Voller Urlaub trotz langer Krankheit

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Voller Urlaub trotz langer Krankheit
Voller Urlaub trotz langer Krankheit?
War ein Arbeitnehmer bis zum Ablauf des Übertragungszeitraumes arbeitsunfähig erkrankt,
verfiel nach der bisherigen Rechtslage sein Urlaubsanspruch des Vorjahres. Dies hat sich
nun aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes geändert.
Bisher war für die Frage, ob Urlaub verfällt, alleine das Bundesurlaubsgesetz und die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts maßgeblich. Das Bundesurlaubsgesetz regelt, dass
der Urlaub bis zum Ablauf des Kalenderjahres genommen werden muss. Eine Übertragung
auf das Folgejahr ist nur dann möglich, so die gesetzliche Regelung, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe vorliegen. Bei Übertragung
muss der Urlaub innerhalb der ersten drei Monate des Folgejahres, also bis zum 31.03., genommen werden. Ist der Arbeitnehmer langfristig erkrankt, kann der Urlaub somit bis zum
31.03. des Folgejahres übertragen werden.
Grundsätzlich kann Urlaub nur dann genommen werden, wenn der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist. Dies hatte nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes zur Folge, dass bei dauernder Arbeitsunfähigkeit Urlaubsansprüche erlöschen konnten. Dies war
dann der Fall, wenn die Arbeitsunfähigkeit bis zum 31.03. bzw. darüber hinaus andauerte.
Die maßgebliche Vorschrift, § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz, wurde vom Bundesarbeitsgericht so verstanden, dass der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers mit Ablauf des 31.03. erlosch, wenn er bis dahin nicht arbeitsfähig wurde und den Urlaub bis dahin vollständig nehmen konnte.
Auf eine Vorlage des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf entschied der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 20.01.2009 (Aktenzeichen C-350/06; C-520/06), dass die Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichtes unvereinbar ist mit der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie.
Dies führte dazu, dass das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 24.03.2009 (Aktenzeichen 9
AZR 983/07) von seiner bisherigen Rechtsprechung abrückte. Es urteilte, dass das Bundesurlaubsgesetz richtlinienkonform fortzubilden sei. Im Ergebnis führt dies dazu, dass bestehende Urlaubsansprüche dann nicht erlöschen, wenn der Arbeitnehmer infolge von Arbeitsunfähigkeit den Urlaub nicht bis zum Stichtag 31.03. des Folgejahres nehmen konnte. Eine
zeitliche Grenze gibt es nicht. Damit gilt: Ist ein Arbeitnehmer dauerhaft arbeitsunfähig, auch
über den Übertragungszeitraum hinaus, bleibt der Urlaubsanspruch bestehen. Seinen Resturlaub aus dem Vorjahr kann der Arbeitnehmer nach seiner Gesundung beanspruchen. Endet das Arbeitsverhältnis in der Zukunft und konnte der Arbeitnehmer zuvor seinen Resturlaub nicht nehmen, muss der Arbeitgeber den Urlaub abgelten.
Der vom Europäischen Gerichtshof aufgestellte Grundsatz, dass Urlaub unter den oben genanten Bedingungen nicht verfällt, gilt jedoch nicht zwingend für den gesamten Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers. „Hier muss unterschieden werden zwischen dem gesetzlichen
Mindesturlaub und dem darüber hinausgehend vereinbarten Urlaub“, erläutert Thorsten Albrecht, Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei Weiss Weiss Rechtsanwälte. In den meisten Arbeitsverträgen wird ein über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehender Urlaub
vereinbart. Stehen dem Arbeitnehmer beispielsweise laut Arbeitsvertrag 26 Tage als Urlaub
zu, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf übergesetzlichen Urlaub von sechs Tagen.
Denn diese sechs Tage gewährt der Arbeitsvertrag zusätzlich zum gesetzlichen Mindesturlaub.
„Das Bundesarbeitsgericht hat ausdrücklich entschieden, dass die übergesetzlichen Urlaubsansprüche durch die Arbeitsvertragsparteien frei geregelt werden können“, so Rechtsanwalt Albrecht, „dafür muss im Arbeitsvertrag eine Regelung getroffen werden, dass der
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-2über den gesetzlichen Mindesturlaub hinaus gewährte Urlaub – in unserem Beispiel 6 Tage
– anders als der gesetzliche Urlaub behandelt werden soll.“
Das Bundesarbeitsgericht verlangt jedoch nicht, dass Arbeitsverträge ausdrücklich einen
Verfall des übergesetzlichen Urlaubsanspruches anordnen müssen. Ausreichend sind deutliche Anhaltspunkte für eine Unterscheidung zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen
Urlaubsansprüchen. Bereits wenn eine solche Unterscheidung erkennbar ist, unterliegt der
übergesetzliche Urlaub den bisherigen Grundsätzen und verfällt damit mit Ablauf des Übertragungszeitraumes.
Umgekehrt bedeutet dies: Haben die Parteien keine Regelung getroffen und sind keine deutlichen Anhaltspunkte für eine Unterscheidung vorhanden, ist der gesamte Urlaub – im Beispiel 26 Tage – nach der richtlinienkonformen Rechtsprechung zu betrachten. Dies führt dazu, dass auch der eigentlich übergesetzliche Urlaubsanspruch nicht erlischt.
Rechtsanwalt Albrecht zieht für den Fall, dass ein Arbeitnehmer aufgrund Krankheit seinen
Urlaub bis zum 31.03. des Folgejahres nicht nehmen kann, folgendes Fazit: „Dem Arbeitgeber ist zu empfehlen, dass er mit seinen Arbeitnehmern eine Regelung trifft, die den gesetzlichen Anspruch auf Mindesturlaub und die darüber hinaus gewährten Urlaubstage unterschiedlich behandelt. So kann er sicherstellen, dass die übergesetzlich gewährten Urlaubstage nach dem Übertragungszeitraum erlöschen. Für den Arbeitnehmer wiederum ist
es entscheidend, dass seine Urlaubsansprüche bei Krankheit dann insgesamt nicht verfallen,
wenn eine Unterscheidung nicht vorgenommen wurde.“