Fälle und Lösungen zur Festsetzungsverjährung

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Fälle und Lösungen zur Festsetzungsverjährung
Arbeitsgemeinschaft im Steuerrecht
Wintersemester 2011/2012
Christopher Klotz
Wiss. Mit.
Seite 1
Fall 2
Festsetzungsverjährung
a) Der Steuerpflichtige S hat im Jahre 2006 seine Einkommensteuererklärung für 2004 beim
FA abgegeben. Das FA setzt die Steuer am 21. September 2010 (Datum der Aufgabe zur
Post) auf 56.000 € fest. Bei einer internen Überprüfung im November 2011 wird bei dem FA
festgestellt, dass dem Sachbearbeiter bei Übernahme der erklärten Einkünfte ein Übertragungsfehler unterlaufen ist und die Steuer auf 78.000 € hätte festgesetzt werden müssen.
Ist eine Korrektur des fehlerhaften Bescheides im November 2011 noch möglich?
b) Das Ehepaar Bauer wird schon seit Jahren gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. So
auch im Jahr 1997. Das Ehepaar gab in seiner ESt-Erklärung, die sie 1999 einreichte an, dass
die Einnahmen aus Kapitalvermögen weniger als 12.200 DM betragen hätten, und gab keine
Anlage KSO ab. Das FA veranlagte das Ehepaar 1999 erklärungsgemäß und setzte die ESt auf
0 DM fest. Im Dezember 2004 ging beim FA ein als Selbstanzeige und strafbefreiende Erklärung bezeichnetes Schreiben ein, aus dem sich ergab, dass das Ehepaar 1997 nicht erklärte
Einkünfte aus Kapitalvermögen bezogen hatte. Die beigefügte Anlage KSO nebst Steuerbescheinigungen wies Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 35.000 DM und Kapitalertragsteuer von 13.000 DM aus. Die Veranlagung nach diesen Unterlagen würde zu einer ESt
von 6.000 DM führen. Nach Anrechnung der Kapitalertragsteuer wäre also ein Betrag von
7.000 DM zu erstatten. Das FA lehnt die Änderung der ESt-Festsetzung ab, weil Festsetzungsverjährung eingetreten sei.
Ist die Entscheidung rechtmäßig?
Arbeitsgemeinschaft im Steuerrecht
Wintersemester 2011/2012
Christopher Klotz
Wiss. Mit.
Seite 2
Festsetzungsverjährung, §§ 169 ff. AO
Zweck:
•
Schaffung von Rechtsfrieden => Sicherheit des Bürgers, nach Ablauf einer gewissen
Zeit, nicht mehr mit Steuerforderungen rechnen zu müssen. => Steuern können nicht
einen beliebig langen Zeitraum nach Verwirklichung der Tatbestandsverwirklichung
erhoben werden.
Folge:
•
Erlöschen des Steueranspruchs nach § 47 AO
Falllösung
a)
Berichtigung des Steuerbescheides aufgrund welcher Norm?
§ 129 AO bei offenbaren Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines VA unterlaufen sind
=> Berichtigung „jederzeit“
ABER: § 169 I 2 AO => Unzulässigkeit, wenn Festsetzungsfrist abgelaufen ist.
o § 169 I 3 Nr. 1 AO: für die Fristwahrung ist ausreichend, dass der Bescheid vor
Ablauf der Frist den Bereich der zuständigen Behörde verlassen hat. Der rechtzeitige Zugang ist nicht erforderlich. (Beachte: Die Bekanntgabe und damit
auch der Zugang ist jedoch Voraussetzung für die Existenz eines Steuerbescheids, § 124 I AO!)
o Festsetzungsfrist, § 169 II AO
1 Jahr => Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen
Bsp.: Biersteuer, Mineralölsteuer, Tabaksteuer, Stromsteuer
Die kurze Verjährungsfrist ist Ausgleich für weite Korrekturmöglichkeit nach § 172 I Nr. 1 AO.
4 Jahre => die übrigen Steuern (Besitz- und Verkehrssteuern); hierunter
fällt auch die USt, die zwar materiell-rechtlich eine Verbrauchsteuer ist,
von der AO jedoch rechtstechnisch als Verkehrssteuer eingestuft wird
(Schluss aus §§ 21 und 23 AO).
5 Jahre => leichtfertige Steuerverkürzung
10 Jahre => Steuerhinterziehung
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Christopher Klotz
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o Fristbeginn, Anlaufhemmung
§ 170 I AO: grds. mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer
entstanden ist.
§ 170 II Nr. 1 AO: mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird; Begrenzung der Anlaufhemmung auf den Ablauf des 3. Kalenderjahres, das auf das Entstehungsjahr folgt.
Hier: S war verpflichtet, eine Steuererklärung abzugeben, § 25 III
EStG. => die Festsetzungsfrist begann mit Ablauf des Jahres 2006, in
dem S die Erklärung eingereicht hat.
o Fristende
Mit Ablauf des Jahres 2010 (=2006 plus 4 Jahre)
Aber Ablaufhemmung, § 171 AO?
•
Abs. 2: bei offenbarer Unrichtigkeit Fristende nicht vor Ablauf
eines Jahres nach Bekanntgabe des Steuerbescheids. Hier: Aufgabe des Bescheides zur Post am 21.09.2010 => Bekanntgabe
am 24.09.2010 (§ 122 II AO) => Fristende am 24.09.2011.
Ergebnis: Im November 2011 kann der ESt-Bescheid wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr berichtigt werden.
•
Abs. 3: wenn bei Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung/Änderung einer Steuerfestsetzung über den Antrag noch
nicht unanfechtbar entschieden ist. Erstreckt sich lediglich auf
Antragsumfang. => Schutz des Antragstellers vor Passivität der
Behörde.
•
Abs. 3a: bei Einlegung von Rechtsbehelfen.
•
Abs. 4 und 5: bei Außenprüfung und Steuerfahndung
•
Abs. 10: bei Folgebescheiden 2 Jahre nach Bekanntgabe des
Grundlagenbescheids
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b)
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Seite 4
BFH vom 26.02.2008 - VIII R 1/07, BStBl II 2008, 659
Kann der ESt-Bescheid 1997 noch korrigiert werden?
Festsetzungsverjährung?
o Beginn der Festsetzungsfrist: § 170 II Nr. 1 AO – mit Ablauf des Jahres 1999
o Normale Festsetzungsfrist: 4 Jahre – mit Ablauf des Jahres 2003.
o Keine Ablaufhemmung, auch § 171 IX AO (-), da Selbstanzeige erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist.
2004 war die vierjährige Frist bereits abgelaufen.
o Aber Verlängerung nach § 169 II 2 AO auf 5 oder 10 Jahre, „soweit eine Steuer leichtfertig verkürzt oder hinterzogen worden ist“?
Auslegung des BFH: Die Regelung setzt einen Anspruch des Fiskus auf
eine Abschlusszahlung voraus, der wegen einer vollendeten Steuerhinterziehung oder -verkürzung bislang nicht realisiert werden konnte. Daran fehlt es im Beispielsfall aber, weil der Staat die Steuer bereits durch
Steuerabzug erhoben hatte. Der BFH begründet sein Ergebnis mit dem
Zweck des § 169 II 2 AO: dem durch eine Steuerstraftat geschädigten
Fiskus soll ermöglicht werden, auch nach Ablauf von vier Jahren die
ihm vorbehaltenen Steuerbeträge zurückzufordern. Sinn und Zweck der
Vorschrift ist es jedoch nicht, den Steuerstraftäter in die Lage zu versetzen, Erstattungsansprüche über die reguläre Verjährungsfrist hinaus
zu realisieren. Der Steuerhinterzieher soll schlechter als der ehrliche
Steuerbürger gestellt werden. Diese Entscheidung des Gesetzgebers
darf bei Erstattungsfällen nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden.
o Damit ist bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Das FA konnte den Bescheid 1997 richtigerweise nicht mehr korrigieren.
Ein weiterer Fall zur Festsetzungsverjährung aus der jüngsten Rechtsprechung findet sich in BFHE 233, 314 =
BStBl. II 2011, 807 (Urteil v. 25.05.2011 – IX R 36/10): Geht dem FA eine Feststellungserklärung erst einen
Tag vor Eintritt der Feststellungsverjährung zu, kann nicht erwartet werden, dass der Feststellungsbescheid noch
- wie dies das Gesetz in § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, § 181 Abs. 5 Satz 3 AO ausdrücklich verlangt - innerhalb der
Frist den Bereich der für die Feststellung zuständigen Finanzbehörde verlässt.