1. WS 09/10 - International Office
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1. WS 09/10 - International Office
Boğaziçi Üniversitesi Istanbul, WS 09/10, Digitale Medien Auswahl der Uni Als Student der Digitalen Medien in Bremen stand mir eine große Anzahl von Gastuniversitäten für das Auslandssemester zur Verfügung, auf allen Kontinenten und von unterschiedlichster Prägung. Die Entscheidung in die Türkei zu gehen traf ich relativ früh – ich wollte weder in ein Nachbarland noch ganz auf die andere Seite der Erdkugel gehen, und ich legte besonderen Wert auf das Kennen lernen fremder Kulturen. Somit war die Türkei für mich ein ideales Ziel. Die Auswahl der konkreten Universität fiel mir dagegen schwerer. Aus vier Universitäten, von denen zwei staatlich und zwei privat sind, war es auf Grund von mangelnden Informationen im Internet nicht leicht, eine Wahl zu treffen. Immens geholfen hat mir dabei der Kontakt zu zwei Bremer Studierenden, die zu einem früheren Zeitpunkt ihr Auslandssemester in der Türkei absolviert hatten. Bewerbung Im universitätsinternen Bewerbungsverfahren wählte ich somit drei Universitäten in der Türkei zu meinen Favoriten – zwei in Istanbul und eine in Ankara. Offensichtlich hatte ich kaum Konkurrenten, denn mein Erstwunsch, die „Boğaziçi Üniversitesi“ (Bosporus-Universität) in Istanbul, wurde mir zugesprochen. Der nächste formelle Schritt war die Bewerbung an der Gasthochschule, die wiederum mit einigem bürokratischem Aufwand verbunden war. Neben den bereits für die Heimuniversität nötigen Dokumenten wurde ein Empfehlungsschreiben eines Professors verlangt. Schließlich gibt es noch ein Bewerbungsverfahren für das Erasmus-Programm, wodurch auch die finanzielle Unterstützung zugesichert wird. Hierfür stellt das International Office der Uni Bremen ein übersichtliches Online-System bereit. Sprachliche Vorbereitung Besonderen Wert legte ich auf die sprachliche Vorbereitung für den Auslandsaufenthalt und begann bereits ein Jahr vor der Abreise mit einem Türkischkurs am Fremdsprachenzentrum Bremen. Die dort erworbenen Kenntnisse bildeten einen wichtigen Grundstein für ein erstes Zurechtkommen in der Türkei und eröffneten mir die Möglichkeit, an der Gastuniversität einen Sprachkurs für Fortgeschrittene zu belegen. Obwohl die Unterrichtssprache durchgängig Englisch ist, rate ich dringend dazu, Grundkenntnisse des Türkischen zu erwerben. Oft sind es nur junge Menschen, die Englisch können, und selbst an der Boğaziçi, wo Englischkenntnisse von allen Studierenden verlangt werden, tun sich manchmal Barrieren auf. Anreise Ein rechtzeitiges Planen der Anreise ist unabdingbar, vor allem wenn der Geldbeutel nicht allzu viel hergibt. Wer wie ich den Landweg wählt und ein günstiges Zugticket benötigt, sollte unter anderem die Sparpreise der Deutschen Bahn im Auge behalten. Ein Interrail-Ticket kann sich lohnen, wenn man einige Tage oder Wochen für die Anreise einplanen und den einen oder anderen Abstecher machen möchte. Visum Die Türkei verlangt von ausländischen Studierenden den Erwerb eines Studentenvisums, was mit einem drastischen organisatorischen Aufwand für die Studierende/den Studierenden verbunden ist. Vor der Abreise muss der Antrag beim zuständigen Konsulat gestellt werden. Neben diversen Dokumenten (u. A. polizeiliches Führungszeugnis) wird eine Gebühr fällig. Ein Reisepass ist ebenfalls notwendig und sollte, falls nicht vorhanden, rechtzeitig beschaffen werden. Nach der Einreise folgt dann der Gang zur türkischen Ausländerpolizei, wo das Visum, wieder mit reichlich Bürokratie, bestätigt und ausgehändigt wird. Von Kommilitonen habe ich erfahren, dass mehrere Besuche mit Wartezeiten von etlichen Stunden vonnöten waren. Daher wählte ich von vornherein die „Touristenvariante“: Ich hatte kein Studentenvisum und bin als Tourist eingereist. Damit war es mir möglich, 30 Tage in der Türkei zu verweilen. Kurz vor Ablauf dieser Frist verließ ich das Land und reiste wieder ein, um einen neuen Stempel zu bekommen (es ist möglich, buchstäblich über die Grenze zu treten und wieder umzukehren, aber ein Kurzurlaub bietet sich, gerade während des viertägigen Kurban-Feiertags, an). Die Boğaziçi-Universität empfiehlt zwar das Studentenvisum, ist aber auf Grund der vielen Studierenden mit Touristenvisum in dieser Hinsicht liberal. Finanzielle Stützen Finanzielle Unterstützung für den Auslandsaufenthalt gibt es zum einen vom Erasmus-Programm – für die Türkei rund 150 Euro monatlich. Leider wurde das Geld sehr spät ausgezahlt, sodass ich die längste Zeit ohne diese Hilfe auskommen musste. Eine weitere Möglichkeit, die ich in Anspruch genommen habe, ist das Auslandsbafög. Es muss dafür ein gesonderter Antrag bei der zuständigen Behörde (für die Türkei: Bezirksregierung Köln) gestellt werden. Auch das Bafög-Geld traf erst gegen Ende meines Aufenthalts auf meinem Konto ein. Sonstiges Nicht zu vergessen ist das Abschließen einer Auslandskrankenversicherung, falls nicht vorhanden, und das Auffrischen von Impfungen. Sinnvoll ist, ein Konto bei einer Bank zu eröffnen, die kostenloses Abheben im Ausland ermöglicht. Schließlich noch ein Hinweis zu Mobiltelefonen: Handys, die nicht in der Türkei erworben worden sind, sind für die Verwendung mit einer türkischen SIM-Karte gesperrt, also in der Türkei entweder gegen Gebühr das Handy registrieren oder einfach ein neues kaufen. Den Erwerb einer türkischen SIM-Karte empfehle ich aber in jedem Fall, da das Telefonieren sonst unbezahlbar wird. Allgemeine Informationen zur Partnerhochschule Die Boğaziçi-Universität genießt den Ruf der besten staatlichen Uni der Türkei und ist idyllisch auf einem Berg im europäischen Teil Istanbuls gelegen. Die Anreise ist mit dem Bus gut möglich, doch müssen etwa vom zentralen Taksim-Platz mindestens 45 bis 60 Minuten für die Fahrt eingeplant werden, da die Straßen gerade zu Stoßzeiten überfüllt sein können. Der Campus ist in vier Teile geteilt, die relativ nah beieinander liegen, sodass meist alle Wege zu Fuß bewältigt werden können. Die Universität verfügt über einen für alle zugänglichen Computerraum, eine Bibliothek, zwei Mensen, zwei Cafeterias und jede Menge kleiner Geschäfte. Ein Essen in der Mensa kostet 2,25 TL. Die Qualität ist nur mäßig, aber man wird satt, und sogar ein vegetarisches Gericht ist immer im Programm. Durch Mitgliedschaft in einem der vielen Studentenclubs ist es möglich, diverse Einrichtungen wie z.B. Sportanlagen oder Proberäume zu nutzen. Das Klima auf dem Campus ist angenehm, viele Hunde und Katzen sind dort heimisch. Man merkt aber auch, dass Bildung in der Türkei ein Privileg ist und dementsprechend überdurchschnittlich viele Studierende aus reichem Elternhaus an der Uni sind. Das Kopftuchverbot wird nur in den Klassenräumen durchgesetzt. Grundsätzlich schätze ich die Boğaziçi als vergleichsweise liberal ein, es gibt politische Arbeitsgemeinschaften und den Studierenden wird Raum für Artikulation gegeben. Akademisches Leben Zum Semesterbeginn gab es eine Begrüßungsveranstaltung, eine Campustour sowie ein gemeinsames Dinner, welches jedoch kostenpflichtig war. Einzuhaltende Termine sind die Registrierungstage und diverse Deadlines für die Online-Kursanmeldung. Die Angestellten des International Office sind sehr hilfsbereit, sprechen aber nur teilweise gutes Englisch. In manchen Angelegenheiten waren die Damen und Herren etwas nachlässig, und mehrfaches Aufkreuzen und Nachhaken war nötig. Erschwerend kam hinzu, dass diese Leute im Prinzip die einzigen Ansprechpartner für Erasmus-Studierende an der Uni waren, persönliche Betreuung gab es nicht, aber dank der vielen freundlichen und hilfsbereiten Studierenden ist Hilfe meist schnell gefunden. Die Lehrveranstaltungen finden durchgehend auf Englisch statt. Die Art und Weise bzw. Qualität der Lehre ist je nach Fachbereich unterschiedlich. Ich habe Kurse im „Department of Computer Education and Educational Technologies“ und am „Department of Computer Engineering“ belegt, außerdem einen Sprachkurs. Der Computer-Engineering-Kurs war sehr anspruchsvoll und es wurde viel häusliche Arbeit verlangt. (Ich hatte zuerst zwei solche Kurse belegt, doch schnell gemerkt, dass es zu viel Arbeit werden würde.) Die Computer-Education-Kurse waren dagegen eine Ernüchterung. In beiden Kursen ging es im Grunde um das Entwickeln von computerbasierten Lehrmaterialien. Dies gestalte sich im einen Kurs derart, dass veraltete Texte gelesen und wöchentlich abgefragt wurden und nebenher im Computerlabor die Arbeit mit MS Office antrainiert wurde, im anderen derart, dass die Sitzungen mehr und mehr zu einer Farce wurden, während die eigentliche Arbeit in Gruppen kurz vor der finalen Präsentation gestemmt wurde. Sehr positiv habe ich jedoch den Sprachkurs in Erinnerung, der mich a) mit anderen ErasmusStudenten zusammengebracht und b) dank der sympathischen Dozentin Frau Arslan viel Spaß gemacht hat. In allen Kursen gab es Prüfungen, meist schriftlich, sowohl zum Ende als auch im Laufe des Semesters (sogenannte „Midterms“). Leben in Istanbul Unterkunft Aus meiner Sicht nicht zu empfehlen ist das „Superdorm“, die von der Universität angebotene Herberge. Die Nähe zum Campus mag zwar ein Pluspunkt sein, aber die triste und spärliche Ausstattung, der hohe Preis und die restriktiven Regeln machten das Superdorm für mich zum NoGo. Stattdessen hatte ich das Glück, im Internet (genauer: CouchSurfing) bereits vor meiner Abreise fündig zu werden und mit zwei weiteren Studenten in einer tollen Wohngemeinschaft zu leben. Falls es nicht schon vorher klappt, sollte man nicht zu spät anreisen, denn der Wohnungsmarkt ist alles andere als großzügig und wohlwollend. Hinzu kommt, dass die Mieten in Istanbul (für türkische Verhältnisse) sehr hoch sind. Öffentliche Verkehrsmittel Der ÖPNV in Istanbul erscheint auf den ersten Blick monströs, ist aber tatsächlich sehr gut organisiert. Für alle öffentlichen Verkehrsmittel – Busse, Bahnen und Fähren – gilt ein Einheitspreis von 1,50 TL bzw. für Studierende 0,85 TL. Das Zauberwort heißt „Akbil“, ein elektronisches Ticket, mit dem quasi überall bargeldlos bezahlt werden kann. Studierende erhalten ein spezielles, personengebundenes Akbil, das im Hauptbüro des Verkehrsunternehmens beantragt werden muss. Die nötigen Dokumente bekommt man von der Uni (leider mit Verspätung), und bei der Antragstellung muss mit langen Wartezeiten gerechnet werden. Eines der wichtigsten Verkehrsmittel in Istanbul sind Taxen. Auch für Taxifahrten sind Türkischkenntnisse wiederum von Nutzen, da sonst die Gefahr besteht, dass man für einen Touristen gehalten und über den Tisch gezogen wird. Immer darauf bestehen, dass das Taxameter läuft, und keine Preise aushandeln. Kultur Istanbul ist eine Stadt der Sehenswürdigkeiten und hat zudem ein riesiges Kulturangebot. Austauschstudenten ist es möglich, eine Museumskarte zu erwerben, mit der man Ermäßigungen für Museen und Ähnliches bekommen kann. Istanbuls Umgebung lädt zu Ausflügen ein, die sich besonders gut an einem der großen religiösen Feiertage „Ramazan Bayramı“ und „Kurban Bayramı“ machen lassen. Dafür gibt es keine Weihnachtsferien und der letzte Vorlesungstag war (offiziell) am 31. Dezember. Viel Leben spielt sich auf den Straßen ab, Menschen sitzen beisammen und genießen „çay“ und „tavla“. Abends bzw. nachts kann man sich insbesondere im Kneipenviertel im Stadtteil Beyoğlu vergnügen. Fazit Rückblickend bin ich froh, dass ich mein Auslandssemester absolviert habe, denn ich habe viel über die Türkei und die türkische Kultur gelernt und auch Freundschaften geschlossen. Unabhängig vom Ziel denke ich, dass ein Auslandssemester grundsätzlich auch immer eine wichtige persönliche Erfahrung ist, insbesondere wenn man zum ersten Mal für einen längeren Zeitpunkt in einem fremden Land lebt. Meine in der Türkei erbrachten Studienleistungen wurden mir problemlos anerkannt. Ich bereue es auch nicht, dass ich einen Kurs abgebrochen habe, denn der Workload war auch ohne diesen Kurs grenzwertig hoch. Schließlich ist das Auslandssemester eine besondere Zeit, in der es auch gilt, viel von dem Land und von der Stadt mitzubekommen und ein bisschen darin aufzugehen.