschaften auf Bundesebene, hat frühzeitig Anstöße zur Entwicklung von fachlichen Leitlinien in den jeweiligen medizinischen Spezialgebieten gegeben. Heute werden von der AWMF mehr als 850 Leitlinien zur Anwendung im Rahmen der medizinischen Versorgung angeboten. Das Sozialgesetzbuch verpflichtet niedergelassene Ärzte, Krankenhäuser, Rehabilitations- und ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen zur Qualitätssicherung. Die Rahmenbedingungen der Qualitätssicherung im Gesundheitswesen sind für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung im Fünften Teil des Sozialgesetzbuchs (SGB V) festgelegt. So müssen die Leistungserbringer Sorge tragen, dass ihre Leistungen dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und fachlich einwandfrei erbracht werden. Zudem sind niedergelassene Ärztinnen und Ärzte und stationäre Versorgungseinrichtungen verpflichtet, ein internes Qualitätsmanagement einzuführen und sich an übergreifenden Maßnahmen der Qualitätssicherung zu beteiligen (§ 135a SGB V). Gesetzlich vorgeschrieben ist auch, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen die Qualität der vertragsärztlichen Versorgung fördern und die Ergebnisse entsprechender Maßnahmen dokumentieren und jährlich veröffentlichen müssen. Im Einzelfall prüfen die Kassenärztlichen Vereinigungen die Versorgungsqualität durch Stichproben. Seit 2004 obliegt es dem Gemeinsamen Bundesausschuss, in dem die Ärzteschaft, Krankenhäuser und Krankenversicherungen sowie Bürgerund Patientenvertreterinnen und -vertreter mit einem Mitberatungs- und Antragsrecht vertreten sind, Kriterien zur Qualitätsbeurteilung der vertragsärztlichen Versorgung zu entwickeln sowie Art und Umfang der Stichprobenprüfungen festzulegen (§ 136 SGB V). Zudem bewertet der Gemeinsame Bundesausschuss neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, bevor sie in den vertragsärztlichen Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden (§ 135 SGB V). Darüber hinaus definiert der Ausschuss die Anforderungen an die Qualitätssicherungsmaßnahmen und das interne Qualitätsmanagement von Versorgungseinrichtungen und legt Kriterien für die Notwendigkeit und Qualität diagnostischer und therapeutischer Leistungen fest (§ 136a SGB V). Rehabilitationsträger sowie zugelassene Pflegeeinrichtungen sind nach dem Sozialgesetzbuch Teil V (Gesetzliche Krankenversicherung), Teil IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) beziehungsweise Teil XI (Soziale Pflegeversicherung) ebenfalls zur Qualitätssicherung verpflichtet. Bei stationärer Pflege erstreckt sie sich nicht nur auf die all- 174 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen Bundesebene Gemeinsamer Bundesausschuss § 91 Abs. 7 SGB V Unterausschuss Externe stationäre Qualitätssicherung BQS Bundesgeschäftsstellen Qualitätssicherung Fachgruppen Landesebene LQS Landesgeschäftsstellen Qualitätssicherung Lenkungsgremien Arbeitsgruppen Krankenhäuser Abbildung 4.3.1: Externe vergleichende Qualitätssicherung auf der Grundlage des § 137 SGB V – Verfahrensebenen, beteiligte Gremien und Institutionen ab 2004 Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 175 gemeinen Pflegeleistungen, sondern auch auf Unterkunft und Verpflegung. Die Pflegeeinrichtungen müssen zudem Stichprobenprüfungen durch Sachverständige ermöglichen. (Zur Qualitätssicherung in Rehabilitation und Pflege siehe auch Kapitel 4.3.3.) Ärztinnen und Ärzte müssen Fortbildungen nachweisen. Durch das im Jahr 2004 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) sind alle im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung tätigen Ärztinnen und Ärzte zur regelmäßigen Fortbildung verpflichtet und müssen diese auch nachweisen. Für den ambulanten Sektor wurden entsprechende Richtlinien bereits veröffentlicht. Sie schreiben insgesamt 250 Fortbildungseinheiten innerhalb von fünf Jahren vor. Die Anforderungen für Krankenhausärztinnen und -ärzte werden noch durch den Gemeinsamen Bundesausschuss erstellt. Auf europäischer wie auf Bundesländerebene wird mehr Qualitätssicherung gefordert. Bei der 5. Konferenz der Gesundheitsminister der im Europarat vertretenen Länder 1996 in Warschau wurde unter dem Titel „Social Challenge to Health: Equity and Patients’ Rights in the Context of Health Reforms“ für eine Reihe von Maßnahmen plädiert, welche die Qualität im Gesundheitswesen steigern sollen. Unter anderem forderten die Gesundheitsminister: die Festsetzung von Qualitätsstandards, regelmäßige Qualitätsbeurteilungen durch Dritte (Health Audits) und Einführung eines effektiven Beschwerdemanagements; die Beschränkung der Versorgung auf effektive und effiziente Maßnahmen im Sinne einer auf wissenschaftlichen Nachweisen basierenden Medizin; eine neue Übereinkunft (New Deal) zwischen Patienten, Anbietern und Kostenträgern sowie eine explizite Festlegung der Patientenrechte mit dem Ziel, die Selbstbestimmung und Kompetenz der Patienten zu fördern (Empowerment); die demokratische Beteiligung von Patienten an der Gestaltung, Steuerung und Bewertung der Gesundheitsversorgung; die Einbeziehung der Patientenperspektive in die Aus-, Weiter- und Fortbildung der Gesundheitsfachberufe. Verschiedene Beschlüsse auf der Ebene der deutschen Bundesländer wiesen in dieselbe Richtung. So wurden bei den Gesundheitsministerkonferenzen von 1996, 1997 und 1999 eine Vereinheitlichung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, einheitliche wissenschaftlich fundierte Leitlinien und Standards, eine systematische Evaluation und Versorgungsforschung, eine Gewährleistung grundlegender Patientenrechte und eine nationale Qualitätsstrategie gefordert. In ihrer 1999 beschlossenen einheitlichen Strategie zum Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen legte die Gesundheitsministerkonferenz elf Ziele fest: die konsequente Patientenorientierung im Gesundheitswesen; die Nutzung ärztlicher Leitlinien und Pflegestandards für die Qualitätsentwicklung; die sektorenübergreifende Gestaltung der Qualitätssicherung und des Qualitätsmanagements; die Stärkung des Qualitätsmanagements in den Einrichtungen des Gesundheitswesens; die Verbesserung der Datenlage zur Qualitätsbewertung; die Dokumentation der Qualität in Qualitätsberichten; die Weiterentwicklung der qualitätsorientierten Steuerung; die Schaffung weiterer Anreize zur kontinuierlichen Qualitätsverbesserung; die verstärkte Unterstützung und Moderation der Qualitätsentwicklung; die intensivere Koordination bei der Umsetzung der Qualitätsziele auf Bundes- und Länderebene; die Stärkung der Professionalität auf dem Gebiet von Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement. Viele dieser Ziele sind inzwi- schen in Bundesgesetze eingegangen oder von den Vertragspartnern des Gesundheitswesens übernommen worden. Der Deutsche Ärztetag, die jährliche Hauptversammlung der Bundesärztekammer, fasst Grundsatzbeschlüsse zu gesundheitspolitischen Fragen und somit auch zur Qualitätssicherung. Auf Grundlage dieser Beschlüsse wurden verschiedene Leitsätze formuliert. Danach muss die Qualitätssicherung als eine seit jeher der ärztlichen Berufsausübung immanente Aufgabe alle Bereiche der ärztlichen Versorgung umfassen. Sie soll ausschließlich einer verbesserten Patientenversorgung dienen und darf kein Selbstzweck sein. Sie setzt zuverlässige Daten, problemadäquate Methoden und eine enge Kooperation aller Beteiligten voraus. Und sie ist nicht Forschung, sondern muss als innovativer, fortdauernder und interdisziplinärer Prozess verstanden werden. 4.3.3 Beispiele des Qualitätsmanagements in der Gesundheitsversorgung Qualitätsmanagement hat stetige Qualitätsverbesserung zum Ziel. Nach einer einfachen und gängigen Definition ist Qualitätsmanagement ein systematischer Weg sicherzustellen, dass Aktivitäten so stattfinden, wie sie geplant wurden [34]. Es geht darum, Qualitätsprobleme von Anfang an durch eine entsprechende Haltung der Beteiligten sowie geeignete Methoden zu vermeiden. Dies setzt eine Analyse sämtlicher Faktoren voraus, die sich auf die Qualität auswirken können. Qualitätsmanagement braucht klar definierte Ziele. Diese Ziele sind für ein Krankenhaus anders zu formulieren als für eine Arztpraxis oder eine krankengymnastische Einrichtung. Ob die jeweiligen Ziele tatsächlich erreicht werden, lässt sich durch den Nachweis konkreter qualitätssichernder Maßnahmen (beispielsweise Existenz und Einhalten eines Hygieneplans) oder durch das Messen von Qualitätsindikatoren belegen. Qualitätsmanagement geht über die Sicherung der Qualität einzelner Prozesse hinaus und betrifft die Abläufe und Ergebnisse einer ganzen Organisationseinheit. Dadurch soll die Zufriedenheit aller Beteiligten verbessert werden. Im Vordergrund stehen hierbei die Patientinnen und Patienten, allerdings kommt auch der Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen eine hohe Bedeutung zu. Während Maßnahmen der Qualitätssicherung ein bestimmtes Qualitätsniveau festigen sollen, zielt Qualitätsmanagement vorausschauend auf eine stetige Qualitätsverbesserung. Krankenhäuser unterliegen einem gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätsvergleich. Abgesehen von frühen Bemühungen um Transparenz in der Krankenbehandlung, die beispielsweise in der Münchener Perinatalstudie von 1975 oder der Chirurgischen Qualitätssicherung von 1977 zum Tragen kamen, stehen Fragen der Qualitätstransparenz, des Qualitätswettbewerbs sowie die Managementperspektive erst seit den 1990er Jahren im Fokus der Qualitätsdiskussionen. Von besonderer Bedeutung für die Sicherung der Qualität der stationären Versorgung war die Einführung der so genannten „Externen“ Qualitätssicherung mit dem Gesundheitsreformgesetz von 1989. Seither sind die gemäß Fünftem Teil des Sozialgesetzbuchs (§ 108 SGB V) zugelassenen Krankenhäuser sowie die Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen verpflichtet, sich an Qualitätssicherungsmaßnahmen zu beteiligen, die den Vergleich der Einrichtungen hinsichtlich bestimmter Kenngrößen ermöglichen und insbesondere zum Ziel haben, die Ergeb- 176 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen 40 Prozent 35 30 25 20 15 10 5 0 1998 (149) 2001 (133) 2004 (131) n.w. differenziert kein QM QM in Planung QM in Vorbereitung QM in Einführung QM umgesetzt Abbildung 4.3.2: Entwicklung des Qualitätsmanagements (QM) in deutschen Akut-Krankenhäusern. Quelle: Blumenstock [35] Qualitätssicherungsvereinbarungen nach § 135 Abs. 2 SGB V Herzschrittmacherkontrolle Arthroskopie Blutreinigungsverfahren Kardiologie Kernspintomographie Koloskopie Laboratoriumsuntersuchungen Langzeit-EKG Photodynamische Therapie am Augenhintergrund Strahlendiagnostik und -therapie einschl. Mammographie Ultraschalldiagnostik Zytologische Untersuchungen Qualitätsbeurteilungsrichtlinien Qualitätsbeurteilungsrichtlinien nach Radiologie § 92 SGB V Qualitätsbeurteilungsrichtlinien Kernspintomographie In Vorbereitung Richtlinien zur Einführung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements Tabelle 4.3.1: Beispiele bundesweiter Qualitätssicherungsvereinbarungen und Richtlinien in der gesetzlichen ambulanten Versorgung nisqualität zu verbessern (§ 135a SGB V). Dabei sollen die Qualität der Behandlung, die Versorgungsabläufe und die Behandlungsergebnisse dargestellt werden. Als zentrales Beratungs- und Beschlussgremium für den Externen Qualitätsvergleich wurde im Jahr 2000 von der Deutschen Krankenhausgesellschaft und den Spitzenverbänden der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen zusammen mit der Bundesärztekammer und dem Deutschen Pflegerat das Bundeskuratorium Qualitätssicherung geschaffen. Dieses beauftragte die damals neu gegründete Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS), ab Anfang 2001 die inhaltliche Weiterentwicklung und organisatorische Umsetzung der Externen Qualitätssicherung zu leiten. Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung trat der Gemeinsame Bundesausschuss am 1. Januar 2004 an die Stelle des Bundeskuratoriums Qualitätssicherung. Damit liegt gemäß § 137 SGB V die Beschlusskompetenz für Maßnahmen der Qualitätssicherung für alle nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhäuser beim Gemeinsamen Bundesausschuss. Die Umsetzung vor Ort obliegt Lenkungsgremien, Geschäftsstellen und Arbeitsgruppen auf Landesebene (siehe Abbildung 4.3.1). Für die bundesweite externe vergleichende Qualitätssicherung mussten die Krankenhäuser im Verfahrensjahr 2004 Daten zu einer Reihe von Leistungsbereichen erheben, die dann zentral ausgewertet wurden. Dazu zählten: HerzschrittmacherErstimplantationen; Aggregatwechsel bei Herzschrittmachern; gynäkologische Operationen; Leistungen der Geburtshilfe; Hüft-Endoprothesen-Erstimplantationen; Hüft-Endoprothesen-Wechsel; Knie-Totalendoprothesen-Erstimplantationen; Knie-Totalendoprothesen-Wechsel; operative Eingriffe an der Brust; Herzkatheteruntersuchungen und -eingriffe (Koronar angiographie, PTCA); herzchirurgische Eingriffe; Herztransplantationen. Für die einzelnen Leistungsbereiche sind Qualitätsindikatoren wie Indikations-, Prozess- und Ergebnisqualität (darunter Komplikationen wie Infektionen oder Sterblichkeit) dokumentiert. Der Ergebnisbericht der BQS ist über das Internet (www.bqs-online.de) öffentlich zugänglich, über die Ergebnisse der einzelnen Krankenhäuser verfügen nur die Krankenhäuser selbst. Darüber hinaus wurden auf Landesebene weitere Leistungsbereiche der Kliniken auf freiwilliger Basis einbezogen, beispielsweise Daten zur Anästhesiologie und Neonatologie, zu Kataraktoperationen, Prostataentfernungen oder zur Schlaganfallbehandlung. Diese externen Qualitätsvergleiche dienen nicht nur dem Messen der Qualität, sondern auch dem Identifizieren von Verbesserungspotenzialen in den Krankenhäusern. So werden auffällige Abweichungen im Rahmen eines „Strukturierten Dialogs“ zwischen Experten der Landesarbeitsgruppen für Qualitätssicherung und den betreffenden Kliniken diskutiert. Die Krankenhäuser sind gehalten, die Ergebnisse der Externen Vergleiche in ihr internes Qualitätsmanagement einzubringen Die Zahl der Kliniken mit eigenem Qualitätsmanagement steigt. Zwischen 1998 und 2004 hat sich der Anteil der Krankenhäuser, die ein internes Qualitätsmanagement einführen oder bereits umgesetzt haben, deutlich erhöht (siehe Abbildung 4.3.2). Im Jahr 2004 waren dies bereits 61 % aller Krankenhäuser. 78 % der Krankenhäuser führen regelmäßig Qualitätsverbesserungsprojekte durch, 71 % haben hauptamtliche Qualitätsmanager und 27 % ein Risikomanagement. Die überwiegende Mehrheit führt Patientenbefragungen durch. [35] Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 177 Seit 2002 sind Krankenhäuser nach § 135a SGB V verpflichtet, ein internes Qualitätsmanagement einzuführen und weiterzuentwickeln. Eine zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen einschließlich des Bundesverbands der privaten Krankenversicherungen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft unter Beteiligung von Bundesärztekammer und Deutschem Pflegerat geschlossene Vereinbarung zielt darauf ab, eine umfassende, auf ethische und humanitäre Werte hin orientierte Qualitätskultur in der stationären Versorgung zu etablieren. Dabei sollen einzelne Qualitätsmanagement elemente wie Patientenorientierung, Verantwortung und Führung, Wirtschaftlichkeit, Prozessorientierung, Mitarbeiterbeteiligung, Zielorientierung und Flexibilität sowie die Einleitung eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses miteinander verknüpft werden (siehe auch Kapitel 4.3.4). Die Qualität einer Reihe von Leistungen wird durch Leit- und Richtlinien der Bundesärztekammer gesichert. Regelungen zur Qualitätssicherung sind auch in folgenden Vorschriften und Gesetzen enthalten: den gesetzlichen Rahmenvorschriften für die Herstellung, Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten; der Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen; dem Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und dem Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens. Die Bundesärztekammer wird darin verpflichtet, die Qualitätssicherung in den genannten Bereichen durch Richtlinien zu konkretisieren. Zu den Richt- und Leitlinien der Bundesärztekammer gehören die Richtlinien zur Organtransplantation gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 6 Transplantationsgesetz, zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen, zur Qualitätssicherung in der Immunhämatologie und in der Mikrobiologie und die Leitlinien zur Qualitätssicherung in der Röntgendiagnostik, zur Qualitätssicherung in der Computertomographie, zur Qualitätssicherung zytologischer Untersuchungen im Rahmen der Zervixkarzinomdiagnostik und zur Qualitätssicherung der Magnet-Resonanz-Tomographie. Gesetze und Berufsordnungen sichern die Qualität in der ambulanten Versorgung. Neben den Anforderungen des Berufsrechts, das ambulant und stationär tätige Ärztinnen und Ärzte gleichermaßen betrifft, definiert das System der gesetzlichen Krankenversicherung auch sozialrechtlich relevante Anforderungen. So unterliegen mehr als 30 Prozent aller Leistungen in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung einem so genannten Erlaubnisvorbehalt, das heißt, an den Leistungserbringer (beispielsweise den Arzt oder die Ärztin) werden weitergehende Qualitätsanforderungen gestellt. Zu diesen Anforderungen gehören kontinuierliche Fortbildungen und Rezertifizierungen oder auch die Erbringung einer jährlichen Mindestmenge an Leistungen. Bei bestimmten Leistungen wie der Kernspintomographie werden zudem Stichprobenprüfungen durchgeführt. Inzwischen gibt es eine umfangreiche Reihe von bundesweiten Qualitätssicherungsvereinbarungen und Richtlinien, welche die Güte bestimmter ambulanter Versorgungsleistungen gewährleisten sollen (siehe Tabelle 4.3.1). Für die Umsetzung dieser Qualitätsmaßnahmen sind die Kassenärztlichen Vereinigungen zuständig. Mit In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) im Jahr 2004 wurden sie verpflichtet, über ihre Arbeit jährliche Berichte zu veröffentlichen, und zudem aufgefordert, weitergehende Maßnahmen der Qualitätsförderung zu ergreifen. Arztpraxen und psychotherapeutische Praxen sollen ein Qualitätsmanagement einführen. Wie die Krankenhäuser sind auch die Arztpraxen seit 2004 nach § 135 a SGB V gehalten, ein eigenes Qualitätsmanagement einzuführen und weiterzuentwickeln. Der gemeinsame Bundesausschuss hat im Herbst 2005 Richtlinien dazu erlassen, die die Grundelemente und Instrumente eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements definieren und eine fünfjährige Aufbauphase vorsehen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen werden den Aufbau unterstützend und bewertend begleiten. Eine besondere Zertifizierung der Praxen ist dabei nicht vorgesehen. Qualitätszirkel dienen dem Lernen unter Kollegen. Qualitätszirkel, also formal organisierte Gruppen von Angehörigen einer Berufsgruppe, sollen die kontinuierliche und kritische Reflexion über die eigene Leistungsfähigkeit und die der Kollegen in einem strukturierten Prozess fördern und damit die Qualität der Patientenversorgung erhöhen [36]. Qualitätszirkel fußen auf dem Peer-Reviewing (Begutachtung durch Kollegen) und dem so genannten problemorientierten Lernen. Im Jahr 1993 hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung erstmals Richtlinien für Verfahren zur Qualitätssicherung verabschiedet. Darin wurde auch die Einführung methodisch standardisierter Qualitätszirkel als neuer, dem Prinzip der kontinuierlichen Qualitätsverbesserung verpflichteter Ansatz angestrebt [37–39]. Grundidee der Qualitätszirkel ist die Schaffung einer praxisnahen Lernkultur ohne Teilnahmezwang und Sanktionen [40]. Bereits wenige Jahre nach ihrer Einführung zeigte sich, dass die im Ausland bereits erfolgreich eingesetzte Methode auch unter niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten in Deutschland großen Anklang findet. In vielen Fällen können Qualitätszirkel die Versorgungsqualität heben und gleichzeitig die Kosten senken [41]. Rentenversicherer und Krankenkassen prüfen die Qualität von Reha-Kliniken. Sowohl die Rehabilitationsträger als auch die zugelassenen Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen sind nach dem Fünften, Neunten und Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V, SGB IX und SGB XI) zur Qualitätssicherung verpflichtet. Für die stationäre Rehabilitation gibt es derzeit zwei parallel laufende Verfahren: Das eine wurde 1994 von den gesetzlichen Rentenversicherern (GRV) für die stationäre Rehabilitation Erwachsener in Rehabilitationskliniken aufgelegt [42]. Alle 27 Rentenversicherungsträger sind dabei beteiligt. Koordiniert wird das Programm vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und der Landesversicherungsanstalt Westfalen. Das Programm bezieht jene Rehabilitationskliniken mit ein, die hauptsächlich von GRV-Kostenträgern belegt werden. Zudem ist eine Ausweitung auf den ambulanten Reha-Bereich und die Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen geplant. Das zweite Verfahren starteten die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als so genanntes QS-Reha-Verfahren vorrangig für jene Rehabilitationseinrichtungen, die im Verantwortungsbereich der GKV liegen. Während das Programm der gesetzlichen Rentenversicherer vor allem Strukturqualität erfasst, ist das GKV-Verfahren stärker ergebnisorientiert und bezieht die Patientenzufriedenheit ein. Die gesetzlichen Krankenkassen erstellten erstmals 2004 den Qualitätsbericht Rehabilitation [43]. Eine Vereinheitlichung beider Verfahren ist unterdessen beschlossen worden. Ergänzend zu diesen Verfahren begutachten die Kostenträger per Zufallsstichprobe alle eineinhalb bis zwei (GRV) beziehungsweise alle drei Jahre (GKV) die Prozessqualität der RehaKliniken. Dies erfolgt anhand von 20 Entlassungsberichten pro 178 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen Typ Ziel der Anwendung Schwerpunkt der Beurteilung Hauptvorteile European Foundation for Quality Management (EFQM) Selbstbewertung, Umfassende Messung der Umfassendes Abbild Verpflichtungs-, Anerkennungs- Unternehmensqualität in neun der Qualität und des Zertifikat, in selteneren Fällen Kriteriengruppen Qualitätsmanagements als Preisvergabe Teil des Unternehmensmanagements In Deutschland Stand Jan. 2005 Ca. 300 Krankenhäuser DIN EN ISO Norm 9001: 2000 Erhalt eines Zertifikats QM-System Ausgebaute Infrastruktur für die Zertifizierung Ca. 300 Krankenhäuser, 200 Praxen Genuin-medizinische Zertifizierungsverfahren Selbstbewertung oder Erhalt eines Zertifikats Patientenversorgung aus der Sicht der Finanziers, Berufsgruppen und Patienten Adaptation an Krankenhaus mit inhaltlichen Vorgaben für gute Qualität JCI-A: 7 Krankenhäuser, KTQ + proCumCert: 160 Krankenhäuser Audits durch Peers Beratung der Einrichtung Patientenversorgung aus Sicht der Berufsgruppen Konkrete Vorschläge für Qualitätsverbesserungen Pneumologie, Neurologie, Gynäkologie, Kardiologie, Innere Medizin, Chirurgie Tabelle 4.3.2: International erprobte und in Deutschland vorhandene Ansätze zur Bewertung/Zertifizierung von stationären Versorgungseinrichtungen [45] Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 179 Klinik, die den GRV-Trägern für alle Patienten zugehen beziehungsweise, im GKV-Bereich, eigens für die Begutachtung erstellt werden. Die GRV-Berichte wurden zwecks Vergleichbarkeit inzwischen standardisiert, die Prüfung erfolgt durch Fachkollegen anhand einer von Fachexperten zusammengestellten Checkliste [42]. Bei Prüfungen in Pflegeheimen fallen häufig Qualitätsmängel auf. Die Anbieter von Pflegeleistungen unterliegen den Qualitätsanforderungen des Sozialgesetzbuches (SGB XI), dem Heimgesetz sowie den gemeinsamen Grundsätzen und Maßstäben zur Qualität und Qualitätssicherung. Von Bedeutung war zudem die Einführung einer bundeseinheitlichen Altenpflegeausbildung im Jahre 2003 durch das Altenpflegegesetz. Vor Ort erfolgen Prüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), die Heimaufsichtsbehörden sowie einzelne Pflegekassen. Zwischen 1997 und 2002 prüfte allein der MDK rund 60 Prozent aller stationären Altenpflegeheime, bei 20 Prozent der überprüften Einrichtungen wurden aufgrund von Qualitätsmängeln Wiederholungsprüfungen angesetzt [44]. Die Heimaufsichtsbehörde hat in jedem Heim grundsätzlich einmal pro Jahr eine Prüfung vorzunehmen. In Zukunft werden verstärkt übergreifende, kooperative Qualitätsmanagementsysteme notwendig sein, welche an den Schnittstellen zwischen ambulanter, stationärer und rehabilitativer Versorgung einerseits, zwischen ärztlichen und nichtärztlichen Diensten und Leistungsanbietern andererseits ansetzen. 4.3.4 Zertifizierungen und Leitlinien Zertifikate können Transparenz nach innen und außen schaffen. Zertifizierungen im Gesundheitswesen besitzen eine Reihe von Zielen: Sie dienen der Positionsbestimmung der eigenen Institution und dem Vergleich mit anderen Einrichtungen; sie setzen Zielvorgaben für Qualität und Qualitätsmanagement und konkretisieren Möglichkeiten der Qualitätsverbesserung; sie informieren die Mitarbeiter über Existenz und Erfolg des Qualitätsmanagements; sie geben den Kunden (beispielsweise Patienten, einweisenden Ärzten, Krankenkassen) Auskunft darüber, dass vorgegebene Anforderungen eingehalten werden. Selbst- und Fremdbewertung sind Grundlage vieler Zertifizierungsverfahren. Ende der 1990er Jahre initiierten die Bundesärztekammer, die Verbände der gesetzlichen Krankenversicherung, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Deutsche Pflegerat die Kooperation für Transparenz und Qualität im Krankenhaus (KTQ). Wichtiger Bestandteil des Modells, dessen Entwicklung vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung unterstützt wurde, sind Selbstbewertungsberichte der Kliniken mit Leistungs- und Strukturdaten sowie Angaben zu den Themen Patientenorientierung, Mitarbeiter orientierung, Sicherheit, Informationswesen, Krankenhausführung und Qualitätsmanagement. Die Berichte umfassen beispielsweise Daten zur Bettenzahl, zur Häufigkeit bestimmter Operationen, zum Ausbildungsstand der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und zu den Qualitätsmanagementstrukturen. Definition Unter einer Zertifizierung versteht man ein Verfahren, in dem ein unparteiischer Dritter schriftlich bestätigt, dass ein Erzeugnis, eine Methode, eine Dienstleistung oder eine Organisation alle vorgeschriebenen Anforderungen erfüllt. Im Anschluss an die Selbstbewertung können sich die Krankenhäuser zur Fremdbewertung durch ein so genanntes Visitorenteam anmelden und bei Erfüllung der Anforderungen zertifizieren lassen. Eine Grundvoraussetzung für den Erhalt des KTQ-Zertifikates ist die Veröffentlichung des Qualitätsberichtes im Internet (http://www.ktq.de). Die konfessionellen Krankenhausverbände bieten unter dem Namen proCum Cert eine um konfessionelle Anteile erweiterte KTQ-Variante an. Die beiden Verfahren wurden gemeinsam entwickelt und erkennen sich gegenseitig an. Eine wachsende Zahl von Kliniken lässt sich zertifizieren. Zertifiziert bzw. rezertifiziert werden – die Zertifikate haben immer eine begrenzte Gültigkeitsdauer – beispielsweise die ärztlichen und pflegerischen Leistungen, das Qualitätsmanagement oder die Unternehmensqualität. Hier zu Lande kommt im stationären Sektor eine Reihe von international erprobten Ansätzen zum Tragen (siehe Tabelle 4.3.2). Die Zertifizierung nach KTQ wird seit 2002 von der KTQ GmbH und der proCum Cert GmbH den Krankenhäusern angeboten. Im Januar 2005 waren 160, im Herbst 2005 bereits über 390 der ca. 2200 Akut-Krankenhäuser nach KTQ bzw. proCum Cert zertifiziert. Ein weiteres Zertifizierungsverfahren aus der Klasse der aus der Medizin stammenden Zertifizierungsverfahren, das in Deutschland angeboten wird, ist die internationale Version JCI-A der US-amerikanischen Zertifizierung der Joint Commission on Accreditation of Healthcare Organisations (JCAHO), auf die sich weltweit die meisten medizinischen Zertifizierungsverfahren zurückführen lassen. Etliche deutsche Krankenhäuser oder Teilbereiche wie Krankenhausapotheken erwerben Zertifikate gemäß der internationalen DIN EN ISO 9001:2000. Andere Kliniken wiederum setzen das Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM) ein. Dieses Modell ist nicht vorrangig auf eine Zertifizierung und Qualitätsdarlegung angelegt, sondern basiert vielmehr auf einer strukturierten, auf bestimmte Indikatoren gestützten Selbstbewertung, bei der einer Einrichtung Exzellenzgrade (Levels of Excellence) bestätigt werden [46]. Diese beiden Ansätze wurden Ende der 1980er Jahre für die Industrie entwickelt und später an die medizinischen Anforderungen angepasst.** Gesetzliche Vorgaben zur Zertifizierung von Krankenhäusern existieren nicht. Allerdings sind Versorgungseinrichtungen in Deutschland nach dem Sozialgesetzbuch zur Einführung eines internen Qualitätsmanagements verpflichtet. Neben Kliniken können sich auch Arztpraxen oder Labors zertifizieren lassen. Im ambulanten Sektor entstehen Qualitätsmanagement- bzw. Zertifizierungsverfahren. Dazu gehören das Modell der EFQM für Praxen; das ISO-Zertifikat für Qualitätssicherung in der Praxis; das QEP-Programm (Qualität und Entwicklung in Praxen) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung; das Modell der KTQ für Praxen; das auf einer Bewertung durch Fachkollegen beruhende EPA-Modell (European Practice Assessment); das Zertifikat für das Praxisqualitätsmanagementsystem der Kassenärztlichen Vereinigung WestfalenLippe (KPQM) mit Töchtern in anderen Bundesländern. Definition Leitlinien sind systematisch entwickelte Empfehlungen zur Diagnose und Therapie spezifischer Erkrankungen. Sie geben den gegenwärtigen medizinischen Erkenntnisstand wieder und erleichtern Ärzten und Patienten die Wahl der angemessenen Behandlung in einer bestimmten Krankheitssituation. 180 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen Für medizinische Laboratorien sind Anforderungen an das Qualitätsmanagement in der DIN EN ISO 15189 Norm niedergelegt. Diese geht über die Anforderungen der DIN EN ISO 9001:2000 hinaus und betrifft vor allem die Sicherstellung der Mess- und Befundergebnisse. Die Norm ist in Deutschland Grundlage für ein spezifisches freiwilliges Zertifizierungsverfahren. Schlecht funktionierende Abläufe sind ein Hauptgrund für Behandlungsfehler. Seit langem ist bekannt, dass in der Medizin als „Handlungswissenschaft“ [47, 48] die Prozessqualität (die Qualität der Behandlungsabläufe) wesentlich bedeutsamer für das Therapieergebnis ist als die Strukturqualität (beispielsweise die apparative Ausstattung einer Einrichtung). Dies bestätigen beispielsweise Analysen fehlerhafter Behandlungen, die sich in schätzungsweise 70 Prozent der Fälle auf eine ungenügende Prozessqualität zurückführen lassen. Insbesondere können Koordinationsprobleme zwischen den Beteiligten, Dokumentationsmängel, Überleitungsprobleme oder fehlende Therapieleitlinien zu Behandlungsfehlern führen [49, 50]. In den letzten Jahren haben strukturierte Vorgehenshilfen wie Leitlinien und so genannte Behandlungspfade an Bedeutung gewonnen. Man verspricht sich von ihnen, dass sie die Qualität der Behandlungsabläufe erhöhen. Systematische Forschung soll die Spreu vom Weizen trennen. Leitlinien fußen auf „Evidenz“. Mit diesem aus dem Englischen übernommenen Begriff sind Informationen aus klinischen Studien gemeint, die einen bestimmten Sachverhalt erhärten oder auch widerlegen. In den vergangenen Jahren hat sich eingebürgert, von evidenzbasierter Medizin zu sprechen. Sie hat das Ziel, unter Einbeziehung der Erfahrungen des behandelnden Arztes und der Situation der Patienten Behandlungsentscheidungen auf der Basis systematisch gewonnener Forschungsergebnisse zu treffen [44, 45]. Im Jahr 1993 entstand die bislang bedeutendste Initiative der evidenzbasierten Medizin, die nach dem britischen Epidemiologen Archibald Cochrane benannte Cochrane Collaboration. An dem internationalen Expertennetzwerk sind inzwischen mehr als 4 000 Fachleute weltweit beteiligt, die in so genannten Review Groups systematische Übersichtsarbeiten (Reviews) zu spezifischen Versorgungsthemen erstellen. Diese Reviews fassen alle für eine diagnostische oder therapeutische Fragestellung relevanten Studien und Forschungsergebnisse zusammen und werden in einer vierteljährlich aktualisierten Datenbank veröffentlicht (Cochrane Database of Systematic Reviews). Das deutsche Cochrane Zentrum ist an der Universität Freiburg angesiedelt und wird vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung gefördert. Leitlinien stecken Handlungskorridore ärztlicher Entscheidungen ab. Während die Cochrane Reviews einzelne Therapieansätze bewerten, sind Leitlinien weiter gefasst und stecken Handlungskorridore für ganze Behandlungsprozesse für bestimmte Krankheitssituationen ab. Die Idee dabei ist, den Akteuren den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen sowie Behandlungen planbarer, sicherer und kostengünstiger zu machen. Leitlinien stellen Handlungsempfehlungen für Ärzte und Pflegende dar, setzen Standards, wenn die Erkenntnislage eindeutig und in der Praxis erprobt ist, und sind zugleich eine wichtige Informationsquelle für die Öffentlichkeit. Die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) gibt es in drei Qualitätsstufen. Leitlinien der Stufe 1 (S1) werden Handlungsempfehlungen genannt und basieren auf dem informellen Konsens einer Expertengruppe. S2-Leitlinien zeichnen sich durch eine formale Konsensfindung (beispielsweise strukturierte Konsensus- oder Delphikonferenz) in einem repräsentativen Gremium oder durch eine systematische Evidenzbasierung der Aussagen aus. Leitlinien der höchsten Stufe (S3) sind evidenzbasiert und von einem repräsentativen Gremium durch ein strukturiertes Konsensverfahren verabschiedet. Sie orientieren sich an logischen Entscheidungsprozessen (klinischen Algorithmen) und beziehen relevante Ergebnisindikatoren für die Patienten und die Kosten mit ein. Die AWMF hat inzwischen mehr als 850 Leitlinien in unterschiedlichen Qualitätsstufen herausgegeben. Neben den Leitlinien der Fachgesellschaften werden u. a. auch Leitlinien von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, im Rahmen des Programms für Nationale Versorgungs-Leitlinien (getragen von der AWMF, der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung) sowie vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege erstellt. Behandlungspfade sind Navigationsinstrumente für die Behandlung innerhalb einer Versorgungseinrichtung. Anders als Leitlinien, die das Handeln einzelner Berufsgruppen anleiten, beziehen sich Behandlungspfade auf die Gesamtorganisation einer Krankenbehandlung in einer Versorgungseinrichtung. Leitlinien und Behandlungspfade sind wiederum Ausgangspunkte für die Entwicklung umfassender und strukturierter Behandlungsprogramme (Disease-Management-Programme, DMPs). Disease Management steht für eine Optimierung standardisierbarer Versorgungsabläufe bei genau definierten Patientengruppen. Auf der Grundlage des Fünften Teil des Sozialgesetzbuches (§ 137f SGB V) werden strukturierte Behandlungsprogramme für Patienten mit bestimmten chronischen Krankheiten entwickelt. Gegenwärtig gibt es Programme für Brustkrebs, Typ-2Diabetes und Koronare Herzerkrankungen, in die inzwischen über eine Million Versicherte eingeschrieben sind. 1995 entstand das (ab 2003 so genannte) Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin als gemeinsame Einrichtung der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Es unterstützt beide ärztliche Organisationen bei ihren Aufgaben im Bereich der Qualitätssicherung. Seine Schwerpunkte liegen unter anderem in der Bewertung ärztlicher Leitlinien, in der Beurteilung von Instrumenten zur Förderung von Qualität und Transparenz, in der Federführung bei der Entwicklung nationaler Leitlinien für besonders wichtige Versorgungsbereiche und in der Bereitstellung von Patienteninformationen. Nationale Leitlinien sollen anerkannte Referenzstandards schaffen. Im Jahr 2002 hat die Bundesärztekammer die Schirmherrschaft über ein Nationales Programm für Versorgungsleitlinien übernommen. Im Herbst 2003 wurde diese Schirmherrschaft durch einen Kooperationsvertrag zwischen Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) abgelöst. Definition Ein Behandlungspfad (Clinical Pathway) ist eine institutionelle Leitlinie. Er dient als Orientierungshilfe für die bestmögliche Ablauforganisation der Krankenhaus-Gesamtbehandlung bei einer bestimmten Erkrankung und bezieht dabei alle beteiligten Berufsgruppen (beispielsweise Ärztinnen und Ärzte, Schwestern und Pfleger, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten) mit ein [51]. Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | 181 Mit den nationalen Versorgungsleitlinien sollen systematische, evidenzbasierte Entscheidungshilfen über die angemessene Vorgehensweise bei speziellen Gesundheitsproblemen schnittstellenübergreifend und interdisziplinär zur Verfügung gestellt werden. Insbesondere sollen die Leitlinien eine inhaltliche Grundlage für Disease-Management-Programme bieten. Zudem besitzen sie Orientierungsfunktion vor dem Hintergrund des zunehmend unübersichtlichen Angebots medizinischer Informationen. Die Versorgungsleitlinien werden als ein allein ärztlichem Sachverstand und wissenschaftlicher Evidenz geschuldetes Konzept betrachtet. Inzwischen liegt eine nationale Versorgungsleitlinie zum Asthma bronchiale vor, die bereits 2002 erschienene Leitlinie für Typ-2-Diabetes wird aktualisiert, Leitlinien zur Koronaren Herzkrankheit und zu Chronisch Obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD) befinden sich in Entwicklung. Die Bewertung neuartiger Medizintechnologien gewinnt an Bedeutung. Ein weiteres Instrument zur Unterstützung der Qualitätsorientierung in der Gesundheitsversorgung stellt das Verfahren der Bewertung medizinischer Verfahren und Technologien (HTA, Health Technology Assessment) dar. Ursprünglich ein Nebenprodukt der Technikfolgenabschätzung, wird das HTA verwendet, um den Nutzen und die Kosten neuer Methoden in Diagnostik und Therapie zu bewerten. Das Verfahren basiert auf systematischer Literaturrecherche und -auswertung sowie kritischer Bewertung der verfügbaren Evidenz und liefert auf diese Weise wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlagen im Zusammenhang mit der Einführung neuer medizinischer Leistungen in den Versorgungsalltag. In Deutschland hatte die an der Medizinischen Hochschule Hannover angesiedelte „German Scientific Working Group of Technology Assessment in Health Care“ erste Akzente gesetzt. Im Jahr 2000 erhielt das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) den Auftrag, ein datenbankgestütztes Informationssystem für die Bewertung der Wirksamkeit und der Kosten medizinischer Verfahren und Technologien zu errichten sowie entsprechende Forschungsaufträge zu verteilen. Die zu diesem Zweck beim DIMDI geschaffene HTA-Agentur nahm im Jahr 2002 ihre Arbeit auf. Zudem gründeten die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung im Jahr 2001 eine gemeinsame Projektgruppe „Ärztliche Verfahrensbewertung“, um die HTA-Methodik unter Ärzten bekannter zu machen und eigene Assessment-Qualität-Standards für die Nutzenbewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu setzen. Im Rahmen des 2004 in Kraft getretenen Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung wurde das Konzept der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung einschließlich der HTA-Methodik vom Gesetzgeber aufgegriffen. So stellen die Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln sowie die Recherche, Darstellung und Bewertung des aktuellen medizinischen Wissensstandes zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren zentrale Aufgaben des neu gegründeten Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) dar. Diese Informationen sollen auch für Patienten und interessierte Bürger verständlich aufbereitet werden (siehe auch Kapitel 4.3.5 und Kapitel 6.1). Auf Länderebene tragen die Ärztekammern zahlreiche Qualitätsinitiativen. Die Zuständigkeit für die Sicherung der Qualität ärztlicher Berufsausübung liegt bei den Landesärztekammern. Sie ist in den Heilberufs- und Kammergesetzen der Länder verankert. Auf Basis dieser Rechtsgrundlage entwickelten die Landesärztekammern, unabhängig von den sozialgesetz- lichen Regelungen, zahlreiche Initiativen zu Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement, die in der Folge häufig vom Gesetzgeber aufgegriffen und in sozialgesetzliche Regelungen überführt worden sind. Zu den eigenständigen Initiativen der verschiedenen Landesärztekammern zählen unter anderem Programme für die Qualitätssicherung in der präklinischen Notfallrettung, der Schlaganfallbehandlung, Psychotherapie, außerklinischen Geburtshilfe und Onkologie. Eine komplette Übersicht über die zahlreichen Qualitätssicherungsinitiativen und Einzelprojekte der Ärztekammern findet sich im gemeinsamen Qualitätsbericht von Bundesärztekammer und Landesärztekammern des Jahres 2006. 4.3.5 Transparenz und Patientensicherheit Fachlich geprüfte Informationen sollen für Patientinnen und Patienten zugänglich sein. Informierte Patientinnen und Patienten benötigen fachlich zuverlässige Informationen, die von einer Reihe von Institutionen zur Verfügung gestellt werden. So unterhält das Ärztliche Zentrum für Qualitätssicherung einen Patienten-Informationsdienst im Internet (www.patienten-information.de). Dieser bietet wissenschaftlich fundierte, nicht kommerzielle Informationen und gilt seit 2001 als unabhängige Verbraucher- und Patientenberatungsstelle gemäß Sozialgesetzbuch (§ 65b SGB V). Auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen hat seit seinem Bestehen die Aufgabe, allgemein verständliche Informationen zu Qualität und Effizienz in der Gesundheitsversorgung zur Verfügung zu stellen (www. iqwig.de/ und www.gesundheitsinformation.de) (siehe zu weiteren Angeboten Kapitel 6.3). Die vom damaligen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebene Broschüre „Sicherung der Qualität im Gesundheitswesen“ enthält Checklisten für Patienten, mit denen sie die Qualität der Versorgung überprüfen können [52]. Krankenhäuser und Kassenärztliche Vereinigungen sind nach dem Sozialgesetzbuch zur Veröffentlichung von Qualitätsberichten verpflichtet. Sie sollen Bürgerinnen und Bürgern, Patientinnen und Patienten, Leistungserbringern und Kostenträgern zu einer größeren Qualitätstransparenz verhelfen und als Entscheidungshilfen bei der Wahl der richtigen Versorgungseinrichtung zur Verfügung stehen. Bisher fehlen zuverlässige Zahlen zur Häufigkeit von Behandlungsfehlern. Behandlungsfehler, Versorgungsfehler und Organisationsmängel sind in den vergangenen Jahren international zunehmend ins Zentrum des Interesses gerückt. Allerdings fehlt in Deutschland eine einheitliche und zusammenfassende Darstellung der Zahl vermuteter oder tatsächlich nachgewiesener medizinischer Behandlungsfehler. Die Zahlen der Haftpflichtfälle der Versicherungen oder der von den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Landesärztekammern behandelten Vorwürfe besitzen eine große Dunkelziffer. Fehlervorwürfe betreffen vornehmlich die operativen Disziplinen und in überdurchschnittlichem Maß die Behandlungen im Krankenhaus. Sieht man von fachspezifischen Problemen ab, werden vorrangig drei Ursachen fehlerhafter Behandlungen deutlich: organisatorische Defizite, Dokumentationsdefizite und Behandlungen in nicht optimal geeigneten Einrichtungen. Ansätze zur Fehlerprävention beinhalten die Einführung von Qualitätssicherungs- und Qualitätsmanagementinstrumenten. Auch die fachinterne Analyse zusammengefasster 182 | Wie haben sich Angebot und Inanspruchnahme … verändert? | Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen Fehlervorwürfe, beispielsweise aus dem Fundus von Gutachterkommissionen oder Medizinischen Diensten der Krankenversicherungen, kann zur Fehlervermeidung beitragen. Ω Umfassende Informationen über Medizinische Behand lungsfehler finden sich in Heft 5 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [49]. Fehlermeldesysteme sollen das Lernen von den Fehlern anderer ermöglichen. Zahlreiche Kliniken haben inzwischen mit der Einführung interner freiwilliger Fehlerberichtsysteme begonnen. Für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte standen im Jahr 2005 zwei Internetplattformen zum anonymen Austausch von fehlerträchtigen Situationen des Versorgungsalltags (Critical Incidents) und Informationen zu ihrer Vermeidung zur Verfügung: das von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für deutsche Vertragsärzte adaptierte Schweizer Critical Incident Reporting System (https://www.cirsmedical.ch/kbv/cirs/ cirs.php) sowie das speziell auf Hausärzte zugeschnittene Fehlerberichtsystem der Universität Frankfurt (www.jeder-fehlerzaehlt.de). Im Auftrag des damaligen Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung wurde eine bundesweite Multicenterstudie zur rechtsmedizinischen Begutachtung behaupteter tödlicher und nichttödlicher Behandlungsfehler durchgeführt. Die im Mai 2005 veröffentlichte Studie lieferte Erkenntnisse in Bezug auf das Auftreten, die Art und das Ausmaß der Schäden und nimmt eine umfassende Typisierung von Behandlungsfehlern vor. Auch die Konsequenzen für eine koordinierte Medizinschadenforschung werden dargestellt [53]. Der Deutsche Ärztetag 2005 hatte das Fehlermanagement und die Patientensicherheit zu einem eigenen Tagesordnungspunkt gemacht. Gleichzeitig wurde von allen Partnern des Gesundheitswesens das Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. gegründet. Ziel des als Netzwerk organisierten Aktionsbündnisses ist es, die von der ärztlichen Selbstverwaltung, den medizinischen Fachgesellschaften und den Krankenkassen bereits entwickelten Initiativen zur Fehlervermeidung zu koordinieren und auf freiwilliger Basis voranzutreiben. Literatur 1 Statistisches Bundesamt (1998) Gesundheitsbericht für Deutschland: Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Stuttgart 2 Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (2005) Soziale Sicherung im Überblick Bonn 3 Kopetsch T (2005) Mehr ausländische und mehr privat tätige Ärzte. 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(Seite 187) Ω Die Aufwendungen der sozialen Pflegeversicherung sind seit ihrer Einführung durch die Aufnahme stationärer Pflege in den Leistungskatalog erheblich gewachsen. Zwischen 1997 (dem ersten Jahr der vollen Einführung) und 2003 stiegen die Aussagen um 16 Prozent. (Seite 189) Ω Die Verwaltungsleistungen der Sozialversicherungsträger und der Privaten Krankenversicherung lagen im Jahr 2003 bei rund 13 Milliarden Euro. (Seite 190) Ω Der Krankenhausbereich ist mit knapp 65 Milliarden Euro der größte Einzelausgabenblock. Arztpraxen und Apotheken geben zusammen etwa genauso viel aus wie Krankenhäuser. (Seite 191) Ω Direktkäufe und Zuzahlungen machen rund ein Fünftel aller Ausgaben im Gesundheitswesen aus. (Seite 193) Ω Das höchste Ausgabenvolumen entfällt mit jährlich rund 35 Milliarden Euro auf die Herz-Kreislauf-Krankheiten (Basisjahr 2002). (Seite 195) Ω Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei den Pro-Kopf-Ausgaben im oberen Mittelfeld der westlichen Industrienationen. (Seite 197) Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | 185 5 Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? Ω Zusammenfassung Die Gesundheitsausgaben in Deutschland sind in den Jahren 1993 bis 2003 kontinuierlich gestiegen. Diese Entwicklung ist durch unterschiedliche Faktoren bedingt. Insbesondere die Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 – die im Rahmen der Gesundheitsausgabenrechnung berücksichtigt wird – hat sowohl den Leistungsumfang wie auch die Beschäftigung im Gesundheitssystem deutlich erweitert. Für das Anwachsen der Gesundheitsausgaben sind neben Veränderungen des Leistungsvolumens Preisentwicklungen und Qualitätsverbesserungen der erbrachten Gesundheitsdienstleistungen verantwortlich. Vor allem der medizinisch-technische Fortschritt führt zu kontinuierlichen Ausgabensteigerungen. Gleichwohl sind in verschiedenen Leistungsbereichen – etwa im Bereich der Arzneimittelversorgung – überproportionale Ausgabenzuwächse auch auf fehlende Wirtschaftlichkeitsanreize zurückzuführen. Den vermehrten Ausgaben für Gesundheitsgüter und -dienstleistungen stehen eine gestiegene Lebenserwartung und eine verringerte Sterblichkeit gegenüber. Wenngleich ein direkter Zusammenhang zwischen den Trends bei den Gesundheitsausgaben und dem Gesundheitszustand der Bevölkerung nicht eindeutig nachweisbar ist, so gehen höhere Ausgaben häufig mit einer besseren Verfügbarkeit von Gesundheitsdienstleistungen einher. Sowohl die Höhe und Zusammensetzung der Ausgaben wie auch die gesundheitliche Lage und Zufriedenheit der Bürger werden von vielfältigen – auch sozial bedingten – und in ihrer Wirkung nicht isolierbaren Faktoren bestimmt. Als volkswirtschaftlich bedeutsame Kennziffer wird – auch in internationalen Vergleichen – der Anteil der Gesundheitsausgaben an der gesamten Wirtschaftsleistung, dem Bruttoinlandsprodukt, betrachtet. Dieser Anteil hat sich in den vergangenen Jahren moderat erhöht. Das heißt, die Gesundheitsausgaben sind etwas schneller gewachsen als andere Wirtschaftsbereiche. Da die Gesundheitsausgaben aber nicht nur auf Konsumentscheidungen privater Haushalte beruhen, sondern insbesondere durch Sozialabgaben der Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanziert werden, erscheint ihre Begrenzung und Steuerung notwendig. Gleichwohl werden die Ausgaben für die Gesundheit oft zu einseitig als Kostenfaktor gesehen. Dass neue und kostenträchtige Therapien und Technologien mit einer steigenden Lebenserwartung und Lebensqualität der Bevölkerung einhergehen, tritt häufig in den Hintergrund. Wenig betont wird auch die große Bedeutung des Gesundheitswesens als Arbeitsmarkt. In Deutschland geht etwa jeder neunte Beschäftigte einer Tätigkeit im Gesundheitswesen nach, das sind 4,2 Millionen Personen. In der Automobilindustrie arbeitet dagegen nur etwa jeder fünfzigste Beschäftigte. Die Personalintensität im Gesundheitswesen wird sich schon wegen der wachsenden Zahl älterer behandlungsoder betreuungsbedürftiger Menschen zukünftig eher erhöhen. In Deutschland wird das Gros der Gesundheitsausgaben nach wie vor von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen. Weitere Ausgabenträger sind die soziale Pflegeversicherung, die gesetzliche Rentenversicherung, die gesetzliche Unfallversicherung, die private Krankenversicherung, die Arbeitgeber, die öffentlichen Haushalte sowie die privaten Haushalte und sonstige Organisationen ohne Erwerbszweck. Mit Ausnahme der öffentlichen Haushalte sind in den Jahren 1993 bis 2003 die Gesundheitsausgaben sämtlicher Ausgabenträger deutlich gestiegen. Hauptgrund für den Rückgang der Gesundheitsausgaben der öffentlichen Haushalte war die Einführung der Pflegeversicherung, die vor allem die öffentlichen Träger der Sozialhilfeleistungen entlastet hat. Die höchsten Zuwächse gab es bei den privaten Haushalten und Organisationen ohne Erwerbszweck sowie der privaten Krankenversicherung. Rund die Hälfte der Gesamtkosten entfallen auf ärztliche sowie pflegerisch-therapeutische Leistungen. Mehr als ein Viertel wird für die so genannten Waren, nämlich Arzneimittel, Heil- und Hilfsmittel sowie Zahnersatz verausgabt. Die Ausgaben für präventive Maßnahmen sind zwar von 1993 bis 2003 um rund 4 Milliarden Euro angewachsen, ihr Anteil von rund 5 Prozent an den Gesamtausgaben hat sich hierdurch aber kaum erhöht. Auch der Verwaltungskostenanteil von rund 5,5 Prozent ist trotz Ausgabensteigerungen seit 1993 nur leicht angewachsen. Die Ausgaben für die Waren im Gesundheitswesen, hierzu zählen Arzneimittel, Hilfsmittel, Zahnersatz und sonstiger medizinischer Bedarf, wiesen 2003 mit rund 64 Milliarden Euro einen höheren Ausgabenanteil auf als die jeweiligen Ausgabenanteile für ärztliche Leistungen (rund 62 Milliarden Euro) sowie für pflegerische und therapeutische Leistungen (rund 55 Milliarden Euro). Dieses Verhältnis war im Jahr 1993 noch umgekehrt und zeigt eine deutliche Verschiebung im Leistungsgeschehen. Bezieht man die Gesundheitsausgaben auf die Art der Einrichtung, so fließt das meiste Geld in den ambulanten Sektor, also die Arzt- und Zahnarztpraxen, die Apotheken, die Praxen sonstiger Leistungserbringer, das Gesundheitshandwerk und in die ambulante Pflege. Für diese Bereiche wurden 2003 rund 112 Milliarden Euro ausgegeben. Im gängigen Vergleich der Ausgaben für Krankenhäuser gegenüber ambulanten Arztpraxen entstehen mit rund 65 Milliarden Euro deutlich höhere Ausgaben in Krankenhäusern als in Arzt- und Zahnarztpraxen (rund 48 Milliarden Euro). Durch die gesellschaftspolitisch erwünschte und gesetzlich fixierte Erhöhung des Leistungsumfangs in der Pflege fallen die Ausgabensteigerungen in den Pflegeeinrichtungen im betrachteten Zehnjahreszeitraum am deutlichsten aus. Eine Aufschlüsselung nach Krankheiten zeigt, dass die meisten Kosten durch Herz-Kreislauf-Leiden verursacht werden. Es folgen die Ausgaben für Krankheiten des Verdauungssystems, zu denen insbesondere die hohen Aufwendungen für zahnärztliche Leistungen und Zahnersatz zählen. An dritter Stelle stehen die durch Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes bedingten Ausgaben. Insgesamt variieren die Krankheitskosten erheblich in Abhängigkeit von Lebensalter und Geschlecht. Der Anstieg der Gesundheitsausgaben ist kein deutsches Phänomen und lässt sich in allen westlichen Industrienationen zum Teil deutlich ausgeprägter beobachten. Vergleicht man die ProKopf-Ausgaben, so liegt Deutschland ähnlich wie die Schweiz und die Niederlande über dem internationalen Durchschnitt. Alle diese Länder messen der Sicherung der Gesundheit ihrer Bevölkerung einen hohen Stellenwert bei. 186 | Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | Gesundheitsausgaben 300 Ausgaben in Mrd. Euro 250 200 150 100 50 0 1993 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 03 Jahr Gesundheitsausgaben Abbildung 5.1.1: Entwicklung der Gesundheitsausgaben in Deutschland (nominal). Quelle: Statistisches Bundesamt 2005 Gesetzgebung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung Als Folge der deutschen Wiedervereinigung in den Jahren 1989/1990 wurde in den neuen Ländern das gesundheitliche Versorgungssystem weitestgehend nach den Grundsätzen des früheren Bundesgebietes umorganisiert. Hierzu gehörten auch erhebliche Transferleistungen zur Verbesserung der Ausstattung medizinischer Einrichtungen. Diese ermöglichten es, den Menschen in den neuen Bundesländern in relativ kurzer Zeit das gesamte Leistungsangebot der Versicherungsträger im früheren Bundesgebiet verfügbar zu machen. Bei sämtlichen Ausgabenträgern sind daher – auch in gesonderter Betrachtung – deutliche Ausgabensteigerungen als Folge der Wiedervereinigung zu verzeichnen. Neben diesen bewusst in Kauf genommenen Ausgabenzuwächsen kam es jedoch auch im früheren Bundesgebiet zu Ausgabensteigerungen und Einnahmeproblemen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die gesetzgeberischen Handlungsbedarf ausgelöst haben. Mit dem Gesundheitsstrukturgesetz, das zum 1. Januar 1993 in Kraft getreten ist, wurden neben Maßnahmen zur Ausgabenbegrenzung der Risikostrukturausgleich und das freie Kassenwahlrecht für die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt. Die Gesetzesänderungen in den Jahren 1996 und 1997 bremsten erneut den Ausgabenanstieg und bewirkten sogar einen kurzzeitigen Rückgang der GKV-Ausgaben. Trotz teilweise verminderter Zuzahlungen sowie gezielter Leistungsverbesserungen durch das Solidaritätsstärkungsgesetz 1997 und die Gesundheitsreform 2000 verliefen die Zuwachsraten zunächst moderat. Seit dem Jahr 2001 hat sich der Anstieg allerdings wieder leicht beschleunigt. Diese Situation, die durch wachsende Einnahmeprobleme in der gesetzlichen Krankenversicherung verschärft wurde und zu Beitragssatzsteigerungen führte, machte weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarf erforderlich. Im Unterschied zur primären Ausrichtung gesetzgeberischer Eingriffe auf reine Kostendämpfung beinhaltet die Gesetzgebung seit 2000 jedoch eine Vielzahl struktureller Maßnahmen zur Qualitäts- und Effizienzsteigerung sowie zur stärkeren Patientenorientierung. In den Jahren 2001 und 2002 sind auch bei den anderen Ausgabenträgern (siehe unten) zum Teil deutliche Ausgabenanstiege zu verzeichnen, die neben dem allen Trägern gemeinsamen Einfluss der konjunkturellen Entwicklung deren jeweilige Besonderheiten spiegeln. Gesundheitsausgaben | Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | 187 5.1 Gesundheitsausgaben Ω Zusammenfassung Die Gesundheitsausgaben in Deutschland betrugen im Jahr 2003 rund 240 Milliarden Euro. Gegenüber 1993 sind sie um 71,7 Milliarden Euro gestiegen, was einem Gesamtzuwachs von rund 43 Prozent entspricht. Deutliche Ausgabenzuwächse waren insbesondere in den Jahren 1994 bis 1996 zu verzeichnen. Diese lassen sich auf Wiedervereinigungseffekte durch den seinerzeitigen Nachholbedarf in den neuen Ländern zurückführen, auf die Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995, aber auch auf überproportionale Zuwächse in einzelnen Leistungsbereichen, die unter anderem auch gesetzgeberischen Handlungsbedarf ausgelöst haben. Wesentlicher Ausgabenträger war mit einem Ausgabenvolumen von rund 136 Milliarden Euro im Jahr 2003 die gesetzliche Krankenversicherung. Ihre Aufwendungen sind in der vergangenen Dekade vergleichsweise moderat um durchschnittlich 3,2 Prozent jährlich gestiegen. Dieses moderate Wachstum ist zum Teil auf ausgabenbegrenzende Maßnahmen des Gesetzgebers zurückzuführen. Dennoch erscheint in einzelnen Teilbereichen – etwa der Arzneimittelversorgung – die Erschließung zusätzlicher Wirtschaftlichkeitsreserven evident. Dagegen wuchsen die Ausgaben der privaten Krankenversicherung überdurchschnittlich um 4,8 Prozent pro Jahr. Auch die Aufwendungen der sozialen Pflegeversicherung haben sich seit ihrer Einführung im Jahr 1995, insbesondere durch die Einführung der stationären Leistungen im Jahr 1996, deutlich erhöht. Hierdurch wurden die öffentlichen Haushalte – insbesondere der Kommunen – entlastet. Nur deren Ausgaben sind gegenüber 1993 zurückgegangen. Knapp die Hälfte der gesamten Gesundheitsausgaben war 2003 den ärztlichen sowie pflegerischen und therapeutischen Leistungen zuzurechnen. Gut ein Viertel entfiel auf Waren, zu denen beispielsweise Arzneimittel und Zahnersatz zählen. 5,5 Prozent der Gesundheitsausgaben wurden für die Verwaltungsleistungen der Sozialversicherungsträger und der privaten Krankenversicherung aufgebracht. Definition Unter Gesundheitsausgaben versteht man die Ausgaben für den Endverbrauch von Gesundheitsgütern und -dienstleistungen sowie die Investitionen im Gesundheitssektor. Vorleistungen wie beispielsweise die Produktion von Arzneimitteln durch die Pharmaindustrie und ihr Absatz an Apotheken finden sich nicht explizit unter den Gesundheitsausgaben wieder. Ausgewiesen werden dagegen Forschungs- und Entwicklungskosten, sofern sie zu Lasten der Ausgabenträger gehen, die das Statistische Bundesamt bei seiner Gesundheitsausgabenrechnung berücksichtigt. Auch Aufwendungen für Pflege, betriebliche Gesundheitssicherung und gesundheitliche Maßnahmen zur Wiedereingliederung ins Berufsleben gelten als Gesundheitsausgaben. Unberücksichtigt bleiben Ausgaben, die im weiteren Sinne mit dem Gesundheitszustand einhergehen können. Dazu zählt beispielsweise die Unterbringung in Altenwohnheimen, wo die Bekämpfung von Gesundheitsproblemen nicht das hauptsächliche Ziel darstellt. Ebenfalls nicht enthalten sind die Kosten für Fitness oder Wellness. Als Einkommensleistungen bezeichnet man Transferzahlungen wie Krankengelder, vorzeitige Renten bei Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit sowie Entgeltfortzahlungen. Sie dienen hauptsächlich der allgemeinen Lebensführung erkrankter oder verletzter Menschen und bewahren diese im Krankheitsfall vor finanziellen Notlagen. In der Gesundheitsausgabenrechnung werden sie nicht zu den eigentlichen Gesundheitsausgaben im engeren Sinne gezählt und sind separat ausgewiesen. Die Deutschen geben jährlich rund 240 Milliarden Euro für ihre Gesundheit aus. Die Gesundheitsausgaben in Deutschland betrugen im Jahr 2003 insgesamt 239,7 Mrd. Euro. Weitere 65,3 Milliarden Euro wurden für Einkommensleistungen aufgewendet. Die darin enthaltenen Ausgaben für Krankengeld und die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sind infolge des rückläufigen Krankenstandes in den letzten Jahren deutlich gesunken. Die Entwicklung ist geprägt von Ausgabenzuwächsen und intensiver Gesetzgebung. Zwischen 1993 und 2003 sind die Gesundheitsausgaben nominal (in jeweiligen Preisen) um insgesamt 71,7 Milliarden Euro beziehungsweise 42,7 Prozent gestiegen (siehe Abbildung 5.1.1). Das entspricht einer realen Steigerung (in konstanten Preisen ohne Inflation) von 20,2 Prozent. Die Preise für Gesundheitsleistungen steigen im Allgemeinen stärker als das durchschnittliche Preisniveau. Dieser so genannte negative Preisstruktureffekt (der für Dienstleistungsbranchen insgesamt typisch ist) lässt sich darauf zurückführen, dass im Gesundheitssektor die Lohnentwicklung ähnlich verläuft wie in anderen Wirtschaftsbereichen, die Arbeitsproduktivität aber vergleichsweise langsamer zunimmt [1]. Die Ausgabenzuwächse im Gesundheitswesen erklärt dies aber nur teilweise. Die Gesundheitsausgaben sind besonders stark zwischen 1993 und 1996 gewachsen, ab 1997 stiegen sie deutlich langsamer an. Die Gründe für die deutlichere Steigerung bis Mitte der 1990er Jahre liegen in der Wiedervereinigung sowie den Leistungsausweitungen durch die Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995. Erklärungsansätze für veränderte Gesundheitsausgaben müssen auch das Erkrankungsgeschehen der Bevölkerung als wesentliche Einflussgröße für die Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitswesens berücksichtigen, auch wenn ein direkter Zusammenhang zwischen den Trends bei den Gesundheitsausgaben und dem Gesundheitszustand der Bevölkerung nicht eindeutig nachweisbar ist. So ist die Zahl der Krankenhauspatienten je 100 000 Einwohner im Zehnjahreszeitraum 1993 bis 2003 deutlich gestiegen. Bei der durchschnittlichen Zahl der Arztkontakte ist dagegen ein klar abnehmender Trend festzustellen [2]. Für detaillierte Informationen zum Angebot und zur Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung wird auf das Kapitel 4 des vorliegenden Berichts verwiesen. 5.1.1 Ausgaben nach Ausgabenträgern Die gesetzlichen Krankenkassen sind der bedeutsamste Ausgabenträger. Eine Vielzahl von Ausgabenträgern kommt in Deutschland für die Leistungen im Gesundheitswesen auf. Dazu zählen die gesetzliche Krankenversicherung, die soziale Pflegeversicherung, die gesetzliche Rentenversicherung, die gesetzliche Unfallversicherung, die private Krankenversicherung einschließlich privater Pflege-Pflichtversicherung, die privaten Haushalte und die privaten Organisationen ohne Erwerbszweck (beispielsweise Kirchen oder andere karitative Organisationen), die Arbeitgeber sowie die öffentlichen Haushalte (beispielsweise Sozialhilfeträger). 56,7 Prozent der Gesundheitsausgaben wurden im Jahr 2003 von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen, das entspricht 136 Milliarden Euro. Zweitgrößter Ausgabenträger waren die privaten Haushalte und privaten Organisationen ohne Erwerbszweck. Sie wendeten 29,4 Milliarden Euro für 188 | Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | Gesundheitsausgaben 300 Ausgaben in Mrd. Euro 250 200 150 100 50 0 1993 94 95 96 97 soziale Pflegeversicherung 98 99 2000 01 02 03 private Krankenversicherung 1) Sonstige 2) private Haushalte/private Org. o.E. öffentliche Haushalte gesetzliche Krankenversicherung 1) Einschließlich privater Pflege-Pflichtversicherung (ab 1995), Postbeamtenkrankenkasse und Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten 2) Gesetzliche Rentenversicherung, gesetzliche Unfallversicherung, Arbeitgeber Abbildung 5.1.2: Entwicklung der Gesundheitsausgaben nach Ausgabenträgern. Quelle: Statistisches Bundesamt 2005 Gesundheitsgüter und -dienstleistungen auf und trugen damit 12,3 Prozent aller Ausgaben. Mit 20,6 Milliarden Euro (8,6 Prozent) folgte die private Krankenversicherung an dritter Stelle. Bei privaten Kassen und Pflegeversicherung wuchsen die Ausgaben am stärksten. Vom Kostenanstieg zwischen 1993 und 2003 waren – mit Ausnahme der öffentlichen Haushalte – alle Ausgabenträger betroffen. Die Zuwächse fielen dabei je nach Träger sehr unterschiedlich aus. Den stärksten prozentualen Ausgabenanstieg hatte die private Krankenversicherung (PKV) zu verzeichnen. Die durchschnittliche jährliche Steigerungsrate ihrer Ausgaben lag bei 4,8 Prozent. Absolut stiegen die Ausgaben der PKV im betrachteten Zeitraum damit um 7,7 Milliarden Euro. Darin enthalten sind unter anderem auch die Ausgaben für die private Pflege-Pflichtversicherung (ab 1995) sowie die Versicherungen für Post- und Bahnbeamte. Ausschlaggebend für den Anstieg waren insbesondere die Kostenzuwächse bei den Arzneimitteln und der Verwaltung. Die soziale Pflegeversicherung ist im Rahmen der Langzeitbetrachtung der Gesundheitsausgaben von 1993 bis 2003 als Sonderfall zu behandeln, weil sie ab dem Jahr 1995 stufenweise eingeführt wurde. Dadurch erklären sich die Ausgabenanstiege zwischen 1995 und 2003 (siehe Abschnitt 5.1.1.1 zu Auswirkungen der sozialen Pflegeversicherung). Auch für die privaten Haushalte und Organisationen ohne Erwerbszweck ergab sich ein überdurchschnittliches Wachstum von elf Milliarden Euro, was einer jährlichen Steigerungsrate von durchschnittlich 4,7 Prozent entspricht. Insbesondere die Kostenzuwächse bei den pflegerischen und therapeutischen Leistungen sorgten für ein überdurchschnittliches Ansteigen der Ausgaben. Für die gesetzliche Krankenversicherung ergab sich ein Anstieg um insgesamt 36,8 Milliarden Euro. Die durchschnittliche jährliche Steigerungsrate lag mit 3,2 Prozent unter der Entwicklung der Gesundheitsausgaben insgesamt, die durchschnittlich um 3,6 Prozent anwuchsen. Die vergleichsweise moderaten Steigerungsraten beim bedeutsamsten Ausgabenträger zeigen die Wirksamkeit der gesetzgeberischen Eingriffe sowie die erzielten Effizienzgewinne. Die Ausgaben der öffentlichen und privaten Arbeitgeber erhöhten sich zwischen 1993 und 2003 um rund drei Milliarden Euro (3 Prozent jährlich). Deutliche Auswirkungen auf die von der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) getragenen Gesundheitsausgaben hatte die Einführung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes zum 1. Januar 1997. Durch das Gesetz wurde die Dauer von Rehabilitationsmaßnahmen generell von vier auf drei Wochen gekürzt, woraufhin die Zahl der durchgeführten medizinischen Rehabilitationsleistungen deutlich gesunken ist. Die Gesundheitsausgaben der GRV, hinter denen sich im Wesentlichen die von der GRV finanzierten Rehabilitationsmaßnahmen verbergen, gingen im selben Jahr um 27 Prozent zurück. Im Jahr 2003 wendete die GRV 4,3 Millionen Euro für Rehabilitationsmaßnahmen und andere Gesundheitsleistungen auf, das waren 0,2 Milliarden Euro mehr als 1993, ein im Vergleich zu den anderen Ausgabenträgern insgesamt weit unterdurchschnittlicher Anstieg. Lediglich die Ausgaben der öffentlichen Haushalte, zu denen unter anderem Sozialhilfeaufwendungen mit Gesundheitsbezug und Ausgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes zählen, waren zwischen 1993 und 2003 rückläufig. Der Rückgang belief sich auf insgesamt 3,8 Milliarden Euro. Dieser Rückgang ist vor allem auf die Einführung der sozialen Pflegeversicherung zurückzuführen, die für sich allein genommen sogar zu Gesundheitsausgaben | Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | 189 einer deutlichen und nachhaltigen Entlastung der öffentlichen Haushalte um rund 6 Milliarden Euro gegenüber 1994 geführt hat [3]. 5.1.1.1 Auswirkungen der sozialen Pflegeversicherung Die Pflegeversicherung wurde in Deutschland 1995 als eigenständige fünfte Säule der sozialen Sicherung eingeführt, nachdem in den 1980er Jahren immer deutlicher wurde, dass von Pflegebedürftigkeit immer mehr Menschen betroffen sind und die pflegerische Versorgung die Pflegebedürftigen und ihre Familien häufig überforderte. Im Jahr 2003 wurden von der sozialen Pflegeversicherung 17,5 Milliarden Euro verausgabt. Vom Volumen her war die vollstationäre Pflege am bedeutendsten (47 Prozent), danach kamen das Pflegegeld (23 Prozent) und die Pflegesachleistung (14 Prozent) [3]. Von den gesamten Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung entfielen knapp eine Milliarde Euro auf die Leistungen zur sozialen Sicherung der Pflegepersonen: Da diese Leistungen eher den Charakter von Einkommens- anstatt von Sachleistungen haben, bleiben sie bei der folgenden Analyse unberücksichtigt. Zwischen 1995 und 2003 sind mit der stufenweisen Einführung auch die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung gewachsen. Dieser Ausgabenanstieg erklärt sich durch die Neuregelung der Finanzierung der Pflegekosten, die eine Umschichtung der entsprechenden Ausgaben zur sozialen Pflegeversicherung und gleichzeitige Entlastung der bisherigen Ausgabenträger bewirkte. Die einzelnen Ausgabenträger waren davon unterschiedlich betroffen. Insbesondere die Ausgaben der öffentlichen Haushalte für pflegerische Leistungen verringerten sich spürbar, da viele Pflegebedürftige mit der Einführung der Pflegeversicherung nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen waren, sondern ihren Pflegebedarf aus eigenen Mitteln sicherstellen konnten. Der Ausgabenzuwachs für pflegerische Leistungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung war moderat, weil er ein anderes Leistungssegment als die Langzeitpflege umfasst. Zwischen 1997 (dem ersten Jahr der vollen Einführung) und 2003 sind die Ausgaben der Pflegeversicherung um 16 Prozent gestiegen. Die Ausgabenentwicklung der sozialen Pflegeversicherung spiegelt auch den steigenden Leistungsbedarf der Bevölkerung wider. Die Zahl der Leistungsempfängerinnen und -empfänger ist seit Einführung der Pflegeversicherung deutlich gestiegen, allerdings hat sich der Anstieg der Pflegebedürftigen in den letzten Jahren im Verhältnis zum früheren Verlauf abgeschwächt [3]. Im Jahr 2003 erhielten rund 2,1 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland ambulante und stationäre Leistungen der Pflegeversicherung, das entspricht 2,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland (siehe auch Kapitel 1.3.4 Pflegebedürftigkeit). Der Pflegebedarf zeigt dabei einen klar erkenn- Definition Von der sozialen Pflegeversicherung werden die Ausgaben für Leistungen der aktivierenden Pflege nach Eintritt von Pflegebedürftigkeit getragen. Im Jahr 2003 entfielen auf sie 35 Prozent der Gesamtausgaben für pflegerische Leistungen aller Ausgabenträger. Die gesetzliche Krankenversicherung trägt demgegenüber insbesondere die Ausgaben für unterhaltssichernde und andere Leistungen, die notwendig sind, um eine Pflegebedürftigkeit unter anderem abzuwenden, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern, sowie die Ausgaben für häusliche Krankenpflege. Auf die gesetzliche Krankenversicherung entfielen im Jahr 2003 anteilig 41,8 Prozent der Gesamtausgaben für pflegerische Leistungen. baren Trend zur professionellen Pflege durch ambulante Pflegedienste und in Pflegeheimen. Mit dem steigenden Pflegebedarf der Bevölkerung hat sich darüber hinaus die Infrastruktur der Pflegeeinrichtungen deutlich verbessert. Bundesweit waren im Dezember 2003 insgesamt 10 600 ambulante Pflegedienste und rund 9 700 voll- bzw. teilstationäre Pflegeheime zugelassen. Die Anzahl der ambulanten Pflegedienste hat sich damit in Anlehnung an die Entwicklung der Empfänger ambulanter Leistungen auf hohem Niveau stabilisiert, die der Pflegeheime ist gegenüber 1999 um 10 Prozent gestiegen. Die Strukturveränderungen bei den Leistungsempfängern und Pflegeeinrichtungen wirken sich auf die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung aus. Die Bedeutung der stationären und teilstationären Pflege im Ausgabengeschehen der sozialen Pflegeversicherung ist im Laufe der Jahre entsprechend weiter gestiegen. Auf sie entfielen im Jahr 2003 mit 8,4 Milliarden Euro über die Hälfte der Gesamtausgaben der sozialen Pflegeversicherung. Für ambulante Pflege wurden rund 17 Prozent (2,8 Milliarden Euro) verausgabt. Ein Viertel der Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung (4,1 Milliarden Euro) floss an sonstige Einrichtungen und private Haushalte, insbesondere in Form von Pflegegeld. Die in den ersten Jahren nach der Einführung der Pflegeversicherung unterschiedlich hohen Ausgabenzuwächse bei der von der sozialen Pflegeversicherung zu tragenden ambulanten und stationären/teilstationären Pflege haben sich seit dem Jahr 2000 weitgehend angeglichen und liegen seitdem im Jahresdurchschnitt bei rund drei Prozent. Die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung an sonstige Einrichtungen und private Haushalte gehen dagegen seit 1997 kontinuierlich im Jahresdurchschnitt um ein Prozent zurück. Insgesamt dürfte die Bedeutung der pflegerischen Leistungen weiter steigen, da mit einer wachsenden Zahl älterer, pflegebedürftiger Menschen zu rechnen ist [3]. 5.1.2 Ausgaben nach Leistungen Der Löwenanteil der Ausgaben entfällt auf wenige Leistungsarten. Unter den vielfältigen Leistungen im Gesundheitswesen lassen sich einige besonders ausgabenintensive Leistungsarten ausmachen. So entfällt knapp die Hälfte aller Ausgaben auf ärztliche und pflegerisch-therapeutische Leistungen, gut ein Viertel aller Ausgaben werden für so genannte Waren aufgewendet. Hierzu zählen Arzneimittel, Hilfsmittel, Zahnersatz und sonstiger medizinischer Bedarf. Im Jahr 2003 wurden für ärztliche und pflegerisch-therapeutische Leistungen rund 117 Milliarden Euro verausgabt und für Waren immerhin mehr als 64,1 Milliarden Euro. Dabei entfielen 59 Prozent der Ausgaben für Waren auf Arzneimittel, 20 Prozent auf Hilfsmittel, zehn Prozent auf Zahnersatz und zwölf Prozent auf sonstigen medizinischen Bedarf. Die Ausgaben für Waren hatten im Jahr 2003 einen höheren Anteil an den gesamten Gesundheitsausgaben als die ärztlichen Leistungen (26,8 Prozent gegenüber 26 Prozent). Im Jahr 1993 war das Verhältnis noch umgekehrt: Für ärztliche Leistungen wurden rund 28,5 Prozent der Mittel verausgabt, für Waren „nur“ 25,3 Prozent. Die pflegerischen und therapeutischen Leistungen nahmen im Jahr 2003 mit 22,8 Prozent den dritten Rang in dieser Betrachtungsweise der Ausgabenstatistik ein. 190 | Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | Gesundheitsausgaben 300 Leistungsarten in Mrd. Euro 250 200 150 100 50 0 1993 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 03 Sonstige 1) pflegerische/therapeutische Leistungen Verwaltungsleistungen ärztliche Leistungen Unterkunft/Verpflegung Waren 1) Prävention/Gesundheitsschutz, Ausgleich krankheitsbedingter Folgen, Transporte, Forschung/Ausbildung/Investitionen Abbildung 5.1.3: Entwicklung der Gesundheitsausgaben nach Leistungsarten. Quelle: Statistisches Bundesamt 2005 300 Ausgaben in Mrd. Euro 250 200 150 100 50 0 1993 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 Sonstige 1) Verwaltung Investitionen stationäre/teilstationäre Einrichtungen sonstige Einrichtungen und private Haushalte ambulante Einrichtungen 03 1) Gesundheitsschutz, Rettungsdienste, Ausland Abbildung 5.1.4: Entwicklung der Gesundheitsausgaben nach Einrichtungen. Quelle: Statistisches Bundesamt 2005 Arzneimittel gehören zu den größten Ausgabenblöcken der gesetzlichen Kassen. Einfluss auf die Arzneimittelausgaben hatten sowohl das Gesundheitsstrukturgesetz 1993 als auch die Gesetzesänderungen im Jahr 1997. In beiden Fällen wurden die Patientenzuzahlungen erhöht. 1993 wurde zusätzlich eine Regresspflicht für die verordnenden Leistungserbringer eingeführt, die zu einem Unterschreiten des seinerzeit vereinbarten Arzneimittelbudgets führten und die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen kurzfristig deutlich sinken ließen. Trotz zahlreicher struktureller Maßnahmen, wie beispielsweise die Einführung und Erweiterung von Festbetragsregelungen, die Förderung der Verordnung preisgünstiger Generika oder die Veränderung der Hersteller-, Großhandels- und Apothekenrabatte stiegen die Arzneimittelausgaben weiter an und lösten wiederholten gesetzgeberischen Interventionsbedarf aus. Von 1993 bis 2003 sind allein die GKV-Ausgaben für Arzneimittel um 10 Milliarden Euro (oder 4,9 Prozent pro Jahr) auf 26,2 Milliarden Euro gestiegen. Von allen Ausgabenträgern zusammen wurden 2003 insgesamt 37,5 Milliarden Euro für Arzneimittel verausgabt. Beim Zahnersatz wechselten sich von 1993 bis 2003 Ausgabenzuwächse und -rückgänge ab. Auslöser für diese Entwicklung waren verschiedene Gesetzesänderungen. Bis zum Inkrafttreten von therapiebezogenen Festzuschüssen im Jahr 1998 stiegen die Ausgaben der Kassen für Zahnersatz kontinuierlich an. Die Einführung von therapiebezogenen Festzuschüssen ging mit einem drastischen Rückgang der Zahnersatzausgaben einher. Mit der Wiedereinführung der prozentualen Bezuschussung stiegen die Kassenausgaben für Zahnersatz bis zum Jahr 2003 wieder auf 3,8 Milliarden Euro an. Die gesamten GKV-Ausgaben für die zahnärztliche Behandlung einschließlich Zahnersatz wuchsen von 9,7 Milliarden Euro (1993) auf 11,8 Milliarden Euro (2003) an. Das entspricht einer im Vergleich zu den Gesundheitsausgaben unterdurchschnittlichen Steigerung von 2,0 Prozent pro Jahr. Rund 0,4 Milliarden Euro der GKV-Ausgaben entfielen 2003 auf prophylaktische Leistungen der Kassen. Die Ausgaben für ärztliche Leistungen stiegen zwischen 1993 und 2003 um 14,3 Milliarden Euro und betrugen 62,3 Milliarden Euro im Jahr 2003. Auch das entspricht einer im Vergleich zu den Gesamtausgaben unterdurchschnittlichen Steigerung von 2,7 Prozent pro Jahr. Der eher moderate Anstieg ist unter anderem auch auf die Budgetierung des überwiegenden Teils der ambulanten ärztlichen Leistungen zurückzuführen. Dennoch waren die ärztlichen Leistungen für rund ein Fünftel des Gesamtanstiegs der Gesundheitsausgaben verantwortlich. Die „Deckelung“ hat den Anstieg der Verwaltungsausgaben der Krankenkassen gebremst. Für gesundheitsbezogene Verwaltungsleistungen der Sozialversicherungsträger (gesetzliche Kranken-, Renten- und Unfallversicherung sowie soziale Pflegeversicherung) mussten im Jahr 2003 insgesamt 9,5 Milliarden Euro aufgewendet werden. Das waren insgesamt 3,2 Milli- Definition Zu den Verwaltungsleistungen der Sozialversicherungsträger gehören neben den so genannten sächlichen Verwaltungskosten wie Gebäu demieten, Kosten für Telekommunikation, technische Geräteausstattung, EDV-Software und Ähnliches auch die „persönlichen Verwaltungskosten“, die vorwiegend Gehälter, Alterssicherungen usw. umfassen. Hinzu kommen unter anderem Kosten für Rechtsverfolgung, für Schiedsämter, für Patientenberatung bei Verdacht von Behandlungsfehlern und vieles andere mehr. Gesundheitsausgaben | Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | 191 arden Euro mehr als noch 1993, was einem mittleren Anstieg um 4,1 Prozent pro Jahr entspricht. Die Verwaltungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung betrugen im Jahr 2003 rund acht Milliarden Euro. Seit 1993 sind sie um durchschnittlich 3,7 Prozent pro Jahr gestiegen. Ein Teil des Anstiegs ist auf historisch bedingte Besonderheiten bei den Betriebskrankenkassen zurückzuführen. Eine Reihe von Betriebskrankenkassen hat seit Mitte der 1990er Jahre von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, persönliche Verwaltungskosten, die vorher vom Arbeitgeber übernommen wurden, auf die Kasse zu übertragen und damit in gleicher Weise zu verfahren wie die anderen Krankenkassen. Sie tauchen erst seit der Neuregelung in den Gesundheitsausgaben auf. Weil die Verwaltungsausgaben im Gesundheitswesen in den letzten Jahren weit überdurchschnittlich angestiegen waren, wurden sie „gedeckelt“. Das bedeutet: Die Verwaltungsausgaben der Krankenkassen dürfen nicht stärker steigen als die Einkommen ihrer Mitglieder. Liegen die Verwaltungskosten einer Krankenkasse pro Mitglied mehr als zehn Prozent über dem Durchschnitt, dann werden sie auf dem gegebenen Niveau eingefroren. Durch die „Deckelung“ der Verwaltungsausgaben konnten deren hohe jährliche Zuwächse von zuletzt 6,2 Prozent im Jahr 2002 auf 1,7 Prozent im Jahr 2003 deutlich reduziert werden. Der Anteil der Verwaltungsausgaben an den gesamten GKV-Leistungsausgaben konnte hierdurch von dem Rekordwert von 5,9 Prozent im Jahr 2002 auf 5,8 Prozent im Jahr 2003 gesenkt werden. Die gesetzlichen Krankenkassen weisen damit aber immer noch deutlich geringere anteilige Verwaltungsausgaben als eine durchschnittliche private Krankenversicherung auf, die durch einen umfangreichen Außendienst und damit verbundene Provisionszahlungen bei 17,6 Prozent ihrer Gesundheitsausgaben liegt. Im Jahr 2003 betrugen die Verwaltungsausgaben der privaten Krankenversicherung 3,6 Milliarden Euro. Seit 1993 sind sie um durchschnittlich 5,4 Prozent im Jahr gewachsen. 5.1.3 Ausgaben nach Einrichtungen Die Leistungen der Krankenhäuser sind von jeher der größte Einzelausgabenblock. Mit knapp 65 Milliarden Euro wurden 27 Prozent aller Gesundheitsausgaben im Jahr 2003 durch Leistungen der Krankenhäuser veranlasst. Dies waren 15,2 Milliarden Euro mehr als im Jahr 1993. Innerhalb von zehn Jahren sind die Gesundheitsausgaben der Krankenhäuser durchschnittlich um 2,7 Prozent pro Jahr gestiegen. Anfänglich höhere Zuwächse (1994 stiegen beispielsweise die Ausgaben um 7,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr) wurden durch veränderte gesetzliche Rahmenbedingungen unter anderem in Form des Gesetzes zur Stabilisierung der Krankenhausausgaben 1996 auf durchschnittlich jährlich 2,3 Prozent zwischen 1996 und 2002 zurückgeführt. Mit der Einführung der leistungsorientierten Vergütung nach diagnosebezogenen Fallpauschalen in den Krankenhäusern im Jahr 2003 und dem Wegfall des bisherigen Selbstkostendeckungsprinzips ging ein Ausgabenanstieg von nur noch 0,9 Prozent einher. In der Ausgabenentwicklung spiegelt sich auch der mit den gesetzlichen Neuregelungen einhergehende Konzentrationsprozess der Einrichtungen wieder (siehe hierzu auch Abschnitt 4.2.1 „Krankenhäuser“ des vorliegenden Berichts). Der hohe Anteil der Krankenhäuser an den gesamten Gesundheitsausgaben hängt mit Art und Schwere der dort behandelten Erkrankungen und der entsprechenden personellen, medizinischen und technischen Ausstattung zusammen. Im Jahr 2003 wurden rund 34 Prozent (21,8 Milliarden Euro) der Gesundheitsausgaben im Krankenhaus durch pflegerische und therapeutische Leistungen veranlasst, rund 30 Prozent (19,2 Milliarden Euro) entfielen auf die ärztlichen Leistungen. Die pflegerischen und therapeutischen Leistungen trugen überdurchschnittlich zum Ausgabenwachstum in den Krankenhäusern bei (Anstieg um 3,4 Prozent pro Jahr; ärztliche Leistungen: Anstieg um 2,7 Prozent pro Jahr). Arztpraxen und Apotheken geben zusammen etwa genauso viel aus wie Krankenhäuser. Die Gesundheitsausgaben der Arztpraxen beliefen sich im Jahr 2003 auf 32,5 Milliarden Euro, die der Apotheken auf 33 Milliarden Euro. Die Ausgaben beider Einrichtungen haben sich in den letzten Jahren immer stärker angenähert. Das durchschnittliche jährliche Ausgabenwachstum der Apotheken lag über dem der Arztpraxen (mit 4,7 Prozent gegenüber 3,4 Prozent). Ausgabenstärkste Einzelposten der Arztpraxen sind die ärztlichen Leistungen, auf die mit 22,8 Milliarden Euro im Jahr 2003 rund 70 Prozent der Ausgaben in den Arztpraxen entfielen. Ihr Ausgabenanteil hat sich im Vergleich zu 1993 etwas verringert. Bei den Ausgaben für Leistungen im Rahmen der Krankheitsprävention verhält es sich umgekehrt. Für sie wurde im Jahr 2003 in den Arztpraxen mit 2,6 Milliarden Euro fast doppelt so viel ausgegeben wie zehn Jahre zuvor. Die Gesundheitsausgaben der Apotheken konzentrieren sich von jeher auf Arzneimittel. Im Jahr 2003 wurden von den Apotheken 32,2 Milliarden Euro für Arzneimittel und 0,8 Milliarden Euro für Hilfsmittel, die über die Apotheken vertrieben werden, aufgewendet. Durch die Einführung der Pflegeversicherung haben die Ausgaben der ambulanten Pflegeeinrichtungen an Bedeutung gewonnen. Der größte Teil der Ausgaben entsteht aber nach wie vor in stationären Einrichtungen und ist im Lauf der Jahre weiter gestiegen. In ambulanten sowie stationären und teilstationären Pflegeeinrichtungen wurden im Jahr 2003 Leistungen im Wert von insgesamt 23,6 Milliarden Euro erbracht. Das waren 10,1 Milliarden Euro mehr als zehn Jahre zuvor. 73 Prozent dieser Pflegeausgaben (17,2 Milliarden Euro) entstanden in Einrichtungen der stationären und teilstationären Pflege, 27 Prozent (6,4 Milliarden Euro) in Einrichtungen der ambulanten Pflege. In den Einführungsjahren der Pflegeversicherung 1995 und 1996 stiegen durch die damit verbundenen Leistungsausweitungen die Ausgaben der Pflegeeinrichtungen erwartungsgemäß deutlich an. Die Ausgaben der Einrichtungen für ambulante Pflege schnellten 1995 im Vergleich zum Vorjahr um rund 44 Prozent in die Höhe, die Ausgaben der Einrichtungen für stationäre und teilstationäre Pflege ein Jahr später um rund 10 Prozent. Bis zum Jahr 2003 waren durchschnittliche jährliche Ausgabenzuwächse von drei Prozent zu verzeichnen. Das Ausgabengeschehen der Pflegeeinrichtungen wird von den pflegerischen Leistungen dominiert. In der ambulanten Pflege entfielen auf diese Leistungsart im Jahr 2003 über 90 Prozent der Ausgaben, in der stationären und teilstationären Pflege knapp 76 Prozent. Ein weiterer größerer Kostenfaktor waren hier die Ausgaben für Unterbringung und Verpflegung (20,3 Prozent), Ausgaben, die bei der ambulanten Pflege nicht anfallen. Ambulant vor stationär gilt auch bei den Gesundheitsausgaben. Für den gesamten ambulanten Leistungsblock wurden im Jahr 2003 insgesamt 111,9 Milliarden Euro ausgegeben. Das waren 46,7 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben. Zu 192 | Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | Gesundheitsausgaben Primäre Finanzierer 305,0 Öffentliche Haushalte 41,8 4,8 18,8 18,2 Öffentliche und private Arbeitgeber 116,0 9,9 30,1 Private Haushalte und private Organisationen o.E 147,2 76,0 117,8 Finanzierung der Versicherungsleistungen 212,0 30,4 Einkommensleistungen 65,3 181,6 Gesundheitsausgaben 239,7 Private Haushalte 305,0 Abbildung 5.2: Finanzierungsströme im Gesundheitswesen 2003. Quelle: Statistisches Bundesamt 29,4 den ambulanten Einrichtungen gehören neben den oben angesprochenen Arztpraxen, Apotheken und ambulanten Pflegeeinrichtungen auch Zahnarztpraxen, Praxen sonstiger medizinischer Berufe und das Gesundheitshandwerk, somit eine Vielzahl unterschiedlichster Leistungserbringer. Die Ausgaben des gesamten ambulanten Bereichs stiegen nach einer Phase beschleunigten Wachstums von 1993 bis 1996 insbesondere in den Jahren 1997 bis 2000 deutlich langsamer an. Hintergrund waren unter anderem die bereits erwähnten Folgekosten der Wiedervereinigung, die Leistungsausweitungen durch die Einführung der Pflegeversicherung sowie die gesetzlichen Neuregelungen im Hinblick auf Zuzahlungen, Kassenzuschüsse und Kostenerstattungen. Anfang 1999 machte die damalige Bundesregierung zahlreiche Regelungen wieder rückgängig, was durch weitere gesetzliche Regelungen und darin enthaltene gezielte Leistungsverbesserungen zu einem wieder etwas stärkeren Wachstum der ambulanten Gesundheitsausgaben führte (2003 um 3,1 Prozent). Für den stationären Leistungsblock wurden im Jahr 2003 insgesamt 91 Milliarden Euro ausgegeben. Das waren 38 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben. Zu den stationären Einrichtungen gehören neben den oben angesprochenen Krankenhäusern sowie stationären und teilstationären Pflegeeinrichtungen auch die Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen und die Einrichtungen der beruflichen und sozialen Rehabilitation. Die Ausgaben im stationären Bereich stiegen im betrachteten Zeitraum weniger stark als im ambulanten Bereich, aber mit durchaus vergleichbarem Verlauf. Zwischen 1993 und 1995 lagen die jährlichen Wachstumsraten über fünf Prozent, danach sanken sie kontinuierlich. Für das Jahr 2003 konnte im stationären Bereich eine Ausgabensteigerung von lediglich 1,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verbucht werden. Einen überdurchschnittlichen Zuwachs zwischen 1993 und 2003 weisen auch die Ausgaben der so genannten sonstigen Einrichtungen und privaten Haushalte auf. Unter sonstigen Einrichtungen werden beispielsweise Taxiunternehmen verstanden, die eine Krankenfahrt tätigen, oder der betriebliche Gesundheitsdienst in Unternehmen, der den Beschäftigten bestimmte Gesundheitsleistungen zukommen lässt. Private Haushalte treten als „Einrichtung“ des Gesundheitswesens vor allem dann auf, wenn sie Angehörige pflegen und dafür das damit verbundene Pflegegeld erhalten. Die entsprechenden Ausgaben beliefen sich im Jahr 2003 auf 9,1 Milliarden Euro, ein Plus von fast vier Milliarden Euro in zehn Jahren. Überproportionale Ausgabenanstiege waren unter anderem in den Einführungsjahren der Pflegeversicherung durch die erstmalige Gewährung von Pflegegeld zu verzeichnen (1995: um 44 Prozent; 1996: um 14 Prozent). Finanzierungsströme | Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | 193 5.2 Finanzierungsströme Ω Zusammenfassung Die privaten Haushalte und privaten Organisationen ohne Erwerbszweck tragen den größten Anteil der Finanzierungslast im deutschen Gesundheitswesen. Im Jahr 2003 kamen von ihnen 48,3 Prozent der insgesamt 305 Milliarden Euro, die für Gesundheits- und Einkommensleistungen ausgegeben wurden. Den zweitgrößten Finanzierungsanteil von 38 Prozent schulterten die Arbeitgeber, die öffentlichen Haushalte trugen 13,7 Prozent bei. 212 der insgesamt 305 Milliarden Euro flossen in Form von Beiträgen und Zuschüssen an die Sozialversicherungsträger und privaten Krankenkassen. 58,1 Milliarden Euro wurden für Direktkäufe und Zuzahlungen ausgegeben. Die restlichen 34,9 Milliarden Euro zahlten die öffentlichen Haushalte und Arbeitgeber direkt an die privaten Haushalte, beispielsweise in Form von Lohnfortzahlungen. Seit 1993 hat sich die Finanzierungslast der öffentlichen Haushalte verringert, die der privaten Haushalte und privaten Organisationen ohne Erwerbszweck dagegen deutlich erhöht. Auch der prozentuale Finanzierungsanteil der Arbeitgeber ist gesunken. Private Haushalte und Organisationen tragen die größte Finanzierungslast. Die Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens vollzieht sich in mehreren Stufen und bezieht eine Vielzahl von Akteuren mit unterschiedlichen Rollen ein. Grundsätzlich jedoch stammen die Finanzmittel aus drei Quellen: von den privaten Haushalten und von privaten Organisationen ohne Erwerbszweck (beispielsweise Gewerkschaften, Kirchen oder Parteien); von den privaten und öffentlichen Arbeitgebern; von den öffentlichen Haushalten (beispielsweise Sozialhilfeträger) (siehe Abbildung 5.2). Im Jahr 2003 gaben diese so genannten primären Finanzierer insgesamt 305 Milliarden Euro für Gesundheits- und Einkommensleistungen aus. 48,3 Prozent davon kamen von den privaten Haushalten und privaten Organisationen ohne Erwerbszweck, 38 Prozent kamen von den Arbeitgebern und 13,7 Prozent von den öffentlichen Haushalten. Dabei wurden 212 der insgesamt 305 Milliarden Euro von den primären Finanzierern in Form von Beiträgen und Zuschüssen gezahlt, die an die Sozialversicherungsträger (gesetzliche Kranken-, Renten- und Unfallversicherung sowie soziale Pflegeversicherung) und die privaten Krankenkassen flossen. Von diesen 212 Milliarden Euro gaben die Sozialversicherungsträger und privaten Versicherer 181,6 Milliarden Euro für Gesundheitsleistungen aus. Die restlichen 30,4 Milliarden Euro zahlten sie als Einkommensleistungen, beispielsweise in Form von Krankengeldern und vorzeitigen Renten, an die privaten Haushalte. Methodischer Hinweis Bei der Analyse der Finanzierungsströme im Gesundheitswesen ist entscheidend, wer in welcher Höhe durch Gesundheitsausgaben und Einkommensleistungen belastet wird. Dabei berücksichtigt man nur jene drei Akteure, welche die wirtschaftliche Last letztlich tragen: die privaten Haushalte und privaten Organisationen ohne Erwerbszweck, die öffentlichen Haushalte sowie die Arbeitgeber. Direktkäufe und Zuzahlungen machen fast ein Fünftel der Ausgaben für Gesundheits- und Einkommensleistungen aus. Ein nicht unerheblicher Teil des Geldes fließt im Gesundheitswesen ohne die Vermittlung der Versicherungen und Krankenkassen. So gaben die primären Finanzierer 58,1 der insgesamt 305 Milliarden Euro für Direktkäufe von Gesundheitsprodukten und -leistungen sowie für Zuzahlungen aus. Weitere 34,9 Milliarden Euro flossen direkt von den Arbeitgebern und öffentlichen Haushalten an die privaten Haushalte, beispielsweise in Form von Lohnfortzahlungen. Die öffentlichen Haushalte wurden in den 1990er Jahren entlastet. Seit Anfang der 1990er Jahre hat sich die Finanzierungsstruktur im Gesundheitswesen zu Gunsten der öffentlichen Haushalte entwickelt, während sich die Finanzierungsanteile der privaten Haushalte und privaten Organisationen ohne Erwerbszweck erhöht haben. Während die öffentlichen Haushalte Anfang 1993 mit 43,8 Milliarden Euro noch über 19 Prozent der gesamten Finanzierungslast trugen, ist dieser Anteil bis zum Jahr 2003 auf rund 14 Prozent (41,8 Milliarden Euro) zurückgegangen. Der Finanzierungsanteil der privaten Haushalte und privaten Organisationen ohne Erwerbszweck wuchs dagegen von rund 41 auf 48 Prozent. Im Jahr 2003 gaben sie insgesamt 147,2 Milliarden Euro aus, das sind 52,9 Milliarden Euro mehr als im Jahr 1993. Die Aufwendungen der Arbeitgeber erhöhten sich etwa halb so stark. Ihr Finanzierungsanteil ist damit gesunken. Dies hängt unter anderem mit den infolge des rückläufigen Krankenstandes nur geringfügig veränderten Einkommensleistungen zusammen. Ein Teil der Verschiebungen steht mit der Einführung der Pflegeversicherung in Zusammenhang, welche die öffentlichen Haushalte erheblich entlastete. So sanken deren Gesundheitsausgaben zwischen 1993 und 2003 von 22,7 auf 18,8 Milliarden Euro. Im selben Zeitraum stiegen die Gesundheitsausgaben der privaten Haushalte und privaten Organisationen ohne Erwerbszweck um 11 auf 29,4 Milliarden Euro an. Bei den Arbeitgebern erhöhten sich die Gesundheitsausgaben um 2,5 auf 9,9 Milliarden Euro im Jahr 2003. Diese Akteure können auch als primäre Finanzierer bezeichnet werden. Die Sozialversicherungsträger und die private Krankenversicherung, die bei der Aufschlüsselung der Gesundheitsausgaben eine wichtige Rolle spielen, erhalten ihre Finanzmittel von den oben genannten primären Finanzierern und rücken daher bei der Betrachtung der Finanzierungsströme in den Hintergrund. Denn von der Finanzierungsperspektive her gesehen üben sie im Gesundheitswesen lediglich eine Mittlerfunktion aus, indem sie die Sozialbeiträge sowie die von der öffentlichen Hand geleisteten Zuschüsse an die Leistungs erbringer weiterreichen. Für die Darstellung der Finanzierungsströme werden deshalb die Ausgaben der Sozialversicherungsträger und der privaten Krankenversicherung den privaten und öffentlichen Haushalten sowie den Arbeitgebern zugerechnet. 194 | Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | Krankheitskosten 35 59 31 11 12 25 13 15 22 Sonstige IX. Krankheiten des Kreislaufsystems XI. Krankheiten des Verdauungssystems XIII. Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems V. psychische und Verhaltensstörungen II. Neubildungen IV. endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten X. Krankheiten des Atmungssystems XIX. Verletzungen und Vergiftungen Anm.: Die römischen Ziffern stellen die Nummerierung der Krankheitsklassen der ICD-10 dar Abbildung 5.3.1: Krankheitskosten 2002 in Milliarden Euro nach ausgewählten Krankheitsklassen. Quelle: Statistisches Bundesamt 2004 14 000 Euro je Einwohner 12 000 10 000 8 000 6 000 4 000 2 000 0 <15 15 – 29 Frauen 30 – 44 Männer 45 – 64 65 – 84 ≥85 Altersgruppe Abbildung 5.3.2: Krankheitskosten 2002 nach Geschlecht und Alter in Euro je Einwohner. Quelle: Statistisches Bundesamt 2004 5.3 Krankheitskosten Ω Zusammenfassung Die kostenträchtigste Krankheitsgruppe in Deutschland waren im Jahr 2002 mit 35,4 Milliarden Euro die Herz-Kreislauf-Leiden. Für diese Erkrankungen wird fast jeder sechste Euro im Gesundheitswesen aufgewendet. An zweiter Stelle folgten die Ausgaben für Erkrankungen des Verdauungssystems (31,1 Milliarden Euro), in denen auch die Aufwendungen für zahnärztliche Behandlungen und Zahnersatz enthalten sind. Auf Platz drei der Krankheitskostenstatistik lagen im Jahr 2002 die Muskel-, Skelett- und Bindegewebsleiden (25,2 Milliarden Euro), knapp dahinter die psychischen und Verhaltensstörungen (22,4). Die Krankheitskosten erhöhen sich mit zunehmendem Lebensalter und mit zunehmendem Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung. Rund 43 Prozent der Ausgaben entfielen im Jahr 2002 auf die über 65-Jährigen. Die Pro-Kopf-Ausgaben liegen bei Frauen rund 1,4-mal so hoch wie bei Männern. Hauptursachen für diese Geschlechterdifferenz sind die höhere Lebenserwartung der Frauen, die Aufwendungen in Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt sowie die geschlechtsspezifische Verteilung der Krankheitslast bei bestimmten Erkrankungen. 5.3.1 Krankheitskosten nach Erkrankungen Die teuersten Leiden sind die Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Krankheitskosten in Deutschland lagen im Jahr 2002 bei insgesamt 223,6 Milliarden Euro. Die teuersten Leiden waren dabei die Herz-Kreislauf-Krankheiten, für die mit 35,4 Milliarden Euro fast jeder sechste Euro im Gesundheitswesen aufgewendet wurde (siehe Abbildung 5.3.1). Im Einzelnen entfielen auf Bluthochdruckleiden (Hypertonie) 8,1 Milliarden Euro, auf zerebrovaskuläre Erkrankungen wie beispielsweise Schlaganfälle 7,8 und auf ischämische Herzkrankheiten wie Herzinfarkte sieben Milliarden Euro. Die Herzschwäche (Herzinsuffizienz) verursachte Kosten in Höhe von 2,7 Milliarden Euro. Mit 13,9 Prozent der Gesamtkosten (31,1 Milliarden Euro) folgten nach den Herz-Kreislauf-Leiden an zweiter Stelle die Krankheiten des Verdauungssystems. Ein großer Teil der Kosten (20,2 Milliarden Euro) war auf Krankheiten der Mundhöhle, Definition Unter Krankheitskosten versteht man die unmittelbar mit einer medizinischen Heilbehandlung, Präventions-, Rehabilitations- oder Pflegemaßnahme verbundenen Ausgaben. Hierzu zählen auch sämtliche Verwaltungskosten. Nichtmedizinische Aufwendungen, beispielsweise für private Arztfahrten, oder die unentgeltliche Pflege von Angehörigen bleiben dagegen unberücksichtigt. Die Krankheitskosten werden nach Erkrankung, Alter, Geschlecht und Einrichtung des Gesundheitswesens aufgeschlüsselt. Dadurch lässt sich beispielsweise auf die ökonomische Bedeutung einzelner Leiden oder den Einfluss des demografischen Wandels auf die Ausgabenstruktur schließen. Die Krankheitskosten entsprechen den so genannten laufenden Gesundheitsausgaben und liegen rund zehn Milliarden Euro niedriger als die gesamten Gesundheitsausgaben. In diesen sind zusätzlich Ausbildungs- und Forschungsleistungen sowie Investitionen im Gesundheitssektor enthalten, die wegen ihres speziellen Vorleistungscharakters bei den Krankheitskosten unberücksichtigt bleiben. Analysen von Krankheitskostentrends sind derzeit noch nicht möglich, da bisher nur entsprechende Daten für das Jahr 2002 vorliegen. Krankheitskosten | Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | 195 Speicheldrüsen und Kiefer zurückzuführen, wobei hierin insbesondere die Kosten für zahnärztliche Behandlung und Zahnersatz enthalten sind. Rückenleiden und Arthrose kosten zusammen mehr als 15 Milliarden Euro. Die Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes nahmen im Jahr 2002 mit 25,2 Milliarden Euro beziehungsweise 11,3 Prozent der Gesamtkosten Rang drei in der Ausgabenstatistik ein. Besonders ins Gewicht fielen die Rückenleiden (Dorsopathien) mit 8,4 sowie die Arthrosen mit 7,2 Milliarden Euro. Auf Platz vier folgten die psychischen und Verhaltensstörungen mit Krankheitskosten von insgesamt 22,4 Milliarden Euro, entsprechend zehn Prozent der Gesamtkosten. Zu Buche schlugen hierbei neben Demenzerkrankungen (5,6 Milliarden Euro) und Depressionen (vier Milliarden Euro) auch die neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen (2,8 Milliarden Euro). Neubildungen (Tumoren) verursachten im Jahr 2002 mit 14,7 Milliarden Euro 6,6 Prozent der Gesamtkosten. Von großer Bedeutung waren dabei insbesondere die Neubildungen der Verdauungsorgane (2,8 Milliarden Euro), der Brustdrüse (1,6), der Prostata (1,2) sowie von Luftröhre, Bronchien und Lunge (1,1). Die Kosten für endokrine, Ernährungs- und Stoffwech selerkrankungen beliefen sich im Jahr 2002 auf 12,9 Milliarden Euro. Das entsprach 5,8 Prozent der gesamten Krankheitskosten. Insbesondere schlug der Diabetes zu Buche, auf den zwei Fünftel der Ausgaben für Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten entfielen. Infektiöse und parasitäre Erkrankungen waren im Jahr 2002 mit Krankheitskosten von 3,8 Milliarden Euro von untergeordneter Bedeutung. 5.3.2 Krankheitskosten nach Alter und Geschlecht Die Krankheitskosten steigen mit zunehmendem Alter. Im Jahr 2002 lagen die durchschnittlichen Krankheitskosten pro Einwohner bei 2 710 Euro. Die Ausgaben für jüngere Menschen sind deutlich niedriger als die Ausgaben für ältere Menschen (siehe Abbildung 5.3.2). So lagen die durchschnittlichen jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben bei Personen unter 45 Jahren noch unter 1 700 Euro. In der Altersgruppe der 45- bis unter 65Jährigen stiegen sie auf knapp 3 000 Euro an, jenseits des 65. Lebensjahrs war ein deutlicher Sprung auf 6 000 Euro und darüber zu verzeichnen. Auch zwischen den Geschlechtern unterscheiden sich die Krankheitskosten. Im Jahr 2002 betrugen die Pro-Kopf-Ausgaben für Frauen 3 160 Euro, für Männer dagegen 2 240 Euro. Damit sind die Krankheitskosten pro Kopf bei Frauen rund 1,4mal höher als bei Männern. Längeres Leben, Schwangerschaft und Geburt bedingen bei Frauen höhere Kosten. Die Ursachen für diesen Unterschied sind vielfältig. Eine wesentliche Rolle spielt dabei, dass Frauen länger leben [4]. Dadurch verschiebt sich das Geschlechterverhältnis im höheren Alter, in dem die Krankheitskosten stark ansteigen: Während der Anteil der Frauen an der Gesamtbevölkerung im Jahr 2002 bei 51,1 Prozent lag, betrug er bei den über 65-Jährigen 60,5 und bei den über 85-Jährigen sogar 76,1 Prozent. Mit Ausnahme der Altersgruppe der unter 15-Jährigen sind die Krankheitskosten bei Frauen durchweg höher als bei Männern. Ins Auge fallen insbesondere die unterschiedlichen Werte 196 | Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | Krankheitskosten in den Altersklassen zwischen 15 und 30 sowie zwischen 30 und 45 Jahren. Die Geschlechterdifferenz lässt sich in diesem Lebensabschnitt teilweise auf Gesundheitsleistungen zurückführen, die Frauen in Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt, künstlicher Befruchtung, aber auch der Verschreibung von Verhütungsmitteln in Anspruch nehmen. Zudem können sich Frauen bereits ab 20 Jahren an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen beteiligen, Männer dagegen erst ab 45. Darüber hinaus treten bestimmte Leiden wie beispielsweise Harnwegsinfekte bei jungen Frauen wesentlich häufiger auf als bei jungen Männern und verursachen dementsprechend höhere Kosten. Rechnet man indes aus den Krankheitskosten jene Ausgaben heraus, die durch die höhere Lebenserwartung der Frauen, durch Schwangerschaft und Geburt sowie durch geschlechtsspezifische Erkrankungen bedingt sind, finden sich zwischen den durchschnittlichen Aufwendungen für Frauen und Männer kaum noch Unterschiede [5]. Bei älteren Frauen schlagen orthopädische und psychische Leiden zu Buche. Bei bestimmten Leiden machen sich die Krankheitskostenunterschiede zwischen Frauen und Männern besonders bemerkbar (siehe Abbildung 5.3.3). So liegen die jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben für Krankheiten des MuskelSkelett-Systems sowie für psychische und Verhaltensstörungen bei Frauen rund 1,7-mal beziehungsweise 1,5-mal so hoch wie bei Männern. Hinweise zu den Ursachen dieser Differenzen ergeben sich aus der altersspezifischen Kostenverteilung. So werden sowohl bei den Muskel-Skelett-Leiden wie den psychischen und Verhaltensstörungen rund zwei Fünftel aller Ausgaben für die über 65-Jährigen geleistet. Von diesen Kosten entfallen wiederum jeweils etwa 73 Prozent auf Frauen. Dies lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass ältere und hochbetagte Frauen überdurchschnittlich häufig alleine leben und daher öfter in stationären oder teilstationären Einrichtungen versorgt werden müssen, was entsprechend hohe Kosten nach sich zieht. Hinzu kommt, dass manche für Frauen typische Krankheiten wie Knochenleiden gerade im höheren Alter verstärkt zum Tragen kommen. XIX. Verletzungen und Vergiftungen X. Krankheiten des Atmungssystems IV. Endokrine, Ernährungsund Stoffwechselkrankheiten II. Neubildungen V. Psychische und Verhaltensstörungen XIII. Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems XI. Krankheiten des Verdauungssystems IX. Krankheiten des Kreislaufsystems 0 50 Frauen 100 150 200 Männer Anm.: Die römischen Ziffern stellen die Nummerierung der Krankheitsklassen der ICD-10 dar Abbildung 5.3.3: Krankheitskosten 2002 nach ausgewählten Krankheitsklassen und Geschlecht in Euro je Einwohner. Quelle: Krankheitskostenrechnung des Statistischen Bundesamtes 2004 250 300 350 400 450 500 Euro je Einwohner Gesundheitsausgaben im internationalen Vergleich | Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | 197 16 5.4 Gesundheitsausgaben im internationalen Vergleich Prozent des BIP 14 12 10 8 6 4 2 0 1993 94 95 96 97 98 Deutschland Niederlande Großbritannien Schweiz Frankreich USA 99 2000 01 02 03 Abbildung 5.4.1: Entwicklung der Gesundheitsausgaben (in Prozent des BIP). Quelle: OECD-Gesundheitsdaten 2005 Ω Zusammenfassung Im Jahr 2003 machten die Gesundheitsausgaben in Deutschland 11,1 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung aus. Lediglich in den USA und in der Schweiz lagen die Anteile noch darüber, in den meisten anderen Ländern Europas waren sie dagegen deutlich geringer. Von 2001 bis 2003 sind die Gesundheitsausgaben in Deutschland – wie in anderen Ländern auch – stärker gewachsen als die Gesamtwirtschaftsleistung. Hauptgründe für den Aufwärts trend sind medizinische und technologische Fortschritte in den Behandlungsmöglichkeiten, eine zunehmende Zahl älterer Menschen sowie Mengenausweitungen und Preiserhöhungen bei der Erbringung von Gesundheitsleistungen. Auch die Pro-KopfGesundheitsausgaben haben sich erhöht, hier zu Lande allerdings weniger schnell als in anderen Industriestaaten. Dennoch liegt auch bei diesem Vergleichskriterium Deutschland im oberen Mittelfeld der westlichen Industriestaaten. 5.4.1 Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) Der Anteil der Gesundheitsausgaben an der Wirtschaftsleistung wächst. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP lag in Deutschland im Jahr 2003 bei 11,1 Prozent. Dies ist ein im internationalen Vergleich hoher Wert (siehe Abbildung 5.4.1). Nur in den USA war er mit 15,0 Prozent deutlich höher. Die Schweizer haben mit geschätzten 11,5 Prozent einen Anteil, der in etwa dem Anteil Deutschlands entspricht. Die anderen Staaten lagen unter dem deutschen BIP-Anteil, am geringsten war er unter den Vergleichsländern mit 7,7 Prozent (2002) in Groß britannien. Bei der Bewertung des BIP-Anteils ist zu berücksichtigen, dass Deutschland in den vergangenen Jahren zwar relativ moderate Ausgabenzuwächse und deutliche Effizienzgewinne im Gesundheitswesen zu verzeichnen hat, dennoch ist der BIP-Anteil gewachsen, weil die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung ungünstiger verlief als in anderen Staaten. Schwerpunkte der Gesundheitspolitik aller OECD-Staaten liegen in der Qualitätsverbesserung ihrer Gesundheitssysteme und dem Bestreben, die Ausgaben sozialpolitisch ausgewogen mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Einklang zu bringen [6]. Methodische Anmerkungen Grundlage für den internationalen Vergleich der Gesundheitsausgaben sind die Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Dabei werden die Gesundheitsausgaben teilweise anders abgegrenzt als hier zu Lande, weshalb die in den vorangegangenen Abschnitten verwendeten Zahlenwerte für Deutschland von den Ergebnissen der OECD leicht abweichen. So werden bei internationalen Vergleichen die Ausgaben für Einkommensleistungen sowie für Ausbildung und Forschung nicht berücksichtigt. Zur besseren Übersichtlichkeit beschränkt sich der Vergleich auf Deutschland, Frankreich, die Niederlande, die Schweiz, Großbritannien und die USA. Zum einen bietet sich die Auswahl dieser Länder an, da ihre Angaben auf dem „System of Health Accounts“ der OECD beruhen, sodass von einer relativ guten Vergleichbarkeit der Daten auszugehen ist. Zum anderen stellen diese Länder eine Auswahl von Gesundheitssystemen dar, die hier zu lande in der politischen Diskussion besonders genau betrachtet werden. Für den internationalen Vergleich werden zwei Kennziffern herangezogen: der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) und die Gesundheitsausgaben pro Kopf. Die erste Kennziffer gibt an, wie viel Prozent der im Inland produzierten Güter und Dienstleistungen dem Gesundheitswesen zuzurechnen sind. Die zweite Kennziffer schaltet den Einfluss der unterschiedlichen Bevölkerungsgröße in den einzelnen Ländern aus. Sie ist zudem kaufkraftbereinigt, um Preisniveauunterschiede und Wechselkursschwankungen zu eliminieren. 198 | Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | Gesundheitsausgaben im internationalen Vergleich 6 000 5.4.2 Gesundheitsausgaben pro Einwohner Kaufkraft je Einwohner in Dollar 5 000 4 000 3 000 2 000 1 000 0 1993 94 95 96 97 98 Deutschland Niederlande Großbritannien Schweiz Frankreich USA 99 2000 01 02 03 Abbildung 5.4.2: Entwicklung der Gesundheitsausgaben (in US$ Kaufkraftparität je Einwohner). Quelle: OECD-Gesundheitsdaten 2005 Die Pro-Kopf-Ausgaben steigen in Deutschland langsamer als in anderen Staaten. In allen ausgewählten Ländern sind die kaufkraftbereinigten Gesundheitsausgaben pro Einwohner in den vergangenen Jahren gestiegen (siehe Abbildung 5.4.2). In den USA lagen die Pro-Kopf-Ausgaben im Jahr 2003 bei über 5 600 US-Dollar, in der Schweiz bei 3 780 US-Dollar; die Deutschen investierten im Schnitt knapp 3 000 Dollar in ihre Gesundheit. Betrachtet man für die ausgewählten Länder die Ausgaben pro Kopf im Zeitraum zwischen 1993 und 2003, so fällt die durchschnittliche Steigerung in Deutschland am geringsten aus. Dies lässt trotz des gestiegenen BIP-Anteils in Deutschland auf stärkere Effizienzgewinne als in anderen Ländern schließen. Die Ausgabenhöhe in Deutschland ist auf eine umfassende medizinische Versorgung für die gesamte Bevölkerung ohne längere Wartezeiten, mit einem umfangreichen Leistungskatalog und eine große Arzt- und Versorgungsdichte zurückzuführen. Offenbar hängt die Höhe der Gesundheitsausgaben pro Kopf nicht unmittelbar von der Art der Finanzierung des Gesundheitssystems ab, die in den beispielhaft aufgeführten Systemen grundlegende Unterschiede aufweisen (USA: wettbewerblich ausgerichtetes System mit einem wachsenden Anteil steuerlicher Finanzierung und einer hohen Zahl von rund 45 Millionen Menschen ohne Zugang zu gesundheitlicher Versorgung, Schweiz: Kopfpauschale mit steuerlichen Transferleistungen und umfassender Absicherung der Bevölkerung; Deutschland: Sozialversicherungssystem mit wettbewerblichen Elementen, steuerlichen Transfers in geringem Umfang und umfassender Absicherung der Bevölkerung; Großbritannien: steuerfinanziertes Gesundheitswesen für die gesamte Bevölkerung und expliziter Rationierung von Leistungen). Wesentliche Einflüsse auf das Finanzvolumen der Leistungen gehen vom allgemeinen Zutritt, vom Leistungsumfang und der Angebotsdichte sowie der Qualität der medizinischen Versorgung aus [7]. Literatur | Wie viel geben wir für unsere Gesundheit aus? | 199 Literatur 1 Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2003) Finanzierung, Nutzerorientierung und Qualität. Gutachten 2003. Band 1: Finanzierung und Nutzerorientierung. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2 Grabka M, Schreyögg J, Busse R (2005) Die Einführung der Praxisgebühr und ihre Wirkung auf die Zahl der Arztkontakte und die Kontaktfrequenz – eine empirische Analyse. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin 3 Deutscher Bundestag (2004) Drucksache 15/4125, Dritter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung. ������ Berlin 4 OECD (Hrsg) (2004) Towards a High-Performing Health System – Summary Report. ����� Paris 5 König C, Zoike E (2004) Krankheitskosten nach Geschlecht und Alter – Sind Frauen wirklich teurer? Die BKK, S 445 – 448 6 Schneider M et al. (1998) Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich, Übersichten 1997. BASYS, Augsburg 7 Beske F, Drabinski T, Zöllner H (2004) „Das Gesundheitswesen in Deutschland im internationalen Vergleich – Eine Antwort auf die Kritik“, Fritz Beske Institut für Gesundheits-System-Forschung, Kiel, S 105 200 | Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren und an Entscheidungen beteiligen? Kernaussagen Ω Die Patientenbeauftragte der Bundesregierung vertritt Patienteninteressen auf Bundesebene. (Seite 203) Ω Die Patientencharta gibt einen Überblick über die gesetzlich verankerten Patientenrechte und -pflichten in Deutschland. (Seite 203) Ω Bürger- und Patientenvertreterinnen und -vertreter besitzen im gemeinsamen Bundesausschuss und in zahlreichen weiteren Gremien des deutschen Gesundheitswesens ein Mitberatungsrecht, seltener allerdings ein Stimmrecht. (Seite 205) Ω Gut 80 Prozent der Deutschen wollen gemeinsam mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin über ihre Behandlung entscheiden; dass dies der Fall ist, glauben knapp 45 Prozent. (Seite 205) Ω Die Patientenbeteiligung fördert den Therapieerfolg beispielsweise bei chronischen Schmerzen, psychi schen Störungen, Diabetes, Rheuma oder Kopfverletzungen. (Seite 205) Ω Rund die Hälfte der Deutschen fühlt sich nicht genügend informiert, um im Krankheitsfall den für sie besten Arzt oder das für sie beste Krankenhaus auswählen zu können. (Seite 207) Ω Drei Viertel der gesetzlich Versicherten finden, dass die Krankenkassen die Qualität ärztlicher Behandlungen überprüfen sollten. (Seite 207) Ω In Deutschland gibt es schätzungsweise 70 000 bis 100 000 Selbsthilfegruppen; der volkswirtschaftliche Nutzen ihrer Beratungsleistung wird auf bis zu zwei Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. (Seite 211) Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren und an Entscheidungen beteiligen? | 201 6Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren und an Entscheidungen beteiligen? Ω Zusammenfassung Die aktive Teilhabe von Patientinnen und Patienten an der Gestaltung der Gesundheitsversorgung gewinnt in Deutschland wie auch international zunehmend an Bedeutung. Wichtige Akteure sind Patientenorganisationen und unabhängige Beratungseinrichtungen. Zudem gibt es Ansätze, die Mitarbeit der Betroffenen gesetzlich zu verankern. Ziel dieser Bemühungen ist, die Belange von Patientinnen und Patienten stärker zu berücksichtigen und gleichzeitig Transparenz und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen zu erhöhen. Noch lässt sich nicht abschätzen, inwieweit diese Schritte Erfolg haben werden. Patientengruppen und unabhängige Patientenberatungsstellen brauchen finanzielle und personelle Ressourcen, um sich gegenüber gut organisierten Verhandlungspartnern behaupten zu können, die sowohl umfangreiches Fachwissen als auch langjährige Erfahrung in gesundheitspolitische Abstimmungsprozesse einbringen. Es gibt eine Vielfalt unabhängiger Verbraucher- und Patientenberatungsstellen sowie diverse Informationsangebote unterschied- lichster Anbieter. Wenig verfügbar sind allerdings vergleichende Informationen über die Behandlungsqualität in einzelnen Einrichtungen. Auch ein systematisches Beschwerdemanagement mit entsprechendem Berichtswesen und Informations- und Meldesystem ist kaum entwickelt. Dies wäre notwendig, um Anzahl und Anlass von Patientenbeschwerden zu überblicken und den betreffenden Einrichtungen im Gesundheitswesen die Möglichkeit zu gezielten Verbesserungsmaßnahmen zu geben. Eine stärkere Patienten- und Bürgerorientierung sollte dazu beitragen, dass Menschen mit Gesundheitsproblemen zum richtigen Zeitpunkt in die richtige Institution gelangen und dort eine wirksame, ihrer Würde und ihren Präferenzen entsprechende Behandlung erhalten. Da gesundheitliche Beeinträchtigungen häufig mit sozialen Problemen einhergehen, lässt sich dieses Ziel nur erreichen, wenn das konkrete Lebensumfeld der Betroffenen bei der Gesundheitsversorgung mit berücksichtigt wird. Ebenso erforderlich ist der Ausbau von leicht erreichbaren Unterstützungsangeboten vor Ort. 202 | Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren …? | Politisch-rechtliche Rahmenbedingungen 6.1 Politisch-rechtliche Rahmenbedingungen Ω Zusammenfassung Patientenvertreterinnen und -vertreter ebenso wie Sachverständige und Gesundheitspolitikerinnen und -politiker fordern seit einigen Jahren bessere Beteiligungsmöglichkeiten bei der Gestaltung der Gesundheitsversorgung. Grundidee ist, dass sich dadurch Transparenz und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen erhöhen, unnötige oder fehlerhafte Behandlungen vermeiden und die Patientenrechte stärken lassen. Die individuellen Patientenrechte umfassen das Recht auf Selbstbestimmung und Aufklärung, auf gute und gut organisierte Behandlung sowie auf Akteneinsicht und Vertraulichkeit personenbezogener Daten. Allerdings sind die verschiedenen Regelungen in unterschiedlichsten Rechtsbereichen zu finden, ein einheitliches Patientenschutzgesetz, das die betreffenden Rechtsnormen zusammenfassend festschreiben würde, gibt es in Deutschland bisher nicht. Die so genannte Patientencharta, eine Informationsschrift der Interessenvertreter und Akteure im Gesundheitswesen aus dem Jahr 2003, gibt einen Überblick über die derzeit geltenden Rechte und Pflichten von Patientinnen und Patienten und medizinischem Personal. Die konkrete Ausgestaltung der Gesundheitsversorgung ist im Sozialgesetzbuch festgelegt. Im Zuge der Gesundheitsreform wurden darin Regelungen zur finanziellen Förderung von Patienten- und Verbraucherverbänden durch die Krankenkassen aufgenommen. Seit 2004 vertritt zudem eine eigene Patientenbeauftragte der Bundesregierung die Interessen der Patienten. Darüber hinaus sind Patienten- und Verbraucherverbände mit beratender Stimme bei Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses beteiligt. In diesem Gremium arbeiten Vertreterinnen und Vertreter von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern zusammen und legen fest, welche Behandlungs- und Diagnosemethoden in den Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen aufgenommen und von ihnen bezahlt werden. Die Arzt-Patienten-Beziehung wandelt sich zu einer aktiven Partnerschaft. Bürgerinnen und Bürger sollen zukünftig verstärkt die Gesundheitsversorgung mitgestalten können. Dies betrifft sowohl gesundheitspolitische Lenkungsprozesse als auch konkrete medizinische Therapieentscheidungen. An die Stelle blinden Vertrauens der Patientinnen und Patienten in die Ärztin oder den Arzt tritt zunehmend eine informiertere, mündigere Arzt-Patienten-Beziehung, was letztlich dem Therapieerfolg dient. Ziel ist, an Stelle einer wohlwollend paternalistischen oder sogar bevormundenden Arzt-Patienten-Beziehung eine gleichberechtigte Beziehung mit aktiver Beteiligung zu setzen. Angestoßen wurde die Debatte in Deutschland durch eine Entschließung der Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) von 1996 sowie Empfehlungen der 7. Landesgesundheitskonferenz Nordrhein-Westfalen von 1998. Auch der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (SVR) hat sich in den letzten Jahren mehrfach für eine verstärkte Bürger- und Patientenorientierung ausgesprochen [1, 2]. Damit verbunden ist die Idee, Fehlentwicklungen im Gesundheitssystem zu vermeiden oder zu korrigieren, die Gesundheitsversorgung an den Bedürfnissen, Präferenzen und Qualitätsmaßstäben der Betroffenen auszurichten sowie die Akzeptanz von gesundheitspolitischen Entscheidungen in der Bevölkerung zu erhöhen. Dies wurde in diversen Gutachten [1–5] Politisch-rechtliche Rahmenbedingungen | Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren …? | 203 und repräsentativen Bevölkerungsumfragen ebenso wie von Interessenverbänden der Verbraucher und Patienten gefordert. Nach Meinung des Sachverständigenrates können Kompetenz und Partizipation der Patientinnen und Patienten einen wesentlichen Einfluss auf die Qualität der Gesundheitsleistungen und die Wirtschaftlichkeit des Gesundheitssystems ausüben [1]. Voraussetzung dafür sind Information, Transparenz von Leistungen und Strukturen im Gesundheitswesen sowie ein leichter und flächendeckender Zugang zu Unterstützungsangeboten. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat in den vergangenen Jahren mit Beteiligung der Selbstverwaltungsorgane (Krankenkassen, Kassenärztliche und Kassenzahnärztliche Vereinigungen, Krankenhausgesellschaften) erste politisch-rechtliche Rahmenbedingungen für diese Entwicklung geschaffen. Gesteuert wird der Prozess durch die finanzielle Förderung von Initiativen, Programmen und Projekten. Dazu gehört unter anderem das Programm zur Förderung von Modellprojekten, die die Rolle von Patienten als Partnerinnen und Partner im medizinischen Entscheidungsprozess in verschiedenen Versorgungsumfeldern zum Gegenstand haben [6]. Weitere Initiativen sind die Einführung des § 65b in das Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) zur Förderung von Verbraucher- und Patientenberatungseinrichtungen, die Stärkung der Patientensouveränität und Gesundheitskompetenz im Rahmen des nationalen Programms „gesundheitsziele.de“ sowie der Ausbau vor allem der kollektiven Patientenrechte. Patientinnen und Patienten haben ein Recht auf Autonomie, gute Behandlung und Akteneinsicht. Die konkrete Ausgestaltung der gesundheitlichen Versorgung wird im Sozialgesetzbuch (SGB) geregelt [7]. Individuelle Patientenrechte sind in Deutschland in unterschiedlichen Rechtsgebieten verankert. Sie beruhen auf Regelungen im Grundgesetz, die das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie das Recht auf Selbstbestimmung garantieren. Vier Rechtsbereiche lassen sich unterscheiden: Autonomierechte (Gewährleistung der Selbstbestimmung durch Information, Aufklärung und Beratung); Qualitätsrechte (Gewährleistung guter Versorgungsqualität); Einsichtsrechte (Gewährleistung der Einsicht in Dokumentationen der medizinischen Behandlung, Vertraulichkeit von Patientendaten); Organisationsrechte (Gewährleistung der guten Organisation der Behandlung) [8]. Derzeit werden Patientenrechte im Verfassungs-, Zivil-, Sozialversicherungs-, Arzneimittel-, Wettbewerbs-, Straf- und Berufsrecht berücksichtigt. Ein Patientenschutzgesetz, in dem alle Rechtsnormen zusammenfassend festgeschrieben sind, gibt es bis heute allerdings nicht. Nach wie vor wird es von Experten und Patientenvertretern gefordert. Die Patientencharta fasst alle geltenden Patientenrechte zusammen. Um die Patientenrechte zu stärken, wurde im Jahr 2003 die Informationsschrift „Patientenrechte in Deutschland“ (Patientencharta) [9] herausgegeben, die Vertreterinnen und Vertreter der Patienten, Selbsthilfegruppen, Ärzteschaft, Krankenhäuser, Krankenkassen, des Datenschutzes sowie die Länder gemeinsam unter Federführung des damaligen BMGS erstellt hatten. In der Patientencharta sind die bestehenden Rechte und Pflichten von Patientinnen und Patienten und medizinischem Personal zusammengefasst. Diese Bestandsaufnahme soll Patientinnen und Patienten zur Wahrnehmung ihrer Rechte und zur Beteiligung am Behandlungsprozess befähigen sowie zugleich Ärztinnen und Ärzten und anderen in Gesundheitsberufen Tätigen eine Orientierung zur Unterstützung ihrer Klientel geben. Seit Einführung des GKV-Modernisierungsgesetzes im Januar 2004 werden Patienteninteressen auch durch eine Patientenbeauftragte der Bundesregierung vertreten. Sie soll sich für die Belange der Patientinnen und Patienten einsetzen und trägt Verantwortung dafür, dass die patientenorientierten Ansätze im GKV-Modernisierungsgesetz tatsächlich greifen. Patientenorganisationen werden bei Entscheidungen über Kassenleistungen beteiligt. In der Patientenbeteiligungsverordnung [10] genannte maßgebliche Patientenorganisationen besitzen ein Antrags- und Mitberatungsrecht im „Gemeinsamen Bundesausschuss“, einem der wichtigsten Entscheidungsgremien im Gesundheitssystem. Dieses Gremium aus Vertreterinnen und Vertretern von Ärzteschaft, Krankenkassen und Krankenhäusern legt fest, welche Behandlungs- und Diagnosemethoden in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen und von ihnen bezahlt werden. Ein wichtiges Ziel ist das systematische Management von Patientenbeschwerden, das dazu beitragen kann, unnötige, unwirksame oder fehlerhafte Leistungen zu vermeiden und die Anzahl medizinischer Behandlungsfehler zu reduzieren. Diese entstehen insbesondere durch Defizite in der Organisation, bei der Dokumentation oder bei der Therapie von Patienten in nicht optimal geeigneten Versorgungseinrichtungen [11]. Um Behandlungsfehlern vorzubeugen, sind das Wissen und die Erfahrung von Patientinnen und Patienten unverzichtbar. Das unabhängige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, das vom Gemeinsamen Bundesausschuss gegründet worden ist, befasst sich nach § 139a SGBV mit Fragen, die für die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Leistungen von grundsätzlicher Bedeutung sind. Zu den Aufgaben des Instituts zählen insbesondere die Recherche, Darstellung und Bewertung des medizinischen Wissensstandes zu Diagnose und Therapie ausgewählter Krankheiten; die Erstellung von wissenschaftlichen Gutachten und Stellungnahmen; die Bewertung fachlicher Therapieleitlinien; die Abgabe von Empfehlungen zu DiseaseManagement-Programmen; die Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln; die Bereitstellung von allgemeinen und verständlichen Informationen zur Qualität und Effizienz in der Gesundheitsversorgung. Das Institut berichtet öffentlich in regelmäßigen Abständen über seine Ergebnisse. Die maßgeblichen Patientenorganisationen sowie die Patientenbeauftragte der Bundesregierung haben Gelegenheit zur Stellungnahme. Zudem können sie beim Gemeinsamen Bundesausschuss beantragen, das Institut zur Klärung bestimmter Fragen zu beauftragen (siehe auch Kap. 4.3). 204 | Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren …? | Politisch-rechtliche Rahmenbedingungen Institution Gremium BMG Deutsches Forum Prävention Anhörung Beratung π Entscheidung BMG / GVG gesundheitsziele.de π BMG Kommission Off Label Use π DIMDI HTA – Kuratorium π RKI GBE – Kommission BfARM Stufenplanverfahren § 63 AMG π π BfR Giftkommission ChemG IfA IfA Positivliste Länder Gesundheitskonferenzen π Kommunen Gesundheitskonferenzen π Gemeinsame Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen auf Bundesebene π π Gemeinsamer Bundesausschuss § 91 SGB V π Beirat der Arbeitsgemeinschaft für Aufgaben der Datentransparenz § 303b SGB V π Gemeinsame Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen auf Landesebene Landesausschüsse § 90 SGB V π Zulassungsausschüsse § 96 SGB V π Berufungsausschüsse § 97 SGB V π Bundesärztekammer / KBV Patientenforum π Landesärztekammern, Forschungseinrichtungen Ethikkommissionen (π) Landesärztekammern Gutachter-/Schlichtungsstellen IQWiG Kuratorium π (π) Gematik Beirat π π BMG: Bundesministerium für Gesundheit DIMDI: Deutsches Institut für Medizinische 3 und Information HTA: Health Technology Assessment RKI: Robert Koch-Institut GBE: Gesundheitsberichterstattung BfARM: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte AMG: Arzneimittelgesetz BfR: Bundesinstitut für Risikobewertung ChemG: Chemikaliengesetz IfA: Institut für die Arzneimittelverordnung in der gesetzlichen Krankenversicherung IQWiG: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen Gematik:Gesellschaft für Teleanwendungen der Gesundheitskarte mbH π = bereits voll oder (π) = zum Teil existierende Beteiligungsmöglichkeiten Tabelle 6.2.1: Kontinuierliche Beteiligung von Patientenvertreterinnen und -vertretern in unterschiedlichen Gremien des deutschen Gesundheitswesens Institution Vereinbarungen und Bestimmungen, bei deren Änderungen, Neufassungen oder Aufhebungen Patientenvertreter gehört werden Anhörung/ Stellungnahme Bundestag diverse π Ministerien diverse π Spitzenverbände der Krankenkassen Nach SGB V Beratung Selbsthilfeförderung § 20 (4) π Rahmenvereinbarungen Verhütung von Zahnerkrankungen (Gruppenprophylaxe) § 21 (2) π Festbeträge Hilfsmittel § 36 (1,2) π Rahmenempfehlungen Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen § 111b π Zweiseitige Verträge und Rahmenempfehlungen über Krankenhausbehandlung § 112 π Rahmenempfehlungen zu dreiseitigen Verträgen und Rahmenempfehlungen zwischen Krankenkassen, Kranken häusern und Vertragsärzten § 115 π Empfehlung zur Zulassung von Heilmitteln als Dienstleistung § 124 (4) π Rahmenempfehlungen über die einheitliche Versorgung mit Heilmitteln § 125 (1) π Empfehlungen für eine einheitliche Anwendung der Zulassungsbedingungen nach § 126 (2) π Hilfsmittelverzeichnis § 128 π Strukturierte Behandlungsprogramme bei chronischen Krankheiten § 137f Tabelle 6.2.2: Ad-hoc-Beteiligung von Patientenvertreterinnen und -vertretern über Anhörungen, Stellungnahmen und Beratungen zu unterschiedlichen Aspekten der Versorgung π Entscheidung Beteiligungsmöglichkeiten im Gesundheitswesen | Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren …? | 205 6.2 Beteiligungsmöglichkeiten im Gesundheitswesen Ω Zusammenfassung Bürgerinnen und Bürger sowie Patientinnen und Patienten sind in einer Vielzahl unterschiedlicher Gremien im deutschen Gesundheitswesen beteiligt. Allerdings haben sie dabei vor allem ein Mitberatungs-, seltener ein Stimmrecht. Eines der wichtigsten Entscheidungsgremien mit Bürgerbeteiligung ist der Gemeinsame Bundesausschuss, der den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen festlegt. Im Gemeinsamen Bundesausschuss besitzen derzeit der Deutsche Behindertenrat, der Verbraucherzentrale Bundesverband, die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen ein Antrags- und Mitberatungsrecht. Auch in den Gremien von Krankenkassen sowie bei Gesundheitskonferenzen auf regionaler Ebene sind Bürgerinnen und Bürger sowie Patientinnen und Patienten vertreten. Allerdings wird die Durchsetzung von Patienteninteressen durch fehlende finanzielle und personelle Ressourcen erschwert. Mehr als 80 Prozent der Deutschen wollen gemeinsam mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin über ihre Behandlung entscheiden. Dass dies tatsächlich der Fall ist, glauben knapp 45 Prozent. Verschiedenen Studien zufolge lassen sich insbesondere bei chronischen Leiden die Behandlungserfolge verbessern sowie unnötige medizinische Leistungen vermeiden, wenn die Betroffenen gut informiert und in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. 6.2.1 Beteiligung an individuellen Gesundheitsentscheidungen Die allermeisten Deutschen wollen eine aktive Rolle gegenüber ihrem Arzt oder ihrer Ärztin. Nutzerinnen und Nutzer des Gesundheitswesens haben den Wunsch, sachgerecht informiert zu werden und sich gleichberechtigt mit Fachleuten und anderen Betroffenen austauschen zu können. Dabei lassen sich kaum Unterschiede zwischen Gesunden und Kranken oder zwischen chronisch und akut kranken Patientinnen und Patienten ausmachen. Insbesondere das Bedürfnis, als Partner behandelt zu werden, findet sich gleichermaßen bei Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen Erkrankungen [7]. Nach einer europäischen Vergleichsstudie wollen mehr als 80 Prozent der deutschen Bürgerinnen und Bürger aktiv in Entscheidungsprozesse im Rahmen der Arzt-Patient-Interaktion eingebunden werden. Dass dies tatsächlich der Fall ist, sehen nur knapp 45 Prozent. Frauen und Männer haben ein ähnlich hohes Bedürfnis nach aktiver Beteiligung, mit steigendem Lebensalter nimmt dieser Wunsch allerdings ab [12]. Patientenbeteiligung kann den Behandlungserfolg erhöhen und die Kosten senken. Eine angemessene Patientenbeteiligung erleichtert nicht nur den Umgang mit einer Erkrankung und erhöht die Lebensqualität der Betroffenen, sondern verringert auch die Nachfrage überflüssiger medizinischer Leistungen. Dies beugt unnötigen Kosten oder Kostensteigerungen vor. Verschiedenen Studien zufolge lassen sich bei chronischen Schmerzen und chronischen psychischen Problemen, bei Diabetes, Rheuma sowie Kopfverletzungen bessere therapeutische Erfolge erzielen, wenn die Betroffenen gut informiert und an Entscheidungsprozessen beteiligt werden [13]. Als günstig gilt insbesondere das „shared decision making“, eine partnerschaftliche Form der Entscheidungsfindung. Dabei wird Wert darauf gelegt, die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten ganzheitlich zu erfassen, sie optimal über Chancen und Risiken verschiedener Behandlungsalternativen aufzuklären und ihnen die Möglichkeit zu geben, auch persönliche Werte und Präferenzen einfließen zu lassen [14, 15]. Diesem Anliegen dient auch die elektronische Gesundheitskarte, die ab dem Jahre 2006 in Deutschland schrittweise die bisherige Krankenversicherungskarte ersetzen wird. Patientinnen und Patienten erhalten damit Zugang zu ihren medizinischen Daten, damit sie Entscheidungen im medizinischen Behandlungsprozess besser nachvollziehen und mitgestalten können. 6.2.2 Beteiligung an kollektiven Entscheidungen im Gesundheitswesen Bürgerinnen und Bürger sowie Patientinnen und Patienten sind vor allem beratend in einer Vielzahl von Gremien vertreten. Die Interessen von Bürgerinnen und Bürgern, Versicherten sowie Patientinnen und Patienten sollen durch Repräsentanz von Einzelpersonen ebenso wie von Gruppen und Verbänden bei Entscheidungen im Gesundheitswesen berücksichtigt werden [8]. Im GKV-Modernisierungsgesetz sind erstmals kollektive Beteiligungsrechte für Patientenvertreterinnen und -vertreter gesetzlich verankert worden. Demnach haben Vertreterinnen und Vertreter der Patienteninteressen in verschiedenen Gremien eine beratende Stimme. Dazu gehören der Gemeinsame Bundesausschuss und seine Unterausschüsse (§ 91 SGB V); die Arbeitsgemeinschaft für Aufgaben der Datentransparenz (§ 303b SGB V); die Landesausschüsse (§ 90 SGB V); die Zulassungsausschüsse (§ 96 SGB V); die Berufungsausschüsse auf Landesebene (§ 97 SGB V). Zudem werden Patientenvertreterinnen und -vertreter bei Entscheidungen der Spitzenverbände der Krankenkassen hinzugezogen, beispielsweise bei Entscheidungen hinsichtlich des Hilfsmittelverzeichnisses oder der Festbeträge für Medikamente. Verschiedene Stufen der kollektiven Beteiligung lassen sich unterscheiden. So können Bürgerinnen und Bürger beispielsweise ihre Meinung über Umfragen einbringen (Stufe 1), sie können bei Anhörungen oder Stellungnahmen beteiligt werden (Stufe 2), an Beratungen teilnehmen (Stufe 3) und schließlich Stimmrecht bei Entscheidungen besitzen (Stufe 4). Derzeit sind verschiedene Beteiligungsformen in unter schiedlichen Gremien etabliert (siehe Tabellen 6.2.1 und 6.2.2). Mächtigstes Gremium mit Bürgerbeteiligung ist der Gemeinsame Bundesausschuss. Eines der wichtigsten Entscheidungsgremien im Gesundheitswesen ist der „Gemeinsame Bundesausschuss“, der sich aus Vertreterinnen und Vertretern von Ärzteschaft, Krankenkassen und Krankenhäusern zusammensetzt und beispielsweise festlegt, welche Therapien von den gesetzlichen Kassen bezahlt werden. Im Gemeinsamen Bundesausschuss (sowie auf Länderebene im Landes-, Berufungsund Zulassungsausschuss) sind gegenwärtig Patientenvertreterinnen und -vertreter maßgeblicher Patientenorganisationen mit beratender Stimme beteiligt. Diese Organisationen sind der Deutsche Behindertenrat; der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.; die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen; die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfe gruppen e. V. 206 | Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren …? | Beteiligungsmöglichkeiten im Gesundheitswesen Der Deutsche Behindertenrat ist ein Aktionsbündnis der maßgeblichen Verbände chronisch kranker und behinderter Menschen, während die anderen drei Dachorganisationen Zusammenschlüsse von Unterstützungs- und Beratungseinrichtungen darstellen. In allen Gremien auf der Bundes- und Länderebene sind auf der Patientenseite überwiegend Betroffenenvertreterinnen und -vertreter beteiligt. Damit erhalten sachkundige Personen ein Mitberatungs-, wenn auch kein Mitbestimmungsrecht [10]. Durch die Patientenbeteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss sollen bei dessen Beschlüssen mehr Transparenz gewährleistet sowie alters-, geschlechts- und lebenslagenspezifische Belange der Betroffenen stärker berücksichtigt werden. Die beteiligten Organisationen haben das erste Jahr ihrer Beteiligung im Bundesausschuss insgesamt positiv bewertet. Zwar konnten sich die Patientenvertreterinnen und -vertreter mit ihren Positionen in bestimmten Punkten nicht oder kaum durchsetzen, in anderen Punkten jedoch ließen sich die Beschlüsse offenbar im Patienteninteresse beeinflussen [16]. Wie sich die Beteiligung von Patientenvertreterinnen und -vertretern auf die Verfahren und Ergebnisse des Gemeinsamen Bundesausschusses auswirkt, lässt sich derzeit noch nicht bewerten. Auch in den Gremien der Krankenkassen sind Patientenvertreterinnen und -vertreter beteiligt. In den Institutionen der gesetzlichen Krankenversicherung sind die Versicherten seit längerem über die Sozialwahl vertreten, die im Jahr 2005 zum zehnten Mal durchgeführt wurde. Die Beteiligung bei Sozialwahlen ist bislang jedoch eher gering. Bereits 1996 brachte daher die Gesundheitsministerkonferenz der Länder die Forderung vor, Patientenvertreterinnen und -vertreter unabhängig von der Sozialwahl in die dafür geeigneten Gremien aufzunehmen. Juristisch und ordnungspolitisch problematisch sind dagegen die Beteiligungsmöglichkeiten in den berufsständischen Kammern und den Körperschaften der vertragsärztlichen Versorgung. Die Bundesärztekammer beteiligt Patientenvertreterinnen und -vertreter aktiv bei der Erarbeitung und Verabschiedung von Leitlinien ärztlichen Handelns. Seit März 2001 existiert eine formale Partnerschaft zwischen der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte (BAGH) und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband sowie der Ärztlichen Zentralstelle Qualitätssicherung (ÄZQ). Diese Zusammenarbeit dient der gemeinsamen Auswahl, Zertifizierung und Verbreitung von medizinischen Informationen über die Internetadresse www. patienten-information.de. Zahlreiche Leistungserbringer im Gesundheitswesen berücksichtigen inzwischen zumindest durch Umfragen die Meinung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Patientinnen und Patienten (Stufe 1 der Beteiligung). So gehören Patientenbefragungen zum internen Qualitätsmanagement vieler Krankenhäuser. Seit Beginn der 1990er Jahre hat das Interesse an Qualitätssicherung im deutschen Gesundheitswesen kontinuierlich zugenommen und die Patientenperspektive wird dabei als unverzichtbar erachtet (siehe auch Kapitel 4.3). Gesundheitskonferenzen unterstützen Bürgerinteressen auf regionaler und kommunaler Ebene. Auf regionaler Ebene können sich Bürgerinnen und Bürger, Versicherte sowie Patientinnen und Patienten in kommunalpolitischen Zusammenhängen oder im Rahmen so genannter Gesundheitskonferenzen an der Gestaltung der Gesundheitsversorgung beteiligen [17]. Patientenvertreterinnen und -vertreter bewerten diese Möglichkeiten als sehr positiv, schätzen aber zugleich ein, dass für eine tatsächliche Durchsetzung von Patienteninteressen noch finanzielle und personelle Ressourcen fehlen. Zudem müsste der Informationstransfer zwischen kommunalen Gesundheitskonferenzen, ihren jeweiligen Arbeitsgruppen und den Bürgern verbessert werden [18]. Stärkere Beachtung sollte darüber hinaus die ausgewogene Beteiligung von Frauen und Männern finden. In Nordrhein-Westfalen gibt es mittlerweile eine Plattform (PatientInnen-Netzwerk Nordrhein-Westfalen [19]), über die sich die an Gesundheitskonferenzen beteiligten Patientenund Selbsthilfevertreterinnen und -vertreter austauschen und unterstützen können. Gesundheitsziele sollen Patientensouveränität und Patientenbeteiligung fördern. Mit dem Modellprojekt „gesundheitsziele.de“ ist seit Dezember 2000 mit Unterstützung des damaligen Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung eine Initiative entwickelt worden, bei der Politik, Ärzteschaft, Krankenhäuser, Krankenkassen, aber auch Patienten- und Selbsthilfeorganisationen zusammenarbeiten. Ein Gesundheitsziel ist dabei, die Patientensouveränität und die gesundheitliche Kompetenz zu fördern. Im Einzelnen sollen die Transparenz im Gesundheitswesen erhöht, die Patientenkompetenz und die Patientenrechte gestärkt sowie das Beschwerdemanagement verbessert werden [20]. Zudem werden Verfahren zur Umsetzung dieser Ziele entwickelt, entsprechende Verantwortlichkeiten festgelegt und die regelmäßige Überprüfung des angestrebten Prozesses vereinbart [21]. Entsprechende Maßnahmen sind bereits verabschiedet und werden derzeit umgesetzt. Informations- und Beratungsangebote | Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren …? | 207 6.3 Informations- und Beratungsangebote Ω Zusammenfassung Die Zahl der Informations- und Beratungsangebote im deutschen Gesundheitswesen ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Zu den Anbietern gehören Ärztekammern, Krankenhäuser und Krankenkassen ebenso wie Verbraucherzentralen, Patientenstellen und Selbsthilfegruppen. Wichtigste Berater sind für die meisten Patientinnen und Patienten die Ärzte und Ärztinnen. Gleichwohl wächst der Wunsch nach zusätzlicher Information. In Krankenhäusern nehmen Patientenfürsprecher die Funktion von Ombudsleuten ein. Rund drei Viertel der gesetzlich Versicherten finden, dass die Krankenkassen die Behandlungsqualität bei Ärzten und Krankenhäusern überprüfen sollten. Als unabhängig vom medizinischen Versorgungssystem gelten die Verbraucherzentralen, die beispielsweise über Wahlmöglichkeiten im Gesundheitswesen Auskunft geben. Große Bedeutung haben zudem unabhängige Patientenstellen, die unter anderem über Patientenrechte aufklären, Hilfestellung bei vermuteten Behandlungsfehlern geben, über Finanzierungsfragen informieren und Orientierungshilfe anbieten. In Deutschland gibt es schätzungsweise 70 000 bis 100 000 Selbsthilfegruppen, ein Großteil von ihnen agiert im Gesundheitsbereich. Der volkswirtschaftliche Nutzen ihrer Beratungsleistung wird auf bis zu zwei Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Trotz der Vielzahl von informellen und institutionellen Informationsangeboten sind vergleichende Informationen über die Behandlungsqualität in einzelnen Gesundheitsdiensten weiterhin kaum verfügbar. Defizite bestehen auch bei der Vernetzung der Beratungsangebote. Wünschenswert aus Nutzersicht wäre ein nationales Internetportal, das geprüfte und hochwertige Gesundheitsinformationen zur Verfügung stellt. Derzeit schwankt die Qualität der Internetangebote erheblich. Allerdings sind in den letzten Jahren eine Reihe von Qualitätssicherungsinstrumenten entwickelt worden. Fachliche Informationen sowie verlässliche Auskünfte für Laien lassen sich inzwischen aus zahlreichen Quellen online beziehen. Die Zahl der Informationsangebote wächst. In den letzten Jahrzehnten haben sich in Deutschland neben den tra ditionellen Versorgungseinrichtungen zahlreiche Informations- und Beratungsangebote etabliert. Diese Angebote sind sowohl informeller als auch institutioneller Art. So soll das 2004 vom Gemeinsamen Bundesausschuss errichtete Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen gemäß § 139a des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) für alle Bürgerinnen und Bürger verständliche Informationen zur Qualität und Effizienz in der Gesundheitsversorgung bereitstellen. Die verschiedenen Informations- und Beratungsangebote werden unterschiedlich häufig in Anspruch genommen. Insgesamt besteht dem Telefonischen Gesundheitssurvey 2003 zufolge großes Interesse an medizinischen Informationen. Lediglich zwei Prozent der Befragten gaben an, keine Informationsquellen zu Gesundheitsthemen zu nutzen. Neben eher traditionellen Medien wie Radio, Fernsehen, Zeitungen und Büchern gewinnen Informationen von Krankenkassen und vor allem das Internet an Bedeutung, dessen sich inzwischen jeder Dritte zur Selbstinformation über medizinische Themen bedient. Das Internet wird überwiegend von Männern in Anspruch genommen, alle anderen Informationsquellen werden von Frauen häufiger genutzt [22]. Wenig verfügbar sind vergleichende Informationen über die Qualität der Behandlung. Nur in geringem Maße verfügbar sind vergleichende Informationen über die Qualität der medizinischen Versorgung [23]. So werden die Möglichkeiten, sich über die Qualität eines Krankenhauses zu informieren, als eher gering eingeschätzt. In einer Repräsentativerhebung im Jahr 2002 gaben 58 Prozent der Befragten an, nicht über genügend Informationen zu verfügen, um den für sie besten Anbieter stationärer Leistungen auswählen zu können. 49 Prozent fanden, dass sie auch hinsichtlich der ambulanten Versorgung unterinformiert sind [24]. Derzeit werden verschiedene Instrumente wie beispielsweise Patientenquittungen, Qualitätsberichte oder vergleichende Krankenhausbewertungen entwickelt, um mehr Transparenz im Gesundheitswesen herzustellen. Sie sind allerdings vor allem von professionellen Akteuren für professionelle Akteure konzipiert und zurzeit noch wenig nutzerfreundlich. Um die Nutzerfreundlichkeit zu erhöhen, sollten die betreffenden Informationen besser aufbereitet und leichter zugänglich sein. Zudem ist erforderlich, die Nachhaltigkeit vorhandener Angebote finanziell sicherzustellen. 6.3.1 Träger von Informations- und Beratungsangeboten Interessen und Struktur der Beratungsanbieter unterscheiden sich deutlich. Die Beratungs- und Informationslandschaft in Deutschland ist durch unterschiedliche Angebotsstrukturen und Interessen der Anbieter gekennzeichnet. Zahlreiche Institutionen bieten sowohl Information als auch Beratung an. Eine klare Trennung zwischen den beiden Aspekten existiert derzeit nicht. Vier Gruppen von Anbieterorganisationen lassen sich unterscheiden: So genannte abhängige Beratungseinrichtungen (beispielsweise Krankenkassen, Ärztekammern und Apotheken) werden von Leistungsanbietern oder Kostenträgern im Gesundheitssystem unterhalten und gelten daher als nicht frei von Eigeninteressen. Die sich zunehmend etablierenden unabhängigen Beratungseinrichtungen dagegen (beispielsweise Verbraucherzentralen oder Patientenstellen) stehen in keinem direkten organisatorischen, finanziellen und ideellen Zusammenhang mit den Leistungserbringern im Gesundheitswesen. Auch staatliche Stellen (beispielsweise der Öffentliche Gesundheitsdienst) leisten Beratung, etwa hinsichtlich der Vorbeugung von Infektionskrankheiten, der Kinder- und Jugendgesundheit oder der Behandlung von Suchterkrankungen und psychischen Leiden. Schließlich gibt es private und kommerzielle Informationsanbieter (beispielsweise die pharmazeutische Industrie). Ärztinnen und Ärzte sind weiterhin die wichtigsten Berater. Je nach Erkrankung, Informationsbedarf, persönlichen Präferenzen und Erfahrung wenden sich Patientinnen und Patienten an unterschiedliche Beratungsinstanzen. Nach wie vor stehen die Ärztinnen und Ärzte dabei an erster Stelle [4]. Zahlreiche Patientinnen und Patienten wünschen sich jedoch zusätzliche Beratung, holen eine Zweitmeinung ein oder informieren sich außerhalb des medizinischen Versorgungssystems [25]. Dieser Entwicklung trägt auch die Ärzteschaft selbst zunehmend Rechnung. So wird an fast allen Landesärztekammern inzwischen eine eigene Patientenberatung angeboten. In Nord 208 | Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren …? | Informations- und Beratungsangebote Gesundheitsbezogene Themen Krankheitsbilder, Therapien, Nebenwirkungen, Arzneimittel, alternative Heilverfahren Leistungen von Krankenkassen Leistungsspektrum, Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Krankenkassen, Beitragssätze Psychosoziale Unterstützung Förderung der persönlichen Stärken, Hilfe bei der Alltagsbewältigung Rechtliche Themen Vorsorgedokumente, Patientenverfügungen, Betreuungsrecht, Schwerbehindertenrecht Beschwerden und Behandlungsfehler Verhalten bei Verdacht auf Behandlungsfehler Finanzielle Aspekte Auseinandersetzung mit finanziellen Forderungen, Beratung zu IGeL-Leistungen, Gebührenordnung der Ärzte und Zahnärzte Rentenversicherung Fragen rund um die Rentenversicherung Ambulante Hilfen Hinweis auf ambulante Hilfen Adressen Wunsch nach Informationen über Anbieter von Gesundheitsleistungen, Selbsthilfegruppen etc. Tabelle 6.3: Themen, zu denen von den Rat Suchenden Information und Beratung gewünscht wurde – Ergebnisse aus den Modellprojekten nach § 65b SGB V [37] Informations- und Beratungsangebote | Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren …? | 209 rhein-Westfalen hatten sich die Ärztekammer Nordrhein und die Ärztekammer Westfalen-Lippe bereits am Modellprojekt „Bürgerorientierung des Gesundheitswesens“ [24] beteiligt und setzen nun, nach Abschluss des Projekts, ihre Beratungsarbeit fort. Besonders häufig sind dabei Anfragen nach Adressen von Ärzten und Krankenhäusern, allerdings werden keine Empfehlungen auf der Basis von Qualitätsdaten gegeben. Einen bundesweiten Arztsuchdienst bietet die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) online. Ein ähnlicher Trend lässt sich in der Zahnmedizin beobachten. Über die Zahnärztekammern wurden bundesweit inzwischen über 45 Patientenberatungsstellen eingerichtet. Zusätzlich hat die Bundeszahnärztekammer eine bundesweite Telefonhotline geschaltet. Patientenfürsprecherinnen und -fürsprecher fungieren als Ombudsleute in Krankenhäusern. Auch in den Krankenhäusern wird die Patientenberatung ausgebaut. In den 1970er Jahren waren zunächst die Sozialdienste eingerichtet worden. Mittlerweile sind in vielen Kliniken zudem Selbsthilfegruppen präsent, die Beratung bei speziellen Erkrankungen anbieten. Vielerorts wurden Patientenfürsprecherinnen und -fürsprecher benannt, Ombudsstellen oder Beschwerdestellen geschaffen. Sie sind in sechs Bundesländern inzwischen gesetzlich vorgeschrieben. Die Aufgaben der Patientenfürsprecherinnen und -fürsprecher bestehen darin, bei Beschwerden während des Krankenhausaufenthaltes als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen sowie Anliegen und Interessen von Patientinnen und Patienten gegenüber der Klinik zu vertreten. Die Patientenfürsprecherinnen und -fürsprecher halten regelmäßig Sprechstunden ab und sind gehalten, Patientinnen und Patienten darüber zu informieren [7, 26]. Die Krankenkassen bieten zunehmend Unterstützung in Schadenersatzfällen an. Die gesetzlichen Krankenkassen haben die Aufgabe, die Gesundheit ihrer Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Immer noch eine Kann-Bestimmung (§ 66 SGB V) ist die Unterstützung von Versicherten, die Schadenersatzansprüche wegen Behandlungsfehlern verfolgen. Einige Kassen bieten diesen Beistand aber zunehmend an und reagieren damit auf den ausdrücklichen Wunsch vieler Patientinnen und Patienten [27]. Nach ihrem Selbstverständnis sind die Krankenkassen gut geeignet, Beratung für Versicherte zu leisten, und dies wird auch von den Versicherten so gesehen [28]. Vier Fünftel der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wünschen ein Engagement ihrer Kasse bei Information und Aufklärung [29], rund 83 Prozent der GKV-Mitglieder plädieren dafür, dass die Krankenkassen eine Anwaltfunktion für ihre Versicherten übernehmen, und immerhin 73 Prozent stimmen der Aussage zu, dass die Kassen die Behandlungsqualität bei Ärzten und Krankenhäusern überprüfen sollten. Zunehmend bieten Krankenkassen ihren Mitgliedern eine kostenlose telefonische Beratung. In entsprechenden Call-Centern stehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Gesundheitsberufe (Ärzte, Psychologen, Ernährungsberater und Krankenschwestern) zur Verfügung, die Fragen zu Erkrankungen und Medikamenten beantworten, bei der Arztsuche helfen und über Themen wie Fitness und Ernährung informieren. Allerdings scheint die Qualität der Beratung noch verbesserungsfähig zu sein [30]. Besonders wichtig ist den Anrufern, dass sie über den telefonischen Informationsdienst schnell und zu verschiedenen Tageszeiten einen Ansprechpartner für ein persönliches Gespräch finden können [31]. Die Träger der Rehabilitation richten flächendeckend Servicestellen ein. Oft in enger Kooperation mit den Krankenkassen bieten auch die Pflegekassen Information und Beratung an (§ 7 SGB XI, § 72 Absatz 5 SGB XI). Schwerpunkte sind dabei Fragen zu Leistungsansprüchen und Antragsverfahren, organisatorische und rechtliche Probleme sowie Informationen über Anbieter und Angebote der pflegerischen Versorgung [32]. Mit dem ab Mitte 2001 geltenden Neunten Sozialgesetzbuch wurden die Leistungsträger der Rehabilitation (beispielsweise Renten- und Krankenversicherung, Bundesanstalt für Arbeit, Berufsgenossenschaften) verpflichtet, in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt mindestens eine gemeinsame Servicestelle einzurichten. Rat Suchende sollen hier eine trägerübergreifende, umfassende Beratung erhalten, die den Betroffenen eine individuell zugeschnittene Rehabilitation ermöglicht. Das Interesse der Wohlfahrtsverbände, sich in der Beratung im Gesundheitswesen zu engagieren, wächst. Die großen Sozialund Wohlfahrtsverbände sind durch ihr Engagement als freie Träger der Jugend-, Sozial- oder Altenhilfe traditionell den Anliegen von Menschen in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen verpflichtet und haben vielfältige Erfahrungen in der Beratungs- und Betreuungsarbeit. Zu dieser Gruppe von Informationsanbietern gehören die Sozial- und Behindertenverbände (beispielsweise der Sozialverband Deutschland) sowie freie Träger wie das Deutsche Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt, der Arbeiter-Samariter-Bund, die Johanniter Unfallhilfe, das Diakonische Werk, der Deutsche Caritasverband, das Malteser Hilfswerk oder der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband. Als unabhängige Patientenberatungseinrichtungen gelten Verbraucherzentralen und Patientenstellen. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen fungiert als Dachorganisation von 39 Verbraucher- und sozial orientierten Organisationen in Deutschland. Dazu gehören die 16 Verbraucherzentralen in den Bundesländern mit ihren regionalen Beratungsstellen. Diese bieten ein vielfältiges Angebot von Informationsschriften an. In einigen Verbraucherzentralen können sich die Bürgerinnen und Bürger beispielsweise zu Möglichkeiten der Arzt-, Krankenhaus- und Kassenwahl, zu (zahn)ärztlichen Abrechnungen sowie zu rechtlichen Fragen bei Konflikten mit Ärzten und Krankenkassen oder bei Behandlungsfehlern beraten lassen (siehe beispielsweise www.vznrw.de oder www.patientenprojekt.de). Die Verbraucherzentralen sind unabhängig vom medizinischen Versorgungssystem und genießen hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Ebenfalls als unabhängige Einrichtungen sind die Patientenstellen einzuordnen, die sich zur Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen (BAGP) zusammengeschlossen haben. Mittlerweile existieren bundesweit zwölf Patientenstellen, die von gemeinnützigen Vereinen getragen werden (siehe www. patientenstellen.de) [33]. Die Beratungsstellen greifen die Kritik von Patientinnen und Patienten sowie Professionellen am Gesundheitswesen auf und engagieren sich für entsprechende Verbesserungen, beispielsweise im Gemeinsamen Bundesausschuss, wo die BAGP mit beratender Stimme vertreten ist. Zum Angebot der Patientenstellen gehören Gesundheits- und Transparenzinformationen, Aufklärung über Patientenrechte, Beratung bei Beschwerden über Mängel in der Gesundheitsversorgung, Unterstützung bei einem Behandlungsfehlerverdacht oder fehlerhafter Abrechung. Jährlich werden insgesamt etwa 10 000 Beratungsfälle dokumentiert. Darüber hinaus existiert ein buntes Spektrum von Vereinen, die sich zum Schutz der Patientinnen und Patienten beziehungsweise zur Vertretung von Patienteninteressen gegründet 210 | Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren …? | Informations- und Beratungsangebote Beschwerde Behandlung Rechnung Mahnung Beschwerde Verhalten Sozialrecht allgemein Diagnostik Therapie Behandler Einrichtungen Zuzahlung Finanzierung Verdacht Behandlungsfehler Leistungskatalog Kasse Patientenrechte 0 200 400 Fälle 2002 600 800 1 000 Fälle 2004 1 200 1 400 Fälle Abbildung 6.3: Themenbereiche der Beratung. Quelle: Projekt der Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und -initiativen (BAGP) haben (beispielsweise Patientenschutz e. V., Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten e. V.). Allerdings sind die Ziele dieser Gruppierungen häufig nicht transparent und die dahinter stehenden Interessen nicht immer deutlich [23]. Die großen Sozial- und Wohlfahrtsverbände sind durch ihr Engagement als freie Träger der Jugend-, Sozial- oder Altenhilfe traditionell den Anliegen von Menschen in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen verpflichtet und haben vielfältige Erfahrungen in der Beratungs- und Betreuungsarbeit. Zu dieser Gruppe von Informationsanbietern gehören die Sozialund Behindertenverbände (beispielsweise der Sozialverband Deutschland) sowie freie Träger wie das Deutsche Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt, der Arbeiter-Samariter-Bund, die Johanniter Unfallhilfe, das Diakonische Werk, der Deutsche Caritasverband, das Malteser Hilfswerk oder der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband. Das Interesse der Wohlfahrtsverbände, sich in der Beratung im Gesundheitswesen zu engagieren, wächst. Unabhängige Beratungseinrichtungen werden gesetzlich gefördert. Im Zuge der Gesundheitsreform 2000 wurde mit der Einführung des § 65b in das Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) den gesetzlichen Krankenkassen die modellhafte Finanzierung der unabhängigen Verbraucher- und Patientenberatung übertragen. Demnach sollen die Spitzenverbände der Krankenkassen mit jährlich insgesamt 5 113 000 Euro im Rahmen von Modellprojekten Einrichtungen fördern, die sich die Information, Beratung und Aufklärung von Versicherten zum Ziel gesetzt haben und von den Spitzenverbänden als förderungsfähig anerkannt wurden, wobei dies auch den Nachweis der Neutralität und Unabhängigkeit voraussetzt. Entsprechend wurde die Förderung von Modellprojekten ausgeschrieben. Auf die erste Ausschreibung gingen knapp 300 Anträge aus unterschiedlichen Einrichtungen und mit unterschiedlichen Zielsetzungen ein, von denen 30 in die Förderung aufgenommen wurden. Nach Ende der ersten Modellphase erfolgte Mitte 2005 eine neue Ausschreibung, die Verbundstrukturen bei den Angeboten voraussetzt und damit Empfehlungen der wissenschaftlichen Begleitforschung aufgreift. Die Empfehlungen und Ergebnisse sind im Internet einsehbar (www.g-k-v.com). Beraterinnen und Berater müssen kompetent sein und ausreichend Zeit haben. Die Ergebnisse aus den Modellprojekten zeigen, dass Rat Suchende vor allem an gesundheitsbezogenen Informationen interessiert sind. Daneben spielen versicherungsrechtliche Fragen und die Suche nach spezialisierten und kompetenten Leistungsanbietern eine wesentliche Rolle (siehe Tabelle 6.3). Allerdings lassen sich gerade Anfragen bezüglich kompetenter Leistungsanbieter in der Praxis kaum beantworten. Denn einerseits verbieten rechtliche Regelungen dezidierte Empfehlungen, andererseits fehlen zuverlässige Daten, die solche Empfehlungen begründen könnten. Die Zufriedenheit der Rat Suchenden mit der unabhängigen Patienten- und Verbraucherberatung ist hoch. Die Nutzer heben vor allem die Tatsache hervor, dass ihnen kompetent geholfen wird und die Berater auch ausreichend Zeit haben [34]. Frauen, ältere Menschen und Personen mit mittlerem bis hohem Schulabschluss nutzen die Angebote der Beratungseinrichtungen häufiger als Männer, jüngere Menschen und Personen mit niedrigem Bildungsniveau. Eher selten lassen sich Ausländerinnen und Ausländer beraten [35]. Aufgabe der Beraterinnen und Berater ist, als Wegweiser zu fungieren, Informationen und Handlungskompetenzen zu vermitteln und dadurch die Patientenautonomie zu stärken [36]. Informations- und Beratungsangebote | Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren …? | 211 Der Beratungsbedarf bei finanziellen und rechtlichen Fragen steigt. Mit den gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen verändert sich auch der Beratungsbedarf. Das zeigt eine Auswertung eines geförderten Projekts der Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und -initiativen (BAGP-Projekt) (siehe Abbildung 6.3). So wurden im Jahr 2004 mehr Anfragen hinsichtlich Patientenrechten, Krankenkassenleistungen und Zuzahlungen sowie im Zusammenhang mit Beschwerden über Leistungserbringer und Kostenträger gestellt als im Jahr 2002. Dies korrespondiert mit einem gesundheitspolitischen Trend hin zu stärkerer finanzieller Eigenbeteiligung und Beschränkung von Kassenleistungen. Die entsprechend vermehrt anfallenden privatärztlichen Dienstleistungen und Abrechnungen verunsichern die Patientinnen und Patienten und führen zu einem erheblichen Beratungsbedarf [38]. Demgegenüber hat sich die Zahl der Anfragen wegen vermuteten Behandlungsfehlern seit 2002 kaum verändert, was auf ein eher konstantes Problem hinweist. Vermutete Behandlungsfehler waren im Jahr 2004 zweithäufigster Anfragegrund. Experten sehen Patienten- und Selbsthilfeorganisationen als zentrale Träger der zukünftigen Patientenberatung. Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitforschung zu den Modellprojekten nach § 65b SGB V wurden rund 200 Experten befragt, welche Rolle die Patientenberatung in Zukunft spielen wird und welche Träger für die Patientenberatung am wichtigsten sind. Etwa 80 Prozent von ihnen gehen von einer wachsenden Bedeutung der Patientenberatung in den nächsten 20 Jahren aus. 63 Prozent zählen Patientenberatungsstellen, 57 Prozent Selbsthilfeorganisationen zu den wichtigsten Beratungseinrichtungen. Die Krankenhäuser halten 43 Prozent der befragten Experten für sehr wichtige Träger zukünftiger Beratungsangebote. Darauf folgen die Rehabilitationseinrichtungen (32 Prozent), die ambulanten Pflegedienste (29 Prozent), die gesetzlichen Krankenkassen (29 Prozent) und die Verbraucherzentralen (28 Prozent). Kassenärztliche Vereinigungen, Ärztekammern, Pharmaunternehmen und kommerzielle Anbieter werden nur von wenigen Befragungsteilnehmern als relevante Träger betrachtet. Das Bundesgesundheitsministerium, das Gesundheitsamt sowie die Apotheken sehen nur 15 Prozent der Befragten als wichtigste Beratungsanbieter an [39]. 6.3.2 Selbsthilfegruppen Selbsthilfegruppen machen Defizite im Gesundheitswesen wett. Selbsthilfegruppen sind in Reaktion auf Defizite im Gesundheitswesen entstanden und nach anfänglicher Ablehnung seitens der professionellen Akteure zu einem festen Bestandteil des Versorgungssystems geworden [40]. Inzwischen ist weithin anerkannt, dass sich aus persönlicher Betroffenheit heraus ein Expertenwissen entwickeln kann und Selbsthilfegruppen wesentlich zur Betreuung von Patientinnen und Patienten beitragen [41, 42]. Der volkswirtschaftliche Nutzen der Arbeit von Selbsthilfegruppen wird auf bis zu zwei Milliarden Euro pro Jahr geschätzt [43]. Hinweis zur Auswahl der Internetadressen Die im Abschnitt 6.3.3 genannten Internetadressen sind als Beispiele und nicht im Sinne einer Systematik zu verstehen. Sie stellen keine Bewertung oder Hierarchie dar. Schätzungen gehen davon aus, dass es in Deutschland 70 000 bis 100 000 Selbsthilfegruppen mit etwa drei Millionen Mitgliedern gibt, von denen ein großer Teil im Gesundheitsbereich tätig ist [44]. Im Jahr 2003 existierten in Deutschland 273 Selbsthilfekontaktstellen (201 in den alten, 72 in den neuen Bundesländern), die als Anlaufstellen für alle an Selbsthilfe Interessierten fungieren. Fast die Hälfte der Kontaktstellen wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband beziehungsweise seinen Mitgliedsverbänden getragen [45]. Bundesweite Koordination leistet die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS). Nach § 20 SGB V sollen die Krankenkassen Selbsthilfegruppen und Selbsthilfekontaktstellen pauschal oder projektbezogen mit einem bestimmten jährlichen Betrag pro Versicherten fördern. Dieser lag im Jahr 2004 bei 0,54 Euro, von dem jedoch lediglich 0,39 Euro pro Versicherten (insgesamt 28 Millionen Euro) als direkte Selbsthilfeförderung ausgeschüttet wurden. Der gesetzliche Auftrag ist somit bis heute nicht vollständig umgesetzt. Als Ursachen werden strukturelle Probleme bei den Krankenkassen und ein hoher bürokratischer Aufwand beim Förderverfahren, aber auch Schwierigkeiten bei der Antragstellung auf Seiten der Selbsthilfe angesehen [44]. Ω Umfassende Informationen zur Selbsthilfe im Gesundheitsbereich finden sich in Heft 23 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [44]. 6.3.3 Informationsangebote im Internet Die Qualität der Angebote im Internet schwankt erheblich. Medizinische Informationen im Internet bewegen sich zwischen neutraler und verlässlicher Aufklärung einerseits und eindeutiger Produktwerbung andererseits. Ein qualitätsgesichertes, nationales Gesundheitsportal für Laien, wie es beispielsweise in Großbritannien oder den USA (www.healthfinder.gov) existiert, gibt es in Deutschland in dieser Form nicht. Auf europäischer Ebene soll künftig ein Portal der Europäischen Union Zugang zu faktengestützten Informationen bieten [46]. Auf Initiative der Bundesregierung wurde vor einigen Jahren das „Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem“ (afgis) gegründet, um die Qualität der Informationen im Internet durch die Entwicklung von Qualitätskriterien zu erhöhen. Dazu vergibt afgis Anbietern von Gesundheitsinformationen im Internet ein Qualitätslogo. Vor Vergabe des Qualitätslogos werden die Webseiten auf Transparenz, Vermittlungsqualität und Daten- und Persönlichkeitsschutz hin geprüft. Das Spektrum der zertifizierten Anbieter reicht von kommerziellen Instituten über Forschungsinstitutionen, Krankenkassen bis hin zu Selbsthilfegruppen. Ein weiteres Instrument zur Sicherung der Qualität von elektronischen Gesundheitsinformationen ist Discern (www. discern.de), mit dessen Hilfe Nutzerinnen und Nutzer die Güte von Webseiten selbst beurteilen können. Auch von der Europäischen Kommission wurden Qualitätsstandards für gesundheitsbezogene Internetangebote ausgearbeitet [47]. Die ent- 212 | Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren …? | Informations- und Beratungsangebote scheidenden Kriterien sind dabei Transparenz und Vertrauenswürdigkeit, Ausweisung der Urheberschaft und Angabe aller Quellen, Datenschutz, fortlaufende Aktualisierung, klare Verantwortlichkeit und gute Zugänglichkeit. Vergleichbare Qualitätsmaßstäbe legt die Schweizer Health On the Net Foundation (www.hon.ch/HONcode/Conduct.html) für ihr HON-CodeSiegel zugrunde, welches auch von vielen deutschen Anbietern verwendet wird. Gut zugänglich im Internet ist die medizinische Fachliteratur. Die Literaturdatenbank PubMed der amerikanischen National Library of Medicine umfasst über 15 Millionen Referenzen aus biomedizinischen Fachzeitschriften, teilweise mit direkten Links zu Zusammenfassungen und Artikeln. In Deutschland bietet das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information DIMDI (www.dimdi.de) umfassende Literaturdatenbanken sowie Informationen zu Krankheitsklassifikationen, Arzneimitteln, Medizinprodukten und medizinischen Verfahren. Ein Teil des Angebots ist speziell auf die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzten zugeschnitten. Auch die deutsche Zentralbibliothek für Medizin (www.zbmed.de) macht medizinische Literatur über eine elektronische Zeitschriftenbibliothek und ein Datenbank-Infosystem zugänglich. Viele der in diesen Literaturdatenbanken enthaltenen Informationen sind allerdings in englischer Sprache beziehungsweise für Fachleute geschrieben. Auch Behandlungsleitlinien und Therapiebewertungen sind online verfügbar. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften bietet unter www.leitlinien.net alle wissenschaftlich fundierten Leitlinien für Diagnostik und Therapie. Von einigen Leitlinien sind auch spezielle Kurzfassungen für Patienten verfügbar. Die Cochrane Collaboration ist ein weltweites Netzwerk von Wissenschaftlern und Ärzten, die systematische und aktuelle Übersichtsarbeiten (Reviews) zur Bewertung von Therapien erstellen. In die Cochrane-Reviews gehen alle zu einer bestimmten Fragestellung verfügbaren Daten ein, um ein möglichst objektives Bild zu geben. Das Deutsche Cochrane Zentrum in Freiburg (www.cochrane.de) bietet über einen Link zur Cochrane Library die Möglichkeit, alle dort gespeicherten Abstracts zu durchsuchen und auszudrucken. Das ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin hat unter der Adresse www.patienten-information.de ein Portal für geprüfte Gesundheitsinformationen für Patientinnen und Patienten sowie Laien eingerichtet. Neben Literatur finden sich auf diesen Seiten Hinweise zu Patientenschulungen, Selbsthilfeund Patientenberatungsstellen sowie Qualitätschecklisten. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) bietet auf der Seite www.gesundheitsinformation. de unabhängige und geprüfte Informationen für Bürgerinnen und Bürger an, die auf dem derzeitigen Stand der Wissenschaft beruhen. Zahlreiche Webseiten bieten Informationen zu Krebsleiden an. Aktuelle Informationen über Krebserkrankungen bietet der im Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg angesiedelte Krebsinformationsdienst KID (www.krebsinformation. de). Auch per E-Mail und Telefon können sich Bürgerinnen und Bürger wie Patientinnen und Patienten Rat holen. Der KID wird vom Bundesministerium für Gesundheit unter finanzieller Beteiligung des Sozialministeriums Baden-Württemberg gefördert. Im Jahr 2004 wurden 17 418 telefonische und 2 446 per E-Mail gestellte Anfragen beantwortet. 63 Prozent der Rat Suchenden waren Frauen, 35 Prozent Männer (zwei Prozent machten keine Angaben), wobei es sich zum überwiegenden Informations- und Beratungsangebote | Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren …? | 213 Teil um Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen handelte (jeweils rund 40 Prozent). Mitunter informierten sich auch Freunde und Bekannte (sechs Prozent der Anfragen), Professionelle im Gesundheitswesen (vier Prozent) und allgemein interessierte Bürgerinnen und Bürger (7,5 Prozent). Auch die Deutsche Krebsgesellschaft (www.krebsgesellschaft.de) und die Deutsche Krebshilfe (www.krebshilfe.de) liefern auf ihren Internetseiten Informationen über Krebsleiden. Die zu verschiedensten Krebskrankheiten verfügbaren „PDQ Behandlungsinformationen für Patienten“ (www.meb.unibonn.de/cancernet/deutsch/) beruhen auf Dokumenten des National Cancer Institute der USA und sind speziell auf Laien zugeschnitten. Das „Informationsnetz für Krebspatienten und Angehörige“ (www.inkanet.de) ist dagegen aus einer Patienteninitiative entstanden und will die Betroffenen motivieren, sich eigenständig über die Krankheit und die entsprechenden Beratungsangebote zu informieren. Kompetenznetze klären über unterschiedlichste Krankheiten auf. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Kompetenznetze in der Medizin (www.kompetenznetze-medizin.de) bieten ebenfalls Informationen für Patientinnen und Patienten an, beispielsweise zu Depressionserkrankungen, Schlaganfällen, Demenzleiden und AIDS. Weitere Anlaufstellen im Internet sind die Dachverbände von Selbsthilfeorganisationen beziehungsweise Stiftungen, beispielsweise die Deutsche Rheuma-Liga (www.rheuma-liga.de) oder die Deutsche Schlaganfallhilfe (www.schlaganfall-hilfe.de). Ein breites Informationsangebot findet sich auf den Internetseiten des Bundesministeriums für Gesundheit (www.bmg. bund.de) sowie auf den Seiten der jeweiligen Länderministerien. Auch die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (www.bzga.de) und das Robert Koch-Institut (www.rki.de) bieten den Nutzern ihrer Seiten umfangreiche und vielfältige Informationen. Das Informationssystem der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, das Daten und Analysen zu allen Bereichen des Gesundheitswesens zur Verfügung stellt, ist ebenfalls online verfügbar (www.gbe-bund.de). Leistungsanbieter und Kostenträger nutzen ihre Webseiten zum Klientenkontakt. Die Internetseiten der gesetzlichen und privaten Krankenkassen liefern Informationen zu vielfältigen Gesundheitsthemen. Ebenso finden sich hier OnlineBeratungsmöglichkeiten und -Foren. Die verschiedenen Leistungserbringer, von Apothekern bis hin zu Zahnärzten, geben im Internet Aufschluss über ihre Leistungen und Konditionen. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist unter www.g-ba.de im Netz erreichbar. Auch kommerzielle Informationsdienste im Gesundheitssektor sind auf dem Markt, ihre Dienste sind allerdings teilweise kostenpflichtig und nicht immer hinreichend transparent. Wünschenswert aus Nutzersicht wäre ein nationales unabhängiges Gesundheitsportal, das hochwertige Informationen zugänglich macht beziehungsweise die entsprechenden Seiten verlinkt. In einem solchen Gesundheitsportal könnten auch Strukturinformationen sowie Daten zur Qualität der Versorgungseinrichtungen angeboten werden [23]. Zukünftig wird der besseren Vernetzung der unterschiedlichen Informations- und Beratungsangebote besondere Bedeutung zukommen [32]. Erforderlich sind Anlaufstellen, die sich deutlich mehr als bisherige Versorgungseinrichtungen um den ganzen Menschen kümmern, als Lotsen im Gesundheitssystem fungieren, Finanzierungsfragen klären und zudem psychosoziale Unterstützung anbieten. Eine derart ausgestaltete Bürger- und Patientenorientierung wäre ein entscheidender Beitrag zur Gesundheitsversorgung in Deutschland. Ω Umfassende Informationen zur Bürger- und Patientenorientierung im Gesundheitswesen finden sich in Heft 32 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (in Vorbereitung) [32]. 214 | Wie können sich Patientinnen und Patienten informieren und an Entscheidungen beteiligen? | Literatur Literatur 1 Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2002) Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit. Bd. 1 Zielbildung, Prävention, Nutzerorientierung und Partizipation. Gutachten 2000/2001. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2 Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2003) Finanzierung, Nutzerorientierung und Qualität. Gutachten 2003. Band 1: Finanzierung und Nutzerorientierung. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 3 Badura B, Schellschmidt H, Hart D (1999) Bürgerorientierung des Gesundheitswesens – Selbstbestimmung, Schutz, Beteiligung. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 4 Dierks M, Bitzer E, Lerch M et al. 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Wissenschaftliche Analyse und Bewertung einer repräsentativen Bevölkerungsstudie. JanssenCilag-GmbH, Neuss 29 Zok K (1999) Anforderungen an die Gesetzliche Krankenversicherung. Einschätzungen und Erwartungen aus Sicht der Versicherten. In: Wissenschaftliches Institut der AOK (Hrsg) Bonn 30 Stiftung Warentest (2002) Krankenversicherten-Hotlines. 2002 (8): 23 – 27 31 Schwarz G, Mieth I, Dierks M et al. (2001) Ergebnisse und Erfahrungen mit der telefonischen Vermittlung evidenz-basierter Gesundheitsinformationen. Ersatzkasse 3: 109 – 113 32 Robert Koch-Institut (Hrsg) (2005) Bürger- und Patientenorientierung im Gesundheitswesen. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Heft (in Vorbereitung). RKI, Berlin 33 Hölling G (2004) Strukturentwicklung für ein partizipatives Gesundheitswesen. In: Göpel (Hrsg) Gesundheit bewegt, Mabuse Frankfurt 34 Schaeffer D, Dierks M, Ewers M et al. (2003) Evaluation der Modellprojekte zur Patienten- und Verbraucherberatung nach § 65 b Sozialgesetzbuch V. Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung 14.3.2003 35 Dierks M, Seidel G (2003) Die Nutzer der Modellprojekte nach § 65b – erste Ergebnisse der Nutzerdokumentation. Vortrag im Rahmen der Tagung „Armut und Gesundheit“. Berlin 36 Seidel G, Dierks M (2004) Wegweiser Evaluation von Modellprojekten nach § 65b SGB V: Patienten- und Verbraucherberatungsstellen haben Lotsenfunktion. Niedersächsisches Ärzteblatt 77: 10 – 11 37 Seidel G, Dierks M (2005) Auswertung der Nutzer-Anfrage-Dokumentation der Modellprojekte zur Verbraucher- u. Patientenberatung nach § 65b SGB V. Bericht der wissenschaftlichen Begleitforschung für die Spitzenverbände der GKV. Institut für Pflegewissenschaften der Universität Bielefeld (IPW), Bielefeld 38 BAGP Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und -initiativen (Hrsg) (2005) Bericht über die unabhängige PatientInnenberatung in der BAGP. Eigenverlag 39 Universität Bielefeld (2004) Evaluation der Modellprojekte zur Patienten- und Verbraucherberatung nach § 65 b Sozialgesetzbuch V – Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung für die Spitzenverbände der GKV http://www.gkv.info/media/Projekte/VerbraucherPatienten/Evaluationsbericht.pdf 40 Trojan A (2003) Der Patient im Versorgungsgeschehen: Laienpotential und Gesundheitsselbsthilfe. In: Schwartz F, Badura B, Busse R et al. (Hrsg) Das Public Health Buch Gesundheit und Gesundheitswesen. Urban & Fischer München Jena, S 321 – 333 41 Bogenschütz A, Fischer J, Schlömann D et al. (2000) Ein Blick in die Arbeit der Kooperationsberatungsstellen für Selbsthilfegruppen und Ärzte einiger Kassenärztlicher Vereinigungen. In: Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. (Hrsg) Selbsthilfegruppenjahrbuch 2000, Selbstverlag Gießen, S 83 – 87 42 Matzat J (2003) Bürgerschaftliches Engagement im Gesundheitswesen – unter besonderer Berücksichtigung der Patienten-Selbsthilfebewegung. Bürgerschaftliches Engagement und Sozialstaat. Leske und Budrich, Opladen 43 Weller M (2000) Selbsthilfeförderung – Vom Patienten zum Partner. Gesundheit und Gesellschaft 3 (8): 30 – 34 44 Robert Koch-Institut (Hrsg) (2004) Selbsthilfe im Gesundheitsbereich. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Heft 23. RKI, Berlin 45 Enquete-Kommission Bürgerschaftliches Engagement (2003) Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements. Leske und Budrich, Opladen 46 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2004) Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Elektronische Gesundheitsdienste – eine bessere Gesundheitsfürsorge für Europas Bürger: Aktionsplan für einen europäischen Raum der elektronischen Gesundheitsdienste. KOM 356 endgültig 47 Commission of the European Communities (2002) Communication from the Commission to the Council, the European Parliament, the Economic und Social Committee and the Committee of the Regions. eEurope 2002: Quality Criteria for Health related Websites. COM 667 endgültig (2202) 216 | Anhang | Glossar G lossar Das Glossar enthält ausgewählte Begriffe übergreifender Bedeutung. In den einzelnen Kapiteln und Abschnitten verwendete Fachbegriffe oder Abkürzungen werden in der Regel unmittelbar im Text erläutert. Für weitergehende Informationen zu medizinischen Fachtermini wird auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen. ABL Früheres Bundesgebiet und Berlin (einschließlich Berlin-Ost) Altersstandardisierung Verfahren, bei dem Erkrankungs- oder Todesfallraten auf eine (fiktive) Vergleichsbevölkerung mit definierter Altersstruktur umgerechnet werden. Die Altersstandardisierung eliminiert die Effekte des gesellschaftlichen Alterungsprozesses, wodurch sich Veränderungen der Erkrankungsraten besser interpretieren lassen. Altersstandardisierte Daten erlauben auch den Vergleich von Ländern mit unterschiedlicher Altersstruktur. Biozide, biozid Stoffe, die Lebewesen schädigen oder abtöten (Schädlingsbekämpfungsmittel) Body-Mass-Index siehe Definition S. 113 Budgetierung Vergütung von Leistungen im Gesundheitswesen mit einem Pauschal- oder Höchstbetrag Curriculum Lehrplan Direktkäufe Ausgaben privater Haushalte oder anderer für Gesundheitsleistungen und -produkte, die von anderen Ausgabenträgern (beispielsweise den Krankenversicherungen) nicht oder nicht vollständig gedeckt werden oder im Rahmen von Kostenbeteiligungen anfallen Disease-Management-Programm An standardisierten Leitlinien orientierter Behandlungsplan für chronische Leiden, bei dem Verlauf und Erfolg der Therapie fortlaufend dokumentiert und die Patienten in besonderem Maße einbezogen werden. Synonym spricht man auch von strukturierten Behandlungsprogrammen oder Chroniker-Programmen. Drogenaffinitätsstudie Seit 1973 durchgeführte Wiederholungsbefragungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Drogenkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener im Alter zwischen 12 und 25 Jahren. Die Untersuchungen beziehen sich auf den Konsum von Zigaretten, Alkohol und illegalen Drogen. Einkommensleistungen siehe Definition S. 187 Fallpauschalen (diagnosebezogen) Pauschalierte Vergütung für einen Behandlungsfall im Krankenhaus Feinstaubpartikel siehe Definition S. 91 Fraktur Bruch eines Knochens Gesundheitsausgaben siehe Definition S. 187 Glossar | Anhang | 217 Gesundheitssurvey Repräsentative Bevölkerungsstudie, die beispielsweise mit Interviews und Untersuchungen die Häufigkeit von Krankheiten und Beschwerden, die gesundheitliche Zufriedenheit und Lebensqualität sowie das Gesundheitsverhalten und die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen untersucht High Utilizer Personen, die das Gesundheitssystem stark in Anspruch nehmen, beispielsweise durch überdurchschnittlich häufige Arztbesuche aufgrund körperlicher Beschwerden Indikator Kennziffer Inzidenz Häufigkeit des Neuauftretens einer Erkrankung, gemessen beispielsweise als jährliche Zahl der Neuerkrankungen pro 100 000 Personen Ischämie siehe Definition S. 23 Kohorte Personengruppe, die über ein gemeinsames Merkmal definiert werden kann, beispielsweise das Lebensalter Krankheitskosten siehe Definition S. 195 Längsschnittstudie Längsschnittstudien untersuchen die Entwicklung oder das Verhalten einer Bevölkerung bzw. einer BevölkerungsStichprobe im Verlauf eines vorgegebenen Zeitraums. Lebenserwartung (durchschnittliche, mittlere, fernere L.) siehe Definition S. 15 Lebenserwartung in Gesundheit siehe Definition S. 16 Lebensjahre, verlorene siehe Definition S. 66 Mammographie Röntgendarstellung der weiblichen Brust Median Zentralwert einer Verteilungskurve, unter und über dem jeweils 50 Prozent der Einzelwerte liegen. Der Median fällt bei einer gleichmäßigen (glockenförmigen) Verteilung mit dem Mittelwert zusammen. Bei einer ungleichmäßigen Verteilungskurve, beispielsweise der Einkommensverteilung in der Bevölkerung, weicht er davon ab. Menopause Zeitpunkt der letzten Menstruation (Monatsblutung) Metabolisches Syndrom siehe Definition S. 117 Mikrozensus Der Mikrozensus ist die amtliche Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt, an der jährlich 1 Prozent aller Haushalte in Deutschland beteiligt sind (laufende Haushaltsstichprobe). Im Rahmen der vierjährlichen Zusatzprogramme werden unter anderem Angaben zur Wohnsituation, zur Krankenversicherung sowie zur Gesundheit und Behinderteneigenschaft erhoben. Morbidität Krankheitshäufigkeit (siehe auch Inzidenz, Prävalenz) 218 | Anhang | Glossar Mortalität siehe Sterblichkeit NBL Neue Länder ohne Berlin-Ost Odds Ratio (OR) Dient als vergleichendes Maß des (Erkrankungs-)Risikos. Die Odds Ratio kann beispielsweise aus dem Verhältnis von Erkrankten zu Gesunden in zwei verschiedenen Bevölkerungsgruppen berechnet werden. Ist sie größer oder kleiner als eins, ist das Risiko entsprechend ungleich verteilt. OECD Organisation for Economic Co-operation and Development – Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ottawa-Charta Auf der 1. Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung (Ottawa 1986) verabschiedete Charta, die zum aktiven Handeln für das Ziel „Gesundheit für alle“ bis zum Jahr 2000 und darüber hinaus aufruft perinatal Zeit um die Geburt (zwischen 39. Schwangerschaftswoche und 7. Lebenstag) Perzentil; Quartil Ein Perzentil, zu dem noch eine n-Prozent-Angabe gehört (beispielsweise das 95-%-Perzentil), bezeichnet die Stelle in einer nach Größe geordneten Reihe von Beobachtungswerten, auf die bezogen n Prozent aller Werte kleiner oder gleich diesem Wert sind. Spezielle Perzentile sind Median (50 %), Quartile (25 %, 50 %, 75 %) oder Quintile (20 %, 40 %, 60 %, 80 %) PISA-Studie Programme for International Student Assessment: International durchgeführte Schulleistungsstudie. Die Studie ist Teil des Indikatorenprogramms INES der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), das dazu dient, den OECD-Mitgliedsstaaten vergleichende Daten über ihre Bildungssysteme zur Verfügung zu stellen. Prävalenz Krankheitsverbreitung, gemessen als Zahl der Personen, die beispielsweise an einem Stichtag (Punktprävalenz) oder innerhalb eines Jahres (Jahresprävalenz) unter einer bestimmten Krankheit leiden Prävention (primäre, sekundäre, tertiäre) siehe Definition S. 125 prospektiv Bezeichnung für eine in die Zukunft hinein angelegte Studie, bei der bestimmte Daten erst generiert und nicht nur vorhandene Informationen zurückschauend (retrospektiv) interpretiert werden. Prospektive Untersuchungen gelten als aussagekräftiger und weniger anfällig für Verzerrungen als retrospektive. PSA-Test Blutuntersuchung zur Entdeckung des Prostata-spezifischen Antigens. PSA wird bei verschiedenen Erkrankungen der Prostata vermehrt an das Blut abgegeben. Qualität (Struktur-, Prozess-, Ergebnisqualität) siehe Definition S. 172 Qualitätszirkel Arbeitskreise aus Personen mit gleichen Erfahrungen oder gleicher Hierarchiestufe (hier meist niedergelassene Ärzte), in denen Fragen der täglichen Arbeit diskutiert und Verbesserungsvorschläge gemacht werden. Ziel ist ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess im Sinne eines Qualitätsmanagements (QM). Repräsentativität; repräsentativ ist eine Eigenschaft von Stichproben, die ausdrückt, dass die Stichprobenteilbevölkerung so strukturiert und beschaffen ist, dass die aus diesem Teil gewonnenen Ergebnisse auf die zugrunde liegende Gesamtheit übertragbar sind Resistenz genetisch bedingte Widerstandskraft von Krankheitserregern gegen Antibiotika Säuglingssterblichkeit siehe Definition S. 75 Sentinel-Erhebungen In Sentinels werden auf freiwilliger Basis aus Beobachtungspraxen oder Beobachtungsgesundheitsämtern Krankheitsfälle oder andere relevante Daten regelmäßig an eine Auswertungsstelle gemeldet, um Entwicklungen bestimmter Krankheiten oder Gesundheitsprobleme in einer (Teil-) Bevölkerung zu ermitteln. Screening Reihenuntersuchung einer Bevölkerung zur möglichst frühzeitigen Entdeckung von Krankheiten SF-36-Fragebogen Short Form 36: Fragebogen zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität auf der Basis von 36 Einzelfragen signifikant Bezeichnung für ein statistisches Ergebnis, bei dem es unwahrscheinlich ist, dass es durch Zufall zustande kam. Die Signifikanz ist eines von mehreren Maßen für die Aussagekraft einer statistischen Untersuchung. Signifikanzniveau Gibt an, ab welcher Wahrscheinlichkeitsschwelle ein statistisches Untersuchungsergebnis als signifikant (siehe dort) akzeptiert wird. Je niedriger das Signifikanzniveau (beispielsweise 0,05; 0,01), desto verlässlicher das Ergebnis. somatisch den Körper betreffend Sozio-oekonomisches Panel Seit 1984 laufende jährliche Wiederholungsbefragung von Deutschen, Ausländern und Zuwanderern in den alten und neuen Bundesländern. Themenschwerpunkte sind unter anderem Haushaltszusammensetzung, Erwerbs- und Familienbiographie, Erwerbsbeteiligung und berufliche Mobilität, Einkommensverläufe, Gesundheit und Lebenszufriedenheit. Sterbefälle, vermeidbare siehe Definition S. 67 Sterblichkeit Rate der Sterbefälle, berechnet beispielsweise pro 100 000 Personen und den Zeitraum eines Jahres. Sie wird als Gesamtsterblichkeit oder für einzelne Krankheiten angegeben und ist meist altersstandardisiert (siehe dort). Suizid Selbsttötung Glossar | Anhang | 219 T-Helferzellen Untergruppe der weißen Blutkörperchen (Lymphozyten), die von zentraler Bedeutung für die körpereigene Abwehr sind. Man unterscheidet B- und T-Lymphozyten, mit jeweils unterschiedlichen Aufgaben. Überlebensrate, relative siehe Definition S. 47 Ursachen, äußere Nichtnatürliche Todes- oder Krankheitsursachen, beispielsweise Unfälle, Verletzungen, Vergiftungen, Gewalttaten und Selbstmorde vaskulär die (Blut-) Gefäße betreffend VERA-Studie Verbundstudie Ernährungserhebung Risikofaktoren Analytik. In den Jahren 1985 bis 1988 wurde in der Bundesrepublik Deutschland die für die gesamte Bevölkerung repräsentative Ernährungserhebung NVS (Nationale Verzehrsstudie) durchgeführt. Eine Unterstichprobe der einbezogenen Haushalte wurde zusätzlich mit klinisch-chemischen und klinisch-biochemischen Methoden untersucht. Vulnerabilität Verletzlichkeit; Anfälligkeit für eine Krankheit Weichmacher Stoffe, die spröden Harzen und Plasten zugesetzt werden, um diese geschmeidiger und elastischer zu machen WHO World Health Organisation – Weltgesundheitsorganisation 220 | Anhang | Gesundheitsberichterstattung des Bundes G esundheitsberichterstattung des Bundes Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE) liefert daten- und indikatorengestützte Beschreibungen und Analysen zu allen Bereichen des Gesundheitswesens. Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens Gesundheitlliche Lage Gesundheitsverhalten und -gefährdungen Gesundheitsprobleme, Krankheiten Leistungen und Inanspruchnahme Ressourcen der Gesundheitsversorgung Ausgaben, Kosten und Finanzierung Gesundheitsberichterstattung des Bundes | Anhang | 221 Als dynamisches und in ständiger Aktualisierung begriffenes System bietet die Gesundheitsberichterstattung des Bundes die Informationen zu den Themenfeldern in Form sich ergänzender und aufeinander beziehender Produkte an: Themenhefte der Gesundheitsberichterstattung des Bundes In den Themenheften werden spezifische Informationen zum Gesundheitszustand der Bevölkerung und zum Gesundheitssystem handlungsorientiert und übersichtlich präsentiert. Jedes Themenheft lässt sich einem der GBE-Themenfelder zuordnen; der innere Aufbau folgt ebenfalls der Struktur der Themenfelder. Somit bieten die Themenfelder der GBE sowohl den Rahmen als auch die Gliederung für die Einzelhefte. Inhaltlich zusammengehörende Themen können gebündelt und gemeinsam herausgegeben werden. Die fortlaufende Erscheinungsweise gewährleistet Aktualität. Die Autorinnen und Autoren sind ausgewiesene Expertinnen und Experten aus dem jeweiligen Bereich. Ω www.rki.de Informationssystem der Gesundheitsberichterstattung des Bundes Das Informationssystem der Gesundheitsberichterstattung des Bundes liefert als Online-Datenbank schnell, kompakt und transparent gesundheitsrelevante Informationen zu allen Themenfeldern der Gesundheitsberichterstattung. Die Informationen werden in Form von individuell gestaltbaren Tabellen, übersichtlichen Grafiken, verständlichen Texten und präzisen Definitionen bereitgestellt und können heruntergeladen werden. Das System wird ständig ausgebaut. Derzeit sind aktuelle Informationen aus über 100 Datenquellen abrufbar. Zusätzlich können über dieses System die GBE-Themenhefte sowie weitere GBE-Publikationen abgerufen werden. Ω www.gbe-bund.de Schwerpunktberichte In den Schwerpunktberichten werden spezielle Themen der Gesundheit und des Gesundheitssystems detailliert und umfassend beschrieben. Die Aussagen der Gesundheitsberichterstattung des Bundes beziehen sich auf die nationale, bundesweite Ebene und haben eine Referenzfunktion für die Gesundheitsberichterstattung der Länder. Auf diese Weise stellt die GBE des Bundes eine fachliche Grundlage für politische Entscheidungen bereit und bietet allen Interessierten eine datengestützte Informationsgrundlage. Darüber hinaus dient sie der Erfolgskontrolle durchgeführter Maßnahmen und trägt zur Entwicklung und Evaluierung von Gesundheitszielen bei. Der Leser- und Nutzerkreis der GBE-Produkte ist breit gefächert: Angesprochen sind Gesundheitspolitikerinnen und -politiker, Expertinnen und Experten in wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen und die Fachöffentlichkeit. Zur Zielgruppe gehören auch Bürgerinnen und Bürger, Patientinnen und Patienten, Verbraucherinnen und Verbraucher und ihre jeweiligen Verbände. Bislang sind folgende Themenhefte und Schwerpunktberichte erschienen: Heft 1 Schutzimpfungen Heft 2 Sterbebegleitung Heft 3 Gesundheitsprobleme bei Fernreisen Heft 4 Armut bei Kindern und Jugendlichen Heft 5 Medizinische Behandlungsfehler Heft 6 Lebensmittelbedingte Erkrankungen Heft 7 Chronische Schmerzen Heft 8 Nosokomiale Infektionen Heft 9 Inanspruchnahme alternativer Methoden in der Medizin Heft10 Gesundheit im Alter Heft 11 Schuppenflechte Heft 12 Dekubitus Heft 13 Arbeitslosigkeit und Gesundheit Heft 14 Gesundheit alleinerziehender Mütter und Väter Heft 15 Hepatitis C Heft16 Übergewicht und Adipositas Heft 17 Organtransplantation und Organspende Heft 18 Neu und vermehrt auftretende Infektionskrankheiten Heft19 Heimtierhaltung – Chancen und Risiken für die Gesundheit Heft20 Ungewollte Kinderlosigkeit Heft 21 Angststörungen Heft22 Hautkrebs Heft 23 Selbsthilfe im Gesundheitsbereich Heft24 Diabetes mellitus Heft 25 Brustkrebs Heft26 Körperliche Aktivität Heft27 Schlafstörungen Heft28 Altersdemenz Heft29 Hörstörungen und Tinnitus Heft30 Gesundheitsbedingte Frühberentung In Vorbereitung: Heft 31 HIV und AIDS Heft 32 Bürger- und Patientenorientierung im Gesundheitswesen Schwerpunktberichte der GBE Ω Gesundheit von Kindern und Jugendlichen Ω Pflege Ω Gesundheit von Frauen und Männern im mittleren Lebensalter 222 | Anhang Urheberrechtliche und allgemeine Hinweise Der Bericht „Gesundheit in Deutschland“ sowie alle in ihm enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht durch zwingende Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Robert Koch-Instituts. Die Publikation wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Robert Koch-Instituts kostenlos abgegeben. Sie kann auch von seinen Internet-Seiten unter www.rki.de Y Gesundheitsberichterstattung und Epidemiologie Y Gesundheitsberichterstattung Y GBE-Publikationen kostenlos heruntergeladen werden. Vorgeschlagene Zitierweise: Robert Koch-Institut (Hrsg) 2006. Gesundheit in Deutschland. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Robert Koch-Institut, Berlin Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Impressum | 223 Herausgeber Robert Koch-Institut Nordufer 20 13353 Berlin Redaktion Robert Koch-Institut Gesundheitsberichterstattung Dr. Cornelia Lange, Dr. Thomas Ziese Seestraße 10 13353 Berlin Bezugsquelle E-Mail: [email protected] www.rki.de Tel.: 0 3018.7 54-34 00 Fax: 0 3018.7 54-35 13 Gestaltung blotto design, Berlin Druck Oktoberdruck AG, Berlin gedruckt auf PROFIsilk, tcf ISBN 3-89606-173-9 224 | Die politische und finanzielle Verantwortung für die Gesundheitsberichterstattung des Bundes liegt beim Bundesministerium für Gesundheit. Gesundheitsberichterstattung des Bundes Robert Koch-Institut in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt Gesundheit in Deutschland 2. Auflage Februar 2007 © Berlin: Robert Koch-Institut ISBN 3-89606-173-9