RÄUME UND RÄUMLICHKEIT Konferenz der Internationalen Walter
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RÄUME UND RÄUMLICHKEIT Konferenz der Internationalen Walter
RÄUME UND RÄUMLICHKEIT Konferenz der Internationalen Walter Benjamin Gesellschaft Hebrew University, Jerusalem, und Tel-Aviv University 13.-16. Dezember 2015 Organisatoren: Eli Friedländer, Yoav Rinon, Ilit Ferber, Vivian Liska Keynote Speakers: Prof. Georges Didi-Huberman (École des Hautes Études en Sciences Sociales Paris), Prof. Eva Geulen (Universität Frankfurt), Prof. Michael Jennings (Princeton University). Für Walter Benjamin ist “Raum” eine grundlegende Idee, die in seinen Werken umfassende und vielschichtige Ausprägungen findet. Raum erscheint dort selten als unabhängiges Konzept, sondern ist vielmehr mit Sprache, Zeitlichkeit, Erinnerung, Schreiben, Bild und Erfahrung verbunden. So tritt Raum nicht nur als eines von Benjamins wichtigsten Themen hervor (wie zum Beispiel seine Erörterungen von konkreten Orten wie Berlin, Moskau, und Neapel), sondern auch als prägender Teil der Strukturen seines Denkens. Raum überschneidet sich mit Zeitlichkeit und Geschichte, wie aus Benjamins Konzeptualisierung von Paris als Hauptstadt des 19. Jahrhunderts sowie aus seiner detaillierten Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Interieurs Berlins um die Jahrhundertwende hervorgeht. Räumlichkeit ist eine grundlegende Vorstellung, die Benjamins Konzipierung der Grenze, der Schwelle, und der Begrenzung sowie ihre wörtlichen und metaphorischen Bedeutungen prägt; sie hat eine entscheidende Funktion in Benjamins Entwurf des “dialektischen Bilds” und dessen sowohl zeitlichen als auch linguistischen Konstellationen. In ihrer Untersuchung von Raum und Räumlichkeit als Inhalt und begriffliche Struktur von Benjamins Denken zielt diese Konferenz darauf ab, die Auseinandersetzung mit und das Verständnis eines zentralen Aspekts von Benjamins Werk und dessen anhaltende Bedeutung für unsere Zeit zu vertiefen. Die Vorträge sollen auf eines der folgenden Themen der Konferenz eingehen: 1. Benjamins Städte Sektionsleiter: Richard I. Cohen, Hebrew University, Jerusalem, und Bernd Witte, HeinrichHeine-Universität, Düsseldorf Viele Werke Benjamins hängen mit Orten zusammen, vor allem mit Städten. Grundlegend ist zweifellos seine monumentale Studie der Pariser Passagen, jedoch schrieb er auch wichtige “Städtebilder” von Berlin, Moskau, Neapel, Marseille sowie einer Vielzahl kleinerer Städte. Warum interessiert der urbane Raum Benjamin und wie wirkt er sich in seinen Schriften aus? Gibt es einen wesentlichen Unterschied, einen urbanen Raum zu (be)schreiben oder Menschen, bzw. Objekte als hauptsächlichen Bezugspunkt zu wählen? Was für Schwierigkeiten treten bei der Verwandlung einer Umgebung in ein Objekt des Bewusstseins auf? In welchem Sinn spiegelt sich das Erleben der Stadt in Benjamins Schriften wider, und wie drückt es sich in seiner Schreibweise aus? Wie unterscheidet sich Benjamins Berliner Kindheit von seinen anderen Schriften über Städte, und welche Beziehung enthüllt dieses Werk zwischen Erinnerung und Raum? Gibt es wesentliche Unterschiede zwischen den Städten, über die Benjamin schreibt, und was macht diese Unterschiede aus? Dieser Sektion wird diese und andere Fragen zu Benjamins Interesse an Städten, urbaner Erfahrung und Moderne untersuchen. 2. Raum und Zeit Sektionsleiter: Andrew Benjamin, Monash University, Melbourne, und Sigrid Weigel, Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin Benjamin beschäftigte sich nicht nur mit Fragen von Raum und Geschichte, sondern auch mit der komplexen Verbindung beider. Daher führt sein Denken das Räumliche und Zeitliche in explosiven Konfigurationen zusammen und untersucht, wie verschiedene räumliche Modelle neue Perspektiven auf Zeit und Geschichte eröffnen. Beispiele für Benjamins Verräumlichung der Zeit findet man unter anderem in seiner Vorstellung davon, wie die Geschichte zum Rahmen zurückkehrt (in seiner Erörterung des barocken Trauerspiels), in seiner Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Natur und Geschichte oder im monadischen Aufbau der Geschichte. Zur gleichen Zeit jedoch warnt Benjamin uns vor den von Natur aus problematischen Aspekten bestimmter weit verbreiteter Formen der Verräumlichung der Zeit. Seine Kritik der historistischen Praxis, Ereignisse in ein homogenes zeitliches Kontinuum zu stellen, welches er der (gleichermaßen “räumlichen”) Vorstellung der Konstellation von Vergangenheit und Gegenwart entgegensetzt, bietet nur ein Beispiel. Warum ist es Benjamin wichtig, das Räumliche und das Zeitliche zusammenzuführen? Wie wirken sich diese beiden Dimensionen der Erfahrung in seiner Philosophie der Geschichte aus? Gibt es einen Weg, Benjamins Beschäftigung mit der Beziehung zwischen Raum und Zeit zu seinen Versuchen, einige entscheidende Momente in der Geschichte der Philosophie (Leibniz, Hegel, Marx) neu zu denken, in Beziehung zu setzen? Diese Sektion konzentriert sich auf diese Fragen wie auch auf andere - epistemologische, politische, und soziale - Aspekte von Benjamins Problematisierung des Aufeinandertreffens von Zeit und Raum. 3. Die Geschichte eines Ortes - die Biographie eines Individuums Sektionsleiter: Yoav Rinon, Hebrew University, Jerusalem, und Nadine Werner, Walter Benjamin Archiv, Akademie der Künste, Berlin Eine Verbindung zwischen der biographischen Spezifizität eines Individuums und der öffentlichen Dimension des Ortes strukturiert Benjamins Berliner Kindheit um 1900. Ebenso wichtig ist diese Verknüpfung in seinen Schriften über Baudelaire, die die Figur des Dichters mit der Gegenwärtigkeit der Stadt (wie in Das Paris des Second Empire bei Baudelaire) verbinden, und über Goethe, die den Abstieg des eigentlich Menschlichen in die mythische Natur verfolgen. Eine ähnliche Verbindung zwischen Individuum und Ort kann man im Passagen-Werk, im “Moskauer Tagebuch” und in seinen Untersuchungen Neapels und Ibizas finden. Was bedeutet es, ein von einem Ort “konstituiertes” Subjekt zu sein, und wie kann der Versuch, einem Ort Ausdruck zu verleihen, als ein Projekt des Selbstverständnisses aufgefasst werden? Was für ein Licht werfen die Begegnungen zwischen Individuum und Raum auf Fragen der Moderne? Wirkt der Ort als Brennpunkt für den Einzelnen, oder trifft das Umgekehrte zu? Können wir angesichts Benjamins Schriften von einer Biographie eines Orts oder dem Raum eines Individuums sprechen? Diese Sektion möchte Fragen der Individualität, der Geschichte und des Raums durch Benjamins produktive Verbindung von Geschichte und Biographie, öffentlichem und privatem Raum untersuchen. Anzusprechende Themen beinhalten Fragen zur Verknüpfung von einzelner und kollektiver Identität mit Lokalität, Gebiet und dem genius loci. 4. Traumschauplätze - Der Raum des Traums - Die Konfiguration des Traums Sektionsleiter: Galili Shahar, Tel-Aviv University, und Itta Shedletzky, Hebrew University, Jerusalem Benjamins Wertschätzung von Aragons Le Paysan de Paris folgt zu einem großem Teil aus Aragons Darstellung der Passage de l’Opéra als Traumlandschaft. Diese Beziehung zwischen Traumkonfiguration und der Darstellung von Orten ist für ihn nicht auf den Surrealismus beschränkt, sondern stellt eine Dimension jeder Stadtbetrachtung dar. Es ist gerade die Räumlichkeit des Traums, die eine wichtige Voraussetzung für ein kognitives und politisches Erwachen ist. Ist es möglich, hier an bestimmte phänomenologische Merkmale der Traumerfahrung (wie zum Beispiel das Gefühl, dass der Traum kein Äußeres hat), oder an andere räumliche Merkmale des Traums (Nähe und Ferne, Desorientierung in einem vertrauten Raum) zu denken? Was ist die mögliche Verbindung zwischen Benjamins Raum des Traums und Freuds Theorie des Traums? Bietet Benjamin der psychoanalytischen Traumdarstellung eine Herausforderung, oder folgt er ihren Umrissen? Wie verbindet Benjamin die Vorstellung des Traum-Raums und seine Gedanken über die Geschichte? Dieser Teil wird sich der Ausführung solcher Fragen und anderer Erforschungen, die sich auf Benjamins Traumtheorie, vor allem in Beziehung zu seinen Vorstellungen von Raum, Räumlichkeit, und der Verbindung zwischen dem Zeitlichen und dem Räumlichen, widmen. 5. Jüdische Räume / Judaismus und Räumlichkeit Sektionsleiter: Vivian Liska, Universität Antwerpen und Hebrew University, Jerusalem, und Amnon Raz-Krakotzkin, Ben-Gurion University of the Negev Räumliche Merkmale durchdringen die jüdischen Motive in Benjamins Werken. Anspielungen auf Orte, Verortungen, Gebiete, und Reiche umfassen seine frühen Erwähnungen der biblischen Schriften (das Paradies, Babel), kabbalistische und messianische Begriffe (Sh’virat Hakelim [das Zerbrechen der Gefäße]) sowie seine Überlegungen zum Zionismus, die seinen Briefwechsel mit seinen Freunden - vor allem Gershom Scholem - durchziehen. In seinen Briefen an Scholem konfrontiert Benjamin wiederholt den Judaismus als metaphysische Tradition mit den Gebietsansprüchen des Zionismus. In seiner Darstellung von Kafkas Werk beschwört er ebenso die Figur der Ellipse als eine räumliche Metapher, die die Spannung zwischen der mystischen Tradition und der kosmopolitischer Moderne definiert. Teilnehmer dieser Sektion werden eingeladen, die verschiedenen Erscheinungen von Raum und Räumlichkeit, die mit der jüdischen Dimension von Benjamins Schriften zusammenhängen, zu reflektieren. 6. Wohnen und Schwelle Sektionsleiter: Steven Aschheim, Professor Emeritus, Hebrew University, Jerusalem, und Joseph Mali, Tel-Aviv University Benjamin sprach einmal vom Wohnen als “seinem Lieblingsthema”. Seine Beschäftigung mit den Passagen, den Arkaden, die sowohl Durchgänge als auch statische Räume, Äußeres und Inneres sind, können für eine umfassendere Beschäftigung mit vorübergehenden Gegenden oder ganz einfach solchen, die außerhalb des Wohnorts selbst sind, stehen: Schwellen, Grenzen, Flure, Loggien, Passagen, Dächer, Balkone. Schwellen stellen Grenzlinien dar zwischen verschiedenen Teilen der Stadt, zwischen verschiedenen zeitlichen Dimensionen, zwischen Individuum und Raum, Traum und Erwachen, dem Visuellen und dem Hörbaren, sowie die grundlegende Grenze zwischen Innerem und Äußerem in der Berliner Wohnung um die Jahrhundertwende. Auch der menschliche Körper hat Schwellen, wie zum Beispiel diejenigen, die innere und äußere Erfahrung, Geist und Körper, Leben und Tod trennen. Dieser Teil wird solche Grenzlinien und Schwellen untersuchen und wird erforschen, wie Benjamin sie in den verschiedenen Kontexten vom menschlichen Körper, von Domestizität, urbanem Raum, Zeit und Geschichte einsetzt. 7. Räumliche Figuren des Denkens Sektionsleiter: Birgit Erdle, Hebrew University, Jerusalem, und Eli Friedländer, Tel-Aviv University Benjamins Schreiben bietet einige der eindrucksvollsten Figuren für die Charakterisierung des Denkens, des Schreibens und der Wahrheit. Bezeichnenderweise sind viele dieser Figuren räumlich konzipiert. Man könnte mit der wahrhaftigen Zentralität des Bildes (dem Denkbild oder dialektischen Bild) und seiner Beziehung zur Konstellation, oder mit der Figur des Strudels, einer räumlichen Figur für einen zeitlichen Begriff beginnen. Andere wichtige Figuren sind die Monade, die gewaltige zeitliche Dimensionen verkürzt und sie konzentriert. Warum wendet sich Benjamin dem Raum zu, um das Denken zu charakterisieren? Warum wird philosophisches Denken als “Umweg” gestaltet? Reduzieren diese Figuren die zeitliche Charakterisierung der Wahrheit, oder geben sie ihr vielleicht einen eigenständigen räumlich-zeitlichen Ausdruck? Diese Sektion wird sich auf die verschiedenen räumlichen Figuren, Metaphern und Bilder des Denkens konzentrieren, denen Benjamin sich zuwendet, und ihre Struktur und Auswirkungen erforschen. 8. Die politischen Dimensionen des Raums Sektionsleiter: Moshe Zuckermann, Tel-Aviv University, und Irving Wohlfarth, Paris Benjamins Schriften über Raum und räumliche Bilder sind zwangsläufig eng mit weitreichenden politischen Auswirkungen verknüpft. Die Vorstellung der Grenze, ein herausragendes Merkmal von Benjamins detaillierter Studie von Paris im 19. Jahrhundert, kehrt in seinem Werk in verschiedenen Kontexten mit unterschiedlichen politischen Bedeutungen wieder: Ob Benjamin sich auf die unermüdlichen Versuche der Behörden, die Häuser eines widerständigen Pariser Proletariats zu nummerieren, auf die Trennung in “hohe” und “tiefe” loci der Hauptstadt, oder auf Hausmanns Bau der Boulevards gegen Barrikadentaktiken konzentriert, er zieht unsere hermeneutische Aufmerksamkeit auf die politischen Aspekte des Raums. Diese Sektion wird sich der Beziehung zwischen Raum und Politik in Benjamins Denken, insbesondere der Rolle und der Auflösung - von Grenzen und Schranken in der Vorstellung des Politischen widmen. Er wird sich der Frage nach der komplexen Gegenseitigkeit des Nationalen und des Persönlichen in der Art, wie Raum Identität konstruiert, und schließlich der Vorstellung des Exils und seiner Auswirkungen auf den Charakter von Benjamins Denken annehmen. Die Sektion wird auch Benjamins Denken über Europa — vor allem Mitteleuropa — die Vereinigten Staaten und Palästina sowie Fragen der Krise, Gewalt und der mit Territorialität verbundenen Souveränität erforschen. Diese Sektion wird den potentiellen Bedeutungen, die Benjamins Konzeptualisierungen und seine Wahrnehmung der politischen Aspekte des Raums im Hier und Jetzt für die Gegenwart haben, besondere Aufmerksamkeit schenken und dabei vor allem die territorialen Dimensionen des politischen Konflikts am Ort der Konferenz beleuchten. Eine Diskussionsrunde zum Thema: „Was bedeutet es heute in Israel über Walter Benjamin zu sprechen?“ ist geplant. Teilnehmer werden in Kürze bekanntgegeben. Die Vorträge und Abstracts können in englischer oder deutscher Sprache abgefasst werden. Vorträge sollen 20 Minuten nicht überschreiten, um Zeit für Diskussion zu haben. Die Abstracts sollen max. 200 Wörtern umfassen und vor 15. Februar 2015 an folgende EMail-Adresse geschickt werden: [email protected] Bitte vermerken Sie Ihren Namen, Ihre Institutionszugehörigkeit sowie - in Ihrer Wunschreihenfolge - bis zu drei mögliche Sektionen, in denen Ihr Beitrag aufgenommen werden könnte. Die Antworten der Organisatoren erhalten Sie bis zum 15. März 2015. Die Teilnehmer übernehmen selbst ihre Reise- und Aufenthaltskosten, u.U. wird eine kleine Tagungsgebühr erhoben. Eine Auswahl von Hotels sowie Transportmöglichkeiten für die Fahrt zwischen Tel Aviv und Jerusalem wie auch Ausflüge und weitere Rahmenveranstaltungen werden den Teilnehmern in den kommenden Monaten bekannt gegeben.