0047_Insolvenz Wenn die Pleitegeier kreisen - Arbeitsrecht
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0047_Insolvenz Wenn die Pleitegeier kreisen - Arbeitsrecht
Insolvenz: Wenn die Pleitegeier kreisen - Arbeitsrecht - Beruf und Cha... http://www.faz.net/s/Rub8EC3C0841F934F3ABA0703761B67E9FA/... Schließen Drucken FAZjob.NET > Beruf und Chance > Arbeitsrecht > Insolvenz Wenn die Pleitegeier kreisen Von Corinna Budras 08. November 2006 Die Mitarbeiter fühlten sich verraten und verkauft, als sie die Nachricht hörten: Fast auf den Tag genau ein Jahr hatte das taiwanische Unternehmen BenQ nach dem Kauf der Handy-Sparte von Siemens durchgehalten, bis es schließlich für seine deutsche Tochtergesellschaft BenQ Mobile Insolvenz beantragte. Wenn dieses Schild erscheint, ist es für die Arbeitnehmer oft zu spät Auf den Schock einer solchen Nachricht folgt meist eine aufgeregte Suche nach dem Schuldigen - oft das eigene Management. Im Fall BenQ zeigten die Finger der Mitarbeiter außerdem gen München: zur Zentrale des deutschen Großkonzerns Siemens. Seitdem überschütten die Mitarbeiter in ihrer Not den Betriebsrat täglich mit Fragen. „Viele Kollegen haben noch gar nicht verstanden, was die Insolvenz für sie bedeutet“, sagt die BenQ-Betriebsratsvorsitzende Susanne Hahlweg. „Hier herrscht der absolute Ausnahmezustand.“ „Meist stellt sich blanke Angst ein“ Der Arbeitsrechtler Stephan Altenburg von der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek kennt solche Situationen aus seiner beruflichen Praxis: „Über allem steht die Sorge um den Arbeitsplatz. Meist stellt sich die blanke Angst ein, gemischt mit einer Wut auf die Geschäftsführung.“ Zumindest für einen Zeitraum von drei Monaten vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist das Gehalt gesichert. Dafür springt die Bundesagentur für Arbeit ein, die die Finanzierung des Insolvenzgeldes übernimmt. Grundsätzlich wird es erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gezahlt, dann aber auf einen Schlag. Doch monatelang keinen Cent zu sehen kann Mitarbeiter ohne finanzielles Polster vor echte Probleme stellen: Wer begleicht bis dahin die Mietkosten, womit sollen die Einkäufe bezahlt werden? Rechtzeitig Insolvenz beantragen Deshalb könne der Insolvenzverwalter in solchen Fällen einen Antrag auf Vorfinanzierung stellen, rät Horst Piepenburg, Vorsitzender des Insolvenzrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Dazu müsse er jedoch darlegen, daß mit der Vorfinanzierung des Geldes durch eine Bank Arbeitsplätze erhalten werden können. "Für Arbeitnehmer ist es deshalb wichtig, daß der Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt wird", betont der Düsseldorfer Insolvenzrechtler. Oft geschehe dies jedoch erst, wenn es schon zu spät sei und der Betrieb nur noch stillgelegt werden könne. Dabei können grundsätzlich auch die Arbeitnehmer selbst einen solchen Antrag stellen, wenn das Unternehmen mit den Gehaltszahlungen in Verzug gerät. Auch nach der Eröffnung besteht für Arbeitnehmer noch der Trost, daß ihre Ansprüche auf Zahlung des Gehalts vor den Forderungen der anderen Gläubiger beglichen werden. Sie sind als sogenannte Masseverbindlichkeiten bevorzugt zu behandeln. Alter Arbeitgeber, neuer Verhandlungspartner Doch selbst diese Privilegierung kann kaum beruhigen: Wer weiß schon, ob es der neuen Führung wirklich gelingt, den Betrieb wieder auf Vordermann zu bringen? „Als Insolvenzverwalter sollte man sich immer die Frage stellen, wie viele Arbeitnehmer 1 von 3 06.01.2009 11:10 Insolvenz: Wenn die Pleitegeier kreisen - Arbeitsrecht - Beruf und Cha... http://www.faz.net/s/Rub8EC3C0841F934F3ABA0703761B67E9FA/... gerettet werden können, wie viele Mitarbeiter ein Unternehmen vertragen kann“, erläutert Piepenburg. Dabei ist nach Ansicht von Altenburg grundsätzlich klar: „Ein Unternehmen kann in den seltensten Fällen in der bisherigen Personalstärke weitergeführt werden.“ Ein Arbeitnehmer sollte deshalb genau analysieren, wie seine Zukunftschancen aussehen: Wie profitabel arbeitet der eigene Betriebsteil? Wie gut geht es der gesamten Branche? Wie groß sind die Chancen, daß das insolvente Unternehmen gekauft wird und damit saniert werden kann? Eine Insolvenz selbst hat grundsätzlich zunächst keine Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis. Allerdings sitzt dem Mitarbeiter auf der Arbeitgeberseite nun ein anderer Verhandlungspartner gegenüber: Nicht mehr die alte Geschäftsführung steht für die Erfüllung des Arbeitsvertrages gerade, sondern der Insolvenzverwalter. Kündigungen werden leichter Auch die Kündigungsfrist verkürzt sich auf maximal drei Monate zum Monatsende. Ebenso braucht der Verwalter keine Rücksicht mehr auf tarifliche Unkündbarkeitsklauseln zu nehmen, die Mitarbeiter von einem bestimmten Alter an mit der entsprechenden Betriebszugehörigkeit vor Entlassungen schützen. „Die erleichterte Kündigung gilt jedoch nur eingeschränkt“, betont Altenburg. Auch bankrotte Unternehmen müssen darauf achten, daß ihre Kündigungen sozial gerechtfertigt sind. Außerdem muß der Arbeitgeber grundsätzlich einen Sozialplan vereinbaren, in dem die Abfindungen für die gekündigten Mitarbeiter festgelegt werden. Im Gegensatz zu den üblichen Sozialplänen außerhalb der Insolvenz sind diese jedoch zum Schutz des Gläubigers gedeckelt: Während die Vereinbarungen bei zahlungsfähigen Unternehmen bis zum Rand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gehen können, liegt die Grenze hier bei 2,5 Bruttogehältern. Widerspruch nicht unbegrenzt möglich Ist die Situation so verworren wie nach dem Verkauf der Siemens-Sparte an BenQ, schöpfen die Arbeitnehmer oft Hoffnung, wieder zu ihrem alten Arbeitgeber zurückkehren zu können. Dabei hilft ihnen eine Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Paragraph 613a), die bei Betriebsverkäufen den Mitarbeitern die Möglichkeit gibt, dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zu widersprechen. Mitunter geht das sogar noch Monate nach dem Verkauf, wenn die Mitarbeiter falsch über die Details der Transaktion informiert wurden. Dabei hat das Bundesarbeitsgericht kürzlich die Pflichten der Unternehmen weiter verschärft (Az.: 8 AZR 303/05). Der alte Arbeitgeber muß den Mitarbeiter dann wieder zurück ins Boot holen - hat aber die Option, ihn in das kalte Wasser der Arbeitslosigkeit zu schubsen, wenn er keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für ihn hat. Diesen Weg wollen derzeit auch viele ehemalige Siemens-Beschäftigte beschreiten. Sie müssen dazu allerdings beweisen, daß sie vor rund einem Jahr über den Betriebsübergang getäuscht oder zumindest nur unzureichend darüber informiert wurden, denn die übliche Frist zum Widerspruch beträgt einen Monat und ist damit für sie schon abgelaufen. Transfergesellschaften als Chance? Doch auch die Möglichkeit, den Übergang des Arbeitsverhältnisses wieder rückgängig zu machen, hat ihre Grenzen. „Es besteht die Gefahr, daß Arbeitnehmer dieses Recht verwirken“, betont Altenburg. Dies kann etwa dann gelten, wenn sie monatelang bei dem neuen Unternehmen verbringen, ohne auf die Idee des Widerspruchs zu kommen - bis es Insolvenz anmeldet. Das Landesarbeitsgericht München habe in einem kürzlich entschiedenen Fall angenommen, daß der Arbeitnehmer nach acht Monaten Untätigkeit keinen Widerspruch mehr einlegen kann, sagt Altenburg, der an dem Verfahren beteiligt war (Az.: 2 Sa 990/05). 2 von 3 06.01.2009 11:10 Insolvenz: Wenn die Pleitegeier kreisen - Arbeitsrecht - Beruf und Cha... http://www.faz.net/s/Rub8EC3C0841F934F3ABA0703761B67E9FA/... Die Revision wurde zugelassen, so daß sich nun auch das Bundesarbeitsgericht bald damit beschäftigen könnte. Neben all diesen offenen Fragen müssen sich Arbeitnehmer in der Insolvenz auch immer wieder neuen tatsächlichen Herausforderungen stellen. Bereits seit Jahren wabern in solchen Situationen auch immer wieder Vokabeln wie „Transfergesellschaft“ oder „Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft“ umher. Kein Transfer gegen den Willen der Mitarbeiter Dahinter verbirgt sich ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, mit dem der krisengeschüttelte Betrieb wieder interessant für den Verkauf gemacht werden soll. Dabei werden die Mitarbeiter in eine unabhängige Gesellschaft transferiert, wo sie sich im besten Fall weiterbilden können und schließlich an einen neuen Arbeitsplatz weitervermittelt werden. In dem insolventen Unternehmen bleiben hauptsächlich die Betriebsmittel zurück, die einfacher verkauft werden können. Gegen den Willen der Mitarbeiter könne diese Konstellation jedoch nicht durchgesetzt werden, betont Altenburg. „Insolvenzverwalter sollten deshalb nicht auf Konfrontationskurs mit dem Betriebsrat gehen“, rät der Münchner Arbeitsrechtler. „Sie können nur erfolgreich sein, wenn es eine Struktur gibt, bei der die Arbeitnehmer nicht auf der Strecke bleiben.“ Text: F.A.Z., 04.11.2006, Nr. 257 / Seite C2 Bildmaterial: dpa Zum Thema Insolvenzverfahren Vorläufiger Insolvenzverwalter Insolvenzeröffnung Insolvenzgeld Masseverbindlichkeiten Lesermeinungen zum Beitrag Desen Bericht.... © F.A.Z. Electronic Media GmbH 2001 - 2009 Dies ist ein Ausdruck aus berufundchance.fazjob.net 3 von 3 06.01.2009 11:10